Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Dr. L, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. März 1995, Zl. 4.321.635/14-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger und reiste am 28. August 1991 in das Bundesgebiet ein. Er stellte am 2. September 1991 den Antrag, ihm Asyl zu gewähren. Anläßlich seiner niederschriftlichen Befragung durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 7. September 1991 gab er zu seinen Fluchtgründen folgendes an:
"Ich bin Angehöriger der kurdischen Minderheit in der Türkei, und alevitischen Glaubens. Aus diesen Gründen wurde ich in der Heimat unterdrückt. Ich stamme aus der Provinz Bingöl, wo schon seit Jahren der Ausnahmezustand herrscht. Ich bin politisch neutral und unterstütze keine Organisation. Trotzdem bin ich in den letzten Jahren den Mißhandlungen der türkischen Soldaten ausgesetzt. Vor meinem Militärdienst, das Datum kann ich nicht mehr angeben, wurde ich im Dorf von Gendarmen zusammen mit anderen Dorfbewohnern festgenommen. Wir wurden nach Kigi gebracht und blieben dort drei Tage in Haft. In diesen drei Tagen wurde ich ständig verhört. Die Gendarmen warfen mir vor, die PKK unterstützt zu haben, was überhaupt nicht stimmte. Obwohl ich immer wieder betonte, daß ich mit der PKK bzw. den Terroristen nicht das geringste zu tun habe, wurde ich geschlagen. Nach drei Tagen wurde ich wieder freigelassen.
Nach Ableistung des Militärdienstes, ich glaube es war im März 1991 wurde ich ein zweites Mal von Gendarmen festgenommen. Die Gendarmen brachten mich auf einen nahegelegenen Berg. Dort wurden uns die Arme gefesselt. Die Gendarmen warfen uns zu Boden und sagten uns, daß sie uns hinrichten würden. Wieder wollten sie von uns Informationen über die kurdischen Freischärler. Gegen Abend wurden wir freigelassen.
Die Soldaten sind ständig im Dorf. Sie dürfen tun, was sie wollen. Ich lebte in den letzten Monaten ständig in Angst. Die Frauen wurden von den Soldaten belästigt.
Ich konnte nicht mehr im Dorf bleiben und beschloß, meine Heimat zu verlassen. Ich wollte auch nicht in eine türkische Großstadt ziehen, weil die Lage der Kurden auch dort nicht viel besser ist."
Mit (Formular-)Bescheid vom 20. Oktober 1991 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich fest, daß der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Zuerkennung seiner Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle. Eine Auseinandersetzung mit den von ihm geltend gemachten Fluchtgründen erfolgte in diesem Bescheid nicht. Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er von seinen Angaben in erster Instanz abweichende Umstände nicht geltend machte, sondern lediglich darauf verwies, er habe seine Heimat aus politischen Gründen verlassen müssen, er sei von der türkischen Regierung unterdrückt und gefoltert worden, sodaß er um neuerliche Überprüfung der von ihm geltend gemachten Fluchtgründe und um positive Erledigung seines Asylantrages ersuche. Mit Bescheid vom 23. März 1993 wies die belangte Behörde diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab.
Auf Grund der dagegen erhobenen Beschwerde hob der Verwaltungsgerichtshof mit seinem Erkenntnis vom 5. September 1994, Zl. 94/20/0112, den bekämpften Bescheid der belangten Behörde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes (infolge Anwendung der Rechtslage vor der Kundmachung, BGBl. Nr. 610/1994 betreffend die Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 AsylG 1991 durch den Verfassungsgerichtshof) auf, sodaß das Berufungsverfahren wiederum bei der belangten Behörde anhängig wurde. Mit Eingabe vom 14. Oktober 1994 beantragte der Beschwerdeführer die Wiederaufnahme des Verfahrens, weil ihm am 2. Oktober 1994 durch eine Zeitungsnotiz bekanntgeworden sei, daß am 13. September 1994 sein Heimatdorf niedergebrannt worden sei. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 28. November 1994 wurde der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens (rechtskräftig) im wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, bei den von ihm geltend gemachten "neuen Tatsachen" handle es sich um sogenannte "nova producta", welche eine Wiederaufnahme des Verfahrens nicht zu bewirken vermöchten.
Im fortgesetzten Berufungsverfahren erstattete der Beschwerdeführer am 29. Dezember 1994 eine Berufungsergänzung, indem er im wesentlichen auf sein Vorbringen im Wiederaufnahmeantrag verwies.
Mit Bescheid vom 28. März 1995 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers (neuerlich) gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und sprach aus, Österreich gewähre ihm kein Asyl. Nach Darstellung des Verfahrensganges und der von ihr in Anwendung gebrachten Rechtslage führte die belangte Behörde rechtlich aus, der vom Beschwerdeführer vorgetragene Sachverhalt erweise sich weder unter dem Gesichtspunkt der Intensität der Maßnahmen (der Schwere der Eingriffe in seine Rechtsgüter) noch unter jenem des Zusammenhanges mit den in § 1 Z. 1 AsylG 1991 genannten Gründen geeignet, seine Flüchtlingseigenschaft zu begründen. Die von ihm relevierten Festnahmen könnten allein schon mangels Vorliegens eines der fünf im § 1 Z. 1 AsylG 1991 taxativ aufgezählten Gründe, die staatlicher Verfolgung erst asylrechtliche Relevanz zu verleihen vermöchten, seine Stellung als Flüchtling im Sinne der in Rede stehenden Gesetzesbestimmung nicht zu begründen. Die Festnahmen und die Mißhandlungen sollten ja erfolgt sein, um von ihm "Informationen über die kurdischen Freischärler zu erlangen"; es wäre in diesen Fällen der Grund, weswegen die Festnahmen erfolgten, lediglich in einem von den türkischen Behörden beim Beschwerdeführer "vermuteten SONDERWISSEN über die Aktivitäten der PKK bzw. der Terroristen, erworben durch eventuellen sozialen Umgang mit diesen, gelegen, und somit weder in einer politischen Gesinnung noch schlechthin in der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Kollektiv zu suchen". Auch fehle die im Asylverfahren wesentliche Zukunftsprognose, da die vom Beschwerdeführer behauptete Festnahme ca. 3 Monate vor seiner Ausreise offenbar ohne Nachteile geblieben sei, und es daher der erkennenden Behörde nicht plausibel erscheine, daß ausgerechnet seine Person im Fall einer Rückkehr künftige Verfolgungen im Sinne des Asylgesetzes 1991 zu gewärtigen gehabt hätte. Im übrigen erachtete die belangte Behörde die allgemeine Unterdrückung der kurdischen Volksgruppe bzw. alevitischen Glaubensgemeinschaft als nicht geeignet, die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers zu begründen, weil diese Umstände "unsubstantiiert" seien und andererseits auch nicht "konkret ausschließlich" die Person des Beschwerdeführers betroffen hätten. Im übrigen hätte der Beschwerdeführer eine sogenannte "inländische Fluchtalternative" gehabt, woran auch nichts ändere, daß der Beschwerdeführer dies anläßlich seiner Ersteinvernahme "unsubstantiiert" bestritten habe. Auch der von ihm im Berufungsergänzungsverfahren vorgelegte Zeitungsartikel vermöchte eine konkrete, ausschließlich gegen seine Person gerichtete Verfolgungshandlung nicht glaubhaft machen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof unter Abstandnahme von der beantragten mündlichen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG erwogen hat:
Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides rügt der Beschwerdeführer, die von ihm geschilderten Festnahmen und im Zuge derer erlittenen schweren Mißhandlungen, die ihre Ursache zweifellos in der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Kollektiv, nämlich zur kurdischen Volksgruppe gehabt hätten, seien zweifellos als schwerwiegende Eingriffe in seine Rechtsgüter anzusehen. Die Behörde habe überdies zu Unrecht unberücksichtigt gelassen, daß gerade die engere Heimat des Beschwerdeführers Ziel intensiver militärischer Aktionen gewesen sei, und auch übersehen, daß im Hinblick auf die umfangreiche Tätigkeit der kurdischen Befreiungsbewegung im Ausland ein nach mehrjährigem Auslandsaufenthalt Heimkehrender sicherlich das besondere und auch intensive Interesse der Behörden zu gewärtigen hätte. Völlig unzureichend sei auch begründet, eine allenfalls bestehende Gefährdung sei "topografisch beschränkt" auf die "Kurdenprovinzen", da auch eine Binnenflucht in eine türkische Großstadt die jederzeitige Festnahme, Verhöre oder Mißhandlungen durch Spezialeinheiten nicht ausschlössen.
Diese Argumente überzeugen. Bereits aus der niederschriftlichen Vernehmung des Beschwerdeführers geht hervor, daß er noch im März 1991 (der Beschwerdeführer verließ sein Heimatland Ende Mai 1991) anläßlich einer zweiten Festnahme nicht nur mißhandelt, sondern auch mit dem Umbringen bedroht worden ist. Im Rahmen einer gebotenen Gesamtschau unter Einbeziehung der im Heimatland des Beschwerdeführers herrschenden allgemeinen politischen Verhältnisse kann nicht davon ausgegangen werden, daß den vom Beschwerdeführer geschilderten, ihn persönlich treffenden Festnahmen, Verhören, Mißhandlungen und Drohungen mit dem Tode die Intensität im Sinne der Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention fehle. Insbesondere hat der Beschwerdeführer auch anläßlich seiner Ersteinvernahme den Zusammenhang mit einem der in Kapitel 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe dadurch hergestellt, daß ihm anläßlich der Verhöre von der Gendarmerie vorgeworfen und unrichtigerweise unterstellt worden sei, er unterstütze die PKK. Entgegen den Ausführungen im angefochtenen Bescheid dienten die Verhöre und Festnahmen sowie die dabei erlittenen Mißhandlungen und Drohungen daher keineswegs lediglich der Erforschung eines bei ihm vermuteten "Sonderwissens" über die Aktivitäten der PKK. Insoweit die belangte Behörde einen Zusammenhang dieser von staatlichen Behörden gegen den Beschwerdeführer gesetzten Aktivitäten zu seiner politischen Gesinnung oder seiner Zugehörigkeit zu einem bestimmten Kollektiv schlechthin in Abrede stellt, entfernt sie sich daher - ohne diese im Rahmen der Beweiswürdigung als unglaubwürdig zu bezeichnen - von den Angaben des Beschwerdeführers in erster Instanz. Daß die Vorfälle im März 1991 im Hinblick auf den bereits Ende Mai 1991 erfolgten Fluchtbeginn auch noch in einem erkennbaren zeitlichen Konnex stehen, ist zumindest nicht auszuschließen. Wie die belangte Behörde in diesem Zusammenhang zur Ansicht gelangt ist, die Freilassung des Beschwerdeführers lasse es nicht plausibel erscheinen, daß ausgerechnet er im Falle einer Rückkehr künftige Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes zu gewärtigen gehabt hätte, wurde von ihr nicht näher begründet; es ergeben sich auch aus dem Akteninhalt keine die Ansicht der belangten Behörde stützenden Ermittlungsergebnisse. Desgleichen bleibt von der belangten Behörde unbegründet, was sie zur Überzeugung gebracht hat, eine allfällige Verfolgungssituation des Beschwerdeführers sei lediglich topografisch eingeschränkt auf die in Aufruhr befindlichen Kurdenprovinzen, es habe für ihn daher eine "inländische Fluchtalternative" gegeben. Der Beschwerdeführer hatte diese Annahme bereits anläßlich seiner Ersteinvernahme bestritten. Wäre die belangte Behörde der Ansicht gewesen, die diesbezügliche Behauptung des Beschwerdeführers, er habe nicht in eine türkische Großstadt ziehen wollen, weil die Lage der Kurden auch dort nicht viel besser sei, als zu unsubstantiiert erachtet, so hätte sie im Sinne des § 20 Abs. 2 AsylG 1991 eine diesbezügliche Ergänzung des Ermittlungsverfahrens anzuordnen gehabt, weil nicht aktenkundig ist, daß der Beschwerdeführer zu einer diesbezüglich näheren Konkretisierung angehalten worden wäre.
Da die belangte Behörde im aufgezeigten Sinne bereits ausgehend von den Ermittlungsergebnissen des Verfahrens erster Instanz im Sinne des § 20 Abs. 1 AsylG 1991 die Rechtslage verkannt hat, erübrigte sich auch ein Eingehen auf die Frage, ob sie im Hinblick auf die in der Berufungsergänzung vorgelegten Urkunden zu Recht von der Möglichkeit einer Ergänzung des Ermittlungsverfahrens erster Instanz im Sinne des § 20 Abs. 2 leg. cit. keinen Gebrauch gemacht hat.
Sie belastete daher ihren Bescheid auf Grund einer vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht betreffend die Asylrelevanz der vom Beschwerdeführer dargestellten Verfolgungshandlungen mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Die weiters aufgezeigten Ermittlungs- und Begründungsfehler hatten Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften zur Folge. Da aber im Falle der Aufhebung eines Bescheides die Rechtswidrigkeit seines Inhaltes jener infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vorgeht, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
Die Abweisung des Mehrbegehrens war auszusprechen, da Umsatzsteuer bereits in dem für Schriftsatzaufwand festgesetzten Pauschalbetrag enthalten ist.
Schlagworte
Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher VerfahrensmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1995200754.X00Im RIS seit
20.11.2000