TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/6 I412 2173168-1

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Veröffentlicht am 06.11.2020
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Entscheidungsdatum

06.11.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I412 2173168-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Gabriele ACHLEITNER über die Beschwerde des XXXX StA. STAATENLOS, vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des BFA RD Oberösterreich Außenstelle Linz (ASt) vom 08.09.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 05.11.2020 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer gelangte illegal in Bundesgebiet und stellte am 22.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er mit Verfolgung durch eine Miliz, schwere Zeiten aufgrund des Bürgerkriegs und Bedrohung wegen seines Vornamens begründete. Bei der Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab er an, staatenlos zu sein und dass er den Irak aus Angst um sein Leben verlassen habe.

Vor der belangten Behörde konkretisierte er am 03.05.2017, dass er aufgrund seiner palästinensischen Abstammung und dem Vornamen in der Schulde viele Drohungen erhalten habe und diese von der Miliz „Asaib Ahl Alhaq“ ausgegangen sei. Man habe auf ihn auch vor der Schule gewartet und habe er mehrfach die Schule gewechselt. Die Familie lebte in einem palästinensischen Viertel in Bagdad und seien sie im Herkunftsstaat unerwünscht. Im Jahr 2012 habe die Miliz das Haus der Familie mit einer Granate beschossen.

Mit Bescheid vom 08.09.2017 wies die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm aber den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.). Dem Beschwerdeführer wurde eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).

Dagegen richtet sich die Beschwerde vom 04.10.2017. Moniert wurde, dass geeignete Feststellungen zur Lage von staatenlosen Palästinensern im Irak nicht getroffen worden seien und die Länderfeststellungen mangelhaft seien. Die Lebenssituation des Beschwerdeführers im Irak wäre durch tägliche Schikanen und Bedrohungen gekennzeichnet und komme es durch die Miliz Asa’ib ahl al-Haqq immer wieder zu Entführungen und Verschleppungen von Palästinensern. Der Beschwerdeführer wäre aber auch einer Bedrohung aufgrund seines konnotierten Vornamens ausgesetzt, weil dieser Aufschluss auf seine sunnitische Glaubensrichtung gebe und er dadurch zusätzlich ins Visier der schiitischen Miliz gerate. Der Beschwerde schloss er eine Anfragebeantwortung der BFA Staatendokumentation zu Irak: Verfolgung aufgrund eines „sunnitischen/schiitischen Namens“, 6. Oktober 2016, an.

Dem Beschwerdeführer wurde zuletzt am 09.09.2020 im Verfahren Zl. XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte, gültig bis 09.09.2022 erteilt.

Am 05.11.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck eine öffentliche mündliche Verhandlung statt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zum Sachverhalt und zur Person:

Der Beschwerdeführer ist staatenloser Palästinenser, wurde in Bagdad, Irak geboren und lebte bis zu seiner Ausreise im Jahr 2015 dort in einem palästinensischen Viertel mit seinen Eltern und vier Brüdern. Die Identität des Beschwerdeführers steht fest.

Die Kernfamilie des Beschwerdeführers lebt mittlerweile überwiegend in der Türkei. Ein Onkel des Beschwerdeführers lebt in Bagdad und arbeitet in der palästinensischen Botschaft als Assistent des Botschafters.

Der Beschwerdeführer legte ein von UNHCR Bagdad ausgestelltes „UNHCR Refugee Certificate“ vor, ausgest3ellt am 13.07.2013, gültig bis 13.07.2014. Demnach wurde er von UNHCR am 24.04.2008 registriert.

Er bekennt sich zum moslemisch-sunnitischen Glauben, ist ledig und kinderlos. Er besuchte mehrere Jahre eine Schule im Irak und verdiente sich seinen Lebensunterhalt als Zulieferer, Süßwarenhersteller und Gehilfe in einer Druckerei.

In Österreich hält er sich seit seiner Asylantragstellung im Mai 2015 auf und hat er seinen Wohnsitz in Linz. Dem Beschwerdeführer wurde mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 08.09.2017 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 erteilt. Diese wurde zuletzt am 09.09.2020 um weitere zwei Jahre verlängert. Der Beschwerdeführer ist außerdem in Besitz eines Fremdenpasses mit der Nr. XXXX , gültig bis 06.01.2024.

Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtgründen:

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat, konkret in seine Herkunftsregion Bagdad, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer glaubhaften, asylrelevanten Verfolgungsgefahr ausgesetzt wäre.

Ein konkreter Anlass für das (fluchtartige) Verlassen des Herkunftsstaates konnte beschwerdegegenständlich nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer schildert Bedrohungssituationen in den Jahren 2004, 2006, 2007, 2008 und 2012 und hielt er sich noch bis März 2015 im Irak auf.

Es ist nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise einer individuellen und aktuellen Verfolgung aus den von ihm genannten Gründen im Herkunftsstaat ausgesetzt gewesen wäre bzw. im Fall seiner Rückkehr in den Irak der Gefahr einer solchen ausgesetzt sein würde.

1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Politische Lage:

Letzte Änderung: 17.3.2020

Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018) und es wurde ein neues politisches System im Irak eingeführt (Fanack 2.9.2019). Gemäß der Verfassung vom 15.10.2005 ist der Irak ein islamischer, demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.1.2019; vgl. GIZ 1.2020a; Fanack 2.9.2019), der aus 18 Gouvernements (muhafaz?t) besteht (Fanack 2.9.2019). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Kurdische Region im Irak (KRI) ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Gouvernements Dohuk, Erbil und Sulaymaniyah. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung (Kurdistan Regional Government, KRG), verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 2.9.2019). Beherrschende Themenblöcke der irakischen Innenpolitik sind Sicherheit, Wiederaufbau und Grundversorgung, Korruptionsbekämpfung und Ressourcenverteilung, die systemisch miteinander verknüpft sind (GIZ 1.2020a).

An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuww?b, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat) für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und kann einmal wiedergewählt werden. Er genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt, mit denen er den Präsidialrat bildet, welcher einstimmige Entscheidungen trifft (Fanack 2.9.2019).

Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (Fanack 2.9.2019; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik und ist auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).

Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 2.9.2019). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 28.2.2020; vgl. GIZ 1.2020a). Neun Sitze werden den Minderheiten zur Verfügung gestellt, die festgeschriebene Mindest-Frauenquote im Parlament liegt bei 25% (GIZ 1.2020a).

Nach einem ethnisch-konfessionellen System (Muhasasa) teilen sich die drei größten Bevölkerungsgruppen des Irak - Schiiten, Sunniten und Kurden - die Macht durch die Verteilung der Ämter des Präsidenten, des Premierministers und des Parlamentspräsidenten (AW 4.12.2019). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnit, der Premierminister ist ein Schiit und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018). Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.1.2019).

Am 12.5.2018 fanden im Irak Parlamentswahlen statt, die fünfte landesweite Wahl seit der Absetzung Saddam Husseins im Jahr 2003. Die Wahl war durch eine historisch niedrige Wahlbeteiligung und Betrugsvorwürfe gekennzeichnet, wobei es weniger Sicherheitsvorfälle gab als bei den Wahlen in den Vorjahren (ISW 24.5.2018). Aufgrund von Wahlbetrugsvorwürfen trat das Parlament erst Anfang September zusammen (ZO 2.10.2018).

Am 2.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih von Patriotischen Union Kurdistans (PUK) zum Präsidenten des Irak (DW 2.10.2018; vgl. ZO 2.10.2018; KAS 5.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (DW 2.10.2018). Nach langen Verhandlungsprozessen und zahlreichen Protesten wurden im Juni 2019 die letzten und sicherheitsrelevanten Ressorts Innere, Justiz und Verteidigung besetzt (GIZ 1.2020a).

Im November 2019 trat Premierminister Adel Abdul Mahdi als Folge der seit dem 1.10.2019 anhaltenden Massenproteste gegen die Korruption, den sinkenden Lebensstandard und den ausländischen Einfluss im Land, insbesondere durch den Iran, aber auch durch die Vereinigten Staaten (RFE/RL 24.12.2019; vgl. RFE/RL 6.2.2020). Präsident Barham Salih ernannte am 1.2.2020 Muhammad Tawfiq Allawi zum neuen Premierminister (RFE/RL 6.2.2020). Dieser scheiterte mit der Regierungsbildung und verkündete seinen Rücktritt (Standard 2.3.2020; vgl. Reuters 1.3.2020). Am 17.3.2020 wurde der als sekulär geltende Adnan al-Zurfi, ehemaliger Gouverneur von Najaf als neuer Premierminister designiert (Reuters 17.3.2020).

Im Dezember 2019 hat das irakische Parlament eine der Schlüsselforderung der Demonstranten umgesetzt und einem neuen Wahlgesetz zugestimmt (RFE/RL 24.12.2019; vgl. NYT 24.12.2019). Das neue Wahlgesetz sieht vor, dass zukünftig für Einzelpersonen statt für Parteienlisten gestimmt werden soll. Hierzu soll der Irak in Wahlbezirke eingeteilt werden. Unklar ist jedoch für diese Einteilung, wie viele Menschen in den jeweiligen Gebieten leben, da es seit über 20 Jahren keinen Zensus gegeben hat (NYT 24.12.2019).

Die nächsten Wahlen im Irak sind die Provinzwahlen am 20.4.2020, wobei es sich um die zweite Verschiebung des ursprünglichen Wahltermins vom 22.12.2018 handelt. Es ist unklar, ob die Wahl in allen Gouvernements des Irak stattfinden wird, insbesondere in jenen, die noch mit der Rückkehr von IDPs und dem Wiederaufbau der Infrastruktur zu kämpfen haben. Die irakischen Provinzwahlen umfassen nicht die Gouvernements Erbil, Sulaymaniyah, Duhok und Halabja, die alle Teil der KRI sind, die von ihrer eigenen Wahlkommission festgelegte Provinz- und Kommunalwahlen durchführt (Kurdistan24 17.6.2019).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

- Al Jazeera (15.9.2018): Deadlock broken as Iraqi parliament elects speaker, https://www.aljazeera.com/news/2018/09/deadlock-broken-iraqi-parliament-elects-speaker-180915115434675.html, Zugriff 13.3.2020

- AW - Arab Weekly, The (4.12.2019): Confessional politics ensured Iran’s colonisation of Iraq, https://thearabweekly.com/confessional-politics-ensured-irans-colonisation-iraq, Zugriff 13.3.2020

- CIA - Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook – Iraq, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html, Zugriff 13.3.2020

- DW - Deutsche Welle (2.10.2018): Iraqi parliament elects Kurdish moderate Barham Salih as new president, https://www.dw.com/en/iraqi-parliament-elects-kurdish-moderate-barham-salih-as-new-president/a-45733912, Zugriff 13.3.2020

- Fanack (2.9.2019): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq/, Zugriff 13.3.2020

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 13.3.2020

- ISW - Institute for the Study of War (24.5.2018): Breaking Down Iraq's Election Results, http://www.understandingwar.org/backgrounder/breaking-down-iraqs-election-results, Zugriff 13.3.2020

- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (5.10.2018): Politische Weichenstellungen in Bagdad und Wahlen in der Autonomen Region Kurdistan, https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=e646d401-329d-97e0-6217-69f08dbc782a&groupId=252038, Zugriff 13.3.2020

- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 13.3.2020

- Kurdistan24 (17.6.2019): Iraq's electoral commission postpones local elections until April 2020, https://www.kurdistan24.net/en/news/80728bf3-eb95-4e76-a30f-345cf9a48d3c, Zugriff 13.3.2020

- NYT - The New York Times (24.12.2019): Iraq’s New Election Law Draws Much Criticism and Few Cheers, https://www.nytimes.com/2019/12/24/world/middleeast/iraq-election-law.html, Zugriff 13.3.2020

- Reuters (17.3.2020): Little-known ex-governor Zurfi named as new Iraqi prime minister-designate, https://www.reuters.com/article/us-iraq-pm-designate/iraqi-president-salih-names-adnan-al-zurfi-as-new-prime-minister-designate-state-tv-says-idUSKBN21419J?il=0, Zugriff 17.3.2020

- Reuters (1.3.2020): Iraq's Allawi withdraws his candidacy for prime minister post: tweet, https://www.reuters.com/article/us-iraq-politics-primeminister/iraqs-allawi-withdraws-his-candidacy-for-prime-minister-post-tweet-idUSKBN20O2AD, Zugriff 13.3.2020

- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (6.2.2020): Iraqi Protesters Clash With Sadr Backers In Deadly Najaf Standoff, https://www.ecoi.net/en/document/2024704.html, Zugriff 13.3.2020

- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (24.12.2019): Iraqi Parliament Approves New Election Law, https://www.ecoi.net/de/dokument/2021836.html, Zugriff 13.3.2020

- RoI - Republic of Iraq (15.10.2005): Constitution of the Republic of Iraq, http://www.refworld.org/docid/454f50804.html, Zugriff 13.3.2020

- Standard, Der (2.3.2020): Designierter irakischer Premier Allawi bei Regierungsbildung gescheitert, https://www.derstandard.at/story/2000115222708/designierter-irakischer-premier-allawi-bei-regierungsbildung-gescheitert, Zugriff 13.3.2020

- ZO - Zeit Online (2.10.2018): Irak hat neuen Präsidenten gewählt, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-10/barham-salih-irak-praesident-wahl, Zugriff 13.3.2020

Sicherheitslage Bagdad:

Letzte Änderung: 17.3.2020

Das Gouvernement Bagdad ist das kleinste und am dichtesten bevölkerte Gouvernement des Irak mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit des Gouvernements wird sowohl vom „Baghdad Operations Command“ kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst bezieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden (OFPRA 10.11.2017).

Entscheidend für das Verständnis der Sicherheitslage Bagdads und der umliegenden Gebiete sind sechs mehrheitlich sunnitische Regionen (Latifiya, Taji, al-Mushahada, al-Tarmia, Arab Jibor und al-Mada'in), die die Hauptstadt von Norden, Westen und Südwesten umgeben und den sogenannten „Bagdader Gürtel“ (Baghdad Belts) bilden (Al Monitor 11.3.2016). Der Bagdader Gürtel besteht aus Wohn-, Agrar- und Industriegebieten sowie einem Netz aus Straßen, Wasserwegen und anderen Verbindungslinien, die in einem Umkreis von etwa 30 bis 50 km um die Stadt Bagdad liegen und die Hauptstadt mit dem Rest des Irak verbinden. Der Bagdader Gürtel umfasst, beginnend im Norden und im Uhrzeigersinn die Städte: Taji, Tarmiyah, Baqubah, Buhriz, Besmaja und Nahrwan, Salman Pak, Mahmudiyah, Sadr al-Yusufiyah, Fallujah und Karmah und wird in die Quadranten Nordosten, Südosten, Südwesten und Nordwesten unterteilt (ISW 2008).

Fast alle Aktivitäten des Islamischen Staate (IS) im Gouvernement Bagdad betreffen die Peripherie der Hauptstadt, den „Bagdader Gürtel“ im äußeren Norden, Süden und Westen (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 16.10.2019; Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 5.3.2020), doch der IS versucht seine Aktivitäten in Bagdad wieder zu erhöhen (Joel Wing 5.8.2019). Die Bestrebungen des IS, wieder in der Hauptstadt Fuß zu fassen, sind Ende 2019 im Zuge der Massenproteste ins Stocken geraten, scheinen aber mittlerweile wieder aufgenommen zu werden (Joel Wing 3.2.2020; vgl. Joel Wing 5.3.2020).

Dabei wurden am 7.und 16.9.2019 jeweils fünf Vorfälle mit „Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen“ (IEDs) in der Stadt Bagdad selbst verzeichnet (Joel Wing 16.10.2019). Seit November 2019 setzt der IS Motorrad-Bomben in Bagdad ein. Zuletzt detonierten am 8. und am 22.2.2020 jeweils fünf IEDs in der Stadt Bagdad (Joel Wing 5.3.2020).

Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Bagdad 60 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 42 Toten und 61 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 2.12.2019; vgl. Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 3.2.2020), im Februar 2020 waren es 25 Vorfälle mit zehn Toten und 35 Verletzten (Joel Wing 5.3.2020). Die meisten dieser sicherheitsrelevanten Vorfälle werden dem IS zugeordnet, jedoch wurden im Dezember 2019 drei dieser Vorfälle pro-iranischen Milizen der Volksmobilisierungskräfte (PMF) zugeschrieben, ebenso wie neun Vorfälle im Jänner 2020 und ein weiterer im Februar (Joel Wing 6.1.2020; vgl Joel Wing 5.3.2020)

Die Ermordung des iranischen Generals Suleimani und des stellvertretenden Kommandeurs der PMF, Abu Muhandis, durch die USA führte unter anderem in der Stadt Bagdad zu einer Reihe von Vergeltungsschlägen durch pro-iranische PMF-Einheiten. Es wurden neun Raketen und Mörserangriffe verzeichnet, die beispielsweise gegen die Grüne Zone und die darin befindliche US-Botschaft sowie das Militärlager Camp Taji gerichtet waren (Joel Wing 3.2.2020).

Seit 1.10.2019 kommt es in mehreren Gouvernements, darunter auch in Bagdad, zu teils gewalttätigen Demonstrationen.

Quellen:

- Al Monitor (11.3.2016): The rise of Islamic State sleeper cells in Baghdad, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2016/03/iraq-baghdad-belts-harbor-islamic-state.html, Zugriff 13.3.2020

- ISW - Institute for the Study of War (2008): Baghdad Belts, http://www.understandingwar.org/region/baghdad-belts, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.8.2019): Islamic State’s Offensive Could Be Winding Down, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/08/islamic-states-offensive-could-be.html, Zugriff 13.3.2020

- OFPRA - Office Français de Protection des Réfugiés et Apatrides (10.11.2017): The Security situation in Baghdad Governorate, https://www.ofpra.gouv.fr/sites/default/files/atoms/files/39_irq_security_situation_in_baghdad.pdf, Zugriff 13.3.2020

Islamischer Staat (IS):

Letzte Änderung: 17.3.2020

Seit der Verkündigung des territorialen Sieges des Irak über den Islamischen Staat (IS) durch den damaligen Premierminister al-Abadi im Dezember 2017 (USCIRF 4.2019; vgl Reuters 9.12.2017) hat sich der IS in eine Aufstandsbewegung gewandelt (Military Times 7.7.2019) und kehrte zu Untergrund-Taktiken zurück (USDOS 1.11.2019; vgl. BBC 23.12.2019; FH 4.3.2020). Zahlreiche Berichte erwähnen Umstrukturierungsbestrebungen des IS sowie eine Mobilisierung von Schläferzellen (Portal 9.10.2019) und einen neuerlichen Machtzuwachs im Norden des Landes (PGN 11.1.2020).

Der IS unterhält ein Netz von Zellen, die sich auf die Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala konzentrieren, während seine Taktik IED-Angriffe auf Sicherheitspersonal, Brandstiftung auf landwirtschaftlichen Flächen und Erpressung von Einheimischen umfasst (Garda 3.3.2020). Der IS führt in vielen Landesteilen weiterhin kleinere bewaffnete Operationen, Attentate und Angriffe mit improvisierten Sprengkörpern (IED) durch (USCIRF 4.2019). Er stellt trotz seines Gebietsverlustes weiterhin eine Bedrohung für Sicherheitskräfte und Zivilisten, einschließlich Kinder, dar (UN General Assembly 30.7.2019). Er ist nach wie vor der Hauptverantwortliche für Übergriffe und Gräueltaten im Irak, insbesondere in den Gouvernements Anbar, Bagdad, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din (USDOS 11.3.2020; vgl. UN General Assembly 30.7.2019). Im Jahr 2019 war der IS insbesondere in abgelegenem, schwer zugänglichem Gelände aktiv, hauptsächlich in den Wüsten der Gouvernements Anbar und Ninewa sowie in den Hamrin-Bergen, die sich über die Gouvernements Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala erstrecken (ACLED 2.10.2019a). Er ist nach wie vor dabei sich zu reorganisieren und versucht seine Kader und Führung zu erhalten (Joel Wing 16.10.2019).

Der IS setzt weiterhin auf Gewaltakte gegen Regierungziele sowie regierungstreue zivile Ziele, wie Polizisten, Stammesführer, Politiker, Dorfvorsteher und Regierungsmitarbeiter (ACLED 2.10.2019a; vgl. USDOS 1.11.2019), dies unter Einsatz von improvisierten Sprengkörpern (IEDs) und Schusswaffen sowie mittels gezielten Morden (USDOS 1.11.2019), sowie Brandstiftung. Die Übergriffe sollen Spannungen zwischen arabischen und kurdischen Gemeinschaften entfachen, die Wiederaufbaubemühungen der Regierung untergraben und soziale Spannungen verschärfen (ACLED 2.10.2019a).

Insbesondere in den beiden Gouvernements Diyala und Kirkuk scheint der IS im Vergleich zum Rest des Landes mit relativ hohem Tempo sein Fundament wieder aufzubauen, wobei er die lokale Verwaltung und die Sicherheitskräfte durch eine hohe Abfolge von Angriffen herausfordert (Joel Wing 16.10.2019). Der IS ist fast vollständig in ländliche und gebirgige Regionen zurückgedrängt, in denen es wenig Regierungspräsenz gibt, und wo er de facto die Kontrolle über einige Gebiete insbesondere im Süden von Kirkuk und im zentralen und nordöstlichen Diyala aufgebaut hat (Joel Wing 3.2.2020).

Im Mai 2019 hat der IS im gesamten Mittelirak landwirtschaftliche Anbauflächen in Brand gesetzt, mit dem Zweck die Bauernschaft einzuschüchtern und Steuern einzuheben, bzw. um die Bauern zu vertreiben und ihre Dörfer als Stützpunkte nutzen zu können. Das geschah bei insgesamt 33 Bauernhöfen - einer in Bagdad, neun in Diyala, 13 in Kirkuk und je fünf in Ninewa und Salah ad-Din - wobei es gleichzeitig auch Brände wegen der heißen Jahreszeit und infolge lokaler Streitigkeiten gab (Joel Wing 5.6.2019; vgl. ACLED 18.6.2019). Am 23.5.2019 bekannte sich der Islamische Staat (IS) in seiner Zeitung Al-Nabla zu den Brandstiftungen. Kurdische Medien berichteten zudem von Brandstiftung in Daquq, Khanaqin und Makhmour (BAMF 27.5.2019; vgl. ACLED 18.6.2019). Im Jänner 2020 hat der IS eine Büffelherde in Baquba im Distrikt Khanaqin in Diyala abgeschlachtet, um eine Stadt einzuschüchtern (Joel Wing 3.2.2020; vgl. NINA 17.1.2020).

Mit Beginn der Massenproteste im Oktober 2019 stellte der IS seine Operation weitgehend ein, wie er es stets während Demonstrationen getan hat, trat aber mit dem Nachlassen der Proteste wieder in den Konflikt ein (Joel Wing 6.1.2020).

Quellen:

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (18.6.2019): Regional Overview – Middle East 18 June 2019, https://www.acleddata.com/2019/06/18/regional-overview-middle-east-18-june-2019/, Zugriff 13.3.2020

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (27.5.2019): Briefing Notes 27. Mai 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2010482/briefingnotes-kw22-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

- BBC News (23.12.2019): Isis in Iraq: Militants 'getting stronger again', https://www.bbc.com/news/world-middle-east-50850325, Zugriff 13.3.2020

- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020

- Garda World (3.3.2020): Iraq Country Report, https://www.garda.com/crisis24/country-reports/iraq, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.6.2019): Islamic State’s Revenge Of The Levant Campaign In Full Swing, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/06/islamic-states-revenge-of-levant.html, Zugriff 13.3.2020

- Military Times (7.7.2019): Iraqi forces begin operation against ISIS along Syrian border, https://www.militarytimes.com/flashpoints/2019/07/07/iraqi-forces-begin-operation-against-isis-along-syrian-border/, Zugriff 13.3.2020

- NINA - National Iraqi News Agency (17.1.2020): ISIS Elements executed a herd of buffalo by firing bullets northeast of Baquba. http://ninanews.com/Website/News/Details?key=808154, Zugriff 13.3.2020

- PGN - Political Geography Now (11.1.2020): Iraq Control Map & Timeline - January 2020, https://www.polgeonow.com/2020/01/isis-iraq-control-map-2020.html, Zugriff 13.3.2020

- Portal, The (9.10.2019): Iraq launches a new process of “Will to Victory”, http://www.theportal-center.com/2019/10/iraq-launches-a-new-process-of-will-to-victory/, Zugriff 13.3.2020

- Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9, Zugriff 13.3.2020

- UN General Assembly (30.7.2019): Children and armed conflict; Report of the Secretary-General [A/73/907–S/2019/509], https://www.ecoi.net/en/file/local/2013574/A_73_907_E.pdf, Zugriff 13.3.2020

- USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008186/Tier2_IRAQ_2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020

- USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1

- Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020

Miliz Asa‘ib Ahl al-Haqq:

Die Asa‘ib Ahl al-Haqq (AAH; Liga der Rechtschaffenen oder Khaz‘ali-Netzwerk, League of the Righteous) wurde 2006 von Qais al-Khaz‘ali gegründet und bekämpfte zu jener Zeit die US-amerikanischen Truppen im Irak (Süß 21.8.2017). Sie ist eine Abspaltung von As-Sadrs Mahdi-Armee und im Gegensatz zu As-Sadr pro-iranisch (Clingendael 6.2018). Asa‘ib Ahl al-Haqq unternahm den Versuch, sich als politische Kraft zu etablieren, konnte bei den Parlamentswahlen 2014 allerdings nur ein einziges Mandat gewinnen. Ausgegangen wird von einer Gruppengröße von mindestens 3.000 Mann; einige Quellen sprechen von 10.000 bis 15.000 Kämpfern (Süß 21.8.2017). Asa‘ib Ahl al-Haqq bildet die 41., 42. und 43. der PMF-Brigaden (Wilson Center 27.4.2018; vgl. Al-Tamini 31.10.2017). Die Miliz erhält starke Unterstützung vom Iran und ist wie die Badr-Oganisation und Kata’ib Hizbullah vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv. Sie gilt heute als gefürchtetste, weil besonders gewalttätige Gruppierung innerhalb der Volksmobilisierungskräfte, die religiös-politische mit kriminellen Motiven verbindet. Ihr Befehlshaber Qais al Khaz‘ali ist einer der bekanntesten Anführer der PMF (Süß 21.8.2017; vgl. Wilson Center 27.4.2018).

Quellen:

- Süß, Clara-Auguste (21.8.2017): Al-Hashd ash-Sha’bi: Die irakischen „Volksmobilisierungseinheiten“ (PMU/PMF), in BFA Staatendokumentation: Fact Finding Mission Report Syrien mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1410004/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 13.3.2020

- Clingendael - Netherlands Institute of International Relations (6.2018): Power in perspective:Four key insights into Iraq’s Al-Hashd al-Sha’abi, https://www.clingendael.org/sites/default/files/2018-06/PB_Power_in_perspective.pdf, Zugriff 13.3.2020

- Wilson Center (27.4.2018): Part 2: Pro-Iran Militias in Iraq, https://www.wilsoncenter.org/article/part-2-pro-iran-militias-iraq, Zugriff 13.3.2020

Palästinenser

Letzte Änderung: 17.3.2020

Palästinensische Flüchtlinge, die v.a. zwischen 1948 und 1991 in den Irak kamen, sowie deren Nachkommen, wurden von der irakischen Regierung nie offiziell als Flüchtlinge anerkannt. Entsprechend verschiedener Übereinkommen kommt ihnen aber ein Aufenthaltsrecht zu. Sie sind in sozioökonomischer Hinsicht irakischen Staatsbürgern nahezu gleichgestellt (UNHCR 27.4.2018; vgl. FIS 17.6.2019). Laut dem Premierminister der palästinensischen Autonomiebehörde, hat der Irak zugesagt, den palästinensischen Flüchtlingen gleiche Rechte wie irakischen Bürgern zu gewähren (JP 17.7.2019). Gemäß Verfassung erhalten Palästinenser keine irakische Staatsbürgerschaft, werden aber in vielerlei Hinsicht wie Iraker behandelt und haben die Freiheit, sich im Land zu bewegen. Je nach Ankunftsdatum erhalten sie einen roten oder einen gelben Ausweis (FIS 17.6.2019). Da sich die palästinensischen Personalausweise von jenen der irakischen Staatsbürger unterscheiden, sind sie an Checkpoints leicht zu identifiziert. Da diese Ausweise nicht immer erkannt oder akzeptiert werden, kann das für die Inhaber Belästigung, Drohungen, körperliche und verbale Misshandlung, Durchsuchungen und vorübergehende Festnahme nach sich ziehen (UNHCR 2.2019).

Einem Bericht zufolge leben etwa 7.000 palästinensische Flüchtlinge im Irak (JP 17.7.2019). Nach anderen Schätzungen sind es etwa 8.000 bis 9.500 staatenlose Palästinenser (FIS 17.6.2019). Zum 31.3.2019 waren 8.119 palästinensische Flüchtlinge im Irak bei UNHCR registriert (UNHCR 5.2019). Ein Großteil der palästinensischen Flüchtlinge im Irak lebt in Bagdad, speziell im Stadtteil Al-Baladiyat (UNHCR 27.4.2018). Es handelt sich dabei um 6.282 (UNHCR 5.2019) bis rund 7.000 Personen (FIS 17.6.2019). Seit Jahren sind sie dort Übergriffen aufgrund ihrer Nationalität und der ihnen unterstellten Nähe zum IS und anderen bewaffneten sunnitischen Gruppen ausgesetzt. Übergriffe durch Milizen und andere nicht-staatliche Akteure werden auch dadurch begünstigt, dass der Zugang zu fairen Gerichtsverfahren und staatlichem Schutz eine Herausforderung darstellt (UNHCR 27.4.2018). Infolge dessen ist die Zahl der Palästinenser seit 2014 gesunken. Zwischen 1.1.2018 und 31.3.2019 registrierte der UNHCR 44 Sicherheitsvorfälle von denen Palästinenser betroffen waren (sieben fanden vor 2018 statt, wurden aber erst gemeldet), darunter 39 Bedrohungen für Leben und Sicherheit, zwei Morde, zwei Fälle willkürlicher Verhaftungen und eine Entführung. Infolge dessen ist die Zahl der Palästinenser seit 2014 gesunken (UNHCR 5.2019).

Quellen:

- FIS - Finnisch Immigration Service (17.6.2019): Irak: Tiendonhankintamatka Bagdadiin Helmikuussa 2019 Paluut Kotialueille (Entisille ISIS-Alueille); Ajankohtaista Irakilaisista Asiakirjoista, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Irak+Tiedonhankintamatka+Bagdadiin+helmikuussa+2019+Paluut+kotialueille+%28entisille+ISIS-alueille%29%3B+ajankohtaista+irakilaisista+asiakirjoista.pdf/c5019f7f-e3f7-981b-7cea-3edc1303aa78/Irak+Tiedonhankintamatka+Bagdadiin+helmikuussa+2019+Paluut+kotialueille+%28entisille+ISIS-alueille%29%3B+ajankohtaista+irakilaisista+asiakirjoista.pdf, Zugriff 13.3.2020

- JP - The Jerusalem Post (17.7.2019): Shtayyeh: Palestinians in Iraq will be given equal rights, https://www.jpost.com/Middle-East/Shtayyeh-Palestinians-in-Iraq-will-be-given-equal-rights-595938, Zugriff 13.3.2020

- UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (27.4.2018): UNHCR-Kurzinformation zur Situation von PalästinenserInnen im Irak, http://www.refworld.org/pdfid/5ae335e94.pdf, Zugriff 13.3.2020

- UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (5.2019): International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007789/5cc9b20c4.pdf, Zugriff 13.3.2020

Aus der vom Beschwerdeführer ins Verfahren eingebrachten Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Irak: Verfolgung aufgrund eines „sunnitischen/schiitischen Namens“, 6. Oktober 2016

https://www.ecoi.net/en/file/local/1029156/5013_1475818794_irak-mr-min-verfolgung-aufgrund-eines-sunnitischen-namens-2016-10-06-ke.doc (Zugriff am 16. September 2020)

wird festgehalten:

Zusammenfassung:

Im Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten im Irak kann ein sunnitisch oder schiitisch konnotierter Name dazu führen, dass man Diskriminierungen und Schikanen ausgesetzt ist, es gibt auch viele Fälle, in denen Menschen auf Grund ihres sunnitischen oder schiitischen Namens getötet werden. Sunnitische und schiitische Milizen suchen sich ihre Opfer oft an Hand des Namens aus, da es bei Irakern oft keine anderen Hinweise auf deren Konfessionszugehörigkeit gibt. Hunderte Sunniten ändern deshalb im Irak ihre Namen, obwohl der Namensänderungsprozess kein einfacher ist.

In Quellen, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen, werden insbesondere die besonders typisch sunnitisch konnotierten Namen Bakr und Omar erwähnt.

Der Name Bakr beispielsweise geht zurück auf den Vertrauten des Propheten Abu Bakr, der von der Gruppe der Sunniten zum ersten Kalifen durchgesetzt wurde. Aus der Sicht der Schiiten war diese Wahl unrechtmäßig, weil sie der Meinung waren, dass nur ein Familienmitglied Mohammeds zum Nachfolger bestimmt werden dürfe, Abu Bakr war aber kein Familienmitglied. Der Name Omar ist laut einer Quelle jener Name, der wohl am meisten von allen sunnitischen Namen Aggressivität [von Seiten der Schiiten] hervorruft. Der Name Omar ruft Assoziationen an den zweiten Kalifen Omar hervor, von dem viele Schiiten glauben, dass er gegen die Interessen von Ali, dem Schwiegersohn des Propheten Mohammed, gearbeitet hat. Auch der Name Saddam kann zu besonderer Verfolgungsgefährdung führen. In diesem Fall ist der Namensänderungsprozess jedoch einfacher.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt und zur Person:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in die Beschwerde und in den angefochtenen Bescheid, in den vorgelegten Verwaltungsakt unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zum Irak sowie durch Befragung des Beschwerdeführers im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 05.11.2020.

Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen im Irak bis zur Ausreise, seiner Herkunft, seiner Volksgruppen- und Glaubenszugehörigkeit sowie seiner Staatenlosigkeit gründen sich auf die diesbezüglichen glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde (Protokoll vom 03.05.2017) und haben sich die Angaben in Zusammenschau mit seinen eigenen Ausführungen im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 05.11.2020 nicht geändert.

Da der Beschwerdeführer identitätsbezeugenden Dokumente, unter anderem einen bis 11.08.2019 gültigen Reisepass (Palästinensisches Autonomiegebiet) mit der Nr. XXXX ) vorgelegt hat, steht seine Identität fest. Die Echtheit des Dokuments ergibt sich aus dem Prüfbericht vom 08.05.2017 und dem Vermerk „authentisch (echt)“ im IZR.

Die Feststellungen zur Einreise des Beschwerdeführers und zum Aufenthalt als subsidiär Schutzberechtigter in Österreich beruhen auf seinen Aussagen im Zuge der Erstbefragung und vor der belangten Behörde am 03.05.2017 und sind die Aufenthaltsberechtigungen und die Ausstellung des Fremdenpasses aus dem IZR ersichtlich.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer in Österreich nicht vorbestraft ist, beruht auf dem vom Bundesverwaltungsgericht erhobenen Strafregisterauszug, der aktuelle Wohnsitz ergibt sich aus dem ZMR.

2.2. Zu den Fluchtgründen:

2.2.1. Nach der Rechtsprechung des VwGH ist der Begriff der Glaubhaftmachung im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften im Sinn der Zivilprozessordnung zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der Beschwerdeführer die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der hierzu geeigneten Beweismittel, insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers, voraus (vgl. VwGH 23.09.2014, Ra 2014/01/0058 mwN). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt ebenso wie die Beweisführung den Regeln der freien Beweiswürdigung (VwGH 27.05.1998, Zl. 97/13/0051). Bloßes Leugnen oder eine allgemeine Behauptung reicht für eine Glaubhaftmachung nicht aus (VwGH 24.2.1993, Zl. 92/03/0011; 1.10.1997, Zl. 96/09/0007).

Im Falle der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers sind positive Feststellungen von der Behörde nicht zu treffen (VwGH 19.03.1997, Zl. 95/01/0466).

Im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit von Angaben eines Asylwerbers hat der Verwaltungsgerichtshof als Leitlinien entwickelt, dass es erforderlich ist, dass der Asylwerber die für die ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildert (VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294) und dass diese Gründe objektivierbar sind (VwGH 05.04.1995, Zl. 93/18/0289). Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, genügt zur Dartuung von selbst Erlebtem grundsätzlich nicht. Der Asylwerber hat im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage und allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert wahrheitsgemäß darzulegen (VwGH 15.03.2016, Ra 2015/01/0069; 30.11.2000, Zl. 2000/01/0356). Die Mitwirkungspflicht des Asylwerbers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind, und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).

Es entspricht ferner der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wenn Gründe, die zum Verlassen des Heimatlandes beziehungsweise Herkunftsstaates geführt haben, im Allgemeinen als nicht glaubwürdig angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens bzw. der niederschriftlichen Einvernahmen unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen oder mit tatsächlichen Verhältnissen bzw. Ereignissen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (VwGH 06.03.1996, Zl. 95/20/0650). Die Unkenntnis in wesentlichen Belangen indiziert ebenso mangelnde Glaubwürdigkeit (VwGH 19.03.1997, Zl. 95/01/0466).

2.2.2. Der Beschwerdeführer bringt vor, von der schiitischen Miliz Asa’ib ahl al-Haqq aufgrund seines sunnitisch konnotierten Vornamens gesucht und bedroht worden zu sein. Auch in der Schule sei er deshalb schikaniert worden. Der Beschwerdeführer sah sich als staatenloser Palästinenser und Sunnite einer konstanten Diskriminierung und Schikanen ausgesetzt und habe er auch keinen Schutz von irakischen Sicherheitsbehörden erwarten können.

Vor dem Hintergrund der unbedenklichen Länderberichte und der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation (Verfolgung aufgrund eines „sunnitischen/schiitischen Namens“), die der Beschwerdeführer selbst ins Verfahren einbrachte, wird nicht verkannt, dass Diskriminierungen und auch Übergriffe auf staatenlose Palästinenser und Menschen mit typischen sunnitischen Vornamen stattfinden (können). Im gegenständlichen Fall fehlt es aber an einer konkreten persönlichen Gefährdung des Beschwerdeführers und an einem fluchtauslösenden Ereignis.

Aus dem Länderinformationsblatt ergibt sich, dass Palästinensern ein Aufenthaltsrecht im Irak zukommt und sie in sozioökonomischer Hinsicht irakischen Staatsbürgern nahezu gleichgestellt sind. Gemäß Verfassung erhalten Palästinenser keine irakische Staatsbürgerschaft, werden aber in vielerlei Hinsicht wie Iraker behandelt und haben die Freiheit, sich im Land zu bewegen. Sie erhalten einen entsprechenden Ausweis. Diese Angaben decken sich mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers, dass er in Bagdad mit seiner Familie gelebt hat und nach der Schulausbildung unterschiedliche berufliche Tätigkeiten ausüben konnte, um sich den Lebensunterhalt zu verdienen. Auch legte er einige Personaldokumente vor, die ihm als staatenlosen Palästinenser im Irak ausgestellt wurden.

Auch dem Länderbericht ergibt sich auch, dass die meisten der palästinensischen Flüchtlinge im Irak in Bagdad leben und es seit Jahren dort zu Übergriffen aufgrund ihrer Nationalität und der ihnen unterstellten Nähe zum IS und anderen bewaffneten sunnitischen Gruppen kommt. Übergriffe durch Milizen und andere nicht-staatliche Akteure werden auch dadurch begünstigt, dass der Zugang zu fairen Gerichtsverfahren und staatlichem Schutz eine Herausforderung darstellt.

Der Beschwerdeführer bringt in dieser Hinsicht vor, dass bereits sein Vater in den Jahren 2004 und 2006 bedroht worden wäre und 2007, 2008 und 2012 ihr Haus mit Granaten beschossen worden sei. Ausgereist ist der Beschwerdeführer aber erst im März 2015 und fehlt es daher schon am zeitlichen Konnex. Die Voraussetzung wohlbegründeter Furcht wird in der Regel nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459; dazu auch VwGH 19.10.2000, 98/20/0430).

Selbiges Schicksal teilt das Vorbringen, dass er in der Schule von Lehrern aufgrund seines sunnitisch konnotierten Vornamens schikaniert worden sei, was auch wenn dem Beschwerdeführer diesbezüglich Glauben geschenkt wird, keine Asylrelevanz entfaltet und zudem bei seiner Ausreise bereits Jahre zurücklag. Der Beschwerdeführer konnte zudem nach der Schule unterschiedliche berufliche Tätigkeiten ohne Probleme ausüben.

Einmal sei der Beschwerdeführer von einem Unbekannten auf der Straße angesprochen worden, ob er „Omar“ heiße und kann allein aus dieser Frage keine konkrete, den Beschwerdeführer individuell treffende Gefährdung erkannt werden. Der Beschwerdeführer konnte weder angeben, wer der Unbekannte gewesen ist, was er eigentlich wollte und worin die Bedrohung liegt. Generell gab er nur allgemein an „Drohungen von der Miliz Asa’ib ahl al-Haqq bekommen zu haben, blieb aber Ausführungen schuldig, ob diese mündlich oder schriftlich erfolgten, wer diese ausgesprochen hat und welchen Inhalt sie gehabt haben. Eine konkrete, gegen ihn gerichtete Verfolgungshandlung konnte der Beschwerdeführer somit nicht glaubhaft darlegen, auch nicht mit der bloßen Behauptung, von einer Liste mit seinem Namen drauf erfahren zu haben.

Es ist für das Bundesverwaltungsgericht schlüssig nachvollziehbar, dass bereits die belangte Behörde dieses Fluchtvorbringen als nicht asylrelevant einstufte. Vor dem Bundesverwaltungsgericht konnte der Beschwerdeführer keine schlüssigen und nachvollziehbaren Gründe angeben, die eine ernstliche Gefahr einer Verfolgung des Beschwerdeführers im Irak glaubhaft machen können.

Damit ist die Beurteilung der Fluchtgründe und die diesbezügliche Beweiswürdigung durch die belangte Behörde nicht zu beanstanden und haben sich auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung keine neuen oder anderen Hinweise auf eine den Beschwerdeführer drohende Verfolgung aufgetan. Das Bundesverwaltungsgericht gelangte somit ebenfalls zur Überzeugung, dass eine Verfolgung des Beschwerdeführers im Irak von staatlichen und/oder privaten Gruppen aus politischen, rassischen, religiösen Gründen oder aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe nicht gegeben ist.

2.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für den Irak samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen. Dieser Länderinformationsbericht stützt sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von internationalen Organisationen, wie bspw. dem UNHCR, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Der Beschwerdeführer trat diesen Quellen und deren Kernaussagen zur Situation im Herkunftsland in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung nicht entgegen.

Die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation brachte der Beschwerdeführer selbst ins Verfahren ein und erfolgte dazu keine weitere Stellungnahme.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

Der mit "Begriffsbestimmungen" überschriebene § 2 des AsylG 2005 definiert im Abs. 1 Z 17 den Begriff "Herkunftsstaat" wie folgt:

"Ein Herkunftsstaat ist der Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt, oder - im Falle der Staatenlosigkeit - der Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthaltes."

Da unbestritten feststeht, dass der Herkunftsstaat des Beschwerdeführers im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 17 AsylG 2005 Irak ist, ist die Verfolgungssituation des Beschwerdeführers mit Bezug auf den Irak zu beurteilen:

3.1. Status des Asylberechtigten:

Gemäß § 3 Abs 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg. cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Absch A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.

Im Sinne des Art 1 Absch A Z 2 GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furch nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt der in Art 1 Absch A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 06.10.1999, 99/01/0279).

Selbst in einem Staat herrschende allgemein schlechte Verhältnisse oder bürgerkriegsähnliche Zustände begründen für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Um eine Verfolgung im Sinne des AsylG erfolgreich geltend zu machen, bedarf es einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Herkunftsstaates treffenden Unbilligkeiten hinaus geht (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

3.2.    Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall

Wie in der Beweiswürdigung unter Punkt 2.2.2. bereits ausführlich dargestellt, liegt der Ausreisegrund des Beschwerdeführers in Befürchtungen vor Verfolgung durch eine schiitische Miliz aufgrund seines sunnitisch konnotierten Vornamens und weil er als staatenloser Palästinenser im Irak unerwünscht sei. Der Beschwerdeführer konnte sein Vorbringen nicht glaubhaft und schlüssig darlegen und machte sohin keine wohlbegründete individuelle Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, geltend und hat somit keine asylrelevanten Verfolgungsgründe vorgebracht.

Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass dem Beschwerdeführer eine über die allgemeinen Gefahren der im Irak gebietsweise herrschenden bürgerkriegsähnlichen Situation hinausgehende Gruppenverfolgung von staatenlosen Palästinensern und Menschen mit typisch sunnitischen Vornamen droht.

Da eine aktuelle oder zum Fluchtzeitpunkt bestehende asylrelevante Verfolgung auch sonst im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht hervorgekommen, notorisch oder amtsbekannt ist, ist davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer keine Verfolgung aus in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen droht. Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen zurückzuführen sind, stellen ebenso wie allfällige persönliche und wirtschaftliche Gründe keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention dar. Es besteht im Übrigen keine Verpflichtung, Asylgründe zu ermitteln, die ein Asylwerber gar nicht behauptet hat (VwGH 21.11.1995, 95/20/0329 mwN).

Es gibt bei Zugrundelegung des Gesamtvorbringens des Beschwerdeführers keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass er im Herkunftsstaat maßgeblich wahrscheinlich Gefahr laufen würde, einer asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt zu sein. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedenfalls nicht, um den Status des Asylberechtigten zu erhalten (VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100).

Die Voraussetzungen für die Erteilung von Asyl sind daher nicht gegeben. Aus diesem Grund war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm § 3 Abs 1 AsylG als unbegründet abzuweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder fehlt es an einer Rechtsprechung zur Glaubhaftmachung von Asylgründen, noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Asylantragstellung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren begründete Furcht vor Verfolgung Fluchtgründe Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit Gruppenverfolgung mündliche Verhandlung Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung Vorname wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I412.2173168.1.00

Im RIS seit

29.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

29.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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