TE Vwgh Erkenntnis 1997/6/20 96/19/3436

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Veröffentlicht am 20.06.1997
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
19/05 Menschenrechte;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

Aufenthaltszwecke und Form der Aufenthaltsbewilligung 1995 §1 Abs1 Z3;
AufG 1992 §3 Abs1 Z2;
AufG 1992 §4 Abs3;
AufG 1992 §6 Abs1;
AVG §37;
AVG §58 Abs2;
AVG §66 Abs4;
MRK Art8;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde der mj. J, vertreten durch die Kindeseltern T und J D, diese vertreten durch Dr. C, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 23. April 1996, Zl. 100.914/8-III/11/96, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.740,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren an Stempelgebührenersatz wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres (der belangten Behörde) vom 23. April 1996, wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 3 Abs. 1 und § 4 Abs. 3 Aufenthaltsgesetz (AufG) abgewiesen.

In der Begründung führte die belangte Behörde aus, daß der Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien abgewiesen worden sei, da die Mutter der Beschwerdeführerin über keine Aufenthaltsbewilligung verfüge. In der Berufung sei vorgebracht worden, daß das Verfahren betreffend die Aufenthaltsbewilligung der Mutter der Beschwerdeführerin noch nicht abgeschlossen sei und der Vater der Beschwerdeführerin über eine gültige Aufenthaltsbewilligung verfüge. Die Berufungsbehörde habe festgestellt, daß im Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung der Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft" mit Fremden, und zwar mit den Eltern, angegeben worden sei. Ungeachtet dessen, daß der Vater der Beschwerdeführerin über eine gültige Aufenthaltsbewilligung verfüge, sei der Antrag der Mutter der Beschwerdeführerin abgewiesen worden, weshalb diese über keine Aufenthaltsbewilligung verfüge. Unter Berücksichtigung des Alters der Beschwerdeführerin und unter Bedachtnahme darauf, daß der Vater der Beschwerdeführerin einer Erwerbstätigkeit nachgehen müsse, sei die Mutter jene Person, der vorwiegend die Obsorge und Obhut über die Beschwerdeführerin zustehe und somit jene Bezugsperson, nach der sich der Zweck der Familienzusammenführung richte. Da die Mutter über keine Aufenthaltsberechtigung verfüge, könne auch der Beschwerdeführerin im Sinne der §§ 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 3 AufG keine Bewilligung erteilt werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende, vom Verfassungsgerichtshof nach Ablehnung ihrer Behandlung abgebetene Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen:

Gemäß § 3 Abs. 1 AufG haben unter anderem eheliche und außereheliche minderjährige Kinder von Fremden, die aufgrund einer Bewilligung, eines vor dem 1. Juli 1993 ausgestellten Sichtvermerkes oder sonst gemäß § 1 Abs. 3 Z. 1 bis 5 AufG rechtmäßig seit mehr als zwei Jahren ihren Hauptwohnsitz in Österreich haben (Z. 2), einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nach Maßgabe des § 2 Abs. 3 Z. 3 und 4 AufG, sofern kein Ausschließungsgrund (§ 5 Abs. 1 AufG) vorliegt.

Die belangten Behörde stützte ihre abweisende Entscheidung auf § 4 Abs. 3 AufG. Gemäß dieser Bestimmung ist eine Bewilligung nach § 3 Abs. 1 und 4 AufG jeweils mit der gleichen Befristung zu erteilen wie die Bewilligung (u.a.) des Elternteiles.

Gemäß § 6 Abs. 1 zweiter Satz AufG ist im Antrag der Zweck des vorgesehenen Aufenthaltes genau anzugeben. Sah jedoch die Rechtslage vor der Novelle BGBl. Nr. 351/1995 keine zeitliche Einschränkung für Zweckänderungen vor, so findet sich in der novellierten Fassung des § 6 Abs. 1 im dritten Satz die Bestimmung, daß der Antragsteller den bei der Antragstellung angegebenen Zweck im Laufe des Verfahrens nicht ändern kann.

Die Beschwerdeführerin gab in ihrem Antrag als Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft mit Fremden, und zwar mit Vater/Mutter" an. Die Angaben zur Person "dieses Familienangehörigen" betreffen im Formular sodann die Mutter. Aus der Berufung vom 11. März 1996, die die aufenthaltsrechtliche Situation des Vaters (aufrechte Aufenthaltsbewilligung) darlegt und den Hinweis enthält, daß Vater und Tochter im gemeinsamen Haushalt leben und er auch für den Unterhalt seiner Tochter aufkomme, ist jedenfalls ableitbar, daß die Beschwerdeführerin auch die Familiengemeinschaft mit ihrem Vater anstrebt. Die Beschwerdeführerin ist an derselben Adresse wohnhaft wie ihre beiden - nicht miteinander verheirateten - Elternteile, und trägt den Familiennamen ihres Vaters.

Die obzitierte Bestimmung des § 6 Abs. 1 letzter Satz AufG (Unzulässigkeit der Zweckänderung) trat mangels Übergangsbestimmung in der Novelle BGBl. Nr. 351/1995 am 20. Mai 1995 in Kraft. Sie ist daher auf die mit der am 14. März 1996 eingelangten Berufung vorgenommene Ergänzung des Aufenthaltszweckes anwendbar.

Wie der Verwaltungsgerichtshof schon im Erkenntnis vom 20. Juni 1996, Zl. 95/19/1865, ausgesprochen hat, wäre eine nachträgliche Änderung der Person des Fremden, mit dem eine Familiengemeinschaft angestrebt wird, nicht ausgeschlossen, wenn - wie im gegenständlichen Fall - der vom Fremden in Aussicht genommene Aufenthaltszweck in den unter § 1 Abs. 1 Z. 3 der Verordnung BGBl. Nr. 395/1995 angeführten Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft mit Fremden" einzureihen war. Dies gilt auch für Antragsänderungen im Berufungsverfahren (vgl. hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 1996, Zl. 95/19/1837). Eine Einschränkung des Umfangs der Berechtigung des § 10 Abs. 1 erster Satz AufG auf den bei der Antragstellung geltend gemachten Aufenthaltszweck ist dem § 10 Abs. 1 leg. cit. nicht zu entnehmen. Selbst wenn man davon ausginge, daß die Beschwerdeführerin in ihrem Antrag lediglich Familienzusammenführung mit der Mutter geltendgemacht habe, wäre sie nicht gehindert gewesen, sich in der Berufung auf die angestrebte Familiengemeinschaft mit dem Vater zu stützen.

Angesichts des Berufungsvorbringens war daher davon auszugehen, daß die Beschwerdeführerin Familiengemeinschaft mit beiden Elternteilen anstrebt. Davon ist die belangte Behörde, folgt man der Begründung ihres Bescheides, auch ausgegangen.

Allerdings folgt aus dem systematischen Bezug des § 4 Abs. 3 AufG, daß - entgegen der Ansicht der belangten Behörde - nur derjenige Elternteil gemeint sein kann, der über eine Aufenthaltsbewilligung verfügt. Diese Auffassung entspricht auch einer im Hinblick auf Art. 8 MRK verfassungskonformen Interpretation. Allein der Umstand, daß die Mutter der Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht über eine Aufenthaltsbewilligung verfügte, berechtigte die belangte Behörde im vorliegenden Fall somit nicht zur Abweisung des auch auf Familiengemeinschaft mit ihrem Vater gerichteten Antrags der Beschwerdeführerin (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. Februar 1997, Zl. 95/19/1777).

Der zwingende Charakter des § 3 Abs. 1 AufG schließt die Verweigerung einer Aufenthaltsbewilligung aus den im angefochtenen Bescheid angeführten Gründen jedenfalls aus. Die belangte Behörde verkennt ihre Aufgaben, wenn sie meint, sie wäre dazu berufen, zu entscheiden, ob für die Beschwerdeführerin das Leben in Gemeinschaft mit ihrer Mutter jenem in Gemeinschaft mit ihrem Vater im Interesse des Kindeswohles vorzuziehen sei (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Februar 1997, Zl. 96/19/3352).

Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994. Im Fall der Abtretung einer Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG gebührt dem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren obsiegenden Beschwerdeführer kein Ersatz der Stempelgebühren, die er im vorangegangenen Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof entrichten mußte. Es war daher lediglich der Ersatz der Stempelgebühren für die Beschwerdeergänzung vor dem Verwaltungsgerichtshof (zweifach) zuzusprechen. Stempelgebührenersatz für die (neuerliche) Vorlage des bekämpften Bescheides war nicht zuzusprechen, weil dieser schon im Verfahren von dem Verfassungsgerichtshof vorgelegt wurde.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Schlagworte

Auslegung Gesetzeskonforme Auslegung von Verordnungen Verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen VwRallg3/3 Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Besondere Rechtsprobleme Änderung von Anträgen und Ansuchen im Berufungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1996193436.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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