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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Händschke und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des A in G, vertreten durch Dr. W, Rechtanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 7. Juli 1995, Zl. 4.346.441/1-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und reiste am 13. April 1995 in das Bundesgebiet ein. Am 18. April 1995 beantragte er, ihm Asyl zu gewähren.
Anläßlich seiner noch am selben Tag durchgeführten niederschriftlichen Befragung durch das Bundesasylamt gab er zu seinen Fluchtgründen befragt an, er sei Angehöriger der tadschikischen Volksgruppe islamischen Glaubens. Er sei in B geboren worden und habe dort bis zur Matura gemeinsam mit seinen Geschwistern bei den Eltern in einem Einfamilienhaus gelebt. Sein Vater sei Bauer und in der Landwirtschaft tätig gewesen. Es sei ihnen immer "mittelmäßig" gegangen. Nach dem Gymnasium sei er in das Studentenheim nach Kabul gezogen und habe dort mit staatlicher Unterstützung bis 1984 "Elektrizität" studiert. Danach habe er mit Unterbrechung wegen der Militärdienstleistung (1985 bis 1987 und 1988 bis 1990) bis zum Jahr 1993 im Ministerium für Strom und Wasser gearbeitet. Dabei habe er meist bei seinem Onkel in Kabul gewohnt. Nach der Revolution im Jahr 1992 sei er weiterhin an seinem Posten geduldet worden. Ab Ende 1993 sei er jedoch nicht mehr zur Arbeit erschienen, weil er drei Monate wegen seiner Zugehörigkeit zur kommunistischen Partei inhaftiert gewesen sei. Man habe von ihm Informationen haben wollen und ihn in Untersuchungshaft genommen. Da man nichts gefunden habe, um ihn länger anzuhalten, habe man ihn wieder freigelassen. Aus Angst sei er aber danach nicht mehr zur Arbeit erschienen. Seitdem habe er etwa drei Monate in Kabul bei seinem Onkel, drei Monate bei seinen Eltern und etwa drei Monate bei Verwandten in Z gelebt, bevor er nach Pakistan ausgereist sei. In seiner Freizeit habe er meist nur Bücher gelesen. Bis zur islamischen Revolution habe er öffentliche politische Tätigkeiten ausgeübt. Er sei von 1977 bis 1992 Mitglied bei der kommunistischen Partei gewesen und habe oft Versammlungen einberufen. Er habe dazu den Auftrag vom Büro im Ministerium erhalten und sämtliche Mitglieder im Ministerium versammelt, die darüber berichteten, wie viele und welche neuen Mitglieder sie geworben bzw. welche kleineren Tätigkeiten diese übernommen hätten. Seit der Revolution habe er "seine Umgebung" nur über die Brutalität des jetzigen Regimes aufgeklärt. Er habe beispielsweise Arbeitskollegen gesagt, daß sich die neuen Machthaber zwar Moslems nennten, aber kein humanes Regime führten und daß sie statt Frieden nur Krieg gebracht hätten. Seine Arbeitskollegen seien auch seiner Meinung gewesen. Nach 1993 habe er sich nicht mehr politisch geäußert und praktisch halb im Untergrund gelebt. Er sei nie Mitglied einer bewaffneten Gruppierung gewesen und sei auch nicht vorbestraft. Er werde aber von den heimatlichen Behörden gesucht. So gebe es beispielsweise in B eine Gruppe, die terroristische Anschläge gegen ehemalige Kommunisten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan durchführen lasse. Über eingehendere Befragung zu seinen Fluchtgründen ergänzte der Beschwerdeführer, er sei Ende 1993 von Anhängern des Massud drei Monate lang im Zentralgefängnis von Kabul angehalten und verdächtigt worden, als Kommunist mehrere Leute getötet zu haben. Er sei zweimal wöchentlich aus seiner Zelle, die er mit fünf anderen habe teilen müssen, zum Verhör in einen Raum gebracht worden, in dem sich
zwei Offiziere befunden hätten. Einer habe ihm die Fragen gestellt und ihn zwischendurch mit der bloßen Handfläche geohrfeigt, während der andere alles niedergeschrieben habe. Diese Verhöre hätten jeweils zwischen einer dreiviertel Stunde und einer Stunde gedauert. Er sei immer wieder aufgefordert worden, zu gestehen, wie viele Leute er umgebracht bzw. welche Tätigkeiten als Mitglied der kommunistischen Partei er ausgeübt habe, er habe jedoch außer seiner einfachen Mitgliedschaft nichts zugegeben. Da "diese Leute" selbst auch Nachforschungen angestellt hätten, hätten sie auch vermutlich herausgefunden, daß er nichts mit der Geheimpolizei zu tun gehabt habe. Daher sei er wieder freigelassen worden. Nach seiner Entlassung habe ein Freund ihm mitgeteilt, daß er auf der Liste der Anhänger des Sufi Ghorban stehe, der während des kommunistischen Regimes im Exil gelebt habe. Er wisse nicht, woher sein Freund diese Information habe, dieser sei früher selbst innerhalb der kommunistischen Partei aktiv gewesen. Der Beschwerdeführer glaube, daß sein Freund Kontakte zu Anhängern des Sufi Ghorban pflege. Er wisse auch nicht, warum gerade er auf der Liste der gesuchten Personen sei, man habe jedoch sehr viele ehemaligen Kommunisten umgebracht. Er glaube, daß man nur nach jenen gesucht habe, die aktiv gewesen und dem Kader der Partei angehört hätten. Er sei jedoch zunächst weiterhin in Kabul geblieben, weil er gedacht habe, daß sich die Lage bald wieder normalisieren würde, außerdem habe es ihm an Geld gemangelt. Vorsichtshalber habe er sein Haus auch kaum verlassen. In seinem Heimatort habe er sich dann weiter für drei Monate ungehindert im Haus seiner Eltern aufhalten können, weil auf Grund der gebirgigen Gegend die Nachbarn erst sehr viel später gemerkt hätten, wenn jemand angekommen sei. Erst im Laufe der Zeit, als sich seine Anwesenheit bei den lokalen Kommandaten der verschiedenen Mudjaheddingruppen herumgesprochen habe, habe er sich weiter zu Verwandten begeben. Das Leben in seiner Heimat sei "nicht einfacher" geworden. Die Anhänger des Sufi Ghorban verfolgten die Personen auf ihren Listen sogar in Pakistan. Wäre er länger in der Heimat geblieben, wäre er vermutlich von Anhängern des Massud festgenommen worden. Er hätte aber auch in die Hände der Gefolgsleute des Sufi Ghorban geraten und wegen seiner früheren Mitgliedschaft bei der kommunistischen Partei angehalten werden können. Er wisse nicht, wie lange man ihn inhaftiert hätte, bevor man ihn umgebracht hätte, jedenfalls seien schon viele ermordet worden. Auch über Vorhalt, Afghanistan sei nicht mehr Schauplatz von Kämpfen bewaffneter Widerstandsgruppen gegen die früheren Kommunisten, sondern eher für rivalisierende Mudjaheddin-Gruppen geworden, gab der Beschwerdeführer an:
"Nach außen hin mag das so wirken. Es stimmt auch, aber trotzdem werden nach wie vor ab und zu Kommunisten verfolgt."
Mit Bescheid vom 20. April 1995 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers ab. Es verneinte nicht nur die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers, sondern erachtete den Asylausschließeungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 als gegeben, da sich der Beschwerdeführer vor Einreise in das Bundesgebiet in Pakistan sowie in den nicht näher bezeichneten Nachbarstaaten Österreichs aufgehalten und dort bereits Verfolgungssicherheit erlangt habe.
In der gegen diesen Bescheid gerichteten Berufung rügte der Beschwerdeführer die unrichtige Anwendung des § 16 AsylG 1991 durch die Behörde erster Instanz, machte jedoch darüber hinaus keine über seine Angaben anläßlich seiner Ersteinvernahme hinausgehenden Umstände geltend. Mit Schriftsatz vom 28. Mai 1995 brachte der Beschwerdeführer eine schriftliche Berufungsergänzung ein, in der er weitere Ermittlungs- und Begründungsfehler der Behörde geltend machte.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und übernahm nach Darstellung des Verfahrensganges und der von ihr in Anwendung gebrachten Rechtslage sowohl die Sachverhaltsfeststellungen als auch die rechtliche Beurteilung des bekämpften Bescheides des Bundesasylamtes. Sie fügte dieser - zulässigerweise verkürzten Begründung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 4. Oktober 1995, Zl. 95/01/0045) - lediglich an, der Begriff der wohlbegründeten Furcht vor Verfolgung stelle nicht nur auf vergangene Ereignisse ab, obwohl diese häufig ein Indiz für drohende Verfolgung darstellen könnten, sondern verlange dem Wesen nach eine Prognose. Da sich der Beschwerdeführer nach seiner Haftentlassung bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan Ende Dezember 1994/Anfang Jänner 1995 noch ca. neun Monate lange in seinem Heimatland aufgehalten habe, ohne daß er weitere Unbill seitens seines Heimatstaates zu gewärtigen gehabt habe, sei nicht davon auszugehen, daß er im Falle einer Rückkehr künftige Verfolgungen im Sinne des Asylgesetzes zu befürchten gehabt hätte. Die belangte Behörde übernahm auch die Ausführungen des Bescheides erster Instanz hinsichtlich einer bereits in Pakistan erlangten Verfolgungssicherheit sowie in zumindest einem der an Österreich angrenzenden Staaten, zumal der Beschwerdeführer im gesamten Asylverfahren nicht darzutun vermocht habe, daß er in diesen Staaten tatsächlich einer konkreten, gegen seine Person gerichteten Verfolgung ausgesetzt gewesen sei bzw. hätte befürchten müssen, ohne Prüfung seiner Asylgründe in sein Heimatland abgeschoben zu werden. Die Äußerung, wonach sich der Beschwerdeführer in Pakistan "nicht sicher gefühlt" habe und er "vielleicht ausgeliefert" worden wäre, seien unbeachtlich, als objektiv zu prüfen sei, ob Verfolgungssicherheit vorgelegen habe, weshalb es nicht auf Hypothesen und Einschätzungen von auftretenden Wahrscheinlichkeiten durch den Asylwerber ankommen könne.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof unter Abstandnahme von der beantragten mündlichen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Zur Frage der Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers erschöpft sich die Beschwerde in folgenden Ausführungen:
"a) Der ang. Verwaltungsakt übernimmt u.a. die erstinstanzliche rechtl. Beurteilung, die wiederholte Verabreichung von Ohrfeigen durch Vernehmungsorgane während einer unbegründeten Haft in der Dauer von immerhin drei Monaten sei zwar zu verurteilen, mangels "weitgehender Mißhandlungen" könne jedoch von asylrechtlich bedeutsamen Verfolgungshandlungen keine Rede sein (AS 43).
Diese Anschauung widerstreitet der ständigen dg. Judikatur, die solche Übergriffe stets als hinreichende Fluchtgründe gewertet hat (ZfVB 1992/5/1832; ZfVB 1991/5-6/2038, 2040, 2041, 2046, u.v.a.).
b) Mit der weiteren Erwägung, künftige Verfolgungen in Afghanistan hätte ich deswegen nicht zu befürchten gehabt, weil ich mich dort nach der Enthaftung noch ca. neun Monate aufgehalten habe (AS 95), setzt sich die belangte Behörde in aktenwidriger Weise über mein Vorbringen hinweg, daß ich im genannten Zeitraum mit Fluchtvorbereitungen befaßt war, die sich freilich durch Geldmangel verzögert haben (AS 21 ff)."
Daraus lassen sich Argumente, die die rechtliche Beurteilung der belangten Behörde rechtswidrig erscheinen ließen, nicht ableiten. Dem - tragenden - Argument beider Behörden des Verwaltungsverfahrens, daß nämlich ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten, aus seiner Sicht ungerechtfertigten Haft verbunden mit Mißhandlungen im Jahre 1993 und einer erst zum Jahreswechsel 1994/1995 erfolgten Ausreise aus seinem Heimatland nicht mehr hergestellt werden kann, halten die Beschwerdeausführungen nichts Stichhältiges entgegen. An dieser Einschätzung vermögen auch allfälliger Geldmangel und sich hinziehende Fluchtvorbereitungen nichts zu ändern, zumal der Beschwerdeführer weder im Verwaltungsverfahren noch in der Beschwerde vorgebracht hat, wie der behauptete, die Fluchtvorbereitungen verzögernde Geldmangel des Beschwerdeführers während seines weiteren Aufenthaltes behoben wurde. Es kann auch in der weiteren Beurteilung der belangten Behörde die aus den Angaben des Beschwerdeführers ("sie wollten Informationen von mir und schlossen mich in Untersuchungshaft. Nachdem sie nichts fanden, um mich länger anzuhalten, ließen sie mich wieder frei.... Ich wurde immer wieder aufgefordert zu gestehen, wie viele Leute ich umgebracht bzw. welche Tätigkeiten ich als Mitglied der kommunistischen Partei ausgeübt habe. Ich gab nichts weiter zu, als meine einfache Mitgliedschaft. Da diese Leute auch selbst Nachforschungen anstellten, fanden sie vermutlich heraus, daß ich nichts mit der Geheimpolizei zu tun hatte. Sie ließen mich daher wieder frei.") die Schlußfolgerung gezogen hat, daß eine künftige Verfolgungsgefahr damit nicht glaubhaft gemacht worden sei, sich vielmehr daraus entnehmen ließe, daß mit der Freilassung des Beschwerdeführers auch die gegen ihn erhobenen Vorwürfe fallengelassen worden seien, daher eine unmittelbare oder mittelbare Verfolgungsgefahr aus diesem Umstand für die Zukunft nicht ableitbar ist, keine Rechtswidrigkeit erblickt werden. Bereits aus diesem Grund erübrigt sich auch ein weiteres Eingehen auf die - möglicherweise asylrelevante - Intensität der anläßlich der Haft erlittenen, aber ohne weitere Folgen oder Indizwirkung gebliebenen Mißhandlungen. Ausgehend von dem Ermittlungsergebnis des Verfahrens erster Instanz gemäß § 20 Abs. 1 AsylG 1991 kann der Rechtsansicht der belangten Behörde, der Beschwerdeführer sei nicht Flüchtling, somit nicht mit Erfolg entgegengetreten werden.
Ist der Beschwerdeführer aber nicht Flüchtling, so kann ihm Asyl allein schon deswegen nicht gewährt werden, sodaß es auf das Vorliegen des Ausschließungsgrundes nach § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 nicht mehr ankommt. Auf die diesbezüglchen Ausführungen in der Beschwerde war daher nicht mehr einzugehen.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1995200738.X00Im RIS seit
20.11.2000