TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/29 I401 2217862-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.10.2020
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Entscheidungsdatum

29.10.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §13 Abs1
AsylG 2005 §13 Abs2 Z1
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §54 Abs1
AsylG 2005 §54 Abs2
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs11
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs7
AsylG 2005 §8
AVG §13 Abs7
BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1a
IntG §9
StGB §127
StGB §229
StGB §241e
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5
VwGVG §31 Abs1
VwGVG §7 Abs2

Spruch

I401 2217862-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard AUER über die Beschwerde des XXXX, StA. NIGERIA alias Liberia, vertreten durch Mag. Dr. Gregor KLAMMER, Rechtsanwalt, und den Verein SUARA, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, vom 14.03.2019, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung

I. beschlossen:

A)

Das Beschwerdeverfahren hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird nach Zurückziehung der Beschwerde eingestellt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

II. zu Recht erkannt:

C)

1. Die Beschwerde gegen Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

2. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides wird Folge gegeben und festgestellt, dass die Rückkehrentscheidung gegen XXXX gemäß § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-Verfahrensgesetz auf Dauer unzulässig ist und XXXX gemäß §§ 54, 55 Abs. 1 und 58 Abs. 2 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel ‘Aufenthaltsberechtigung plus‘ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt wird.

3. Im Übrigen werden die Spruchpunkte V. bis IX. ersatzlos behoben.

D)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte am 28.07.2003 den ersten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Sein Fluchtvorbringen bezog sich auf die im Herkunftsstaat Liberia herrschende Bürgerkriegssituation. Mit Bescheid des (damals zuständigen) Bundesasylamtes vom 22.01.2004 wurde der Asylantrag gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Liberia gemäß § 8 AsylG 1997 für zulässig erklärt. Die gegen diese Entscheidung erhobene Berufung wurde vom (damals zuständigen) Unabhängigen Bundesaylsenat mit rechtskräftigem Bescheid vom 21.12.2005 negativ beschieden. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 20.06.2008, Zl. 2006/01/0227, wurde die Behandlung der Beschwerde des Beschwerdeführers abgelehnt.

Der Beschwerdeführer wurde mehrere Male von einem österreichischen Strafgericht zu Freiheitsstrafen verurteilt. Aufgrund der Suchtgiftdelinquenzen wurde gegen ihn mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 15.11.2003 ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 02.01.2004 wurde der erhobenen Berufung keine Folge gegeben. Mit rechtskräftigem Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 17.01.2005 wurde gegen den Beschwerdeführer ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 18.12.2009 wurde er aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen, wobei die Sicherheitsdirektion Wien mit rechtskräftigem Berufungsbescheid vom 14.01.2010 der Berufung keine Folge gab.

Mit Bescheid vom 08.04.2013 wies der Landeshauptmann von Wien den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Rot-Weiß-Rot Karte Plus“ auf Grund des gegen ihn aufrecht bestehenden Aufenthaltsverbotes ab.

Am 25.04.2018 stellte der Beschwerdeführer neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei er seine früheren Fluchtgründe aufrecht hielt und außerdem Stammeskriege in Liberia vorbrachte.

Vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge als Bundesamt bezeichnet) wurde ein Sprachgutachten eingeholt. Im Befund zu den Sprachkompetenzen und Landeskenntnissen des Beschwerdeführers vom 28.12.2018 kam der Linguist Dr. P G zum Ergebnis, dass der Proband (bzw. der Beschwerdeführer) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Nigeria hauptsozilaisiert worden und eine Hauptsozialisierung des Beschwerdeführers in Liberia bis zu seinem 19. Lebensjahr mit ebensolcher Sicherheit auszuschließen sei.

Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid vom 14.03.2019 wies das Bundesamt den zweiten Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria (Spruchpunkt I. und II.) als unbegründet ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt V.), gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.), erließ gegen ihn ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII.), erkannte einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt VIII.) und stellte fest, dass er das Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 22.01.2019 verloren hat (Spruchpunkt IX.).

Dagegen richtet sich die Beschwerde vom 16.04.2019.

Am 21.07.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durch, bei der auch die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers als Zeugin einvernommen wurde. In der mündlichen Verhandlung nahm der Beschwerdeführer die Beschwerde bezüglich den Status des Asylberechtigten zurück.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Um Wiederholungen zu vermeiden, wird der unter Pkt. I. wiedergegebene Verfahrensgang als Sachverhalt festgestellt.

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und zu seinen Lebensumständen in Österreich:

Der Beschwerdeführer ist volljährig, ledig und Staatsangehöriger von Nigeria und nicht von Liberia. Seine Identität steht nicht fest. Er hält sich seit der ersten Asylantragstellung im Juli 2003 überwiegend unrechtmäßig in Österreich auf, kam seinen Ausreiseverpflichtungen nicht nach und verfügt über kein Aufenthaltsrecht.

Er führte vor Jahren eine Beziehung mit einer Österreicherin und wurde im Jahr 2007 Vater einer Tochter. Der Beschwerdeführer pflegt seit der Geburt dieses Kindes weder einen Kontakt zu ihm noch zur Kindesmutter, der die alleinige Obsorge oblag. Er leistete und leistet keinen Unterhalt an seine Tochter.

Seit 04.04.2019 lebt er mit seiner Lebensgefährtin F O und der gemeinsamen, im Jänner 2019 geborenen Tochter F J, die nigerianische Staatsangehörige und auf Grund des bis 19.04.2021 verlängerten Status als subsidiär Schutzberechtigte in Österreich aufenthaltsberechtigt sind, in einem gemeinsamen Haushalt in Wien. Seine Lebensgefährtin erwartet im Februar 2021 ein weiteres Kind von ihm. Beide Elternteile sind in die Betreuung und Erziehung der Tochter sowie in die Haushaltsführung eingebunden. Der finanzielle Unterhalt der Familie ist durch den Bezug der bedarfsorientierten Mindestsicherung der Lebensgefährtin und die Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung für den Beschwerdeführer in Form der Verpflegung für Erwachsene und Krankenversicherung sichergestellt. Um das Familieneinkommen aufzubessern, verkaufte der Beschwerdeführer manchmal Zeitungen und ging bzw. geht gelegentlich der Schwarzarbeit nach, indem er Autos „zerlegt“ und dafür unterschiedliche Geldbeträge in der Höhe von ca. € 200,-- monatlich erhält. Die Beziehung zum Beschwerdeführer hat einen positiven Einfluss auf den Gesundheitszustand der Lebensgefährtin, die an einer psychischen Erkrankung leidet. Ihr Krankheitsbild hat sich in letzter Zeit verbessert, eine Therapie und Medikation ist nicht mehr notwendig.

Der Beschwerdeführer selbst ist gesund, arbeitsfähig und auch arbeitswillig. Er gehört in Bezug auf Covid-19 keiner „Risikogruppe“ an. Er verfügt über Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1, besucht mit seiner Familie eine Kirche, pflegt Kontakt zu österreichischen Bekannten und hat während der Zeit, in der er sich in Strafhaft befand, die Lehrabschlussprüfung im Lehrberuf Bäcker am 19.10.2016 bestanden und einen Staplerführerschein gemacht. Er nahm im Zeitraum von Dezember 2015 bis Jänner 2016 im Ausmaß von 21 Einheiten an der Drogen- und Suchtgruppe in der Justizvollzugsanstalt S und von Februar Juli 2016 zehn Mal an einer psychotherapeutischen Suchtgruppe teil.

Zu Verwandten im Herkunftsstaat hat der Beschwerdeführer seit mehr als 15 Jahren keinen Kontakt mehr und ist über den Verbleib seiner Eltern und der Schwester nichts bekannt. Vor seiner Ausreise ging er in eine Mechaniker-Schule und arbeitete in der Landwirtschaft.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich vorbestraft und scheinen im Strafregister der Republik Österreich nachstehende Verurteilungen auf:

Mit erstem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 14.10.2003 wurde der Beschwerdeführer wegen des versuchten Vergehens nach § 15 Abs. 1 StGB und § 27 Abs. 1 und Abs. 2 Z 2 Suchtmittelgesetz SMG rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten, wovon fünf Monate bedingt nachgesehen wurden, unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.

Mit zweitem in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 25.05.2004 wurde der Beschwerdeführer als junger Erwachsener wegen der Vergehen nach § 27 Abs. 1 und Abs. 2 Z 2 erster Fall und § 27 Abs. 1 SMG zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, wobei die Probezeit auf fünf Jahre verlängert und der zuvor bedingt nachgesehene Teil der Freiheitsstrafe widerrufen wurde.

Mit drittem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 31.03.2005 wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen nach § 27 Abs. 1 und Abs. 2 Z 2 erster Fall und § 27 Abs. 1 SMG rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt, wobei die mit 02.10.2004 erfolgte bedingte Entlassung aus der Freiheitsstrafe widerrufen wurde.

Mit viertem Urteil des Bezirksgerichts Josefstadt vom 15.12.2010 wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB, der dauernden Sachentziehung nach § 135 StGB, der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs. 3 StGB und des Diebstahls nach § 127 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von vier Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.

Mit fünftem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 31.10.2013 wurde der Beschwerdeführer wegen der (teilweise versuchten) Vergehen des gewerbsmäßigen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall und Abs. 3 SMG und § 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt, wobei die zuvor bestimmte Probezeit auf fünf Jahre verlängert und die bedingt nachgesehene Strafe widerrufen wurde.

Mit sechstem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 28.10.2014 wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen des Suchtgifthandels nach §§ 28a Abs. 1 vierter Fall und Abs. 3 erster Fall SMG, nach §§ 28a Abs. 1 fünfter Fall und Abs. 3 erster Fall SMG sowie des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs. 2 SMG rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt.

Während seines nunmehr ca. 17-jährigen Aufenthaltes in Österreich befand er sich ca. sechs Jahre in verschiedenen Justizanstalten, zuletzt in der Zeit vom 28.04.2015 bis 06.04.2018 und war für ca. fünf Monate obdachlos gemeldet.

1.2. Zu den Feststellungen zur Lage in Nigeria:

Hinsichtlich der aktuellen Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers sind gegenüber den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen keine entscheidungswesentlichen Änderungen eingetreten, allerdings liegt nunmehr eine Gesamtaktualisierung des Länderinformationsblattes vor. Das aktuelle mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung übermittelte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation mit Stand Mai 2020 wurde mit dem Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung erörtert und ihm Gelegenheit geboten, dazu Stellung zu nehmen. Er trat den Ausführungen nicht substantiiert entgegen, da er weiterhin angab, Staatsangehöriger von Liberia zu sein. Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich auf die Ausführungen im aktuellen Länderinformationsblatt.

Zur (auszugsweise wiedergegebenen) Lage im Herkunftsstaat, Gesamtaktualisierung am 20.05.2020 (mit Angabe der Quellen):

18.1. Meldewesen

Letzte Änderung: 20.5.2020

Ein Meldewesen ist nicht vorhanden (ÖB 10.2019; vgl. AA 16.1.2020; EASO 24.1.2019), wie u.a. zahlreiche Quellen bei EASO angeben. Nur eine Quelle behauptet, dass es eine Art Meldewesen gibt. Es bestehen gesetzliche Voraussetzungen, damit Bundesstaaten ein Meldewesen einrichten können. Bislang hat lediglich der Bundesstaat Lagos davon Gebrauch gemacht (EASO 24.1.2019). Auch ein funktionierendes nationales polizeiliches Fahndungssystem existiert nicht. Daraus resultiert, dass eine Ausforschung einmal untergetauchter Personen kaum mehr möglich ist. Das Fehlen von Meldeämtern und bundesweiten polizeilichen Fahndungsbehörden ermöglicht es in den allermeisten Fällen, bereits in der näheren Umgebung unterzutauchen (ÖB 10.2019).

Im Sheriffs and Civil Process Act Chapter 407, Laws of the Federation of Nigeria 1990 sind Ladungen vor Gericht geregelt. Der Sheriff oder von ihm bestellte Bailiffs müssen die Ladungen in ganz Nigeria persönlich zustellen (ÖB 10.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

-        EASO - European Asylum Support Office (24.1.2019): Query Response - Identification documents system in Nigeria

-        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

20. Grundversorgung

Letzte Änderung: 20.5.2020

Die nigerianische Wirtschaft hat sich 2017 allmählich aus der schlimmsten Rezession seit 25 Jahren erholt, das BIP ist um 0,55 Prozent gestiegen. Mehrere Faktoren haben dazu beigetragen, dass sich die nigerianische Wirtschaft seit Ende 2017 allmählich wieder erholt, unter anderem eine Steigerung der Erdölförderleistung, die Erholung des Erdölpreises und eine verbesserte Leistung von Landwirtschaft und Dienstleistungssektor (GIZ 3.2020c). 2018 wurde ein Wachstum von 1,9 Prozent erreicht (AA 24.5.2019c).

Etwa 80 Prozent der Gesamteinnahmen Nigerias stammen aus der Öl- und Gasförderung (AA 16.1.2019). Neben Erdöl verfügt das Land über z.B. Zinn, Eisen-, Blei- und Zinkerz, Kohle, Kalk, Gesteine, Phosphat – gesamtwirtschaftlich jedoch von geringer Bedeutung (GIZ 3.2020c). Von Bedeutung sind hingegen der (informelle) Handel und die Landwirtschaft, welche dem größten Teil der Bevölkerung eine Subsistenzmöglichkeit bieten (AA 16.1.2020). Der Industriesektor (Stahl, Zement, Düngemittel) machte 2016 ca. 20 Prozent des BIP aus. Neben der Verarbeitung von Erdölprodukten werden Nahrungs- und Genussmittel, Farben, Reinigungsmittel, Textilien, Brennstoffe, Metalle und Baumaterial produziert. Industrielle Entwicklung wird durch die unzureichende Infrastruktur (Energie und Transport) behindert (GIZ 3.2020c). Vor allem im Bereich Stromversorgung und Transport ist die Infrastruktur weiterhin mangelhaft und gilt als ein Haupthindernis für die wirtschaftliche Entwicklung (AA 24.5.2019c).

Über 60 Prozent (AA 24.5.2019c) bzw. nach anderen Angaben über 70 Prozent (GIZ 3.2020c) der Nigerianer sind in der Landwirtschaft beschäftigt. Der Agrarsektor wird durch die Regierung Buhari stark gefördert. Dadurch hat etwa der Anteil an Großfarmen zugenommen (GIZ 3.2020c; vgl. AA 24.5.2019c). Die unterentwickelte Landwirtschaft ist jedoch nicht in der Lage, den inländischen Nahrungsmittelbedarf zu decken (AA 24.5.2019c). Das Land ist nicht autark, sondern auf Importe – v.a. von Reis – angewiesen (ÖB 10.2019). Über 95 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion kommt von kleinen Anbauflächen – in der Regel in Subsistenzwirtschaft (AA 24.5.2019c). Historisch war Lebensmittelknappheit in fast ganz Nigeria aufgrund des günstigen Klimas und der hohen agrarischen Tätigkeit so gut wie nicht existent. In einzelnen Gebieten im äußersten Norden (Grenzraum zu Niger) gestaltet sich die Landwirtschaft durch die fortschreitende Desertifikation allerdings schwierig. Experten schließen aufgrund der Wetterbedingungen, aber auch wegen der Vertreibungen als Folge der Attacken durch Boko Haram Hungerperioden für die nördlichen, insbesondere die nordöstlichen Bundesstaaten nicht aus. In Ernährungszentren nahe der nördlichen Grenze werden bis zu 25 Prozent der unter fünfjährigen Kinder wegen starker Unterernährung behandelt. Aufgrund fehlender Transportmöglichkeiten verrotten bis zu 40 Prozent der Ernten (ÖB 10.2019).

Die Prozentsätze der Unterernährung haben sich in den nördlichen Staaten im Vergleich zu 2015 verbessert und liegen nun unter der Alarmschwelle von 10 Prozent. Gemäß Schätzungen von UNICEF unterliegen zwei Millionen Kinder unter fünf Jahren in Nordnigeria einem hohen Risiko von schwerer akuter Unterernährung (ÖB 10.2019).

Die Einkommen sind in Nigeria höchst ungleich verteilt (BS 2020; vgl. GIZ 3.2020b). Über 80 Prozent der ca. 190 Millionen Nigerianer leben unterhalb der Armutsgrenze - Tendenz steigend (GIZ 3.2020c). 48 Prozent der Bevölkerung Nigerias bzw. 94 Millionen Menschen leben in extremer Armut mit einem Durchschnittseinkommen von unter 1,90 US-Dollar pro Tag (ÖB 10.2019). Die Armut ist in den ländlichen Gebieten größer als in den städtischen Ballungsgebieten (GIZ 3.2020b). Mietkosten, Zugang zu medizinischer Versorgung, Lebensmittelpreise variieren ebenfalls nicht nur von Bundesstaat zu Bundesstaat, sondern auch regional/ethnisch innerhalb jedes Teilstaates (ÖB 10.2019).

Die Arbeitslosigkeit ist hoch, bei den Jugendlichen im Alter von 15 bis 35 wird sie auf über 50 Prozent geschätzt (GIZ 3.2020b). Offizielle Statistiken über Arbeitslosigkeit gibt es aufgrund fehlender sozialer Einrichtungen und Absicherung nicht. Geschätzt wird sie auf 20 bis 45 Prozent – in erster Linie unter 30-jährige – mit großen regionalen Unterschieden. Die Chancen, einen sicheren Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst, staatsnahen Betrieben oder Banken zu finden, sind gering, außer man verfügt über eine europäische Ausbildung und vor allem über Beziehungen (ÖB 10.2019). Verschiedene Programme auf Ebene der Bundesstaaten aber auch der Zentralregierung zielen auf die Steigerung der Jugendbeschäftigung ab (ÖB 10.2019; vgl. BS 2020).

Der Mangel an lohnabhängiger Beschäftigung führt dazu, dass immer mehr Nigerianer in den Großstädten Überlebenschancen im informellen Wirtschaftssektor als "self-employed" suchen. Die Massenverelendung nimmt seit Jahren bedrohliche Ausmaße an (GIZ 3.2020b).

Die Großfamilie unterstützt in der Regel beschäftigungslose Angehörige (ÖB 10.2019). Generell wird die Last für Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung vom Netz der Großfamilie und vom informellen Sektor getragen (BS 2020). Allgemein kann festgestellt werden, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2019).

Nur Angestellte des öffentlichen Dienstes, des höheren Bildungswesens sowie von staatlichen, teilstaatlichen oder großen internationalen Firmen genießen ein gewisses Maß an sozialer Sicherheit. Eine immer noch geringe Anzahl von Nigerianern (acht Millionen) ist im Pensionssystem (Contributory Pension Scheme) registriert (BS 2020).

Programme zur Armutsbekämpfung gibt es sowohl auf Länderebene als auch auf lokaler Ebene. Zahlreiche NGOs im Land sind in den Bereichen Armutsbekämpfung und Nachhaltige Entwicklung aktiv. Frauenorganisationen, von denen Women In Nigeria (WIN) die bekannteste ist, haben im traditionellen Leben Nigerias immer eine wichtige Rolle gespielt. Auch Nigerianer, die in der Diaspora leben, engagieren sich für die Entwicklung in ihrer Heimat (GIZ 3.2020c).

Die täglichen Lebenshaltungskosten differieren regional zu stark, um Durchschnittswerte zu berichten. Verdienstmöglichkeiten für Rückkehrerinnen: Eine der Berufsmöglichkeiten für Rückkehrerinnen ist die Eröffnung einer mobilen Küche für „peppersoup“, „garri“ oder „pounded yam“, für die man lediglich einen großen Kochtopf und einige Suppenschüsseln benötigt. Die Grundausstattung für eine mobile Küche ist für einen relativ geringen Betrag erhältlich. Hauptsächlich im Norden ist auch der Verkauf von bestimmten Holzstäbchen zur Zahnhygiene eine Möglichkeit, genügend Einkommen zu erlangen. In den Außenbezirken der größeren Städte und im ländlichen Bereich bietet auch „mini-farming“ eine Möglichkeit, selbständig erwerbstätig zu sein. Schneckenfarmen sind auf 10 m² Grund einfach zu führen und erfordern lediglich entweder das Sammeln der in Nigeria als „bushmeat“ gehandelten Wildschnecken zur Zucht oder den Ankauf einiger Tiere. Ebenso werden nun „grasscutter“ (Bisamratten-ähnliche Kleintiere) gewerbsmäßig in Kleinkäfigen als „bushmeat“ gezüchtet. Großfarmen bieten Tagesseminare zur Aufzucht dieser anspruchslosen und sich rasch vermehrenden Tiere samt Verkauf von Zuchtpaaren an. Rascher Gewinn und gesicherte Abnahme des gezüchteten Nachwuchses sind gegeben. Schnecken und „grasscutter“ finden sich auf jeder Speisekarte einheimischer Lokale. Für handwerklich geschickte Frauen bietet auch das Einflechten von Kunsthaarteilen auf öffentlichen Märkten eine selbständige Erwerbsmöglichkeit. Für den Verkauf von Wertkarten erhält eine Verkäuferin wiederum pro 1.000 Naira Wert eine Provision von 50 Naira. Weiters werden im ländlichen Bereich Mobiltelefone für Gespräche verliehen; pro Gespräch werden 10 Prozent des Gesprächspreises als Gebühr berechnet (ÖB 10.2019).

Im Jahr 2019 benötigten von der Gesamtbevölkerung von 13,4 Millionen Menschen, die in den Staaten Borno, Adamawa und Yobe leben, schätzungsweise 7,1 Millionen Menschen humanitäre Hilfe. Von den auf Hilfe Angewiesenen (7,1 Millionen) sind schätzungsweise 80 Prozent Frauen und Kinder (IOM 17.3.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

-        AA - Auswärtiges Amt (24.5.2019c): Nigeria - Wirtschaft, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/wirtschaft/205790, Zugriff 16.4.2020

-        BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029575/country_report_2020_NGA.pdf, Zugriff 18.5.2020

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020c): Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/nigeria/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 16.4.2020

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020b): Nigeria, Gesellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/, Zugriff 15.4.2020

-        IOM Nigeria - International Organization for Migration (17.3.2020): Emergency Response, 2019 Annual Reports, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/2019_annual_report_-_iom_nigeria_emergency_responsefinal.pdf, Zugriff 15.4.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

21. Medizinische Versorgung

Letzte Änderung: 20.5.2020

Insgesamt kann die Gesundheitsversorgung in Nigeria als mangelhaft bezeichnet werden. Zwischen Arm und Reich sowie zwischen Nord und Süd besteht ein erhebliches Gefälle: Auf dem Land sind die Verhältnisse schlechter als in der Stadt (GIZ 3.2020b); und im Norden des Landes ist die Gesundheitsversorgung besonders prekär (GIZ 3.2020b; vgl. ÖB 10.2019). Die medizinische Versorgung ist vor allem im ländlichen Bereich vielfach technisch, apparativ und/oder hygienisch problematisch (AA 2.4.2020).

Es gibt sowohl staatliche als auch zahlreiche privat betriebene Krankenhäuser (AA 16.1.2020). Rückkehrer finden in den Großstädten eine medizinische Grundversorgung vor, die im öffentlichen Gesundheitssektor allerdings in der Regel unter europäischem Standard liegt. Der private Sektor bietet hingegen in einigen Krankenhäusern der Maximalversorgung (z.B. in Abuja, Ibadan, Lagos) westlichen Medizinstandard. Nahezu alle, auch komplexe Erkrankungen, können hier kostenpflichtig behandelt werden (AA 16.1.2020; vgl. AA 2.4.2020; ÖB 10.2019). In größeren Städten ist ein Großteil der staatlichen Krankenhäuser mit Röntgengeräten ausgestattet, in ländlichen Gebieten verfügen nur einige wenige Krankenhäuser über moderne Ausstattung (ÖB 10.2019).

In den letzten Jahren hat sich die medizinische Versorgung in den Haupt- und größeren Städten allerdings sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor deutlich verbessert. So ist mittlerweile insbesondere für Privatzahler eine gute medizinische Versorgung für viele Krankheiten und Notfälle erhältlich. Es sind zunehmend Privatpraxen und -kliniken entstanden, die um zahlungskräftige Kunden konkurrieren. Die Ärzte haben oft langjährige Ausbildungen in Europa und Amerika absolviert und den medizinischen Standard angehoben. In privaten Kliniken können die meisten Krankheiten behandelt werden (AA 16.1.2020).

Die Gesundheitsdaten Nigerias gehören zu den schlechtesten in Afrika südlich der Sahara und der Welt (ÖB 10.2019). Mit 29 Todesfällen pro 1.000 Neugeborenen hat Nigeria weltweit die elfthöchste Todesrate bei Neugeborenen (GIZ 3.2020b). Die aktuelle Sterberate für Kinder unter fünf Jahren beträgt 100,2 Todesfälle pro 1.000 Lebendgeburten (ÖB 10.2019).

Es existiert kein mit westlichen Standards vergleichbares Psychiatriewesen, sondern allenfalls Verwahreinrichtungen auf sehr niedrigem Niveau. Dort werden Menschen mit psychischen Erkrankungen oft gegen ihren Willen untergebracht, können aber nicht adäquat behandelt werden (AA 16.1.2020). Stigmatisierung und Missverständnisse über psychische Gesundheit, einschließlich der falschen Wahrnehmung, dass psychische Erkrankungen von bösen Geistern oder übernatürlichen Kräften verursacht werden, veranlassen die Menschen dazu, religiöse oder traditionelle Heiler zu konsultieren; eine Rolle spielt hier auch der Mangel an qualitativ hochwertiger psychiatrischer Versorgung und die unerschwinglichen Kosten (HRW 11.11.2019).

Insgesamt gibt es für die inzwischen annähernd 200 Millionen Einwohner 100 Hospitäler mit psychiatrischer Abteilung (VAÖB 23.1.2019). Das in Lagos befindliche Federal Neuro Psychiatric Hospital Yaba bietet sich als erste Anlaufstelle für die Behandlung psychisch kranker Rückkehrer an. Die Kosten für einen Empfang durch ein medizinisches Team direkt am Flughafen belaufen sich auf ca. 195.000 Naira (ca. 570 Euro). Die Behandlungskosten sind jedoch je nach Schwere der Krankheit unterschiedlich. Zudem ist an diesem Krankenhaus auch die stationäre Behandlung psychischer Erkrankungen mit entsprechender Medikation möglich (AA 16.1.2020).

Nigeria verfügt derzeit über weniger als 150 Psychiater (AJ 2.10.2019), nach anderen Angaben sind es derzeit 130 für 200 Millionen Einwohner (Österreich 2011: 20 Psychiater/100.000 Einwohner). Bei Psychologen ist die Lage noch drastischer, hier kamen im Jahr 2014 auf 100.000 Einwohner 0,02 Psychologen (Österreich 2011: 80 Psychologen/100.000 Einwohner). Aufgrund dieser personellen Situation ist eine regelrechte psychologische/psychiatrische Versorgung für die große Mehrheit nicht möglich, neben einer basalen Medikation werden die stationären Fälle in öffentlichen Einrichtungen im Wesentlichen „aufbewahrt“. Die Auswahl an Psychopharmaka ist aufgrund der mangelnden Nachfrage sehr begrenzt (VAÖB 23.1.2019). Die WHO schätzt, dass weniger als 10 Prozent der Nigerianer jene psychiatrische Behandlung bekommen, die sie brauchen (AJ 2.10.2019; vgl. HRW 11.11.2019).

Es gibt eine allgemeine Kranken- und Rentenversicherung, die allerdings nur für Beschäftigte im formellen Sektor gilt. Die meisten Nigerianer arbeiten jedoch als Bauern, Landarbeiter oder Tagelöhner im informellen Sektor. Leistungen der Krankenversicherung kommen schätzungsweise nur zehn Prozent der Bevölkerung zugute (AA 16.1.2020). Nur weniger als sieben Millionen der 180 Millionen Einwohner Nigerias sind beim National Health Insurance Scheme leistungsberechtigt (Punch 22.12.2017). Eine Minderheit der erwerbstätigen Bevölkerung ist über das jeweils beschäftigende Unternehmen mittels einer Krankenversicherung abgesichert, die jedoch nicht alle Krankheitsrisiken abdeckt (VAÖB 27.3.2019).

Wer kein Geld hat, bekommt keine medizinische Behandlung (GIZ 3.2020b). Selbst in staatlichen Krankenhäusern muss für Behandlungen bezahlt werden (AA 16.1.2020). Die Kosten medizinischer Betreuung müssen im Regelfall selbst getragen werden. Die staatlichen Gesundheitszentren heben eine Registrierungsgebühr von umgerechnet 10 bis 25 Cent ein: Tests und Medikamente werden unentgeltlich abgegeben, sofern vorhanden (ÖB 10.2019). Eine basale Versorgung wird über die Ambulanzen der staatlichen Krankenhäuser aufrechterhalten, jedoch ist auch dies nicht völlig kostenlos, in jedem Fall sind Kosten für Medikamente und Heil- und Hilfsmittel von den Patienten zu tragen, von wenigen Ausnahmen abgesehen (VAÖB 27.3.2019). Religiöse Wohltätigkeitseinrichtungen und NGOs bieten kostenfrei medizinische Versorgung (ÖB 10.2019).

Die staatliche Gesundheitsversorgung gewährleistet keine kostenfreie Medikamentenversorgung. Jeder Patient - auch im Krankenhaus - muss Medikamente selbst besorgen bzw. dafür selbst aufkommen. In der Regel gibt es fast alle geläufigen Medikamente in Nigeria in Apotheken zu kaufen, so auch die Antiphlogistika und Schmerzmittel Ibuprofen und Diclofenac sowie die meisten Antibiotika, Bluthochdruckmedikamente und Medikamente zur Behandlung von neurologischen und psychiatrischen Leiden (AA 16.1.2020). Medikamente gegen einige weit verbreitete Infektionskrankheiten wie Malaria und HIV/AIDS können teilweise kostenlos in Anspruch genommen werden, werden jedoch nicht landesweit flächendeckend ausgegeben. Schutzimpfaktionen werden von internationalen Organisationen finanziert, stoßen aber auf religiös und kulturell bedingten Widerstand, überwiegend im muslimischen Norden (ÖB 10.2019).

Die Qualität der Produkte auf dem freien Markt ist jedoch zweifelhaft, da viele gefälschte Produkte – meist aus asiatischer Produktion – vertrieben werden (bis zu 25% aller verkauften Medikamente). Diese wirken aufgrund unzureichender Dosisanteile der Wirkstoffe nur eingeschränkt. Es gibt zudem wenig zuverlässige Kontrollen hinsichtlich der Qualität der auf dem Markt erhältlichen Produkte (AA 16.1.2020). Gegen den grassierenden Schwarzmarkt mit Medikamenten gehen staatliche Stellen kaum vor (ÖB 10.2019).

Der Glaube an die Heilkräfte der traditionellen Medizin ist nach wie vor sehr lebendig. Bei bestimmten Krankheiten werden eher traditionelle Heiler als Schulmediziner konsultiert (GIZ 3.2020b). Gerade im ländlichen Bereich werden „herbalists“ und traditionelle Heiler aufgesucht (ÖB 10.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (2.4.2020): Nigeria - Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788#content_5, Zugriff 16.4.2020

-        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

-        AJ - Al Jazeera (2.10.2019): Nigeria has a mental health problem, https://www.aljazeera.com/ajimpact/nigeria-mental-health-problem-191002210913630.html, Zugriff 16.4.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2020b): Nigeria, Gesellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/, Zugriff 15.4.2020

-        HRW - Human Rights Watch (11.11.2019). Nigeria: People With Mental Health Conditions Chained, Abused, https://www.hrw.org/news/2019/11/11/nigeria-people-mental-health-conditions-chained-abused, Zugriff 16.4.2020

-        Punch (22.12.2017): NHIS: Health insurance still elusive for many Nigerians, https://punchng.com/nhis-health-insurance-still-elusive-for-many-nigerians/, Zugriff 16.4.2020

-        VAÖB - Vertrauensarzt der ÖB Abuja (23.1.2019): medizinische Stellungnahme

-        VAÖB - Vertrauensarzt der ÖB Abuja (27.3.2019): medizinische Stellungnahme

22. Rückkehr

Letzte Änderung: 14.4.2020

Generell kann kein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen festgestellt werden, welcher geeignet wäre, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die allgemein herrschende Situation in Nigeria stellt keine Bedrohung i.S.v Art. 2 MRK, 3 MRK oder des Protokolls Nr. 6 oder 13 der EMRK dar. Außerdem kann allgemein festgestellt werden, dass eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2019).

Abschiebungen erfolgen auf dem Luftweg, in Linien- oder Chartermaschinen. Rückführungen aus EU-Staaten erfolgen meist durch Charterflüge, die auch durch FRONTEX durchgeführt werden (AA 16.1.2020). Die österreichische Botschaft in Abuja unterstützt regelmäßig die Vorbereitung und Durchführung von Joint Return Operations (JROs) gemeinsam mit FRONTEX (ÖB 10.2019). Ohne gültigen nigerianischen Pass oder einen von einer nigerianischen Botschaft ausgestellten vorläufigen Reiseausweis ist eine Einreise aus Europa kommender nigerianischer Staatsangehöriger nicht möglich. Dies gilt auch für zwangsweise Rückführungen (AA 16.1.2020).

Erkenntnisse darüber, ob abgelehnte Asylbewerber bei Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Beantragung von Asyl mit staatlichen Repressionen zu rechnen haben, liegen nicht vor. Verhaftung aus politischen Gründen oder andere außergewöhnliche Vorkommnisse bei der Einreise von abgeschobenen oder freiwillig rückkehrenden Asylwerbern sind nicht bekannt (AA 16.1.2020). Die Erfahrungen mit den JROs seit dem Jahre 2005 lassen kaum Probleme erkennen (ÖB 10.2019). Abgeschobene Personen werden im Allgemeinen nach ihrer Ankunft in Lagos von der zuständigen Behörde (Nigerian Immigration Service), manchmal auch von der NDLEA (National Drug Law Enforcement Agency) befragt (AA 16.1.2020) bzw. erkennungsdienstlich behandelt (ÖB 10.2019) und können danach das Flughafengelände unbehelligt verlassen (AA 16.1.2020; vgl. ÖB 10.2019). Meist steigen sie in ein Taxi ein oder werden von ihren Familien abgeholt. Es kann jedoch nicht mit gänzlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die abgeschobenen Personen keine weiteren Probleme mit den Behörden haben. Das fehlende Meldesystem in Nigeria lässt allerdings darauf schließen, dass nach Verlassen des Flughafengeländes eine Ausforschung Abgeschobener kaum mehr möglich ist (ÖB 10.2019).

Wegen Drogendelikten im Ausland verurteilte Nigerianer werden nach Rückkehr an die NDLEA überstellt. Ein zweites Strafverfahren in Nigeria wegen derselben Straftat haben diese Personen jedoch trotz anderslautender Vorschriften im „Decree 33“ nicht zu befürchten (AA 16.1.2020). Aus menschenrechtlichen Erwägungen wird gegenüber nigerianischen Behörden als Grund für Abschiebungen stets „overstay“ angegeben, da dieser kein strafrechtliches Delikt darstellt (ÖB 10.2019).

Staatliche oder sonstige Aufnahmeeinrichtungen für zurückkehrende unbegleitete Minderjährige sind in Lagos und anderen Landesteilen grundsätzlich vorhanden. Sie sind jedoch in schlechtem Zustand, so dass z.B. die Angebote nicht bekannt sind oder eine ausreichende Versorgung dort nicht ohne weiteres gewährleistet ist. Internationale Akteure bemühen sich, neue Rückkehrer- bzw. Migrationsberatungszentren aufzubauen. Eine entsprechende Einrichtung von IOM in Benin-City, Edo State, wurde 2018 eröffnet. Gleichermaßen haben im Herbst 2018 in Lagos, Abuja und Benin City Migrationsberatungszentren der GIZ ihren Betrieb aufgenommen. Gemeinsam mit dem nigerianischen Arbeitsministerium wird dort über berufliche Perspektiven in Nigeria informiert (AA 16.1.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (16.1.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand September 2019)

-        -ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2019): Asylländerbericht Nigeria

Eine nach Nigeria zurückkehrende Person, bei welcher keine berücksichtigungswürdigen Gründe vorliegen, wird durch eine Rückkehr nicht automatisch in eine unmenschliche Lage versetzt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalts wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in die Akten des Bundesamtes zum vorherigen und gegenständlichen Asylverfahren unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor diesem und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, sowie in das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Nigeria. Ergänzend wurden Auszüge aus dem Zentralen Melderegister, dem Betreuungsinformationssystem des Bundes, des Zentralen Fremdenregisters und des Strafregisters der Republik Österreich eingeholt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers und zu den aktuellen familiären Verhältnissen und den Lebensumständen:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit sowie Herkunft des Beschwerdeführers beruhen auf dem Befund des Dr. P. G., einem anerkannten Linguisten für afrikanische Sprachen, vom 28.12.2018.

In diesem Gutachten wird auf Grund der existierenden sprachlichen Kompetenz des Beschwerdeführers dessen Herkunft aus Nigeria eindeutig und schlüssig dargelegt, dessen Herkunft aus Liberia in gleicher Weise widerlegt. Der Sachverständige hat mit dem Beschwerdeführer am 16.05.2018 ein Befundgespräch geführt und liegt dem Gutachten eine 92-minütige Tonbandaufzeichnung zu Grunde. Dr. G. legte nachvollziehbar dar, dass der Beschwerdeführer keine Kompetenz in einer liberianischen Varietät des Englischen und auch keine Kompetenz in sonst einer liberianischen Sprache, insbesondere nicht in der Kpelle-Sprache, die er in seiner Erstbefragung am 25.04.2018 als Muttersprache angab, aufweist. Während seiner Befragung durch den Sachverständigen konnte er kein einziges Wort in dieser Sprache angeben. Der Gutachter konnte die Sprache des Beschwerdeführers eindeutig einer südnigerianischen Varietät zuordnen und innerhalb dieses Dialektraumes eine Sprachkompetenz in einem Fulfulde-Dialekt der Fula-Sprache erkennen. Seine Schlussfolgerung konnte der Gutachter für den Laien nachvollziehbar mit Beispielen an Wörtern und deren Aussprache belegen und untermauern auch die fehlenden Landeskenntnisse (Befund, S 25 ff) des Beschwerdeführers, dass er - nicht wie von ihm auch in der mündlichen Verhandlung unverändert behauptet - in Liberia hauptsozialisiert wurde.

In der Einvernahme vom 05.03.2019 und auch in der Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde der Beschwerdeführer mit den gutachterlichen Feststellungen und Schlussfolgerungen konfrontiert. Er trat ihnen nicht entgegen, sondern beharrte darauf, Staatsagenhöriger von Liberia zu sein. In der erhobenen Beschwerde ließ er offen, woher er tatsächlich stamme bzw. welches Land sein tatsächlicher Herkunftsstaat sei, wobei er mit Bezug auf die Rückkehrentscheidung und das Einreisverbot ausschließlich auf Nigeria Bezug nahm. Der Beschwerdeführer trat dem Befund nicht auf gleicher fachlicher Ebene und substantiiert entgegen. Auch wenn nicht zu verkennen ist, dass gerade bei Sprachanalysen höchste Sensibilität und Sorgfalt einzufordern ist, genügt das Beharren des Beschwerdeführers auf die liberianische Staatsangehörigkeit nicht, um Zweifel an der Hauptsozialisierung des Beschwerdeführers in Nigeria aufkommen zu lassen.

Aufgrund der im Verfahren unterlassenen Vorlage unbedenklicher nationaler Identitätsdokumente bzw. sonstiger Bescheinigungsmittel konnte die Identität des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden. Es liegt sohin eine bloße Verfahrensidentität vor.

Zur festgestellten Herkunft aus Nigeria wurde dem Beschwerdeführer rechtliches Gehör, auch in der mündlichen Verhandlung, eingeräumt, eine sich auf Nigeria beziehende Verfolgung machte er zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens geltend.

Die Feststellungen zu seinen Kindern, der Ex-Partnerin und der nunmehrigen Lebensgefährtin gründen sich zum einen auf seine eigenen Angaben und jene der Lebensgefährtin sowie auf die vorgelegte Geburtsurkunde der Tochter F J, die Bestätigung der bestehenden Schwangerschaft der Lebensgefährtin sowie die auf sie Bezug nehmenden Auszüge aus dem Zentralen Fremdenregister, dem Zentralen Melderegister und dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger.

Aus den vorliegenden Beweismitteln ergibt sich der durchgehende Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich, die Obdachlosenmeldung und sein Aufenthalt in den verschiedenen Justizanstalten, wie auch der Umstand, dass er beharrlich seinen Ausreiseverpflichtungen nicht nachkam. Der befristete Aufenthaltsstatus seines Kindes F J und seiner Lebensgefährtin gehen auf die eingeholten Auszüge aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister zurück.

Dass die Familie seit April 2019 in einem gemeinsamen Haushalt lebt, fußt auf einer Abfrage im Zentralen Melderegister. Die Aufgabenverteilung im Familienverbund und dass er zum Familieneinkommen beiträgt, ergibt sich aus den glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers, wonach er sich um das gemeinsame Kind kümmert und manchmal eine Straßenzeitung verkauft und gelegentlich der Schwarzarbeit nachgeht. Daraus kann auf seine Arbeitsfähigkeit und -willigkeit geschlossen werden. Der Bezug von staatlichen Grundleistungen beruht auf der Abfrage im Betreuungsinformationssystem des Bundes. Der Beschwerdeführer hat die Haftzeit genützt, einen Staplerführerschein zu machen und eine Lehre als Bäcker abzuschließen, was sich ebenfalls aus seinen glaubhaften Angaben ergibt. Nach erfolgter Operation an der Hand und seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung, eine Erwerbstätigkeit ausüben zu können, ergibt sich sein Gesundheitszustand sowie die Annahme, dass er am österreichischen Arbeitsmarkt eine Arbeit wird finden können.

Dass die zwischen dem Beschwerdeführer und der Lebensgefährtin bestehende Beziehung einen positiven Einfluss auf deren psychischen Gesundheitszustand hatte, wurde von ihr in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Sie stimmen mit der vorgelegten Behandlungsbestätigung des psychiatrischen Ambulatoriums überein, wonach die Lebensgefährtin seit dem Jahr 2013 in deren Betreuung steht. In der mündlichen Verhandlung versicherte sie, dass sie bei der Betreuung der Tochter auf die seelische und praktische, für sie wichtige Unterstützung durch den Beschwerdeführer angewiesen ist. Durch das existierende Zusammenleben, die Betreuung und Unterstützung besteht eine emotionale Beziehung des gemeinsamen Kindes sowie auch der Lebensgefährtin zum Beschwerdeführer und konnte ein schützenswertes Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK daher festgestellt werden.

Dass der Beschwerdeführer keine außergewöhnliche Integration vorzuweisen hat, aber dennoch versucht, derartige Schritte zu setzen, ergibt sich aus dem vorgelegten Sprachprüfungszeugnis Niveau B1, der Mitgliedschaft in einer christlichen Kirchengemeinde, dem Empfehlungsschreiben der Vermieterin und einer Freundin der Familie. Er bekräftigte auch seinen Willen, einer Erwerbstätigkeit nachgehen zu wollen, und hat, wie bereits ausgeführt, durch die abgeschlossene Bäckerlehre und den erworbenen Staplerführerschein seine Möglichkeiten verbessert, am Arbeitsmarkt unter zu kommen.

Dadurch, dass er unverändert darauf beharrt, sein Herkunftsstaat sei Liberia, lassen sich die Lebensumstände bis zu seiner Ausreise, das familiäre Zusammenleben und die Mitarbeit in der Landwirtschaft nicht feststellen, ebenso, ob er einen Kontakt zur Familie noch hat bzw. wo sie lebt. Der Beschwerdeführer schilderte glaubhaft, keinen Kontakt zur Ex-Partnerin und dem im Jahr 2007 in Österreich geborenen Kind gehabt und keinen Unterhalt geleistet zu haben.

Die Feststellung über die strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich.

2.3. Zum Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für Nigeria samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen. Dieser Länderinformationsbericht stützt sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von Nichtregierungsorganisationen, wie beispielsweise Open Doors, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Der Beschwerdeführer trat diesen Quellen und deren Kernaussagen zur Situation im Herkunftsland, auch in der mündlichen Verhandlung, nicht substantiiert entgegen. Dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat Nigeria für ihn eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention darstellte oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen könnte, wurde von ihm nicht behauptet. Wie bereits ausgeführt, beharrte er darauf, aus Liberia zu stammen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt I. A):

3.1. Einstellung des Beschwerdeverfahrens:

Gemäß § 7 Abs. 2 VwGVG ist eine Beschwerde nicht mehr zulässig, wenn die Partei nach Zustellung oder Verkündung des Bescheides ausdrücklich auf die Beschwerde verzichtet hat.

Eine Zurückziehung der Beschwerde durch den Beschwerdeführer ist in jeder Lage des Verfahrens ab Einbringung der Beschwerde bis zur Erlassung der Entscheidung möglich (Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, § 7 VwGVG, K 6).

Bei der Zurückziehung der Beschwerde handelt es sich um eine von der Partei vorzunehmende Prozesshandlung, die bewirkt, dass diese einer meritorischen Erledigung nicht mehr zugeführt werden darf. Die Rechtsmittelinstanz verliert - sofern die Zurücknahme noch vor Erlassung ihrer Entscheidung erfolgt - die funktionelle Zuständigkeit zur Entscheidung über die Beschwerde (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG Manz Kommentar, Rz 74 zu § 63 mwN).

Die Annahme, eine Partei ziehe die von ihr erhobene Berufung zurück, ist nur dann zulässig, wenn die entsprechende Erklärung keinen Zweifel daran offen lässt. Maßgebend ist daher das Vorliegen einer in dieser Richtung eindeutigen Erklärung (vgl. VwGH 22.11.2005, Zl. 2005/05/0320; u.v.a.).

Durch den in der mündlichen Verhandlung nach ausführlicher Erörterung der Sach- und Rechtslage unmissverständlich zum Ausdruck gebrachten Parteiwillen des Beschwerdeführers, die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (bezüglich des Status des Asylberechtigten) zurückzuziehen, ist der Sachentscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht die Grundlage entzogen. Daher war diesbezüglich das gegenständliche Beschwerdeverfahren einzustellen.

3.2. Zu Spruchpunkt II. C) 1.:

3.2.1. Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten:

Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK (ZPERMRK) bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Im Rahmen der Prüfung des Einzelfalls ist die Frage zu beantworten, ob einem Fremden im Falle der Abschiebung in seinen Herkunftsstaat ein - über eine bloße Möglichkeit hinausgehendes - "real risk" einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht (VwGH 28.06.2011, 2008/01/0102). Die dabei aufgrund konkreter vom Fremden aufgezeigter oder von Amts wegen bekannter Anhaltspunkte anzustellende Gefahrenprognose erfordert eine ganzheitliche Bewertung der Gefahren und hat sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen (VwGH 15.12.2010, 2006/19/1354).

Die Abschiebung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also bezogen auf den Einzelfall die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174). Zu berücksichtigen ist auch, dass nur bei Vorliegen exzeptioneller Umstände, die dazu führen, dass der Betroffene im Zielstaat keine Lebensgrundlage vorfindet, die Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK angenommen werden kann (VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0174). Das Vorliegen solcher exzeptioneller Umstände erfordert detaillierte und konkrete Darlegungen (VwGH 07.09.2016, Ra 2015/19/0303; ua).

Einem Asylwerber kann der Status des subsidiär Schutzberechtigten unter bestimmten Voraussetzungen in Bezug auf seinen Herkunftsstaat, im konkreten Fall in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria, gewährt werden. Die nigerianische Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers wurde - wie im Rahmen der beweiswürdigenden Ausführungen dargelegt - festgestellt. Er beharrte, obwohl der linguistische Sachverständige mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dessen Hauptsozialisierung in Nigeria feststellte, unverändert darauf, Staatsangehöriger von Liberia zu sein. Zu seinem Herkunftsstaat Nigeria tätigte er kein Vorbringen. Exzeptionelle Umstände, die einer Abschiebung nach Nigeria entgegenstünden, ließen sich somit nicht feststellen.

Hinweise auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage in Nigeria (allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse) liegen nicht vor, weshalb aus diesem Gesichtspunkt bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gemäß Art. 2 und/oder 3 EMRK abgeleitet werden kann. Es kann auf Basis der Länderfeststellungen nicht davon ausgegangen werden, dass generell jeder im Falle einer Rückkehr nach Nigeria mit existentiellen Nöten konfrontiert ist. Es bestehen keine Hinweise dafür, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Nigeria die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre. Er ist volljährig, gesund und somit arbeitsfähig. Er absolvierte eine Mechaniker-Lehre und sammelte Berufserfahrung, wie er auch in Österreich eine Bäckerlehre abschloss und einen Staplerführerschein machte, denen bei der Arbeitssuche in seinem Herkunftsstaat ein hoher Stellenwert beizumessen ist. Er leidet auch nicht an einer schweren Erkrankung, gehört auch nicht zu einer Risikogruppe hinsichtlich des Corona-Virus. Er spricht auch die Landessprache. Es ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat seine dringendsten Bedürfnisse befriedigen kann und nicht in eine dauerhaft aussichtslose Lage gerät. Ob der Beschwerdeführer in Nigeria über familiäre Anknüpfungspunkte verfügt, ließ sich - wie oben ausgeführt - nicht feststellen. Aus dem Länderinformationsblatt (zu Pkt. 20. Grundversorgung) ergibt sich zudem, dass „[…] auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2019).“ Damit ist der Beschwerdeführer durch die Abschiebung nach Nigeria nicht in seinem Recht gemäß Art. 3 EMRK verletzt, weil die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz im konkreten Fall gedeckt werden können. Dass der Beschwerdeführer allenfalls in Österreich wirtschaftlich gegenüber seiner Situation in Nigeria besser gestellt ist, genügt nicht für die Annahme, er würde in Nigeria keine Lebensgrundlage vorfinden und somit seine Existenz nicht decken können. Hierfür fehlen im vorliegenden Fall alle Hinweise auf derart exzeptionelle Umstände.

Ganz allgemein besteht in Nigeria derzeit keine solche Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne der Art. 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK (ZPEMRK) ausgesetzt wäre. Im Verfahren sind auch keine Umstände bekannt geworden und ergeben sich auch nicht aus dem Länderinformationsblatt zu Nigeria, die nahelegen würden, dass bezogen auf den Beschwerdeführer ein reales Risiko einer gegen Art 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung bzw. der Todesstrafe besteht.

Bei einer Gesamtschau ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat seine dringendsten Bedürfnisse befriedigen wird können und nicht in eine dauerhaft aussichtslose Lage geraten würde, sodass der erstinstanzliche Ausspruch in Spruchteil II. des angefochtenen Bescheides zu bestätigen war.

3.3. Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005:

Das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG 2005 wurde vom Beschwerdeführer nicht behauptet, und auch aus dem Verwaltungsakt ergeben sich keinerlei Hinweise, die nahe legen würden, dass die Erteilung einer solchen Aufenthaltsberechtigung in Betracht kommt.

Da somit die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 nicht gegeben sind, war die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG ebenso als unbegründet abzuweisen.

3.4. Zur Rückkehrentscheidung:

3.4.1. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz (dem AsylG 2005) mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.

Gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt.

Gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs. 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).

3.4.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Rechtsansicht, dass bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen ist (VwGH 04.08.2016, Ra 2015/21/0249, mwN). Der Beschwerdeführer hält sich seit etwas mehr als 17 Jahre in Österreich auf (Erstantrag auf Asyl im Juli 2003), jedoch sind die Zeiträume der Verbüßung einer Freiheitsstrafe - wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 24.03.2015, Ro 2014/21/0079, mwN, ausführte - grundsätzlich geeignet, die Kontinuität des Aufenthaltes im Sinn des Art. 28 Abs. 3 lit. a der Freizügigkeitsrichtlinie zu unter

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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