TE Vwgh Erkenntnis 1997/6/19 95/20/0783

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.06.1997
beobachten
merken

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §20 Abs2 idF 1994/610;
B-VG Art140 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des M in G, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 7. November 1995, Zl. 4.346.425/1-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger und reiste am 21. Dezember 1994 in das Bundesgebiet ein. Am darauffolgenden Tag beantragte er (schriftlich) die Gewährung von Asyl. Anläßlich seiner am 17. Jänner 1995 vor dem Bundesasylamt erfolgten niederschriftlichen Befragung gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen an, er sei kurdischer Herkunft. Eine Woche vor seiner Flucht, am 14. Dezember 1994, sei er mit seinem Freund R mit dem Autobus nach Ankara gefahren, um eine Spazierfahrt zu unternehmen und seine Tante zu besuchen. An diesem Tag sei eine Demonstration in Ankara gewesen, an der er mit seinem Freund teilgenommen habe. Er sei nur mit seinem Freund mitgegangen. Sein Freund habe genau gewußt, welchen Inhalt diese Demonstration gehabt habe, nämlich daß "Rechtsanwälte wieder frei ihrer Tätigkeit nachgehen" könnten. Anläßlich dieser Demonstration auf der Hauptstraße von Ankara habe sich nichts weiter ereignet. Es hätten sehr viele Personen, er könne keine konkreten Angaben dazu machen, wieviele, daran teilgenommen. Die Demonstration sei durch die kurdische Partei "DEP, jetzt vermutlich HEP" organisiert worden. Er könne keine genaueren Angaben darüber machen, weil er politisch nicht interessiert sei. Er sei mit seinem Freund aus dem Autobus ausgestiegen und zufällig in diese Demonstration geraten, weil sich diese an dem Ort befunden habe, wo sie ausgestiegen seien. Die Demonstration habe etwa zwei Stunden gedauert. Sein Freund sei nach der Demonstration wieder nach Karagedik zurückgekehrt, er selbst habe noch zwei Tage bei seiner Tante in Ankara verbracht. Einen Tag nach der Demonstration habe ihn jedoch sein Vater angerufen und ihm mitgeteilt, daß sein Freund von Gendarmen verhaftet und er selbst zu Hause gesucht worden sei. Warum er gesucht worden sei, könne er nicht angeben, weil sein Vater auf eine diesbezügliche Frage von den Gendarmen keine Antwort erhalten habe. Er nehme aber an, daß er wegen der Teilnahme an der Demonstration gesucht worden sei. Er selbst habe zwar nicht bemerkt, was Anlaß zur Suche nach ihm gewesen sein könnte, er wisse aber auf Grund der großen Menge der Demonstranten nicht, ob sich woanders etwas ereignet habe, was Anlaß zu einer Suche nach ihm gewesen hätte sein können. Er selbst habe - wie auch alle anderen - während des Marsches "Freiheit für die Kurden, Gerechtigkeit für die Kurden" geschrieen. Die Demonstration sei auch von staatlichen Organen nicht aufgelöst, sondern lediglich begleitet worden. Auf die Frage, woher er er annehme, daß staatliche Organe gewußt hätten, daß er an der Demonstration teilgenommen habe, antwortete der Beschwerdeführer, vermutlich habe man das von seinem Freund R erfahren. In der Folge habe sein Vater ihm geraten, nicht mehr nach Hause zurückzukehren, aus diesem Grunde habe er sein Heimatland von Ankara aus verlassen. Seine Tante habe ihm 4.000,-- DM gegeben und sein in Ankara lebender Cousin habe am 15. Dezember 1994 die Flucht organisiert. Auf die Frage nach einem persönlichen Kontakt zu staatlichen Organen antwortete der Beschwerdeführer, er habe einen solchen am 21. März 1994 gehabt, an dem er anläßlich der Abhaltung der Nevroz-Feierlichkeiten von den Gendarmen verhaftet und eine Nacht lang inhaftiert gewesen sei. Er sei im Zuge der gewaltsamen Auflösung des Festes von Gendarmeriebeamten verhaftet worden, weil die Abhaltung dieses Festes nicht erlaubt gewesen sei. Er sei beim Gendermerieposten in Ankara mit Fäusten zusammengeschlagen worden. Ein Gendarmeriebeamter habe ihm den Tragriemen seines Gewehrs um den Hals gelegt und so lange gedreht, bis er bewußtlos geworden sei. Es sei ihm mitgeteilt worden, daß er an keinen anderen verbotenen Festen oder Versammlungen teilnehmen sollte, sonst könnte er getötet werden. Er sei auch mit einem festen Gegenstand auf den Hinterkopf geschlagen worden und habe davon eine noch sichtbare Narbe. Mit welchem Gegenstand er auf den Kopf geschlagen worden sei, könne er nicht mehr angeben. Wie lange er in Haft geblieben sei, wisse er auch nicht, er sei bewußtlos gewesen. Wie lange er bewußtlos gewesen sei, könne er ebenfalls nicht angeben. Seine Eltern hätten ihm lediglich mitgeteilt, daß er drei Tage in Haft gewesen sei. Danach sei er entlassen worden. Nach diesen Folterungen könne er sich nicht mehr an alles erinnern. Er habe gehört, daß andere Familien ihre Söhne als Leichen von staatlichen Organen zurückgebracht erhalten hätten. Welche Organe dies gewesen seien, wüßte er nicht. Er sei jedoch überzeugt, daß diese Opfer durch Folterungen gestorben seien. Bei den Begräbnissen dreier Personen aus seinem Heimatdorf sei er dabei gewesen. Dies sei im August 1994 gewesen. Er habe Angst davor, daß ihm dasselbe zustoßen könnte. Er habe an der Demonstration in Ankara nur teilgenommen, weil er gedacht habe, daß "Ankara weit weg ist" und er überdies seinem Freund keine Ablehnung habe erteilen wollen. Vermutlich sei er fotografiert worden. Er habe das aber nicht gesehen.

In dem vom Bundesasylamt eingeholten polizeiärztlichen Befund vom 16. Februar 1995 wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer am Hinterkopf rechts seitlich nahe dem rechten Ohr eine ca. 3 x 0,3 cm große "blande Narbe" aufweist, die durch einen Schlag mit einem festen Gegenstand verursacht worden sein kann. Weitere Verletzungsmerkmale seien nicht mehr sichtbar. Es sei nicht ausschließbar, daß die in der Niederschrift erwähnten Mißhandlungen zu Erinnerungslücken geführt hätten.

Daraufhin wurde der Beschwerdeführer am 9. März 1995 ergänzend zu seinen Verletzungen befragt. Er gab an, am 21. März 1994 anläßlich der Auflösung des Newroz-Festes einen oder mehrere Faustschläge auf die Nase erhalten, jedoch davon sichtbare Verletzungsmerkmale nicht davongetragen zu haben.

Mit Bescheid vom 21. April 1995 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers ab, stellte den sich aus den Ergebnissen der Vernehmungen des Beschwerdeführers sowie der polizeiärztlichen Untersuchung ergebenden Sachverhalt als bescheinigt fest und beurteilte diesen rechtlich dahingehend, die Verhaftung des Freundes des Beschwerdeführers sei als staatliche Handlung gegen diesen und nicht als konkret gegen den Beschwerdeführer gerichtete Maßnahme anzusehen. Eine Verfolgung gemäß der Genfer Konvention müsse jedoch konkret gegen den Asylwerber gerichtet sein, damit dies als Begründung für die Gewährung von Asyl anerkannt werden könne.

Hausdurchsuchungen und Fahndungen durch Sicherheitsorgane seien für sich allein noch kein Grund, darin gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfolgungshandlungen im Sinne der Genfer Konvention zu erblicken. Der Beschwerdeführer sei auch nicht in der Lage gewesen, weitere Folgen der Fahndung durch die Sicherheitsorgane bzw. den Grund der Fahndung anzugeben. Es könnte daher auch sein, daß der Beschwerdeführer lediglich als Zeuge im Verfahren gegen seinen Freund gesucht worden sei. Die Fahndung nach einer Person, die an einer Demonstration teilgenommen und darüber hätte befragt werden sollen, sei ebenfalls nicht als Verfolgung staatlicher Organe anzusehen. Die näher dargestellten Umstände seiner Ausreise ließen diese als nicht glaubwürdig erscheinen. Die Ereignisse im Zusammenhang mit seiner Inhaftierung anläßlich der Auflösung des nicht genehmigten Newroz-Festes am 21. März 1994 sei als länger zurückliegendes Ereignis im Sinne des Asylgesetzes anzusehen und könne daher nicht als Asylgrund geltend gemacht werden. Eine Verfolgung in der Zeit zwischen dem 22. März 1994 bis zum Dezember 1994 habe er hingegen nicht dargetan.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die gegen den Bescheid des Bundesasylamtes gerichtete Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Sie legte ihrer Entscheidung das Ergebnis des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens zugrunde und übernahm - zumal sie keinen der in § 20 Abs. 2 AsylG 1991 angeführten Fälle als vorliegend erachtete und auch kein Verfahrensmangel habe festgestellt werden können, auf Grund dessen eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens anzuordnen gewesen wäre - die Sachverhaltsfeststellungen und die "zutreffende" rechtliche Beurteilung des Bescheides des Bundesasylamtes und erhob die Ausführungen zu dessen Begründung "vollständig zum Inhalt" ihres nunmehr angefochtenen Bescheides. Eingehend auf das Berufungsvorbringen ergänzte die belangte Behörde lediglich, eine neuerliche medizinische Untersuchung des Beschwerdeführers sei im Hinblick darauf, daß sich die festzustellenden "Läsionen" auf ein Ereignis im März 1994 bezögen, das in keinem zeitlichen Zusammenhang mit seiner Ausreise mehr zu sehen sei und damit "mangels prospektiver Verfolgungssignifikanz" schon abstrakt unerheblich sei, entbehrlich.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof unter Abstandnahme von der beantragten mündlichen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG erwogen hat:

Insoweit der Beschwerdeführer sich gegen die durch Übernahme der Sachverhaltsfeststellungen und rechtlichen Beurteilung des bekämpften Bescheides des Bundesasylamtes verkürzte Begründung im angefochtenen Bescheid wendet, ist darauf zu verweisen, daß der Verwaltungsgerichtshof diese der Verfahrensökonomie dienende Vorgangsweise der belangten Behörde bereits in zahlreichen gleichgelagerten Fällen nicht als rechtswidrig erkannt hat (vgl. beispielhaft das hg. Erkenntnis vom 4. Oktober 1995, Zl. 95/01/0045, auf welches zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird). Auch sieht der Verwaltungsgerichtshof keine Veranlassung der Anregung des Beschwerdeführers, einen Gesetzesprüfungsantrag hinsichtlich des § 20 Abs. 2 AsylG 1991 in der Fassung der Kundmachung BGBl. Nr. 610/1994 zu stellen nachzukommen, da keine Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung bestehen.

Der belangten Behörde kann aber nicht gefolgt werden, wenn sie den Ereignissen im März 1994 den mangelnden zeitlichen Zusammenhang zur Ausreise des Beschwerdeführers aus seinem Heimatland abspricht. Sie hat dabei unterlassen, den sich aus der Darstellung des Beschwerdeführers ergebenden Zusammenhang zwischen seiner ersten Inhaftierung und schweren Mißhandlung im März 1994 zu den die Flucht unmittelbar auslösenden Ereignissen im Dezember 1994 in Beziehung zu setzen. Berücksichtigt man ferner den vom Beschwerdeführer behaupteten und von den Verwaltungsbehörden als bescheinigt angenommenen Umstand, daß der Vater dem Beschwerdeführer bereits mitgeteilt hat, sein Freund sei verhaftet und er selbst gesucht worden, so erscheint das Kriterium einer objektiv nachvollziehbaren wohlbegründeten Furcht vor Verfolgung erfüllt. Zutreffend weist der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde auch darauf hin, daß es beim Begriff der "wohlbegründeten Furcht" vor Verfolgung nicht darauf ankommt, daß die Verfolgung zur Gewißheit wurde, sondern lediglich, daß mit einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht. Daher kann es auch im Sinne der Genfer Konvention nicht beachtlich sein, wenn der Beschwerdeführer den genauen Grund der Suche nach ihm nicht nennen konnte, obwohl im Sinne des angefochtenen Bescheides nicht ausgeschlossen werden kann, daß der Beschwerdeführer lediglich als Zeuge hätte einvernommen werden sollen. Die größere Wahrscheinlichkeit hat aber der Beschwerdeführer für sich, wenn er in der Suche nach ihm bereits die ersten Schritte zu einer neuerlichen Verhaftung und möglichen Folterung gesehen hat, insbesondere unter Berücksichtigung der behaupteten Gesamtsituation der Volksgruppe der Kurden in der Türkei und der Tatsache, daß die Kundgebung vom 14. Dezember 1994 - welchen Inhalt sie auch anfänglich immer gehabt haben mag - sich jedenfalls zu einer prokurdischen Demonstration entwickelt hat.

Indem die belangte Behörde diese Zusammenhänge verkannt hat, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995200783.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

16.04.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten