TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/6 I416 2168282-2

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Veröffentlicht am 06.10.2020
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Entscheidungsdatum

06.10.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §8
AVG §68 Abs1
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I416 2168282-2/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Alexander BERTIGNOL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. ALGERIEN, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 15.09.2020, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Algerien, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen ins Bundesgebiet ein und stellte am 26.04.2017 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz. In Folge entzog sich der Beschwerdeführer seinem Verfahren. Im Zuge einer Identitätsfeststellung am 11.06.2017 gab der Beschwerdeführer an, dass er Staatsangehöriger von Libyen sei.

2.       Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme am 13.06.2017 gab der Beschwerdeführer den im Spruch genannten Namen sowie das dort genannte Geburtsdatum an, als seine Staatsbürgerschaft jedoch die algerische, er habe zuvor wissentlich eine falsche Staatsbürgerschaft angegeben, da ihm ein marokkanischer Staatsangehöriger gesagt habe, er solle nicht sagen, dass er aus Algerien komme. Seinen Herkunftsstaat habe er wegen familiären Problemen verlassen, die Onkel seiner Mutter hätten ihn aus seiner Unterkunft „rausschmeißen“ wollen. Probleme mit der Polizei oder den algerischen Behörden habe er nicht gehabt. Er habe in Algerien drei Jahre lang die Grundschule besucht, jedoch nicht dort gearbeitet. Er sei ledig und habe in Österreich oder dem EU-Raum keine Angehörigen. Der Beschwerdeführer verneinte die Fragen nach einer asylrelevanten Verfolgung seiner selbst oder seiner Angehörigen im Herkunftsstaat. Gesundheitlich gehe es ihm gut.

3.       Mit Bescheid vom 18.07.2017, Zl. XXXX wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 26.04.2017 gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Ziffer 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Ziffer 13 AsylG in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Algerien (Spruchpunkt II.) ab, erteilte ihm einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht, erließ gemäß § 10 Abs. 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Ziffer 2 FPG, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Algerien zulässig ist (Spruchpunkt III.), bestimmte, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt IV), erkannte einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 1 Ziffer 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt V.) und stellte fest, dass der Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 2 Z 3 AsylG sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 17.07.2017 verloren hat (Spruchpunkt VI.).

4.       Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 23.10.2017, Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen teils vollendeter und teils versuchter Vergehen nach dem Suchtmittel zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten davon sechs Monate bedingt unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren rechtskräftig verurteilt.

5.       Die gegen den Bescheid vom 18.07.2017, Zl. XXXX , erhobene Beschwerde, wurde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.12.2017, Zl. I406 2168282-1/18E als unbegründet abgewiesen.

6.       Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 28.05.2019, Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen dem Vergehen der Urkundenfälschung und dem Vergehen der Fälschung besonders geschützter Urkunden, sowie dem Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften und dem Verbrechen der Vorbereitung von Suchtgifthandel und dem Verbrechen des Suchtgifthandels zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten verurteilt und die Probezeit seiner ersten Verurteilung auf insgesamt fünf Jahre verlängert.

7.       Am 6.9.2019 stellte der Beschwerdeführer in Antrag auf Ausstellung einer Karte für Geduldete, der mit Bescheid der belangten Behörde vom 26.9.2019, Zl. XXXX abgewiesen wurde und in Rechtskraft erwachsen ist.

8.       Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.09.2019, Zahl: XXXX erteilte dieses dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt I.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt II.) und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Algerien zulässig ist (Spruchpunkt III.). Des Weiteren verhängte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl über den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt IV.) und erkannte einer Beschwerde gegen ihre Entscheidung die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt III.). Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

9.       Der Beschwerdeführer wurde am 28.07.2020 bedingt unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren aus der Strafhaft entlassen. Über den Beschwerdeführer wurde unmittelbar nach seiner Haftentlassung die Schubhaft verhängt.

10.      Am 21.8.2020 stellte der Beschwerdeführer aus dem Stande der Schubhaft verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes führte er befragt zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen aus, dass er zusammen mit seinem Vater und seiner Mutter in Algerien in einem Haus gelebt habe, als sein Vater gestorben sei, habe ihn seine Mutter der Nachbarin, die im selben Haus gewohnt habe übergeben und sei nach Libyen gezogen. Zum damaligen Zeitpunkt sei er fünf Jahre alt gewesen. 2017 habe ihn seine Mutter zu sich nach Libyen mitnehmen wollen, sie sei mittlerweile neu verheiratet und habe ein Kind mit ihrem neuen Mann. Der Stiefvater habe ihn jedoch nicht in die Familie aufnehmen wollen, weshalb seine Mutter und sein Stiefvater beschlossen hätten, ihn nach Italien zu schicken. Gefragt, was er befürchte, wenn er nach Algerien zurückkehren müsse, gab er wörtlich an: „Wenn ich nachher gern zurückgeschickt werde, werde ich mich umbringen ich habe nichts in Algerien.“ Auf die Frage, seit wann ihm die Änderung der Situation/seiner Fluggründe bekannt sei, gab er wörtlich an: „Bei meiner ersten Befragung wollte ich alles schnell erledigen da mir der Polizist nicht sympathisch war, daher sagte ich bei der Einvernahme irgendetwas.“

11.       Am 3.9.2020 wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Zu seinen persönlichen Lebensumständen gab er an, dass er gesund sei, dass er seit seiner Kindheit eine leichte Allergie habe und dass er weder in Österreich noch in der EU Verwandte habe, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bzw. eine besonders enge Beziehung bestehen würde. Befragt, ob er sich noch an seine Einvernahmen des vorangegangenen rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens erinnern könne, gab der Beschwerdeführer wörtlich zu Protokoll: „Nein, ich weiß nicht mehr, was ich gesagt habe. Ich war müde und wollte schlafen.“ Auf die Frage, ob sich seit dem 15.12.2017 etwas an seinem Fluchtgrund geändert habe, führte der Beschwerdeführer wörtlich aus: „Nein, ich habe nach wie vor dieselben Gründe, welche ich hatte als ich ausgereist bin, ich habe diese auch letzte Woche bei der Einvernahme vor der Polizei bereits angegeben. Die sind auch die einzig wahren Gründe.“ Bekannt seien ihm diese Fluchtgründe schon vor seiner Ausreise gewesen. Auf Vorhalt, warum er diese Gründe nicht bereits im letzten Verfahren angegeben habe, gab er wörtlich an: „Der Polizist war sehr aufgebracht und mir wurde von anderen Leuten gesagt, dass ich irgendetwas erzählen soll, um einen Ausweis zu bekommen.“ Gefragt, was ihm passieren würde, wenn er jetzt wieder in seinen Herkunftsstaat zurückkehren müsste, gab er an, dass er dort niemanden habe und sich umbringen werde. Zu seinem Privatleben habe sich gegenüber der letzten Entscheidung nichts verändert, auf Vorhalt, dass beabsichtigt sei seinen Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG zurückzuweisen gab er an, dass er hierbleiben wolle, er könne auch sein ganzes Leben hier in Schubhaft verbringen, er würde nur hierbleiben wollen.

11.      Mit Verfahrensanordnung vom 25.8.2020 teilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Fremden gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG 2005 mit, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, da das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl davon ausgehe, dass entschiedene Sache im Sinne des § 68 AVG vorliege. Zugleich wurde dem Fremden gemäß § 29 Abs. 4 AsylG 2005 mitgeteilt, dass zur Wahrung des Parteiengehörs vor der Einvernahme eine Rechtsberatung stattfinden werde und wurden dem Beschwerdeführer die aktuellen Länderfeststellungen zu Algerien ausgehändigt.

12.      Am 9.9.2020 wurde der Beschwerdeführer im Beisein der Rechtsberatung ein weiteres Mal niederschriftlich einvernommen. Im Rahmen dieser Einvernahme, führte er aus, dass er im Rahmen der letzten Einvernahme am 3.9.2020 die Wahrheit gesagt habe und sich an seinem Gesundheitszustand und seinem Familienleben nichts geändert habe. Auf Vorhalt, dass es beabsichtigt sei seinen Antrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen gab er wörtlich an: „Ich bin heimatlos und kann nicht abgeschoben werden.“ Zu den Länderfeststellungen zu Algerien gab er an, dass er diese nicht gelesen habe und keine Stellungnahme abgebe.

13.      Mit im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.09.2020 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 21.08.2020 hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gemäß § 68 AVG zurückgewiesen. Eine neuerliche Rückkehrentscheidung wurde nicht erlassen, da bereits eine aufrechte mit einem Einreiseverbot verbundene Rückkehrentscheidung - Bescheid BFA 26.09.2019, Zahl: XXXX - bestand.

14.      Gegen den Bescheid der belangten Behörde erhob der Beschwerdeführer durch seine gewillkürte Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 17.09.2020 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und monierte Rechtswidrigkeit seines Inhalts, Rechtswidrigkeit infolge von Verletzten von Verfahrensvorschriften, unrichtige rechtliche Beurteilung und mangelnde Beweiswürdigung. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es die belangte Behörde unterlassen habe, auf das individuelle Vorbringen des Beschwerdeführers einzugehen, vor dem Hintergrund der getroffenen Feststellungen sowie den angeführten Rechtsgrundlagen und der entsprechenden Judikatur gelange man zu dem Ergebnis, dass seitens des Beschwerdeführers Hinweise zur Begründung seines Antrags gegeben worden seien, welche die Behörde nicht näher hinterfragt habe wodurch sie ihrer Pflicht nicht ausreichend nachgekommen sei, der Beschwerdeführer habe den Asylantrag gestellt, weil die Gründe für seine Erstantragstellung nach wie vor aufrecht seien und sich die Situation nicht verbessert habe und spreche sich dieser ausdrücklich gegen eine Rückkehr nach Algerien aus. Zu den Fluchtgründen werde im Übrigen vollinhaltlich auf das bisher im Asylverfahren Vorgebrachte verwiesen. Es werde daher beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge den gegenständlichen Bescheid beheben und das Asylverfahren des Beschwerdeführers in Österreich zulassen; die genannte Entscheidung in Spruchpunkt I. dahingehend abändern, dass dem Beschwerdeführer in Österreich internationaler Schutz gemäß § 3 AsylG gewährt und ihm der Status des Asylberechtigten zuerkannt und seine Flüchtlingseigenschaft festgestellt werde, in eventu den angefochtenen Bescheid in Spruchpunkt II. dahingehend abändern, dass dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 Z. 1 AsylG der Status eines subsidiär Schutzberechtigten Bezug auf seinen Herkunftsstaat Algerien zuerkannt werde und zur gebotenen Ergänzung des mangelhaft geblieben Ermittlungsverfahrens gemäß §§ 24 Abs. 1 VwGVG eine mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht anberaumen.

8.       Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 21.09.2020 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Algerien und damit Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs 1 Z 20b AsylG.

Seine Identität steht in Ermangelung entsprechender Dokumente nicht fest.

Der Beschwerdeführer ist gesund, volljährig, arbeitsfähig, ledig, bekennt sich zum muslimischen Glauben und gehört der Volksgruppe der Araber an.

Der Beschwerdeführer befindet sich seit zumindest 26.4.2017 durchgehend im Bundesgebiet, der Beschwerdeführer war während seines Aufenthaltes entweder in Polizeianhaltezentren bzw. in Justizanstalten melderechtlich erfasst bzw. ohne aufrechte Meldeadresse im Bundesgebiet.

Es wird festgestellt, dass gegen den Beschwerdeführer eine aufrechte, mit einem 8-jährigen Einreiseverbot verbundene durchsetzbare Rückkehrentscheidung besteht, die mit 04.11.2019 in Rechtskraft erwachsen ist.

Es leben keine Familienangehörigen oder Verwandten des Fremden in Österreich. Der Beschwerdeführer verfügt im Bundesgebiet über keine familiären Anknüpfungspunkte oder maßgebliche private Beziehungen und besteht kein schützenswertes Privat- und/oder Familienleben im Bundesgebiet. Zudem weist er auch keine relevante Integration in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht im Bundesgebiet auf.

Der Beschwerdeführer weist nachstehende strafrechtliche Verurteilungen auf:

01) LG XXXX XXXX vom 23.10.2017 RK 24.10.2017

§§ 27 (1) Z 1, 27 (1) Z 2 SMG § 15 StGB

§ 15 StGB §§ 27 (1) Z 1 8. Fall, 27 (2a), 27 (3) SMG

Freiheitsstrafe 7 Monate, davon Freiheitsstrafe 6 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre

zu LG XXXX XXXX RK 24.10.2017

Unbedingter Teil der Freiheitsstrafe vollzogen am 05.11.2017

LG XXXX XXXX vom 16.11.2017

zu LG XXXX XXXX RK 24.10.2017

Aufhebung der Bewährungshilfe

LG XXXX XXXX vom 04.05.2018

zu LG XXXX XXXX RK 24.10.2017

Probezeit verlängert auf insgesamt 5 Jahre

LG XXXX XXXX vom 28.05.2019

02) LG XXXX XXXX vom 28.05.2019 RK 01.06.2019

§ 28 (1) 2. Fall SMG

§§ 223 (2), 224 StGB

§§ 27 (1) Z 1 2. Fall, 27 (2) SMG

§§ 28a (1) 5. Fall, 28a (2) Z 3 SMG

Freiheitsstrafe 24 Monate

zu LG XXXX XXXX RK 01.06.2019

Aus der Freiheitsstrafe entlassen am 28.07.2020, bedingt, Probezeit 3 Jahre

LG XXXX XXXX vom 02.07.2020

Der Beschwerdeführer befindet sich derzeit in Schubhaft.

1.2. Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:

Der erste Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers vom 26.04.2017 wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.07.2017, Zl. XXXX abgewiesen und die dagegen erhobene Beschwerde mit Erkenntnis Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.12.2017, Zl. I406 2168282-1/18E nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet abgewiesen.

Zwischen der rechtskräftigen Erledigung des Vorverfahrens und der Zurückweisung des gegenständlichen Antrages wegen entschiedener Sache mit Bescheid vom 15.09.2020 ist keine wesentliche Änderung der Sach- oder Rechtslage eingetreten, welche geeignet wäre, einen neuen Grund für die Gewährung von Asyl oder internationalen Schutz darzustellen.

Der Beschwerdeführer brachte im gegenständlichen Asylverfahren keine entscheidungsrelevanten neuen Fluchtgründe vor, welche nach rechtskräftigem Abschluss seines Erstverfahrens entstanden wären und denen zumindest ein glaubhafter Kern innewohnt. Auch amtswegig hat sich kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt ergeben.

Unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände kann nicht festgestellt werden, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung nach Algerien für den Beschwerdeführer eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Der Beschwerdeführer wird im Falle seiner Rückkehr nach Algerien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein.

1.3. Zu den Feststellungen zur Lage in Algerien:

Die individuelle Situation für den Beschwerdeführer hinsichtlich seines Herkunftsstaates Algerien hat sich nicht in einem Umfang verändert, der auf eine wesentliche Änderung des Sachverhaltes schließen lässt. Auch die Rechtslage blieb, soweit entscheidungsrelevant, unverändert.

Die wesentlichen Feststellungen lauten:

„Politische Lage

Algerien ist ein sicherer Herkunftsstaat. Nach der Verfassung von 1996 ist Algerien eine demokratische Volksrepublik (AA 20.6.2019). Algerien, das größte Land Afrikas, gilt als wichtiger Stabilitätsanker in der Region (KAS 27.2.2019). Der Präsident wird für fünf Jahre direkt gewählt, seine Amtszeit ist seit der letzten Verfassungsreform im Jahr 2016 auf zwei Mandate begrenzt. Neben der nach Verhältniswahlrecht (mit Fünfprozent-Klausel) gewählten Nationalen Volksversammlung (Assemblée Populaire Nationale) besteht eine zweite Kammer (Conseil de la Nation oder Sénat), deren Mitglieder zu einem Drittel vom Präsidenten bestimmt und zu zwei Dritteln von den Gemeindevertretern gewählt werden (AA 20.6.2019). Die Gewaltenteilung ist durch die algerische Verfassung von 1996 gewährleistet, jedoch initiiert oder hinterfragt das Parlament seither selten Gesetzesvorschläge der Regierung und die Macht hat sich innerhalb der Exekutive zunehmend gefestigt. Präsident Bouteflika regierte weitgehend durch Präsidialdekret (BS 29.4.2020). Der Senatspräsident vertritt den Staatspräsidenten (AA 20.6.2019).

Im Februar 2019 entstand in Algerien eine Massenbewegung, welche sich mit dem arabischen Wort für Bewegung „Hirak“ beschreibt. Die algerischen Proteste begannen, nachdem der damals amtierende Präsident Abdelaziz Bouteflika seine fünfte Kandidatur für die Präsidentschaftswahl ankündigte. Zunächst forderten die Demonstrierenden den Rücktritt des Präsidenten, welcher dieser Forderung schließlich nachkam. Die Proteste endeten jedoch nicht mit dem Rücktritt Bouteflikas, bis Ende März 2020 wurde jeden Freitag auf den Straßen in der Hauptstadt Algier und anderswo demonstriert und die Veränderung des gesamten politischen Systems gefordert (IPB 12.6.2020; vgl. RLS 7.4.2020, HRW 14.1.2020, AA 17.4.2019, BAMF 18.2.2019). Die Proteste ungemindert weiter (RLS 7.4.2020 vgl. Standard 18.2.2020, Standard 12.12.2019, Guardian 13.12.2019) und verliefen meist friedlich (IPB 12.6.2020; vgl. BAMF 25.2.2019 Standard 13.12.2019, DF 9.12.2019), dennoch setzte die Polizei Tränengas, Wasserwerfer und Schlagstöcke ein, um die Menge zu zerstreuen (BAMF 25.2.2019; vgl. TB 22.2.2019, AI 18.2.2020). Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurden die Hirak-Märsche ab Ende März 2020 ausgesetzt, der Aktivismus wurde ins Internet verlagert (IPB 12.6.2020; vgl. ARI 7.4.2020, RLS 7.4.2020).

Während die Staatsführung mit behutsamen Konzessionen und vom Hirak misstrauisch beäugten Reformversprechen versuchte, die Bewegung auszubremsen, geht der Sicherheitsapparat weiter mit Repressalien gegen Demonstranten und Oppositionelle vor (Standard 18.2.2020; vgl. AI 18.2.2020, IPB 12.6.2020). Fast 1.400 Hirak-Aktivisten müssen sich mittlerweile vor Gericht verantworten, mehrere hundert sitzen schon hinter Gittern (Standard 18.2.2020; vgl. AI 18.2.2020). Der konsequent friedlich agierende Hirak war führungslos und nur partiell strukturiert. Das Regime verfolgte die Strategie des Aussitzens (Standard 18.2.2020). Versuche der Regierung, Teile der Bewegung zu kooptieren oder untereinander aufzuspalten (IPB 12.6.2020), oder die friedlichen Proteste in offene Gewalt umschlagen zu lassen, waren nicht erfolgreich (Standard 13.12.2019).

Eine neue Präsidentschaftswahl wurde für den 4.7.2019 angesetzt und wegen der Proteste verschoben (HRW 14.1.2020; vgl. FAZ 12.12.2019). Schließlich wurde am 12.12.2019 Abdelmadjid Tebboune mit 58,15% der Stimmen zum neuen Präsidenten der Republik gewählt (TSA 13.12.2019; vgl. DF 14.12.2019, Spiegel 13.12.2019, BBC 13.12.2019). Von den fünf zugelassenen Kandidaten waren drei in früheren Regierungen unter dem ehemaligen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika vertreten (Spiegel 13.12.2019; vgl. DF 14.12.2019, ARTE 14.12.2019). Auch der Wahlsieger Tebboune war unter Bouteflika mehrfach Minister und im Jahr 2017 drei Monate lang Ministerpräsident (DF 14.12.2019; vgl. ARTE 14.12.2019).

Etwa 24 Millionen Menschen waren wahlberechtigt (DF 14.12.2019; vgl. FAZ 12.12.2019). Viele Menschen boykottierten den Urnengang, weil die zugelassenen Kandidaten in ihren Augen Marionetten des alten Bouteflika-Regimes waren (ARTE 14.12.2019; vgl. Guardian 13.12.2019). Mehrere Oppositionsparteien wollten einen gemeinsamen Gegenkandidaten aufstellen - konnten sich allerdings nicht einigen (TB 22.2.2019; vgl. TS 26.3.2019). Die Wahlbeteiligung lag bei ca. 40 Prozent (TSA 13.12.2019; vgl. BBC 13.12.2019, ARTE 14.12.2019, Guardian 13.12.2019). Das ist die niedrigste Wahlbeteiligung, die je bei einer Präsidentschaftswahl in Algerien verzeichnet wurde (Guardian 13.12.2019). Die Wahlbehörde zeigte sich mit dem Verlauf des Wahltages zunächst zufrieden; in 95 Prozent der Wahllokale sei der Betrieb reibungslos angelaufen (FAZ 12.12.2019). Es waren keine ausländischen Wahlbeobachtermissionen zugelassen (Reuters 12.12.2019; vgl. FAZ 12.12.2019).

Der Wahltag selbst wurde durch Proteste und Aufrufe zum Boykott der Wahlen beeinträchtigt (BBC 13.12.2019; vgl. ARTE 14.12.2019, Guardian 13.12.2019). Lokale Medien berichteten von zahlreichen Zwischenfällen. In der Hauptstadt Algier waren Tausende Menschen auf den Straßen, um gegen die Wahl zu protestieren (FAZ 12.12.2019; vgl. Spiegel 13.12.2019). Zentrum des Widerstandes gegen die Abstimmung war die Berberregion Kabylei im Osten des Landes (Standard 13.12.2019), wo es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam. Wahllokale wurden mit Backsteinen und Zement verschlossen, Wahlunterlagen in Brand gesetzt. Laut Medienberichten griffen die Sicherheitskräfte hart durch. Die Polizei setzte Tränengas ein. Vertreter der sogenannten Hirak-Protestbewegung beklagten Hunderte verhaftete und verletzte Menschen (DF 14.12.2019; vgl. FAZ 12.12.2019; BBC 13.12.2019).

In Tizi Ouzou und Bejaia sind die Wahlbüros aus Sicherheitsgründen geschlossen worden (FAZ 12.12.2019; vgl. Spiegel 13.12.2019, TSA 13.12.2019). Der Wahlvorgang wurde auch in Boumerdès, Bouira, Bordj Bou Arreridj, Sétif und Jijel unterbrochen (TSA 13.12.2019). In Bouira hatten Demonstranten das Büro der Wahlkommission in Brand gesetzt (Spiegel 13.12.2019). In Béjaïa wurde ein Wahllokal überfallen und die Urnen zerstört (Reuters 12.12.2019; vgl. Standard 13.12.2019). Die Staatsführung um Armeechef Gaïd Salah sah die Wahlen als Mittel, die politische Krise zu beenden und die Legitimität der politischen Führung zu erneuern (Standard 12.12.2019; vgl. Reuters 12.12.2019, Guardian 13.12.2019).

Viele Demonstranten kündigten an, die offiziellen Ergebnisse nicht anzuerkennen (Reuters 12.12.2019). Der Wahlsieg von Tebboune löste erneut Massenproteste aus (ARTE 14.12.2019; vgl. BBC 13.12.2019). Der neue Präsident ist bei den vielen Demonstranten genauso verhasst wie seine vier Kontrahenten bei der Präsidentschaftswahl. Die Protestbewegung will weitermachen, bis das Regime aus Vertrauten des ehemaligen Machthabers Bouteflika tatsächlich fällt (DF 14.12.2019; vgl. FAZ 12.12.2019).

Sicherheitslage

Demonstrationen fanden von Mitte Februar 2019 bis Ende März 2020 fast täglich in allen größeren Städten statt. Auch wenn diese weitgehend friedlich verliefen, konnten vereinzelte gewaltsame Auseinandersetzungen nicht ausgeschlossen werden (AA 5.5.2020; vgl. Standard 12.12.2019, Guardian 13.12.2019, IPB 12.6.2020). Die Sicherheitslage in gewissen Teilen Algeriens ist weiterhin gespannt. Es gibt immer noch terroristische Strukturen, wenn auch reduziert (ÖB 11.2019; vgl. BS 29.4.2020). Es gibt nach wie vor bewaffnete Splittergruppen, und es herrscht nach wie vor eine Sicherheitswarnung, insbesondere für die Süd- und Ostgrenze, für den Süden und die Berberregionen des Landes. Seit 2014 hat es keine Entführungen mehr gegeben (BS 29.4.2020; vgl. BMEIA 8.5.2020, AA 5.5.2020), In den vergangenen zwei Jahren gab es keine größeren terroristischen Vorfälle (BS 29.4.2020).

Der djihadistische Terrorismus in Algerien ist stark zurückgedrängt worden; Terroristen wurden Großteils entweder ausgeschaltet, festgenommen oder haben oft das Land verlassen, was zur Verlagerung von Problemen in die Nachbarstaaten, z.B. Mali, führte. Gewisse Restbestände oder Rückzugsgebiete sind jedoch v.a. in der südlichen Sahara (so z.B. angeblich Iyad ag Ghali) vorhanden. Gruppen, wie die groupe salafiste pour la prédication et le combat (GSPC), die den 1997 geschlossenen Waffenstillstand zwischen dem algerischen Militär und der AIS nicht anerkannte, sich in die Saharagebiete zurückzog und 2005 mit Al Qaida zur AQIM verband, sind auf kleine Reste reduziert und in Algerien praktisch handlungsunfähig. Inzwischen hat sich diese Gruppe wieder mehrmals geteilt, 2013 u.a. in die Mouvement d’unité pour je jihad en Afrique occidentale (MUJAO). Ableger dieser Gruppen haben den Terroranschlag in Amenas/Tigentourine im Jänner 2013 zu verantworten. 2014 haben sich mit dem Aufkommen des „Islamischen Staates“ (IS) Veränderungen in der algerischen Terrorismusszene ergeben. AQIM hat sich aufgespalten und mindestens eine Teilgruppe, Jund al-Khilafa, hat sich zum IS bekannt. Diese Gruppe hat die Verantwortung für die Entführung und Enthauptung des französischen Bergführers Hervé Gourdel am 24.9.2014 übernommen. Dies war 2014 der einzige Anschlag, der auf einen Nicht-Algerier zielte. Ansonsten richteten sich die terroristischen Aktivitäten ausschließlich auf militärische Ziele (ÖB 11.2019).

Der interkommunale Konflikt in der Region Ghardaia mit gewalttätigen Zusammenstößen zwischen 2013 und 2015 wurde durch eine starke Militärpräsenz unter Kontrolle gebracht. Islamistische Extremisten, die eine echte Bedrohung für die staatliche Identität darstellen, sind nach wie vor eine sehr kleine Minderheit. Sie werden von der Bevölkerung kaum oder gar nicht unterstützt (BS 29.4.2020).

Die Sicherheitssituation betreffend terroristische Vorfälle hat sich inzwischen weiter verbessert, die Sicherheitskräfte haben auch bislang unsichere Regionen wie die Kabylei oder den Süden besser unter Kontrolle, am relativ exponiertesten ist in dieser Hinsicht noch das unmittelbare Grenzgebiet zu Tunesien, Libyen und zu Mali. Es kommt mehrmals wöchentlich zu Razzien und Aktionen gegen Terroristen oder deren Unterstützer (ÖB 11.2019).

Nach Angaben der offiziellen Armeepublikation „El Djeich“ (andere Quellen sind nicht öffentlich zugänglich) wurden 2018 32 Terroristen getötet, 25 festgenommen, 132 ergaben sich, weiters wurden 170 „Terrorismusunterstützer“ festgenommen (MDN 1.2019; vgl. ÖB 12.2019). Dieselbe Quelle gibt für das Jahr 2019 an, dass 15 Terroristen getötet und 25 festgenommen wurden, 44 ergaben sich; weiters wurden 245 „Terrorismusunterstützer“ festgenommen (MDN 1.2020). Wie in den Vorjahren kam es auch 2019 zu bewaffneten Vorfällen zwischen Sicherheitskräften und Terroristen, bei denen inoffiziellen Angaben zufolge auch aufseiten der Armee Tote verzeichnet wurden, was jedoch nicht öffentlich gemacht wird (ÖB 11.2019).

Spezifische regionale Risiken

Von Terroranschlägen und Entführungen besonders betroffen ist die algerische Sahararegion, aber auch der Norden und Nordosten des Landes (v.a. Kabylei). Die Gefahr durch den Terrorismus, der sich in erster Linie gegen die staatlichen Sicherheitskräfte richtet, besteht fort (AA 5.5.2020). 2017 gab es (mindestens) vier Anschläge mit eindeutig islamistischem Hintergrund, und zwar in Blida, Constantine, Oued Djemaa (Wilaya Blida), Ferkane (Wilaya Tebessa) und Tiaret (ÖB 11.2019).

Vor Reisen in die Grenzgebiete zu Libyen, Niger, Mali, Mauretanien, Tunesien und Marokko sowie in die sonstigen Saharagebiete, in ländliche Gebiete, Bergregionen (insbesondere Kabylei) und Gebirgsausläufer (Nord-Westen von Algier und Wilaya de Batna) wird gewarnt (BMEIA 8.5.2020; vgl. AA 5.5.2020, FD 20.5.2020). Ausgenommen davon sind nur die Städte Algier, Annaba, Constantine, Tlemcen und Oran (BMEIA 8.5.2020). Im Rest des Landes besteht weiterhin hohes Sicherheitsrisiko (BMEIA 8.5.2020). Praktisch nicht mehr existent sind die früher häufigen Entführungen, besonders in der Region Kabylei von wohlhabenden Einheimischen mit kriminellem Hintergrund (Lösegeldforderung). In den südlichen Grenzregionen zu Niger und Mali und jenseits der Grenzen gehen terroristische Aktivitäten, Schmuggel und Drogenhandel ineinander über. Es wird angenommen, dass AQIM in Nordmali, aber auch andernorts vereinzelt mit der lokalen Bevölkerung für Schmuggel aller Art zusammenarbeitet (ÖB 11.2019).

Rechtsschutz / Justizwesen

Obwohl die Verfassung eine unabhängige Justiz vorsieht, beschränkt die Exekutive die Unabhängigkeit der Justiz (USDOS 11.3.2020; vgl. BS 29.4.2020). Der Präsident hat den Vorsitz im Obersten Justizrat, der für die Ernennung aller Richter sowie Staatsanwälte zuständig ist (USDOS 11.3.2020). Der Oberste Justizrat ist für die richterliche Disziplin und die Ernennung und Entlassung aller Richter zuständig (USDOS 11.3.2020; vgl. BS 29.4.2020). Die in der Verfassung garantierte Unabhängigkeit von Gerichten und Richtern wird in der Praxis nicht gänzlich gewährleistet (BS 29.4.2020; vgl. USDOS 11.3.2020), sie ist häufig äußerer Einflussnahme und Korruption ausgesetzt (USDOS 11.3.2020). Die Justizreform wird zudem nur äußerst schleppend umgesetzt. Algerische Richter sehen sich häufig einer außerordentlich hohen Arbeitsbelastung ausgesetzt, was insbesondere in Revisions- und Berufungsphasen zu überlangen Verfahren führt (AA 25.6.2019). Praktische Entscheidungen über richterliche Kompetenzen werden vom Obersten Justizrat getroffen (BS 29.4.2020). Die Richter werden für eine Dauer von zehn Jahren ernannt und können u.a. im Fall von Rechtsbeugung abgelöst werden (AA 25.6.2019). Im Straf- und Zivilrecht entscheiden Justizministerium und der Präsident der Republik mittels weisungsabhängiger Beratungsgremien über das Fortkommen von Richtern und Staatsanwälten. Das Rechtswesen kann so unter Druck gesetzt werden, besonders in Fällen, in denen politische Entscheidungsträger betroffen sind. Es ist der Exekutive de facto nachgeordnet. Im Handelsrecht führt die Abhängigkeit von der Politik zur inkohärenten Anwendung der Anti-Korruptionsgesetzgebung, da auch hier die Justiz unter Druck gesetzt werden kann (GIZ 12.2016a).

Das algerische Strafrecht sieht explizit keine Strafverfolgung aus politischen Gründen vor. Es existiert allerdings eine Reihe von Strafvorschriften, die aufgrund ihrer weiten Fassung eine politisch motivierte Strafverfolgung ermöglichen. Dies betrifft bisher insbesondere die Meinungs- und Pressefreiheit, die durch Straftatbestände wie Verunglimpfung von Staatsorganen oder Aufruf zum Terrorismus eingeschränkt werden. Rechtsquellen sind dabei sowohl das algerische Strafgesetzbuch als auch eine spezielle Anti-Terrorverordnung aus dem Jahre 1992. Für die Diffamierung staatlicher Organe und Institutionen durch Presseorgane bzw. Journalisten werden in der Regel Geldstrafen verhängt (AA 25.6.2019; vgl. GIZ 12.2016a).

Die Verfassung gewährleistet das Recht auf einen fairen Prozess (USDOS 11.3.2020), aber in der Praxis respektieren die Behörden nicht immer die rechtlichen Bestimmungen, welche die Rechte des Angeklagten wahren sollen (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 4.4.2018). Für Angeklagte gilt die Unschuldsvermutung und sie haben das Recht auf einen Verteidiger, dieser wird, falls nötig, auf Staatskosten zur Verfügung gestellt. Die meisten Verhandlungen sind öffentlich. Angeklagte haben das Recht auf Berufung. Die Aussage von Frauen und Männern wiegt vor dem Gesetz gleich (USDOS 11.3.2020). Den Bürgerinnen und Bürgern fehlt nach wie vor das Vertrauen in die Justiz (AA 25.6.2019).

Sicherheitsbehörden

Die staatlichen Sicherheitskräfte lassen sich unterteilen in nationale Polizei, Gendarmerie, Armee und Zoll (GIZ 12.2016a). Die dem Innenministerium unterstehende nationale Polizei DGSN wurde in den 90er Jahren von ihrem damaligen Präsidenten, Ali Tounsi, stark ausgebaut und personell erweitert, und zwar von 100.000 auf 200.000 Personen, darunter zahlreiche Frauen (GIZ 12.2016a). Ihre Aufgaben liegen in der Gewährleistung der örtlichen Sicherheit (GIZ 12.2016a; vgl. USDOS 11.3.2020). Der Gendarmerie Nationale gehören ca. 130.000 Personen an, die die Sicherheit auf überregionaler (außerstädtischer) Ebene gewährleisten sollen (USDOS 11.3.2020). Sie untersteht dem Verteidigungsministerium (GIZ 12.2016a).

Die Gendarmerie Locale wurde in den 90er Jahre als eine Art Bürgerwehr eingerichtet, um den Kampf gegen den Terrorismus in den ländlichen Gebieten lokal zielgerichteter führen zu können. Sie umfasst etwa 60.000 Personen. Die Armee ANP (Armée Nationale Populaire) hat seit der Unabhängigkeit eine dominante Stellung inne und besetzt in Staat und Gesellschaft Schlüsselpositionen. Sie zählt allein an Bodentruppen ca. 120.000 Personen und wurde und wird im Kampf gegen den Terrorismus eingesetzt. Die Armee verfügt über besondere Ressourcen, wie hochqualifizierte Militärkrankenhäuser und soziale Einrichtungen. Die Zollbehörden nehmen in einem außenhandelsorientierten Land wie Algerien eine wichtige Funktion wahr. Da in Algerien gewaltige Import- und Exportvolumina umgesetzt werden, ist die Anfälligkeit für Korruption hoch (GIZ 12.2016a).

Straffreiheit bleibt ein Problem (USDOS 11.3.2020). Übergriffe und Rechtsverletzungen der Sicherheitsbehörden werden entweder nicht verfolgt oder werden nicht Gegenstand öffentlich gemachter Verfahren (ÖB 11.2019). Das Strafgesetz enthält Bestimmungen zur Untersuchung von Missbrauch und Korruption und die Regierung veröffentlicht Informationen bzgl. disziplinärer oder rechtlicher Maßnahmen gegen Mitglieder der Sicherheitskräfte (USDOS 11.3.2020).

Allgemeine Menschenrechtslage

Staatliche Repressionen, die allein wegen Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe erfolgen, sind in Algerien nicht feststellbar (AA 25.6.2019). Algerien ist den wichtigsten internationalen Menschenrechtsabkommen beigetreten. Laut Verfassung werden die Grundrechte gewährleistet. Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen haben seit Ende der 1990er Jahre abgenommen, bestehen jedoch grundsätzlich fort (AA 17.4.2019). Meinungs- und Versammlungsfreiheit werden eingeschränkt (USDOS 11.3.2020; vgl. BS 29.4.2020, AI 18.2.2020) und die Unabhängigkeit der Justiz ist mangelhaft. Weitere bedeutende Menschenrechtsprobleme sind übermäßige Gewaltanwendung durch die Polizei, inklusive Foltervorwürfe (USDOS 11.3.2020; vgl. AI 18.2.2020), sowie die Einschränkung der Möglichkeit der Bürger, ihre Regierung zu wählen. Weitverbreitete Korruption begleitet Berichte über eingeschränkte Transparenz bei der Regierungsführung. Straffreiheit bleibt ein Problem (USDOS 11.3.2020).

Obwohl die Verfassung Meinungs- und Pressefreiheit gewährleistet, schränkt die Regierung diese Rechte ein (USDOS 11.3.2020; vgl. HRW 14.1.2020, BS 29.4.2020). NGOs kritisieren diese Einschränkungen. Bürger können die Regierung nicht ungehindert kritisieren. Es drohen Belästigungen und Verhaftungen; Bürger sind somit bei der Äußerung von Kritik zurückhaltend (USDOS 11.3.2020). Alle Medienanbieter, auch privat, stehen unter Beobachtung (USDOS 11.3.2020).

Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit werden Demonstrationen regelmäßig nicht genehmigt bzw. in Algier komplett verboten (AA 25.6.2019; vgl. USDOS 11.3.2020, HRW 14.1.2020). Ergebnis ist, dass die Möglichkeiten politischer Tätigkeit weiterhin eng begrenzt sind. Oppositionelle politische Aktivisten beklagen, aufgrund von Anti-Terrorismus-Gesetzen und solchen zur Begrenzung der Versammlungsfreiheit oder Vergehen gegen „Würde des Staates und die Staatssicherheit“ festgenommen zu werden (ÖB 11.2019). Oppositionelle Gruppierungen haben zudem oft Schwierigkeiten, Genehmigungen für Veranstaltungen in geschlossenen Räumen zu erhalten (AA 25.6.2019).

Algerien erlebte ab Februar 2019 die größten und nachhaltigsten Anti-Regierungsdemonstrationen seit seiner Unabhängigkeit 1962. Jeden Freitag überfluten Algerier die Straßen in der Hauptstadt Algier und anderswo. Als Reaktion auf die anhaltenden Proteste, zerstreuten die Behörden friedliche Demonstrationen, hielten willkürlich Protestierende fest, blockierten von politischen und Menschenrechtsgruppen organisierte Treffen und inhaftierten Kritiker (HRW 14.1.2020; vgl. AI 18.2.2020). Die Sicherheitskräfte haben verschärfte Kontrollen an den Zufahrtsstraßen nach Algier eingerichtet, um die Teilnehmerzahlen in der Hauptstadt zu senken (AA 25.6.2019). Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurden die regelmäßigen Demonstrationen ab Ende März 2020 ausgesetzt (ARI 7.4.2020; vgl. IPB 12.6.2020). Im Zusammenhang mit dem gesundheitspolitischen Notstande intensivierte die Regierung ihr Vorgehen gegen Opposition und freie Presse (RLS 7.4.2020) und ab 17.3.2020 wurden die Einschränkungen der Versammlungsfreiheit weiter verschärft (IPB 12.6.2020).

Das Gesetz garantiert der Regierung weitreichende Möglichkeiten zur Überwachung und Einflussnahme auf die täglichen Aktivitäten von zivilgesellschaftlichen Organisationen. Das Innenministerium muss der Gründung zivilgesellschaftlicher Organisationen zustimmen, bevor diese gesetzlich zugelassen werden (USDOS 11.3.2020).

Das im Jahr 2012 verabschiedete Gesetz über Vereinigungen erleichterte auch die Gründung von politischen Parteien (BS 29.4.2020), wofür wie bei anderen Vereinigungen eine Genehmigung des Innenministeriums nötig ist. Politische Parteien auf Basis von Religion, Ethnie, Geschlecht, Sprache oder Region sind verboten. Es gibt jedoch islamistisch ausgerichtete Parteien, v.a. jene der Grünen Allianz (USDOS 11.3.2020). Seit Verabschiedung des Parteigesetzes 2012 nahm die Anzahl der Parteien deutlich zu. Dies führte jedoch auch zu einer Zersplitterung der Opposition (BS 29.4.2020). Oppositionsparteien können sich grundsätzlich ungehindert betätigen, soweit sie zugelassen sind, und haben Zugang zu privaten und – in sehr viel geringerem Umfang – staatlichen Medien. Jedoch haben einzelne Parteien kritisiert, dass ihnen teils die Ausrichtung von Versammlungen erschwert wird und sie Bedrohungen und Einschüchterungen ausgesetzt sind (AA 25.6.2019).

Die CNDH als staatliche Menschenrechtsorganisation (Ombudsstelle) hat eine konsultative und beratende Rolle für die Regierung. Sie veröffentlicht jährlich Berichte zur Menschenrechtslage im Land (USDOS 11.3.2020). Zahlreiche Einzelfälle zeigen, dass die Funktion einer echten Ombudsstelle gegenüber der Verwaltung fehlt (ÖB 11.2019).

Verschiedene nationale Menschenrechtsgruppen operieren und können ihre Ergebnisse publizieren. Sie sind jedoch in unterschiedlichem Ausmaß Einschränkungen durch die Regierung ausgesetzt. Gesetzlich ist es allen zivilen Organisationen vorgeschrieben, sich bei der Regierung zu registrieren. Dennoch operieren einige Organisationen ohne Registrierung und werden seitens der Regierung toleriert (USDOS 11.3.2020).

Ethnische Minderheiten

Algeriens ethnische Zusammensetzung ist eine Mischung aus Arabern und Berbern, wobei die große Mehrheit der Algerier berberischen Ursprungs ist. Nur eine Minderheit identifiziert sich selbst als Berber, etwa 15% (CIA 3.3.2020).

Staatliche Repressionen, die allein wegen Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe erfolgen, sind in Algerien nicht feststellbar. Eine rassisch diskriminierende Gesetzgebung existiert nicht; es liegen auch keine belastbaren Erkenntnisse über tatsächlich erfolgte Diskriminierungen vor (AA 25.6.2019).

Neben der mehrheitlich arabischen Bevölkerung leben in verschiedenen Regionen Berbervölker, unter denen sich besonders die Kabylen seit der Unabhängigkeit Algeriens für die Anerkennung ihrer Sprache (Tamazight) und ihrer Kultur einsetzen. Durch die Verfassungsreform von 2016 wurde Tamazight, nach dem Arabischen, zur Amtssprache erklärt (AA 25.6.2019).

Ethnische (Berber)Minderheiten, vor allem im Süden des Landes, führen diskriminierendes Verhalten der Sicherheitskräfte an. Mozabiten [Anm.: eine muslimische Minderheit] in der Wilaya Ghardaia beklagen, dass sie von Sicherheitskräften nicht ausreichend gegen Gewalt geschützt würden. Polizei und Gendarmerie seien parteiisch, außerdem mache sich bemerkbar, dass Mozabiten vom verpflichtenden Militärdienst praktisch befreit seien und keine Vertreter in Polizei und Gendarmerie entsendeten. Auch in der Kabylei mit einer starken regionalen Identität gibt es immer wieder Klagen über systematische Benachteiligungen und Repressionen (ÖB 11.2019).

Im Zuge von Protestbewegungen wurden im Herbst 2019 einige Personen zu Haft- und Geldstrafen für das öffentliche Mitführen der Fahne der Berberminderheit verurteilt. Das Tragen der Fahne ist gesetzlich nicht verboten, verurteilt wurden die Angeklagten daher für das "Untergraben der nationalen Integrität". Die Staats- und Armeeführung versucht mit dem gezielten Vorgehen gegen Berberaktivisten, die Protestbewegung zu spalten und Araber und Berber gegeneinander auszuspielen (Standard 13.11.2019; vgl. IPB 12.6.2020).

Bewegungsfreiheit

Die Verfassung garantiert Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung, diese Rechte werden jedoch von der Regierung in der Praxis eingeschränkt (USDOS 11.3.2020). Die meisten Bürger können relativ frei im In- und Ausland reisen (FH 4.3.2020). Die Regierung hält aus Gründen der Sicherheit Reiserestriktionen in die südlichen Bezirke El-Oued und Illizi, in der Nähe von Einrichtungen der Kohlenwasserstoffindustrie sowie der libyschen Grenze, aufrecht. Überlandreisen sind aufgrund von Terrorgefahr zwischen den südlichen Städten Tamanrasset, Djanet und Illizi eingeschränkt (USDOS 11.3.2020).

Jungen wehrpflichtigen Männern, die ihren Wehrdienst noch nicht abgeleistet haben, wird die Ausreise ohne Sondergenehmigung verweigert (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020). Sondergenehmigungen erhalten Studenten und Personen in besonderen Familienkonstellationen. Personen, die jünger als 18 Jahre sind, ist es gemäß Familienrecht nicht gestattet, ohne die Erlaubnis einer Aufsichtsperson ins Ausland zu reisen (USDOS 11.3.2020). Verheiratete Frauen, die jünger als 18 Jahre sind, dürfen ohne die Erlaubnis ihres Ehemanns nicht ins Ausland reisen (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020). Ehefrauen, die älter als 18 Jahre sind, sind Auslandsreisen auch ohne Erlaubnis des Ehemanns gestattet (USDOS 11.3.2020).

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurden landesweit nächtliche Ausgangssperren verhängt, alle Grenzübertrittsstellen für den Personenverkehr geschlossen sowie der Inlandsflugverkehr eingestellt (USEMB 26.4.2020). Am 13.6.2020 wurde angekündigt, die nächtlichen Ausgangssperren in 19 Provinzen aufzuheben und in den übrigen 29 Provinzen, darunter der Hauptstadt Algier, verkürzt beizubehalten. Die wirtschaftlichen Aktivitäten und der innerstädtische öffentliche Personenverkehr sollen schrittweise wieder aufgenommen werden. Eine mögliche Wiedereröffnung der Grenzen soll im Juli 2020 entschieden werden (National 13.6.2020).

Grundversorgung

Nahezu die gesamten Staatseinkünfte des Landes stammen aus dem Export von Erdöl und Erdgas. Rund 90 Prozent der Grundnahrungsmittel und fast die Gesamtheit der Pharmazeutika und Gebrauchsgüter werden importiert. Eine an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientierte oder auf Autarkie zielende Industrialisierung hat nicht stattgefunden. Die Staatseinnahmen – und damit die Fähigkeit zur Subventionierung von Grundbedürfnissen (Grundnahrungsmittel, Wohnungsbau, Infrastruktur) – sind seit 2014 aufgrund des sinkenden Öl- und Gaspreises drastisch zurückgegangen (RLS 17.12.2019; vgl. BS 29.4.2020).

Algerien leistet sich aus Gründen der sozialen und politischen Stabilität ein für die Möglichkeiten des Landes aufwendiges Sozialsystem, das aus den Öl- und Gasexporten finanziert wird. Algerien ist eines der wenigen Länder, die in den letzten 20 Jahren eine Reduktion der Armutsquote von 25% auf 5% erreicht hat. Schulbesuch und Gesundheitsfürsorge sind kostenlos. Energie, Wasser und Grundnahrungsmittel werden stark subventioniert. Ein Menschenrecht auf Wohnraum wird anerkannt. Für Bedürftige wird Wohnraum kostenlos zur Verfügung gestellt. Missbräuchliche Verwendung ist häufig (ÖB 11.2019).

Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist bislang durch umfassende Importe gewährleistet. Insbesondere im Vorfeld religiöser Feste, wie auch im gesamten Monat Ramadan, kommt es allerdings immer wieder zu substanziellen Preissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln. Für Grundnahrungsmittel wie Weizenmehl, Zucker und Speiseöl gelten Preisdeckelungen und Steuersenkungen. Im Bereich der Sozialfürsorge kommt, neben geringfügigen staatlichen Transferleistungen, vornehmlich der Familien-, im Süden des Landes auch der Stammesverband, für die Versorgung alter Menschen, Behinderter oder chronisch Kranker auf. In den Großstädten des Nordens existieren „Selbsthilfegruppen“ in Form von Vereinen, die sich um spezielle Einzelfälle (etwa die Einschulung behinderter Kinder) kümmern. Teilweise fördert das Solidaritätsministerium solche Initiativen mit Grundbeträgen (AA 25.6.2019).

Die Arbeitslosigkeit liegt bei 12 bis 17%, die Jugendarbeitslosigkeit (15-24-jährige) bei 30 bis 50% (WKO 10.2019 [jeweils niedrigerer Wert], RLS 17.12.2019 [jeweils höherer Wert]). Das staatliche Arbeitsamt Agence national d’emploi / ANEM (http://www.anem.dz/) bietet Dienste an, es existieren auch private Jobvermittlungsagenturen (z.B. http://www.tancib.com/index.php?page=apropos). Seit Februar 2011 stehen jungen Menschen Starthilfekredite offen, wobei keine Daten darüber vorliegen, ob diese Mittel ausgeschöpft wurden. Die Regierung anerkennt die Problematik der hohen Akademikerarbeitslosigkeit. Grundsätzlich ist anzumerken, dass allen staatlichen Genehmigungen/Unterstützungen eine (nicht immer deklarierte) sicherheitspolitische Überprüfung vorausgeht, und dass Arbeitsplätze oft aufgrund von Interventionen besetzt werden. Der offiziell erfasste Wirtschaftssektor ist von staatlichen Betrieben dominiert (ÖB 11.2019).

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie werden an vulnerable Familien in isolierten und vom Lockdown besonders betroffenen Gebieten Lebensmittel und Hygieneprodukte verteilt (Gentilini et al 12.6.2020: 29f).

Rückkehr

Die illegale Ausreise, d.h. die Ausreise ohne gültige Papiere bzw. ohne eine Registrierung der Ausreise per Stempel und Ausreisekarte am Grenzposten, ist gesetzlich verboten (Art. 175 bis 1. algerisches Strafgesetzbuch, Gesetz 09-01 vom 25.2.2009, kundgemacht am 8.3.2009) (ÖB 11.2019; vgl. AA 25.6.2019). Das Gesetz sieht ein Strafmaß von zwei bis sechs Monaten und / oder eine Strafe zwischen 20.000 DA bis 60.000 DA vor (ÖB 11.2019)

Rückkehrer, die ohne gültige Papiere das Land verlassen haben, werden mitunter zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Für illegale Bootsflüchtlinge („harraga“) sieht das Gesetz Haftstrafen von drei bis zu fünf Jahren und zusätzliche Geldstrafen vor. In der Praxis werden zumeist Bewährungsstrafen verhängt (AA 25.6.2019).

Eine behördliche Rückkehrhilfe ist ho. nicht bekannt. Ebenso sind der Botschaft keine NGOs bekannt, die Unterstützung leisten. Bekannt ist, dass Familien zurückkehrende Familienmitglieder wieder aufnehmen und unterstützen. Viel bekannter hingegen sind Fälle, in denen Familien Mitglieder mit beträchtlichen Geldmitteln bei der illegalen Ausreise unterstützen. Sollten Rückkehrer auf familiäre Netze zurückgreifen können, würde man annehmen, dass sie diese insbesondere für eine Unterkunft nützen. Die Botschaft kennt auch Fälle von finanzieller Rückkehrhilfe (EUR 1.000-2.000) durch Frankreich, für Personen, die freiwillig aus Frankreich ausgereist sind. Algerien erklärt sich bei Treffen mit div. EU-Staatenvertretern immer wieder dazu bereit, Rückkehrer aufzunehmen, sofern zweifelsfrei feststehe, dass es sich um algerische Staatsangehörige handle. Nachfragen bei EU-Botschaften und Pressemeldungen bestätigen, dass Algerien bei Rückübernahmen kooperiert. Zwischen Algerien und einzelnen EU-Mitgliedsstaaten bestehen bilaterale Rückübernahmeabkommen (ÖB 11.2019).

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurden am 17.3.2020 alle Luft-, See- und Landgrenzübergänge geschlossen. Über eine mögliche Aufhebung der Sperren soll im Juli 2020 entschieden werden (National 14.6.2020; vgl. USEMB 16.6.2020, IATA 17.4.2020/17.6.2020, Garda 13.6.2020).

Zur aktuell vorliegenden Pandemie aufgrund des Corona-Virus ist folgendes festzustellen:

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. In Österreich gibt es mit Stand 05.10.2020 17:00 Uhr, 49.521 bestätigte Fälle, 8984 aktuell Erkrankte von mit dem Corona-Virus infizierten Personen und 797 Todesfälle (https://info.gesundheitsministerium.at/dashboard_Epidem.html?l=de); in Algerien wurden zu diesem Zeitpunkt 52.136 Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei 1.760 diesbezügliche Todesfälle bestätigt wurden (https://covid19.who.int/region/emro/country/ma).

Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.

Eine nach Algerien zurückkehrende Person, bei welcher keine berücksichtigungswürdigen Gründe vorliegen, wird durch eine Rückkehr nicht automatisch in eine unmenschliche Lage versetzt. Es kann allgemein festgestellt werden, dass der pauschale Hinweis eines Asylwerbers auf die allgemein herrschende Situation in Algerien nicht ausreicht, um eine Bedrohung iSv Art. 2 EMRK, 3 EMRK oder des Protokolls Nr. 6 oder 13 der EMRK darzustellen.

Es kann daher zusammengefasst festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr keiner lebensbedrohenden Situation überantwortet werden, er selbst hat hinsichtlich einer ihm drohenden Gefährdung in seinem Herkunftsstaat auch kein substantiiertes Vorbringen erstattet und haben sich auch amtswegig keine Anhaltspunkte dafür ergeben.

Es liegen auch keine Anhaltspunkte vor, dass der volljährige und erwerbsfähige Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Algerien in eine aussichtslose oder existenzbedrohende Situation geraten könnte. Er hat dort den Großteil seines Lebens verbracht und könnte seinen Lebensunterhalt in Algerien aus eigener Kraft – wenn auch anfangs allenfalls mit Gelegenheitsjobs – bestreiten.

Der Beschwerdeführer wird im Falle seiner Rückkehr keiner lebensbedrohenden Situation überantwortet, er selbst hat hinsichtlich einer ihm drohenden Gefährdung in seinem Herkunftsstaat auch kein substantiiertes Vorbringen erstattet und haben sich auch amtswegig keine Anhaltspunkte dafür ergeben.

Zusammengefasst ist sohin festzustellen, dass eine Rückführung des Beschwerdeführers in seinen Heimatstaat Algerien für diesen keine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK (ZPERMRK) bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Es wurden zwischenzeitlich auch keine Anhaltspunkte dafür bekannt, wonach die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 50 FPG idgF in seinen Heimatstaat Algerien unzulässig wäre.

2. Beweiswürdigung:

Der erkennende Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

2.1. Zum Sachverhalt:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sowie dem Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes.

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid, in den Beschwerdeschriftsatz und in das „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Algerien. Einsicht wurde auch genommen in den Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes zu GZ. I406 2168282-1 und damit zum Beschwerdeverfahren des vorangegangenen Asylverfahrens. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Fremdenregister (IZR), dem Zentralen Melderegister (ZMR) und der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.

Die belangte Behörde hat ein mängelfreies, ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und in der Begründung der angefochtenen Bescheide die Ergebnisse dieses Verfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst. Das Bundesverwaltungsgericht verweist daher zunächst auf diese schlüssigen und nachvollziehbaren beweiswürdigenden Ausführungen der belangten Behörde in den angefochtenen Bescheiden.

Auch der Beschwerde vermag das Bundesverwaltungsgericht keine neuen Sachverhaltselemente zu entnehmen, die geeignet wären, die von der belangten Behörde getroffenen Entscheidungen in Frage zu stellen. Der Beschwerdeführer bestreitet den von der belangten Behörde festgestellten Sachverhalt nicht substantiiert und erstattete in seiner Beschwerde auch kein konkretes sachverhaltsbezogenes Vorbringen, sondern verwies auf seine bereits im ersten Verfahren vorgebrachten Fluchtgründe, sodass das Bundesverwaltungsgericht den maßgeblichen Sachverhalt als ausreichend ermittelt und somit entscheidungsreif ansieht und sich der von der belangten Behörde vorgenommenen, nachvollziehbaren Beweiswürdigung vollumfänglich anschließt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Herkunft, zum Gesundheitszustand und zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers getroffen wurden, beruhen diese auf den Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde.

Da der Beschwerdeführer entweder nicht im Stande oder nicht Willens war, den österreichischen Behörden identitätsbezeugende Dokumente vorzulegen, steht seine Identität nicht fest.

Die Feststellungen betreffend die Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, zur Arbeitserfahrung, ergeben sich aus seinen Angaben im Rahmen der Einvernahme von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes (AS 15-16). Der Beschwerdeführer hat weder im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme noch im Rahmen seiner Beschwerdeausführungen Gegenteiliges vorgebracht.

Dass der Beschwerdeführer in Österreich über keine Familienangehörige, Verwandte oder maßgebliche private Beziehungen verfügt, ergibt sich aus seinen diesbezüglichen Angaben.

Aus dem Verwaltungsakt und den Angaben des Beschwerdeführers ergeben sich keinerlei Hinweise darauf, dass er über ein maßgebliches soziales Umfeld im Bundesgebiet verfügen oder eine relevante Integration aufweisen würde. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte war daher die Feststellung zu treffen, dass der Beschwerdeführer in Österreich keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher und kultureller Hinsicht aufweist, dies auch in zeitlicher Hinsicht (Einreise vor 3,5 Jahren).

Die Feststellung, dass gegen den Beschwerdeführer eine aufrechte mit einem achtjährigen Einreiseverbot verbundene durchsetzbare Rückkehrentscheidung besteht, ergibt sich aus dem vorgelegten Verfahrensakt der belangten Behörde (Bescheid des BFA vom 26.09.2019) und des vorliegenden aktuellen IZR- Auszuges.

Die strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers ergeben sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich vom 23.09.2020.

2.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer hatte im Verfahren zu seinem ersten Antrag auf internationalen Schutz zusammengefasst vorgebracht, dass er Probleme mit seinen Onkeln gehabt hätte, die ihn und seine Mutter aus dem Haus rauswerfen wollten.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl kam im rechtskräftigen Bescheid vom 18.07.2017, Zl. XXXX , zum Schluss, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht den Voraussetzungen für die Glaubhaftmachung einer asylrelevanten Verfolgung oder Verfolgungsgefahr gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention entsprechen würde und eine gegen ihn persönlich gerichtete Verfolgung durch Behörden oder Dritte nicht glaubhaft gemacht werden hat können. Das Bundesverwaltungsgericht kam im rechtskräftigen Erkenntnis vom 12.12.2017, Zl. I406 2168282-1/18E nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zum Schluss, dass es sich bei den vom Beschwerdeführer geltend gemachten Fluchtgründen um keine asylrelevanten Verfolgungsgründe im Sinne der GFK handelte.

Mit den im Spruch genannten angefochtenen Bescheid vom 15.09.2020 wies die belangte Behörde den Folgeantrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück.

Vom Bundesverwaltungsgericht ist im gegenständlichen Verfahren zu prüfen, ob zwischen der Rechtskraft des vorangegangenen Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes und der Zurückweisung des gegenständlichen Antrages wegen entschiedener Sache mit Bescheid vom 15.09.2020 eine wesentliche Änderung der Sach- oder Rechtslage eingetreten ist.

Eine solche wesentliche Änderung der Sach- oder Rechtslage ist nicht erkennbar. Der belangten Behörde ist in ihrer Ansicht zu folgen, dass dem Beschwerdeführer sein im gegenständlichen zweiten Asylverfahren dargelegtes Vorbringen, wonach er von seiner Mutter bei einer Nachbarin im Jahr 2005 zurückgelassen wurde, als diese nach Libyen ging und der neue Mann seiner Mutter/sein Stiefvater ihn 2017 nicht bei sich aufnehmen wollte, bereits zu einem Zeitpunkt bekannt gewesen ist, als das Verfahren zu seiner ersten Asylantragsstellung noch nicht rechtskräftig abgeschlossen war und er dieses bereits in diesem Verfahren vorzubringen gehabt hätte. Darüber hinaus brac

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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