Entscheidungsdatum
18.12.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
I413 2224207-1/24E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Martin ATTLMAYR, LL.M. als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Nigeria, vertreten durch RA Dr. Manfred SCHIFFNER, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 09.09.2019, Zl. XXXX /BMI-EAST_WEST, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.01.2020 zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass es in Spruchpunkt III. zu lauten hat:
Eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 AsylG wird XXXX nicht erteilt.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer stellte erstmals am 19.04.2017 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Dabei führte er als Fluchtgrund an, dass er von seinem muslimischen Vater, der gewollt habe, dass er die islamische Religion ausübe, bedroht worden sei. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in Folge auch: BFA, belangte Behörde) vom 13.06.2017 zurückgewiesen und festgestellt, dass für die Prüfung des Asylantrages nach der Dublin III Verordnung Italien zuständig ist. Die hiergegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (in Folge auch: BVwG, erkennendes Gericht) als unbegründet abgewiesen. Da der Beschwerdeführer für die österreichischen Behörden jedoch nicht aufgreifbar war, wurde Italien mit Schreiben vom 12.09.2017 von der Verlängerung der Überstellungsfirst wegen Untertauchens auf 18 Monate in Kenntnis gesetzt und war der Ablauf dieser Überstellungsfrist der 06.11.2018. In weiterer Folge wurde der Beschwerdeführer aufgegriffen und über ihn die Schubhaft verhängt, doch konnte die geplante Abschiebung nach Italien am 12.02.2018 wegen fehlender Dokumente nicht durchgeführt werden und verstrich die Überstellungsfrist.
2. Der Beschwerdeführer wurde am 15.08.2019 einer fremdenpolizeilichen Kontrolle unterzogen und stellte er im Zuge dessen am selben Tag einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz, den er bei seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 16.08.2019 wie folgte begründete: „Wir haben für die Unabhängigkeit für BIAFRA in Nigeria gekämpft. Wir wurden verhaftet, die Regierung verbot uns zu demonstrieren, was ich aber nicht tat und deswegen habe ich Nigeria verlassen.“ Bei einer Rückkehr nach Nigeria fürchte er, nicht zu überleben; viele Mitglieder von Biafra seien schon getötet worden und wenn er zurückkehre, werde er wahrscheinlich auch getötet werden.
3. Mit Verfahrensanordnung wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass er ab dem 16.08.2019 im Quartier BS West AlBE Thalham 80, 4880 St. Georgen im Attergau, Unterkunft zu nehmen habe und war er dort auch vom 16.08.2019 bis 16.09.2019 sowie vom 30.10.2019 bis 29.11.2019 gemeldet.
4. Am 21.08.2019 wurde der Beschwerdeführer durch die belangte Behörde niederschriftlich einvernommen. Erneut befragt zu seinen Fluchtgründen, gab er an: „Ich bin in Jos geboren und mein Vater ist ein Moslem und meine Mutter ist Christin. Als ich 6 Jahre alt war, brachte mich mein Vater zur Moschee. Meine Mutter sagte, das geht nicht. Mein Vater wollte mich in eine Moslemschule gebe, dort lernt man den Koran und lernt man, wie man andere Menschen umbringen kann. Wenn man diese Schule besucht, dann muss man dort bleiben. Meine Mutter wollte nicht, dass ich diese Schule besuche, aber mein Vater sagte, ich muss diese Schule besuchen, sonst wird er mich umbringen. […] 2001 hat mein Vater mir eine Machete gegeben und sagte, ich soll mit Boko Haram kämpfen und meine Mutter nahm mir diese wieder weg. Meine Mutter und mein Vater haben gekämpft, mein Vater wollte mich zu Boko Haram bringen, meine Mutter sagte nein, darum wurde ich am Kopf verletzt, mein Vater hat mich geschlagen. Meine Mutter konnte mich retten und brachte mich woanders hin. Meine Mutter hat mich in der Kirche versteckt und mein Vater suchte nach mir. Diese Kirche wurde auch niedergebrannt. Dann brachte mich meine Mutter nach Imo State, wo sie herstammt. Dort habe ich mich dann dem Biafra angeschlossen.“
5. Am 02.09.2019 führte die belangte Behörde eine ergänzende Einvernahme des Beschwerdeführers durch.
6. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 09.09.2019 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.). Ferner wurde dem Beschwerdeführer aufgetragen, im Quartier BS West AlBE Thalham 80, 4880 St. Georgen im Attergau Unterkunft zu nehmen (Spruchpunkt VII.).
7. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene vollumfängliche Beschwerde vom 07.10.2019 wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften.
8. Mit Schriftsatz vom 08.10.2019, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 10.10.2019, legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.
9. Mit Schriftsatz vom 15.01.2020 wurde die Vollmachtsauflösung zwischen dem Beschwerdeführer und der Rechtsvertretung bekanntgegeben.
10. Am 27.01.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durch, in welcher der Beschwerdeführer ohne Rechtsvertretung einvernommen und die Situation in Nigeria erörtert wurde.
11. Mit Schreiben vom 17.07.2020 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer das aktualisierte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Nigeria mit Stand 20.05.2020 und bot ihm die Möglichkeit, dazu eine Stellungnahme zu erstatten.
12. Nach erneuter Vollmachtsbekanntgabe der ursprünglichen Rechtsvertretung und Fristerstreckung erstattete der Beschwerdeführer am 13.08.2020 eine schriftliche Stellungnahme zur Lage in Nigeria.
13. Am 03.12.2020 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer und seinem Rechtsvertreter erneut das aktualisierte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Nigeria mit Stand 23.11.2020 und teilte mit, dass von einer (weiteren) mündlichen Verhandlung abgesehen wird. Sollte eine Partei die Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung für erforderlich erachten, ist bis zum obigen Termin ein entsprechender Antrag zu stellen und zugleich auszuführen, aus welchem Grund die Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung für erforderlich gehalten wird. Sollte kein solcher begründeter Antrag gestellt werden, geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass eine weitere mündliche Verhandlung von den Parteien nicht gewünscht wird. Es langten weder eine Stellungnahme, noch ein solcher Antrag ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Der in Punkt I. dargestellte Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden nachstehende Feststellungen getroffen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der volljährige Beschwerdeführer ist ledig, kinderlos, Staatsangehöriger von Nigeria, Imu State. Er bekennt sich zum christlich-katholischen Glauben und gehört der Volksgruppe der I(g)bo an. Seine Identität steht nicht fest.
Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.
Bevor der Beschwerdeführer nach Österreich kam und hier Asylanträge stellte, befand er sich in Italien und gelangte illegal in das österreichische Bundesgebiet, wo er sich seit (mindestens) 19.04.2017 – wenn auch mit Unterbrechungen – aufhält.
Die Eltern des Beschwerdeführers leben in Nigeria. In Österreich verfügt der Beschwerdeführer über keine Verwandten und über keine maßgeblichen privaten und familiären Beziehungen. Er führt in Österreich keine so maßgebliche Beziehung, welche die für eine Lebensgemeinschaft typischen Merkmale aufweist, wie etwa die Führung eines gemeinsamen Haushaltes.
Der Beschwerdeführer bestritt in Nigeria seinen Lebensunterhalt als Maler und hat er aufgrund seiner Arbeitserfahrung eine Chance, auch hinkünftig am nigerianischen Arbeitsmarkt unterzukommen.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich nicht vorbestraft.
Er geht in Österreich keiner Beschäftigung nach und bezog Leistungen der staatlichen Grundversorgung. Da er unbekannten Aufenthaltes war, wurde er per 13.11.2020 von der Grundversorgung abgemeldet. Er ist nicht selbsterhaltungsfähig.
Der Beschwerdeführer weist in Österreich keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher und kultureller Hinsicht auf.
1.2. Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer wird in Nigeria nicht aufgrund politischer Motive, wie etwa aufgrund seiner Verweigerung, sich Boko Haram anzuschließen, verfolgt. Er wurde auch nicht von seinem Vater bedroht. Der Beschwerdeführer war vor seiner Ausreise keiner individuellen und aktuellen Verfolgung aus den von ihm genannten Gründen im Herkunftsstaat ausgesetzt und wird im Fall seiner Rückkehr nach Nigeria mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner Gefahr einer solchen Verfolgung ausgesetzt sein.
Der Beschwerdeführer hat Nigeria aus anderen Gründen als aus wohlbegründeter Furcht aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verlassen. Ein konkreter Anlass für das (fluchtartige) Verlassen des Herkunftsstaates konnte beschwerdegegenständlich nicht festgestellt werden.
Im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat Nigeria wird der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner Verfolgungsgefahr aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung ausgesetzt sein. Es liegen auch keine sonstigen Gründe vor, die einer Rückkehr oder Rückführung (Abschiebung) in den Herkunftsstaat Nigeria entgegenstünden.
Bei seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat wird der Beschwerdeführer aus in seiner Person gelegenen Gründen oder auf Grund der allgemeinen Lage vor Ort keiner realen Gefahr einer Verletzung durch Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder 13 zur EMRK geschützten Rechte oder als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung seines Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes in Nigeria ausgesetzt sein.
1.3. Zu den Feststellungen zur Lage in Nigeria:
Das politische System Nigerias orientiert sich stark am System der Vereinigten Staaten; in der Verfassungswirklichkeit dominieren der Präsident und die ebenfalls direkt gewählten Gouverneure. Die lange regierende People´s Democratic Party (PDP) musste nach den Wahlen 2015 erstmals seit 1999 in die Opposition; seither ist die All Progressives´ Congress (APC) unter dem am 23.02.2019 wiedergewählten Präsidenten Muhammadu Buhari an der Macht.
In Nigeria herrscht keine Bürgerkriegssituation; es gibt keine Bürgerkriegsgebiete oder -parteien. Allerdings sind der Nordosten, der Middle Belt, das Nigerdelta und der Bundesstaat Zamfara von Unruhen und Spannungen geprägt. Im Südosten bestehen zudem Spannungen wegen Gruppen von Igbo, die für ein unabhängiges Biafra eintreten. Spannungen bestehen auch zwischen der Armee und dem Islanic Movement in Nigeria (IMN). Für einzelne Teile Nigerias (insbesondere für die nordöstlichen Bundesstaaten) besteht eine Reisewarnung, insbesondere aufgrund des hohen Entführungsrisikos.
Im Norden und Nordosten Nigerias hat sich die Sicherheitslage verbessert; in den ländlichen Teilen der Bundesstaaten Borno, Yobe und Adamawa kommt es aber weiterhin zu Anschlägen der Boko Haram. Es gelang den Sicherheitskräften zwar, Boko Haram aus den meisten ihrer Stellungen zu vertreiben. Seitens des Präsidenten wurde bereits der „technische Sieg“ über Boko Haram proklamiert, wobei es tatsächlich gelungen ist, Boko Haram aus einigen Gebieten zu vertreiben. Nach Rückzug in unwegsames Gelände und dem Treueeid einer Splittergruppe gegenüber dem sog. Islamischen Staat ist Boko Haram mittlerweile zu ursprünglichen Guerillataktik von Überfällen auf entlegenere Dörfer und Selbstmordanschlägen oft auch durch Attentäterinnen zurückgekehrt. doch war es kaum möglich, die Gebiete vor weiteren Angriffen durch die Islamisten zu schützen. Einige Gebiete stehen immer noch unter der Kontrolle der verschiedenen Fraktionen der Gruppe, wobei JAS im Nordosten in Richtung Kamerun am aktivsten ist, während ISIS-WA hauptsächlich in der Nähe der Grenze zu Niger operiert. Boko Haram kontrolliert einige Dörfer nahe des Tschad-Sees. Im Jahr 2019 führten Boko Haram und ISIS-WA Angriffe auf Bevölkerungszentren und Sicherheitskräfte im Bundesstaat Borno durch. Boko Haram führte zudem in eingeschränktem Ausmaß Anschläge im Bundesstaat Adamawa durch, während ISIS-WA Ziele im Bundesstaat Yobe angriff. Boko Haram kontrolliert zwar nicht mehr so viel Territorium wie zuvor, jedoch ist es beiden Gruppen im Nordosten des Landes weiterhin möglich, Anschläge auf militärische und zivile Ziele durchzuführen. Im Nordosten hat sich die Sicherheitslage nach zeitweiliger Verbesserung (2015-2017) seit 2018 wieder verschlechtert. Die nigerianischen Streitkräfte sind nicht in der Lage, ländliche Gebiete zu sichern und zu halten und beschränken sich auf das Verteidigen einiger urbaner Zentren im Bundesstaat Borno.
Der nigerianischen Armee und der zivilen Bürgerwehr Joint Task Force wird vorgeworfen, im Kampf gegen Boko Haram zahlreiche Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben; die von Präsident Buhari versprochene Untersuchung blieb bisher aber folgenlos.
Das Nigerdelta (Bundesstaaten Ondo, Edo, Delta, Bayelsa, Rivers, Imo, Abia, Akwa Ibom und Cross River) ist seit Jahren von gewalttätigen Auseinandersetzungen und Spannungen rund um die Verteilung der Einnahmen aus den Öl- und Gasreserven geprägt. Von 2000 bis 2010 agierten in der Region militante Gruppen, die durch ein im Jahr 2009 ins Leben gerufene Amnestieprogramm zunächst beruhigt wurden. Nach dem Auslaufen des Programmes Ende 2015 brachen wieder Unruhen aus, so dass eine weitere Verlängerung beschlossen wurde. Zwischen der Regierung und den Delta-Interessensgruppen laufen Dialogprozesse und wird ein fallweise gebrochener Waffenstillstand grundsätzlich gehalten. Die Lage hat sich seit November 2016 wieder beruhigt, doch bleibt sie volatil. Insbesondere kam es zum Wiederaufleben von Angriffen auf die Ölinfrastrukturen, die die Stabilität der Erdölproduktion bedrohen. Gegen militante Gruppierungen im Nigerdelta geht zivilen Bürgerwehr Civilian Joint Task Force unter Federführung des Militärs zT sehr effektiv vor, begeht diese Gruppe häufig selbst Menschenrechtsverletzungen oder denunziert willkürlich persönliche Feinde bei den Sicherheitsorganen. Bei den Auseinandersetzungen im Nigerdelta handelte es sich sowohl um einen Konflikt zwischen regionalen militanten Gruppen zur Durchsetzung finanzieller Partikularinteressen solcher Gruppen einerseits und der Staatsgewalt andererseits, als auch um Rivalitäten zwischen unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften, die einen Verteilungskampf rivalisierender Gruppen darstellen. Entführungen zur Lösegelderpressung sind im Nigerdelta und in den südöstlichen Bundesstaaten Abia, Imo und Anambra besonders häufig.
In Zentralnigeria (Middle Belt bzw. Jos Plateau) kommt es immer wieder zu lokalen Konflikten zwischen ethnischen, sozialen und religiösen Gruppen. Der Middle Belt bildet eine Brücke zwischen dem vorwiegend muslimischen Nordnigeria und dem hauptsächlich christlichen Süden. Der Ursprung dieser Auseinandersetzungen, etwa zwischen (überwiegend muslimischen nomadischen) Hirten und (überwiegend christlichen) Bauern, liegt oft nicht in religiösen Konflikten, entwickelt sich aber häufig dazu.
Die Justiz Nigerias hat ein gewisses Maß an Unabhängigkeit und Professionalität erreicht, doch bleibt sie politischem Einfluss, Korruption und einem Mangel an Ressourcen ausgesetzt. Eine systematisch willkürliche bzw nach Rasse, Nationalität oä diskriminierende Strafverfolgung und Strafzumessungspraxis ist nicht erkennbar, doch werden aufgrund der herrschenden Korruption tendenziell Ungebildete und Arme, die sich nicht von Beschuldigungen freikaufen oder eine Freilassung auf Kaution oder sich einen Rechtsbeistand leisten können, benachteiligt. Elementare prozessuale Rechte (Unschuldsvermutung, zeitnahe Information über Anklagepunkte, Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren, Recht auf einen Anwalt und auf ausreichende Vorbereitung der Verteidigung, Verbot der Selbstbezichtigung, Fragerecht usw) sind gesetzlich vorgesehen, werden aber mitunter nicht gewährleistet. Das Institut der Pflichtverteidigung gibt es erst in einigen Bundesstaaten. Im Allgemeinen hat der nigerianische Staat Schritte unternommen, um ein Strafverfolgungssystem zu etablieren und zu betreiben, im Rahmen dessen Angriffe von nicht-staatlichen Akteuren bestraft werden. Er beweist damit in einem bestimmten Rahmen eine Schutzwilligkeit und -fähigkeit, die Effektivität ist aber durch einige signifikante Schwächen eingeschränkt. Effektiver Schutz ist in jenen Gebieten, wo es bewaffnete Konflikte gibt (u.a. Teile Nordostnigerias, des Middle Belt und des Nigerdeltas) teils nicht verfügbar. Dort ist auch für Frauen, Angehörige sexueller Minderheiten und Nicht-Indigene der Zugang zu Schutz teilweise eingeschränkt. In insgesamt zwölf mehrheitlich muslimisch besiedelten, nördlichen Bundesstaaten wird die Scharia angewendet. Es gilt nur für Muslime. Christen steht es aber frei, sich einem staatlichen Gerichtsverfahren zu unterwerfen. Nicht-Muslime haben aber jedenfalls das Recht auf ein Verfahren vor einem säkularen Gericht. Den rigorosen Strafandrohungen der Scharia stehen ebenso rigorose Beweisanforderungen gegenüber, sodass bei prozedural einwandfreien Scharia-Verfahren ein für eine Verurteilung ausreichender Zeugenbeweis oft nicht zu führen ist. In der Vergangenheit ist es aufgrund der Komplexität des auch für viele Richter zunächst noch neuen islamischen Beweisrechts insbesondere in der Eingangsinstanz oft zu mit Rechtsfehlern behafteten Urteilen gekommen. Dabei erregten Ermittlungen und Anklagen wegen sogenannter Hudud-Straftatbestände (z.B. außerehelicher Geschlechtsverkehr, Diebstahl, Straßenraub, Alkoholgenuss) in den letzten Jahren weit weniger öffentliche Aufmerksamkeit als noch in den ersten Jahren nach der Wiedereinführung des islamischen Strafrechts. Die Scharia-Berufungsgerichte wandeln konsistent Steinigungs- und Amputationsurteile in andere Strafen um. Im Jahr 2019 gab es keine Berichte über ausgeführte Prügelstrafen.
Der (Bundes-)Polizei (National Police Force – NPF) obliegen die allgemeinen Polizei- und Ordnungsaufgaben. Sie umfasst rund 360.000 Personen, die durch geringe Besoldung und schlechte Ausrüstung eingeschränkt ist, wird oftmals die Armee zur Seite gestellt. Insgesamt ist trotz der zweifelsohne vorhandenen Probleme im Allgemeinen davon auszugehen, dass die nigerianischen Behörden gewillt und fähig sind, Schutz vor nichtstaatlichen Akteuren zu bieten. Problematisch ist aber insbesondere, dass Gefangene häufig Folterung und Misshandlung ausgesetzt sind. Disziplinarrechtliche oder strafrechtliche Folgen hat dies kaum. Die Bedingungen in den Haftanstalten sind hart und lebensbedrohlich. Nigeria hält an der Todesstrafe fest, diese ist seit 2006 de facto ausgesetzt, wobei es in den Jahren 2013 und 2016 in Edo State aber zu einzelnen Hinrichtungen gekommen war 2019 gab es keine Berichte über Hinrichtungen, auch 2018 ist es zu keinen Exektutionen gekommen, allerdings wurden mindestens 46 Todesurteile verhängt. Die Regierung Buharis hat der Korruption den Kampf erklärt, doch mangelt es ihr an effektiven Mechanismen.
In verschiedenen Regionen des Landes haben sich bewaffnete Organisationen in Form von ethnischen Vigilantengruppen gebildet, z.B. der Odua People’s Congress (OPC) im Südwesten oder die Bakassi Boys im Südosten. Bei diesen Gruppen kann man sich gegen Zahlung eines Schutzgeldes „Sicherheit“ erkaufen. Die Polizei geht teilweise gegen diese Gruppen vor, teilweise arbeitet sie aber auch mit ihnen zusammen. Im Kampf gegen Boko Haram hat sich unter Federführung der Armee im Nordosten eine interethnische Vigilantengruppe – die Civilian Joint Task Force (CJTF) – herausgebildet, die eng mit dem Militär kooperiert und auch von der Regierung unterstützt wird. Vigilantengruppen verletzen durch Verhaftungen von Personen regelmäßig persönliche Freiheiten der Bürger. Aufgrund eines im September 2017 vereinbarten Aktionsplanes zur Unterbindung der Rekrutierung und Verwendung von Kindern kommt es nicht mehr zur Rekrutierung von Kindern und zur Reintegration von ehemaligen Kindersoldaten.
Zur Einhaltung von religiösen Vorschriften besteht in einigen Bundesstaaten die Hisbah-Polizei, welche in den Bundesstaaten Zamfara, Niger, Kaduna und Kano mit erweitertem Scharia-Geltungsbereich zur Rechtsdurchsetzung va bei Verkehrsdelikten und der Marktaufsicht ermächtigt sind. Hisbah verhaftet auch Straßenbettler und Prostituierte sowie beschlagnahmt und vernichtet Alkohol. Das Oberste Gericht hat Hisbah, die in Kano direkt vom Bundesstaat betrieben wurde, als verfassungswidrig bezeichnet und wurde daher umorganisiert.
Folter und unmenschliche Behandlung sind verboten und stehen auch seit 2017 unter Strafe. Dennoch bestehen Vorwürfe gegen nigerianische Streitkräfte, schwerste Menschenrechtsverletzungen, wie Folter, willkürliche Verhaftungen und Tötungen zu begehen. Im Rahmen des Kampfes gegen Boko Haram und ISIS-WA im Nordosten des Landes kommt es bei Anti-Terror-Operationen durch Sicherheitskräfte zu Menschenrechtsverletzungen. Die Special Anti-Robbery Squad (SARS) geht brutal gegen Verdächtige vor und es kommt zu Folter, gezwungenen Geständnissen und Tötungen. Gesicherte Erkenntnisse über systematisches Verschwindenlassen unliebsamer Personen durch staatliche Organe liegen nicht vor, es bestehen aber diesbezügliche Vorwürfe, insbesondere gegenüber dem Inlandsgeheimdienst und gegen die im Norden des Landes agierenden Sicherheitskräfte der Joint Task Force. Willkürliche Verhaftungen sind gesetzlich verboten. Dennoch werden solche Praktiken, insbesondere im Kampf gegen Boko Haram praktiziert. Betroffene sind insbesondere auch Frauen, Kinder und Jugendliche, die festgehalten werden, weil sie im Verdacht stehen, mit Mitgliedern von Boko Haram verwandt zu sein. Boko Haram entführte andererseits viele Mädchen und Frauen, wobei bisweilen diese wieder freigelassen werden. Boko Haram setzt sie als Lastenträger sowie für Selbstmordattentate ein. Außerdem werden sie häufig sexuell missbraucht und an Mitglieder von Boko Haram zwangsverheiratet.
Auch wenn Korruption verboten ist, ist dieses Problem weit verbreitet. Eine effektive Umsetzung der Gesetze gegen die Korruption erfolgt nicht. Korruption betrifft alle Ebenen in den Behörden, der Justiz und bei den Sicherheitskräften. Die Korruptionsbekämpfung ist seit 1999 wenig erfolgreich. Die Independent Corrupt Practices and Other Related Offenses Commission (ICPC) hält ein breites Mandat bezüglich der Verfolgung fast aller Formen von Korruption, während die Economic and Financial Crimes Commission (EFCC) auf Finanzdelikte beschränkt ist. Obwohl die Bemühungen der EFCC und der ICPC sich auf Regierungsbeamte mit niedrigem und mittlerem Rang konzentrieren, haben beide Organisationen mit Ermittlungen und Anklagen gegen verschiedene hochrangige Regierungsbeamte begonnen.
Die Menschenrechtssituation in Nigeria hat sich in den letzten 20 Jahren verbessert, schwierig bleiben aber die allgemeinen Lebensbedingungen. Die Versammlungsfreiheit ist verfassungsrechtlich garantiert, wird aber gelegentlich durch das Eingreifen von Sicherheitsorganen bei politisch unliebsamen Versammlungen eingeschränkt. Die politische Opposition kann sich aber grundsätzlich frei betätigen; es gibt auch keine Erkenntnisse über die Verfolgung von Exilpolitikern durch die nigerianische Regierung. Gelegentlich gibt es aber, vor allem bei Gruppen mit sezessionistischen Zielen, Eingriffe seitens der Staatsgewalt. Dabei ist insbesondere die Bewegung im Süden und Südosten Nigerias zu nennen, die einen unabhängigen Staat Biafra fordert. Dafür treten sowohl das Movement for the Actualisation of the Sovereign State of Biafra (MASSOB) und die Indigenous People of Biafra (IPOB) ein. Seit der Verhaftung des Leiters des inzwischen verbotenen Radiosenders „Radio Biafra“ im Oktober 2015 kommt es vermehrt zu Demonstrationen von Biafra-Anhänger, gegen die laut verschiedenen Berichten, unter anderem von Amnesty International, von den nigerianischen Sicherheitskräften mit Gewalt vorgegangen worden sein soll. Zur Sicherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung wurden Truppen entsandt und die IPOB zur terroristischen Organisation erklärt und – wie auch die schiitische Islamische Bewegung Nigerias (IMN), die im Juli 2019 zur illegalen Organisation erklärt wurde – verboten. Die Polizei geht gegen Mitglieder der IPOB und der IMN mittels Inhaftierungen vor. Die Sicherheitskräfte nahmen im Verlauf des Jahres 2019 mindestens 200 Mitglieder und Unterstützer der IPOB fest, zehn Personen wurden getötet. In Abia wurden mutmaßliche IPOB-Mitglieder etwa wegen Mordes, Brandstiftung und anderen Verbrechen verhaftet. Seither hat es seitens IPOB und MASSOB nur noch vereinzelt Versuche gegeben, in der Öffentlichkeit für die (verfassungswidrige) Unabhängigkeit eines fiktiven Staates „Biafra“ zu werben. Diese wurden von den nigerianischen Sicherheitsbehörden regelmäßig unterbunden. Insgesamt können diese Bewegungen als relativ unbedeutende Randgruppen angesehen werden. Auch wenn der IPOB Führer Nnamdi Kanu vom Ausland aus für die Biafra Bewegung agiert, ist in Nigeria selbst IPOB derzeit nicht mehr aktiv.
Im Vielvölkerstaat Nigeria ist Religionsfreiheit einer der Grundpfeiler des Staatswesens. Etwa 50% der Bevölkerung sind Muslime, 40 % bis 45 % Christen und der Rest Anhänger von Naturreligionen. Im Norden dominieren Muslime, im Süden Christen. Religiöse Diskriminierung ist verboten. In der Praxis bevorzugen die Bundesstaaten aber in der Regel die jeweils durch die lokale Mehrheitsbevölkerung ausgeübte Religion. Insbesondere in den Scharia-Staaten ist die Situation für Christen sehr schwierig. Die Toleranz zwischen den Glaubensgemeinschaften ist nur unzureichend ausgeprägt, mit Ausnahme der Yoruba im Südwesten Nigerias, unter denen auch Ehen zwischen Christen und Muslimen verbreitet sind. Speziell in Zentralnigeria kommt es zu lokalen religiösen Auseinandersetzungen, die auch zahlreiche Todesopfer gefordert haben. In Nigeria gibt es auch noch Anhänger von Naturreligionen („Juju“); eine Verweigerung der Übernahme einer Rolle als Priester kann schwierig sein, doch wird dies nicht als Affront gegen den Schrein empfunden und sind auch keine Fälle bekannt, in denen dies zu einer Bedrohung geführt hätte. Im Süden Nigerias sind auch Kulte und Geheimgesellschaften vorhanden; insbesondere im Bundesstaat Rivers überschneiden sich Kulte häufig mit Straßenbanden, kriminellen Syndikaten etc. Mafiöse Kulte prägen trotz ihres Verbotes das Leben auf den Universitäten; es wird auch über Menschenopfer berichtet. Das Secret Cult and Similar Activities Prohibition Gesetz aus dem Jahr 2004 verbietet ca. 100 „Kulte“, darunter kriminelle Banden sowie: spirituell und politisch motivierte Gruppen auf der Suche nach Macht und Kontrolle.
Insgesamt gibt es (je nach Zählweise) mehr als 250 oder 500 Ethnien in Nigeria. Die wichtigsten sind die Hausa/Fulani im Norden, die Yoruba im Südwesten und die Igbo im Südosten. Generell herrscht in Nigeria Bewegungsfreiheit und ist Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie verboten. Allerdings diskriminieren Gesetze jene ethnischen Gruppen, die am jeweiligen Wohnort nicht eigentlich indigen sind. So werden etwa Angehörige der Volksgruppe Hausa/Fulani im Bundesstaat Plateau diskriminiert.
Generell besteht aufgrund des fehlenden Meldewesens in vielen Fällen die Möglichkeit, Verfolgung durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen. Es bestehen daher innerstaatliche Fluchtalternativen. Dies kann aber mit gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein, wenn man sich an einen Ort begibt, in dem keinerlei Verwandtschaft oder Bindung zur Dorfgemeinschaft besteht.
Nigeria verfügt über sehr große Öl- und Gasvorkommen, der Großteil der Bevölkerung ist aber in der Landwirtschaft beschäftigt. Abgesehen vom Norden gibt es keine Lebensmittelknappheit. Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung leben in absoluter Armut. Offizielle Arbeitslosenstatistiken gibt es nicht, allerdings gehen verschiedene Studien von einer Arbeitslosigkeit von 80% aus. Die Großfamilie unterstützt beschäftigungslose Angehörige.
Seit 2020 ist die nigerianische Wirtschaft aufgrund des erneuten Verfalls des Rohölpreises sowie der massiven wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie wieder geschwächt. Wie hoch der wirtschaftliche Schaden sein wird, ist bislang noch nicht abzuschätzen. Für 2020 wird aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf Nigeria und der drastisch gesunkenen Erdölpreise mit einer Schrumpfung des nigerianischen BIP um 4,4 Prozent gerechnet. In der 2. Jahreshälfte 2020 ist jedoch ein Wiederanziehen der Konjunktur feststellbar und für 2021 wird ein Wachstum von 2,2 Prozent erwartet.
Die medizinische Versorgung ist mit jener in Europa nicht vergleichbar, sie ist vor allem im ländlichen Bereich problematisch. Leistungen der Krankenversicherung kommen nur etwa 10 % der Bevölkerung zugute. In den Großstädten ist eine medizinische Grundversorgung zu finden, doch sind die Behandlungskosten selbst zu tragen. Medikamente sind verfügbar, können aber teuer sein.
Die COVID-19-Situation in Nigeria ist nach wie vor angespannt. Die veröffentlichten absoluten Zahlen an bisherigen Infizierten (rund 62.000) geben angesichts der geringen Durchtestung der 200-Millionen-Bevölkerung ein verzerrtes Bild. Aussagekräftiger ist der Anteil der positiven Fälle gemessen an der Zahl der durchgeführten Tests. Dieser lag im Oktober 2020 landesweit bei mehr als drei Prozent, in der Metropole Lagos hingegen bei etwa 30 Prozent. Die Zahlen berücksichtigen noch nicht die Auswirkung der #EndSARS-Proteste, bei denen von den Demonstrierenden praktisch keine Schutzvorkehrungen gegen COVID-19 getroffen worden sind. Ein Anstieg an positiven Fällen ist hauptsächlich in der Südwestzone des Landes zu beobachten. In einigen Bundesstaaten herrscht überhaupt Skepsis an der Notwendigkeit von COVID-19 Maßnahmen. Die allgemeine Risikowahrnehmung und die Nachfrage nach Tests sind gering.
In Nigeria gibt es wie in anderen afrikanischen Ländern relativ wenig belegte COVID-19 Infizierte. Dies kann auch damit zusammenhängen, dass vergleichsweise wenig Tests durchgeführt werden. Anfang September 2020 wurde die Phase 3 der Restriktionen im Zusammenhang mit der Coronakrise in Kraft gesetzt. Die Ausgangssperre gilt im ganzen Land nun von Mitternacht bis vier Uhr. Meetings bis zu maximal 50 Personen sind gestattet. In Lagos dürfen Restaurants, Klubs und Kirchen etc. unter bestimmten Auflagen öffnen.
Besondere Probleme für abgeschobene Asylwerber nach ihrer Rückkehr nach Nigeria sind nicht bekannt. Das „Decree 33“, das eine Doppelbestrafung wegen im Ausland begangener Drogendelikte theoretisch ermöglichen würde, wird nach aktueller Berichtslage nicht angewandt.
Gefälschte Dokumente (Geburts- und Heiratsurkunden, Zeugnisse von Schulen und Universitäten etc.) sind in Lagos und anderen Städten ohne Schwierigkeiten zu erwerben. Sie sind professionell gemacht und von echten Dokumenten kaum zu unterscheiden. Inhaltlich unwahre, aber von den zuständigen Behörden ausgestellte (Gefälligkeits-)Bescheinigungen sowie Gefälligkeitsurteile in Familiensachen kommen vor. Vorgelegte angebliche Fahndungsersuchen nigerianischer Sicherheitsbehörden sind in der Form oft fehlerhaft oder enthalten falsche Darstellungen behördlicher Zuständigkeiten und sind dadurch als Fälschungen zu erkennen. Aufrufe von Kirchengemeinden – z.B. genannten Asylbewerbern Zuflucht und Schutz zu gewähren – sind oft gefälscht. Es sind auch so gut wie keine gefälschten nigerianischen Pässe im Umlauf. Allerdings ist es aufgrund des nicht vorhandenen Meldewesens, verbreiteter Korruption in den Passbehörden sowie Falschangaben der Antragsteller ohne weiteres möglich, einen nigerianischen Reisepass zu erhalten, der zwar echt, aber inhaltlich falsch ist – u.a. unter Vorlage gefälschter Dokumente.
Eine nach Nigeria zurückkehrende Person, bei welcher keine berücksichtigungswürdigen Gründe vorliegen, wird durch eine Rückkehr nicht automatisch in eine unmenschliche Lage versetzt.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zum Sachverhalt:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz, in das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Nigeria mit Stand 23.11.2020 sowie durch die Angaben des Beschwerdeführers im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 27.01.2020.
2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen, seinem Gesundheitszustand, seiner Arbeitsfähigkeit, seiner Herkunft, seiner Glaubens- und Volkszugehörigkeit sowie seiner Staatsangehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglichen glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde (Protokoll vom 21.08.2019) sowie damit übereinstimmend vor dem BVwG (Protokoll vom 27.01.2020). Dass der Beschwerdeführer in Österreich über keine maßgeblichen persönlichen und familiären Beziehungen verfügt, ergibt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers anlässlich seiner Einvernahme durch das BVwG (Protokoll vom 27.01.2020, S. 12 ff.) sowie aus dem Umstand seines erst kurzen Aufenthalts in Österreich.
Da der Beschwerdeführer den österreichischen Behörden keine identitätsbezeugenden Dokumente vorlegen konnte, steht seine Identität nicht fest.
Die Feststellung über die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer aktuellen Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich.
Die Feststellungen zu seinem gegenwärtigen Wohnsitz und seinem Bezug der Grundversorgung ergeben sich aus einem aktuellen Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem, welcher dem BVwG vorliegt. Seine mangelnde Selbsterhaltungsfähigkeit ergibt sich aus dem Umstand des Bezuges von Grundversorgung bis zum 13.11.2020.
Die Feststellung zur mangelnden Integration des Beschwerdeführers und darüber, dass er keine intensive Lebensgemeinschaft führt, konnte aufgrund seiner glaubhaften Angaben vor dem BVwG getroffen werden (Protokoll vom 27.01.2020, S. 4, 12 f.).
2.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer gab im Rahmen seiner Erstbefragung am 16.08.2019 an, aufgrund seines Einsatzes für die Unabhängigkeit der BIAFRA-Bewegung in Nigeria verhaftet worden zu sein, weshalb er Nigeria verlassen habe.
Bei seiner Einvernahme durch die belangte Behörde am 21.08.2019 gab er weiters an, dass sein muslimischer Vater gewollt habe, dass der Beschwerdeführer in eine Moslemschule gehe, wo er den Koran lernt und auch, wie man andere Menschen tötet; seine Mutter, welche Christin sei, habe das nicht gewollt und habe sein Vater daher gedroht, den Beschwerdeführer umzubringen. Die Mutter des Beschwerdeführers sei mit diesem vor dem Vater geflüchtet und ihn versteckt. Der Beschwerdeführer habe sich in weiterer Folge dem Biafra angeschlossen.
Am 27.01.2020 gab der Beschwerdeführer vor dem BVwG zusammengefasst an, dass ihn seine Mutter christlich erziehen habe wollen, sein Vater als Moslem allerdings wolle, dass auch der Beschwerdeführer Moslem werde. So habe der Vater gewollt, dass der Beschwerdeführer eine Schule besuche, in der man lernt, Menschen zu töten und sich der Boko Haram anzuschließen. Der Beschwerdeführer habe nicht an diese Schule gehen wollen und sei der deshalb mit dem Tod bedroht worden. Eines Tages sei er von seinem Vater gewaltsam in diese Schule gebracht worden, doch sei der Beschwerdeführer weggelaufen; sein Vater habe ihn verfolgt und ihn töten wollen. Er sei dann nach Imo State zu seiner Mutter gelaufen und habe diese ihn versteckt. Der Beschwerdeführer habe dann in Imo State gelebt und sich der Biafra Bewegung angeschlossen und für deren Freiheit gekämpft.
Das gesamte Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers erweist sich aus folgenden Gründen als unglaubwürdig:
Es ist dem Beschwerdeführer nicht gelungen, eine konkrete Bedrohung seiner Person glaubhaft zu machen. Er gibt an, von der Polizei wegen seiner Demonstrationen für Biafra gesucht worden zu sein, doch kann er keine genauen Situationen beschreiben. Erst auf genaues Nachfragen durch den erkennenden Richter im Rahmen der mündlichen Verhandlung gab er an: „Die Regierung. Sie kamen immer wieder zu mir, zu meinem Haus. Sie haben gesagt, dass wenn ich damit nicht aufhöre, werden sie mich umbringen. Sie wollten mich umbringen.“ (Protokoll vom 27.01.2020, S. 9).
Der Beschwerdeführer vermochte auch nicht plausibel zu erklären, wieso er nicht bereits bei seinem ersten Asylantrag am 19.04.2017 seine politischen Aktivitäten für Biafra als Fluchtgrund angegeben habe (Protokoll vom 27.01.2020, S. 10).
Aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers geht klar hervor, dass der Beschwerdeführer aus anderen als aus asylrelevanten Gründen nicht mehr nach Nigeria zurück möchte (Protokoll vom 27.01.2020, S. 10 f.):
„RI: Was würde Ihnen konkret passieren, wenn Sie jetzt wieder in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten?
BF: Ich möchte nicht zurück.
Der RI wiederholt die Frage.
BF: Sie würden mich umbringen.
…
RI: Unter der Annahme, dass Sie die von Ihnen geschilderten Probleme oder Schwierigkeiten nicht hätten, könnten Sie dann wieder in Ihrem Herkunftsstaat leben?
BF: Ich möchte nicht dorthin gehen.
RI: Warum nicht?
BF: Weil ich nicht umgebracht werden will.
RI: Wir haben die Annahme getroffen, dass Sie keine Probleme mit der Regierung und keine Probleme mit Ihrem Vater haben. Wer sollte noch Interesse haben Sie umzubringen?
BF: Dann niemand.
RI: Warum können Sie dann nicht nach Nigeria zurückkehren?
BF: Weil ich nicht umgebracht werden will.
…“
Ein Asylwerber hat für die Glaubhaftmachung der Angaben die für die ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig zu schildern. Damit ist die Pflicht verbunden, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der Voraussetzungen und für eine Asylgewährung spricht und diesbezüglich konkrete Umstände anzuführen, die objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzungen liefern. Der Aussage des Asylwerbers kommt hierbei wesentliche Bedeutung zu bzw. trifft diesen eine erhöhte Mitwirkungspflicht (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 3, E23).
Ein derart vages, widersprüchliches als auch nachträglich gesteigertes Vorbringen reicht nicht aus, um glaubhaft zu machen, dass der Beschwerdeführer tatsächlich in Nigeria der Gefahr einer wie auch immer gearteten Verfolgung ausgesetzt ist oder war.
Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass selbst bei hypothetischer Wahrunterstellung des Fluchtvorbringens betreffend der behaupteten Privatverfolgung durch den Vater des Beschwerdeführers für das Bundesverwaltungsgericht nicht ersichtlich ist, weshalb dem Beschwerdeführer im konkreten Fall nicht eine innerstaatliche Relokation zumutbar sei. Wie dem Länderinformationsblatt entnommen werden kann, existiert in Nigeria kein behördliches Meldewesen, sodass eine Ausforschung von untergetauchten Personen selbst für die staatlichen Behörden kaum möglich ist und es das Fehlen von Meldeämtern und bundesweiten polizeilichen Fahndungsbehörden Betroffenen in den allermeisten Fällen ermöglicht, bereits in der näheren Umgebung unterzutauchen. Bei einer tatsächlichen Furcht vor seinem Vater, könnte der Beschwerdeführer entweder staatlichen Schutz in Anspruch nehmen oder aber in einem anderen Teil Nigerias untertauchen, um einer befürchteten Misshandlung zu entgehen. Nicht zuletzt räumte der Beschwerdeführer selbst in der Beschwerdeverhandlung ein, sich vor seinem Vater in Imu State versteckt gehalten zu haben und dass ihn dieser dort nicht gefunden hat (Verhandlungsprotokoll S 7) und bestätigte dadurch sinngemäß selbst, dass er sich der behaupteten Gefahr einer Verfolgung auch durch Umzug in einen anderen Landesteil Nigerias entziehen könne, sodass im konkreten Fall auch das Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu bejahen ist.
Zusammengefasst gelangt das Bundesverwaltungsgericht somit zur Überzeugung, dass der Beschwerdeführer sein Fluchtvorbringen gedanklich konstruiert und nicht selbst wahrgenommen hat. Somit ist es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, eine aktuelle, gegen seine Person gerichtete Verfolgungsgefahr, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen und waren daher die entsprechenden Feststellungen zu treffen. Vielmehr liegt der Schluss nahe, dass er Nigeria aus rein wirtschaftlichen Erwägungen verlassen hat.
2.4. Zum Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für Nigeria vom 20.05.2020 samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen Dieser Länderinformationsbericht stützt sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von Nichtregierungsorganisationen, wie bspw. Open Doors, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.
Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat in Nigeria ergeben sich insbesondere aus den folgenden Meldungen und Berichten:
- AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2 025287/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschie berelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Nigeria_%28Stand_September_2019%29 %2C_16.01.2020.pdf , Zugriff 18.11.2020
- AA - Auswärtiges Amt (24.5.2019a): Nigeria: Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt .de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/innenpolitik/205844 , Zugriff 30.9.2020
- AA - Auswärtiges Amt (24.5.2019b): Nigeria - Überblick, https://www.auswaertiges-amt.d e/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeria/205786 , Zugriff 30.9.2020
- AA - Auswärtiges Amt (24.5.2019c): Nigeria - Wirtschaft, https://www.auswaertiges-amt.d e/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/wirtschaft/205790 , Zugriff 5.10.2020
- AA - Auswärtiges Amt (24.5.2019c): Nigeria: Kultur und Bildung, Medien, https://www. auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/kultur/205846 , Zugriff 2.10.2020
- AA - Auswärtiges Amt (16.4.2020): Nigeria: Reise- und Sicherheitshinweise
(Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788#content_5, 16.4.2020
- ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (17.4.2020): ecoi.net-Themendossier zu Nigeria: Sicherheitslage, https://www.ecoi.net/de/dokument/2028159.html, Zugriff 17.4.2020
- ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (25.4.2019): Anfragebeantwortung zu Nigeria: Informationen zu Juju (Organisation und Netzwerke) [a-10976-1], https://www.ecoi.net/de/dokument/2007894.html, Zugriff 15.4.2020
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- AFP - Agence France Presse (17.2.2019): Pro-Biafran group calls off Nigeria election boycott, https://www.news24.com/Africa/News/pro-biafran-group-calls-off-nigeria-election-boycott-20190216, Zugriff 14.4.2020
- Africa CDC -Africa Centres for Disease Control and Prevention (13.10.2020): Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) - Latest updates on the COVID-19 crisis from Africa CDC, https://africacdc.org/covid-19/, Zugriff 13.10.2020
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- AI - Amnesty International (8.4.2020): Amnesty International Report 2019 - The State of the World’s Human Rights - Nigeria, https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-report/ nigeria-nigeria-2019#section-11669048 , Zugriff 9.4.2020
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- LNGO A - Repräsentantin der lokalen NGO A (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
- LNGO B - Repräsentantinnen der lokalen NGO B (9/10.2019): Interview im Rahmen der FFM Nigeria 2019 (BFA Staatendokumentation)
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