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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltunsgsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des M in W, vertreten durch Dr. C, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 23. Oktober 1995, Zl. 4.324.848/10-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist ein Staatsangehöriger Bangladeschs und reiste am 15. Juni 1991 (illegal über Ungarn kommend) in das Bundesgebiet ein. Noch am selben Tag stellte er den Antrag, ihm Asyl zu gewähren. Anläßlich seiner am 22. Oktober 1991 vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich erfolgten niederschriftlichen Befragung gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen an, er sei seit 1986 Mitglied der Oppositionspartei B.J.P. (Bangladesh Jatiya Party). Am 30. Dezember 1990 sei eine Parteiversammlung der Jatiya-Partei durch Mitglieder der Regierungsparteien BNP und BAL gestört worden, wobei es zu tätlichen Auseinandersetzungen gekommen sei, anläßlich derer etliche Leute verletzt worden seien. Auf Grund dieses Vorfalles sei die Polizei erschienen. Auf Grund der politischen Lage würden die Mitglieder der Jatiya-Partei von den Mitgliedern der anderen Parteien attackiert.
Ein ähnlicher Vorfall habe sich am 22. Februar 1991 ereignet, bei dem es sogar einen Toten gegeben habe. Als Aktivist seiner Partei sei ihm von seinem Obmann empfohlen worden, das Land zum Schutze seiner Person zu verlassen. Im Mai 1991 sei der Parteiobmann wegen seiner Parteitätigkeit verhaftet worden. Die Vorfälle vom 30. Dezember 1990 und vom 22. Februar 1991 sowie die Verhaftung des Parteiobmannes seien dann der Grund gewesen, daß er selbst am 2. März 1991 das Land mit dem Flugzeug nach Rumänien verlassen habe. Seine Ausreise sei legal erfolgt.
Mit (Formular-)Bescheid vom 24. Oktober 1991 wurde der Antrag des Beschwerdeführers, ihm Asyl zu gewähren, ohne näheres Eingehen auf die von ihm geltend gemachten Fluchtgründe abgewiesen. In seiner gegen diesen Bescheid gerichteten Berufung machte der Beschwerdeführer Begründungsmängel geltend, verwies im übrigen auf seine Ausführungen vor der Behörde erster Instanz und legte "zum Zwecke der zusätzlichen Dokumentierung meiner politischen Verfolgung in meinem Heimatland" Kopien einer gegen ihn wegen Sprengstoffanschlages und politischen Mordes erhobenen Anklageschrift, eines Haftbefehles sowie einer von seiner Familie veranlaßten, notariell beglaubigten Niederschrift des Sachverhaltes über seine Verfolgung vor. In einer weiteren Ergänzung zu seiner Berufung vom 22. April 1993 legte der Beschwerdeführer weitere Urkunden, nämlich die jeweils mit 31. März 1993 datierten Schreiben des Advokaten und Richters des Landesgerichts Dhaka M sowie der eidesstattlichen Erklärung seiner Mutter mit dem Bemerken bei, daraus sei seine politische Verfolgung ersichtlich, insbesondere, daß Haftbefehle gegen ihn wegen verschiedener Sprengstoffdelikte existierten, wobei es sich "um eine der typischen Methoden der politischen Verfolgung" in seinem Heimatland handle.
Mit Bescheid vom 2. Februar 1994 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers (samt deren Ergänzungen) gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und sprach aus, Österreich gewähre ihm kein Asyl. Nach Darstellung des Verfahrensganges und der von ihr in Anwendung gebrachten Rechtslage begründete die belangte Behörde die Abweisung im wesentlichen wie folgt:
"Sie haben an Veranstaltungen teilgenommen, im Zuge derer es zu massiven Ausschreitungen und Gewalttätigkeiten zwischen Anhängern von gegnerischen politischen Gruppierungen gekommen ist. Grundsätzlich kommt es einem souveränen Staat zu, im Rahmen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung versammlungspolizeilich zu wirken, weswegen im Einschreiten der Polizei bei derartigen gewalttätigen Auseinandersetzungen und in daran anschließenden Maßnahmen, um der beteiligten Personen habhaft zu werden, kein illegitimes Staatshandeln erblickt werden kann, demgegenüber asylrechtlicher Schutz eingreifen müßte.
Die von Ihnen behaupteten Anklagen und Haftbefehle gegen Sie (nach dem Sprengstoffgesetz) im Zusammenhang mit diesen Veranstaltungen lassen deutlich erkennen, daß dies nicht aus den im § 1 Ziffer 1 Asylgesetz 1991 genannten Gründen geschieht, sondern wegen des Verdachtes, sich an den Ausschreitungen in strafrechtlich relevanter Form beteiligt zu haben. Bei den von Ihnen genannten Delikten handelt es sich um rein kriminelle, aufgrund derer man in jedem rechtsstaatlichen Land strafrechtlich belangt wird. Eine asylbegründende Verfolgung kann darin jedenfalls nicht gesehen werden.
Selbst wenn die Strafvorwürfe gegen Sie zu Unrecht erhoben worden sein sollten, so wäre Ihnen auch in diesem Fall zuzumuten gewesen, sich wie jeder Staatsbürger in jedem anderen Staat einem ordentlichen Gerichtsverfahren im Heimatland zu stellen, um allfällige gegen Sie erhobene Vorwürfe bzw. Beweismittel zu entkräften."
Auf Grund der gegen diesen Bescheid gerichteten Beschwerde hob der Verwaltungsgerichtshof mit seinem Erkenntnis vom 20. Dezember 1994, Zl. 94/20/0520, den bekämpften Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit auf (infolge Anwendung der Rechtslage vor der Kundmachung BGBl. Nr. 610/1004 betreffend Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 AsylG 1991 durch den Verfassungsgerichtshof), sodaß das Berufungsverfahren wiederum bei der belangten Behörde anhängig wurde. Mit Manuduktionsschreiben vom 4. September 1995 wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, im Sinne des aufhebenden Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes einfache Verfahrensmängel und daraus etwa folgende Sachverhaltsergänzungen geltend zu machen. Im Rahmen der Einräumung des Parteiengehörs hielt die belangte Behörde dem Beschwerdeführer gleichzeitig unter kursorischer Zitierung eines "Gutachtens" des UNHCR vom 4. Juli 1994 vor, er sei vor Einreise in das Bundesgebiet infolge seines Aufenthaltes in Ungarn dort bereits im Sinne des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 vor Verfolgung sicher gewesen. Mit Eingabe vom 18. September 1995 bestritt der Beschwerdeführer in Beantwortung des Manuduktionsschreibens der belangten Behörde die Erlangung von Verfolgungssicherheit in Ungarn und führte dazu im wesentlichen aus, er habe bei seiner in einem kleinen LKW von Schleppern durchgeführten nächtlichen Durchreise die faktische Möglichkeit zur dortigen Asylantragstellung nicht gehabt. Im übrigen ersuchte der Beschwerdeführer um Übermittlung einer Kopie des von der belangten Behörde als Begründung herangezogenen "Gutachtens" des UNHCR bzw. um Ermöglichung der Einsichtnahme in dieses "Gutachten". Insbesondere bestritt der Beschwerdeführer, daß sich die Stellungnahme des UNHCR vom Juli 1994 auch auf die Situation im Juni 1991 in Ungarn beziehen könne, sodaß keineswegs feststehe, daß Ungarn zum Zeitpunkt seiner Durchreise bereits ein "sicheres Drittland" gewesen sei.
Ohne dem Wunsch auf Übermittlung des oder Einsichtnahme in das "Gutachten" des UNHCR vom 4. Juli 1994 zu entsprechen, erließ die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid, den sie nach zusammenfassender Darstellung der von ihr in Anwendung gebrachten Rechtslage durch Verweis auf die Ausführungen in ihrem Bescheid vom 2. Februar 1994, dessen Begründung sie zum Inhalt auch des vorliegenden Bescheides machte, begründete und zur Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers lediglich ergänzte, die von ihm im Zuge seiner Berufung sowie als Berufungsnachhang vorgelegten Dokumente wie Haftbefehl und Anklageschrift, ausgestellt im Februar bzw. April 1991 bzw. vor diesem Zeitraum, seien vom Neuerungsverbot des "§ 20 Z. 2 AsylG 1991 i.d.g.F. BGBl. Nr. 610/1994" betroffen und daher unbeachtlich, "da auf Grund ihres Ausstellungsdatums nicht davon auszugehen" sei, daß dem Beschwerdeführer "diese Unterlagen im erstinstanzlichen Verfahren etwa nicht zugänglich waren".
Im übrigen nahm die belangte Behörde entsprechend dem von ihr gemachten Vorhalt Verfolgungssicherheit des Beschwerdeführers in Ungarn an, zitierte kursorisch aus dem "Gutachten" des UNHCR vom 4. Juli 1994 und verwies darauf, der Beschwerdeführer habe "den Ausführungen der Behörde jedoch weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht etwas entgegengehalten, das darauf hinweisen könnte", daß der Beschwerdeführer "in Ungarn nicht Verfolgungssicherheit erlangt hätte". Der Beschwerdeführer habe auch nicht dargetan, aus welchen Gründen er aus objektiver Sicht gehindert gewesen wäre, seine Fahrt abzubrechen und in Ungarn länger zu bleiben und die bereits bestehende Verfolgungssicherheit auch tatsächlich in Anspruch zu nehmen. Auf die Bestreitung des Beschwerdeführers, das ihm vorgehaltene Gutachten könne sich nicht auf den Zeitpunkt seiner Durchreise durch dieses Land beziehen, antwortete die belangte Behörde lediglich, der Beschwerdeführer habe keine konkreten Angaben machen können, warum Ungarn zur Zeit seines Aufenthaltes dort kein sicheres Drittland für ihn gewesen sein solle. Er habe mit keinem Wort dargetan, daß er während seines dortigen Aufenthaltes konkreten, individuell gegen seine Person gerichteten Verfolgungen ausgesetzt gewesen sei oder ihm die Abschiebung in sein Heimatland gedroht hätte.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die belangte Behörde hat den vorliegenden Bescheid - was die Frage der Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers anbelangt - im wesentlichen mit dem Verweis auf die Ausführungen ihres Bescheides vom 2. Februar 1994 begründet, was sie trotz des Umstandes, daß dieser Bescheid infolge der Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof nicht mehr dem Rechtsbestand angehört hat, ohne ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit zu belasten, tun durfte (vgl. die
hg. Erkenntnisse vom 10. Oktober 1996, Zlen. 95/20/0501 und 95/20/0521). Damit hat sie die Begründung des Vorbescheides übernommen, in der die belangte Behörde unter Berücksichtigung der im Berufungsverfahren vorgelegten Urkunden und Eingehen auf das dazu erstattete Vorbringen davon ausgegangen war, der Beschwerdeführer hätte sich den legitimen Ordnungsvorschriften der Polizei bzw. dem ihm drohenden Gerichtsverfahren stellen und die gegen ihn erhobenen Vorwürfe entkräften müssen. Ausgehend von dem von der belangten Behörde ihrer Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalt einschließlich der im Berufungsverfahren vorgetragenen Ergänzungen - auch die Frage, ob die belangte Behörde zu Recht von einer Ergänzung im Sinne des § 20 Abs. 2 AsylG 1991 ausgegangen ist, kann hier dahingestellt bleiben - läßt die belangte Behörde die Berücksichtigung des vom Beschwerdeführer hergestellten Zusammenhanges zwischen den von ihm geschilderten Umständen (gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der die Regierung stellenden BNP und BAL und der in Opposition befindlichen Jatiya-Partei) einerseits und der ihm drohenden, auf rein kriminalistische Gründe gestützten Verfolgung von seiten der Behörden seines Heimatlandes völlig außer acht. Obwohl die politische Dimension der polizeilichen und gerichtlichen Verfolgungshandlungen vom Beschwerdeführer dargetan wurde, ging die belangte Behörde ohne nähere Gründe davon aus, daß das Einschreiten der Polizei lediglich der Wiederherstellung bzw. Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung gedient habe bzw. daß sich der Beschwerdeführer auch bei gegen zu Unrecht gegen ihn erhobenen Anklagen wie "jeder Staatsbürger in jedem anderen Staat" einem ordentlichen Gerichtsverfahren in seinem Heimatland hätte stellen müssen, um die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu entkräften. Insbesondere bleibt von der belangten Behörde unbegründet, wie sie zu dem Schluß kommt, bei den vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Delikten handle es sich um "rein kriminelle", die in jedem rechtsstaatlichen Land strafrechtliche Konsequenzen hätten. Aus den vom Beschwerdeführer im Berufungsverfahren vorgelegten Urkunden geht immerhin hervor, daß man ihm nicht nur Sprengmittelverstösse, sondern auch "politischen Mord" und antiregierungs- bzw. antistaatliche Agitation auf Grund seiner Mitgliedschaft zur Jatiya-Partei vorgeworfen habe (vgl. Aktenseite 28 ff). Worauf sich die - rechtliche - Annahme der belangten Behörde, die Organe des Heimatstaates des Beschwerdeführers seien AUSSCHLIESSLICH aus ordnungs- bzw. Sicherheitsaspekten eingeschritten, stützt, ist dem Akt nicht zu entnehmen. Geht die belangte Behörde weiters davon aus, daß dem Beschwerdeführer zuzumuten gewesen sei, sich einem Gerichtsverfahren zu stellen, ist ihr zu entgegnen, daß - wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt dargelegt hat - in Gebieten, in denen politisch oder ethnisch-religiös bedingte Auseinandersetzungen im Gange sind, an das Verhalten staatlicher Behörden nicht ohne weiteres jener Maßstab angelegt werden kann, der in einer gefestigten, nicht durch innere Unruhen erschütterten Demokratie angebracht erscheint (vgl. als Beispiel für viele hg. Erkenntnis vom 6. März 1996, Zl. 95/20/0200). Den insoweit widersprechenden Annahmen der belangten Behörde fehlt daher jedenfalls die entsprechende Sachverhaltsgrundlage. Die belangte Behörde hat ihren Bescheid mit Ermittlungs- und Begründungsfehlern, daher mit Verfahrensverletzungen, belastet, bei deren Vermeidung sie zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigeren Bescheid hätte gelangen können.
Daß die ohne erkennbares aktenkundiges Ermittlungsverfahren herangezogene bloße Annahme der Verfolgungssicherheit des Beschwerdeführers in Ungarn keine ausreichende Begründung dieses Ausschlußtatbestandes im Sinne des § 2 Abs. 2 Z. 3 AsylG 1991 darstellt, wurde bereits im hg. Erkenntnis vom 10. Oktober 1996, Zl. 95/20/0179, ausführlich dargelegt. Insbesonders kann sich die belangte Behörde nicht auf eine - vom Beschwerdeführer angeblich ungenützt gelassene - Behauptungspflicht der Partei zurückziehen, wenn dieser bereits anläßlich der Einräumung des Parteiengehörs zu dieser Frage (zutreffend) darauf verwiesen hat, daß das von der belangten Behörde zur Stützung ihrer Annahme herangezogene "GA" des UNHCR vom 4. Juli 1994 gegenwartsbezogen abgefaßt wurde und daher Landesindizierung rückbezogen auf den Zeitpunkt der Durchreise des Beschwerdeführers durch dieses Land im Juni 1991 haben kann.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Sachverhalt BeweiswürdigungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1995200763.X00Im RIS seit
20.11.2000