Entscheidungsdatum
27.11.2020Norm
BFA-VG §22a Abs1Spruch
W137 2170910-1/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Peter HAMMER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA Marokko alias Tunesien, vertreten durch den VEREIN MENSCHENRECHTE ÖSTERREICH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.09.2017, Zl. 470212608-160410268 zu Recht erkannt:
A)
I. Der Beschwerde wird gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG (in der damals geltenden Fassung) iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) hat gemäß § 35 VwGVG dem Beschwerdeführer den Verfahrensaufwand in Höhe von 737,60 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
III. Der Antrag der belangten Behörde auf Kostenersatz wird gemäß § 35 VwGVG abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt
1. Der Beschwerdeführer stellte erstmals am 15.11.2008 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich unter Behauptung einer marokkanischen Staatsangehörigkeit. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 07.01.2009 gemäß § 5 AsylG 2005 zurückgewiesen und der Beschwerdeführer nach Italien ausgewiesen.
2. Am 25.08.2013 stellte der Beschwerdeführer unter einem anderen Familiennamen und mit einem anderen Geburtsdatum erneut einen Antrag auf internationalen Schutz.
Mit Bescheid vom 02.09.2013 wurde dieser Antrag gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 Z 1 AsylG abgewiesen und die Ausweisung nach Marokko verfügt.
Mit Verfahrensanordnung des Asylgerichtshofs vom 28.10.2013 wurde das Beschwerdeverfahren gemäß § 24 Abs. 1 und Abs. 2 AsylG 2005 eingestellt.
Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.01.2015 wurde der Beschwerde des Beschwerdeführers stattgegeben, der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückgewiesen.
3. Mit Bescheid vom 29.08.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten, als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §§ 3 und 8 AsylG 2005 abgewiesen, ihm gemäß § 57 AsylG 2005 kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, sowie gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG und § 52 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Marokko zulässig ist. Weiters wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 53 FPG ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot verhängt, festgestellt, dass der Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 2 Z 1 AsylG 2005 sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 24.06.2014 verloren hat und zugleich der Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt.
4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 05.09.2017 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
5. Mit Bescheid vom 07.09.2017 wurde über den sich damals in Strafhaft befindenden Beschwerdeführer die Schubhaft gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung und zur Sicherung der Abschiebung ab dem Zeitpunkt nach Entlassung aus der Strafhaft angeordnet.
6. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Erkenntnis vom 12.09.2017, I401 2169984-1/4E, die Beschwerde gegen den Bescheid vom 29.08.2017 als unbegründet abgewiesen.
7. Der Beschwerdeführer erhob mit Schriftsatz vom 18.09.2017 Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 07.09.2017 wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und Verletzung von Verfahrensvorschriften und stellte einen Antrag auf Kostenersatz durch die belangte Behörde. Die Beschwerde stützt sich auf die Unverhältnismäßigkeit der Schubhaft einerseits aufgrund des Unterlassens der belangten Behörde, rechtzeitig während der Strafhaft die erforderlichen Vorbereitungen für die Abschiebung zu setzen sowie andererseits aufgrund der Nichtanwendung des gelinderen Mittels.
8. Das Bundesverwaltungsgericht erteilte dem Beschwerdeführer am 19.09.2017 einen Mängelbehebungsauftrag hinsichtlich seiner Beschwerde vom 18.09.2017. Darin wurde darauf hingewiesen, dass hinsichtlich der beantragten „Enthaftung“ und „Haftentschädigung“ nicht ersichtlich sei, auf welche Haft sich der Beschwerdeführer beziehe – zumal er sich bei Einbringung der Beschwerde in Strafhaft befunden habe. Auch sei nicht nachvollziehbar, auf welche Rechtsgrundlage diese Begehren gestützt würden.
9. Ebenfalls am 19.09.2017 wurde der Beschwerdeführer unmittelbar nach der Entlassung aus der Strafhaft in Schubhaft genommen.
10. Mit Schriftsatz vom 19.09.2017 nahm die belangte Behörde Stellung zur Schubhaftbeschwerde, beantragte die Abweisung der Beschwerde und stellte einen Antrag auf Kostenersatz durch den Beschwerdeführer.
11. Mit Schriftsatz vom 22.09.2017 kam der Beschwerdeführer dem Mängelbehebungsauftrag des Bundesverwaltungsgerichts nach und stellte klar, dass sich die Anträge auf unverzügliche Enthaftung und Haftentschädigung auf die (damals noch nicht eingetretene) Schubhaft und nicht auf die Strafhaft beziehen und zog die genannten Antragspunkte zugleich zurück.
Aufgrund der Aktenlage wird folgender Sachverhalt der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt:
Über den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid vom 29.08.2017 erstinstanzlich inhaltlich entschieden und einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt. Mit Bescheid vom 07.09.2017 wurde die Schubhaft gegenüber dem Beschwerdeführer angeordnet, die allerdings erst nach seiner Entlassung aus der Gerichtshaft am 19.09.2017 vollzogen wurde. Die gegen den Schubhaftbescheid gerichtete Beschwerde wurde am 18.09.2017, somit noch vor Beginn der Schubhaft, eingebracht. Über die gegen den Bescheid vom 29.08.2017 erhobene Beschwerde im Asylverfahren (inklusive des Abspruchs bezüglich der aufschiebenden Wirkung) hat das Bundesverwaltungsgericht (erst) mit Erkenntnis vom 12.09.2017 entschieden und diese als unbegründet abgewiesen.
Der faktische Abschiebeschutz ist dem Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Anordnung der Schubhaft (Erlassung des Bescheides) somit zugekommen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang und der Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes sowie den vorliegenden Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes.
2. Rechtliche Beurteilung
2.1. Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es gemäß § 27 VwGVG den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs.1 Z 3 und 4 VwGVG) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3 VwGVG) zu überprüfen. Gemäß § 9 Abs.1 VwGVG hat die Beschwerde u.a. (Z 3) die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, sowie (Z 4) das Begehren zu enthalten. In den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, wurde zu § 27 VwGVG ausgeführt: „Der vorgeschlagene § 27 legt den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes fest. Anders als die Kognitionsbefugnis einer Berufungsbehörde (vgl. § 66 Abs. 4 AVG) soll die Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichtes durch den Inhalt der Beschwerde beschränkt sein.“
2.2. Der mit „Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft“ betitelte § 22a des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012, in der damals gültigen Fassung, lautet:
„§ 22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn
1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,
2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder
3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.
(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.
(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.
(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.
(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.
(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig.“
Das Bundesverwaltungsgericht ist somit gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG für die Entscheidung der gegenständlichen Beschwerde zuständig.
Zu Spruchteil A)
2.3. Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005, in der damals geltenden Fassung, lautet:
„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.
(2) Die Schubhaft darf nur dann angeordnet werden, wenn
1. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder der Abschiebung notwendig ist und sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
2. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.
(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen oder Meldeverpflichtungen gemäß §§ 56 oder 71 FPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder 15a AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.
(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.
(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.
(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“
2.4. Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).
Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).
Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).
3. Umfang der Beschwerde
3.1. In der am 18.09.2017 eingebrachten Beschwerde beantragte der Vertreter des Beschwerdeführers (a) die Verhängung der Schubhaft für rechtswidrig zu erklären und diese aufzuheben, (b) festzustellen, dass zum Zeitpunkt der Erlassung des Schubhaftbescheides die für die Verhängung der Schubhaft maßgebenden Voraussetzungen nicht vorgelegen haben, (c) festzustellen, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Gründe für eine weitere Anhaltung in Schubhaft vorliegen, (d) den Beschwerdeführer unverzüglich zu enthaften, (e) den Beschwerdeführer für die Dauer der Haft zu entschädigen, (f) der belangten Behörde den Ersatz der Aufwendungen gemäß VwG-Aufwandersatzverordnung sowie der Eingabegebühren aufzuerlegen sowie (g) der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
3.2. Mit Schriftsatz vom 22.09.2017 zog der Vertreter des Beschwerdeführers im Rahmen der Mängelbehebung die Anträge auf Enthaftung und Haftentschädigung (hier: Antragspunkte d) und e) der Beschwerde) zurück.
3.3. Hinsichtlich Antragspunkt c) ist festzuhalten, dass die Beschwerde zu einem Zeitpunkt eingebracht wurde, zu dem sich der Beschwerdeführer noch in Strafhaft befunden hat. Folglich entbehrt der Antrag auf Feststellung, dass zum „gegenwärtigen Zeitpunkt“, offenbar zum Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung, keine Gründe für eine weitere Anhaltung vorliegen, einer sachlichen Grundlage.
Unabhängig davon kann sich aber eine Beschwerde nicht gegen eine Anhaltung pro futuro richten und ebenso wenig vorgreifend argumentieren. Aus selbigem Grund wurde im gegenständlichen Verfahren auch die einwöchige Entscheidungsfrist des § 22a Abs. 2 BFA-VG sowie das Erfordernis eines „Fortsetzungsabspruchs“ (§ 22a Abs. 3 BFA-VG) nicht tragend. Eine weitere/ergänzende Beschwerde während aufrechter Schubhaft wurde vom Beschwerdeführer nicht eingebracht. Die gegenständliche Beschwerde ist daher eine ausschließliche Beschwerde gegen den aufschiebend bedingten Schubhaftbescheid.
Hinsichtlich des Antrags auf Zuerkennung einer aufschiebenden Wirkung (f) ist festzuhalten, dass der Schubhaftbescheid ohnehin bereits aufschiebend bedingt (bis zur Entlassung des Beschwerdeführers aus der Strafhaft) erlassen worden ist. Bei Einbringung der Beschwerde war der angefochtene Bescheid somit (noch) aufschiebend bedingt.
4. Zur Frage der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides:
Im gegenständlichen Fall kam dem Beschwerdeführer als Asylwerber zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides ein faktischer Abschiebeschutz zu.
Bereits aus diesem Grund erweisen sich – entsprechend der nunmehr ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes – der angefochtene Bescheid und die Anordnung der Schubhaft als rechtswidrig. Auf weitere Punkte der Beschwerde – insbesondere die Frage der Fluchtgefahr - muss aus diesen Gründen nicht mehr eingegangen werden. Dass der faktische Abschiebeschutz noch vor Beginn der Anhaltung weggefallen ist, kann daran nichts ändern. Ein etwa (erst) am 14.09.2017 erlassener Bescheid wäre vor diesem Hintergrund hingegen unproblematisch gewesen.
5. Kostenersatz
5.1. Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist (für die Zeit vor Inkrafttreten des § 22a Abs. 1a BFA-VG s. VwGH 23.04.2015, Ro 2014/21/0077).
5.2. Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei hat Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei. Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.
5.3. Nach § 35 Abs. 4 VwGVG gelten als Aufwendungen gemäß Abs. 1 die Kommissionsgebühren sowie die Barauslagen, für die der Beschwerdeführer aufzukommen hat (Z 1), die Fahrtkosten, die mit der Wahrnehmung seiner Parteirechte in Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht verbunden waren (Z 2), sowie die durch Verordnung des Bundeskanzlers festzusetzenden Pauschalbeträge für den Schriftsatz-, den Verhandlungs- und den Vorlageaufwand (Z 3). Die Höhe des Schriftsatz- und des Verhandlungsaufwands hat gemäß Abs. 5 den durchschnittlichen Kosten der Vertretung bzw. der Einbringung des Schriftsatzes durch einen Rechtsanwalt zu entsprechen. Für den Ersatz der den Behörden erwachsenden Kosten ist ein Pauschalbetrag festzusetzen, der dem durchschnittlichen Vorlage-, Schriftsatz- und Verhandlungsaufwand der Behörden entspricht. Aufwandersatz ist laut Abs. 7 auf Antrag der Partei zu leisten. Der Antrag kann bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt werden.
Der Beschwerdeführer hat damit als vollständig obsiegende Partei Anspruch auf Kostenersatz; dem Bundesamt gebührt als (vollständig) unterlegener Partei hingegen kein Kostenersatz.
6. Entfall einer mündlichen Verhandlung
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn (Z 1) der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder (Z 2) die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist. Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.
Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da der (nunmehr) entscheidungsrelevante Sachverhalt auf Grund der Aktenlage geklärt war.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.
Die Revision war daher nicht zuzulassen.
Schlagworte
aufschiebende Bedingung aufschiebende Wirkung faktischer Abschiebeschutz Kostenersatz Rechtswidrigkeit Rückkehrentscheidung Schubhaft Strafhaft VoraussetzungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W137.2170910.1.00Im RIS seit
01.02.2021Zuletzt aktualisiert am
01.02.2021