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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des F in T, vertreten durch Dr. M, Rechtsanwalt in H, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 27. März 1995, Zl. 4.329.216/9-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, reiste am 29. Dezember 1991 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 7. Jänner 1992 die Gewährung von Asyl. Anläßlich seiner am 11. Jänner 1992 vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich erfolgten niederschriftlichen Befragung gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen an, er sei Kurde und Alevite und sei in der Türkei von den Soldaten und von den Sunniten unterdrückt worden. Er sei geächtet und abgelehnt worden. Anfang März 1988 sei er von Polizisten festgenommen worden, er sei dabei erwischt worden, als er Plakate der PKK aufgeklebt habe. Er sei bis zum 28. März 1988 inhaftiert gewesen. Während dieser Zeit sei er im Gefängnis mit Gummiknüppeln und auch mit Sandsäcken geschlagen worden und habe auch Fußtritte erhalten. Bei diesen Mißhandlungen, die er während der Verhöre von Polizisten erlitten habe, sei er am Zeigefinger der rechten Hand verletzt worden, welchen er seither nicht mehr ganz ausstrecken könne. Am 27. März 1988 sei er vom Gericht in E zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt worden, er habe diese Strafe bis heute nicht abgesessen. Er habe sich einige Zeit bei Verwandten in E versteckt gehalten, etwa vier Monate habe er als Bäcker unangemeldet gearbeitet. Ein Sunnit, der ihn gekannt habe, habe dies der Polizei gemeldet. Es sei nach ihm gefahndet worden, das habe er von einem Freund erfahren. Er habe sich sofort nach Istanbul abgesetzt. Schon im Jahre 1987 habe er in der Schule Flugzettel der TKPML bei sich gehabt. Der Direktor habe dies der Polizei gemeldet, woraufhin er und einige Mitschüler zur Polizeistation in Pertek gebracht worden seien, wo sie auch verhört und geschlagen worden seien. Dabei hätten die Polizisten von ihnen wissen wollen, woher diese Flugblätter stammten. Es sei ihm angedroht worden, daß er hingerichtet würde, falls man bei ihm nochmals solche verbotene Schriften vorgefunden hätte.
Mit Bescheid vom 21. Februar 1992 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich fest, daß der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Zuerkennung seiner Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle.
In seiner gegen diesen Bescheid gerichteten Berufung machte der Beschwerdeführer keine von den Angaben anläßlich seiner Erstvernehmung abweichenden Umstände geltend.
Mit Bescheid vom 4. Oktober 1993 wies die belangte Behörde gemäß § 66 Abs. 4 AVG die Berufung des Beschwerdeführers ab und sprach aus, Österreich gewähre ihm kein Asyl. Begründend führte sie u.a. aus, den von dem Beschwerdeführer geltend gemachten Umständen fehle der zeitliche Zusammenhang zu seiner erst im Dezember 1991 erfolgten Ausreise aus seinem Heimatland, abgesehen davon, daß er während seiner Zeit in Istanbul überhaupt keine asylrelevante Verfolgung geltend gemacht habe.
Auf Grund der gegen diesen Bescheid gerichteten Beschwerde hob der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 6. Juli 1994, Zl. 94/20/0212, den bekämpften Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.
Im fortgesetzten Berufungsverfahren wurde der Beschwerdeführer gemäß § 20 Abs. 2 AsylG 1991 am 23. Februar 1995 durch das Bundesasylamt einer ergänzenden Befragung unterzogen, anläßlich derer er darlegte, er habe sich drei Jahre in Istanbul illegal aufgehalten und sei dort nicht angemeldet gewesen. Er habe auch keine Arbeit bekommen, weil er kurdischer Abstammung gewesen sei. Er sei nicht früher ausgereist, weil er nicht genug Geld gehabt habe, um einen Schlepper zu bezahlen. Er habe illegal gearbeitet und Geld für die Ausreise gespart. Er habe sich diese drei Jahre lang illegal und unbemerkt in Istanbul aufgehalten. In dieser Zeit seien immer mehr kurdische Türken aus dem Kurdengebiet nach Istanbul gezogen. Unter diesen Türken seien auch viele Männer aus seiner Ortschaft gewesen, die ihn gekannt hätten. Er habe Angst gehabt, entdeckt zu werden und daß ein Mann, der ihn erkennen könnte, das der Polizei mitteile. Außerdem habe der Freund, bei dem er drei Jahre lang habe wohnen können, und der ihn versorgt habe, gewollt, daß er ausziehe, weil er selbst Angst vor den Behörden gehabt habe. Er habe sich an einer ihm nicht mehr erinnerlichen Adresse im Kurdenviertel in Istanbul aufgehalten. In diesem Kurdenviertel seien die Kurden zwar die Mehrheit, es lebten aber auch viele Türken dort. Sämtliche Häuser in Istanbul, die von Kurden bewohnt werden, würden von der Polizei überwacht. Auf die Frage, wie es ihm dann gelungen sei, drei Jahre lang unbehelligt in Istanbul zu leben, antwortete der Beschwerdeführer, "im Jahre 1988" seien "die Kontrollen noch nicht so streng" gewesen. Auf die Frage, er sei von 1987 bis 1991 Landwirt gewesen, habe sich aber gleichzeitig von 1988 bis 1991 in Istanbul aufgehalten und wie sich die Umstände miteinander vereinbaren ließen, gab der Beschwerdeführer an, er sei als Landwirt in Istanbul tätig gewesen. Ein Freund von ihm habe außerhalb der Stadt Rinder und Schafe gezüchtet. Dort habe er den Stall ausgemistet. Dreimal in der Woche sei er zur Landwirtschaft hinausgefahren. Dabei habe es auch zeitliche Unterbrechungen dieser Arbeit gegeben. Er habe etwa türkische Lira 400.000 verdient. Im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland befürchte er eine Hinrichtung, da er aus politischen Gründen sowie von den Militärbehörden gesucht werde, weil er seinen Militärdienst noch nicht abgeleistet habe. Kürzlich sei in der Türkei ein Gesetz verabschiedet worden, daß Personen, die sich im Ausland befänden und den Militärdienst noch nicht abgeleistet hätten, sich sofort zu melden hätten, ansonsten sie eine Haftstrafe von mindestens sieben Jahren zu erwarten hätten. Auf wiederholte Befragung, wie er dann auf die Möglichkeit einer Hinrichtung komme, gab der Beschwerdeführer an, es gäbe auch ein "politisches Problem", er werde mittels Haftbefehles gesucht. Ein derartiges Schriftstück legte der Beschwerdeführer in Kopie und Übersetzung vor. Dieser Haftbefehl stamme von der Staatsanwaltschaft in E, er sei von seinem älteren Bruder besorgt und ihm geschickt worden. Über Vorhalt, auch aus diesem Schriftstück ergebe sich keine Todesstrafe bzw. die Drohung mit einer solchen, antwortete der Beschwerdeführer, dennoch bestünde für ihn die Gefahr einer Hinrichtung, weil er seit mehr als sieben Jahren gesucht werde und wahrscheinlich vermutet werde, daß er in den Bergen gegen die türkischen Sicherheitskräfte kämpfe. Sein Bruder sei 1992 unter Folter nach seinem Aufenthaltsort befragt worden. Seither sei sein Bruder gelähmt.
Im übrigen hielt die belangte Behörde dem Beschwerdeführer Verfolgungssicherheit in Ungarn und Rumänien vor und forderte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers hiezu.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers neuerlich gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und sprach aus, Österreich gewähre ihm kein Asyl. Nach Darstellung des Verfahrensganges und der von ihr in Anwendung gebrachten Rechtslage führte die belangte Behörde zunächst nur kursorisch aus:
"Das Vorliegen Ihrer Flüchtlingseigenschaft wurde von der erkennenden Behörde gründlich geprüft, mußte aber verneint werden und konnte auch deshalb kein Asyl gewährt werden."
Dies ergänzte die belangte Behörde dahingehend, aus der niederschriftlichen Befragung im ergänzenden Berufungsverfahren habe sich ergeben, daß der Beschwerdeführer während seines dreijährigen Aufenthaltes in Istanbul keinen Verfolgungen ausgesetzt gewesen sei, insbesondere habe er konkrete Verfolgungshandlungen diese Zeit betreffend nicht releviert, er habe sich dort frei bewegt. Darüber hinaus nahm die belangte Behörde Verfolgungssicherheit des Beschwerdeführers in Rumänien und Ungarn - letzteres unter Zitat des "Gutachten des UNHCR vom 4. Juli 1994" - im Sinne des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 an.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Der Beschwerdeführer bestreitet das Vorliegen der Verfolgungssicherheit unter Hinweis darauf, daß er gar nicht die faktische Möglichkeit gehabt habe, in den genannten Durchreisestraßen um Asyl anzusuchen, da er seine Flucht durch diese Länder in einem LKW versteckt unter der Ladefläche in einem Vorratscontainer unternommen habe. Die Behörde habe auch nicht geprüft, ob in Rumänien oder Ungarn konkret Verfolgungssicherheit gewährt worden wäre. Damit bestreitet der Beschwerdeführer im Ergebnis das Vorliegen der Verfolgungssicherheit mit Erfolg. Vom Verwaltungsgerichtshof wurde bereits mehrfach darauf verwiesen (als Beispiel für viele hg. Erkenntnis vom 10. Oktober 1996, Zl. 95/20/0269), daß es keineswegs schlüssig sei, aus einem "Gutachten" vom 4. Juli 1994 und den darin angeblich enthaltenen, gegenwartsbezogenen "Feststellungen" ohne nähere Begründung abzuleiten, der Beschwerdeführer sei in Ungarn schon im Zeitpunkt seiner Durchreise (Dezember 1991) vor einer Abschiebung in seinen Heimatstaat sicher gewesen. Auch enthält der Bescheid der belangten Behörde keinerlei tatsächliche Feststellungen hinsichtlich der in Rumänien faktisch herrschenden Verhältnisse zur Frage der Verfolgungssicherheit. Daß aber die belangte Behörde in dieser Frage amtswegige Ermittlungspflicht trifft, wurde bereits ausführlich in dem hg. Erkenntnis vom 10. Oktober 1996, Zl. 95/20/0179, sowie dem hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 1995, Zl. 94/19/0413, dargelegt, auf welche Erkenntnisse, um Wiederholungen zu vermeiden, gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird. Der angefochtene Bescheid widerspricht daher insoweit, als er sich den Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 bezieht, dem Gesetz.
Für den Beschwerdeführer ist daraus aber nichts zu gewinnen. Die belangte Behörde hat nämlich auch die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers verneint. Daß sie diesbezüglich ihrer Begründungspflicht mit dem oben wörtlich wiedergegebenen Hinweis nicht in ausreichendem Maße nachgekommen ist, wurde bereits im hg. Erkenntnis vom 6. Februar 1996, Zl. 95/20/0085, dargelegt.
Der belangten Behörde kann aber nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie darüber hinaus durch den Hinweis auf den dreijährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers in Istanbul den vom Beschwerdeführer geltend gemachten Umständen einen erkennbaren zeitlichen Zusammenhang zu seiner im Dezember 1991 erfolgten Flucht aus seinem Heimatland abspricht. Daran ändert auch der bereits im November 1989 ausgestellte Haftbefehl nichts. Insbesondere auch die ergänzende Befragung des Beschwerdeführers läßt gänzlich offen, aus welchen konkreten Gründen er mit einer "Hinrichtung" im Falle seiner Rückkehr zu rechnen hätte. Die Möglichkeit, eine Reststrafe in der Dauer von zwei Monaten absitzen zu müssen, weist keine erkennbare Asylrelevanz auf.
Aus diesen Gründen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
Schlagworte
Angenommener Sachverhalt (siehe auch Sachverhalt Neuerungsverbot Allgemein und Sachverhalt Verfahrensmängel)European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1995200782.X00Im RIS seit
20.11.2000