TE Vwgh Erkenntnis 2020/12/31 Ra 2020/13/0084

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Veröffentlicht am 31.12.2020
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Index

21/03 GesmbH-Recht
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht

Norm

BAO §20
BAO §280 Abs1 lite
BAO §80 Abs1
BAO §9 Abs1
BAO §93 Abs3 lita
GmbHG §15
GmbHG §20

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Nowakowski und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer und den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision der H in S, vertreten durch Mag. Franz Doppelhofer, Rechtsanwalt in 8055 Seiersberg-Pirka, Mitterstraße 177, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 7. August 2020, Zl. RV/2100422/2018, betreffend Haftung gemäß § 9 BAO, zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Haftungsbescheid vom 21. Dezember 2017 wurde die Revisionswerberin als ehemalige Geschäftsführerin der J GmbH als Haftungspflichtige gemäß § 9 iVm §§ 80 ff BAO für die - im Bescheid näher dargestellten - aushaftenden Abgabenschuldigkeiten der J GmbH (aus dem Zeitraum April 2011 bis Juni 2013) im Ausmaß von insgesamt 60.219,97 € in Anspruch genommen. In der Begründung wurde ausgeführt, über das Vermögen der J GmbH sei im Juni 2013 das Konkursverfahren eröffnet und im August 2017 mangels Kostendeckung aufgehoben worden. Die angeführten Rückstände seien somit als uneinbringlich anzusehen. Die Revisionswerberin habe vom 27. Mai 2011 bis 18. April 2013 die J GmbH als Geschäftsführerin vertreten; ihr sei die Wahrnehmung der abgabenrechtlichen Verpflichtungen oblegen. Trotz zahlreicher Fristverlängerungen habe die Revisionswerberin keine Unterlagen vorgelegt, aus denen eine Gläubigergleichbehandlung hätte abgeleitet werden können.

2        Die Revisionswerberin erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde. Sie machte im Wesentlichen geltend, im Mai 2011 seien neben dem bisherigen Geschäftsführer (ihrem Ehemann) auch die Revisionswerberin und ihr Sohn zu Geschäftsführern bestellt worden. Ihr Sohn sei mit seinen bisherigen wirtschaftlichen Unternehmungen gescheitert. Über dessen vormalige GmbH sei im Dezember 2008 und über dessen eigenes Vermögen im Jänner 2010 der Konkurs eröffnet worden. Ihr Sohn habe offenbar seine Geschäfte im Wege der J GmbH weitergeführt. Er habe auch im Einverständnis mit ihrem Ehemann tatsächlich die Geschäftsführung und die Wahrnehmung der steuerlichen Interessen der J GmbH übernommen. Im Jahr 2011 habe ihr Sohn unter massiver Arbeitsüberlastung gelitten; er sei wegen eines Burn-Out-Syndroms im Jahr 2011 in ärztlicher Behandlung gestanden. Die Behandlung sei jedoch abgebrochen und erst im Jahr 2013 wieder fortgesetzt worden. Im Jahr 2013 habe ihr Sohn einen Nervenzusammenbruch erlitten. Die Revisionswerberin habe tatsächlich keine Funktion in der GmbH ausgeübt; sie habe zu keiner Zeit einen Geschäftsführerbezug erhalten. Ihr sei auch ein Einblick in die steuerlichen Interessen der GmbH versagt geblieben. Nur gegen ihren Sohn und ihren Ehemann sei ein Finanzstrafverfahren geführt worden; ihr Sohn sei auch schuldig erkannt worden. Bereits aus diesem Finanzstrafverfahren ergebe sich, dass eine schuldhafte Pflichtverletzung der Revisionswerberin nicht vorliege. Die Revisionswerberin sei bereits vor Eröffnung des Konkursverfahrens aus der GmbH ausgeschieden. Sie könne daher für die nach diesem Zeitpunkt fälligen, im Haftungsbescheid angeführten Abgaben und Zuschläge nicht als Haftungspflichtige in Anspruch genommen werden. Auch werde Verjährung fälliger Abgaben eingewandt.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde teilweise Folge und änderte den Haftungsbescheid ab („Summe 59.286,56“ €; richtig: 57.536,56 €). Es sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Nach Wiedergabe des Verfahrensgeschehens führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, die Revisionswerberin sei zur Erbringung des Nachweises der Gleichbehandlung von Gläubigern aufgefordert worden. Eine konkrete Darlegung sei nicht erfolgt. Sie habe sich auf den Hinweis beschränkt, dass nur ihr Ehemann sowie ihr Sohn wegen des Verdachtes der Hinterziehung von Abgaben verantwortlich gemacht worden seien. Die Beurteilung der Verletzung abgabenrechtlicher Verpflichtungen sei aber von der finanzstrafrechtlichen Würdigung zu unterscheiden, zumal im Haftungsverfahren eine bestimmte Schuldform nicht gefordert sei. Es genüge bereits leichte Fahrlässigkeit. Abgesehen davon sei im von der Revisionswerberin angeführten Erkenntnis angemerkt worden, dass der Unwert der Unterlassungen des Sohnes der Revisionswerberin durch seine psychischen Schwierigkeiten zwar abgemildert sei, er sei aber in seiner grundsätzlichen Entscheidungsfähigkeit als Geschäftsführer nicht wesentlich beeinträchtigt gewesen. Er habe drei Jahre hindurch als Entscheidungsträger gearbeitet und unternehmerische Dispositionen getroffen. Eingedenk des angegriffenen Gesundheitszustandes des Sohnes hätte dieser „wohl“ das Amt als Geschäftsführer gar nicht annehmen sollen. Es wäre an der Revisionswerberin als Geschäftsführerin gelegen gewesen, zu überprüfen, ob der Sohn seine Position als Geschäftsführer aus gesundheitlichen Gründen überhaupt hinreichend ausfüllen könne. Die Umsatzsteuerbeträge 4-12/2011 seien zu vermindern gewesen, weil diese nur mehr mit einem geringeren Betrag aushafteten. Was die im Bescheid angeführten Lohnabgaben „1-6/2013“ betreffe, so sei zu bemerken, dass diese lediglich für den Lohnzahlungszeitraum 1/2013 angefallen seien und daher richtigerweise geltend gemacht worden seien. Verjährung liege im Hinblick auf Unterbrechungshandlungen nicht vor. Die Haftung sei in das Ermessen der Abgabenbehörde gestellt. Die Geltendmachung der Haftung stelle die letzte Möglichkeit zur Durchsetzung des Abgabenanspruches dar. Die Geltendmachung der Haftung sei in der Regel dann ermessenskonform, wenn die betreffende Abgabe beim Primärschuldner uneinbringlich sei. Die Frage der Einbringlichkeit der Haftungsschuld beim Haftenden könne hingegen vernachlässigt werden.

5        Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Revision. Zur Zulässigkeit wird in der Revision insbesondere geltend gemacht, das Bundesfinanzgericht habe sich mit dem Vorbringen der Revisionswerberin, ihr Sohn (als weiterer Geschäftsführer) sei intern für die Erfüllung abgabenrechtlicher Verpflichtungen zuständig gewesen, nicht auseinandergesetzt. Das Bundesfinanzgericht habe es auch unterlassen, sich im Rahmen der Begründung des Ermessens damit auseinanderzusetzen, dass mehrere Vertreter als Haftungspflichtige in Betracht kommen.

6        Nach Einleitung des Vorverfahrens hat das Finanzamt eine Revisionsbeantwortung eingebracht.

7        Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8        Die Revision ist zulässig und begründet.

9        Gemäß § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen. Insbesondere haben sie dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

10       Nach § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

11       Zutreffend rügt die Revision, dass im Hinblick darauf, dass mehrere Vertreter als Haftungspflichtige in Frage kommen (neben der Revisionswerberin auch ihr Ehemann und ihr Sohn als weitere Geschäftsführer), die Ermessensentscheidung, wer von ihnen und gegebenenfalls in welchem Ausmaß in Anspruch genommen wird, entsprechend zu begründen ist (vgl. z.B. VwGH 20.9.1996, 94/17/0122; 17.12.2002, 98/17/0250). Eine derartige Begründung enthält das angefochtene Erkenntnis nicht. Schon aus diesem Grund erweist sich das angefochtene Erkenntnis als rechtswidrig.

12       Im Übrigen ist zu bemerken, dass der Verwaltungsgerichtshof zur Haftung bei einer Mehrheit von Geschäftsführern in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertritt, dass bei Vorliegen einer Geschäftsverteilung die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit denjenigen Geschäftsführer trifft, der mit der Besorgung der Abgabenangelegenheiten betraut ist. Der von den finanziellen, insbesondere steuerlichen Angelegenheiten ausgeschlossene Geschäftsführer ist in der Regel nicht in Anspruch zu nehmen. Dieser haftet jedoch selbst, wenn er eigene Pflichten dadurch grob verletzt, dass er es unterlässt, Abhilfe gegen Unregelmäßigkeiten des zur Wahrnehmung der steuerlichen Angelegenheiten Bestellten zu schaffen. In einem solchen Fall könnte ihn nur entschuldigen, dass ihm die Erfüllung seiner abgabenrechtlichen Pflichten aus triftigen Gründen unmöglich gewesen wäre (vgl. z.B. VwGH 18.11.1991, 90/15/0123, mwN; 18.10.1995, 91/13/0037, 0038, VwSlg. 7038/F; 20.9.1996, 94/17/0122).

13       Eine Pflichtverletzung des nicht mit den steuerlichen Angelegenheiten befassten Geschäftsführers ist aber erst dann anzunehmen, wenn für diesen ein Anlass vorliegt, an der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung des anderen Geschäftsführers zu zweifeln und er dennoch nichts unternimmt, um Abhilfe zu schaffen (vgl. neuerlich VwGH 18.11.1991, 90/15/0123; 18.10.1995, 91/13/0037, 0038, VwSlg. 7038/F; 25.11.2002, 99/14/0121; 20.1.2010, 2005/13/0086, mwN; vgl. auch VwGH 13.4.2005, 2005/13/0001; vgl. weiters - zu § 25 Abs. 7 BUAG - VwGH 4.10.2001, 99/08/0120, mwN).

14       Das Einverständnis, nur formell oder „nur auf dem Papier“ als Geschäftsführer zu fungieren, somit auf die tatsächliche Geschäftsführung keinen Einfluss zu nehmen, befreit nicht von der Verantwortung hinsichtlich der Erfüllung der mit der Übernahme der unternehmensrechtlichen Geschäftsführung verbundenen gesetzlichen Verpflichtungen. In einem solchen Einverständnis ist auch keine Aufgaben(Zuständigkeits-)verteilung zu sehen (vgl. VwGH 19.3.2015, 2013/16/0166; 21.11.2017, Ra 2017/16/0154).

15       Ob - wie die Revisionswerberin in ihrer Beschwerde auch vorgebracht hatte - im Rahmen der Geschäftsführung der J GmbH eine Aufgabenverteilung (Zuständigkeitsverteilung) bestand, geht aus der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses nicht hervor. Ebenso wenig geht daraus hervor, ob - bei Annahme einer derartigen Aufgabenverteilung - für die Revisionswerberin ein Anlass bestanden hätte, an der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung des mit der Wahrnehmung der steuerlichen Angelegenheiten Betrauten zu zweifeln.

16       Schließlich ist zu beachten, dass die Verpflichtung nach § 80 Abs. 1 BAO die Vertreter in jenem Zeitraum trifft, in welchem sie die Vertreterstellung innehaben. Nur in diesem Zeitraum können sie eine nach § 9 Abs. 1 BAO relevante Pflichtverletzung begehen und den Haftungstatbestand verwirklichen (vgl. VwGH 16.12.1999, 97/15/0051). Nach den Sachverhaltsannahmen des Bundesfinanzgerichts war die Revisionswerberin bis 26. April 2013 Geschäftsführerin der J GmbH. Im angefochtenen Erkenntnis wurden zwar Ausführungen zu den Lohnabgaben „1-6/2013“ getroffen. Geltend gemacht wird u.a. aber auch die Haftung für Körperschaftsteuer für den Zeitraum 4-6/2013. Es ist nicht erkennbar, dass diese Abgabe im Zeitraum der Vertreterstellung der Revisionswerberin fällig geworden sei (vgl. § 24 Abs. 3 Z 1 KStG 1988 iVm § 45 EStG 1988).

17       Das angefochtene Erkenntnis war gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

18       Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 31. Dezember 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020130084.L00

Im RIS seit

08.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.03.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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