TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/10 W204 2202987-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.11.2020
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Entscheidungsdatum

10.11.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W204 2202986-1/11E

W204 2202987-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

1.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER als Einzelrichterin über die Beschwerde von A XXXX A XXXX , geb. am XXXX .1991, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den Verein ZEIGE, Zentrum für Europäische Integration und Globalen Erfahrungsaustausch, Ottakringer Straße 54/4/TOP 2, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.07.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

2.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER als Einzelrichterin über die Beschwerde von N XXXX F XXXX , geb. am XXXX 1993, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den Verein ZEIGE, Zentrum für Europäische Integration und Globalen Erfahrungsaustausch, Ottakringer Straße 54/4/TOP 2, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.07.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer zu 1.) (im Folgenden: BF1) und die Beschwerdeführerin zu 2.) (im Folgenden: BF2), miteinander verheiratete Staatsangehörige Afghanistans, reisten in das Bundesgebiet ein und stellten am 13.12.2015 Anträge auf internationalen Schutz.

I.2. Am darauffolgenden Tag wurden die BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Niederösterreich niederschriftlich erstbefragt. Befragt nach ihren Fluchtgründen, führten die BF aus, sie lebten bereits lange im Iran, weil die Sicherheitslage in Afghanistan immer gefährlicher werde.

I.3. Am 05.05.2017 zeigte der im Rubrum genannte Vertreter seine Bevollmächtigung an und legte am 10.03.2018 Integrationsunterlagen vor.

I.4. Am 26.03.2018 wurden die BF vom zur Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Dari und einer Vertrauensperson unter anderem zu ihrem Gesundheitszustand, ihrer Identität, ihren Lebensumständen in Afghanistan und im Iran, ihren Familienangehörigen und ihren Lebensumständen in Österreich befragt. Nach den Gründen befragt, die die BF bewogen, ihre Heimat zu verlassen, gab der BF1 an, sein Vater habe einen Streit schlichten wollen. In weiterer Folge seien aufgrund dieses Streits mehrere Personen gestorben, weswegen die Angehörigen der Getöteten Rache geschworen und auch den Vater des BF umgebracht hätten. Daraufhin sei die Familie des BF in den Iran geflüchtet.

Die BF2 gab an, sie sei als Kleinkind aufgrund der damaligen Sicherheitslage mit ihren Eltern in den Iran gereist.

I.5. Mit Bescheiden vom 07.07.2018, dem Vertreter am 09.07.2018 zugestellt, wurden die Anträge der BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkte I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkte II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den BF nicht erteilt (Spruchpunkte III.), Rückkehrentscheidungen erlassen (Spruchpunkte IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung zulässig sei (Spruchpunkte V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkte VI.).

Begründend führte die Behörde aus, die BF hätten ihre Aussage nicht glaubhaft machen können, weswegen ihnen der Status von Asylberechtigten nicht gewährt werden könne, zumal die BF2 auch nicht „westlich“ orientiert sei. Die BF könnten zwar nicht in ihre Heimatprovinz zurückkehren, allerdings wäre ihnen eine Rückkehr nach Kabul möglich und zumutbar. Auch der Status von subsidiär Schutzberechtigten habe ihnen daher nicht gewährt werden können. Gemäß § 57 AsylG sei auch eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz nicht zu erteilen, da die Voraussetzungen nicht vorlägen. Letztlich könnten auch keine Gründe festgestellt werden, wonach bei einer Rückkehr der BF gegen Art. 8 Abs. 2 EMRK verstoßen werde, weswegen auch eine Rückkehrentscheidung zulässig sei.

I.6. Mit Verfahrensanordnungen vom 09.07.2018 wurde den BF amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

I.7. Gegen die unter I.5. genannten Bescheide richtet sich die am 06.08.2018 gemeinsam erhobene Beschwerde der BF wegen Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Verletzung von Verfahrensvorschriften, in der beantragt wurde, eine Beschwerdeverhandlung durchzuführen, den BF die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, in eventu ihnen den Status von subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, in eventu die Angelegenheit zur Sanierung der Verfahrensmängel an das BFA zur Erlassung neuer Bescheide zurückzuverweisen.

Begründend verweisen die BF auf ihre Aussagen vor dem BFA, die entgegen der Ansicht des BFA auch glaubhaft seien. Zudem sei die BF2 „westlich“ orientiert. Darüber hinaus bestritten sie die Möglichkeit und Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative.

I.8. Die Beschwerde und die Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 08.08.2018 vorgelegt, wobei das BFA die Abweisung der Beschwerde beantragte.

I.9. Am 05.12.2019 und am 02.07.2020 legten die BF Integrationsunterlagen vor.

I.10. Am 21.02.2020 gab der BF bekannt, dass er vom Islam abgefallen und zum Christentum konvertiert sei.

I.11. Am 30.07.2020 nahmen die BF zu den zuvor übermittelten aktuellen Länderinformationen Stellung. Aus diesen ergebe sich, dass auch die derzeitige Lage eine Rückkehr der BF nach Afghanistan weder möglich noch zumutbar erscheinen lasse. Zudem wurden Ausführungen zur Konversion des BF1, zu der die Einvernahme eines Zeugen beantragt wurde, und zur „westlichen“ Orientierung der BF2 getätigt.

I.12. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 12.08.2020 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der die BF und ihr Vertreter teilnahmen. Das BFA blieb der Verhandlung fern. Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurden die BF im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari u.a. zu ihrer Identität und Herkunft, zu den persönlichen Lebensumständen, ihren Familienangehörigen, ihren Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen sowie zu ihrem Privat- und Familienleben in Österreich ausführlich befragt. Zur Konversion wurde der beantragte Zeuge einvernommen.

I.13. Am 17.09.2020 nahmen die BF Stellung zu den in der Verhandlung vorgehaltenen Informationen betreffend die Konsequenzen einer Konversion auf eine nach islamischem Recht geschlossenen Ehe.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

-        Einsicht in die die BF betreffenden und dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakte des BFA, insbesondere in die Befragungsprotokolle;

-        Befragung der BF und eines Zeugen im Rahmen der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 12.08.2020;

-        Einsicht in die in das Verfahren eingeführten Länderberichte zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat und in die von den BF vorgelegten Unterlagen und Länderberichte;

-        Einsicht in das ZMR, das Strafregister und das Grundversorgungssystem.

II. Feststellungen:

II.1. Zu den BF:

Die BF führen die im Rubrum angeführten Namen und Geburtsdaten. Ihre Identitäten stehen nicht fest. Sie sind afghanische Staatsangehörige und gehören der Volksgruppe der Hazara und der schiitischen Religionsgemeinschaft an. Ihre Muttersprache ist Dari, die sie in Wort und Schrift beherrschen. Der BF1 und die BF2 sind miteinander verheiratet und kinderlos.

Der BF1 wurde in der Provinz Ghazni im Distrikt Q XXXX im Dorf A XXXX geboren. Dort ist er bei seiner Familie bis zum dreizehnten Lebensjahr aufgewachsen und hat fünf Jahre die Schule besucht. Danach zog er mit seiner Mutter und seinem Bruder in den Iran, wo er bis zu seiner Ausreise nach Europa lebte. Im Iran besuchte der BF für weitere sieben Jahre eine Schule für afghanische Flüchtlinge und arbeitete ein Jahr als Teppichknüpfer sowie mehrere Jahre auf Baustellen als Steinleger, Fliesenleger und Fassadenbauer. Der BF wurde vom Iran zweimal nach Afghanistan abgeschoben, von wo er jeweils wieder in den Iran zurückkehrte. Bei beiden Abschiebungen lebte der BF kurze Zeit in Herat in einem Gästehaus, bei der letzten Abschiebung nach Afghanistan im Jahr 2015 lebte der BF zudem eine längere Zeit in Kabul in einem Gästehaus. Die Schleppung in den Iran wurde durch Ersparnisse der Familie und den Verkauf von Schmuck finanziert. Das Geld wurde dem BF1 vom Iran mittels Hawala nach Afghanistan überwiesen.

Die BF2 wurde in der Provinz Ghazni im Distrikt Q XXXX im Dorf A XXXX geboren. Im Alter von etwa drei Jahren ist sie mit ihrer Familie aufgrund der damaligen allgemeinen schlechten Sicherheitslage in den Iran gezogen, wo sie bis zu ihrer Ausreise nach Europa durchgehend lebte. Sie war seitdem nicht mehr in Afghanistan. Im Iran wuchs sie bei ihren Eltern, ihrem Bruder und ihrer Schwester auf. Die BF2 hat zwölf Jahre eine Schule für afghanische Flüchtlinge besucht und diese erfolgreich abgeschlossen. Danach hat sie, auch nach ihrer Hochzeit, als Zahnarztgehilfin gearbeitet.

Nach der traditionellen Heirat des BF1 mit der BF2 am 02.08.1393 (= 24.10.2014) lebten beide in einer Wohnung mit der Mutter und dem Bruder des BF1, wo sie ein eigenes Zimmer bewohnten. Die Familien waren einander bereits zuvor bekannt, weil sie aus demselben Dorf stammten und sich auch im Iran immer wieder gegenseitig besuchten.

Die BF lebten im Iran in einer weitgehend afghanischen Umgebung. Sie sind nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert und mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.

Die BF sind gesund und arbeitsfähig.

II.2. Zu den Fluchtgründen der BF:

Der Vater des BF1 wurde nicht im Zuge eines Streites, den er zu schlichten versuchte, getötet. Der BF1 wird nicht von damaligen Feinden seines Vaters oder den Streitparteien gesucht.

Der BF1 wuchs als Angehöriger der muslimischen Religion schiitischer Ausrichtung auf.

Am 12.11.2019 trat der BF1 aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich aus.

Am 01.12.2019 wurde der BF im Verein XXXX „getauft“ und damit in diese Gemeinde, der rund 200 persisch sprechende Personen angehören, aufgenommen. Er ist jedoch kein ordentliches Vereinsmitglied. Hierbei handelt es sich um einen von einer Privatperson gegründeten Verein, der in keiner organisatorischen oder finanziellen Verbindung zum Verein XXXX steht. Der Verein wird von XXXX (Zeuge im Verfahren) als Vereinsobmann geführt. Dieser nennt sich selbst „Evangelist“ und bestimmt die Lehre und Glaubensinhalte seiner „Kirche“. Bis zur Gründung des Vereins XXXX war er im Verein XXXX als „Evangelist“ tätig, danach hat er sich von dieser getrennt.

Der BF1 kam über einen Freund im August 2019 zu dieser „Gemeinde“. Vor seiner „Taufe“ besuchte der BF zweimal im Monat die Veranstaltungen des Vereins – einer Bibelrunde mit anschließender Messe – und zweimal im Monat eine Art Hauskirche, bei der sich die farsisprechenden Gemeindemitglieder ohne den Vereinsobmann treffen. Die Veranstaltungen mit dem Vereinsobmann, der selbst kein Farsi spricht, werden in Farsi gedolmetscht. Der BF1 besuchte keine Taufvorbereitung. Der BF1 besucht auch aktuell Veranstaltungen des Vereins.

Der BF1 hat den christlichen Glauben nicht verinnerlicht und hat keinen Entschluss gefasst, nach dem christlichen Glauben zu leben. Er ist nicht aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert oder vom islamischen Glauben abgefallen. Der BF1 hat den christlichen Glauben nicht verinnerlicht und hat keinen Entschluss gefasst, danach zu leben. Der christliche Glaube ist nicht wesentlicher Bestandteil der Identität des BF1 geworden. Er tritt nicht spezifisch gegen den Islam oder gar religionsfeindlich auf. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF1 kein schiitischer Moslem mehr ist. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan wird der BF1 seinem derzeitigen Interesse für den christlichen Glauben nicht mehr nachkommen und dieses Interesse nicht nach außen zur Schau tragen. In Afghanistan haben keine Personen Kenntnis vom derzeitigen Interesse des BF1 am Christentum in Österreich.

Die BF2 besuchte in Österreich Deutschkurse bis zum Niveau B1 und hat ein Zertifikat auf dem Niveau A2 bestanden. Sie kleidet sich westlich. Im November 2017 absolvierte sie einen Werte- und Orientierungskurs. Sie besuchte den Pflichtschulabschlusskurs und hat diesen im Juli 2020 erfolgreich bestanden. Die von ihr besuchten Kurse wurden ihr von österreichischen Freundinnen organisiert. Sie zeigte in Bezug darauf keine Eigeninitiative. Die BF2 besuchte einen Schwimmkurs für Frauen und geht Rad fahren. Die BF2 ist kein Mitglied in einem Verein. Sie ist in einer Frauengruppe, wo sie gelegentlich freiwillig aushilft.

Die BF2 verbringt ihren Alltag im Wesentlichen gemeinsam mit ihrem Mann. Gelegentlich war sie mit ihren Kolleginnen und Freundinnen aus dem Pflichtschulabschlusskurs nach dem Unterricht essen oder einkaufen.

Die BF2 hat während ihres Aufenthalts in Österreich keine Lebensweise verinnerlicht, die für sie zu einem bedeutenden Bestandteil ihrer Identität wurde und aufgrund derer sie einer Bedrohung oder Verfolgung in Afghanistan ausgesetzt wäre, wenn sie diese auch in Afghanistan auslebte.

Die BF2 übt derzeit keine religiösen Riten, wie Beten oder den Besuch einer Moschee aus. Der BF2 droht aufgrund der Tatsache, dass sie keine religiösen Riten (Beten, Besuch der Moschee) ausübt, in Afghanistan bei einer Ansiedelung in einer Großstadt keine physische oder psychische Gewalt.

Die BF haben Afghanistan weder aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität noch wegen einer ihnen drohenden Lebensgefahr verlassen.

Den BF droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan wegen ihrer Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Schiiten oder zur Volksgruppe der Hazara konkret und individuell weder physische noch psychische Gewalt.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohen den BF individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in ihre körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban oder durch andere Personen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohen den BF auch keine Zwangsrekrutierung durch die Taliban oder durch andere Personen.

II.3. Zum (Privat-)Leben der BF in Österreich:

Die BF reisten unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und halten sich zumindest seit dem 13.12.2015 durchgehend in Österreich auf. Sie sind nach ihren Anträgen auf internationalen Schutz vom selben Tag in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig aufhältig.

Der BF1 besuchte mehrere Deutschkurse bis zum Niveau B1. Er verfügt über ein Zertifikat auf dem Niveau A2. Er hat einen Werte- und Orientierungskurs besucht. Der BF1 hat sich ehrenamtlich in seiner Wohngemeinde engagiert. Er besucht ein Fitnessstudio. Er verfügt über eine unverbindliche Arbeitsplatzzusage bei einem Steinmetz.

Die BF beziehen Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung. Sie sind strafgerichtlich unbescholten.

II.4. Zu einer möglichen Rückkehr der BF in den Herkunftsstaat:

Den BF könnte bei einer Rückkehr in die Herkunftsprovinz aufgrund der dort herrschenden allgemeinen schlechten Sicherheitslage und des fehlenden familiären Anschlusses ein Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit drohen.

Die Familie des BF1 wohnt nach wie vor im Iran. Der Bruder arbeitet auf Baustellen. Außerdem lebt sein Onkel, mit dem der BF1 früher zusammenarbeitete, mit seiner Familie im Iran und arbeitet ebenfalls auf Baustellen. Der BF1 hat Kontakt zu seiner Familie.

Die Familie der BF2 wohnt nach wie vor im Iran, wobei ihr Vater nach einer Abschiebung nach Afghanistan dort an einer Krankheit verstorben ist, nachdem er zuvor ins Heimatdorf zurückgekehrt war. Ihr Bruder, der bereits vom Iran nach Afghanistan abschoben wurde, jedoch wieder zurückgekehrt ist, arbeitet und versorgt damit die Mutter, bei der er lebt. Ihre Schwester ist verheiratet und hat einen Sohn. Ihr Schwager arbeitet als KFZ-Mechaniker. Die BF2 hat regelmäßigen Kontakt zu ihrer Schwester. Im Iran leben weiters ein Onkel und eine Tante der BF2 samt deren Familien. Der gesamten Familie geht es sowohl wirtschaftlich als auch gesundheitlich gut.

Die BF sind anpassungsfähig und können einer regelmäßigen Arbeit nachgehen.

Den BF wird mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr nach Kabul Stadt, Herat Stadt, Mazar-e Sharif oder die Hauptstadt der Provinz Bamyan kein Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit drohen. Die Städte sind über den Luftweg sicher erreichbar.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in den genannten Regionen können die BF grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose beziehungsweise existenzbedrohende Situation zu geraten. Sie können selbst für ihr Auskommen und Fortkommen sorgen und dort einer Arbeit nachgehen. Ihre Familien können sie zumindest anfangs finanziell unterstützen. Sie können auch Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.

Es ist den BF möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in den genannten Regionen Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

II.5. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:

-        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019 mit Stand 29.06.2020 (LIB),

-        UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR),

-        EASO Country Guidance: Afghanistan von Juni 2019 (EASO),

-        Arbeitsübersetzung EASO Bericht Afghanistan Netzwerke, Stand Jänner 2018 (EASO Netzwerke),

-        ecoi.net Themendossier zu Afghanistan: „Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und in Masar-e Scharif“ vom 02.10.2019 (ECOI) und

-        EASO: Afghanistan, Key socio-economic indicators, Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City (EASO Indikatoren).

II.5.1. Allgemeine Sicherheitslage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 2).

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen anderen gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren (LIB, Kapitel 2). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel II. B).

Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan’s Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police). Die ANA untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig, ihre primäre Aufgabe ist jedoch die Bekämpfung der Aufständischen innerhalb Afghanistans. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen. Die Ermittlungsabteilung des NDS betreibt ein Untersuchungsgefängnis in Kabul (LIB, Kapitel 4).

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und Angriffen auf staatliche Einrichtungen und gegen Gläubige und Kultstätten bzw. religiöse Minderheiten aus (LIB, Kapitel 2).

II.5.1.1. Aktuelle Entwicklungen

Die afghanischen Regierungskräfte und die Amerikaner können die Taliban, die über rund 60 000 Mann verfügen, nicht besiegen. Auch die Islamisten sind nicht stark genug, um die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. In Afghanistan herrscht fast zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des Taliban-Regimes durch die USA eine Pattsituation (LIB Kapitel 1).

Dieser Konflikt in Afghanistan kann nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann. Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten. Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist. Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (LIB, Kapitel 2).

Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet – die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nichtamerikanischen NATO-Truppen (Stand Ende 2019: rund 6.700 Mann) sollen abgezogen werden (LIB, Kapitel 1).

Die Verhandlungen mit den Taliban stocken auch aufgrund des innerpolitischen Disputes zwischen Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah, die beide die Präsidentschaft für sich beanspruchten. Die Taliban haben seit dem unterzeichneten Abkommen im Februar mehr als 4.500 Angriffe verübt. Die von dieser Gewalt am stärksten betroffenen Provinzen sind auch jene Provinzen, die am stärksten von COVID-19-Fällen betroffen sind. In den innerafghanischen Gesprächen wird es um die künftige Staatsordnung, eine Machtteilung und die Integration der Aufständischen gehen (LIB, Kapitel 1).

II.5.2. Allgemeine Wirtschaftslage

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 20).

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB, Kapitel 20).

Der durchschnittliche Lohn beträgt in etwa 300 Afghani (ca. USD 4,3) für Hilfsarbeiter, während gelernte Kräfte bis zu 1.000 Afghani (ca. USD 14,5) pro Tag verdienen können (EASO Netzwerke, Kapitel 4.1).

In den Jahren 2016-2017 lebten 54,5% der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Immer mehr Menschen greifen auf negative Bewältigungsmechanismen wie Kleinkriminalität, Kinderehen, Kinderarbeit und Betteln zurück, von denen insbesondere Binnenvertriebene betroffen sind. Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80% der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlings- und Sommermonaten relativ niedrig (rund 20%), während sie im Winter 32,5% erreichen kann (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Aufgrund der COVID-19 Maßnahmen der afghanischen Regierung sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen. Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt. Dem Lock down Folge zu leisten, "social distancing" zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).

Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen:

In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein "Solidaritätsprogramm" entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).

Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei welchem bedürftigen Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden. In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes. Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern. Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).

In Afghanistan gibt es neben der Zentralbank auch mehrere kommerzielle Banken. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Geld kann auch über das Hawala System (Form des Geldtausches) transferiert werden. Dieses System funktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich und wird von verschiedenen Bevölkerungsschichten verwendet (LIB, Kapitel 20).

Im Zeitraum von 2016 bis 2017 waren 44,6% der afghanischen Bevölkerung sehr stark bis mäßig von Lebensmittelunsicherheit betroffen. In allen Wohnbevölkerungsgruppen war seit 2011 ein Anstieg festzustellen, wobei der höchste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu verzeichnen war (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72%, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86% der städtischen Häuser in Afghanistan können (gemäß der Definition von UN-Habitat) als Slums eingestuft werden. Der Zugang zu angemessenem Wohnraum stellt für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung dar (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In den Städten besteht grundsätzlich die Möglichkeit sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bieten die Städte die Möglichkeit von „Teehäusern“, die mit 30 Afghani (das sind ca. € 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. € 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. „Teehäuser“ werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V). Man muss niemanden kennen, um eingelassen zu werden (EASO Netzwerke, Kapital 4.2.).

Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie angemessenen sanitären Einrichtungen hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

II.5.3. Medizinische Versorgung

Das afghanische Gesundheitsministerium gab an, dass 60 % der Menschen im April 2018 Zugang zu Gesundheitsdiensten hatten, wobei der Zugang als eine Stunde Fußweg zur nächsten Klinik definiert wurde. Trotz der Tatsache, dass die Gesundheitsversorgung laut afghanischer Verfassung kostenlos sein sollte, müssen die Menschen in vielen öffentlichen Einrichtungen für Medikamente, Arzthonorare, Labortests und stationäre Versorgung bezahlen. Hohe Behandlungskosten sind der Hauptgrund, weswegen die Behandlung vermieden wird (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).

90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (LIB, Kapitel 21).

Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände – die oft durch den Krieg hervorgerufen wurden – sind in Afghanistan weit verbreitet, es gibt aber nur geringe Kapazitäten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Spezifische Medikamente sind grundsätzlich verfügbar (LIB, Kapitel 21.1).

Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil. Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei. Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung. Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung. 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten. Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

Berichten zufolge, haben sich mehr als 30.000 Menschen in Afghanistan mit COVID-19 angesteckt, mehr als 670 sind daran gestorben. Dem Gesundheitsministerium zufolge, liegen die tatsächlichen Zahlen viel höher; auch bestünde dem Ministerium zufolge die Möglichkeit, dass in den kommenden Monaten landesweit bis zu 26 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert werden könnten, womit die Zahl der Todesopfer 100.000 übersteigen könnte. Die COVID-19 Testraten sind extrem niedrig in Afghanistan: weniger als 0,2% der Bevölkerung – rund 64.900 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern – wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).

II.5.4. Ethnische Minderheiten

In Afghanistan sind ca. 40 - 42% Paschtunen, rund 27 - 30% Tadschiken, ca. 9 - 10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB, Kapitel 16).

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 9-10% der Bevölkerung aus. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind die schiitische Konfession (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) und ihre ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild. Ihre Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Kernfamilie bzw. dem Klan. Es bestehen keine sozialen oder politischen Stammesstrukturen (LIB, Kapitel 16.3).

Die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, hat sich grundsätzlich verbessert und Hazara bekleiden inzwischen auch prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, sind jedoch in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert. Hazara werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, finden ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung. Nichtsdestotrotz, genießt die traditionell marginalisierte schiitische muslimische Minderheit, zu der die meisten ethnischen Hazara gehören, seit 2001 eine zunehmende politische Repräsentation und Beteiligung an nationalen Institutionen (LIB Kapitel 16.3).

Hazara neigen sowohl in ihren sozialen, als auch politischen Ansichten dazu, liberal zu sein, dies steht im Gegensatz zu den Ansichten sunnitischer Militanter. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen führen weiterhin zu Konflikten und Tötungen. Angriffe durch den ISKP und andere aufständische Gruppierungen auf spezifische religiöse und ethno-religiöse Gruppen – inklusive der schiitischen Hazara – halten an (LIB, Kapitel 16.3).

II.5.5. Religionen

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon 80 - 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB Kapitel 15).

Schiiten

Der Anteil schiitischer Muslime an der Bevölkerung wird auf 10 - 19% geschätzt. Zu der schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und die Jafari-Schiiiten (Zwölfer-Schiiten). 90% von ihnen gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara. Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten, die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit ist zurückgegangen (LIB, Kapitel 15.1).

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen. Einige schiitische Muslime bekleiden höhere Regierungsposten. Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime 25-30%. Des Weiteren tagen rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, regelmäßig, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (LIB, Kapitel 15.1).

Christen - Konvertiten:

Ausländische Christen und die wenigen Afghanen, die originäre Christen und nicht vom Islam konvertiert sind, werden normal und fair behandelt. Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert (LIB, Kapitel 15.2).

Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam. Laut islamischer Rechtsprechung soll jeder Konvertit drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum der Abtrünnigen konfiszieren und deren Erbrecht einschränken. Konvertiten vom Islam zum Christentum werden von der Gesellschaft nicht gut behandelt, weswegen sie sich meist nicht öffentlich bekennen. In den meisten Fällen versuchen die Behörden Konvertiten gegen die schlechte Behandlung durch die Gesellschaft zu unterstützen, zumindest um potenzielles Chaos und Misshandlung zu vermeiden. Missionierungen sind illegal. Die öffentliche Meinung stehe Christen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber (LIB, Kapitel 15.2).

Apostaten (Abfall vom Islam):

Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht. Es gibt keine Berichte über die Verhängung der Todesstrafe aufgrund von Apostasie oder der Strafverfolgung bei Blasphemie. Gefahr bis hin zur Ermordung droht Konvertiten hingegen oft aus dem familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld. Die afghanische Gesellschaft hat generell eine sehr geringe Toleranz gegenüber Menschen, die als den Islam beleidigend oder zurückweisend wahrgenommen werden. Personen, die der Apostasie beschuldigt werden, sind Reaktionen von Familie, Gemeinschaften oder in einzelnen Gebieten von Aufständischen ausgesetzt, aber eher nicht von staatlichen Akteuren. Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (LIB, Kapitel 15.5).

II.5.6. Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB, Kapitel 10).

Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden nach wie vor in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betroffenen Gebiete tatsächlich kontrolliert (UNHCR, Kapitel II. C. 1).

Die Fähigkeit der Regierung, Menschenrechte zu schützen, wird durch die Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte untergraben. Insbesondere ländliche und instabile Gebiete leiden unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden (UNHCR, Kapitel II. C. 2).

II.5.7. Bewegungsfreiheit und Meldewesen

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB, Kapitel 19).

In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z.B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden. In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).

Die großen COVID-19 bedingten Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen. Afghanistan hat mit 24.6.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wiederaufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird. Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.6.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wiederaufgenommen. Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air haben ebenso Flüge ins Ausland wiederaufgenommen. Bei Reisen mit dem Flugzeug sind grundlegende COVID-19-Schutzmaßnahmen erforderlich. Wird hingegen die Reise mit dem Auto angetreten, so sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse. Grundlegende Schutzmaßnahmen nach COVID-19 werden von der Regierung zwar empfohlen – manchmal werden diese nicht vollständig umgesetzt (LIB, Kurzinformation 29.06.2020).

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB, Kapitel 18.1).

II.5.8. Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB, Kapitel 2).

Taliban:

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB, Kapitel 2).

Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer, davon rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten und der Rest ist Teil der lokalen Milizen. Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB, Kapitel 2).

Die Taliban sind keine monolithische Organisation; nur allzu oft werden die Taliban als eine homogene Einheit angesehen, während diese aber eine lose Zusammenballung lokaler Stammesführer, unabhängiger Warlords sowie abgekoppelter und abgeschotteter Zellen sind (LIB, Kapitel 2).

Zwischen 01.12.2018 und 31.05.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel – die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB, Kapitel 2).

Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte. Die Taliban setzen Aktivitäten, um das Bewusstsein der Bevölkerung um COVID-19 in den von diesen kontrollierten Landesteilen zu stärken. Sie verteilen Schutzhandschuhe, Masken und Broschüren, führen COVID-19 Tests durch und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen an (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (LIB, Landesspezifische Anmerkungen COVID-19).

Haqani-Netzwerk:

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida. Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt und ist für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich (LIB, Kapitel 2).

Islamischer Staat (IS/DaesH) – Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP):

Die Stärke des ISKP variiert zwischen 1.500 und 3.000, bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern bzw. ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Der IS ist seit Sommer 2014 in Afghanistan aktiv. Durch Partnerschaften mit militanten Gruppen konnte der IS seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan stärken. Er ist vor allem im Osten des Landes in der Provinz Nangarhar präsent (LIB, Kapitel 2).

Die Macht des ISKP in Afghanistan ist kleiner, als jene der Taliban; auch hat er viel Territorium verloren. Der ISKP war bzw. ist nicht Teil der Friedensverhandlungen mit den USA und ist weiterhin in der Lage, tödliche Angriffe durchzuführen. Aufgrund des Territoriumsverlustes ist die Rekrutierung und Planung des ISKP stark eingeschränkt (LIB, Kapitel 2).

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit. Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt, nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab. Die Taliban und der IS sind verfeindet. Während die Taliban ihre Angriffe überwiegend auf Regierungszeile bzw. Sicherheitskräfte beschränken, zielt der IS darauf ab konfessionelle Gewalt zu fördern und Schiiten anzugreifen (LIB, Kapitel 2).

Al-Qaida:

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen (LIB, Kapitel 2).

II.5.9 Provinzen und Städte

II.5.9.1. Herkunftsprovinz Ghazni

Die Provinz Ghazni liegt im Südosten Afghanistans. Fast die Hälfte der Bevölkerung von Ghazni sind Paschtunen, etwas weniger als die Hälfte sind Hazara und rund 5% sind Tadschiken. Ghazni hat 1.338.597 Einwohner (LIB, Kapitel 2.10).

Ghazni gehört zu den relativ volatilen Provinzen im Südosten Afghanistans. Taliban-Kämpfer sind in einigen der unruhigen Distrikte der Provinz aktiv, wo sie oft versuchen, terroristische Aktivitäten gegen die Regierung und Sicherheitseinrichtungen durchzuführen. Gleichzeitig führen die Regierungskräfte regelmäßig Operationen in Ghazni durch, um die Aufständischen aus der Provinz zu vertreiben. In der Provinz kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen, Luftangriffen und Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften. Im Jahr 2019 gab es 673 zivile Opfer (213 Tote und 460 Verletzte) in der Provinz Ghazni. Dies entspricht einer Steigerung von 3% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Selbstmordattentate, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und Kämpfen am Boden (LIB, Kapitel 2.10).

In der Provinz Ghazni reicht eine „bloße Präsenz“ in dem Gebiet nicht aus, um ein reales Risiko für ernsthafte Schäden gemäß Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie festzustellen. Es wird dort jedoch ein hohes Maß an willkürlicher Gewalt erreicht, und dementsprechend ist ein geringeres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich, um die Annahme zu begründen, dass ein Zivilist, der dieses Gebiet zurückgekehrt ist, einem realen Risiko eines ernsthaften Schadens im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie ausgesetzt ist (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

II.5.9.2. Kabul

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans. Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Die Stadt Kabul ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, sie hat 5.029.850 Einwohner. Kabul ist Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt (LIB, Kapitel 3.1). Die Stadt Kabul ist über Hauptstraßen mit den anderen Provinzen des Landes verbunden und verfügt über einen internationalen Flughafen (LIB Kapitel 2.1 und Kapitel 2.35).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele durch, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Im Jahr 2019 gab es 1.563 zivile Opfer (261 Tote und 1.302 Verletzte) in der Provinz Kabul. Dies entspricht einem Rückgang von 16% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Selbstmordangriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen (LIB, Kapitel 2.1).

Kabul zählt zu jenen Provinzen, in denen es zu willkürlicher Gewalt kommt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

In Kabul leben 70.000 bis 80.000 Binnenvertriebene (LIB, Kapitel 2.1).

Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war in den letzten Jahren das Zentrum dieses Wachstums. Schätzungsweise 70% der Bevölkerung Kabuls lebt in informellen Siedlungen (Slums), welche den meisten Einwohnern der Stadt preiswerte Wohnmöglichkeiten bieten. (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Kabul ist das wichtigste Handels- und Beschäftigungszentrum Afghanistans und hat ein größeres Einzugsgebiet in den Provinzen Parwan, Logar und Wardak. Es gibt eine dynamischere Wirtschaft mit einem geringeren Anteil an Arbeitssuchenden, Selbständigen und Familienarbeitern. Menschen aus kleinen Dörfern pendeln täglich oder wöchentlich nach Kabul, um landwirtschaftliche Produkte zu handeln oder als Wachen, Hausangestellte oder Lohnarbeiter zu arbeiten. Die besten (Arbeits-)Möglichkeiten für Junge existieren in Kabul. Trotz der niedrigeren Erwerbsquoten ist der Frauenanteil in hoch qualifizierten Berufen in Kabul (49,6 %) am größten (LIB, Kapitel 20).

Die Gehälter in Kabul sind in der Regel höher als in anderen Provinzen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Das Hunger-Frühwarnsystem (FEWS) stufte Kabul im Dezember 2018 als „gestresst“ ein, was bedeutet, dass Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch aufweisen und nicht in der Lage seien sich wesentliche, nicht nahrungsbezogenen Güter zu leisten, ohne irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Schätzungen zufolge haben 32% der Bevölkerung Kabuls Zugang zu fließendem Wasser, und nur 10% der Einwohner erhalten Trinkwasser. Diejenigen, die es sich leisten können, bohren ihre eigenen Brunnen. Viele arme Einwohner von Kabul sind auf öffentliche Zapfstellen angewiesen, die oft weit von ihren Häusern entfernt sind. Der Großteil der gemeinsamen Wasserstellen und Brunnen in der Hauptstadt ist durch häusliches und industrielles Abwasser verseucht, das in den Kabul-Fluss eingeleitet wird, was ernste gesundheitliche Bedenken aufwirft. Fast die Hälfte der Bevölkerung in Kabul verfügt über sanitäre Grundversorgung (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In der Stadt Kabul besteht Zugang zu öffentlichen und privaten Gesundheitsdiensten. Nach verschiedenen Quellen gibt es in Kabul ein oder zwei öffentliche psychiatrische Kliniken (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

II.5.9.3. Balkh

Balkh liegt im Norden Afghanistans. Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. In der Provinz Balkh leben 1.475.649 Personen, davon geschätzte 469.247 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif. (LIB, Kapitel 2.5).

Balkh zählt zu den relativ stabilen und ruhigen Provinzen Afghanistans. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Im Jahr 2019 gab es 277 zivile Opfer (108 Tote und 169 Verletzte) in der Provinz Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 22% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen. (LIB, Kapitel 2.5).

In der Provinz Balkh – mit Ausnahme der Stadt Mazar- e Sharif – kommt es zu willkürlicher Gewalt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

Die Hauptstadt der Provinz Balkh ist Mazar-e Sharif. In dieser Stadt findet willkürliche Gewalt auf einem niedrigen Niveau statt. Im Allgemeinen besteht kein reales Risiko, dass ein Zivilist aufgrund willkürlicher Gewalt im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen wird. Es müssen jedoch immer individuelle Risikoelemente berücksichtigt werden, da sie den Antragsteller in risikoreichere Situationen bringen könnten (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

II.5.9.4. Bamyan

Bamyan gilt als die „inoffizielle Hazara-Hauptstadt“ Afghanistans und ist Teil des sogenannten Hazarajat. Nach den Hazara sind Tadschiken und Paschtunen die zweit- und drittgrößte ethnische Gruppe in Bamyan. Etwa 90% der Bewohner von Bamyan sind Schiiten. Die Provinz hat 1.475.649 Einwohner. Die Provinz ist über einen Flughaften erreichbar (LIB, Kapitel 2.6).

Die Provinz Bamyan zählt zu den relativ friedlichen Provinzen in Zentralafghanistan. Im Juli 2018 gab es einen Angriff der Taliban-Aufständische auf mehrere Polizeikontrollstellen im Distrikt Kahmard. Die Taliban hatten im November 2018 keinen Einfluss in Bamyan. Im Jahr 2019 gab es fünf zivile Opfer (drei Todesopfer und zwei Verletzte) in der Provinz Bamyan. Dies entspricht einem Rückgang von 29% gegenüber 2018. Hauptursache waren nicht explodierte Kampfmittel (unexploded ordnances, UXOs) bzw. Landminen (LIB, Kapitel 2.6).

In der Provinz Bamyan findet willkürliche Gewalt auf einem niedrigen Niveau statt. Im Allgemeinen besteht kein reales Risiko, dass ein Zivilist aufgrund willkürlicher Gewalt im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen wird. Es müssen jedoch immer individuelle Risikoelemente berücksichtigt werden (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

II.5.9.5. Herat

Herat liegt im Westen Afghanistans. Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen. Die Provinz hat 2.095.117 Einwohner. Die Provinz ist über einen Flughafen in der Nähe von Herat-Stadt zu erreichen (LIB, Kapitel 2.13).

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten durchzuführen

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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