Entscheidungsdatum
01.12.2020Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
I408 2235862-1/8E
I408 2235861-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Harald NEUSCHMID als Einzelrichter über die Beschwerden der XXXX, geb. XXXX, StA. Ungarn, und der minderjährigen XXXX, geb. XXXX, StA. Ungarn, vertreten durch die gesetzliche Vertreterin, diese wiederum vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.09.2020, Zl. XXXX und XXXX, zu Recht:
A)
In Stattgabe der Beschwerden werden die angefochtenen Bescheide behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Die Erstbeschwerdeführerin (BF1) stellte am 18.02.2016 einen Antrag auf Ausstellung einer Anmeldebescheinigung. Mit Schreiben vom 27.02.2018 informierte das Amt der Wiener Landesregierung, MA 35, die belangte Behörde, dass die Voraussetzungen für ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht nicht vorliegen.
Mit Schreiben vom 10.07.2020 gewährte die belangte Behörde BF1 und ihrer damals noch dreijährigen Tochter (BF2) Parteiengehör, auf welches BF1 mit einer am 29.07.2020 bei der belangten Behörde eingelangten schriftlichen Stellungnahme reagierte.
Mit den verfahrensgegenständlichen Bescheiden vom 24.09.2020 wurden die Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.) und ihnen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat gewährt (Spruchpunkt II.).
Mit Schriftsatz vom 08.10.2020 erhoben die Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die beiden Beschwerdeführerinnen sind ungarische Staatsangehörige. BF1 hält sich seit September 2015 durchgehend im österreichischen Bundesgebiet auf und BF2 ist hier am XXXX geboren.
BF1 lebt mit ihrer zwischenzeitlich vierjährigen Tochter in einer Mietwohnung und bezog bis 09.06.2018 Kinderbetreuungsgeld. Entgegen den Feststellungen in den beiden verfahrensgegenständlichen Bescheiden ging BF1 vom 15.10.2018 bis 25.08.2020 einer Beschäftigung nach, welche einvernehmlich gelöst wurde. Seit diesem Zeitpunkt ist BF1 beim AMS arbeitssuchend gemeldet.
2. Beweiswürdigung:
Verfahrensgang und Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Inhalt des Behördenaktes und finden in aktuellen Abfragen aus ZMR und AJ-WEB ihre Deckung.
Die Feststellung zum Beschäftigungsverhältnis sowie zur Mietwohnung ergeben sich aus der Stellungnahme von BF1 zum Parteiengehör (AS 352) und wurden über eine Nachfrage beim AMS verifiziert (OZ 7).
Keinerlei Feststellungen wurden von der belangten Behörde zum Kindesvater getroffen, obwohl dieser bis 13.01.2020 bei BF1 gemeldet und lt. Aktenlage BF1 vom 16.05.2018 bis 27.06.2018 in Algerien war (AS 337).
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Zu Spruchpunkt I. und II. des angefochtenen Bescheides:
Der mit „Ausweisung“ betitelte § 66 FPG lautet:
"§ 66. (1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.
(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.
(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist."
Gemäß § 55 Abs. 3 NAG hat die Behörde für den Fall, dass das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht besteht, weil eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hiervon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.
§ 51 Abs. 1 NAG lautet:
"Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie
1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;
2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder
3. als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen."
Der mit "Anmeldebescheinigung" betitelte § 53 NAG lautet:
"§ 53. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), haben, wenn sie sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufhalten, dies binnen vier Monaten ab Einreise der Behörde anzuzeigen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen (§§ 51 oder 52) ist von der Behörde auf Antrag eine Anmeldebescheinigung auszustellen.
(2) Zum Nachweis des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts sind ein gültiger Personalausweis oder Reisepass sowie folgende Nachweise vorzulegen:
1. nach § 51 Abs. 1 Z 1: eine Bestätigung des Arbeitgebers oder ein Nachweis der Selbständigkeit;
2. nach § 51 Abs. 1 Z 2: Nachweise über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz;
3. nach § 51 Abs. 1 Z 3: Nachweise über die Zulassung zu einer Schule oder Bildungseinrichtung und über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz sowie eine Erklärung oder sonstige Nachweise über ausreichende Existenzmittel;
4. nach § 52 Abs. 1 Z 1: ein urkundlicher Nachweis des Bestehens der Ehe oder eingetragenen Partnerschaft;
5. nach § 52 Abs. 1 Z 2 und 3: ein urkundlicher Nachweis über das Bestehen einer familiären Beziehung sowie bei Kindern ab Vollendung des 21. Lebensjahres und Verwandten des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie ein Nachweis über die tatsächliche Unterhaltsgewährung;
6. nach § 52 Abs. 1 Z 4: ein Nachweis des Bestehens einer dauerhaften Beziehung mit dem EWR-Bürger;
7. nach § 52 Abs. 1 Z 5: ein urkundlicher Nachweis einer zuständigen Behörde des Herkunftsstaates der Unterhaltsleistung des EWR-Bürgers oder des Lebens in häuslicher Gemeinschaft oder der Nachweis der schwerwiegenden gesundheitlichen Gründe, die die persönliche Pflege durch den EWR-Bürger zwingend erforderlich machen."
Beide Beschwerdeführer sind ungarische Staatsbürger und als solche Unionsbürger. BF1 ist arbeitswillig, war knapp zwei Jahre durchgehend in einem Dienstverhältnis und ist derzeit arbeitssuchend gemeldet.
Die Voraussetzungen für ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht iSd § 51 Abs. 1 NAG liegen vor und die Ausweisung erweist sich damit als rechtswidrig. Hinzu kommt, dass sich die belangte Behörde nur unzulänglich mit dem Privatleben der Beschwerdeführer auseinandergesetzt hat. So fand die Stellungnahme von BF1 keine Berücksichtigung und es fehlen sämtliche Ermittlungsschritte in Bezug auf den unterhaltspflichtigen Vater von BF2.
3.2. Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Im gegenständlichen Fall konnte eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 Abs. 1 Z 1 VwGVG unterbleiben, da auf Grund der Aktenlage und der Abfragen aus ZMR und AJ-WEB feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid zu beheben ist.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zu Ausweisungen; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.
Schlagworte
Arbeitswilligkeit Aufenthaltsrecht Ausweisung Behebung der Entscheidung Ermittlungsmangel ersatzlose Behebung EU-Bürger Familienverfahren Minderjährigkeit UnionsbürgerEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:I408.2235861.1.00Im RIS seit
01.02.2021Zuletzt aktualisiert am
01.02.2021