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27 RechtspflegeNorm
EMRK Art10Leitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen unsachlicher Äußerungen gegenüber der Verhandlungsrichterin; vertretbare Annahme der Überschreitung des Schutzumfangs der Meinungsäußerungsfreiheit durch das gesetzte VerhaltenSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt in Linz. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 13. September 1993, wurde er für schuldig erkannt, das Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes dadurch begangen zu haben, daß er am 13. November 1992 in der Streitverhandlung vor dem Kreisgericht (nunmehr Landesgericht) Wels im Verfahren zu Z1 Cg 208/92 gegenüber der Verhandlungsrichterin ein ungehöriges Verhalten gesetzt habe. Er sei der Verhandlungsrichterin
"a) durch den Vorhalt, sie habe schon öfter etwas gesagt und es sei dann anders geworden,
b) durch die Frage, ob ihr (Dr. P) noch nie ein Verfahren, das sie geführt habe, vom Rechtsmittelgericht aufgehoben worden sei,
c)
durch die Äußerung, sie lasse sich 'leicht pflanzen',
d)
durch Kommentierung der im Laufe der Diskussion merkbaren Erregung von Dr. P als auf deren damaligen Schwangerschaftszustand zurückzuführen,
e) durch die Erklärung, Dr. P könne protokollieren, sagen und reden, was sie wolle, er sage dennoch, was er wolle,
f) durch die Äußerung, daß sie (Dr. P) es sich mit ihm nun verscherzt habe",
mehrfach in unsachlicher Weise begegnet.
Der Beschwerdeführer wurde hiefür zu der Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises und zum Ersatz der Kosten des Disziplinarverfahrens verurteilt.
1.2. Der dagegen erhobenen Berufung wurde von der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) mit Erkenntnis vom 9. Mai 1994 nicht Folge gegeben. Die OBDK begründete ihre Entscheidung im wesentlichen wie folgt:
"Gemäß §9 Abs1 Satz 2 RAO ist der Rechtsanwalt befugt, alles was er nach dem Gesetz zur Vertretung seiner Partei für dienlich erachtet, unumwunden vorzubringen, ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel in jeder Weise zu gebrauchen, welche seinem Auftrag, seinem Gewissen und den Gesetzen nicht widerstreiten. Die vom Rechtsanwalt dabei zu beachtenden Grenzen sind schon im Hinblick auf das Recht der freien Meinungsäußerung (Art13 StGG; Art10 MRK) weit zu ziehen. Die unsachlichen und zum Teil auch beleidigenden Äußerungen des DB gehen aber dennoch über die Befugnis des §9 RAO zu unumwundenen Vorbringen hinaus, zumal die Äußerungen mit einer energischen und zielbewußten Vertretung des Mandanten kaum in Zusammenhang zu bringen sind und lediglich Ausdruck einer mit persönlicher Animosität geführten Kontroverse sind. Daß einzelne Äußerungen für sich allein betrachtet nicht beleidigend wären, ist ohne Bedeutung, da das Verhalten des DB nach Meinung des erkennenden Senates in seiner Gesamtheit zu würdigen ist. Insgesamt haben die Formulierungen, die der DB gebraucht hat, die Grenzen eines ordentlichen gehörigen Umganges mit dem Gericht sehr erheblich überschritten. Der DB hat mit diesen Äußerungen in Ausübung seines Berufes seine Berufspflichten verletzt und auch gegen Ehre und Ansehen des Standes verstoßen."
1.3. Gegen diesen Bescheid wendet sich vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Freiheit der Meinungsäußerung geltend gemacht und die Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird. Im wesentlichen wird hiezu ausgeführt:
"Wenn, wie im gegenständlichen Fall, eine Richterin sich nicht gesetzeskonform verhält und entgegen der genannten Bestimmung des §52 Geo eine Vorwegwürdigung mit dem Ausspruch der Unabdingbarkeit ('Prognose abgeben und bei dieser Rechtsmeinung zu bleiben') vornimmt, dann darf sie auch in dieser Richtung nicht empfindlich sein und muß sich auch eine Kritik an der Unfehlbarkeit ihrer Entscheidungen gefallen lassen.
Nichts anderes stellt aber sinngemäß dies dar, was im Spruch des Erkenntnisses des Disziplinarrates der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 13.09.1993 unter a) und b) inkriminiert wurde.
Die unter Punkt d) dieses Erkenntnisses angeführte Kommentierung gründet sich auf die in der Anzeige der Frau Dr. P dargestellte Behauptung, ich hätte gesagt, daß das Verhalten der Richterin nicht zu verstehen und dieses auf ihren derzeitigen Zustand zurückzuführen sei. Diese Äußerung kann sohin nur eine Reaktion auf ein Verhalten der Anzeigerin gewesen sein und stellt daher nur eine Form des Protestes gegen eine mir ungerechtfertigt erscheinende Art der Behandlung dar.
Die Äußerung unter Punkt e) des angeführten Erkenntnisses gab die Richterin bei der Disziplinarverhandlung am 13.09.1993 in der Form wieder, daß sie erklärt habe, künftig meine Äußerungen zu protokollieren, worauf ich gesagt hätte, daß sie protokollieren könne, was sie wolle, ich würde sagen, was ich will. Eine solche Äußerung ist nicht unsachlich und nicht beleidigend, sie drückt nur die Auffassung meines Rechtes auf freie Meinungsäußerung aus.
Die Äußerungen laut Punkt c) und f) des genannten Erkenntnisses sind, auch wenn sie aus dem Zusammenhang gerissen werden, in ihrem Inhalt so unbedeutend, daß sie in einer anderen Verhandlung völlig untergegangen wären, nicht als Beleidigung zu qualifizieren und so beschaffen sind, daß eine demokratische Gesellschaft solche Aussagen hinnehmen kann, ohne daß ihre öffentliche Ordnung, der Schutz des guten Rufes oder das Ansehen und die Unparteilichkeit der Rechtsprechung Schaden erleiden.
Dies gilt in der Gesamtheit für alle inkriminierten Äußerungen."
1.4. Die OBDK als belangte Behörde hat die Akten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie den Antrag stellt, der Verfassungsgerichtshof möge die Beschwerde als unbegründet zurückweisen (gemeint wohl: abweisen). Der Antrag wird im wesentlichen folgendermaßen begründet:
"Auch die belangte Behörde geht davon aus, daß die von einem Rechtsanwalt bei der Ausübung der Rechte nach §9 Abs1 Satz 2 RAO zu beachtenden Grenzen schon im Hinblick auf das Recht der freien Meinungsäußerung (Art13 StGG, Art10 MRK) weit zu ziehen sind. Ob aber eine Äußerung in einer demokratischen Gesellschaft noch hinzunehmen ist, ohne daß die öffentliche Ordnung oder das Ansehen oder die Unparteilichkeit der Rechtsprechung Schaden erleiden (vgl. etwa AnwBl 1992, 479; AnwBl 1993, 31 (Strigl)), hängt davon ab, wieweit sie - trotz eines gewissen 'Wortüberschwanges' - noch als energische und zielbewußte Vertretung des Mandanten angesehen werden kann.
Spöttische und bloßstellende Bemerkungen, die Ausdruck einer mit persönlicher Animosität geführten Kontroverse sind, tragen aber zur Vertretung eines Mandanten nichts bei. Schon im Interesse der Aufrechterhaltung der Ordnung bei der mündlichen Verhandlung (§197 ff ZPO, insb. §200 Abs3 ZPO) ist an derartige Äußerungen eines Rechtsanwaltes ein strenger Maßstab anzulegen, um im Sinne des Art10 Abs2 MRK das Ansehen der Rechtsprechung zu gewährleisten. Das gilt im vorliegenden Fall insbesondere für die Erklärung des Beschwerdeführers, die Richterin könne protokollieren, sagen und reden was sie wolle, er sage dennoch was er wolle."
2. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
2.1. Die Beschwerde hat gegen die den angefochtenen Bescheid tragenden Rechtsvorschriften keine verfassungsrechtlichen Bedenken vorgebracht. Auch beim Verfassungsgerichtshof sind aus der Sicht des Beschwerdefalles solche nicht entstanden.
Der Beschwerdeführer wurde deshalb nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt.
2.2. Ein Verwaltungsakt, der sich gegen die Meinungsäußerungsfreiheit richtet, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes unter anderem dann verfassungswidrig, wenn ein verfassungsmäßiges Gesetz denkunmöglich angewendet wurde. Eine denkunmögliche Gesetzesanwendung liegt auch dann vor, wenn die Behörde dem Gesetz fälschlich einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt (vgl. VfSlg. 10700/1985, 12086/1989 und 13612/1993). Im letztgenannten Erkenntnis hat der Verfassungsgerichtshof die Meinung vertreten, daß das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung eine "besondere Zurückhaltung bei der Beurteilung einer Äußerung als strafbares Disziplinarvergehen" erfordere. Die Ansicht der belangten Behörde, daß das Verhalten des Beschwerdeführers den Rahmen dessen, was durch das Recht auf freie Meinungsäußerung noch geschützt ist, überschreitet, ist jedenfalls vertretbar. Daß das Verhalten des Beschwerdeführers für die Vertretung seiner Partei dienlich war, ist nicht erkennbar und wird vom Beschwerdeführer nicht einmal behauptet. Schon deshalb unterscheidet sich der vorliegende Fall in entscheidender Weise von dem der Beschwerde zu VfGH 27.2.1995 B1545/93 zugrundeliegenden Sachverhalt, wo ein scharf formulierter Ablehnungsantrag vom Verfassungsgerichtshof als zulässiges Angriffs- und Verteidigungsmittel im Sinne der RAO gewertet wurde. Unsachliche und - bei einer Gesamtbetrachtung - in erkennbar beleidigender Absicht vorgenommene Äußerungen genießen aber nicht den Schutz der freien Meinungsäußerung, da - wie aus Art10 Abs2 EMRK (vgl. zu diesem etwa VfSlg. 12886/1991) hervorgeht - in einer demokratischen Gesellschaft ein dringendes soziales Bedürfnis besteht, das Ansehen der Rechtsprechung zu wahren. Die belangte Behörde hat dem Gesetz somit keinen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt.
2.3. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, daß er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.
Die Beschwerde war daher abzuweisen.
2.4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
Rechtsanwälte, Disziplinarrecht Rechtsanwälte, MeinungsäußerungsfreiheitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1995:B2055.1994Dokumentnummer
JFT_10049074_94B02055_00