TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/28 I415 2005400-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.09.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

28.09.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs3
AsylG 2005 §55 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §52 Abs3
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I415 2005400-2/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hannes LÄSSER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , StA. Nigeria, nunmehr vertreten durch RA Mag. Martin SAUSENG, Jakominiplatz 16/II, 8010 Graz, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, vom 06.11.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25.08.2020, zu Recht erkannt:

A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der seit mindestens 26.02.2014 in Österreich aufhältige Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) stellte im Bundesgebiet zu diesem Datum einen Asylantrag, welcher mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde, BFA) vom 05.03.2014, Zl. XXXX , hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) abgewiesen wurde. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF nicht erteilt, gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei, weiters wurde ihm eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt (Spruchpunkt III.).

2.       Gegen diesen Bescheid erhob der BF Beschwerde, welche seitens des Bundesverwaltungsgerichts mit Erkenntnis vom 28.10.2016, GZ: I405 2005400-1/11E, als unbegründet abgewiesen wurde.

3.       Mit Urteil vom 19.12.2016, rechtskräftig seit 23.12.2016, wurde der BF vom BG XXXX zu XXXX wegen des Vergehens des Gebrauchs fremder Ausweise nach § 231 Abs 2 StGB zu einer unbedingten Geldstrafe von 100 Tagessätzen verurteilt.

4.       Mit Schriftstück vom 08.01.2018 wurde seitens der nigerianischen Botschaft aus Wien mitgeteilt, dass der BF am 08.01.2018 einen nigerianischen Reisepass beantragen wollte, eine Ausstellung jedoch mangels Erfüllung der Voraussetzungen seitens des BF nicht erfolgen konnte.

5.       Mit 06.07.2018 beantragte der BF durch seinen damaligen Rechtsvertreter die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK „Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens“ gemäß § 55 Abs 1 AsylG (Aufenthaltsberechtigung plus) aufgrund der Erfüllung des Modul 1 der Integrationsvereinbarung. Begründend wurde in einem separaten Schreiben vom 04.07.2020 ausgeführt, dass der BF eine Lebensgefährtin und zwei Söhne im Bundesgebiet habe, ein verbindlicher Dienstvorvertrag vorliege und der BF die Deutschprüfung des ÖIF auf Niveau A2 erfolgreich abgelegt habe. Überdies engagiere sich der BF in zahlreichen Vereinen und habe zahlreiche österreichische Freunde und Bekannte. Am 18.10.2018 wurde der BF dazu vor der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen.

6.       Mit Bescheid vom 06.11.2018, Zl XXXX , wies die belangte Behörde den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK ab (Spruchpunkt I.), erließ gegen den BF eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt II.) und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt III.). Ihm wurde eine 14-tägige Frist ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt IV.).

7.       Gegen diesen Bescheid richtet sich die durch die damalige Rechtsvertretung des BF mit Schriftsatz vom 19.12.2018 eingebrachte Beschwerde, eingelangt bei der belangten Behörde per E-Mail am selben Tag. Dabei wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Vielzahl der vorgelegten Unterlagen eine Aufenthaltsverfestigung im Bundesgebiet dokumentiere und eine nachhaltige soziale, kulturelle oder gesellschaftliche Integration zeige. Der BF sei bemüht, durch eigene Initiative die Selbsterhaltungsfähigkeit herzustellen und habe Arbeitswillen bekundet. Zudem verfüge er über einen entsprechenden Freundes- und Bekanntenkreis. Angesichts der starken Bindung und des Integrationswillens sei die von der belangten Behörde verfügte Rückkehrentscheidung in Hinblick auf die Schutzwürdigkeit des Privat- und Familienlebens unverhältnismäßig iSd Art 8 EMRK. Beantragt werde daher, den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass die Ausweisung des BF aus dem österreichischen Bundesgebiet auf Dauer für unzulässig erklärt werde, in eventu, dass dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 55 AsylG erteilt werde, in eventu den angefochtenen Bescheid zur Gänze zu beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen sowie eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht anzuberaumen.

8.       Mit Schriftsatz vom 20.12.2018, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 21.12.2018, legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.

9.       Mit rechtskräftigem Urteil des LG XXXX zu XXXX vom 08.04.2019, wurde der BF wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 5. Fall SMG, teils iVm § 12 dritter Fall StGB und des Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 2. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten verurteilt, wobei 16 Monate unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden.

10.      Mit Schriftsatz vom 14.06.2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht mit 18.06.2019 eine Beschwerdeergänzung ein, wobei auf das Familien- und Privatleben des BF verwiesen wurde.

11.      Am 12.12.2019 wurde dem Rückübernahmeersuchen vom 14.11.2016 entsprochen und dem BF seitens der nigerianischen Behörde ein Heimreisezertifikat ausgestellt.

12.      Mit Schriftsatz vom 19.06.2020 erging seitens des nunmehrigen Rechtsvertreters des BF das Ersuchen hinsichtlich der Anberaumung und Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung, da seit der Beschwerdeerhebung ein Jahr und sechs Monate vergangen seien, ohne dass eine Verfahrenshandlung durchgeführt worden sei.

13.       Am 25.08.2020 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, eine mündliche Beschwerdeverhandlung in Anwesenheit des BF, der Zeugin R.E. und einer Dolmetscherin für englische Sprache abgehalten. Nicht erschienen sind der Rechtsvertreter des BF (entschuldigt) sowie ein Vertreter der belangten Behörde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:

1.1.    Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige BF hat eine Lebensgefährtin, ist nigerianischer Staatsangehöriger und Vater von drei in Österreich lebenden Kindern und eines in Nigeria lebenden Kindes. Seine Identität steht nicht fest.

Seit der Stellung seines Asylantrages im Februar 2014 ist der BF durchgehend in Österreich aufhältig. Abgesehen vom Zeitraum 17.09.2014 bis zum 23.12.2014 weist er auch seit Mai 2014 durchgehend einen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet auf. Mit Bescheid vom 05.03.2014 wurde der Asylantrag des BF negativ entschieden, mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.10.2016 erwuchs die negative Entscheidung in Rechtskraft, wobei der BF ungeachtet dessen im Bundesgebiet verblieb, seiner Verpflichtung zur freiwilligen Ausreise keine Folge leistete und seine Mitarbeit sowie Unterschrift in Zusammenhang mit einem Rückübernahmeersuchen im November 2016 verweigerte. Durch Vorlage eines „Antrags“ auf Abstandnahme fremdenrechtlicher Maßnahmen verzögerte er die Ausstellung eines Heimreisezertifikates. Die Ausstellung eines nigerianischen E-Reisepasses scheiterte schließlich daran, dass der BF nicht die Voraussetzungen zur Ausstellung eines nigerianischen E-Reisepasses erfüllte.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Er bezieht keine Grundversorgung und bestreitet seinen Lebensunterhalt und den seiner Familie durch das Karenzgeld seiner Lebensgefährtin sowie durch die Vornahme von Schwarzarbeit, beispielsweise durch die Erledigung von Malerarbeiten, die Erstellung von Postern und Flyern sowie Moderationstätigkeiten. Einer legalen Erwerbstätigkeit ging der BF in Österreich zu keinem Zeitpunkt nach. In Nigeria studierte der BF Mikrobiologie und arbeitete als Lehrer.

Im Bundesgebiet leben die ebenfalls nigerianische Lebensgefährtin des BF, R.E., und die drei gemeinsamen Kinder (D.O.E., geb. XXXX .2015, D.O.E., geb. XXXX .2016 und D.O.E., geb. XXXX .2020), ebenfalls nigerianische Staatsangehörige. Seine Lebensgefährtin und die gemeinsamen Kinder verfügen allesamt über eine aufrechte Rot-Weiß-Rot-Karte plus. Seit 23.12.2014 leben der BF und seine Lebensgefährtin in einem gemeinsamen Haushalt, abgesehen vom Zeitraum seiner Strafhaft (24.11.2018 bis 02.05.2019).

Mit seinem in Nigeria aufhältigen 13-jährigen Sohn pflegt der BF telefonischen Kontakt, auch mit vielen anderen Personen in Nigeria steht er mittels moderner Medien im Austausch.

Mit Urteil zu XXXX des BG XXXX wurde der BF am 19.12.2016, rechtskräftig seit 23.12.2016, wegen des Vergehens des Gebrauchs fremder Ausweise nach § 231 Abs 2 StGB zu einer unbedingten Geldstrafe von 100 Tagessätzen verurteilt. Dabei hat ein Freund des BF den Ausweis des BF vorgelegt und verwendet, um für diesen den ÖIF-Deutsch-Test auf Niveaustufe A2 zu schreiben.

Weiters wurde der BF mit Urteil des LG XXXX zu XXXX vom 08.04.2019, rechtskräftig seit selbigem Tag, wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 5. Fall SMG, teils iVm § 12 dritter Fall StGB und des Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 2. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten verurteilt, wobei 16 Monate unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden. Der BF wurde für schuldig befunden, in XXXX vorschriftswidrig Suchtgift 1. in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen teils als unmittelbarer Täter, teils als Beitragstäter zum Suchtgifthandel des abgesondert verfolgten und bereits rechtskräftig verurteilten E.O.J. überlassen zu haben, indem er im Zeitraum von zumindest Mai 2018 bis Mitte September 2018 in XXXX insgesamt 3.875 Gramm Cannabiskraut mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von zumindest 7% (271,25 Gramm Delta-9-THC in Reinsubstanz, das sind mehr als 13 Grenzmengen) diversen Abnehmern gewinnbringend weiterveräußerte bzw. die Abnehmer an E.O.J. weitervermittelte und teilweise den Kaufpreis inkassierte, wobei sein Vorsatz dabei auf eine Tatbildverwirklichung in Teilmengen gerichtet war und die kontinuierliche Begehung über einen längeren Zeitraum und den daran geknüpften Additionseffekt mitumfasste und er es ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand, dass in Summe die Grenzmenge überschritten wird; 2. in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge mit dem Vorsatz besessen zu haben, dass es in Verkehr gesetzt werde, indem er am 22.11.2018 942,3 Gramm Cannabiskraut (66,69 Gramm Delta-9-THC in Reinsubstanz, das sind mehr als 3 Grenzmengen), die für den Weiterverkauf bestimmt waren, bis zur Sicherstellung durch die Polizei innehatte. Erschwerend wurde dabei das Zusammentreffen von einem Verbrechen mit einem Vergehen, eine wenngleich auch nicht auf der schädlichen Neigung beruhende, sohin nicht ins Gewicht fallende Vorabstrafung, mildernd hingegen das umfassende reumütige und der Wahrheitsfindung dienliche Geständnis bereits bei der Polizei sowie die Sicherstellung des Suchtgifts gewertet. Der Verein Neustart als Bewährungshelfer stellte dem BF eine positive Rückmeldung aus.

Am 22.12.2016 absolvierte der BF den ÖIF-Deutsch-Test auf Niveaustufe A2 positiv. Zudem hat der BF auch einen Deutschkurs auf Niveau A2.2 seitens des Vereins XXXX im Zeitraum vom 10.04. bis 24.05.2017 mit einer Anwesenheitsquote von 65% besucht, weiters einen Deutschkurs auf Niveau B1.1 im Zeitraum vom 06.06. bis zum 20.07.2017 mit einer Anwesenheitsquote von 75%. Eine neuerliche Teilnahmebestätigung seitens des Vereins XXXX , der zufolge der BF im Zeitraum vom 10.07. bis 31.08.2018 einen Deutsch-Intensivkurs mit einer Anwesenheitsquote von 72% besucht hat, berechtigt den BF zum Aufstieg ins nächste Kursniveau (B1.2). Außerdem wurde der BF für den Zeitraum vom 29.08.2017 bis zum 28.08.2021 als Schriftführer des Vereins „ XXXX “ im Vereinsregister eingetragen. Weiters legte er eine Integrationsbewertung seitens des Vereins XXXX , des Vereins „ XXXX “ sowie des Vereins „ XXXX “ jeweils vom 25.06.2018 vor. Auch eine Bestätigung seitens der XXXX , XXXX vom 03.10.2016 legte der BF vor, weiters zweierlei Bestätigungen seitens des Vereins XXXX vom 16. und 17.06.2018, wobei darin angeführt wurde, dass der BF Obmann des Vereins sei, sowie weiters eine Mitgliedsbestätigung des XXXX vom 24.06.2018 und der XXXX vom 22.06.2018. Überdies legte der BF drei Empfehlungsschreiben vor.

1.2.     Zur individuellen Rückkehrsituation des Beschwerdeführers:

Es existieren keine Umstände, welche einer Abschiebung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich entgegenstünden. Es spricht nichts dafür, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF nach Nigeria eine Verletzung von Art 2, Art 3 oder auch der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention nach sich ziehen würde. Der BF ist auch nicht von willkürlicher Gewalt infolge eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bedroht.

Im Falle einer Rückkehr nach Nigeria ist dem BF nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen.

1.3.    Zu den Feststellungen zur Lage in Nigeria:

Die aktuelle Situation im Herkunftsstaat (Stand 20.05.2020) des BF stellt sich im Wesentlichen wie folgt dar:

Politische Lage

Nigeria ist in 36 Bundesstaaten (ÖB 10.2019; vgl. AA 16.1.2020; GIZ 3.2020a) mit insgesamt 774 LGAs/Bezirken unterteilt (GIZ 3.2020a; vgl. AA 16.1.2020). Jeder der 36 Bundesstaaten wird von einer Regierung unter der Leitung eines direkt gewählten Gouverneurs (State Governor) und eines Landesparlamentes (State House of Assembly) geführt (GIZ 3.2020a; vgl. AA 16.1.2020). Polizei und Justiz werden vom Bund kontrolliert (AA 16.1.2020).

Nigeria ist eine Bundesrepublik mit einem starken exekutiven Präsidenten (Präsidialsystem nach US-Vorbild) (AA 24.5.2019a). Nigeria verfügt über ein Mehrparteiensystem. Die am System der USA orientierte Verfassung enthält alle Attribute eines demokratischen Rechtsstaates (inkl. Grundrechtskatalog, Gewaltenteilung). Dem starken Präsidenten – zugleich Oberbefehlshaber der Streitkräfte – und dem Vizepräsidenten stehen ein aus Senat und Repräsentantenhaus bestehendes Parlament und eine unabhängige Justiz gegenüber. Die Verfassungswirklichkeit wird von der Exekutive in Gestalt des direkt gewählten Präsidenten und von den direkt gewählten Gouverneuren dominiert. Der Kampf um politische Ämter wird mit großer Intensität, häufig auch mit undemokratischen, gewaltsamen Mitteln geführt. Die Justiz ist der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen ausgesetzt (AA 16.1.2020).

Die Parteienzugehörigkeit orientiert sich meist an Führungspersonen, ethnischer Zugehörigkeit und vor allem strategischen Gesichtspunkten. Parteien werden primär als Zweckbündnisse zur Erlangung von Macht angesehen. Politische Führungskräfte wechseln die Partei, wenn sie andernorts bessere Erfolgschancen sehen. Entsprechend repräsentiert keine der Parteien eine eindeutige politische Richtung (AA 16.1.2020). Gewählte Amtsträger setzen im Allgemeinen die von ihnen gemachte Politik um. Ihre Fähigkeit, dies zu tun, wird jedoch durch Faktoren wie Korruption, parteipolitische Konflikte, schlechte Kontrolle über Gebiete des Landes, in denen militante Gruppen aktiv sind, und die nicht offengelegten Gesundheitsprobleme des Präsidenten beeinträchtigt (FH 1.2019).

Bei den Präsidentschaftswahlen am 23.2.2019 wurde Amtsinhaber Muhammadu Buhari im Amt bestätigt (GIZ 3.2020a). Er erhielt 15,1 Millionen Stimmen und siegte in 19 Bundesstaaten, vor allem im Norden und Südwesten der Landes. Sein Herausforderer, Atiku Abubakar, erhielt 11,3 Millionen Stimmen und gewann in 17 Bundesstaaten im Südosten, im Middle-Belt sowie in der Hauptstadt Abuja (GIZ 3.2020a; vgl. BBC 26.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag mit 36 Prozent deutlich niedriger als 2015. Überschattet wurden die Wahlen von gewaltsamen Zwischenfällen mit mindestens 53 Toten. Wahlbeobachter und Vertreter der Zivilgesellschaft kritisierten außerdem Organisationsmängel bei der Durchführung der Wahlen, die Einschüchterung von Wählern sowie die Zerstörung von Wahlunterlagen an einigen Orten des Landes (GIZ 3.2020a). Die Opposition sprach von Wahlmanipulation. Abubakar fechtet das Ergebnis vor dem Obersten Gerichtshof aufgrund von Unregelmäßigkeiten an. Die Aussichten, dass die Beschwerde Erfolg hat, sind gering (GIZ 3.2020a).

Die Nationalversammlung besteht aus zwei Kammern: Senat mit 109 Mitgliedern und Repräsentantenhaus mit 360 Mitgliedern (AA 24.5.2019b). Aus den letzten Wahlen zur Nationalversammlung im Februar 2019 ging die Regierungspartei „All Progressives‘ Congress“ (APC) siegreich hervor. Sie konnte ihre Mehrheit in beiden Kammern der Nationalversammlung vergrößern. Die größte Oppositionspartei, die „People’s Democratic Party“ (PDP) hatte von 1999-2015 durchgehend den Präsidenten gestellt. 2015 musste sie zum ersten Mal in die Opposition und ist durch Streitigkeiten um die Parteiführung seitdem geschwächt (AA 16.1.2020).

Auf subnationaler Ebene regiert die APC in 20 der 36 Bundesstaaten (AA 16.1.2020). Am 9.3.2019 wurden Wahlen für Regionalparlamente und Gouverneure in 29 Bundesstaaten durchgeführt. In den restlichen sieben Bundesstaaten hatten die Gouverneurswahlen bereits in den Monaten zuvor stattgefunden. Auch hier kam es zu Unregelmäßigkeiten und gewaltsamen Ausschreitungen (GIZ 3.2020a). Kandidaten der APC von Präsident Buhari konnten 17 Gouverneursposten gewinnen, jene der oppositionellen PDP 14 (Stears 9.4.2020). Regionalwahlen haben großen Einfluss auf die nigerianische Politik, da die Gouverneure die Finanzen der Teilstaaten kontrollieren und für Schlüsselsektoren wie Gesundheit und Bildung verantwortlich sind (DW 11.3.2019).

Neben der modernen Staatsgewalt haben auch die traditionellen Führer immer noch einen nicht zu unterschätzenden, wenn auch weitgehend informellen Einfluss. Sie gelten als Kommunikationszentrum und moralische Instanz und können wichtige Vermittler in kommunalen und in religiös gefärbten Konflikten sein. Dieser Einfluss wird von der jüngeren Generation aber zunehmend in Frage gestellt (AA 24.5.2019a).

Sicherheitslage

Es gibt in Nigeria keine klassischen Bürgerkriegsgebiete oder -parteien (AA 16.1.2020). Im Wesentlichen lassen sich mehrere Konfliktherde unterscheiden: Jener von Boko Haram im Nordosten; jener zwischen Hirten und Bauern im Middle-Belt; sowie Spannungen im Nigerdelta (AA 16.1.2020; vgl. EASO 11.2018a) und eskalierende Gewalt im Bundesstaat Zamfara (EASO 11.2018a). Außerdem gibt es im Südosten zwischen der Regierung und Igbo-Gruppen, die für ein unabhängiges Biafra eintreten (EASO 11.2018a; vgl. AA 16.1.2020), sowie zwischen Armee und dem Islamic Movement in Nigeria (IMN) Spannungen (EASO 11.2018a). Beim Konflikt im Nordosten handelt es sich um eine grenzüberschreitende jihadistische Insurgenz. Im „Middlebelt“ kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen um knapper werdende Ressourcen zwischen Hirten und Bauern. Bei den Auseinandersetzungen im Nigerdelta geht es sowohl um Konflikte zwischen regionalen militanten Gruppen einerseits und der Staatsgewalt andererseits, als auch um Rivalitäten zwischen unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften. Im Südosten handelt es sich (noch) um vergleichsweise beschränkte Konflikte zwischen einzelnen sezessionistischen Bewegungen und der Staatsgewalt. Die Lage im Südosten des Landes („Biafra“) bleibt jedoch latent konfliktanfällig. IPOB ist allerdings derzeit in Nigeria nicht sehr aktiv (AA 16.1.2020).

In Nigeria können in allen Regionen unvorhersehbare lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe der Konflikte sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser oder ethnischer Art. Insbesondere die Bundesstaaten Zamfara, westl. Taraba und der östl. Teil von Nassarawa, das nördliche Sokoto und die Bundesstaaten Plateau, Kaduna, Benue, Niger, Kebbi sind derzeit von bewaffneten Auseinandersetzungen bzw. innerethnischen Konflikten betroffen. Weiterhin bestimmen immer wieder gewalttätige Konflikte zwischen nomadisierenden Viehzüchtern und sesshaften Farmern sowie gut organisierten Banden die Sicherheitslage. Demonstrationen und Proteste sind insbesondere in Abuja und Lagos, aber auch anderen großen Städten möglich und können zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen. Im Juli/August 2019 forderten diese in Abuja auch wiederholt Todesopfer (AA 16.4.2020).

Das deutsche Auswärtige Amt warnt vor Reisen auf dem Landweg in die nordöstlichen Bundesstaaten Borno, Yobe und Adamawa. Von nicht erforderlichen Reisen in die übrigen Landesteile Nordnigerias, in die Bundesstaaten Sokoto, Katsina und Jigawa wird abgeraten. Von Reisen in die folgenden Bundesstaaten wird abgeraten, sofern diese nicht direkt auf dem Luftweg in die jeweiligen Hauptstädte führen: in Zentral-und Nord-Nigeria Kaduna, Zamfara, Kano und Taraba, in Südnigeria: Ogun, Ondo, Ekiti, Edo, Delta, Bayelsa, Rivers, Imo, Anambra, Enugu, Abia, Ebonyi und Akwa Ibom. Auch von Reisen in die vorgelagerten Küstengewässer, Golf von Guinea, Nigerdelta, Bucht von Benin und Bucht von Bonny, wird abgeraten (AA 16.4.2020).

In den nordöstlichen Landesteilen werden fortlaufend terroristische Gewaltakte, wie Angriffe und Sprengstoffanschläge von militanten Gruppen auf Sicherheitskräfte, Märkte, Schulen, Kirchen und Moscheen verübt (AA 16.4.2020). Das britische Außenministerium warnt vor Reisen nach Borno, Yobe, Adamawa und Gombe, sowie vor Reisen in die am Fluss gelegenen Regionen der Bundesstaaten Delta, Bayelsa, Rivers, Akwa Ibom and Cross River im Nigerdelta, sowie Reisen nach Zamfara näher als 20km zur Grenze mit Niger. Abgeraten wird außerdem von allen nicht notwendigen Reisen in die Bundesstaaten Bauchi, Zamfara, Kano, Kaduna, Jigawa, Katsina, Kogi, Abia, im 20km Grenzstreifen zu Niger in den Bundesstaaten Sokoto und Kebbi, nicht am Fluss gelegene Gebiete von Delta, Bayelsa und Rivers, und Reisen im Bundesstaat Niger im Umkreis von 20km zur Grenze zu den Staaten Kaduna und Zamfara, westlich des Flusses Kaduna (UKFCO 15.4.2020). Gewaltverbrechen sind in bestimmten Gebieten Nigerias ein ernstes Problem, ebenso wie der Handel mit Drogen und Waffen (FH 1.2019).

In der Zeitspanne April 2019 bis April 2020 stechen folgende nigerianische Bundesstaaten mit einer hohen Anzahl an Toten durch Gewaltakte besonders hervor: Borno (2.712), Zamfara (685), Kaduna (589) und Katsina (392). Folgende Bundesstaaten stechen mit einer niedrigen Zahl hervor: Gombe (3), Kebbi (3), Kano (7), Jigawa (7), Kwara (8), Enugu (8) und Ekiti (9) (CFR 2019).

Allgemeine Menschenrechtslage

Die am 29.5.1999 in Kraft getretene Verfassung Nigerias enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog. Dieser ist zum Teil jedoch weitreichenden Einschränkungen unterworfen. Das in Art 33 der Verfassung gewährte Recht auf körperliche Unversehrtheit wird z.B. unter den Vorbehalt gestellt, dass die betroffene Person nicht bei der Anwendung legal ausgeübter staatlicher Gewalt zur „Unterdrückung von Aufruhr oder Meuterei“ ihr Leben verloren hat. In vielen Bereichen bleibt die Umsetzung der zahlreich eingegangenen menschenrechtlichen Verpflichtungen weiterhin deutlich hinter internationalen Standards zurück. Zudem wurden völkerrechtliche Verpflichtungen zum Teil nur lückenhaft in nationales Recht umgesetzt. Einige Bundesstaaten haben Vorbehalte gegen einige internationale Vereinbarungen geltend gemacht und verhindern regional eine Umsetzung. Selbst in Bundesstaaten, welche grundsätzlich eine Umsetzung befürworten, ist die Durchsetzung garantierter Rechte häufig nicht gewährleistet (AA 16.1.2020).

Die Menschenrechtssituation hat sich seit Amtsantritt einer zivilen Regierung 1999 zum Teil erheblich verbessert (AA 24.5.2019a; vgl. GIZ 3.2020), vor allem im Hinblick auf die Freilassung politischer Gefangener und die Presse- und Meinungsfreiheit (GIZ 3.2020). Allerdings kritisieren Menschenrechtsorganisationen den Umgang der Streitkräfte mit Boko Haram-Verdächtigen, der schiitischen Minderheit, Biafra-Aktivisten und Militanten im Nigerdelta. Schwierig bleiben die allgemeinen Lebensbedingungen, die durch Armut, Analphabetismus, Gewaltkriminalität, ethnische Spannungen, ein ineffektives Justizwesen und die Scharia-Rechtspraxis im Norden des Landes beeinflusst werden. Die Gleichstellung von Angehörigen sexueller Minderheiten wird gesetzlich verweigert, homosexuelle Handlungen sind mit schweren Strafen belegt (AA 24.5.2019a). Es gibt viele Fragezeichen hinsichtlich der Einhaltung der Menschenrechte, wie z.B. die Praxis des Scharia-Rechts (Tod durch Steinigung), Entführungen und Geiselnahmen im Nigerdelta, Misshandlungen und Verletzungen durch Angehörige der nigerianischen Polizei und Armee sowie Verhaftungen von Angehörigen militanter ethnischer Organisationen (GIZ 3.2020). Zu den wichtigen Menschenrechtsproblemen gehören zudem u.a. rechtswidrige und willkürliche Tötungen, Verschwindenlassen, Folter und willkürliche Inhaftierung sowie substanzielle Eingriffe in die Rechte auf friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit (USDOS 11.3.2020).

Die in den Jahren 2000/2001 eingeführten strengen strafrechtlichen Bestimmungen der Scharia in zwölf nördlichen Bundesstaaten führten zu Amputations- und Steinigungsurteilen. Die wenigen Steinigungsurteile wurden jedoch jeweils von einer höheren Instanz aufgehoben; auch Amputationsstrafen wurden in den letzten Jahren nicht vollstreckt (AA 16.1.2020; vgl. USDOS 13.3.2019). Menschenrechtsorganisationen mahnen allerdings an, dass die Dunkelziffer gegebenenfalls höher liegen kann (AA 16.1.2020).

Die Regierung bekennt sich ausdrücklich zum Schutz der Menschenrechte, und diese sind auch in der Verfassung als einklagbar verankert. Dessen ungeachtet bleiben viele Probleme ungelöst, wie etwa Armut, Analphabetentum, Gewaltkriminalität, ethnische Spannungen, die Scharia-Rechtspraxis, Entführungen und Geiselnahmen sowie das Problem des Frauen- und Kinderhandels. Daneben ist der Schutz von Leib und Leben der Bürger gegen Willkürhandlungen durch Vertreter der Staatsmacht keineswegs verlässlich gesichert und besteht weitgehend Straflosigkeit bei Verstößen der Sicherheitskräfte und bei Verhaftungen von Angehörigen militanter Organisationen. Das hohe Maß an Korruption auch im Sicherheitsapparat und der Justiz wirkt sich negativ auf die Wahrung der Menschenrechte aus (ÖB 10.2019).

Es setzten sich nigerianische Organisationen wie z.B. CEHRD (Centre for Environment, Human Rights and Development), CURE-NIGERIA (Citizens United for the Rehabilitation of Errants) und HURILAWS (Human Rights Law Services) für die Einhaltung der Menschenrechte in ihrem Land ein. Auch die Gewerkschaftsbewegung Nigeria Labour Congress (NLC) ist im Bereich von Menschenrechtsfragen aktiv (GIZ 3.2020a).

Bewegungsfreiheit

Die Verfassung sowie weitere gesetzliche Bestimmungen gewährleisten Bewegungsfreiheit im gesamten Land sowie Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung. Allerdings schränken Sicherheitsbeamte die Bewegungsfreiheit durch Ausgangssperren ein, vor allem in Gebieten, in denen es Terroranschläge oder ethnisch motivierte Gewalt gibt. Dies betrifft aufgrund der Operationen gegen Boko Haram und ISIS-WA v.a. die Bundesstaaten Adamawa, Borno und Yobe. Auch in anderen Bundesstaaten kommt es in Reaktion auf gewaltsame Auseinandersetzungen in ländlichen Regionen mitunter zu Ausgangssperren. Bei Operationen von Sicherheitskräften in Städten und an Hauptverkehrsstraßen werden gelegentlich Checkpoints eingerichtet. Zahlreiche von Militär und Polizei betriebene Checkpoints bleiben aufrecht (USDOS 11.3.2020).

Bürger dürfen sich in jedem Teil des Landes niederlassen (USDOS 11.3.2020). Grundsätzlich besteht in den meisten Fällen die Möglichkeit, staatlicher Verfolgung, Repressionen Dritter sowie Fällen massiver regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen (AA 16.1.2020). Prinzipiell sollte es einer Person, die von nicht-staatlichen Akteuren verfolgt wird oder die sich vor diesen fürchtet, in einem großen Land wie Nigeria möglich sein, eine interne Relokation in Anspruch zu nehmen. Natürlich müssen die jeweiligen persönlichen Umstände beachtet werden (UKHO 3.2019).

In den vergangenen Jahrzehnten hat durch Wanderungsbewegungen und interethnische Ehen eine fortgesetzte Durchmischung der Wohnbevölkerung auch der „Kern“-Staaten der drei Hauptethnien (Hausa-Fulani, Yoruba, Igbo) stattgefunden. So ist insbesondere eine starke Nord-Süd-Wanderung feststellbar, wodurch Metropolen wie Lagos heute weitgehend durchmischt sind. Es bestehen daher innerstaatliche Fluchtalternativen (ÖB 10.2019). Ein innerstaatlicher Umzug kann allerdings mit gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein, wenn sich Einzelpersonen an einen Ort begeben, an dem keine Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder der Dorfgemeinschaft leben. Angesichts der Wirtschaftslage, ethnischem Ressentiment und der Bedeutung großfamiliärer Bindungen in der Gesellschaft ist es für viele Menschen schwer, an Orten ohne ein bestehendes soziales Netz erfolgreich Fuß zu fassen. Für alleinstehende Frauen besteht zudem die Gefahr, bei einem Umzug in die Großstadt von der eigenen Großfamilie keine wirtschaftliche Unterstützung mehr zu erhalten (AA 16.1.2020).

Bundesstaats- und Lokalregierungen diskriminieren regelmäßig ethnische Gruppen, die in ihrem Gebiet nicht einheimisch sind. Dies nötigt gelegentlich Personen dazu, in jene Regionen zurückzukehren, aus denen ihre ethnische Gruppe abstammt, obwohl sie dort über keine familiäre Bindung mehr verfügen (USDOS 11.3.2020).

Für Überlandfahrten stehen mehrere Busunternehmen zur Verfügung, so z.B. ABC Transport, Cross Country Limited, Chisco und GUO Transport. Die Busse bieten Komfort, sind sicher, fahren planmäßig und kommen i.d.R. pünktlich am Zielort an. Die nigerianische Eisenbahn gilt als preisgünstiges, aber unzuverlässiges Transportmittel. Günstige Inlandflüge zwischen den Städten werden von mehreren nigerianischen Fluggesellschaften angeboten. Um innerhalb einer der Städte Nigerias von einem Ort zum anderen zu gelangen, stehen Taxis, Minibusse, Dreirad, die Keke und Motorradtaxis, die Okada genannt werden, zur Verfügung (GIZ 3.2020d).

Meldewesen

Ein Meldewesen ist nicht vorhanden (ÖB 10.2019; vgl. AA 16.1.2020; EASO 24.1.2019), wie u.a. zahlreiche Quellen bei EASO angeben. Nur eine Quelle behauptet, dass es eine Art Meldewesen gibt. Es bestehen gesetzliche Voraussetzungen, damit Bundesstaaten ein Meldewesen einrichten können. Bislang hat lediglich der Bundesstaat Lagos davon Gebrauch gemacht (EASO 24.1.2019). Auch ein funktionierendes nationales polizeiliches Fahndungssystem existiert nicht. Daraus resultiert, dass eine Ausforschung einmal untergetauchter Personen kaum mehr möglich ist. Das Fehlen von Meldeämtern und bundesweiten polizeilichen Fahndungsbehörden ermöglicht es in den allermeisten Fällen, bereits in der näheren Umgebung unterzutauchen (ÖB 10.2019).

Im Sheriffs and Civil Process Act Chapter 407, Laws of the Federation of Nigeria 1990 sind Ladungen vor Gericht geregelt. Der Sheriff oder von ihm bestellte Bailiffs müssen die Ladungen in ganz Nigeria persönlich zustellen (ÖB 10.2019).

Grundversorgung

Die nigerianische Wirtschaft hat sich 2017 allmählich aus der schlimmsten Rezession seit 25 Jahren erholt, das BIP ist um 0,55 Prozent gestiegen. Mehrere Faktoren haben dazu beigetragen, dass sich die nigerianische Wirtschaft seit Ende 2017 allmählich wieder erholt, unter anderem eine Steigerung der Erdölförderleistung, die Erholung des Erdölpreises und eine verbesserte Leistung von Landwirtschaft und Dienstleistungssektor (GIZ 3.2020c). 2018 wurde ein Wachstum von 1,9 Prozent erreicht (AA 24.5.2019c).

Etwa 80 Prozent der Gesamteinnahmen Nigerias stammen aus der Öl- und Gasförderung (AA 16.1.2019). Neben Erdöl verfügt das Land über z.B. Zinn, Eisen-, Blei- und Zinkerz, Kohle, Kalk, Gesteine, Phosphat – gesamtwirtschaftlich jedoch von geringer Bedeutung (GIZ 3.2020c). Von Bedeutung sind hingegen der (informelle) Handel und die Landwirtschaft, welche dem größten Teil der Bevölkerung eine Subsistenzmöglichkeit bieten (AA 16.1.2020). Der Industriesektor (Stahl, Zement, Düngemittel) machte 2016 ca. 20 Prozent des BIP aus. Neben der Verarbeitung von Erdölprodukten werden Nahrungs- und Genussmittel, Farben, Reinigungsmittel, Textilien, Brennstoffe, Metalle und Baumaterial produziert. Industrielle Entwicklung wird durch die unzureichende Infrastruktur (Energie und Transport) behindert (GIZ 3.2020c). Vor allem im Bereich Stromversorgung und Transport ist die Infrastruktur weiterhin mangelhaft und gilt als ein Haupthindernis für die wirtschaftliche Entwicklung (AA 24.5.2019c).

Über 60 Prozent (AA 24.5.2019c) bzw. nach anderen Angaben über 70 Prozent (GIZ 3.2020c) der Nigerianer sind in der Landwirtschaft beschäftigt. Der Agrarsektor wird durch die Regierung Buhari stark gefördert. Dadurch hat etwa der Anteil an Großfarmen zugenommen (GIZ 3.2020c; vgl. AA 24.5.2019c). Die unterentwickelte Landwirtschaft ist jedoch nicht in der Lage, den inländischen Nahrungsmittelbedarf zu decken (AA 24.5.2019c). Das Land ist nicht autark, sondern auf Importe – v.a. von Reis – angewiesen (ÖB 10.2019). Über 95 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion kommt von kleinen Anbauflächen – in der Regel in Subsistenzwirtschaft (AA 24.5.2019c). Historisch war Lebensmittelknappheit in fast ganz Nigeria aufgrund des günstigen Klimas und der hohen agrarischen Tätigkeit so gut wie nicht existent. In einzelnen Gebieten im äußersten Norden (Grenzraum zu Niger) gestaltet sich die Landwirtschaft durch die fortschreitende Desertifikation allerdings schwierig. Experten schließen aufgrund der Wetterbedingungen, aber auch wegen der Vertreibungen als Folge der Attacken durch Boko Haram Hungerperioden für die nördlichen, insbesondere die nordöstlichen Bundesstaaten nicht aus. In Ernährungszentren nahe der nördlichen Grenze werden bis zu 25 Prozent der unter fünfjährigen Kinder wegen starker Unterernährung behandelt. Aufgrund fehlender Transportmöglichkeiten verrotten bis zu 40 Prozent der Ernten (ÖB 10.2019).

Die Prozentsätze der Unterernährung haben sich in den nördlichen Staaten im Vergleich zu 2015 verbessert und liegen nun unter der Alarmschwelle von 10 Prozent. Gemäß Schätzungen von UNICEF unterliegen zwei Millionen Kinder unter fünf Jahren in Nordnigeria einem hohen Risiko von schwerer akuter Unterernährung (ÖB 10.2019).

Die Einkommen sind in Nigeria höchst ungleich verteilt (BS 2020; vgl. GIZ 3.2020b). Über 80 Prozent der ca. 190 Millionen Nigerianer leben unterhalb der Armutsgrenze - Tendenz steigend (GIZ 3.2020c). 48 Prozent der Bevölkerung Nigerias bzw. 94 Millionen Menschen leben in extremer Armut mit einem Durchschnittseinkommen von unter 1,90 US-Dollar pro Tag (ÖB 10.2019). Die Armut ist in den ländlichen Gebieten größer als in den städtischen Ballungsgebieten (GIZ 3.2020b). Mietkosten, Zugang zu medizinischer Versorgung, Lebensmittelpreise variieren ebenfalls nicht nur von Bundesstaat zu Bundesstaat, sondern auch regional/ethnisch innerhalb jedes Teilstaates (ÖB 10.2019).

Die Arbeitslosigkeit ist hoch, bei den Jugendlichen im Alter von 15 bis 35 wird sie auf über 50 Prozent geschätzt (GIZ 3.2020b). Offizielle Statistiken über Arbeitslosigkeit gibt es aufgrund fehlender sozialer Einrichtungen und Absicherung nicht. Geschätzt wird sie auf 20 bis 45 Prozent – in erster Linie unter 30-jährige – mit großen regionalen Unterschieden. Die Chancen, einen sicheren Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst, staatsnahen Betrieben oder Banken zu finden, sind gering, außer man verfügt über eine europäische Ausbildung und vor allem über Beziehungen (ÖB 10.2019). Verschiedene Programme auf Ebene der Bundesstaaten aber auch der Zentralregierung zielen auf die Steigerung der Jugendbeschäftigung ab (ÖB 10.2019; vgl. BS 2020).

Der Mangel an lohnabhängiger Beschäftigung führt dazu, dass immer mehr Nigerianer in den Großstädten Überlebenschancen im informellen Wirtschaftssektor als "self-employed" suchen. Die Massenverelendung nimmt seit Jahren bedrohliche Ausmaße an (GIZ 3.2020b).

Die Großfamilie unterstützt in der Regel beschäftigungslose Angehörige (ÖB 10.2019). Generell wird die Last für Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung vom Netz der Großfamilie und vom informellen Sektor getragen (BS 2020). Allgemein kann festgestellt werden, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2019).

Nur Angestellte des öffentlichen Dienstes, des höheren Bildungswesens sowie von staatlichen, teilstaatlichen oder großen internationalen Firmen genießen ein gewisses Maß an sozialer Sicherheit. Eine immer noch geringe Anzahl von Nigerianern (acht Millionen) ist im Pensionssystem (Contributory Pension Scheme) registriert (BS 2020).

Programme zur Armutsbekämpfung gibt es sowohl auf Länderebene als auch auf lokaler Ebene. Zahlreiche NGOs im Land sind in den Bereichen Armutsbekämpfung und Nachhaltige Entwicklung aktiv. Frauenorganisationen, von denen Women In Nigeria (WIN) die bekannteste ist, haben im traditionellen Leben Nigerias immer eine wichtige Rolle gespielt. Auch Nigerianer, die in der Diaspora leben, engagieren sich für die Entwicklung in ihrer Heimat (GIZ 3.2020c).

Die täglichen Lebenshaltungskosten differieren regional zu stark, um Durchschnittswerte zu berichten. Verdienstmöglichkeiten für Rückkehrerinnen: Eine der Berufsmöglichkeiten für Rückkehrerinnen ist die Eröffnung einer mobilen Küche für „peppersoup“, „garri“ oder „pounded yam“, für die man lediglich einen großen Kochtopf und einige Suppenschüsseln benötigt. Die Grundausstattung für eine mobile Küche ist für einen relativ geringen Betrag erhältlich. Hauptsächlich im Norden ist auch der Verkauf von bestimmten Holzstäbchen zur Zahnhygiene eine Möglichkeit, genügend Einkommen zu erlangen. In den Außenbezirken der größeren Städte und im ländlichen Bereich bietet auch „mini-farming“ eine Möglichkeit, selbständig erwerbstätig zu sein. Schneckenfarmen sind auf 10 m² Grund einfach zu führen und erfordern lediglich entweder das Sammeln der in Nigeria als „bushmeat“ gehandelten Wildschnecken zur Zucht oder den Ankauf einiger Tiere. Ebenso werden nun „grasscutter“ (Bisamratten-ähnliche Kleintiere) gewerbsmäßig in Kleinkäfigen als „bushmeat“ gezüchtet. Großfarmen bieten Tagesseminare zur Aufzucht dieser anspruchslosen und sich rasch vermehrenden Tiere samt Verkauf von Zuchtpaaren an. Rascher Gewinn und gesicherte Abnahme des gezüchteten Nachwuchses sind gegeben. Schnecken und „grasscutter“ finden sich auf jeder Speisekarte einheimischer Lokale. Für handwerklich geschickte Frauen bietet auch das Einflechten von Kunsthaarteilen auf öffentlichen Märkten eine selbständige Erwerbsmöglichkeit. Für den Verkauf von Wertkarten erhält eine Verkäuferin wiederum pro 1.000 Naira Wert eine Provision von 50 Naira. Weiters werden im ländlichen Bereich Mobiltelefone für Gespräche verliehen; pro Gespräch werden 10 Prozent des Gesprächspreises als Gebühr berechnet (ÖB 10.2019).

Im Jahr 2019 benötigten von der Gesamtbevölkerung von 13,4 Millionen Menschen, die in den Staaten Borno, Adamawa und Yobe leben, schätzungsweise 7,1 Millionen Menschen humanitäre Hilfe. Von den auf Hilfe Angewiesenen (7,1 Millionen) sind schätzungsweise 80 Prozent Frauen und Kinder (IOM 17.3.2020).

Rückkehr

Generell kann kein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen festgestellt werden, welcher geeignet wäre, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die allgemein herrschende Situation in Nigeria stellt keine Bedrohung i.S.v Art 2 MRK, 3 MRK oder des Protokolls Nr. 6 oder 13 der EMRK dar. Außerdem kann allgemein festgestellt werden, dass eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2019).

Abschiebungen erfolgen auf dem Luftweg, in Linien- oder Chartermaschinen. Rückführungen aus EU-Staaten erfolgen meist durch Charterflüge, die auch durch FRONTEX durchgeführt werden (AA 16.1.2020). Die österreichische Botschaft in Abuja unterstützt regelmäßig die Vorbereitung und Durchführung von Joint Return Operations (JROs) gemeinsam mit FRONTEX (ÖB 10.2019). Ohne gültigen nigerianischen Pass oder einen von einer nigerianischen Botschaft ausgestellten vorläufigen Reiseausweis ist eine Einreise aus Europa kommender nigerianischer Staatsangehöriger nicht möglich. Dies gilt auch für zwangsweise Rückführungen (AA 16.1.2020).

Erkenntnisse darüber, ob abgelehnte Asylbewerber bei Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Beantragung von Asyl mit staatlichen Repressionen zu rechnen haben, liegen nicht vor. Verhaftung aus politischen Gründen oder andere außergewöhnliche Vorkommnisse bei der Einreise von abgeschobenen oder freiwillig rückkehrenden Asylwerbern sind nicht bekannt (AA 16.1.2020). Die Erfahrungen mit den JROs seit dem Jahre 2005 lassen kaum Probleme erkennen (ÖB 10.2019). Abgeschobene Personen werden im Allgemeinen nach ihrer Ankunft in Lagos von der zuständigen Behörde (Nigerian Immigration Service), manchmal auch von der NDLEA (National Drug Law Enforcement Agency) befragt (AA 16.1.2020) bzw. erkennungsdienstlich behandelt (ÖB 10.2019) und können danach das Flughafengelände unbehelligt verlassen (AA 16.1.2020; vgl. ÖB 10.2019). Meist steigen sie in ein Taxi ein oder werden von ihren Familien abgeholt. Es kann jedoch nicht mit gänzlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die abgeschobenen Personen keine weiteren Probleme mit den Behörden haben. Das fehlende Meldesystem in Nigeria lässt allerdings darauf schließen, dass nach Verlassen des Flughafengeländes eine Ausforschung Abgeschobener kaum mehr möglich ist (ÖB 10.2019).

Wegen Drogendelikten im Ausland verurteilte Nigerianer werden nach Rückkehr an die NDLEA überstellt. Ein zweites Strafverfahren in Nigeria wegen derselben Straftat haben diese Personen jedoch trotz anderslautender Vorschriften im „Decree 33“ nicht zu befürchten (AA 16.1.2020). Aus menschenrechtlichen Erwägungen wird gegenüber nigerianischen Behörden als Grund für Abschiebungen stets „overstay“ angegeben, da dieser kein strafrechtliches Delikt darstellt (ÖB 10.2019).

Staatliche oder sonstige Aufnahmeeinrichtungen für zurückkehrende unbegleitete Minderjährige sind in Lagos und anderen Landesteilen grundsätzlich vorhanden. Sie sind jedoch in schlechtem Zustand, so dass z.B. die Angebote nicht bekannt sind oder eine ausreichende Versorgung dort nicht ohne weiteres gewährleistet ist. Internationale Akteure bemühen sich, neue Rückkehrer- bzw. Migrationsberatungszentren aufzubauen. Eine entsprechende Einrichtung von IOM in Benin-City, Edo State, wurde 2018 eröffnet. Gleichermaßen haben im Herbst 2018 in Lagos, Abuja und Benin City Migrationsberatungszentren der GIZ ihren Betrieb aufgenommen. Gemeinsam mit dem nigerianischen Arbeitsministerium wird dort über berufliche Perspektiven in Nigeria informiert (AA 16.1.2020).

2. Beweiswürdigung:

Der erkennende Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

2.1.    Zum Verfahrensgang

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes samt Vorakt.

2.2.    Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des BF vor dieser, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz samt Beschwerdeergänzung, in das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Nigeria (Stand 20.05.2020) und in den Vorakt. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister, dem Zentralen Fremdenregister sowie ein Sozialversicherungsdatenauszug wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt. Zudem wurde der BF am 25.08.2020 in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht einvernommen, ebenso die Zeugin R.E.

2.3.    Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen ergeben sich aus den diesbezüglichen glaubhaften Angaben des BF im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde (Protokoll vom 18.10.2018, AS 489) und der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (Protokoll vom 25.08.2020, S 4 f). Dass der BF nigerianischer Staatsangehöriger ist, ergibt sich überdies aus dem auf den BF ausgestellten Heimreisezertifikat vom 12.12.2019 seitens des nigerianischen Konsulats. Da der BF den österreichischen Behörden keine identitätsbezeugenden Dokumente vorlegen konnte und ihm auch kein nigerianischer E-Reisepass ausgestellt wurde, steht seine Identität nicht zweifelsfrei fest.

Der Verlauf des Asylverfahrens des BF ergibt sich aus dem Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister sowie dem unstrittigen Akteninhalt. Hinsichtlich seiner melderechtlichen Erfassung gilt es, auf einen aktuellen Auszug aus dem Zentralen Melderegister zu verweisen, ebenso hinsichtlich seines Verbleibens im Bundesgebiet. Der BF führte im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde auf die Frage, weshalb er nicht seiner Verpflichtung zur freiwilligen Ausreise nachgekommen sei, selbst aus, nicht nach Nigeria zurückkehren zu wollen (Protokoll vom 18.10.2018, AS 491). Hinsichtlich der Verweigerung der Mitarbeit sowie Unterschrift in Zusammenhang mit einem Rückübernahmeersuchen im November 2016 gilt es, auf die Bemerkungen im Rückübernahmeersuchen vom 14.11.2016 zu verweisen (AS 11 des Fremdenaktes). Dass der BF bei der nigerianischen Botschaft einen „Antrag“ auf Abstandnahme der fremdenrechtlichen Maßnahmen vorgelegt hat, ergibt sich aus einer E-Mail-Korrespondenz mit dem Referat B/II/1, Rückkehrvorbereitung vom August 2017 (AS 195 f). Hinsichtlich des Scheiterns der Ausstellung eines nigerianischen E-Reisepasses gilt es, auf das Schriftstück der nigerianischen Delegation vom 08.01.2018 zu verweisen, welches die Information beinhaltete, dass der BF nicht die Voraussetzungen zur Ausstellung eines nigerianischen E-Reisepasses erfüllt (AS 219).

Der Umstand, dass der BF gesund ist, ergibt sich aus dessen Angaben vor dem erkennenden Richter, wo der BF ausgeführt hat, an keinen chronischen Krankheiten oder andere Leiden oder Gebrechen zu leiden (Protokoll vom 25.08.2020, S 3). Auch aus dem unstrittigen Verwaltungsakt ergeben sich keine gegenteiligen Hinweise. Daraus ergibt sich auch die Feststellung zur Arbeitsfähigkeit des BF, überdies vermag der BF auch (illegal) Malerarbeiten, Tätigkeiten in Zusammenhang mit der Erstellung von Postern und Flyern sowie weiters Moderationstätigkeiten zu verrichten (Protokoll vom 25.08.2020, S 3). Dass der BF keine Leistungen aus der Grundversorgung bezieht, ergibt sich aus dem Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem. Hinsichtlich dem Bestreiten des Lebensunterhalts des BF und seiner Familie gilt es, auf die Ausführungen des BF vor der belangten Behörde (Protokoll vom 18.10.2018, AS 489) und dem erkennenden Gericht (Protokoll vom 25.08.2020, S 5) zu verweisen, hinsichtlich dem Nichtnachgehen einer legalen Tätigkeit in Österreich auf einen aktuellen Sozialversicherungsdatenauszug zur Person des BF. Der Umstand, dass der BF in Nigeria Mikrobiologie studiert und als Lehrer gearbeitet hat, ergibt sich aus dessen Angaben vor der belangten Behörde (Protokoll vom 18.10.2018, AS 491) und dem erkennenden Gericht (Protokoll vom 25.08.2020, S 9).

Dass es sich bei der Lebensgefährtin des BF um eine nigerianische Staatsangehörige handelt, ergibt sich unstrittig aus dem Verwaltungsakt und ihren Angaben vor dem erkennenden Richter (Protokoll vom 25.08.2020, S 15). Der Umstand, dass der BF mit seiner nigerianischen Lebensgefährtin drei gemeinsame Kinder hat, ergibt sich aus den Angaben des BF im Zuge seiner Antragstellung gemäß § 55 Abs 1 AsylG (AS 295) und den im Zuge des Verwaltungsverfahrens vorgelegten Geburtsurkunden, aus denen auch die nigerianische Staatsangehörigkeit der Kinder hervorgeht (AS 433 ff sowie Vorlage im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung hinsichtlich dem letztgeborenen Kind). Dass seine Lebensgefährtin und die Kinder über aufrechte Aufenthaltstitel in Form der Rot-Weiß-Rot-Karte plus verfügen, ergibt sich aus dem IZR. Die Feststellungen zum Leben im gemeinsamen Haushalt hinsichtlich des BF und der R.E. samt den Zeiten der Strafhaft des BF lassen sich den jeweiligen Auszügen aus dem Zentralen Melderegister entnehmen.

Hinsichtlich der Feststellung zum telefonischen Kontakt mit dem in Nigeria aufhältigen 13-jährigen Sohn und zu anderen in Nigeria aufhältigen Personen über moderne Medien wird auf die Ausführungen des BF im Zuge seiner mündlichen Beschwerdeverhandlung verwiesen (Protokoll vom 25.08.2020, S 10).

Die Verurteilungen des BF ergeben sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich zu seiner Person. Hinsichtlich seiner ersten Verurteilung gilt es, auf die Ausführungen des BF vor dem erkennenden Richter zu verweisen (Protokoll vom 25.08.2020, S 7), hinsichtlich der Gründe seiner zweiten Verurteilung wird auf das gekürzte Urteil des LG XXXX zu XXXX vom 08.04.2019 verwiesen, ebenso hinsichtlich der Milderungs- und Erschwernisgründe. Hinsichtlich der positiven Rückmeldung seitens des Vereins Neustart wird auf die diesbezügliche Stellungnahme vom 11.08.2020 verwiesen.

Die Feststellung zum am 22.12.2016 positiv absolvierten ÖIF-Deutsch-Test ergibt sich aus der diesbezüglich vorgelegten Urkunde (AS 367), entsprechende Urkunden liegen ebenso hinsichtlich der absolvierten Deutschkurse samt Aufstiegsberechtigung zum Kursniveau B1.2 vor (AS 369, 371 und 497). Die Funktion des BF als Schriftführer des Vereins „ XXXX “ ergibt sich aus einem vom BF mit Stichtag 03.11.2017 vorgelegten Vereinsregisterauszug und ist diese Eintragung auch nach wie vor aktuell (Vereinsregisterauszug vom 07.09.2020).

2.4.    Zur individuellen Rückkehrsituation des Beschwerdeführers:

Der BF brachte vor der belangten Behörde vor, er habe hier [in Österreich] bessere Chancen als in Nigeria. […] Ein Leben in Nigeria sei für ihn wie Selbstmord. Es gebe in Nigeria keine Chance für ihn und er wisse nicht, was mit seiner Familie passiere. Die Gründe für seinen Asylantrag würden seine Probleme in Nigeria darstellen. Er wisse nicht, was passieren würde, wenn er nach Nigeria zurückkehren würde (Protokoll vom 18.10.2018, AS 487 ff).

Vor dem erkennenden Gericht brachte der BF hinsichtlich einer Rückkehr nach Nigeria vor, er habe keinen Plan hinsichtlich einer Rückkehr nach Nigeria, könne seine diesbezüglichen Gefühle gar nicht beschreiben, es wäre verheerend (Protokoll vom 25.08.2020, S 10 f).

Wenn der BF sich auf die Gründe seines Asylantrages beruft, so gilt es anzumerken, dass dieser mit Bescheid vom 05.03.2014, Zl. XXXX negativ entschieden wurde und dieser Bescheid auch seitens des Bundesverwaltungsgerichtes aufgrund des unglaubhaften Vorbringens mit Erkenntnis vom 28.10.2016, GZ: I405 2005400-1/11E, bestätigt und die Beschwerde des BF als unbegründet abgewiesen wurde.

Aus dem rechtskräftig negativ entschiedenen Asylverfahren sowie den unsubstantiierten Ausführungen des BF vor der belangten Behörde und dem erkennenden Gericht ergibt sich, dass der BF keiner asylrelevanten Verfolgung und auch keiner wie auch immer gearteten existenziellen Bedrohung in Nigeria ausgesetzt sein wird. Es spricht nichts dafür, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF nach Nigeria eine Verletzung von Art 2, Art 3 oder auch der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention nach sich ziehen würde. Der BF ist auch nicht von willkürlicher Gewalt infolge eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bedroht und brachte der BF nichts substantiiert vor, was einer Rückkehrentscheidung nach Nigeria betreffend seine Person entgegenstünde.

Im Falle einer Rückkehr nach Nigeria ist dem BF nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen.

2.5.    Zum Herkunftsstaat:

Zu den zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat ausgewählten Quellen wird angeführt, dass es sich hierbei um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen, sowohl staatlichen als auch nicht-staatlichen Ursprungs handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten, von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen, diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um kritische Sachverhalte geht, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteinahme unterstellt werden kann. Zudem werden auch Quellen verschiedener Menschenrechtsorganisationen herangezogen, welche oftmals das gegenteilige Verhalten aufweisen und so gemeinsam mit den staatlich-diplomatischen Quellen ein abgerundetes Bild ergeben. Bei Berücksichtigung dieser Überlegungen hinsichtlich des Inhaltes der Quellen, ihrer Natur und der Intention der Verfasser, handelt es sich nach Ansicht des erkennenden Gerichts bei den Feststellungen um ausreichend ausgewogenes und aktuelles Material (vgl. VwGH, 07.06.2000, Zl. 99/01/0210).

Der BF trat den Quellen und deren Kernaussagen im Beschwerdeverfahren auch nicht substantiiert entgegen. Wenn der BF anführt, er glaube, in Nigeria keine Zukunft zu haben, die Situation werde jeden Tag schlechter und die Unsicherheit nehme zu, es sei in Bezug auf Sicherheit, Politik und Wirtschaft um das Land nicht gut bestellt und er habe erst kürzlich von Morden im Süden Kadunas gehört (Protokoll vom 25.08.2020, S 11), so ist auf die unter Punkt II. 1.3. angeführten Länderfeststellungen zu verweisen, welche allgemein schlechtere Verhältnisse (im Vergleich zu Österreich) gar nicht in Abrede stellen. Sie entfalten jedoch hinsichtlich der Rückkehrentscheidung des BF keinerlei Relevanz, da sich aus den Länderfeststellungen insgesamt ergibt, dass in Nigeria für die Masse der Bevölkerung nicht im gesamten Staatsgebiet jene gemäß der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte geforderte Exzeptionalität der Umstände vorliegt, welche die Rückkehr eines Fremden automatisch im Widerspruch zu Art 2 oder Art 3 EMRK erscheinen lässt (vgl. dazu VwGH vom 21. August 2001, 2000/01/0043). Wie sich aus den Länderfeststellungen ergibt, wird eine nach Nigeria abgeschobene Person, bei welcher keine besonders berücksichtigungswürdigen Umstände vorliegen, durch eine Rückkehr nicht automatisch in eine "unmenschliche Lage" versetzt und liegen solche beim BF auch nicht vor.

Die obgenannten Länderfeststellungen konnten daher der gegenständlichen Entscheidung bedenkenlos zugrunde gelegt werden.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde

3.1.    Zur Abweisung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Artikel 8 EMRK (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

3.1.1.  Rechtslage

Gemäß § 55 Abs 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist (Z 1) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird (Z 2). Gemäß § 55 Abs 2 AsylG ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs 1 Z 1 vorliegt.

Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art 8 Abs 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

3.1.2   Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten