Entscheidungsdatum
27.10.2020Norm
AsylG 2005 §11Spruch
I421 2210340-1/22E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Martin STEINLECHNER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , StA. Nigeria, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, Pulverturmgasse 4/2/R01, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX vom 22.11.2018, Zl. 17-1139522407/170012898, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13.10.2020, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 Asylgesetz 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) stellte am 04.01.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dazu wurde er am selbigen Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes einer Erstbefragung unterzogen. Dabei gab der BF an, am 04.12.2001 geboren zu sein. Als Fluchtgrund führte er aus, der Volksgruppe der Ouzu anzugehören, welche ausgegrenzt werde und die Volksgruppenzugehörigen wie Sklaven behandelt werden würden.
2. Aufgrund der Altersangabe des BF im Rahmen der Erstbefragung und Zweifel an seiner Minderjährigkeit wurde am 02.02.2017 ein medizinisches Sachverständigengutachten zur Feststellung eines absoluten Mindestalters durchgeführt mit dem Ergebnis, dass das spätmöglichste fiktive Geburtsdatum des BF der XXXX sei.
3. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA, belangte Behörde) am 04.12.2017 führte der BF an, er habe aus Angst im Zuge der Erstbefragung nicht alles angegeben. Er habe nicht gesagt, dass er homosexuell sei und die Leute aus seiner Gemeinde ihn suchen würden. Er könne bzw. dürfe seine Homosexualität in Nigeria nicht ausleben. Eine Person des Dorfes habe den BF beim Küssen mit seinem Freund gesehen, weswegen der Hauptmann der Gemeinde den Vater, den BF und dessen Freund eingeladen und den BF sowie dessen Freund vor die Wahl gestellt habe, entweder damit aufzuhören oder vom Dorf vertrieben zu werden. Der BF habe mitgeteilt, er könne seine Gefühle nicht stoppen, weswegen der BF und sein Freund hätten aus dem Dorf verwiesen werden sollen. Der Dorfbewohner, welcher dem Hauptmann alles erzählt habe, sei am nächsten Tag vorbeigekommen, der Freund des BF habe diesen dann geschupst, aufgrund dessen eine Schlägerei entbrannt sei, in deren Zuge der Freund des BF totgeschlagen bzw. erstochen worden sei.
4. Am 10.07.2018 wurde der BF von der belangten Behörde im Verfahren des XXXX als Zeuge niederschriftlich einvernommen. Im Anschluss an die Befragung fand auch eine Befragung des BF als Partei zu seinem Privatleben statt. XXXX wurde der Status des Asylberechtigten mit Bescheid vom 31.07.2018, Zl. XXXX /151815242, zuerkannt.
5. Mit Urgenz vom 22.08.2018 teilte die Rechtsvertretung des BF mit, dass die gesetzliche Entscheidungsfrist in erheblichem Maße überschritten worden sei und der aufgrund seines Fluchtvorbringens stark belastete BF an der überlangen Verfahrensdauer und der damit einhergehenden Perspektivlosigkeit leide, weswegen er sich sowohl in psychotherapeutischer als auch psychiatrischer Behandlung befinde.
6. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 22.11.2018, Zl. 17-1139522407/170012898, wurde der zuvor genannte Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria abgewiesen (Spruchpunkt II.). Zugleich erteilte sie dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.) und wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde weiters festgestellt, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt V.). Eine Frist für eine freiwillige Ausreise wurde dem BF nicht gewährt (Spruchpunkt VI.), einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.)
7. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht durch die Rechtsvertretung des BF erhobene Beschwerde vom 18.12.2018, bei der belangten Behörde per Fax eingelangt am selben Tag, mit welcher der Bescheid vollinhaltlich angefochten wurde, wobei unrichtige Feststellungen, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht wurden. Es sei nicht nachvollziehbar, weswegen dem BF die Glaubwürdigkeit hinsichtlich seiner Homosexualität verweigert wurde, da er seine sexuelle Orientierung ausführlich dargestellt habe. Die Beweiswürdigung sei lediglich rudimentär erfolgt, Länderberichte hätten keinen Niederschlag in den Erwägungen gefunden. Die nigerianische Regierung könne dem BF zudem keinen Schutz gewähren, auch sei in Zusammenhang mit einer allfälligen innerstaatlichen Fluchtalternative nicht auf die persönlichen Umstände des BF eingegangen worden, zudem fehle dem BF ein soziales bzw. familiäres Auffangnetz in Nigeria.
8. Mit Schriftsatz vom 19.12.2018, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 27.12.2018, legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.
9. Am 28.02.2019 erging ein Teilerkenntnis seitens des Bundesverwaltungsgerichtes, Außenstelle Innsbruck, durch welches dem BF die aufschiebende Wirkung seiner Beschwerde zuerkannt wurde.
10. Mit Schreiben vom 03.03.2020 erging ein Schreiben an das Bundesverwaltungsgericht mit der Bitte, das Verfahren des BF positiv zu entscheiden bzw. allenfalls eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, da die Ungewissheit des Aufenthaltes für den BF sehr belastend sei.
11. Mit Beschluss des Geschäftsverteilungsausschusses vom 19.05.2020 wurde die Rechtsache der Gerichtsabteilung I406 des Bundesverwaltungsgerichtes, Außenstelle Innsbruck, abgenommen und der Gerichtsabteilung I421 neu zugewiesen.
12. Mit Schreiben vom 01.09.2020 erging neuerlich ein Ersuchen um Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.
13. Mit Einlangen per Fax am 09.10.2020 wurde eine Stellungnahme hinsichtlich der Situation Homosexueller in Nigeria eingebracht.
14. Am 13.10.2020 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, eine mündliche Beschwerdeverhandlung in Anwesenheit des BF, seines Rechtsvertreters, eines Vertreters der belangten Behörde und eines Dolmetschers für englische Sprache abgehalten. Der von der Rechtsvertretung des BF beantragte Zeuge XXXX ist nicht erschienen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der volljährige BF ist ledig, kinderlos, konfessionslos und nigerianischer Staatsangehöriger. Er gehört der Sprachgruppe der Abo an. Seine Identität steht nicht fest.
Der BF leidet an keiner lebensbedrohlichen Krankheit und ist arbeitsfähig.
Er stammt aus dem Dorf XXXX , Abo State, Nigeria, wo er bis zu seiner Ausreise lebte. Von seinem Heimatdorf aus reiste der BF nach Lagos (=Negos) und weiter nach Libyen, bevor er per Boot nach Italien weiterreiste, dort erkennungsdienstlich am 27.10.2016 behandelt wurde und schließlich (spätestens) mit 04.01.2017 Österreich erreichte und seitdem im Bundesgebiet aufhältig ist.
In Nigeria besuchte der BF zwei Jahre lang die Schule, anschließend arbeitete er bis zu seiner Ausreise auf der Landwirtschaft der Mutter. Familiäre Anknüpfungspunkte in Nigeria bestehen dahingehend, dass die Mutter sowie die Schwester und der Bruder des BF noch in Nigeria leben, zu denen der BF auch regelmäßig telefonischen Kontakt pflegt.
In Österreich geht der BF abgesehen vom Verkauf der XXXX Stadt- und Straßenzeitung „ XXXX “ auf selbständiger Basis seit 31.10.2018 keiner Erwerbstätigkeit nach. Er bezieht Leistungen aus der Grundversorgung.
Der BF nahm am Basisbildungskurs „Lernnetzwerk für Flüchtlinge im Alter von 15 bis 19 Jahren“ teil, weiters an der Basisbildung/Grundkompetenzen der Volkshochschule XXXX , am Deutschkurs der Bürgerinitiative „Deutsch für Flüchtlinge“ sowie am Deutschkurs der XXXX XXXX . Auch besuchte der BF den Kurs „Ich will lernen“ sowie zwei Berufsorientierungsveranstaltungen. Am 30.03.2019 wirkte der BF bei der Flurreinigungsaktion der Gemeinde XXXX mit. Im Zeitraum vom 08.07.2020 bis zum 22.07.2020 nahm der BF im Rahmen des XXXX Integrationskompasses am Verfahren zur Erfassung und Förderung praktischer beruflicher Kompetenzen für Bildung und Arbeit teil, weiters auf freiwilliger Basis am Qualifizierungsprojekt XXXX im Ausmaß von 93 Stunden. In der Grundversorgungseinrichtung XXXX verrichtet der BF seit vielen Monaten gemeinnützige Tätigkeiten. Auch Unterstützungserklärungen seitens der Wohngemeinschaft XXXX und des Vereins XXXX legte er vor. Der BF hat sowohl an einem Deutschkurs auf Niveau A1 als auch A2 erfolgreich teilgenommen. Seit 10.12.2019 absolviert er an der Akademie der XXXX Sozialdienste einen Deutschkurs im Ausmaß von 4 Unterrichtseinheiten pro Woche auf der Niveaustufe B1. Eine Deutsch-Sprachprüfung hat der BF jedoch nicht abgelegt und erweisen sich die sprachlichen Fähigkeiten des BF als gering.
In Österreich verfügt der BF über keine Verwandten oder familiären Beziehungen. Der BF verfügt über soziale Kontakte im Bundesgebiet, maßgebliche private Beziehungen im Sinne eines schützenswerten Privatlebens konnten jedoch nicht festgestellt werden. Der BF ist nicht Mitglied eines Vereines oder einer sonstigen Institution.
Der BF ist im Bundesgebiet unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtmotiven und der individuellen Rückkehrsituation des Beschwerdeführers:
Das Fluchtvorbringen des BF, wonach er aufgrund seiner homosexuellen Orientierung in Nigeria einer Verfolgung ausgesetzt gewesen wäre bzw. aus diesem Grund sein Herkunftsland verlassen habe, konnte nicht festgestellt werden.
Im Zuge des durchgeführten Verfahrens konnte jedoch die Homosexualität des BF festgestellt werden. Im Falle einer Rückkehr nach Nigeria wird der BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer Verfolgung aufgrund seiner sexuellen Orientierung ausgesetzt sein. Darüber hinaus wäre der BF gezwungen, auch wenn er nicht in seinen Heimatort zurückkehren würde, seine Homosexualität zu verheimlichen bzw. könnte er diese nicht ausleben.
1.3. Zu den Feststellungen zur Lage in Nigeria:
Mit der Ladung zur Verhandlung am 13.10.2020 wurde der Rechtsvertretung des BF das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Nigeria vom 20.05.2020 übermittelt und in der mündlichen Verhandlung auch erörtert. Zumal sich das Fluchtvorbringen auf die Homosexualität des BF bezieht, wird lediglich der diesbezüglich maßgebliche Ausschnitt angeführt.
Allgemeine Menschenrechtlage [Auszug]:
Die Gleichstellung von Angehörigen sexueller Minderheiten wird gesetzlich verweigert, homosexuelle Handlungen sind mit schweren Strafen belegt (AA 24.52019a).
Homosexuelle in Nigeria:
Homosexuelle Handlungen jeglicher Art sind – unabhängig vom Geschlecht der betroffenen Personen – sowohl nach säkularem Recht (AA 16.1.2020; vgl. GIZ 3.2020b) als auch nach Scharia-Recht (Körperstrafen bis hin zum Tod durch Steinigung in besonderen Fällen) strafbar (AA 16.1.2020; vgl. ÖB 10.2019). § 214 des Strafgesetzbuchs sieht 14 Jahre Haft für gleichgeschlechtliche Beziehungen vor (ÖB 10.2019). Der im Jänner 2014 verabschiedete Same Sex Marriage Prohibition Act (SSMPA) sieht zudem vor, dass homosexuelle Paare, die heiraten oder öffentlich ihre Zuneigung zeigen, mit Haft bestraft werden können. Das Gesetz sieht bis zu 14 Jahre Haft für Eheschließungen und zivilrechtliche Partnerschaften zwischen zwei Frauen oder zwei Männern vor (ÖB 10.2019; vgl. USDOS 11.3.2020, GIZ 3.2020b). Wer seine Liebesbeziehung zu einem Menschen des gleichen Geschlechts direkt oder indirekt öffentlich zeigt, soll dem Gesetz zufolge mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden können (ÖB 10.2019). Die gleiche Strafe ist für die Gründung und Unterstützung von Clubs, Organisationen oder anderen Einrichtungen für Schwule und Lesben vorgesehen (ÖB 10.2019; vgl. AA 16.1.2020).
In den zwölf nördlichen Bundesstaaten, wo das islamische Recht in Kraft ist, können homosexuelle Handlungen mit Haft, Stockschlägen oder Tod durch Steinigung bestraft werden. Im Jahr 2019 wurden von Scharia-Gerichten keine solchen Urteile verhängt. In den vergangenen Jahren kam es zu Verurteilungen zu Stockschlägen (USDOS 11.3.2020).
Homosexuelle versuchen aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen und weitverbreiteter Vorbehalte in der Bevölkerung, ihre sexuelle Orientierung zu verbergen (AA 16.1.2020). Der SSMPA hat zu einer weiteren Stigmatisierung von Lesben und Schwulen geführt. Diese werden oftmals von der Polizei schikaniert und misshandelt, sowie von der Bevölkerung gemobbt oder mittels Selbstjustiz verfolgt (GIZ 3.2020b). Gewalt seitens der Gesellschaft tritt häufig auf, öfter als seitens des Staates. Die meisten Menschenrechtsverletzungen gegen Homosexuelle gehen von nicht-staatlichen Akteuren aus (EMB B 9./10.2019). Das Ausmaß der physischen Gewalt ist allerdings zurückgegangen (LNGO C 9./10.2020). Der Staat ist in solchen Fällen nicht schutzfähig oder schutzwillig (EMB B 9./10.2019; vgl. LNGO C 9./10.2019; WHER 9./10.2019). Seit der Verabschiedung des SSMPA im Jahr 2014 ist es vorerst zu einem leichten Rückgang der Gewalt gegen Homosexuelle gekommen, aber zugleich zu einer Zunahme von Erpressungen (TIERS 12.2019; vgl. LNGO C 9./10.2019), Eindringen in die Privatsphäre und willkürlichen Verhaftungen. Im Jahr 2019 ist es zu einer sprunghaften Zunahme von illegalen Anhaltungen und Durchsuchungen, zielgerichtetem Missbrauch sowie ungesetzlichen Verhaftungen gekommen (TIERS 12.2019).
Im Rahmen der Verabschiedung des SSMPA 2014 kam es zu einer Zunahme an Fällen von Belästigung und Drohung. Es wurde von zahlreichen Verhaftungen berichtetet (USDOS 11.3.2020; vgl. WHER 9./10.2019). Im August 2018 wurden 57 Personen bei einer Hotelparty verhaftet, wo die Polizei „homosexuelle Aktivitäten“ feststellte. Ende 2019 lief das Verfahren noch (USDOS 11.3.2020). Eine generelle bzw. systematische „staatliche Verfolgung“ ist derzeit nicht gegeben (ÖB 10.2019; vgl. EMB A 9./10.2019). Die Rechtsänderung hat bisher nicht zu einer flächendeckenden verschärften Strafverfolgung geführt (AA 16.1.2020). Allerdings dient der SSMPA zur Rechtfertigung von Menschenrechtsverletzungen wie Folter, sexueller Gewalt, willkürlicher Haft, Erpressung von Geld sowie Verletzung von Prozessrechten (USDOS 11.3.2020).
Gesellschaftliche Diskriminierung bei offenem Zurschaustellen der sexuellen Orientierung ist vorhanden (ÖB 10.2019; vgl. AA 16.1.2020). Die Community wird nicht überwacht (EMB A 9./10.2019). Die Polizei wird nicht aus eigenem Antrieb aktiv oder sucht gezielt nach Homosexuellen (EMB B 9./10.2019; vgl. WHER 9./10.2019). Sie verhaftet Verdächtige in erster Linie mit dem Ziel, Geld zu erpressen (EMB A 9./10.2019; vgl EMB B 9./10.2019; LNGO C 9./10.2019; LHRL 9./10.2019). Grundsätzlich kommen Verdächtige nach der Zahlung einer „Kaution“ wieder frei (LNGO C 9./10.2019; vgl. LHRL 9./10.2019).
Auch für betroffene Homosexuellen-NGOs hatte der SSMPA kaum Auswirkungen, keine der Organisationen musste die Arbeit einstellen. Kurzfristig hatten einige Organisationen den Eindruck, von der Bildfläche verschwinden zu müssen. Das taten sie teilweise kurz, und als nichts passierte, tauchten sie wieder auf. Derzeit sieht man eine Professionalisierung bei den Organisationen. Zusammengefasst hatte das Gesetz kurz Auswirkungen auf NGOs, diese ist jedoch vorübergegangen. Eine Bedrohung ist allerdings immer noch spürbar (EMB B 9./10.2019). Der SSMPA hat neben einer Steigerung der Belästigungen von Homosexuellen auch zu einer erhöhten Sichtbarkeit der homosexuellen Community geführt, und zu dem Bewusstsein in der Bevölkerung, das Homosexualität in Nigeria existiert (WHER 9./10.2019).
Verschiedene NGOs bieten Angehörigen sexueller Minderheiten rechtliche Beratung und Schulungen in Meinungsbildung, Medienarbeit und Bewusstseinsbildung in Bezug auf HIV an (USDOS 11.3.2020). Gemäß zweier Quellen organisieren die Menschenrechtsgruppen im Bereich MSM und WSW (männliche und weibliche Angehörige sexueller Minderheiten) nach Anruf Anwälte, die im Falle einer Verhaftung tätig werden. Diese Gruppen kooperieren fallweise miteinander (NJA 9/10.2019; vgl. EMB B 9/10.2019). Manchmal werden solche Organisationen auch direkt seitens der Polizei kontaktiert (EMB B 9/10.2019). Die Organisation WHER organisiert bei betroffenen WSW eine Freilassung auf Kaution (WHER 9/10.2019).
Es existieren Netzwerke von Menschenrechtsanwälten, welche – im Falle der Verhaftung eines Homosexuellen – unmittelbar kontaktiert werden und die Person gegen „Kaution“ freizukaufen versuchen (IO1 20.11.2015). Allerdings gibt es nicht sehr viele Anwälte, die in diesem Bereich arbeiten wollen, da sie sich nicht exponieren wollen (NJA 9./10.2019) Homosexuellen-Netzwerke verschiedener Landesteile bzw. Städte stehen miteinander in Kontakt (LHRL 9./10.2019). Die Netzwerke und Organisationen bieten auch Unterstützung und Zufluchtsmöglichkeiten an (USDOS 11.3.2020). Es gibt einige Safe Houses aber die Finanzierung derselben ist nicht ausreichend (LNGO D 9/10.2019). Die NGO WHER betreibt etwa ein Safe House für Frauen, die etwa durch Familie oder Polizei einem unmittelbaren Sicherheitsrisiko ausgesetzt sind (WHER 9/10.2019).
Es gibt viele Fälle, in denen die Betroffenen nicht wissen, an wen sie sich wenden können (NJA 9./10.2019). Nach Angaben einer anderen Quelle sind die Homosexuellen-NGOs den Betroffenen üblicherweise zumindest in größeren Städten wie Lagos bekannt, in ländlichen Gegenden allerdings oftmals nicht. Dort wissen Betroffene nicht, an wen sie sich im Fall einer Verhaftung wenden können (EMB B 9./10.2019).
Die Situation von homosexuellen Frauen ist einerseits besser als jene von homosexuellen Männern, da von einem Teil der Männer Homosexualität bei Frauen eher toleriert wird, andererseits sind Frauen in Nigeria generell mit Schwierigkeiten konfrontiert. Für homosexuelle Frauen ist es schwer denkbar, sich gegenüber Familie oder Freunden zu outen. Frauen – wie Männer – heiraten manchmal als Deckmantel für ihre Homosexualität, z.B. eine homosexuelle Frau einen homosexuellen Mann, um sozialen Normen zu genügen. Der SSMPA gilt für Frauen und Männer gleichermaßen. Im Strafrecht (penal code) und Scharia-Recht des Nordens sowie im Strafrecht (criminal code) im Süden gibt es eigene Passagen, die sich mit weiblicher Homosexualität befassen (WHER 9./10.2019).
2. Beweiswürdigung:
Der erkennende Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:
2.1. Zum Verfahrensgang
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
2.2. Zum Sachverhalt:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des BF vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz samt Stellungnahme sowie in das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Nigeria (Stand 20.05.2020). Weiters wurde Einsicht in den Verfahrensakt des XXXX , Fz. XXXX genommen. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR), der Grundversorgung (GVS) sowie ein Sozialversicherungsdatenauszug wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt. Zudem wurde der BF am 13.10.2020 in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht einvernommen, wo er zu seinem geltend gemachten Fluchtgrund, seinen Lebensumständen im Herkunftsstaat Nigeria und seinen Lebensumständen in Österreich befragt wurde. Dabei konnte sich der erkennende Richter einen unmittelbaren persönlichen Eindruck vom BF verschaffen.
2.3. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen, seiner Konfessionslosigkeit, seiner Staatsangehörigkeit, seiner Sprachgruppenzugehörigkeit und seiner Herkunft ergeben sich aus den diesbezüglichen glaubhaften Angaben des BF im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde (Protokoll vom 04.12.2017, AS 191 f) und der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (Protokoll vom 13.10.2020, S 4). Da der BF den österreichischen Behörden keine identitätsbezeugenden Dokumente vorlegen konnte, steht seine Identität nicht zweifelsfrei fest.
Dass der BF an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen leidet, ergibt sich aus dessen Angaben vor dem erkennenden Richter, wo der BF ausführte, nicht an chronischen Krankheiten oder anderen Leiden oder Gebrechen zu leiden, nur keinen Zucker zu vertragen (Protokoll vom 13.10.2020, S 4). Bereits im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde wurden keine lebensbedrohlichen Erkrankungen vorgebracht (Protokoll vom 04.12.2017, AS 189) und konnte auch aus dem unbestrittenen Verwaltungsakt nichts Gegenteiliges entnommen werden. Aufgrund dessen lässt sich auch im Umkehrschluss auf die Arbeitsfähigkeit des BF schließen, welche sich überdies aus dem Alter des BF ergibt. Zudem ging der BF bereits in Nigeria einer Tätigkeit in der Landwirtschaft, nämlich auf der seiner Mutter, nach (Protokoll vom 04.12.2017, AS 193; Protokoll vom 13.10.2020, S 5). Darüber hinaus geht der BF ins Fitnessstudio und fährt Snowboard, sodass von einer körperlichen Fitness des BF auszugehen ist (Protokoll vom 13.10.2020, S 11).
Entsprechend den Ausführungen im Rahmen der Erstbefragung (Protokoll vom 04.01.2017, AS 9) und den der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde (Protokoll vom 04.12.2017, AS 195) ergibt sich, dass der BF über Lagos (= Negos) nach Libyen ausreiste, bevor er per Boot nach Italien und weiter nach Österreich gelangte. Die erkennungsdienstliche Behandlung ergibt sich aus einem EURODAC-Treffer in Italien datiert mit 27.10.2016. Dass der BF seit spätestens 04.01.2017 in Österreich aufhältig ist, ergibt sich aus dem Datum der Asylantragstellung (Protokoll vom 04.01.2017, AS 5).
Die Feststellung, dass der BF zwei Jahre lang in Nigeria die Schule besucht und anschließend auf der Landwirtschaft der Mutter gearbeitet hat, ergibt sich aus den übereinstimmenden Angaben des BF vor der belangten Behörde (Protokoll vom 04.12.2017, AS 192 f) und dem erkennenden Richter des Bundesverwaltungsgerichts (Protokoll vom 13.10.2020, S 5). Hinsichtlich der familiären Anknüpfungspunkte ist auf die Ausführungen des BF im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde zu verweisen (Protokoll vom 04.12.2017, AS 193), welche der BF im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung nochmals bestätigte (Protokoll vom 13.10.2020, S 9).
Der Umstand, dass der BF die XXXX Stadt- und Straßenzeitung „ XXXX “ verkauft, ergibt sich aus der vorgelegten Bestätigung des BF vom 21.09.2020 seitens des Vereins STZ Straßenzeitung XXXX . Hinsichtlich des Bezuges von Leistungen aus der Grundversorgung gilt es, auf den amtswegig eingeholten Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem zu verweisen, hinsichtlich dem Nichtnachgehen einer Erwerbstätigkeit – abgesehen vom Verkauf der Zeitung „ XXXX “ – auf den Sozialversicherungsdatenauszug zur Person des BF.
Die Integrationsbemühungen des BF ergeben sich aus den diesbezüglich vorgelegten Urkunden (AS 215 ff; AS 255 ff; AS 554 ff; weiters aus den im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 13.10.2020 vorgelegten Urkunden). In Ermangelung von Unterlagen hinsichtlich der Absolvierung einer Deutsch-Sprachprüfung war die Feststellung zu treffen, dass der BF eine solche nicht abgelegt hat, obwohl dieser vor dem erkennenden Richter ausgeführt hat, die Sprachprüfung auf Niveau A1 gemacht zu haben (Protokoll vom 13.10.2020, S 11). Es wird vom erkennenden Richter nicht verkannt, dass der BF zwar Deutschkenntnisse aufweist und auch an mehreren Deutschkursen teilgenommen hat, jedoch war der BF während der gesamten mündlichen Verhandlung auf einen Dolmetscher angewiesen und konnte er im Zuge einiger in Deutsch gestellter Fragen nur geringe Deutschkenntnisse vor dem erkennenden Richter aufzeigen (Protokoll vom 13.10.2020, S 10).
Entsprechend den Angaben des BF sowohl vor der belangten Behörde (Protokoll vom 04.12.2017, AS 204) also auch vor dem erkennenden Richter (Protokoll vom 13.10.2020, S 10) leben keine Verwandten bzw. Familienangehörigen des BF im Bundesgebiet. Dass der BF über soziale Kontakte im Bundesgebiet verfügt, ergibt sich bereits aus seiner über 3,5-jährigen Aufenthaltsdauer. Vor dem erkennenden Richter führte der BF aus, er sei Single und lebe in keiner Lebensgemeinschaft, auch sei er nicht verlobt und beabsichtige er nicht, in nächster Zeit zu heiraten (Protokoll vom 13.10.2020, S 4). Hinsichtlich seines früheren Freundes XXXX gab der BF zu Protokoll, dass er zu diesem keinen Kontakt mehr habe. Auch hinsichtlich seines Freundes XXXX konnte keine maßgebliche private Beziehung festgestellt werden, zumal der BF dessen Nachnamen nicht nennen und er lediglich dessen Visitenkarte vorlegen konnte, zudem der als Zeuge angebotenen XXXX auch nicht zur Verhandlung erschienen. Hinsichtlich XXXX gab der BF auf Nachfrage nur kurz an, es handle sich um einen Freund von ihm, mit dem er keinen Sex gehabt habe (Protokoll vom 13.10.2020, S 6). Insgesamt konnte der BF somit keine maßgeblichen privaten Beziehungen vorbringen. Zwar ergeben sich daraus jedenfalls private Kontakte, diese entsprechen jedoch, selbst wenn sie objektiv vorhanden und für den BF subjektiv von Bedeutung sind, nicht den Anforderungen an ein schützenswertes Privatleben und Familienleben, sowohl in zeitlicher Hinsicht als auch in Bezug auf die erforderliche Intensität. Der zeitliche Faktor ergibt sich aus der Dauer seines Aufenthaltes und dem Vorbringen des BF selbst, hinsichtlich der Intensität hat er weder ein Zusammenleben noch sonstige außergewöhnliche Aspekte behauptet, um eine Entscheidungsrelevanz daraus abzuleiten. Weitere konkrete Kontakte brachte der BF nicht vor. Der Umstand, dass der BF kein Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Institution ist, ergibt sich aus dessen Ausführungen vor der belangten Behörde (Protokoll vom 10.07.2018, AS 249) sowie den diesbezüglichen Angaben im Rahmen der mündlichen Verhandlung, wo der BF befragt nach dem Besuch bestimmter Kurse bzw. Mitgliedschaften in einem Verein lediglich ausführte, er gehe ins Fitnessstudio und snowboarde (Protokoll vom 13.10.2020, S 11).
Die strafgerichtliche Unbescholtenheit des BF ergibt sich aus einer aktuellen Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich vom 20.10.2020.
2.4. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Von einem Antragsteller ist ein Verfolgungsschicksal glaubhaft darzulegen. Einem Asylwerber obliegt es, bei den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen und Verhältnissen, von sich aus eine Schilderung zu geben, die geeignet ist, seinen Asylanspruch lückenlos zu tragen und hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern. Die Behörde bzw. das Gericht muss somit die Überzeugung von der Wahrheit des von einem Asylwerber behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor asylrelevanter Verfolgung herleitet. Es kann zwar durchaus dem Asylwerber nicht die Pflicht auferlegt werden, dass dieser hinsichtlich asylbegründeter Vorgänge einen Sachvortrag zu Protokoll geben muss, der auf Grund unumstößlicher Gewissheit als der Wirklichkeit entsprechend gewertet werden muss, die Verantwortung eines Antragstellers muss jedoch darin bestehen, dass er bei tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit die Ereignisse schildert. Der BF hat schließlich vor der belangten Behörde als Flucht- und Asylgrund geltend gemacht, dass er homosexuell sei, deshalb in seinem Herkunftsstaat verfolgt werde und er aus Furcht vor dieser Verfolgung auch nicht gewillt sei, zurückzukehren.
Generell ist zur Glaubwürdigkeit eines Vorbringens auszuführen, dass eine Aussage grundsätzlich dann als glaubhaft zu qualifizieren ist, wenn das Vorbringen hinreichend substantiiert ist; der BF sohin in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über von ihm relevierte Umstände bzw. Erlebnisse zu machen. Weiters muss das Vorbringen plausibel sein, d.h. mit überprüfbaren Tatsachen oder der allgemeinen Lebenserfahrung entspringenden Erkenntnissen übereinstimmen. Hingegen scheinen erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt einer Aussage angezeigt, wenn der BF den seiner Meinung nach seinen Antrag stützenden Sachverhalt bloß vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt. Weiteres Erfordernis für den Wahrheitsgehalt einer Aussage ist, dass die Angaben in sich schlüssig sind; so darf sich der BF nicht in wesentlichen Passagen seiner Aussage widersprechen. Es ist anhand der Darstellung der persönlichen Bedrohungssituation eines BF und den dabei allenfalls auftretenden Ungereimtheiten – z.B. gehäufte und eklatante Widersprüche (z.B. VwGH 25.1.2001, 2000/20/0544) oder fehlendes Allgemein- und Detailwissen (z.B. VwGH 22.2.2001, 2000/20/0461) – zu beurteilen, ob Schilderungen eines Asylwerbers mit der Tatsachenwelt im Einklang stehen oder nicht.
Darüber hinaus soll der Fluchtgrund ohne Verzögerung genannt werden, ein Nachschieben von Fluchtgründen zu einem späteren Zeitpunkt beeinflusst die Glaubhaftigkeit negativ, wenn kein vernünftiger Grund die spätere Mitteilung erklärt. Der Kern des Erzählstrangs soll durch Beweismittel bekräftigt werden können.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in zahlreichen Erkenntnissen betont, wie wichtig der persönliche Eindruck, den das zur Entscheidung berufene Mitglied der Berufungsbehörde im Rahmen der Berufungsverhandlung von dem Berufungswerber gewinnt, ist (siehe z.B. VwGH vom 24.06.1999, 98/20/0435, VwGH vom 20.05.1999, 98/20/0505, u.v.a.m.).
Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13.10.2020 kommt der erkennende Richter aufgrund des Eindrucks in der mündlichen Verhandlung, den obigen Ausführungen und aufgrund einer Gesamtschau des Akteninhaltes zum Schluss, dass das Fluchtvorbringen des BF nicht glaubhaft ist, der BF jedoch homosexuell ist und folglich im Falle einer Rückkehr nach Nigeria mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer Verfolgung aufgrund seiner sexuellen Orientierung ausgesetzt sein wird.
Hinsichtlich dem nicht glaubhaften Fluchtvorbringen gilt es Folgendes auszuführen:
Abgesehen des im Zuge der Erstbefragung vorgebrachten gänzlich anderen Fluchtvorbringens, nämlich aufgrund der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Ouzu ausgegrenzt zu werden, weiters, dass die Volksgruppenzugehörigen wie Sklaven behandelt werden würden und der BF Angst habe, erschossen zu werden, ergeben sich die ersten Widersprüche bereits hinsichtlich der Ausreise aus Nigeria bis hin zur Ankunft im österreichischen Bundesgebiet. Im Rahmen seiner Erstbefragung gab der BF noch an, er habe im Oktober 2016 den Entschluss zur Ausreise gefasst, sei dann nach Lagos geflüchtet, anschließend drei Wochen in Libyen verblieben und mit einem Boot nach Italien gebracht worden und er bereits einen Tag später, nämlich am 31.12.2016, nach Österreich gereist sei, da ihm jemand ein Zugticket gegeben habe (Protokoll vom 04.01.2017, AS 9 ff). Vor der belangten Behörde brachte der BF widersprüchlich dazu vor, er habe sein Dorf bereits im Oktober 2014 verlassen, anschließend zwei Monate in Negos verbracht und sei schließlich ein Jahr und acht Monate in Libyen, Tripolis, gewesen und habe dabei neun Monate im Gefängnis verbracht. Italien habe er im Oktober 2016 erreicht, sei dort eine Woche verblieben und mit dem Zug nach Österreich gereist (Protokoll vom 04.12.2017, AS 196). Zumal der BF bereits mit Datum 27.10.2016 erkennungsdienstlich in Italien behandelt wurde, erweist sich das Vorbringen, im Oktober 2016 den Herkunftsstaat verlassen zu haben in Zusammenschau mit den weiteren Ausführungen des BF hinsichtlich seiner Fluchtroute als zeitlich unmöglich. Auch vor dem erkennenden Richter führte der BF aus, im Oktober 2014 seinen Herkunftsstaat verlassen zu haben (Protokoll vom 13.10.2020, AS).
Weiters gestalten sich die Ausführungen des BF in zeitlicher Hinsicht betreffend die Ankunft des BF in Österreich als denkunmöglich. Zumal der BF am 27.10.2016 in Italien erkennungsdienstlich behandelt wurde und der BF vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes ausgeführt hat, nur einen Tag in Italien geblieben zu sein, ist es unmöglich, dass der BF entsprechend seinen weiteren Ausführungen erst am 31.12.2016 aus Italien ausgereist ist (Protokoll vom 04.01.2017, AS 11). Dazu im Widerspruch führte der BF vor der belangten Behörde aus, er sei eine Woche in Italien verblieben, bevor er nach Österreich gereist sei (Protokoll vom 04.12.2017, AS 198). Selbst bei Wahrunterstellung dieser Angaben hätte der BF unter Berücksichtigung der erkennungsdienstlichen Behandlung Österreich bereits Mitte November 2016 erreichen müssen.
Es ergeben sich auch zeitliche Differenzen hinsichtlich der Ausreise des BF in Zusammenhang mit dem fluchtauslösenden Ereignis. Der BF führte im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde aus, er sei 13 Jahre alt gewesen, als es zum fluchtauslösenden Vorfall in seinem Dorf gekommen sei (Protokoll vom 04.12.2017, AS 199). Der BF wäre jedoch selbst unter Wahrunterstellung seines im Rahmen der Erstbefragung angegebenen Geburtsdatums, dem 04.12.2001, zum Zeitpunkt des Verlassens seiner Heimat, welchen er im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme mit Oktober 2014 angab (Protokoll vom 04.12.2017, AS 195), nicht 13, sondern 12 Jahre alt gewesen. Berücksichtigt man das im Zuge der Altersdiagnostik festgestellte Alter des BF, so wäre er zu diesem Zeitpunkt sogar bereits etwa 15 Jahre alt gewesen.
Weiters widersprüchlich sind auch die Angaben des BF hinsichtlich der Tötung seines Freundes. Zuerst führte der BF im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde aus, dass sein Freund aufgrund des gemeinsamen Küssens unter einem Baum im Rahmen einer Auseinandersetzung mit einem Dorfbewohner totgeschlagen worden sei (Protokoll vom 04.12.2017, AS 198). Einige Fragen später jedoch behauptete der BF wiederum, sein Freund sei mit einem Messer erstochen worden (Protokoll vom 04.12.2017, AS 199). Schließlich gab der BF vor dem erkennenden Richter zu Protokoll, sein Freund sei gesteinigt worden (Protokoll vom 13.10.2020, AS 6). Befragt nach dem Widerspruch, dass der BF vor der belangten Behörde noch angegeben habe, sein Freund sei mit einem Messer umgebracht worden, führte der BF aus, sein Freund sei zuerst gesteinigt, dann mit einem Messer niedergestochen worden. Zumal sich diese Erklärung für den erkennenden Richter im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung als konstruiert darstellte, konnte das Vorbringen zur Ursache des Versterbens des Freundes des BF in Zusammenschau mit den widersprüchlichen Ausführungen desselben nicht als glaubhaft erachtet werden.
Zudem waren auch die Ausführungen des BF hinsichtlich konkreter Übergriffe aufgrund seiner Homosexualität widersprüchlich. So vermeinte dieser zuerst auf Nachfrage allgemein: „Die Menschen haben mich verspottet und haben sich über mich lustig gemacht wegen meiner Homosexualität.“ (Protokoll vom 04.12.2017, AS 197). Erst einige Fragen später gab der BF gesteigert zu Protokoll, auch er sei von den Dorfbewohnern im Zuge des von ihm geschilderten Vorfalls geschlagen worden (Protokoll vom 04.12.2017, AS 199). Vor dem erkennenden Richter wiederum führte der BF aus, die Nachbaren hätten den BF beim Küssen beobachtet und nur gefragt, was der BF mit seinem Freund machen würde. Bis zu dem Zeitpunkt, wo der Freund des BF gestorben sei, sei nichts geschehen (Protokoll vom 13.10.2020, S 7). Daraus lässt schließen, dass auch kein Verspotten bzw. Lustigmachen, wie vor der belangten Behörde behauptet, stattgefunden hat. In diesem Zusammenhang führte der BF vor dem erkennenden Richter nunmehr auch nicht mehr aus, geschlagen worden zu sein. Er gab dabei zu Protokoll: „Sie haben ihn gesteinigt und dann mit einem Messer niedergestochen. Das habe ich gesehen und dann bin ich weggelaufen. Ich bin dann zu meiner Mutter gerannt und sie hat mir gesagt, dass aufgrund dessen das was wir getan haben, ein Mensch umgebracht worden und dass sie nicht weiß, was als nächstes auf uns zu kommt und wir dann meinen Vater fragen müssen. […]“ (Protokoll vom 13.10.2020, S 6). Dabei erscheint es in keiner Weise nachvollziehbar, dass der BF etwaige, gegen ihn gerichtete Schläge – wie noch vor der belangten Behörde behauptet – überhaupt nicht mehr zur Sprache brachte.
Auch schilderte der BF die Geschehnisse rund um die Anschuldigungen zum Hauptmann widersprüchlich. So vermeinte der BF vor der belangten Behörde noch, er, sein Freund und der Vater des BF seien zum Hauptmann geladen und dazu befragt worden, ob sie „es weitermachen“ werden oder nicht. Daraufhin haben der BF und dessen Freund erklärt, sie hätten Gefühle füreinander und sie könnten es nicht stoppen (Protokoll vom 04.12.2017, AS 198). Vor dem erkennenden Richter wiederum führte der BF aus, er sei niemals beim Hauptmann gewesen, nur der Vater des BF (Protokoll vom 13.10.2020, S 8). Wenn der BF angesprochen auf den Widerspruch vermeint, er habe damals Angst gehabt und es sein könne, dass er damals das so geschildert habe (Protokoll vom 13.10.2020, S 8), so gilt es diesbezüglich anzumerken, dass dem BF die gesamte Niederschrift der damaligen Einvernahme wortwörtlich rückübersetzt wurde und der BF auch Einwendungen gegen die Niederschrift geäußert und diese korrigiert hat (Protokoll vom 03.12.2017, AS 206). Es wäre dem BF daher bereits zu diesem Zeitpunkt unbenommen gewesen, etwaige sonstige Angaben zu korrigieren, zumal der BF auch andere Berichtigungen vornehmen konnte. Dass der BF damals Angst gehabt haben soll, wie im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung behauptet, erscheint unter diesem Gesichtspunkt als nicht glaubhaft.
Selbiges gilt auch hinsichtlich der handschriftlich vorgenommenen Anmerkung des BF auf einer Kopie der Niederschrift vom 04.12.2017, wo der BF ursprünglich die Frage nach staatlicher Verfolgung verneint, handschriftlich zu einem nicht näher definierbaren Zeitpunkt jedoch zu „ja“ abgeändert hat. Zudem hat der BF in selbiger Einvernahme vor der belangten Behörde auch explizit ausgeführt, er sei nicht von der Polizei gesucht worden, sondern hätten die Leute von der Gemeinde nach ihm gesucht (Protokoll vom 04.12.2020, AS 198). Erst vor dem erkennenden Richter vermeinte der BF nunmehr gesteigert, er sei von der Polizei gesucht worden, was ihm sein Vater erzählt habe (Protokoll vom 13.10.2020, S 8).
Insgesamt schilderte der BF damit den Sachverhalt hinsichtlich dem fluchtauslösenden Ereignis bis zur Ankunft in Österreich derart widersprüchlich und unplausibel, dass das Fluchtvorbringen des BF als unglaubwürdig einzustufen war.
Jedoch wird dem BF geglaubt, dass er homosexuell ist. Der erkennende Richter geht ohne jeglichen Zweifel von der Homosexualität des BF aus, zumal der BF glaubhafte Angaben in Zusammenhang mit homosexuellen Aktivitäten in Österreich machen und er auch glaubhaft vermitteln konnte, dass er in Österreich homosexuelle Beziehungen gepflegt hat bzw. pflegt. Bekräftigend wirkt diesbezüglich auch, dass dem BF im Asylverfahren des XXXX Glauben geschenkt wurde und der BF seine Homosexualität im Wesentlichen bereits dort zweifelsfrei glaubhaft machen konnte (Bescheid vom 31.07.2018 hinsichtlich XXXX ). Der Vollständigkeit halber gilt es noch anzuführen, dass auch der Vertreter der belangten Behörde vor dem erkennenden Gericht erklärte, dass die Homosexualität des BF glaubhaft sei (Protokoll vom 13.10.2020, S 7).
Es konnte daher die Feststellung getroffen werden, dass der BF homosexuell ist. Es war auch festzustellen, dass der BF im Fall seiner Rückkehr nach Nigeria mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer asylrelevanten Verfolgung aufgrund seine sexuellen Orientierung ausgesetzt sein wird und er jedenfalls gezwungen wäre – auch wenn er nicht in seine Heimatstadt zurückkehrte – seine Homosexualität zu verheimlichen und diese nicht ausleben zu können.
2.5. Zum Herkunftsstaat:
Zu den zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat ausgewählten Quellen wird angeführt, dass es sich hierbei um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen, sowohl staatlichen als auch nicht-staatlichen Ursprungs handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten, von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen, diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um kritische Sachverhalte geht, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteinahme unterstellt werden kann. Zudem werden auch Quellen verschiedener Menschenrechtsorganisationen herangezogen, welche oftmals das gegenteilige Verhalten aufweisen und so gemeinsam mit den staatlich-diplomatischen Quellen ein abgerundetes Bild ergeben. Bei Berücksichtigung dieser Überlegungen hinsichtlich des Inhaltes der Quellen, ihrer Natur und der Intention der Verfasser, handelt es sich nach Ansicht des erkennenden Gerichts bei den Feststellungen um ausreichend ausgewogenes und aktuelles Material (vgl. VwGH, 07.06.2000, Zl. 99/01/0210).
Den Quellen wurde auch nicht substantiiert entgegengetreten. Wenn der Vertreter der belangten Behörde nunmehr auf die Analyse der Staatendokumentation zur Lage sexueller Minderheiten unter Hinzunahme der Informationen der FFM Nigeria 2019, Update der Analyse sexuelle Minderheiten vom 30.09.2016 verweist, in der auf dessen Seite 50 angeführt wird: „Es gibt keine systematische staatliche Verfolgung oder aktive Überwachung von Angehörigen sexueller Minderheiten. Es gibt nach keinem der betroffenen Gesetze Haftbefehle wegen Homosexualität. Über- oder Zugriffe durch die Polizei erfolgen zufällig oder nach Hinweisen.“, so entspricht dies auch den Inhalten der Länderfeststellungen („Eine generelle bzw. systematische „staatliche Verfolgung“ ist derzeit nicht gegeben (ÖB 10.2019; vgl. EMB A 9./10.2019). Die Community wird nicht überwacht (EMB A 9./10.2019). Die Polizei wird nicht aus eigenem Antrieb aktiv oder sucht gezielt nach Homosexuellen (EMB B 9./10.2019; vgl. WHER 9./10.2019). Sie verhaftet Verdächtige in erster Linie mit dem Ziel, Geld zu erpressen (EMB A 9./10.2019; vgl EMB B 9./10.2019; LNGO C 9./10.2019; LHRL 9./10.2019).“).
Zwar zeichnen sich leichte Verbesserungen hinsichtlich der Situation Homosexueller in Nigeria ab und mag ihnen in den letzten Jahren vergleichsweise auch mehr Toleranz entgegengebracht worden sein, ungeachtet dessen gilt es jedoch zu beachten, dass in Nigeria nach wie vor homosexuelle Handlungen jeglicher Art – unabhängig vom Geschlecht der betroffenen Personen – sowohl nach säkularem Recht (AA 16.1.2020; vgl. GIZ 3.2020b) als auch nach Scharia-Recht (Körperstrafen bis hin zum Tod durch Steinigung in besonderen Fällen) strafbar sind (AA 16.1.2020; vgl. ÖB 10.2019) und § 214 des Strafgesetzbuchs 14 Jahre Haft für gleichgeschlechtliche Beziehungen vorsieht (ÖB 10.2019).
Zudem sieht der im Jänner 2014 verabschiedete Same Sex Marriage Prohibition Act (SSMPA) vor, dass homosexuelle Paare, die heiraten oder öffentlich ihre Zuneigung zeigen, mit Haft bestraft werden können und hat der SSMPA zu einer weiteren Stigmatisierung von Lesben und Schwulen geführt. Das Gesetz sieht bis zu 14 Jahre Haft für Eheschließungen und zivilrechtliche Partnerschaften zwischen zwei Frauen oder zwei Männern vor (ÖB 10.2019; vgl. USDOS 11.3.2020, GIZ 3.2020b). Wer seine Liebesbeziehung zu einem Menschen des gleichen Geschlechts direkt oder indirekt öffentlich zeigt, soll dem Gesetz zufolge mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden können (ÖB 10.2019). Die gleiche Strafe ist für die Gründung und Unterstützung von Clubs, Organisationen oder anderen Einrichtungen für Schwule und Lesben vorgesehen (ÖB 10.2019; vgl. AA 16.1.2020).
In den zwölf nördlichen Bundesstaaten, wo das islamische Recht in Kraft ist, können homosexuelle Handlungen mit Haft, Stockschlägen oder Tod durch Steinigung bestraft werden. Im Jahr 2019 wurden von Scharia-Gerichten keine solchen Urteile verhängt. In den vergangenen Jahren kam es zu Verurteilungen zu Stockschlägen (USDOS 11.3.2020).
Abgesehen von der strafrechtlichen Relevant tritt darüber hinaus Gewalt seitens der Gesellschaft häufig auf, öfter als seitens des Staates, wobei die meisten Menschenrechtsverletzungen gegen Homosexuelle von nicht-staatlichen Akteuren ausgehen (EMB B 9./10.2019). Zwar ist entsprechend den Länderfeststellungen das Ausmaß der physischen Gewalt zurückgegangen (LNGO C 9./10.2020), nichtsdestotrotz ist der Staat ist in solchen Fällen nicht schutzfähig oder schutzwillig (EMB B 9./10.2019; vgl. LNGO C 9./10.2019; WHER 9./10.2019).
Somit steht fest, dass der BF einer massiven Gefährdung in Nigeria ausgesetzt wäre.
Der BF hat in der Beschwerdeverhandlung vom 13.10.2020 glaubhaft angegeben, seine Homosexualität zu leben. Zwar sei er derzeit Single und habe er keinen Lebensgefährten, dennoch pflegt er homosexuelle Kontakte, wie auch zu XXXX (Protokoll vom 13.10.2020, S 4 & 6). Aus dem Verfahren hat sich schließlich nicht ergeben, dass in einem Falle wie dem vorliegenden dem BF ein sicherer Aufenthalt in einer Großstadt oder einer anderen Region Nigerias zumutbar wäre. Die bestehende Wahrscheinlichkeit von gewalttätigen Übergriffen, würde auch hier jedenfalls ein gesichertes Überleben auf Dauer in einer maßgeblichen Weise erschweren.
Zur Frage der tatsächlichen Gefährdung durch eine unmittelbare staatliche Verfolgung hat zuletzt der Verfassungsgerichtshof in Erkenntnis vom 18.09.2014 zu GZ E910/2014 unter anderem ausgesprochen, dass es in letzter Zeit sehr wohl zu gerichtlichen Verurteilungen Homosexueller gekommen ist, die das reale Risiko einer strafgerichtlichen Verfolgung nahelegen würden. Alleine aus der Zahl der gerichtlichen Verurteilungen Homosexueller in Nigeria während der letzten Jahre könne nicht abgeleitet werden, dass kein reales Risiko einer strafgerichtlichen Verfolgung für den BF in Zukunft bestehe.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Zuerkennen der Flüchtlingseigenschaft
3.1. Rechtslage
Gemäß § 3 Abs 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg. cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Absch A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.
Im Sinne des Art 1 Absch A Z 2 GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt der in Art 1 Absch A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 06.10.1999, 99/01/0279).
Selbst in einem Staat herrschende allgemein schlechte Verhältnisse oder bürgerkriegsähnliche Zustände begründen für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Um eine Verfolgung im Sinne des AsylG erfolgreich geltend zu machen, bedarf es einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Herkunftsstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).
3.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall
Im gegenständlichen Fall sind die dargestellten Voraussetzungen, nämlich eine aktuelle Verfolgungsgefahr aus einem in der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Grund, gegeben. Die vom BF vorgebrachte Homosexualität ist als eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe, nämlich der Gruppe der Homosexuellen, anzusehen (EuGH 7.11.2013, C-199/12). Verfolgung aufgrund der sexuellen Ausrichtung kann schon nach den eindeutigen ErläutRV zum AsylG 1991 unter den Tatbestand der Verfolgung wegen der Zugehörigkeit einer bestimmten sozialen Gruppe subsumiert werden.
Art 10 Abs 1 lit d der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 13.12.2011 (Statusrichtlinie) definiert, dass eine Gruppe insbesondere dann als eine bestimmte soziale Gruppe gilt, wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.
Je nach den Gegebenheiten im Herkunftsland kann als eine bestimmte soziale Gruppe auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet. Als sexuelle Orientierung dürfen keine Handlungen verstanden werden, die nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten als strafbar gelten. Geschlechtsbezogene Aspekte, einschließlich der geschlechtlichen Identität, werden zum Zweck der Bestimmung der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der Ermittlung eines Merkmals einer solchen Gruppe angemessen berücksichtigt.
Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 07.11.2013, C-199/12 bis C 201/12, insbesondere festgehalten, dass Art 9 Abs 1 in Verbindung mit Art 9 Abs 2 lit c der Statusrichtlinie dahingehend auszulegen ist, dass in einer bloßen Unterstrafestellung homosexueller Handlungen als solche keine Verfolgungshandlung zu erblicken ist. Hingegen sind drohende Freiheitsstrafen, die im Herkunftsland tatsächlich verhängt werden, als unverhältnismäßige oder diskriminierende Bestrafung und somit als eine Verfolgungshandlung zu betrachten. Art 10 Abs 1 lit d in Verbindung mit Art 2 lit c der Statusrichtlinie ist dahin auszulegen, dass von ihrem Geltungsbereich nur homosexuelle Handlungen ausgeschlossen sind, die nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten strafbar sind.
Bei der Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft können die zuständigen Behörden von dem Antragsteller auf internationalen Schutz auch nicht erwarten, dass er seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung übt, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden. Auch dazu gezwungen zu sein, seine sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität zu verstecken oder aufzugeben, kann eine Verfolgung darstellen. Diesbezüglich gehen sowohl der EuGH und ihm folgend der VfGH davon aus, dass "von Personen mit homosexueller Orientierung nicht erwartet werden [dürfe], dass sie ihre Homosexualität in ihrem Herkunftsland geheim halten oder Zurückhaltung beim Leben ihrer sexuellen Ausrichtung ('l'expression de son orientation sexuelle') üben, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden" (VfSlg 20170/2017 unter Verweis auf EuGH 07.11.2013, verbRs C-199-201/12, X ua, und, im vorliegenden Verfahren, VfGH 11.06.2019, E291/2019), wird unmittelbar einsichtig und offenkundig darauf abgestellt, dass es Menschen mit gleichgeschlechtlicher Orientierung ohne daraus resultierender Gefahr einer Verfolgung iSd §3 Abs1 AsylG 2005 iVm Art1 Abschnitt A Z2 GFK möglich sein muss, auch in der Öffentlichkeit zu ihrer geschlechtlichen Orientierung zu stehen und sich zu entsprechenden Beziehungen zu bekennen. Damit soll das einschlägige Diskriminierungsverbot sicherstellen, dass Menschen mit gleichgeschlechtlicher Orientierung insbesondere in Gesellschaften, in denen heterosexuelle Beziehungen als gesellschaftliche Norm gesehen werden, homosexuell orientierte Menschen im Hinblick auf dieses für die Anerkennung ihrer Identität so bedeutsamen Merkmals heterosexuell orientierten in der öffentlichen Anerkennung gleichgestellt und in diesem Sinn nicht gezwungen werden, ihre sexuelle Orientierung geheim halten zu müssen (vgl. VfGH vom 25.02.2020, E4470/2019).
Im Rahmen der UNHCR-Leitlinien zu Anerkennung von Anträgen auf Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft gestützt auf sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität (November 2008) wird insbesondere festgehalten, dass nicht nur die Kriminalisierung homosexuellen Verhaltens, sondern auch (sonstige) Diskriminierungsformen in Form von Gesetzen oder gesellschaftlicher Praxis Verfolgungscharakter aufweisen können, u.a., wenn sie bei der betroffenen Person ein Gefühl der Furcht und Unsicherheit im Hinblick auf ihre Zukunft hervorrufen.
Wie bei Anträgen, die auf Verfolgung aus Gründen der politischen Überzeugung beruhen, müssen Antragsteller, die sich auf eine Furcht vor Verfolgung wegen ihrer sexuellen Orientierung berufen, nicht nachweisen, dass die Behörden ihre sexuelle Orientierung kannten, bevor sie ihr Herkunftsland verließen. Die Begründetheit der Furcht leitet sich in solchen Fällen von der Beurteilung der Folgen ab, mit denen Antragsteller einer bestimmten sexuellen Orientierung im Falle ihrer Rückkehr rechnen müssen. Auch wenn LGBT-Antragsteller nie tatsächlich wegen ihres homosexuellen Verhaltens verfolgt worden sind, kann bei ihnen dennoch begründete Furcht vor Verfolgung vorliegen.
Die behauptete homosexuelle Orientierung des BF wurde festgestellt. Unter Verweis auf den individuellen Charakter des vorliegenden Falles ergibt sich bei Zugrundelegung der Angaben des BF in ihrem entscheidungsrelevanten Kern das Vorliegen einer aktuellen asylrelevanten Verfolgungsgefahr in Nigeria aufgrund Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, hier Homosexueller, die aufgrund des Bekanntwerdens ihrer Orientierung einer Gefährdungslage ausgesetzt sind, wobei im Falle der Rückkehr des BF jedenfalls massive Diskriminierungen und Verfolgungshandlungen zu erwarten sind, gegen welche von staatlichen Organen, wenn diese nicht ohnehin selbst als Verfolger auftreten (in Form einer strafrechtlichen Verurteilung und Inhaftierung bzw. rechtsgrundlosen Maßnahmen wie Misshandlungen, Folter oder erheblichen Diskriminierungen durch Behördenvertreter) kein hinreichender Schutz erwartet werden kann und auch sonst von keiner Seite. Die asylrelevante Intensität ergibt sich aus der Quellenlage. Auch eine innerstaatliche Relokationsalternative besteht vorliegend nicht, zumal die Bedrohungslage im gesamten Herkunftsstaat sowohl vor dem Hintergrund der festgestellten Rechtslage als auch die Scharia-Bestimmungen gegeben ist.
Im gegenständlichen Verfahren ist das Bundesverwaltungsgericht daher der Ansicht, dass die Furcht des BF vor Verfolgung wegen seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Homosexuellen aufgrund der äußeren Umstände objektiv betrachtet nachvollziehbar und somit wohlbegründet im Sinne der GFK ist. Somit befindet sich der BF aus wohlbegründeter Furcht, verfolgt zu werden, außerhalb Nigerias und ist im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt, in dieses Land zurückzukehren.
Es gilt nun noch zu prüfen, ob der Asylerteilung des BF ein Ausschlussgrund nach § 6 AsylG entgegensteht.
Gemäß § 6 Abs 1 AsylG ist ein Fremder von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn 1. und so lange er Schutz gemäß Art 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt; 2. einer der in Art 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Ausschlussgründe vorliegt; 3. aus stichhaltigen Gründen angenommen werden kann, dass der Fremde eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt, oder 4. er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht. Gemäß Abs 2 kann bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach Abs 1 der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden, wobei § 8 gilt.)
Gegenständlich liegt kein Ausschlussgrund im Sinne des § 6 AsylG vor, wobei ein solcher weder von der belangten Behörde noch im Laufe des Verfahrens hervorgetreten ist.
Die Voraussetzungen für die Erteilung von Asyl sind daher gegeben. Aus diesen Gründen war die Beschwerde stattzugeben und dem BF der Status des Asylberechtigen zuzuerkennen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
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