TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/16 W272 2231486-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.10.2020
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Entscheidungsdatum

16.10.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W272 2231486-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. BRAUNSTEIN als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Russische Föderation, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, vom 14.04.2020, Zahl XXXX ,

zu Recht beschlossen:

A)

I. Das Verfahren zu Spruchpunkt I. – III wird wegen Zurückziehung der Beschwerde eingestellt.

zu Recht erkannt:

B)

I. Der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt IV wird stattgegeben und in Erledigung der Beschwerde festgestellt, dass gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG und § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG iVm § 52 FPG eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist und dem Beschwerdeführer gemäß § 58 Abs. 2 iVm § 55 Abs. 2 AsylG der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt wird.

II. In Erledigung der Entscheidung werden die Spruchpunkte V. und VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.

C) Die Revision ist gem. Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und der tschetschenischen Volksgruppe zugehörig, reiste unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet und brachte am 03.11.2004 einen Antrag auf internationalen Schutz ein.

2. Am gleichen Tag wurde der BF durch die Grenzbezirksstelle Neusiedl am See niederschriftlich einvernommen. Er gab an, dass er in seinem Heimatland die Grund- und Hauptschule und danach eine Kfz- Lenker- Ausbildung abgeschlossen habe. Er habe ca. sieben Jahre gearbeitet und im Jahr 1996 seine Frau geheiratet und nun mit ihr drei Kinder. Seine Eltern und Geschwister seien noch immer in Tschetschenien. Vor einem Jahr habe er den Entschluss gefasst, sein Heimatland zu verlassen. Er und sein Cousin seien jedoch vom russischen Militär ohne Grund abgeholt und sein Geld sei ihm weggenommen worden. Er habe daraufhin sein Hab und Gut verkauft, um sich die Schleppung zu leisten. Er sei über Polen und der Slowakei nach Österreich eingereist.

3. Am 05.11.2004 wurde er niederschriftlich durch das Erstaufnahmezentrum Ost einvernommen. Der BF gab ergänzend an, dass seine Muttersprache tschetschenisch sei und er auch russisch spreche. Er sei nun mit seiner Frau nach Österreich eingereist, da seine Gattin in der Slowakei schwer erkrankt gewesen und zweimal operiert worden sei. Als Fluchtgrund gab er an, dass in Tschetschenien totales Chaos und Gesetzlosigkeit herrsche. Er habe als LKW-Fahrer gearbeitet und sei von den tschetschenischen Untergrundkämpfern gezwungen worden, seine Beschäftigung aufzugeben, um nicht getötet zu werden. Am nächsten Tag sei er von den russischen Soldaten verschleppt und bezichtigt worden mit den Untergrundkämpfern zusammen gearbeitet zu haben. Er sei 2- mal inhaftiert und von seine Verwandten freigekauft worden. Er habe nicht sein Leben und dass seiner drei Kinder riskieren wollen. Für seine Tochter gelten dieselben Gründe.

4. Am 18.11.2004 erfolgte eine weitere niederschriftliche Einvernahme. Der BF ersuchte um psychiatrische Betreuung für seine beiden Kinder. Aus der psychologischen Untersuchung ging hervor, dass bei den beiden Elternteilen keine Traumatisierung vorliege.

5. Am 04.10.2005 erfolgte eine neuerliche schriftliche Einvernahme durch das Bundesasylamt. Gesundheitlich gab der BF zu Protokoll, dass er Herzschmerzen habe, aber bis jetzt keinen Arzttermin erhalten habe. Zum Fluchtgrund brachte er vor, dass im Herbst 2002 seine Nachbarn brutal ermordet worden seien und seine Familie ihn deshalb geraten haben, das Land zu verlassen. Er habe jedoch seinen Vater und seine Familie nicht alleine lassen wollen und habe daher erst, als die Probleme im Jahr 2004 begannen, sein Land im November 2004 verlassen. Zu seinem Wohnort gab er an, dass er von 1995 bis 2004 hauptsächlich in XXXX wohnte und ab und zu für einige Tag zu seinen Verwandten nach Nazran bzw. zu einem Freund seines Vaters nach XXXX gefahren sei. Von 2002 bis 2004 habe er als Straßenarbeiter gearbeitet und sei fast im ganzen Land tätig gewesen. Am Abend sei er immer in sein Heimatdorf zurückgekehrt. Er sei nicht vorbestraft, aber ernsthaft zweimal und im Rahmen der Säuberung ungefähr zehnmal festgenommen worden. Er habe die Ladungen als Verdächtiger bekommen. Er sei aber nicht politisch aktiv gewesen und habe an keinen Auseinandersetzungen teilgenommen. Auch wegen seiner Religionszugehörigkeit habe es keine Probleme gegeben, sondern nur mit den Russen, da er Tschetschene sei. Der BF wiederholte seinen Fluchtgrund näher, indem er angab, dass er in seiner Tätigkeit mit russischen Behörden im Auto fuhr und die Tschetschenen dies missbilligten und ihn aufforderten dies zu unterlassen. Sie haben ihn zuhause aufgesucht und dabei geschlagen, weiters sei er bedroht worden, dass wenn er weiter mit den Russen arbeite, getötet werde. Danach seien sie gegangen. Am gleichen Tag seien russische Soldaten gekommen und hätten ihn und seine Frau bedroht. Er sei aus dem Haus entführt und in eine Grube geworfen worden. Er sei verhört, gefoltert und geschlagen und danach wieder in die Grube geworfen worden. Am dritten Tag sei er wiederum verhört worden, er habe beteuert kein Widerstandskämpfer zu sein und habe ein Dokument unterschreiben müssen. Erst später habe er erfahren, dass seine Verwandten Geld für die Freilassung bezahlt haben. Er sei ins Spital gekommen und habe gekündigt. Doch ein Monat später sei derselbe Vorfall gewesen und er sei von den russischen Behörden festgenommen und gefoltert worden. Auch dieses Mal sei er freigekauft worden. Es sei üblich, dass man zwei – bis dreimal freigekauft wird und danach verschwinde. Der BF habe Angst, um sich und seine Kinder gehabt und habe deshalb mit seiner Familie das Land verlassen. In Russland könne er nur leben, wenn er keine Probleme hätte. Mitvorgelegt wurde eine Heiratsurkunde und drei Geburtsurkunden der Kinder.

6. Mit Bescheid des Bundesasylamtes Aktenzahl 04 22.426-BAL vom 05.10.2005 wurde dem Asylantrag des BF vom 03.11.2004 gemäß § 7 AsylG 1997 stattgegeben und gemäß § 12 AsylG festgestellt, dass er kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Begründet wurde die Zuerkennung damit, dass der BF einen unter § 7 AsylG zu subsumierenden Sachverhalt vorbrachte, dem keine Ergebnisse des amtswegigen Ermittlungsverfahrens entgegenstehen, sodass dieser als Feststellung dem vorliegenden Verfahren zugrunde gelegt werden kann.

7. Aufgrund des Verdachtes wegen des Mordes gemäß § 75 StGB wurde der BF in Untersuchungshaft genommen. Bei der Beschuldigteneinvernahme am 04.02.2009 wurde ihm mitgeteilt, dass beabsichtigt ist ein Aberkennungsverfahren einzuleiten. Er gab an, elf Jahre die Schule besucht zu haben, verheiratet zu sein, Sorgepflichten für 4 Kinder zu haben. Seinen Lebensunterhalt bestreite er durch die Sozialhilfe. Er habe sonst keine Familienangehörigen. Seine Eltern leben in Tschetschenien. Das Verfahren wegen Verdachtes des Mordes nach § 75 StGB wurde durch die Staatsanwaltschaft Wien am 20. August 2010 eingestellt.

8. Mit Urteil des Bezirksgerichts St.Pölten vom 16.11.2016, XXXX , wurde der Beschwerdeführer rechtskräftig wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten verurteilt. Die Freiheitsstrafe wurde unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen.

9. Mit Urteil des Bezirksgerichts St. Pölten vom 30.07.2018, XXXX , wurde der Beschwerdeführer rechtskräftig wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt. Die Freiheitsstrafe wurde unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen.

10. Mit Schreiben vom 18.09.2019 wurde mitgeteilt, dass der BF am 14.09.2019 beim Grenzübergang Slawatycze/Weissrussland bei der Einreise nach Polen kontrolliert wurde. Er sei im Besitz eines österreichischen Konventionspasses, welcher bis 06.09.2020 gültig sei. Als Reiseziel habe er Österreich angegeben, Grund der Reise sei der Besuch seiner Verwandten im Heimatort gewesen. Es wurde vermerkt, dass der BF und die anderen Personen im Besitz eines russischen Reisepasses gewesen sein müssen, da sie sonst nicht einreisen hätten können. Die Pässe seien von der polnischen Grenzwache nicht kontrolliert worden. Der BF habe angegeben, dass er seit langer Zeit Menschen von Österreich nach Tschetschenien transportiere und dafür Gebühren erhebe, sodass er mehrere Male in Grosny gewesen sei.

11. Mit Aktenvermerk vom 05.11.2019 wurde ein Aberkennungsverfahren aufgrund geänderter Verhältnisse im Herkunftsstaat und geänderte persönliche Umstände eingeleitet. Da der BF straffällig wurde sei die Frist von fünf Jahren ab Zuerkennung des Asylstatus nicht zu berücksichtigten.

12. Am 12.12.2019 wurde der Beschwerdeführer erneut niederschriftlich vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen. Zu seinem gesundheitlichen Zustand gab er an, dass er seit seiner U-Haft wegen des Verdachtes des Mordes im Kopf „kaputt“ sei. Er habe Tabletten genommen und es kamen schließlich familiäre Probleme dazu. Er habe zwar Kontakt zu seiner Familie, aber seine Frau und seine Kinder leben nicht bei ihm. Er habe momentan keine ärztlichen Papiere. Er habe einen russischen Reisepass, welcher in Polen sei. Er habe diesen bei Freunden gelassen. Er habe den russischen Reisepass in Weißrussland ausstellen lassen. Der Pass sei in XXXX ausgestellt worden, übernommen habe er ihn aber in Weißrussland. Er sei verheiratet, lebe aber nicht bei seiner Frau und habe eine Freundin, welche er wechselseitig besuche. Er wohne in St. Pölten und beziehe Mindestsicherung in der Höhe von etwa € 885,- monatlich. Er habe in Amstetten gearbeitet bei einer Bau- bzw. Holzfirma, danach bei der Firma XXXX in Blindemarkt. Sonst sitze er zuhause. Seine Eltern und ein Bruder leben in Tschetschenien, sein Bruder kümmere sich um die Eltern. Er sei seit seiner Ausreise nicht mehr in Tschetschenien gewesen und sehe seine Eltern nur in Weißrussland und nutze Polen als Transitland. Bei einer Rückkehr nach Tschetschenien wisse er nicht was ihn erwarte, zu dem Vorhalt, dass beabsichtigt sei seinen Asylstatus abzuerkennen, aufgrund geänderte persönlicher Umstände, gab der BF keine Stellungnahme ab. Zu einer möglichen Rückkehr befragt gab der Beschwerdeführer an, dass er glaublich keine Probleme haben würde. Vorgelegt wurde ein Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld, in welchem in vom 01.11.2019 bis 30.04.2020 ein monatliche Geldleistung zugewiesen wurde. Im Bescheid wurde festgehalten, dass der BF beim AMS als arbeitssuchend gemeldet ist.

13. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 14.04.2020 wurde dem Beschwerdeführer der am 05.10.2005 zuerkannte Status des Asylberechtigten gem. § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 (im Folgenden: AsylG) aberkannt und gem. § 7 Abs. 4 festgestellt, dass dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.). Der Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde dem Beschwerdeführer gem. § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gem. § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gegen den Beschwerdeführer wurde gem. § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV) und gem. § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gem. § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V). Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt gem. § 55 Abs 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI).

Begründend führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, dass sich eine Aberkennung des Status als Asylberechgtigter gem. § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG ergebe. Der Beschwerdeführer vefüge seit über fünf Jahren über einen russischen Reispass und habe sich den Schutz seines Heimatlandes gestellt. Aufgrund der veränderten Verhältnisse im Heimatland als auch infolge der geänderten persönlichen Umstände, gebe es für ihn bei Rückkehr in sein Heimatland keine Gefährdungs- bzw. Bedrohungslage. Es bestehe keine aktuelle bzw. individuelle Furcht vor Verfolgung in der Russischen Föderation. Auch könne nicht festgestelltwerden, dass er einem realen Risiko einer Art. 2 oder 3 EMRK widersprechende Gefahr ausgesetzt sei oder einer dem 6. oder 13 Zusatzprotokoll zur EMRK widerstreitende Behandlung unterworfen werde. Der BF habe die Schule in seinem Herkunftsstaat absolviert, Berufsausbildung, habe Verwandtschaft und besuche diese regelmäßig. Auch die Coronapandemie stelle für ihn keine schwerwiegende Bedrohung dar oder die Gefahr an einer schwerwiegenden Erkrankung zu erkranken. Der BF habe keine schwerwiegenden Vorerkrankungen. ES sei ihm zumutbar seinen Lebensunterhalt zu sichern ohne in eine Notlage, die Art. 3 EMRK tangiere zu geraten. Der BF lebe von seiner Frau und den sechs Kindern, welche über einen Asylstatus verfügen, getrennt. Der BF sei zweimal wegen Unterhaltsverletzung strafrechtlich verurteilt worden. Er sei nicht beruflich verankert und habe keine weiteren engen familiären oder verwandtschaftlichen Bindungen in Österreich. Er spreche deutsch, sei in Anbetracht seiner Aufenthaltsdauer jedoch nicht maßgeblich integriert. Er sei in keinem Verein verankert, sitze zuhause herum und nehme nicht Anteil am gesellschaftlichen Leben in Österreich. Es überwiege daher das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gegenüber seines privaten Interesse am Verbleib im Bundesgebiet. drohe in seiner Heimat keine individuelle Gefährdung und konnte der Beschwerdeführer eine solche auch nicht glaubhaft machen. Er sei als gesunder, arbeitsfähiger, junger Mann in seinem Heimatland selbsterhaltungsfähig. Darüber hinaus verfüge der Beschwerdeführer über eine innerstaatliche Fluchtalternative.

8. Mit Schriftsatz vom 07.05.2020 erhob der Beschwerdeführer vollumfänglich das Rechtsmittel der Beschwerde. Er führte aus, dass er zweimal in seinem Herkunftsstaat war, um seine kranken Eltern zu besuchen. Es könne daraus jedoch keine Unterschutzstellung geschlossen werden. Er sei Opfer von willkürlicher Verhaftung, Folder und Misshandlung gewesen und sei dies eine „außergewöhnliche menschenverachtende Verfolgung“ und es könne nicht von einer Unterschutzstellung ausgegangen werden. Weiters sei es auch in der Russischen Föderation zu keinem Systemwechsel gekommen. Auch überwiege sein privates Interesse am Verbleib in Österreich dem öffentliche Interesse der Aufenthaltsbeendigung. Die Behörde habe es unterlassen näher über seine Beziehung zu seinen Kindern nachzufragen, ansonsten hätte sie festgestellt, dass ein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK bestehe. Er habe innigen Kontakt zu keinen Kindern und ersuche um Vorladung seiner Tochter XXXX , welche dies bestätigen könne. Weiters verfüge der BF über gute Deutschkenntnisse und habe einen Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich. Die Arbeit falle ihm, aufgrund seiner psychischen Beeinträchtigung, seit seiner ungerechtfertigten Haftsituation, schwer. Weiters sei er über 10 Jahre in Österreich, welches erst recht ein großes Gewicht beizumessen sei. Er habe Menschen das Leben gerettet und aus einem niederbrennenden Haus Leute herausgeholt und sei dafür als Held bezeichnet worden. Auf einer Autobahn habe er Menschen aus dem Auto geholt und Hilfe durch Rufen des Notrufes geholt. Auch einen Mitarbeiter habe er geholfen, wodurch er selbst verletzt worden sei. Nach der U-Haft habe er psychische Probleme bekommen und sei auch kurz obdachlos gewesen und habe dadurch den Unterhalt nicht leisten können. Mit NEUSTART beginne er ein neues Leben und zahle Alimente und wenn er Arbeit habe, zahle er auch den Vorschuss an den Staat zurück. Es sei daher die Rückkehrentscheidung nicht zulässig.

9. Anlässlich der öffentlichen mündlichen Verhandlung am 20.07.2020 wurde Beweis aufgenommen durch Einvernahme des BF in Anwesenheit des Rechtsberaters des BF. Das Verfahren wurde in deutscher Sprache geführt. Der BF legte vor und wurde erörtert ein Lebenslauf, eine Betreuungsvereinbarung mit dem AMS Lilienfeld, die Bestätigungen der fast durchgehenden Arbeitssuche seit 01.01.2019, Behandlungsbestätigung des personenkonzentrierten Psychotherapeuten XXXX und die Zeugnisse bzw. Schulbesuchsbestätigungen seiner schulpflichtigen Kinder. Einvernommen wurden zusätzlich als Zeugin seine Frau XXXX und seine Tochter XXXX , die beantragte Zeugin XXXX ist nicht erschienen. Das BFA ist nicht erschienen. Im Rahmen der Verhandlung zog der BF die Beschwerde gegen Spruchpunkt I - III zurück. Die Zeugen wurden, insbesondere zur Integration des BF in Österreich, sowie zur Sachverhaltsermittlung der Beziehung zu seiner Kernfamilie in Österreich befragt.

Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Der volljährige Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , ist am XXXX geboren, Staatsangehöriger der Russischen Föderation sowie Zugehöriger der Volksgruppe der Tschetschenen. Er bekennt sich zum muslimischen Glauben.

Der Beschwerdeführer reiste im Juni 2004 mit seiner Frau und drei Kindern, illegal in das Bundesgebiet ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz, dem mit Bescheid vom 05.10.2005 stattgegeben und dem Beschwerdeführer gem. § 7 AsylG 1997 der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde. Es wurde die Feststellung getroffen, dass diesem damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

In Tschetschenien leben nach wie vor seine Eltern und ein Bruder. Der BF hat Kontakt zu seinen Eltern und besuchte diese in den letzten Jahren. Er hat in seinem Heimatland 10 Jahre die Schule besucht und einen Beruf als LKW-Fahrer ausgeübt. Der BF kennt die tschetschenische Kultur und spricht tschetschenisch. Der BF lebte in der Ortschaft XXXX .

Im Bundesgebiet befinden sich die Frau und sechs Kinder. Der BF lebt alleine. Seine Frau lebt mit vier Kindern. Zwei volljährige Kinder leben gemeinsam in einer Wohnung. Der BF hat geringe soziale Kontakte zu anderen Österreichern in Österreich.

Der BF hat bis in das Jahr 2009 gearbeitet und ist seitdem bis auf ein Monat ohne Arbeit. Der BF ist arbeitsfähig und -willig (Bestätigung des AMS Lilienfeld). Der BF lebt von staatlicher Unterstützung. Er ist nicht Mitglied in einem Verein. Der BF spricht deutsch.

Das Beschwerdeführer weist keine lebensbedrohlichen Erkrankungen auf, leidet jedoch an Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung und chronisch rezidivierender depressiver Störung und ist in Behandlung.

1.2 Der Beschwerdeführer weist folgende rechtskräftige Verurteilungen auf:

- Urteil des Bezirksgerichts St.Pölten vom 16.11.2016, 9U 253/16x, wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten. Die Freiheitsstrafe wurde unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen.

- Urteil des Bezirksgerichts St. Pölten vom 30.07.2018, 9 U 174/17f, wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt. Die Freiheitsstrafe wurde unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen.

Der BF hat eine intensive familiäre Beziehung zu seinen Kindern.

Insgesamt überwiegen die privaten Interessen am Verbleib im Bundesgebiet gegenüber den öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung.

Der BF war wegen des Verdachtes des Mordes nach § 75 StGB im Jahr 2009 in U-Haft. Das Verfahren wurde eingestellt. Seitdem befindet sich der BF in einer psychisch labilen Phase.

2. Beweiswürdigung:

2.1 Aufgrund seiner vorgelegten Urkunden (Konventionsreisepass, Geburtsurkunde der Kinder) und stringenten Angaben vor dem BFA und dem Gericht, stehen die im Spruch angeführten Personalien fest.

Die Feststellungen zu seiner Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit, seinem Familienstand, seiner Ausbildung sowie seinen Sprachkenntnissen ergeben sich aus den glaubhaften und gleichbleibenden Angaben im Zuge des gesamten Verfahrens. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer Deutsch spricht, ergibt sich aus der Tatsache, dass der BF die Einvernahmen vor dem Bundesamt und dem Bundesverwaltungsgericht in deutscher Sprache durchgeführt hat.

Die Feststellungen zu den Aufenthaltsorten des Beschwerdeführers, sowie seiner Familienangehörigen in Österreich und in Tschetschenien gründen auf den gleichbleibenden und damit glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand ergeben sich aus seinen diesbezüglich Aussagen in den niederschriftlichen Einvernahmen. Da der Beschwerdeführer keine lebensbedrohlichen Krankheiten dargelegt hat, die ihn in seiner Arbeits- und Leistungsfähigkeit einschränken würden, kann davon ausgegangen werden kann, dass er gesund und arbeitsfähig ist. In der Behandlungsbestätigung vom 07.10.2020 wurde durch XXXX eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung und chronisch rezidivierende depressive Störung diagnostiziert. Es wird bei Verschlechterung der aktuellen Symptomatik, eine Fortführung der Psychotherapie im Sinne regelmäßiger wöchentlicher Behandlung als sinnvoll erachtet.

Eine Arbeitsunfähigkeit wurde nicht dargelegt, aus den Betreuungsvereinbarungen mit dem AMS Lilienfeld, wie im Akt ersichtlich, wurde seine Arbeitssuche seit 01.01.2019, mit fehlenden Zeitraum vom 13.06.2019 – 16.10.2019, bestätigt.

Die Feststellungen der Einreise, der Antragsstellung sowie der Zuerkennung des Status des Asylberechtigen ergeben sich zweifelsfrei aus dem Verwaltungsakt, seinem Zuerkennungsbescheid vom 05.10.2005, Aktenzahl 04 22.426-BAL und den amtswegigen Ermittlungsverfahren dazu.

2.2 Die Feststellungen der strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers ergeben sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich sowie den im Akt einliegenden Urteilsausfertigungen. Seit der letzten Verurteilung wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht, kommt der BF seinen Verpflichtungen nach (Seite 11 und 12 des Verhandlungsprotokolls).

2.3. Seine sozialen geringe Kontakten, ergeben sich aus der Aussage des BF, indem er zwar angab, viele Österreicher zu kennen, aber namentlich nur wenige nennen konnte. Er hat jedoch soziale Kontakte, so gab er an, noch immer Kontakt mit dem Vater eines Burschen zu haben, welchen er vor dem Ertrinken rettete. Weiters auch noch mit dem ehemaligen Chef von der Firma XXXX . Auch helfe er einem älteren Österreicher in seinem Wohnhaus (Seite 7 des Verhandlungsprotokolls). In Kaffeehäuser oder so gehe er nicht. Begründet wurde seine sonstigen geringe sozialen Kontakte mit der intensiven Beziehung zu seinen Kindern. Das Gericht geht von glaubhaften Angaben aus, so brachte auch die Tochter vor, dass der BF sich geändert habe und sein Umfeld, da sie von der Anklage wegen Mordes gegen ihn erfuhren, sich von ihm abwendete. Es ist für das Verwaltungsgericht glaubhaft, dass eine Person, welche des Mordes angeklagt ist und die unmittelbare Umgebung davon Bescheid weiß, es schwieriger hat in der Gesellschaft wieder Fuss zu fassen, selbst wenn er danach sucht. Auch erfolgte danach die psychischen Einschränkungen des BF und der BF versucht diese durch professionelle Hilfe zu bekämpfen (Betreuungsbericht). Die geringen Barmittel führen auch dazu, dass der BF weniger Kontakt hat. Vor dem Jahr 2009 hatte der BF mehr Kontakt zu anderen Österreichern und half auch Personen aus schwierigen Situationen. Auch einem Arbeitskollegen rettete er vor herabstürzenden Kisten und setzte sich der Gefahr selbst aus (Seite 8 des Verhandlungsprotokolls).

Der BF gibt jedoch an, enge und intensive Beziehungen zu seinen sechs Kindern zu haben. Dies wurde durch seine Tochter und auch durch seine von ihm getrenntlebende Ehefrau bestätigt.

Dass der BF intensive Kontakte zu seinen Kindern hat, wird sowohl von der Tochter als auch von der Ehefrau, von welcher er getrennt lebt, eindruckvoll vor Gericht berichtet. Der BF kümmert sich regelmäßig dreimal in der Woche, um die jüngeren Kinder. Er hilft ihnen bei den Hausaufgaben, holt die jüngste Tochter vom Kindergarten ab, lehrt ihnen wie man sich richtig in der Gesellschaft benimmt. Die Trennung zu seiner Frau, brachte keinen Abbruch in der vorhandenen intensiven Beziehung zu seinen Kindern. Auch zu den älteren Kinder, welche bereits aus dem gemeinsamen Haushalt mit der Mutter ausgezogen sind, hat der BF eine durchgehende, regelmäßige, intensive Beziehung. Die Tochter beschreibt ihn als liebevoll und hilfsbereit. Er versucht immer wieder Kontakt aufzunehmen und besucht sie regelmäßig. Auch ist der BF jederzeit bereit seinen Kindern zu helfen und zu unterstützen. Die Tochter schilderte eindrucksvoll und lebensnah, wie sehr sie ihren Vater liebt und wie sehr er alle seine Kinder liebt und in verschiedenen Lebensbereichen unterstützt (Seite 10 und 11 des Verhandlungsprotokolls). Aber auch seine Ehefrau, welche nicht mit ihm zusammenlebt, spricht von ihm von einem liebevollen Vater. Er hat regelmäßig Kontakt, und seine Kinder lieben und vermissen ihn (Seite 12 des Verhandlungsprotokolls). Das Gericht ist davon überzeugt, dass der BF seinen Pflichten als Vater nachkommt, obwohl er mit ihnen nicht zusammenwohnt. Besonders die jüngsten Kinder sind abhängig von ihm (Seite 10 des Verhandlungsprotokolls). Auch während des Verdachtes der Erkrankung an dem Covid-19 Virus eines seiner Kinder, blieb er bei diesem drei Tage in Quarantäne in der Wohnung der Mutter (Seite 12 des Verhandlungsprotokolls).

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gegenständlich sind die Verfahrensbestimmungen des AVG, des BFA-VG, des VwGVG und jene im AsylG enthaltenen sowie die materiellen Bestimmungen des AsylG in der geltenden Fassung samt jenen Normen, auf welche das AsylG verweist, anzuwenden.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 in der geltenden Fassung, entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA das BVwG.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung, entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 15 AsylG hat der Asylwerber am Verfahren nach diesem Bundesgesetz mitzuwirken und insbesondere ohne unnötigen Aufschub seinen Antrag zu begründen und alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.

Gemäß § 18 AsylG hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

Gemäß § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) und § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA.

Zu Spruchteil A)

I. Einstellung des Verfahrens zu Spruchpunkt I. – III.

3.2. Zurückziehung der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. – III.

Gemäß § 7 Abs 2 VwGVG ist eine Beschwerde nicht mehr zulässig, wenn die Partei nach Zustellung oder Verkündung des Bescheides ausdrücklich auf die Beschwerde verzichtet hat. Eine Zurückziehung der Beschwerde durch den Beschwerdeführer ist in jeder Lage des Verfahrens ab Einbringung der Beschwerde bis zur Erlassung der Entscheidung möglich (Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, § 7 VwGVG, K 6). Dasselbe erfolgt sinngemäß aus § 17 VwGVG iVm § 13 Abs 7 AVG.

Die Annahme, eine Partei ziehe die von ihr erhobene Berufung zurück, ist nur dann zulässig, wenn die entsprechende Erklärung keinen Zweifel daran offen lässt. Maßgebend ist daher das Vorliegen einer in dieser Richtung eindeutigen Erklärung (vgl zB VwGH 22.11.2005, 2005/05/0320, zur insofern auf die Rechtslage nach dem VwGVG übertragbaren Judikatur zum AVG).

In welchen Fällen "das Verfahren einzustellen" ist (§ 28 Abs 1 VwGVG), regelt das VwGVG nicht ausdrücklich. Die Einstellung steht nach allgemeinem Verständnis am Ende jener Verfahren, in denen ein Erledigungsanspruch nach Beschwerdeeinbringung verloren geht, worunter auch der Fall der Zurückziehung der Beschwerde zu subsumieren ist (vgl Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren2 [2018] § 28 VwGVG, Anm 5).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch im Regime des VwGVG die Zurückziehung einer Beschwerde zulässig (VwGH 29.04.2015, Fr 2014/20/0047) und wird diese mit dem Zeitpunkt ihres Einlangens beim Verwaltungsgericht wirksam. Ab diesem Zeitpunkt ist - mangels einer aufrechten Beschwerde - die Pflicht des Verwaltungsgerichts zur inhaltlichen Entscheidung weggefallen (siehe Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte², § 7 K 6). Allerdings ist das Verfahren diesfalls gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG mit Beschluss einzustellen, dieser Beschluss ist allen Verfahrensparteien zur Kenntnis zu bringen (VwGH 29.04.2015, Fr 2014/20/0047).

Auf Grund der Zurückziehung der Beschwerde zu Spruchpunkt I. – III des gegenständlichen Bescheides, also ausdrücklich zu den Punkten der Aberkennung des Status als Asylberechtigter, keine Zuerkennung eines Status als subsidiär Schutzberechtigten und keine Erteilung eines Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG, im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 09.10.2020, ist das Beschwerdeverfahren betreffend den Spruchpunkte I., II., III., des gegenständlichen Bescheides vom 14.04.2020 mit Beschluss einzustellen.

3.3. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides:

B) I. Zur Frage der Rückkehrentscheidung:

Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Der Beschwerdeführer ist weder ein begünstigter Drittstaatsangehöriger noch kommt ihm ein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu.

§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:

"(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

Im Hinblick auf § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG ist festzuhalten, dass bei jeder Rückkehrentscheidung auf das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Asylwerbers nach Art. 8 Abs. 1 EMRK Bedacht zu nehmen ist, wobei in diesem Zusammenhang Art. 8 Abs. 2 EMRK eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs erfordert und somit eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen verlangt (vgl. VwGH vom 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479).

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig und in diesem Sinne auch verhältnismäßig ist.

Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob die aufenthaltsbeendende Maßnahme einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Bei dieser Interessenabwägung sind insbesondere die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen das Einwanderungsrecht, Erfordernisse der öffentlichen Ordnung sowie die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, zu berücksichtigen (vgl. VfGH 29. 9. 2007, B 1150/07; 12. 6. 2007, B 2126/06; VwGH 26. 6. 2007, 2007/01/479; 26. 1. 20006, 2002/20/0423; 17. 12. 2007, 2006/01/0216; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention2, 194; Frank/Anerinhof/Filzwieser, Asylgesetz 20053, S. 282ff).

Im vorliegenden Fall stellte der Beschwerdeführer im Jahr 2004 infolge illegaler Einreise in das Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz, dem mit Bescheid des Bundesasylamtes stattgegeben und dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde. Seither hält sich der Beschwerdeführer durchgehend im Bundesgebiet auf. Gleichzeitig mit ihm erhielten seine Frau und drei Kinder den Status des Asylberechtigten. Drei Kinder des BF wurde in Österreich geboren.

Zu den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten Grundsätzen zählt unter anderem auch, dass das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens, das Vorhandensein einer "Familie" voraussetzt.

In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen neben den zwischen Ehegatten und ihren minderjährigen Kindern ipso iure zu bejahenden Familienleben bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.6.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 7.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.3.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.7.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.2.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 5.7.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Als Kriterien hiefür kommen in einer Gesamtbetrachtung etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Intensität und die Dauer des Zusammenlebens bzw. die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht. Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Sich bei der Prüfung allein auf das Kriterium der Abhängigkeit zu beschränken, greift jedenfalls zu kurz (vgl. VwGH vom 26.01.2006, Zl. 2002/20/0423).

Aus Art. 8 EMRK kann im Bereich der Einwanderung keine generelle Verpflichtung eines Staates abgeleitet werden, die Wahl des ehelichen Wohnsitzes eines verheirateten Paares zu respektieren oder eine Familienzusammenführung auf seinem Gebiet zu gestatten. Hierbei kommt insbesondere dem Umstand Bedeutung zu, ob das Familienleben zu einer Zeit geschaffen wurde, zu der den beteiligten Personen bekannt war, dass das Fortbestehen von Familienleben im Gaststaat wegen des Einwanderungsstatus einer von ihnen von Beginn an unsicher war. War ein Fortbestehen des Familienlebens im Gastland bereits bei dessen Begründung wegen des fremdenrechtlichen Status einer der betroffenen Personen ungewiss und dies den Familienmitgliedern bewusst, kann eine Ausweisung nur in Ausnahmefällen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bedeuten (EGMR 31.07.2008, Omoregie ua., 265/07, mwN; 28.06.2011, Nunez, 55597/09; 03.11.2011, Arvelo Aponte, 28770/05; 14.02.2012, Antwi u.a., 26940/10). Solche außergewöhnlichen Umstände können sich insbesondere aus einer sehr langen Aufenthaltsdauer und den Auswirkungen der Ausweisung auf die dadurch betroffenen Kinder ergeben. Dem Kindeswohl kommt nach höchstgerichtlicher Judikatur bei der Interessensabwägung ein hoher Stellenwert zu. Daraus lässt sich aber umgekehrt nicht der Schluss ziehen, dass private Interessen in jenen Konstellationen, in denen Kindern in ihrem Recht auf Familienleben mittelbar von einer aufenthaltsbeenden Maßnahme gegen einen Familienangehörigen betroffen sind, immer den gegenläufigen öffentlichen Interessen vorgehen, sondern kommt es jeweils auf die Konstellation im konkreten Einzelfall an (vgl. dazu etwa VwGH 30.08.2018, Zl. Ra 2018/21/0063-11; VwGH 23.02.2017, Zl. 2016/21/0235-8, Rz 10-11; VwGH 31.08.2017, Zl. Ra 2017/21/0041-13; VwGH 24.01.2013, Zl. 2010/21/0523).

Nach den Vorgaben der Judikatur des EGMR, vor allem nach den in der Rechtssache Boultif formulierten Kriterien, ist in diesem Zusammenhang u. a. zu ermitteln: die Dauer des Aufenthalts des Beschwerdeführers in dem Land, aus dem er ausgewiesen werden soll, die Staatsangehörigkeit der einzelnen Betroffenen; die familiäre Situation des Beschwerdeführers und insbesondere gegebenenfalls die Dauer seiner Ehe und andere Faktoren, welche die Effektivität eines Familienlebens bei einem Paar belegen; die Frage, ob aus der Ehe Kinder hervorgegangen sind und wenn ja, welches Alter sie haben, und das Maß an Schwierigkeiten, denen der Ehegatte in dem Land unter Umständen begegnet, in das der Beschwerdeführer auszuweisen ist (EGMR 02.08.2001, Fall Boultif, Appl. 54.273/00, VfGH 01.07.2009, Zl. U992/08).

Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu. Für den Aspekt des Privatlebens spielt auch die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung grundsätzlich keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Peter Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 852ff.). Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Interessenabwägung gemäß Art. 8 EMRK ist bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden etwa Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen. Diese Rechtsprechung zu Art. 8 EMRK ist auch für die Erteilung von Aufenthaltstiteln relevant (VwGH 10.11.2015, Zl. 2015/19/0001; VwGH 26.03.2015, Zl. 2013/22/0303; VwGH 16.12.2014, Zl. 2012/22/0169; VwGH 19.11.2014, Zl. 2013/22/0270; VwGH 10.12.2013, Zl. 2013/22/0242).

Die "Zehn-Jahres-Grenze" in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes spielt jedoch nur dann eine Rolle, wenn einem Fremden kein strafrechtliches Fehlverhalten vorzuwerfen ist. Der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, dass es von einem Fremden, welcher sich im Bundesgebiet aufhält, als selbstverständlich anzunehmen ist, dass er die geltenden Rechtsvorschriften einhält. Zu Lasten eines Fremden ins Gewicht fallen jedoch sehr wohl rechtskräftige Verurteilungen durch ein inländisches Gericht (vgl. VwGH 27.02.2007, Zl. 2006/21/0164, mwN, wo dieser zum wiederholten Male klarstellt, dass das Vorliegen einer rechtskräftigen Verurteilung den öffentlichen Interessen im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK eine besondere Gewichtung zukommen lässt). Wie der Verwaltungsgerichtshof auch in jüngster Rechtsprechung immer wieder ausgeführt hat, erhöht eine wiederholte Straffälligkeit das Interesse an einer Rückkehrentscheidung und hat der Fremde auch in einer Gesamtabwägung die durch die Rückkehrentscheidung bewirkte Beeinträchtigung seiner familiären Rechte hinzunehmen (vgl. dazu etwa VwGH 31.08.2017, Zl. Ro 2017/21/0012).

Bei der Beurteilung des Grades der Integration des Fremden sind insbesondere die Selbsterhaltungsfähigkeit, die schulische und berufliche Ausbildung, die Beschäftigung und die Kenntnisse der deutschen Sprache zu berücksichtigen (vgl. dazu etwa VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/22/0023). Die Umstände, dass ein Fremder perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, stellen keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale dar (Hinweis E 26. November 2009, 2008/18/0720).

Im Bundesgebiet befinden sich die gemeinsam mit ihm eingereiste Frau und drei Kinder, sowie drei in Österreich geborene Kinder. Die Ehe bestand bereits vor Einreise in das Bundesgebiet.

Für das öffentliche Interesse der Aufenthaltsbeendigung sprechen zu einem die zweimalige strafrechtliche Verurteilung, welche auf die gleich schädliche Neigung beruhte und die seit längerem nicht vorhandene berufliche Integration des BF in Österreich.

Weiters kann beim BF mit seiner Frau bzw. mit seinen minderjährigen Kindern nicht von einem Familienleben gesprochen werden, da er mit diesen seit dem Jahr 2015/2016 nicht mehr in einem Haushalt lebt. Mit den erwachsenen Kindern, welche auch nicht bei der Mutter wohnen, ist zwar von einem sehr innigen Naheverhältnis auszugehen, aber es bestehen keine Abhängigkeiten voneinander. Die beiden erwachsenen Kinder leben alleine und erhalten nur gelegentlich finanzielle Unterstützung. Der BF lebt alleine in einer größeren Entfernung zu den beiden Kindern.

Weiters hat der BF noch immer eine Verbindung in seinen Herkunftsstaat, wo seine Eltern und ein Bruder leben. Der BF kennt die tschetschenische Kultur, ist dort aufgewachsen, zur Schule gegangen und hat auch Berufserfahrung in seinem Heimatland. Der BF besuchte auch in den letzten Jahren seine Eltern in Tschetschenien.

Der BF hat keinen großen Freundeskreis in Österreich.

Dem BF würde es auch offen stehen, mit seinen in Österreich lebenden Angehörigen, auch nach Rückkehr in die Russische Föderation telefonisch oder über das Internet aufrechtzuerhalten.

Hinzuweisen ist auf das Erkenntnis des VfGH vom 11.06.2014, B 623-624/2013, und auf das Urteil des EGMR vom 24.04.1996 im Fall Boughanemi, Nr. 22070/93 (siehe Rz 33 und 35), wonach ein von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Familienleben zwischen Eltern und Kind mit dem Zeitpunkt der Geburt entsteht. Diese besondere geschützte Verbinung kann in der Folge nur unter außergewöhnlichen Umständen als aufgelöst betrachtet werden. Das Auflösen einer Hausgemeinschaft von Eltern und volljährigen Kindern alleine führt jedenfalls nicht zur Beendigung des Familienlebens im Sinne von Art. 8 Abs. 1 EMRK, solange nicht jede Bindung gelöst ist. Für das Bestehen eines Familienlebens zwischen Eltern und Kindern kommt es nicht darauf an, dass ein „qualifiziertes und hinreichend stark ausgeprägtes Nahverhältnis“ besteht, sondern darauf, ob jede Verbindung gelöst wurde (siehe gleichlautend schon vorher VfGH 12.03.2014, U 1904/2013).

Hinzuweisen ist auf das Erkenntnis des VfGH vom 11.06.2014, B 623-624/2013, und auf das Urteil des EGMR vom 24.04.1996 im Fall Boughanemi, Nr. 22070/93 (Rz 33 und 35), wonach ein von Art 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Familienleben zwischen Eltern und Kind mit dem Zeitpunkt der Geburt entsteht. Diese besondere geschützte Verbindung kann in der Folge unter außergewöhnliche Umständen als aufgelöst betrachtet werden. Das Auflösen einer Hausgemeinschaft von Eltern und volljährigen Kindern alleine führt jedenfalls nicht zur Beendigung des Familienlebens im Sinne von Art 8 Abs. 1 EMRK, solange nicht jede Bindung gelöst ist. Für das Bestehen eines Familienlebens zwischen Eltern und Kindern komme es nicht darauf an, dass ein „qualifiziertes und hinreichend stark ausgeprägtes Naheverhältnis“ besteht, sondern darauf, ob jede Verbindung gelöst wurde (sieh gleichlautend schon vorher VfGH 12.03.2014, U 1904/2013).

Ein großes Interesse des BF am Verbleib im Bundesgebiet ist jedoch auf jeden Fall aufgrund seinen langen Aufenthaltes gegeben. Der BF stellte im Jahr 2004 einen Antrag auf internationalen Schutz und erhielt den Status als Asylberechtigter im Jahr 2005, sodass er nunmer seit 16 Jahren im Bundesgebiet aufhältig ist.

Zu seiner Nichtvorhandenen beruflichen Integration in Österreich ist anzuführen, dass der BF nach Erhalt der Flüchtlingseigenschaft immer wieder versuchte eine berufliche Tätigkeit aufzunehmen und diese auch ausübte. Er brachte glaubhaft vor, dass er immer wieder als Hilfsarbeiter für kurze Zeit benötigt wurde und diese Arbeiten annahm. Ein längere Arbeitstätigkeit erfolgte in der Firma XXXX . Seine berufliche Tätigkeit endete mit seiner Verhaftung im Jahr 2009. Der BF wurde in U-Haft genommen und war wegen des Verdachtes des Mordes nach § 75 StGB angeklagt. Es wird seitens des Gerichtes berücksichtigt, dass der BF, aufgrund dieser Inhaftierung in psychische Probleme gelangte, welche ihm es nicht ermöglichten unmittelbar Arbeit zu finden bzw. wie von seiner Tochter glaubhaft vorgebracht, der BF auch als Mörder abgestempelt war (Seite 10 des Verhandlungsprotokolls) und daher die Firmen sich zurückhielten ihn aufzunehmen. Die psychischen Probleme wurden durch die vorgelegte Behandlungsbestätigung glaubhaft dargelegt, sowie, dass der BF selbst versuchte durch Inanspruchnahme von professioneller Hilfe in das gesellschaftliche Leben zurückzufinden und Arbeit zu finden. Auch wurden seitens des BF dargelegt und bestätigt, dass er auf Arbeitsuche ist, sodass nicht davon ausgegangen werden kann, dass der BF nichts tut und sich weigert beruflich, wie vor der Inhaftierung, Fuss zu fassen. Sodass seitens des Gerichtes die nichtvorhandene berufliche und gesellschaftliche Integration relatviert werden muss. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist auch zu berücksichtigen, dass Österreich von der Coronapandemie betroffen ist und die Arbeitslosigkeit gestiegen ist. Es ist daher auch hier ein relativierender Umstand gegeben.

Weiters gab der BF glaubhaft an, dass er gegebenüber seinen Mitmenschen grundsätzlich wohlwollend und fürsorglich umgeht. Er hat verschiedenen Menschen das Leben gerettet und sich selbst in Gefahr gebracht, wodurch er seine Rückenverletzung erhielt (Seite 8 des Verhandlungsprotokolls).

Ein Gesinnungswandel eines Straftäters ist grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat. Dieser Zeitraum ist nach den Grundsätzen der Judikatur umso länger anzusetzen, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden - etwa in Hinblick auf das der strafgerichtlichen Verurteilung zu Grunde liegende Verhalten oder einen raschen Rückfall - manifestiert hat (vgl. etwa VwGH 26.06.2019, Zl. Ra 2019/21/0118).

Zur strafrechtlichen Verurteilung, wurde seitens der Behörde richtig dargelegt, dass hier auch die lange Aufenthaltsdauer in Österreich, eine geringere Gewichtung erhält. Doch auch hier ist auf das strafrechtliche Verhalten und die Verurteilung konkret einzugehen. Der BF wurde wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht verurteilt, beide Male wurde jedoch eine bedingte Strafe ausgesprochen. Zusätzlich ist der BF, wie von seiner Frau bestätigt, seiner Unterhaltsverpflichtung nachgekommen und er brachte auch glaubhaft dar, dass bei Möglichkeit der BF, die seitens des Staates erfolgte Unterhaltsleistung zahlen und den Schaden wieder gut machen wird. Aufgrund der geringen Strafe und des geringen Unwertes der Taten, sowie der erfolgten Unterhaltsleistungen, wird die strafrechtliche Veurteilung die lange Aufenthaltsdauer des BF nur gering beeinträchtigen.

Schließlich muss noch das vorhandene Familienleben mit seinen Kindern berücksichtigt werden. Der BF kümmert sich, um alle seine Kinder, wenngleich er auch mit ihnen nicht zusammenlebt. Er verbringt ca. drei Tage in der Woche mit seinen Kindern und unterstützt auch seine erwachsenen Kinder, welcher nicht mehr in seinem oder im Haushalt seiner Frau leben. Die Tochter, stellt eindrucksvoll dar, dass ihr Vater, sie noch immer unterstützt und jederzeit bei notwendiger Hilfe diese auch leistet. Sodass hier eine gewisse Beziehungsintensität vorhanden ist, die von der Kommission für das Vorliegen eines Familienlebens gefordert wurde (EMRK 06.10.1981, B9202/80).

Aber auch zu seinen minderjährigen Kinder geht das Verwaltungsgericht im Gegensatz zur Behörde von einer intensiven Beziehung aus. Die Mutter und die Tochter legten eindrucksvoll und glaubhaft dar, dass sich der BF als liebevoller Vater, wenngleich auch mit psychischen Problemen, um seine Kinder kümmert und Erziehung- und Obsorgeaufgaben wahrnimmt. Auch während des Verdachtes der Erkrankung seines Sohnes an dem COVID-19 Virus, kümmerte sich der BF um diesen. Der BF unterstützt die Kinder in der Schule, beim Sport, in der Freizeit. Besonders die kleinsten Kinder, sind an den BF psychisch gebunden und würde bei der Aufenthaltsbeendigung des BF, dies gegen ihr Wohl sprechen, welches bei der Aufenthaltsbeendigung des BF zu berücksichtigen ist.

Wie seitens der Behörde dargestellt, spricht der BF deutsch und konnte die Verhandlung ohne Dolmetsch in deutscher Sprache führen, sodass das Gericht von Deutschkenntnissen auf Level A2 oder B1 ausgeht.

Abschließend legte der BF auch dar, dass er mit seinem unmittelbaren Umfeld Kontakt hat und so auch zu anderen Österreichern. So hilft er einem älteren Österreicher in seinem Haus oder hat Kontakt zu seinem ehemaligen Chef. Dass der BF keine weiteren Kontakte hat, ist sicherlich, dem Umstand seiner psychischen Beeinträchtigung und der geringen finanziellen Mitteln geschuldet.

Es wird nicht verkannt, dass dem Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, insbesondere der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften im Rahmen einer Güterabwägung grundsätzlich ein hoher Stellenwert zukommt, sowie der Tatsache, dass der BF zweimal straffällig wurde und zurzeit keine berufliche und starke soziale Integration zu anderen Menschen besteht, doch ist im gegenständlichen Fall aus den eben dargelegten Gründen in einer Gesamtschau und Abwägung aller Umstände das Interesse an der - nicht nur vorübergehenden - Fortführung des Privat- und Familienlebens des BF in Österreich dennoch höher zu bewerten als das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung.

Aus all den dargelegten Umständen ergibt sich unzweifelhaft, dass der BF zahlreiche der oben angeführten Kriterien, die bei der Abwägung der betroffenen Interessen maßgeblich zu berücksichtigen sind, erfüllt und diese besonders intensiven familiären und privaten Interessen auch die öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts in Österreich überwiegen.

Da im Hinblick auf die oben dargelegten Abwägungen zum Entscheidungszeitpunkt das Interesse des BF an der Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens in Österreich im konkreten Fall die in Art. 8 Abs. 2 EMRK angeführten öffentlichen Interessen überwiegt und die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen nicht nur vorübergehenden Eingriff in das Recht auf Privat- und Familienleben darstellen würde, war der Beschwerde stattzugeben und gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festzustellen, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

Zur Erteilung eines Aufenthaltstitels:

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist gemäß Abs. 2 leg. cit. eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.

Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist gemäß § 9 Abs. 4 IntG erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige

1. einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 vorlegt,

(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art. III Z 15,

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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