TE Vwgh Beschluss 2021/1/13 Ra 2020/19/0435

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Veröffentlicht am 13.01.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte

Norm

B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2020/19/0436
Ra 2020/19/0437
Ra 2020/19/0438

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revisionen 1. des D B J J, 2. der R S K I, 3. des F D B B und 4. der R D B B, alle in S und alle vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. August 2020, 1. L526 2165705-1/32E, 2. L526 2165702-1/34E, 3. L526 2165694-1/30E und 4. L526 2165700-1/37E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Begründung

1        Die revisionswerbenden Parteien, alle Staatsangehörige des Irak, stellten am 24. September 2015 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind die Eltern des minderjährigen Drittrevisionswerbers und der minderjährigen Viertrevisionswerberin.

Die Anträge auf internationalen Schutz wurden im Wesentlichen damit begründet, dass das Geschäft des Erstrevisionswerbers bombardiert worden sei und er von bewaffneten Gruppen Drohungen erhalten habe. Er sei zudem aufgefordert worden, sich von seiner Frau scheiden zu lassen.

2        Mit Bescheid vom 5. Juli 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der Revisionswerber auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Irak (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Es erteilte den revisionswerbenden Parteien keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen und stellte fest, dass ihre Abschiebung in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise setzte es mit 14 Tagen fest (Spruchpunkt IV.).

3        Die revisionswerbenden Parteien erhoben gegen diesen Bescheid Beschwerden. Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26. Februar 2019 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerden gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides mit Erkenntnis vom 11. Mai 2020 als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.

4        Mit dem nunmehr in Revision gezogenen zweiten Teilerkenntnis vom 12. August 2020 wies das BVwG die Beschwerden auch hinsichtlich der weiteren Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.

In seiner Begründung hielt das BVwG fest, auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhalts ergebe sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben seien. Es könne nicht festgestellt werden, dass den revisionswerbenden Parteien im Fall ihrer Rückkehr in den Irak Strafverfolgung oder die Todesstrafe drohe. Ebenso könne keine anderweitige individuelle Gefährdung der revisionswerbenden Parteien festgestellt werden, insbesondere in Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge im Irak. Hinsichtlich der Rückkehrentscheidung führte das BVwG mit näherer Begründung aus, dass die öffentlichen Interessen an einer Außerlandesbringung die privaten Interessen der revisionswerbenden Parteien an einem Verbleib im Inland überwögen.

5        Gegen dieses Erkenntnis erhoben die Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der diese mit Beschluss vom 7. Oktober 2020 ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

6        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7        Die Revisionen bringen zur Begründung ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil es keine Recherche im Herkunftsstaat zum Vorbringen der revisionswerbenden Parteien durchgeführt und zur Überprüfung ihrer Angaben kein Sachverständigengutachten eingeholt habe. Das BVwG habe zudem seiner Entscheidung keine aktuellen Länderberichte zugrunde gelegt. Darüber hinaus sei das BVwG bei der Erlassung der Rückkehrentscheidungen von der Rechtsprechung abgewichen, weil es keine Gesamtabwägung der in § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) angeführten Kriterien für die Beurteilung der Integration vorgenommen, sondern einzelne Integrationsgründe und Umstände herausgegriffen habe.

8        Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unterliegt es der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichtes, ob weitere amtswegige Erhebungen erforderlich sind. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG läge in diesem Zusammenhang nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. VwGH 28.8.2020, Ra 2020/14/0383, 0384, mwN).

Im vorliegenden Fall wird von den revisionswerbenden Parteien allerdings nicht dargetan, auf Grund welcher konkreten Umstände das BVwG gehalten gewesen wäre, von der Notwendigkeit weiterer amtswegiger Erhebungen auszugehen. Auch ist dem Vorbringen der revisionswerbenden Parteien entgegenzuhalten, dass ein allgemeines Recht auf eine fallbezogene Überprüfung des Vorbringens eines Asylwerbers durch Recherche im Herkunftsstaat nicht besteht (vgl. VwGH 15.5.2020, Ra 2020/14/0176, mwN).

9        Soweit die revisionswerbenden Parteien rügen, das BVwG habe seiner Entscheidung keine aktuellen Länderberichte zugrunde gelegt, machen sie Verfahrensmängel geltend, deren Relevanz, weshalb also bei Vermeidung dieser Verfahrensmängel in der Sache ein anderes, für die Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, bereits in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung dargetan werden muss. Dies setzt voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung der Verfahrensfehler als erwiesen ergeben hätten (vgl. erneut VwGH Ra 2020/14/0383, 0384, mwN). Eine solche Relevanzdarlegung ist der Zulässigkeitsbegründung jedoch nicht zu entnehmen, zumal die Revisionen nicht vorbringen, welche Feststellungen zu treffen gewesen wären, die zu einem anderen Ergebnis hätten führen können.

10       Wenn in den Revisionen schließlich betreffend die Rückkehrentscheidung die vom BVwG vorgenommene Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK gerügt wird, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. etwa VwGH 29.9.2020, Ra 2020/19/0304, mwN).

11       Mit dem pauschalen Vorbringen, das BVwG habe keine „Gesamtabwägung“ durchgeführt, gelingt es den Revisionen jedenfalls nicht aufzuzeigen, dass die die persönlichen Umstände der Revisionswerber berücksichtigende Interessenabwägung unvertretbar wäre (vgl. erneut VwGH Ra 2020/19/0304, mwN).

12       In den Revisionen werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher zurückzuweisen.

Wien, am 13. Jänner 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020190435.L00

Im RIS seit

15.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

15.02.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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