TE Vwgh Erkenntnis 1997/6/19 95/20/0781

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Veröffentlicht am 19.06.1997
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §14 Abs2;
AsylG 1991 §16 Abs1;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs1;
AVG §45 Abs2;
AVG §58 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des S in W, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 7. November 1995, Zl. 4.343.020/9-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.830,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und reiste am 21. Juni 1993 in das Bundesgebiet ein. Am darauffolgenden Tag beantragte er die Gewährung von Asyl und begründete seinen schriftlichen Asylantrag in bezug auf die von ihm geltend gemachten Fluchtgründe wie folgt:

"Ich stamme aus einer Familie, die großes Ansehen bei der Bevölkerung genießt. Mein Vater, meine Brüder und ich waren weder Kommunisten noch islamische Fundamentalisten, sondern kritisch liberale Intellektuelle.

Mein Bruder Dr. S mußte im Mai 1991 Afghanistan aus politischen Gründen verlassen, danach wurden mein Vater und ich monatelang überwacht. Die Geheimpolizei der kommunistischen Regierung Nadjibullahs zwang mich zu einer Unterschrift, daß ich mich nicht aktiv politisch betätigen würde. Ich war zu dieser Zeit im Militärdienst und dort als Konstruktionsingenieur beschäftigt. (Nov. 1989 - Juli 1992). Da sich mein Land, wie auch heute noch, damals im Kriegszustand befand, mußte jedermann mit 18. Lebensjahr für 3 Jahre zum Militär. Für Akademiker galt das genauso, aber erst nach Beendigung des Studiums.

Im April 1992 übernahmen die islamischen Fundamentalisten die Macht. Obwohl die neue Regierung in Kabul gleich nach ihrem Amtsantritt eine Generalamnestie für ihre ehemalige Feinde erlassen hatte, hatten Mord, Folter, und Verfolgung von Gegnern und Kritikern erneut in hohem Maß zugenommen.

In die Zeit des Machtwechsels fällt die Beendigung meines Militärdienstes. Ich fand schnell Arbeit als Dipl. Ingenieur bei einer Baufirma in Kabul (Afghani construction unit Kabul).

Nach dem Sturz Nadjibullahs beschloß der Übergangsrat (51 Mitglieder diverser fundamentalistischer Parteien) folgendes: Präsident Mojaddedi sollte nach 2 Monaten sein Amt an Burhanuddin Rabbani weitergeben, nach 4 weiteren Monaten wurden freie Wahlen vereinbart.

Präsident Rabbani wollte nicht auf sein Amt verzichten und schaffte es durch Bestechung und Gewaltandrohung gegenüber der von ihm selbst erstellten Abgeordnetengruppe (Schorai Ahl Hal wa Aqd) für 2 weitere Jahre als Präsident von Afghanistan aufgestellt zu werden, was weder legal noch demokratisch war.

Seine fundamentalistischen Rivalen haben deswegen die Stadt Kabul immer wieder mit Raketen beschossen und hunderte Kinder und Erwachsene wurden getötet oder verletzt.

Die Bevölkerung hatte genug von Kommunisten, islamischen Fundamentalisten und ihre kriegerischen Auseinandersetzungen und Streitigkeiten, Machtmißbrauch und deren Korruption.

Mit parteilosen Freunden, Kollegen, Professoren, Menschen, die alle vom Regime enttäuscht waren, wollten wir eine Demonstration als Protest gegen dieses undemokratische Vorgehen organisieren.

Diesbezüglich hat sich der Regierungsratsprecher Schaikh Asef Mohseni im Jänner 1993 in einer Sitzung mit Universitätsprofessoren zur Verfügung gestellt. Er wollte unsere Meinung über die zukünftige Regierung, den Ausweg aus dem Chaos, wissen. Alle haben ihre Meinung geäußert. Die Vorschläge wurden schriftlich abgegeben. Ich hatte vorgeschlagen, daß nur eine freie demokratische Wahl unter Beobachtung der UNO, zu der alle politischen Gruppierungen, Intellektuelle und Persönlichkeiten zugelassen werden, die einzige Lösung sei.

Die Folge war, daß einige Professoren und Akademiker und ich deswegen von der Regierung inhaftiert wurden. Ich war 3 Wochen in Haft, ohne Verurteilung wurde ich entlassen und nachdrücklich verwarnt und noch einmal zu einer Unterschrift, mich nicht politisch zu betätigen, gezwungen. Danach wurde ich überwacht, meine Post abgefangen und durfte zu Hause keine Besuche empfangen.

Ende April 1993 wurde unsere Firma beauftragt, ein altes historisches Schloß - es steht unter Denkmalschutz, es wurde während der Regierungszeit Emir Habibullah (1901 - 1919 König von Afghanistan) gebaut und war sein Sommerpalast - für die Saudiarabische Botschaft umzubauen. Bisher hatte dieser ehemalige Sommerpalast als Restaurant (Restaurant Baghe Bala) gedient, war aber original getreu erhalten geblieben.

Ich weigerte mich diesen Auftrag anzunehmen und legte meine Gründe meinem Chef ruhig und sachlich dar, worum es mir ging und schrieb daher an den Präsidenten Rabbani, der uns persönlich diesen Auftrag erteilt hatte.

Unsere Firma wurde umgehend getadelt, und der Präsident bestand darauf, daß unsere Firma so schnell wie möglich mit der Arbeit beginnen sollte.

Ich wollte nicht so schnell aufgeben, redete und konnte diverse Kollegen sowie den Ingenieure- und Architektenverein, in dem ich als einer der Aktivisten großes Ansehen hatte, für meine Idee gewinnen.

Wir haben mit den Freunden des Kultur- und Kunstministeriums darüber geredet. Sie haben auch unsere Meinung akzeptiert, und wir haben einstimmig beschlossen, daß der ehemalige Sommerpalast nicht umgebaut werden darf, weil er unter Denkmalschutz steht.

Diese Verweigerung ist politischer als es den Anschein hat. Dahinter steckt mehr als die Angst um ein altes historisches Schloß. Mit den Geldern der Saudiarabier würde ihr Einfluß, ihre politischen Interessen sowie die fundamentalistischen Ideen zunehmen. Das Geld wäre mit Sicherheit dazu bestimmt, wieder Waffen zu kaufen und diesen Krieg unnötig zu verlängern.

Für die Regierung galt ich als Drahtzieher und Hauptverantwortlicher und mein Verhalten wurde antiregimetreu verurteilt.

Wir Patrioten und kritische Menschen wollten ein deutliches Zeichen gegen Krieg, Zerstörung, Mord und Machtmißbrauch setzen.

Wir planten eine Demonstration.

Die Befürworter des Umbaus wollten die Demokratie verhindern und veranlaßten, daß sämtliche Gegner des Bauvorhabens verhaftet werden sollten. Nur durch einen Zufall konnte ich rechtzeitig gewarnt werden.

Die Auseinandersetzung zwischen rivalisierenden Fundamentalisten hatte erneut begonnen, dadurch war die Zufahrt zu dem Stadtteil, in dem ich wohne (Khoschhal Mina, 5. Bezirk, G-Straße 120), blockiert. Ich konnte nicht nach Hause gehen und mußte bei einem Freund übernachten. Am nächsten Tag, bevor ich in die Arbeit ging, wollte ich einmal schnell nach Hause gehen und einkaufen, weil mein Vater allein zu Hause war, und es nichts zu essen gab.

Unterwegs habe ich glücklicherweise einen Nachbarn getroffen, und er erzählte mir, daß die Geheimpolizei bereits bei uns zu Hause gewesen war und hatte nach mir gesucht. Da mein Vater nichts über meinen Verbleib sagen konnte, hatten sie ihn brutal zusammengeschlagen, sodaß er in ärztliche Betreuung mußte. Unsere gemeinsame Wohnung wurde von Beamten in Zivil überwacht. Von dem Vorfall geschockt und verstört suchte ich einen gemeinsamen Freund Dr. Mirwais Hamidi auf, der auch Kollege meines Bruders Dr. S ist. Ich habe mich bei ihm versteckt.

Dr. Mirwais Hamidim der in "Jamhuriat Krankenhaus" als Chirurg tätig ist, hat mir erzählt, daß mein Vater in seinem Spital liegt und von Beamten in Zivil überwacht wird. In der Hoffnung mich festzunehmen, wenn ich ihn besuchte. Nach 2 Tagen berichtete er mir, daß bereits 5 Kollegen verhaftet worden sind."

Diese Angaben bekräftigte er inhaltsgleich anläßlich seiner niederschriftlichen Befragung vor dem Bundesasylamt am 23. Juni 1993.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 25. Juni 1993 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers im wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, aus im einzelnen dargelegten Erwägungen erachte die Behörde die Angaben des Beschwerdeführers als unglaubwürdig.

Die gegen diesen Bescheid gerichtete Berufung des Beschwerdeführers wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 17. Dezember 1993 gemäß § 66 Abs. 4 AVG lediglich mit der Begründung abgewiesen, der Beschwerdeführer sei bereits vor Einreise in das österreichische Bundesgebiet im Sinne des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 in Rußland (Moskau) vor Verfolgung sicher gewesen. Ein Eingehen auf die von ihm geltend gemachten Fluchtgründe erfolgte nicht. Auf Grund der dagegen gerichteten Beschwerde hob der Verwaltungsgerichtshof mit seinem Erkenntnis vom 26. Jänner 1995, Zl. 94/19/0258, den bekämpften Bescheid der belangten Behörde wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf, wodurch das Berufungsverfahren neuerlich bei der belangten Behörde anhängig wurde. Im fortgesetzten Verfahren ordnete die belangte Behörde die Ergänzung des Ermittlungsverfahrens durch die Behörde erster Instanz im Sinne des § 20 Abs. 2 AsylG 1991 an. Anläßlich der daraufhin mit dem Beschwerdeführer aufgenommenen ergänzenden niederschriftlichen Befragung am 17. Oktober 1995 beantwortete der Beschwerdeführer im einzelnen die an ihn gerichteten Fragen zu seinem Aufenthalt in Rußland bzw. seiner Reisebewegung im Zusammenhang mit der von der belangten Behörde angenommenen Verfolgungssicherheit und ergänzte über Befragen seines Vertreters hinsichtlich seiner Flüchtlingseigenschaft lediglich, es habe in Afghanistan im Zeitpunkt seiner Flucht akuten Mangel an akademischen Fachkräften gegeben. Gleichzeitig legte der Beschwerdeführer Original und beglaubigte Übersetzung eines Schreibens der Direktion der afghanischen Bauindustrie vom 28. Dezember 1993 an seinen Vater vor, aus dem sich ergibt, daß er auf Grund politischer Aktivitäten gegen den islamischen Staat in Abwesenheit zu zwölf Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden und aus diesem Grunde aus seiner Stellung in der Direktion der afghanischen Bauverwaltung entlassen worden sei. Hiezu gab der Beschwerdeführer über nähere Befragung an, er habe das Dokument erst etwa 40 Tage vor seiner Vernehmung (17. Oktober 1995) erhalten. Er habe dieses Schriftstück wohl erst jetzt bekommen, weil es keinerlei Postverbindung innerhalb bzw. von bzw. nach Afghanistan gebe. Er habe auch ein Schreiben nach Afghanistan senden wollen und habe dieses mit dem österreichischen Postvermerk, es bestünde keine Postverbindung nach Afghanistan, zurückerhalten. Er habe das Schreiben der Baufirma zwar mit der Post erhalten, jedoch sei dieses von außerhalb Afghanistans abgeschickt worden. Er habe das Kuvert weggeworfen, glaube aber, daß es in Pakistan aufgegeben worden sei. Es habe sich noch ein persönliches Schreiben seines Vaters in diesem Kuvert befunden. Er nehme an, daß sein Vater erst eine Person, die eine Reise außerhalb von Afghanistan getätigt habe, habe finden müssen, um das Schreiben mitzugeben. Dies dürfte auch der Grund gewesen sein, weshalb er das Schreiben so spät erhalten habe. Im übrigen gehöre er einer Gruppe liberaler und fortschrittlicher Personen an, gegen deren politische Tätigkeit nicht nur die jetzige Regierung, sondern jede kämpfende islamisch-fundamentalistische Gruppierung in seinem Heimatland sei, weshalb auch bei Machtergreifung einer anderen islamisch-fundamentalistischen Gruppe sich an einer Verfolgungsgefahr nichts ändern würde.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG (neuerlich) ab. Begründend führte sie aus, die Aussagen des Beschwerdeführers seien "auf Grund der Ungereimtheit und teilweise Widersprüchlichkeit derselben" äußerst unglaubwürdig und setzte sich in der Folge im einzelnen mit diesen Angaben beweiswürdigend auseinander.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Beweiswürdigung der belangten Behörde dahingehend zu überprüfen, ob sie schlüssig ist, das heißt den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut entspricht, und ob sie auf einem im wesentlichen mängelfreien Verfahren beruht, welches u.a. nicht vorliegt, wenn der Beweiswürdigung eine in einem wesentlichen Punkt aktenwidrige Sachverhaltsannahme zugrundeliegt; diesfalls ist der Verwaltungsgerichtshof an den von der belangten Behörde angenommenen Sachverhalt nicht gebunden.

Zutreffend rügt der Beschwerdeführer in der Beschwerde, daß die belangte Behörde ihre beweiswürdigende Argumentation auf Darstellungen stützt, die er anläßlich seiner Vernehmung in dieser Form nicht artikuliert hatte (betreffend die "Genehmigung" der Kundgebung am 5. Juni 1993 und den Ablauf dieses Tages). Die belangte Behörde erachtet es als nicht glaubhaft bzw. "unlogisch", daß Vertreter der offiziellen Regierung Interesse an Ideen liberaler Gruppierungen bekundeten und deren Sprecher dennoch auf Grund der sohin freimütig geäußerten Meinungen und Vorschläge als regimekritisch inhaftiert werden sollten. Eine derartige Vorgangsweise liegt nicht nur im Bereich des Denkbaren, sondern erscheint vielmehr durchaus "logisch", da im Falle einer "freundlichen" Aufforderung zur Mitarbeit eine lückenlose Darlegung kritischer, oppositioneller und/oder unerwünschter Gesinnung durch die sie vertretenden Protagonisten ermöglicht wird, was wiederum deren gezielte Ausschaltung erleichtert hätte, wofür sich auch in der europäischen Geschichte Beispiele für eine derartige Vorgangsweise finden lassen. Zutreffend rügt der Beschwerdeführer, seine Weigerung, am Umbau des historischen Schlosses teilzuhaben, dürfe nicht nur unter dem von der belangten Behörde herangezogenen Gesichtspunkt einer Dienstpflichtverletzung mit arbeitsrechtlichen Folgen gewürdigt werden. Der Beschwerdeführer hat bereits anläßlich seiner Erstvernehmung darauf hingewiesen, daß der von ihm durchzuführende Umbau eines historischen Schlosses keineswegs lediglich eine Frage des Denkmalschutzes gewesen ist, sondern eine Angelegenheit mit "massiv politischem Hintergrund". Es trifft auch nicht zu, daß "Vertreter der Regierung, nämlich das Kultur- und Kunstministerium" die Ansichten des Beschwerdeführers nach dessen Darstellung geteilt hätten, sondern richtig ist vielmehr, daß der Beschwerdeführer lediglich davon gesprochen hat, er habe "auch Zustimmung beim zuständigen Ministerium (Kultur- und Kunstministerium, Abteilung für die Erhaltung wichtiger Bauten)" gefunden. Dies heißt nicht, daß die Vertreter der Regierung mit ihm konform gegangen seien, sondern daß allenfalls im Ministerium beschäftigte "Kollegen", von denen der Beschwerdeführer ja auch im Zusammenhang mit der Kundgebung am 5. Juni 1993 sprach, seine Meinung teilten. Wenn die belangte Behörde ferner zur Ansicht gelangt ist, arbeitsrechtliche Konsequenzen stellten keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar, so ist dies zwar richtig, wurde vom Beschwerdeführer aber in diesem Sinne auch nicht ins Treffen geführt.

Des weiteren erweisen sich die von der belangten Behörde aufgezeigten "Ungereimtheiten" hinsichtlich der Ereignisse am 5. Juni 1993 in Wahrheit als nicht vorliegend. Die belangte Behörde selbst gibt keine Begründung dafür, warum sie in der schnellen Kenntnis der Geheimpolizei über die geplante Kundgebung eine "Ungereimtheit" erblickt. Auch fehlen entsprechende Anhaltspunkte, worauf sich ihre Annahme stützt, die Behörden des Heimatlandes des Beschwerdeführers hätten im Hinblick auf die im selben Zeitpunkt stattfindenden Kampfhandlungen in der Stadt andere Aufgaben gehabt, als "eine Versammlung zu überwachen, die sich dem Denkmalschutz widmet", zumal die belangte Behörde dabei unberücksichtigt läßt, daß es sich nach den Angaben des Beschwerdeführers keineswegs lediglich um eine Versammlung im Rahmen des Denkmalschutzes gehandelt hat, sondern um eine Kundgebung von - vom Beschwerdeführer zumindest behaupteter - erheblicher politischer Bedeutung. Zutreffend verweist die Beschwerde in diesem Zusammenhang darauf, daß die belangte Behörde, bevor sie derartige Annahmen zu beweiswürdigenden Argumenten heranzieht, Informationen über die tatsächliche Lage im Heimatland des Beschwerdeführers hätte einholen müssen und hierüber Feststellungen zu treffen gehabt hätte. Das weitere - von der Behörde erster Instanz übernommene - Argument, die Tatsache, daß die Demonstration nicht genehmigt worden sei, lasse es vorstellbar erscheinen, "daß die Beratungen, die Beschlußfassung und dazu noch die vergebliche Einholung der Genehmigung, der ja dann auch noch der Beschluß folgen muß, die Demonstration trotzdem abzuhalten"(?), in dem kurzen Zeitraum nach Arbeitsschluß (14.00 Uhr) hätte untergebracht werden können, ist aktenwidrig, da der Beschwerdeführer niemals die Behauptung aufgestellt hat, eine Genehmigung einzuholen versucht zu haben. Als ungereimt erweisen sich die weiteren Ausführungen der belangten Behörde, es sei nicht nachvollziehbar, warum sich der Beschwerdeführer nach Hause - was auf Grund beginnender Kämpfe verhindert worden sei - und nicht an den Kundgebungsort begeben habe. Angesichts der Absage dieser Kundgebung wäre ein Erscheinen dort tatsächlich überflüssig gewesen.

Wenn die Behörde weiters davon ausgeht, am Ende der erstinstanzlichen Niederschrift hätte der Beschwerdeführer durch Beantwortung noch gezielt gestellter Fragen Gelegenheit gehabt, einige Widersprüche in seinen Aussagen zu klären, was ihm jedoch nicht möglich gewesen sei, erweist sich dies ebenfalls als aktenwidrig. Dem Beschwerdeführer wurden anläßlich seiner niederschriftlichen Befragung am 23. Juni 1993 lediglich zwei Ergänzungsfragen gestellt, nämlich, warum man ihn nicht an seinem Arbeitsplatz verhaftet habe und ob der Geheimpolizei seine oppositionelle Haltung schon vorher bekannt gewesen sei. Beide Fragen hat der Beschwerdeführer ausreichend beantwortet. Aus diesen Antworten geht auch eindeutig hervor, daß Anlaß für die vom Beschwerdeführer befürchtete Verhaftung nicht nur seine oppositionelle Gesinnung, sondern die behauptete Organisation bzw. Initiative für die Abhaltung jener oppositionellen Kundgebung im Juni 1993 ("als Aufwiegler" bekannt) gewesen sei. Auch die von der belangten Behörde hinsichtlich des vom Beschwerdeführer im Berufungsverfahren vorgelegten Dokumentes gehegten Zweifel erweisen sich als nicht nachvollziehbar, kann doch im Hinblick auf die nach wie vor unruhige Lage in Afghanistan eine Störung des Postverkehrs - wie vom Beschwerdeführer beschrieben - nicht ausgeschlossen werden. Anhaltspunkte dafür, daß es sich bei diesem Dokument überdies um ein "bestelltes" (im Sinne eines inhaltlich unrichtig ausgestellten) handelt, fehlen. In diesem Zusammenhang ist den Beschwerdeausführungen beizupflichten, daß die Redewendung "to whom it may concern" eine im anglikanischen Rechtsbereich übliche Anfangsfloskel amtlicher Schreiben ist.

Aber auch die Erwägungen der belangten Behörde zur Frage der Verfolgungssicherheit erweisen sich als mit der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht im Einklang stehend. Bereits anläßlich seiner Erstvernehmung hat der Beschwerdeführer ausdrücklich bestritten, vor Rückschiebung in Rußland im Hinblick auf den nach wie vor stattgehabten gegenseitigen Flüchtlingsaustausch nicht sicher gewesen zu sein. Auch hinsichtlich einer angenommenen Verfolgungssicherheit des Beschwerdeführers in Ungarn geht die belangte Behörde nicht darauf ein, daß er ebenfalls bereits anläßlich seines schriftlichen Asylantrages angegeben hat, die Durchreise durch Ungarn sei in einem Versteck hinter den Waren eines LKWs ohne Möglichkeit, das Versteck zu verlassen, erfolgt. Den Kriterien für die amtswegige Ermittlungspflicht der belangten Behörde im Zusammenhang mit der Annahme der Verfolgungssicherheit in einem sogenannten "sicheren Drittland" entspricht das dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegte Verfahren nicht (vgl. hg. Erkenntnis vom 10. Oktober 1996, Zl. 95/20/0179).

Wegen der aufgezeigten wesentlichen Verfahrensmängel erweist sich der angefochtene Bescheid als rechtswidrig, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994. Ersatz von Stempelgebühren war nur hinsichtlich der zur Beschwerdeführung notwendigen Urkunden zuzuerkennen.

Schlagworte

Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995200781.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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