TE Vwgh Beschluss 2020/12/30 Ra 2018/07/0385

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Veröffentlicht am 30.12.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

B-VG Art133 Abs4
MRK Art6
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §24 Abs4

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2018/07/0386
Ra 2018/07/0387
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Ra 2018/07/0405
Ra 2018/07/0406
Ra 2018/07/0407

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth und die Hofräte Dr. Bachler und Mag. Haunold als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision 1. der E K in P, 2. der MMag. S K in G, 3. der M U, 4. der M L, 5. der M H, 6. des M R, 7. der D R, 8. der G B, 9. des W B, 10. der A G, 11. des K G, 12. des E S, 13. des J H, 14. des E P, 15. des R H, 16. des H H, 17. des H W, 18. der P B, 19. des K T, 20. der N M, 21. des R S, alle in P, 22. des P S in S und 23. der S P in P, alle vertreten durch Dr. Franz Unterasinger, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Radetzkystraße 8, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 23. Mai 2018, Zl. LVwG 46.34-2807/2017-3, betreffend wasserrechtliche Bewilligung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Liezen; mitbeteiligte Partei: Land Steiermark, vertreten durch Mag. Dr. Edwin Mächler, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Glacisstraße 67), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die revisionswerbenden Parteien haben dem Land Steiermark Aufwendungen in der Höhe von insgesamt € 553,20 und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von insgesamt € 1.106,40 (jeweils zu gleichen Teilen) binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Bescheid der belangten Behörde vom 31. August 2017 wurde der mitbeteiligten Partei die wasserrechtliche Bewilligung für

-    die Neuerrichtung von drei Brücken über die Kleine G sowie über den L.-bach und die Verlegung des Bachbettes der Kleinen G auf einer Länge von rund 130 m,

-    die Errichtung einer Oberflächenentwässerung mit zwei Gewässerschutzanlagen auf näher genannten Grundstücken zur Verbringung von Oberflächenwässern und Einleitung in die Große G sowie Verrieselung in den Grundwasserkörper,

-    die Errichtung der beiden Gewässerschutzanlagen und weiterer Anlagen im Hochwasserabflussbereich der Kleinen G und

-    die Anpassung der bestehenden Durchlässe DN 900 und DN 500 unter der B*** E Straße und die Errichtung des zusätzlichen Durchlasses DN 900,

befristet bis zum 31. Dezember 2077, unter Vorschreibung von Auflagen erteilt.

2        Die revisionswerbenden Parteien sind Bewohner der Siedlungsbereiche U und N im Nahebereich der „Kreuzung T“. Die unter anderem von ihnen gegen den genannten Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark (LVwG) als unbegründet abgewiesen. Die ordentliche Revision wurde nicht zugelassen.

3        Den Ausführungen des LVwG im angefochtenen Erkenntnis ist unter anderem zu entnehmen, dass der Antrag auf Erteilung der in Rede stehenden wasserrechtlichen Bewilligung vor dem Hintergrund eines Straßenbauvorhabens betreffend den Ausbau der B*** E Straße, Abschnitt „Kreuzung T“, km 53,210 bis km 54,160, Länge 950 m, gestellt wurde. Dabei solle - so das LVwG - die bestehende niveaugleiche „Kreuzung T“ in eine niveaufreie Kreuzung umgebaut und die annähernd parallel zur B*** verlaufende S Straße (Ortsanbindung S West) solle bis zum Knoten T um 742 m verlängert werden. Das Straßenbauvorhaben bedinge Geländeanpassungen, die Ver- bzw. Umlegung von Anbindungen an die übrigen Verkehrswege und anrainenden Liegenschaften, die kleinräumige Verlegung des Bachlaufes der Kleinen G und Grundstückseinlösungen.

4        In seinen rechtlichen Erwägungen begründete das LVwG zunächst, weshalb das Straßenbauvorhaben weder einer Einzelfallprüfung gemäß § 3 Abs. 4 UVP-G 2000 noch einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) zu unterziehen sei. Dabei hielt es fest, die projektierte niveaufreie Ausgestaltung der Kreuzung B***/B1**/B** durch Überführung der B*** als Brückenkonstruktion und die Errichtung eines darunterliegenden Verteilerkreises sei kein Neubau einer sonstigen Straße im Sinne des Anhangs 1 Spalte 3 letzter Absatz UVP-G 2000, weil mit der Umgestaltung der Kreuzung nicht völlig neue Straßen errichtet würden oder eine bereits bestehende Straße derart „verlegt“ werde, dass sie an einem anderen Ort neu errichtet und die alte Straße aufgelassen werde. Mit den projektierten Ausbaumaßnahmen erfolge auch keine Zulegung von zwei oder mehr Fahrstreifen. Die für die niveaufreie Ausgestaltung der Kreuzung erforderlichen richtungsgebundenen Zu- und Abfahrtsrampen seien vergleichbar mit Links- oder Rechtsabbiegestreifen bei niveaugleichen Straßenkreuzungen (Verweis auf eine verkehrstechnische Stellungnahme vom 14. November 2016). Im Bereich der Zu- und Abfahrtsrampen der B*** erfolgten lediglich Spuraufweitungen im Zuge einer Kreuzung, die von der Definition „Neubau“ nicht umfasst seien (Verweis auf die Entscheidung des Umweltsenates vom 4.3.2010, 4B/2010/2-10). Daraus folge, dass der geplante Kreuzungsumbau von einer niveaugleichen in eine niveaufreie Kreuzung schon mangels Vorliegens eines Neubaus keinem der Tatbestände im Anhang 1 Z 9 lit. g, h und i zum UVP-G 2000 zu subsumieren sei.

5        Die Ortsanbindung S mit einer Länge von 742 m und einer Fahrbahnbreite von 6,5 m sei als Neubau eines Teilabschnittes sonstiger Straßen (Zufahrtsstraße nach S) im Sinne des Anhangs 1 Z 9 lit. g, h und i zum UVP-G 2000 zu qualifizieren, für den eine DTV (Anmerkung: durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke) von mehr als 2.000 Kraftfahrzeugen in einem Zeitraum von fünf Jahren prognostiziert werde. Der Straßenneubau berühre kein schutzwürdiges Gebiet der Kategorien B (Alpinregion) und D (belastetes Gebiet Luft). Er berühre auch keine Schutzgebiete der Kategorien A (besonders schutzwürdiges Gebiet) oder C (Wasserschutz- und Schongebiete). Daraus folge, dass die Tatbestände der Z 9 lit. g und h des Anhangs 1 zum UVP-G 2000 nicht zum Tragen kämen.

6        Der Neubau der Ortsanbindung S berühre zwar ein schutzwürdiges Gebiet der Kategorie E, weil im Umkreis von 300 m um das Neubauvorhaben Bauland ausgewiesen sei und in diesem Umkreis auch ein Siedlungsgebiet (N) bestehe. Um hier jedoch die Verpflichtung, eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, auszulösen, müsste sich das Tatbestandselement der DTV von 15.000 Kraftfahrzeugen im Sinne des Anhangs 1 Z 9 lit. i zum UVP-G 2000 auf den als Straßenneubau zu qualifizierenden Teil des Vorhabens beziehen (erneuter Verweis auf Umweltsenat 4.3.2010, 4B/2010/2-10). Dies sei im vorliegenden Fall eindeutig zu verneinen. Für die Ortsanbindung S werde für das Jahr 2023 lediglich eine DTV von etwa 5.330 Kraftfahrzeugen (einschließlich 270 Lkw) prognostiziert, womit die vorgegebene DTV von 15.000 Kraftfahrzeugen bei weitem (auch unter Berücksichtigung einer Verschiebung des Prognosezeitraumes von fünf Jahren) unterschritten werde.

7        In weiterer Folge ging das LVwG insbesondere auf die wasserrechtlichen Aspekte des Beschwerdevorbringens ein, wobei es näher begründete, weshalb die gegen die erteilte wasserrechtliche Bewilligung erhobene Beschwerde abzuweisen gewesen sei.

8        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

9        Nach Einleitung des Vorverfahrens beantragten die belangte Behörde und die mitbeteiligte Partei in ihren Revisionsbeantwortungen jeweils die kostenpflichtige Zurückweisung, in eventu Abweisung der Revision.

10       Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

11       Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Nach § 34 Abs. 3 VwGG ist ein Beschluss nach Abs. 1 in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.

12       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

13       In diesen gemäß § 28 Abs. 3 VwGG bei einer außerordentlichen Revision gesondert vorzubringenden Gründen ist konkret auf die vorliegende Rechtssache bezogen aufzuzeigen, welche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung über die Revision zu lösen hätte. Die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision durch den Verwaltungsgerichtshof erfolgt ausschließlich anhand des Vorbringens in der Zulassungsbegründung. Dieser ist weder verpflichtet, Gründe für die Zulässigkeit einer Revision anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit der Revision hätten führen können, aufzugreifen (vgl. VwGH 19.11.2019, Ra 2019/07/0110, mwN).

14       Zu ihrer Zulässigkeit wird unter Punkt 5. der vorliegenden Revision wörtlich Folgendes ausgeführt:

„Die außerordentliche Revision ist gemäß § 133 Abs. 4 B-VG zulässig, da das Erkenntnis von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zur Erfordernis einer mündlichen Verhandlung abweicht, und zur Frage, ob das gegenständliche Projekt nunmehr einen Neubau im Sinne des Artikel 9 UVP-Gesetz darstellt, die Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung darstellen, wobei im angefochtenen Erkenntnis hier von der entsprechenden europarechtlichen Rechtsprechung abgewichen wird.“

15       Mit diesem Zulässigkeitsvorbringen wird den an die gesetzmäßige Ausführung der Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gestellten Anforderungen nicht entsprochen.

16       Die Revision behauptet ein Abweichen von der höchstgerichtlichen bzw. europarechtlichen Rechtsprechung, gibt aber nicht konkret - unter Angabe zumindest einer nach Datum und Geschäftszahl bezeichneten Entscheidung - an, von welcher Rechtsprechung das Verwaltungsgericht nach Ansicht der revisionswerbenden Partei abgewichen sein soll (vgl. dazu etwa VwGH 26.9.2017, Ra 2017/05/0217, und VwGH 17.4.2020, Ra 2019/07/0107 bis 0109, jeweils mwN).

17       Zum Vorbringen, das LVwG sei von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zum Erfordernis einer mündlichen Verhandlung abgewichen, ist zunächst festzuhalten, dass das LVwG den Entfall der mündlichen Verhandlung auf die Begründung stützte, dass der entscheidungsrelevante Sachverhalt aus der Aktenlage feststehe und auch keine Frage der Beweiswürdigung auftrete.

18       Das Verwaltungsgericht kann gemäß §24 Abs.4 VwGVG von der Durchführung einer Verhandlung absehen, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) noch Art. 47 der Charts der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) entgegenstehen. Eine Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ist daher durchzuführen, wenn es um „civil rights“ oder „strafrechtliche Anklagen“ im Sinne des Art. 6 EMRK oder um die Möglichkeit der Verletzung einer Person eingeräumter Unionsrechte (Art. 47 GRC) geht und eine inhaltliche Entscheidung in der Sache selbst getroffen wird. Bei einem rechtswidrigen Unterlassen der nach Art. 6 EMRK erforderlichen mündlichen Verhandlung ist keine Relevanzprüfung hinsichtlich des Verfahrensmangels vorzunehmen (vgl. VwGH 29.1.2018, Ra 2017/04/0153, mwN).

19       Im vorliegenden Fall geht es um die Möglichkeit der Verletzung einer Person eingeräumter Unionsrechte.

20       Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es zum Entfall der Verhandlungspflicht, wenn Verfahrensgegenstand nur die Lösung einer Rechtsfrage ist, weil Gegenstand des Verfahrens nicht die Klärung einer Tatfrage, sondern einer Rechtsfrage ist. Der Europäische Gerichtshof für Menschrechte (EGMR) hat die Auffassung vertreten, dass eine Verhandlung nicht in jedem Fall geboten ist, und zwar insbesondere dann nicht, wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten sind, sodass eine Verhandlung nicht notwendig ist und das Gericht aufgrund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden kann (vgl. dazu erneut VwGH Ra 2017/04/0153, mwN).

21       Zu der Frage, inwiefern das Verwaltungsgericht fallbezogen die Verpflichtung zur mündlichen Verhandlung unrichtig beurteilte habe und entgegen den Ausführungen im angefochtenen Erkenntnis nach den oben dargestellten Grundsätzen eine Verletzung der Verhandlungspflicht vorliege, findet sich in den Zulässigkeitsgründen kein Hinweis.

22       In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme; sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

23       Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff., insbesondere § 53 Abs. 1 letzter Satz VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 30. Dezember 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2018070385.L00

Im RIS seit

22.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

22.02.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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