TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/11 I413 2144674-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.11.2020
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Entscheidungsdatum

11.11.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §8
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §55
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

I413 2144674-1/51E
I413 2144675-1/49E
I413 2144671-1/73E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Martin ATTLMAYR, LL.M. als Einzelrichter über die Beschwerden von XXXX , geb. XXXX , XXXX , geb. XXXX , und der minderjährigen XXXX , geb. XXXX , gesetzlich vertreten durch die Kindesmutter XXXX , alle Staatsangehörige des Irak und vertreten durch RA Dr. Christian SCHMAUS, Chwallagasse 4/11, 1060 Wien, gegen die Spruchpunkte II. bis IV. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.12.2016, Zl. XXXX -151674045, Zl. XXXX -151674088 und Zl. XXXX -161237190, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 16.05.2019 sowie am 06.02.2020, zu Recht erkannt:

A)

I. Den Beschwerden gegen Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide wird stattgegeben. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wird XXXX und XXXX der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt.

II. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX und XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer von einem Jahr erteilt.

III. Die Spruchpunkte III. und IV. der angefochtenen Bescheide werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Verfahren von XXXX (Erstbeschwerdeführer), seiner Ehefrau XXXX HIM (Zweitbeschwerdeführerin) sowie ihrer gemeinsamen Tochter XXXX (Drittbeschwerdeführerin), alle Staatsangehörige des Irak, sind gemeinsam als Familienverfahren im Sinne des § 34 AsylG 2005 zu führen.

1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin stellten nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet jeweils am 02.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, welchen sie im Verfahren im Wesentlichen damit begründeten, dass der Bruder des Erstbeschwerdeführers aufgrund einer ärztlichen Fehlbehandlung in einem Krankenhaus verstorben sei und der Erstbeschwerdeführer den behandelnden Arzt zur Anzeige gebracht habe. Der Arzt sei jedoch ein hochrangiger Funktionär der PUK Partei gewesen und habe unter anderem mit einer Gegenanzeige reagiert, aufgrund welcher der Erstbeschwerdeführer temporär festgenommen worden sei, sowie seine Werkstatt zerstört. Auch sei der Erstbeschwerdeführer aufgrund seiner Auseinandersetzung mit dem Arzt entführt und die Zweitbeschwerdeführerin an ihrem Arbeitsplatz bedroht worden.

2. Am 02.09.2016 kam die Drittbeschwerdeführerin in Österreich zur Welt. Als deren gesetzlicher Vertreter stellte der Erstbeschwerdeführer für diese am 12.09.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei für die Drittbeschwerdeführerin keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht wurden.

3. Mit den gegenständlich angefochtenen Bescheiden jeweils vom 22.12.2016 wies die belangte Behörde die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß „§ 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF“ (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß „§ 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG“ (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich wurde ihnen ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß „§ 57 AsylG“ nicht erteilt, gemäß „§ 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF“ gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß „§ 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (FPG) idgF“ erlassen und wurde gemäß „§ 52 Abs. 9 FPG“ festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß „§ 46 FPG“ in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt III.). Die Frist für eine freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer wurde gemäß „§ 55 Abs. 1 bis 3 FPG“ mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

4. Gegen die gegenständlich angefochtenen Bescheide wurde fristgerecht mit Schriftsatz vom 05.01.2017 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben.

5. Am 16.05.2019 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung in Anwesenheit der Beschwerdeführer, ihrer Rechtsvertretung sowie der seitens der Beschwerdeführer namhaft gemachten Zeugin B.S. abgehalten.

6. Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes jeweils vom 30.07.2019, Zl. I413 2144674-1/20E, Zl. I413 2144675-1/19E sowie Zl. I413 2144671-1/19E wurden die Beschwerden gegen die gegenständlich angefochtenen Bescheide als unbegründet abgewiesen und die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt. Begründend wurde insbesondere ausgeführt, die Beschwerdeführer hätten keine Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung glaubhaft machen können und seien im Hinblick auf ihre Personen auch keinerlei besondere Rückkehrgefährdungen oder Vulnerabilitäten im Verfahren hervorgekommen.

7. Gegen diese Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30.07.2019 wurde fristgerecht Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof erhoben und vorgebracht, das Bundesverwaltungsgericht habe in Bezug auf das Fluchtvorbringen unterlassen, sich mit wesentlichen Beweismitteln auseinanderzusetzen und wesentliche Teile des Parteivorbringens ignoriert. Es würden zudem konkrete Feststellungen zur Herkunftsregion der Beschwerdeführer fehlen, teils werde auf Bagdad abgestellt, teils auf „Kurdistan“. Auf Grund dieser widersprüchlichen Ausführungen sei nicht nachvollziehbar, ob das Bundesverwaltungsgericht von einer Herkunft der Beschwerdeführer aus den genannten Regionen ausgehe, oder ob es diese als potentielle innerstaatliche Fluchtalternativen erachte. Das Bundesverwaltungsgericht hätte zunächst den konkreten Herkunftsort feststellen müssen, um in einem zweiten Schritt zu überprüfen, ob dieser als Zielort im Falle einer Rückkehr in Frage käme. In weiterer Folge hätte es sich ausdrücklich mit der dortigen Situation der Minderjährigen auseinandersetzen müssen. Eine Auseinandersetzung mit grundlegenden Überlegungen zum Kindeswohl fehle und sei nicht nachvollziehbar, wie das Bundesverwaltungsgericht unter Berücksichtigung der Länderberichte zu dem Schluss komme, dass ein reales Risiko einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung nicht bestehe.

8. Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 11.12.2019, Zl. E 3358-3360/2019-10 wurde ausgesprochen, dass die Beschwerdeführer durch die bekämpften Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30.07.2019, soweit damit die Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung von Rückkehrentscheidungen, gegen die Aussprüche, dass ihre Abschiebung in den Irak zulässig sei und gegen die Festsetzung einer vierzehntägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wurden, in ihrem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden seien und die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes insoweit aufgehoben werden. Im Übrigen wurde die Behandlung der Beschwerde seitens des Verfassungsgerichtshofes abgelehnt, sodass Spruchpunkt I. der gegenständlich angefochtenen Bescheide, mit welchem die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten abgewiesen wurden, in Rechtskraft erwuchs.

Begründend wurde seitens des Verfassungsgerichthofes im Hinblick auf die Teilaufhebungen im Wesentlichen ausgeführt, aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes gehe nicht hervor, welche Region als Herkunftsort oder innerstaatliche Fluchtalternative herangezogen werde, sodass es auch an der erforderlichen Auseinandersetzung mit der Situation, die die Beschwerdeführer in dieser Region erwarte, mangle. Auf Grund dessen fehle zudem die – insbesondere vor dem Hintergrund der Länderberichte zur Situation von Kindern im Irak – nötige Prüfung, wie sich die Lage für Kinder in dieser Region darstelle. Dadurch, dass es das Bundesverwaltungsgericht somit unterlassen habe, sich mit der aktuellen Lage in jener Region auseinanderzusetzen, aus der die Beschwerdeführer stammen bzw. die als innerstaatliche Fluchtalternative fungieren solle und diese in der Begründung des Erkenntnisses mit der individuellen Situation der Beschwerdeführer in Beziehung zu setzen, habe das Bundesverwaltungsgericht Willkür geübt.

9. Am 03.01.2020 wurden die Bezug habenden Akten dem Bundesverwaltungsgericht neuerlich vorgelegt.

10. Mit Schriftsatz vom 30.01.2020 ("Vollmachtsbekanntgabe & Urkundenvorlage") wurde dem Bundesverwaltungsgericht seitens der Beschwerdeführer ein Konvolut von Unterlagen übermittelt, darunter diverse medizinische Befunde der Drittbeschwerdeführerin, wonach diese an einer Nierenerkrankung leide.

11. Am 06.02.2020 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine weitere mündliche Beschwerdeverhandlung in Anwesenheit der Beschwerdeführer und ihrer Rechtsvertretung abgehalten und mit ihnen die Beschwerdesache im Hinblick auf die Spruchpunkte II. bis IV. der gegenständlich angefochtenen Bescheide erörtert.

12. Am 27.03.2020 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zum Irak vom 25.03.2020 hinsichtlich der Möglichkeit der Registrierung der Geburt eines im Ausland geborenen Kindes bei den irakischen Behörden ein. Betreffende Anfragebeantwortung wurde den Beschwerdeführern zum Parteiengehör übermittelt.

13. Mit Schriftsatz vom 15.04.2020 ("Stellungnahme") langte beim Bundesverwaltungsgericht eine schriftliche Stellungnahme der Beschwerdeführer im Hinblick auf die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 25.03.2020 hinsichtlich der Möglichkeit der Registrierung der Geburt eines im Ausland geborenen Kindes ein. Überdies wurde in Bezug auf die aktuelle gesundheitliche Verfassung der Drittbeschwerdeführerin die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens beantragt.

14. Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.05.2020 ("Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme") wurde den Beschwerdeführern das aktualisierte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak übermittelt und ihnen die Möglichkeit eingeräumt, diesbezüglich eine schriftliche Stellungnahme abzugeben. Ergänzend wurde seitens des Bundesverwaltungsgerichts darauf hingewiesen, dass es die Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung aufgrund dieser Aktualisierung des Länderinformationsblattes für nicht erforderlich halte, ihnen jedoch ausdrücklich die Möglichkeit eingeräumt, diesbezüglich binnen offener Frist einen begründeten Antrag zu stellen, widrigenfalls von ihrem Verzicht auf Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung ausgegangen werde.

15. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.05.2020, Zl. I413 2144671-1/42Z wurde der ao. Univ.-Prof. Dr. XXXX in der gegenständlichen Beschwerdesache zum Sachverständigen aus dem Fachgebiet Kinder- und Jugendheilkunde bestellt und mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtes im Hinblick auf den Gesundheitszustand der Drittbeschwerdeführerin beauftragt.

16. Mit Schriftsatz vom 25.05.2020 ("Stellungnahme") brachten die Beschwerdeführer eine Stellungnahme zum aktualisierten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak ein, wobei die Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung nicht beantragt wurde. Überdies wurde die Bestellung des ao. Univ.-Prof. Dr. XXXX in der gegenständlichen Beschwerdesache zum Sachverständigen aus dem Fachgebiet Kinder- und Jugendheilkunde ausdrücklich begrüßt, jedoch geäußert, dass angesichts der weiten Anreise zur Befundaufnahme die Bestellung eines Sachverständigen in der näheren Umgebung des Wohnortes der Beschwerdeführer bevorzugt werden würde.

17. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.06.2020, Zl. I413 2144671-1/51Z wurde der ao. Univ.-Prof. Dr. XXXX in der gegenständlichen Beschwerdesache zum Sachverständigen aus dem Fachgebiet Medizin - Kinder- und Jugendheilkunde bestellt und mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtes im Hinblick auf den Gesundheitszustand der Drittbeschwerdeführerin beauftragt.

18. Am 06.07.2020 langte beim Bundesverwaltungsgericht das medizinische Sachverständigengutachten von Dr. XXXX vom selben Tag hinsichtlich des Gesundheitszustandes der Drittbeschwerdeführerin, basierend auf einer persönlichen Begutachtung und klinischen Untersuchung dieser am 29.06.2020, ein. Dieses Gutachten wurde den Beschwerdeführern zum Parteiengehör übermittelt.

19. Mit Schriftsatz vom 24.07.2020 ("Stellungnahme") brachten die Beschwerdeführer eine schriftliche Stellungnahme zum eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten vom 06.07.2020 ein. Dem Gutachten wurde hierbei nicht entgegengetreten und überdies auf die angesichts der Erkrankungen der Drittbeschwerdeführerin gänzlich insuffiziente medizinische Versorgungslage im Irak sowie die Integration der Beschwerdeführer und ihren langjährigen Aufenthalt in Österreich hingewiesen.

20. Mit Schriftsatz des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24.09.2020 wurden den Beschwerdeführern insgesamt fünf Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation zum Irak, insbesondere hinsichtlich der Behandelbarkeit der spezifischen Krankheitsbilder der Drittbeschwerdeführerin in Sulaimaniyya, der allgemeinen medizinischen Versorgungslage in Sulaimaniyya, zum Zugang im Ausland geborener Kinder zu medizinischer Versorgung im Irak (und insbesondere in Sulaimaniyya), der generellen Situation von Kindern in Sulaimaniyya sowie der Möglichkeit der Registrierung der Geburt eines im Ausland geborenen Kindes bei den irakischen Behörden, zum Parteiengehör übermittelt.

21. Mit Schriftsatz vom 15.10.2020 ("Stellungnahme") brachten die Beschwerdeführer eine schriftliche Stellungnahme zu den ihnen mit Schriftsatz vom 24.09.2020 übermittelten Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation zum Irak beim Bundesverwaltungsgericht ein. Überdies waren dieser Stellungnahme weitere medizinische Befunde der Drittbeschwerdeführerin vom Juli und August 2020 angeschlossen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:

1.1. Zu den Personen der Beschwerdeführer:

Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige des Irak. Es handelt sich bei ihnen um einen volljährigen Mann (Erstbeschwerdeführer), seine volljährige Ehefrau (Zweitbeschwerdeführerin) sowie ihre gemeinsame minderjährige Tochter (Drittbeschwerdeführerin). Die Beschwerdeführer sind Angehörige der Volksgruppe der Kurden und bekennen sich zum sunnitisch-moslemischen Glauben. Ihre Identität steht fest.

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind in Sulaimaniyya in der Autonomen Region Kurdistan geboren und aufgewachsen und haben im Februar 2014 im Irak geheiratet. Bis zu ihrer Ausreise im August 2015 haben sie gemeinsam mit den Eltern und Geschwistern des Erstbeschwerdeführers im Haus von dessen Vater in Sulaimaniyya gelebt. Seit (spätestens) 02.11.2015 halten sie sich im Bundesgebiet auf.

Der Erstbeschwerdeführer hat in Sulaimaniyya sechs Jahre die Schule besucht und im Anschluss eine Lehre zum Automechaniker absolviert. Seinen Lebensunterhalt hat er als Betreiber einer Autowerkstatt bestritten, wobei er dadurch ein gutes Einkommen erzielt hat und für sich und die Zweitbeschwerdeführerin sorgen konnte. Er leidet an keiner lebensbedrohlichen oder dauerhaft behandlungsbedürftigen Gesundheitsbeeinträchtigung und ist erwerbsfähig. Aufgrund seiner Ausbildung und Berufserfahrung hat er die Chance, künftig am irakischen Arbeitsmarkt unterzukommen. Die Eltern sowie zwei Schwestern des Erstbeschwerdeführers leben nach wie vor in einem gemeinsamen Haus in Sulaimaniyya, in welchem auch der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin gelebt hatten. Sein Vater ist bereits in Pension, seine beiden Schwestern bestreiten ihren Lebensunterhalt als Lehrerinnen an einer Mittelschule. Er steht in regelmäßigem Kontakt zu seinen Eltern und beiden Schwestern. Überdies leben noch Onkeln und Tanten von ihm in Sulaimaniyya.

Die Zweitbeschwerdeführerin hat in Sulaimaniyya insgesamt zwölf Jahre die Schule besucht und im Anschluss in Dohuk ein zweijähriges Diplomstudium im Bereich Management absolviert. Im Anschluss hat sie in Sulaimaniyya als Finanzbeamtin gearbeitet. Sie ist gesund und erwerbsfähig und hat angesichts ihrer Ausbildung und Berufserfahrung ebenfalls die Chance, künftig am irakischen Arbeitsmarkt unterzukommen. Ihre Mutter sowie insgesamt fünf Geschwister leben ebenfalls in Sulaimaniyya und steht die Zweitbeschwerdeführerin in regelmäßigem Kontakt zu ihnen.

Die Drittbeschwerdeführerin wurde am 02.09.2016 in Österreich geboren. Sie leidet an einer komplexen, angeborenen Fehlbildung und Erkrankung der Nieren und ableitenden Harnwege, aufgrund derer sie am 24.07.2020 operiert wurde. Es kann nicht festgestellt werden, dass sie zum Entscheidungszeitpunkt im Falle ihrer Rückkehr nach Sulaimaniyya adäquate Behandlungsmöglichkeiten vorfinden würde.

Alle Beschwerdeführer leben in einem gemeinsamen Haushalt. Ansonsten verfügen sie in Österreich sowie auf dem Gebiet der Mitgliedstaaten über keine weiteren familiären Anknüpfungspunkte.

Sowohl der Erstbeschwerdeführer als auch die Zweitbeschwerdeführerin gingen im Bundesgebiet wiederholt geringfügigen, per Dienstleistungsscheck entlohnten Erwerbstätigkeiten nach. Jedoch sind die Beschwerdeführer nicht selbsterhaltungsfähig und bestreiten ihren Lebensunterhalt seit ihrer Einreise in das Bundesgebiet über die staatliche Grundversorgung.

Der Erstbeschwerdeführer hat einen Arbeitsvorvertrag als Abwäscher mit einem Gastronomiebetrieb, die Zweitbeschwerdeführerin einen Arbeitsvorvertrag als Unterhaltsreinigungskraft mit einem Gebäudereinigungsunternehmen geschlossen.

Der Erstbeschwerdeführer hat eine Deutsch-Prüfung für das Sprachniveau A1, die Zweitbeschwerdeführerin für das Sprachniveau B1 erfolgreich abgelegt. Überdies haben sie beide diverse Sprach- und Integrationskurse sowie Basisbildungsmodule besucht und in Österreich diverse Bekanntschaften geschlossen. Die Drittbeschwerdeführerin besucht seit Oktober 2019 den Kindergarten.

Die Beschwerdeführer sind strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zu einer Rückkehrgefährdung der Beschwerdeführer:

Für die Beschwerdeführer besteht im Falle ihrer Rückkehr nach Sulaimaniyya nicht die reale Gefahr einer ernsthaften Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes.

Da die medizinische Versorgungslage im Irak jedoch angespannt ist und sich vor dem Hintergrund der aktuellen COVID-19-Pandemie noch weiter verschärft hat, kann angesichts des gesundheitlichen Zustandes der Drittbeschwerdeführerin nicht festgestellt werden, dass diese in ihrem Herkunftsstaat zum Entscheidungszeitpunkt adäquate medizinische Behandlungsmöglichkeiten vorfinden würde und besteht insoweit die reale Gefahr, dass sie im Falle ihrer Rückführung einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre.

1.3. Zu den Feststellungen zur Lage im Irak:

Zur aktuellen Lage im Irak werden folgende Feststellungen getroffen, soweit sie für den vorliegenden Beschwerdefall von Relevanz sind:

1.3.1. Allgemeine Sicherheitslage:

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat (IS) (Reuters 9.12.2017; vgl. AI 26.2.2019). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem verbessert (FH 4.3.2020). Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete (USDOS 1.11.2019).

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.1.2019).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.1.2019). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (FIS 6.2.2018). Die Zahl der Entführungen gegen Lösegeld zugunsten extremistischer Gruppen wie dem IS oder krimineller Banden ist zwischenzeitlich zurückgegangen (Diyaruna 5.2.2019), aber UNAMI berichtet, dass seit Beginn der Massenproteste vom 1.10.2019 fast täglich Demonstranten in Bagdad und im gesamten Süden des Irak verschwunden sind. Die Entführer werden als „Milizionäre“, „bewaffnete Organisationen“ und „Kriminelle“ bezeichnet (New Arab 12.12.2019).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 2.10.2019a). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungskräfte (PMF) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019b; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019b; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).

Als Reaktion auf die Ermordung des stellvertretenden Leiters der PMF-Kommission, Abu Mahdi Al-Muhandis, sowie des Kommandeurs der Quds-Einheiten des Korps der Islamischen Revolutionsgarden des Iran, Generalmajor Qassem Soleimani, durch einen Drohnenangriff der USA am 3.1.2020 (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020; Joel Wing 15.1.2020) wurden mehrere US-Stützpunkte durch den Iran und PMF-Milizen mit Raketen und Mörsern beschossen (Joel Wing 15.1.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020

-        ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019b): Regional Overview – Middle East 2 October 2019, https://www.acleddata.com/2019/10/02/regional-overview-middle-east-2-october-2019/, Zugriff 13.3.2020

-        AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        Al Jazeera (24.9.2019): Two rockets 'hit' near US embassy in Baghdad's Green Zone, https://www.aljazeera.com/news/2019/09/rockets-hit-embassy-baghdad-green-zone-190924052551906.html, Zugriff 13.3.2020

-        Al Jazeera (25.8.2019): Iraq paramilitary: Israel behind drone attack near Syria border, https://www.aljazeera.com/news/2019/08/iraq-paramilitary-israel-drone-attack-syria-border-190825184711737.html, Zugriff 13.3.2020

-        Al Monitor (23.2.2020): Iran struggles to regain control of post-Soleimani PMU, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/02/iraq-iran-soleimani-pmu.html, Zugriff 13.3.2020

-        Diyaruna (5.2.2019): Baghdad sees steep decline in kidnappings, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/02/05/feature-02, Zugriff 13.3.2020

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020

-        FIS - Finnish Immigration Service (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in Iraq variable but improving, https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish_immigration_service_report_security_in_iraq_variable_but_improving/10061710, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (15.1.2020): Pro-Iran Hashd Continue Attacks Upon US Interests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/pro-iran-hashd-continue-attacks-upon-us.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020

-        MEMO - Middle East Monitor (21.1.2020): Iraq’s PMF appoints new deputy head as successor to Al-Muhandis, https://www.middleeastmonitor.com/20200221-iraqs-pmf-appoints-new-deputy-head-as-successor-to-al-muhandis/, Zugriff 13.3.2020

-        New Arab, The (12.12.2019): 'We are not safe': UN urges accountability over spate of kidnappings, assassinations in Iraq, https://www.alaraby.co.uk/english/news/2019/12/11/un-urges-accountability-over-spate-of-iraq-kidnappings-assassinations, Zugriff 13.3.2020

-        Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9, Zugriff 13.3.2020

-        Reuters (30.9.2019): Iraqi PM says Israel is responsible for attacks on Iraqi militias: Al Jazeera, https://www.reuters.com/article/us-iraq-security/iraqi-pm-says-israel-is-responsible-for-attacks-on-iraqi-militias-al-jazeera-idUSKBN1WF1E5, Zugriff 13.3.2020

-        USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020

1.3.2. Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen:

Die Zahl der durch Gewalt ums Leben gekommenen ist zwischen 2017 und 2019 erheblich gesunken. Waren 2015 noch etwa 17.500 zivile Gewaltopfer im Irak zu beklagen, so ist diese Zahl im Jahr 2019 auf rund 2.300 Gewaltopfer gesunken. Im Jahr 2020 gab es nach vorläufigen Schätzungen bis einschließlich September 704 zivile Todesopfer im Irak (Statista 03.11.2020).

Vom Irak-Experten Joel Wing wurden im Lauf des Monats November 2019 für den Gesamtirak 55 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 47 Toten und 98 Verletzten verzeichnet, wobei vier Vorfälle, Raketenbeschuss einer Militärbasis und der „Grünen Zone“ in Bagdad (Anm.: ein geschütztes Areal im Zentrum Bagdads, das irakische Regierungsgebäude und internationale Auslandvertretungen beherbergt), pro-iranischen Volksmobilisierungskräften (PMF) zugeschrieben werden (Joel Wing 2.12.2019). Im Dezember 2019 waren es 120 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 134 Toten und 133 Verletzten, wobei sechs dieser Vorfälle pro-iranischen Gruppen zugeschrieben werden, die gegen US-Militärlager oder gegen die Grüne Zone gerichtet waren (Joel Wing 6.1.2020). Im Jänner 2020 wurden 91 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 53 Toten und 139 Verletzten verzeichnet, wobei zwölf Vorfälle, Raketen- und Mörserbeschuss, pro-iranischen PMF, bzw. dem Iran zugeschrieben werden, während der Islamische Staat (IS) für die übrigen 79 verantwortlich gemacht wird (Joel Wing 3.2.2020). Im Februar 2020 waren es 85 Vorfälle, von denen drei auf pro-iranischen PMF zurückzuführen sind (Joel Wing 5.3.2020).

Der Rückgang an Vorfällen mit IS-Bezug Ende 2019 wird mit den Anti-Regierungsprotesten in Zusammenhang gesehen, da der IS bereits in den vorangegangenen Jahren seine Angriffe während solcher Proteste reduziert hat. Schließlich verstärkte der IS seine Angriffe wieder (Joel Wing 3.2.2020).

Quellen:

-        ACCORD (26.2.2020): Irak, 4. Quartal 2018: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2025321/2018q4Iraq_de.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        IBC - Iraq Bodycount (2.2020): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020

-        Statista Research Department - deutsches Online-Portal für Statistik (21.09.2020): Anzahl der dokumentierten zivilen Todesopfer im Irakkrieg und in den folgenden Jahren von 2003 bis 2020*, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/163882/umfrage/dokumentierte-zivile-todesopfer-im-irakkrieg-seit-2003/#professional, Zugriff 3.11.2020

1.3.3. Sicherheitslage in der Kurdischen Region im Irak (KRI):

In Erbil bzw. Sulaimaniyya und unmittelbarer Umgebung erscheint die Sicherheitssituation vergleichsweise besser als in anderen Teilen des Irak. Allerdings kommt es immer wieder zu militärischen Zusammenstößen, in die auch kurdische Streitkräfte (Peshmerga) verwickelt sind, weshalb sich die Lage jederzeit ändern kann. Insbesondere Einrichtungen der kurdischen Regionalregierung und politischer Parteien sowie militärische und polizeiliche Einrichtungen können immer wieder Ziele terroristischer Attacken sein (BMEIA 19.2.2020).

Im Juli 2019 führte der IS seine seit langem erste Attacke auf kurdischem Boden durch. Im Gouvernement Sulaimaniyya attackierte er einen Checkpoint an der Grenze zu Diyala, der von Asayish [Anm.: Inlandsgeheimdienst der Kurdischen Region im Irak (KRI)] bemannt war. Bei diesem Angriff wurden fünf Tote und elf Verletzte registriert (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurde in Sulaimaniyya ein Vorfall mit einer IED verzeichnet, wobei es keine Opfer gab (Joel Wing 9.9.2019). Im November 2019 wurde ein weiterer Angriff im Gouvernement Sulaimaniyya verzeichnet. Der Vorfall ereignete sich im südlichen Sulaimaniyya, an der Grenze zu Diyala. Asayesh-Einheiten, die einen Mörserbeschuss untersuchten, wurden von Heckenschützen beschossen. Drei Personen, darunter ein Kommandant, starben, acht Personen, fünf Asayesh und drei Zivilisten wurden verletzt (Joel Wing 2.12.2019; vgl. Ekurd 30.11.2019).

Im Gouvernement Erbil wurde im Jänner 2020 ein sicherheitsrelevanter Vorfall ohne Opfer verzeichnet. Als Vergeltung für die Tötung des iranischen Generalmajors Qassem Soleimani und des stellvertretenden Leiters der Volksmobilisierungskräfte (PMF)-Kommission, Abu Mahdi Al-Muhandis durch die USA feuerte der Iran Raketen auf die US-Militärbasis nahe dem Internationalen Flughafen Erbil ab (Joel Wing 3.2.2020; vgl. Al Monitor 8.1.2020). Im Februar 2020 wurden drei Vorfälle mit sieben Verletzten im südlichen Distrikt Makhmour verzeichnet. Dabei handelte es sich um einen Raketenangriff pro-iranischer PMF auf einen US-Militärstützpunkt (Joel Wing 5.3.2020), um die Detonation zweier IEDs in einem Dorf mit sechs Verletzten (Joel Wing 5.3.2020; vgl. BasNews 26.2.2020) und um einen Angriff des IS auf ein IDP Lager, mit einem verletzten Zivilisten (Joel Wing 5.3.2020; vgl. BasNews 2.2.2020).

Seit dem Abbruch des Friedensprozesses zwischen der Türkei und der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) im Jahr 2015 kommt es regelmäßig zu türkischen Militäroperationen und Bombardements gegen Stellungen von PKK-Kämpfern in Qandil und in den irakischen Grenzgebieten (Kurdistan24 8.11.2019). Im Kreuzfeuer solcher Angriffe werden immer wieder kurdische Dörfer evakuiert, da manchmal auch Zivilisten und deren Eigentum von den Kämpfen bedroht und bei türkischen Luftangriffen getroffen wurden (ACLED 4.9.2019; vgl. Kurdistan24 8.11.2019).

Am 27.5.2019 initiierte die türkische Armee die „Operation Claw“ gegen Stellungen der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) im Nordirak. Die erste Phase richtete sich gegen Stellungen in der Hakurk/Khakurk-Region im Gouvernement Erbil (Anadolu Agency 13.7.2019; vgl. Rudaw 13.7.2019). Die zweite Phase begann am 12.7.2019 und zielt auf die Zerstörung von Höhlen und anderen Zufluchtsorten der PKK (Anadolu Agency 13.7.2019). Die türkischen Luftangriffe konzentrierten sich auf die Region Amadiya im Gouvernement Dohuk, von wo aus die PKK häufig operiert (ACLED 17.7.2019). Ende August 2019 begann die dritte Phase, die sich wiederum gegen die PKK im Gouvernement Dohuk richtete. Betroffen waren vor allem grenznahe Orte, Regionen und Subdistrikte wie Zab, Sinat-Haftanin, Batifa und Avashin (Kurdistan24 8.11.2019).

Am 10. und 11.7.2019 bombardierte iranische Artillerie mutmaßliche PKK-Ziele im Subdistrikt Sidakan/Bradost im Gouvernement Sulaimaniyya, wobei ein Kind getötet wurde (Al Monitor 12.7.2019). In dem Gebiet gibt es häufige Zusammenstöße zwischen iranischen Sicherheitskräften und iranisch-kurdischen Aufständischen, die ihren Sitz im Irak haben, wie die “Partei für ein Freies Leben in Kurdistan‘‘ (PJAK), die von Teheran beschuldigt wird, mit der PKK in Verbindungen zu stehen (Reuters 12.7.2019).

Quellen:

-        ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (4.9.2019): Regional Overview – Middle East 4 September 2019, https://www.acleddata.com/2019/09/04/regional-overview-middle-east-4-september-2019/, Zugriff 13.3.2020

-        ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (17.7.2019): Regional Overview – Middle East 17 July 2019, https://www.acleddata.com/2019/07/17/regional-overview-middle-east-17-july-2019/, Zugriff 13.3.2020

-        Al Monitor (8.1.2020): Did Iran missiles carry message for Kurds?, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/01/iraq-iran-us-kurds-erbil-soleimani.html, Zugriff 13.3.2020

-        Al Monitor (12.7.2019): Iran shells Iraqi Kurdistan Region, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2019/07/iraq-iran-kurdistan-turkey.html, Zugriff 13.3.2020

-        Anadolu Agency (13.7.2019): Turkey launches counter-terror Operation Claw-2 in N.Iraq, https://www.aa.com.tr/en/turkey/turkey-launches-counter-terror-operation-claw-2-in-niraq/1530592, Zugriff 13.3.2020

-        BasNews (26.2.2020): Twin Bomb Blasts Injure Six People near Makhmour, http://www.basnews.com/index.php/en/news/kurdistan/584601, Zugriff 13.3.2020

-        BasNews (2.2.2020): IS Raids Makhmour Refugee Camp, http://www.basnews.com/index.php/en/news/kurdistan/578773, Zugriff 13.3.2020

-        BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (6.3.2020): Irak (Republik Irak), Sicherheit und Kriminalität, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/irak/, Zugriff 13.3.2020

-        Ekurd Daily (30.11.2019): Islamic State attack kills three security Asayish members in Iraqi Kurdistan, https://ekurd.net/islamic-state-attack-kills-2019-11-30, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (9.9.2019): Islamic State’s New Game Plan In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/09/islamic-states-new-game-plan-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (5.8.2019): Islamic State’s Offensive Could Be Winding Down, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/08/islamic-states-offensive-could-be.html, Zugriff 13.3.2020

-        Kurdistan24 (8.11.2019): Turkey intensifies operations in Kurdistan, northern Iraq, https://www.kurdistan24.net/en/news/83346a10-2d59-494a-ab13-ed1954960996, Zugriff 13.3.2020

-        Reuters (12.7.2019): Iran strikes opposition positions on border with Iraqi Kurdistan – Tasnim, https://www.reuters.com/article/us-iran-iraq-security/iran-strikes-opposition-positions-on-border-with-iraqi-kurdistan-tasnim-idUSKCN1U71E7, Zugriff 13.3.2020

-        Rudaw (13.7.2019): Turkey reinvigorates Operation Claw in Kurdistan Region against PKK, https://www.rudaw.net/english/kurdistan/130720191, Zugriff 13.3.2020

Die Sicherheitslage in der Autonomen Region Kurdistan ist weiterhin relativ stabil, auch wenn nach wie vor das Risiko von Anschlägen durch ISIS besteht. Dennoch sind die Sicherheitskräfte wachsam in Anbetracht von Berichten über das Vorhandensein einheimischer Schläferzellen von ISIS und anderer bewaffneter Gruppen sowie von ISIS-Aktivitäten in den benachbarten Verwaltungsbezirken Kirkuk und Diyala. Überreste von ISIS operieren Berichten zufolge auch entlang der irakisch-iranischen Grenze, von wo aus sie Anschläge im Iran ausgeübt haben.

Ab dem Spätsommer 2017, nach dem Ende der Militäroffensive in Mosul, ging die Zahl der monatlichen Opfer zurück – ein Trend, der sich während des ganzen Jahres 2018 und während des bisherigen Jahres 2019 fortsetzte. Zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Berichts werden zivile Opfer vor allem in Gegenden mit fortbestehender ISIS-Präsenz gemeldet. Laut Statistik der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen für den Irak (UNAMI) war der Verwaltungsbezirk mit der höchsten Anzahl an Opfern in den meisten Monaten des Jahres 2018 Bagdad, vor allem aufgrund regelmäßiger kleinerer Anschläge (Schießereien, USBVs und Haftbomben) und gelegentlicher Massenanschläge. Im Jahr 2018 wurde Bagdad (der bevölkerungsreichste Verwaltungsbezirk des Irak) gefolgt (und in manchen Monaten auch übertroffen) von den nachstehenden Verwaltungsbezirken, obgleich nicht immer in derselben Reihenfolge: Al-Anbar, Diyala, Ninawa, Kirkuk, Salah ad-Din und Babel. Die Analyse der Opferstatistik Iraq Body Count (IBC) für das Jahr 2018 ergab, dass im Verwaltungsbezirk Ninawa die Rate ziviler Opfer, also die Anzahl der Opfer pro 100.000 Einwohner, am höchsten war (46,5 Opfer pro 100.000 Einwohnern), gefolgt von Kirkuk (18,3), Diyala (16,4) Salah ad-Din (10) und Bagdad (7,4).

Quellen:

-        UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen: https://www.unhcr.org/dach/wp-content/uploads/sites/27/2020/01/Schutzerw%C3%A4gungen-Irak-2019-korrigiert.pdf, S 26ff, Zugriff 16.6.2020

Im Jahr 2019 ereigneten sich im gesamten Gouvernement Sulaimaniyya insgesamt drei Vorfälle im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten, welche zu drei zivilen Todesopfern und elf Verletzten geführt hatten.

Von Jänner bis Juli 2020 ereigneten sich im gesamten Gouvernement Sulaimaniyya nur noch zwei Vorfälle im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten, welche zu keinen zivilen Todesopfern und zu sieben Verletzten geführt hatten.

Per 30.06.2020 haben insgesamt 88.602 Binnenflüchtlingen Zuflucht in Sulaimaniyya gefunden.

Quellen:

-        EASO Country of Origin Information Report: Iraq, Security Situation, October 2020, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/10_2020_EASO_COI_Report_Iraq_Security_situation_0.pdf, S 187f sowie S 191, Zugriff 5.11.2020

Im Gouvernement Sulaimaniyya ereignen sich sicherheitsrelevante Vorfälle derart selten, dass grundsätzlich keine Gründe vorliegen um die Annahme zu rechtfertigen, dass eine nach Sulaimaniyya zurückkehrende Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.

Quellen:

-        EASO Country Guidance: Iraq, Guidance note and common analysis, June 2019, https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/Country_Guidance_Iraq_2019.pdf, S 29, Zugriff 16.6.2020

Eine innerstaatliche Fluchtalternative bzw. eine Neuansiedelung in der Autonomen Region Kurdistan ist einem Antragsteller nicht zumutbar, es sei denn, ein Antragsteller hat basierend auf den individuellen Umständen des Einzelfalles Zugang zu einer angemessenen Unterkunft im geplanten Neuansiedlungsgebiet innerhalb der Autonomen Region Kurdistan, wobei Lager für Binnenvertriebene oder informelle Siedlungen nicht als „angemessene Unterkunft“ gelten; Grundversorgung im geplanten Neuansiedlungsgebiet in der Autonomen Region Kurdistan, z.B. zu Trinkwasser und sanitärer Infrastruktur, Strom, Gesundheitsversorgung und Bildung und Erwerbsmöglichkeiten oder im Falle von Antragstellern, von denen nicht erwartet werden kann, dass sie ihren eigenen Lebensunterhalt sichern (z.B. weiblich geführte Haushalte, ältere Antragsteller oder Antragsteller mit Behinderungen), erwiesene und nachhaltige Unterstützung, durch die ein angemessener Lebensstandard gewährleistet ist.

Quellen:

-        UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen: https://www.unhcr.org/dach/wp-content/uploads/sites/27/2020/01/Schutzerw%C3%A4gungen-Irak-2019-korrigiert.pdf, S 146, Zugriff 9.11.2020

1.3.4. Protestbewegung:

Seit 2014 gibt es eine Protestbewegung, in der zumeist junge Leute in Scharen auf die Straße strömen, um bessere Lebensbedingungen, Arbeitsplätze, Reformen, einen effektiven Kampf gegen Korruption und die Abkehr vom religiösen Fundamentalismus zu fordern (WZ 9.10.2018).

So kam es bereits 2018 im Südirak zu weitreichenden Protesten in Basra, nahe den Ölfeldern West Qurna und Zubayr. Diese eskalierten, nachdem die Polizei in West Qurna auf Demonstranten schoss (ICG 31.7.2018). Ebenso kam es im Jahr 2019 zu Protesten, wobei pro-iranische Volksmobilisierungskräfte (PMF) beschuldigt wurden, sich an der Unterdrückung der Proteste beteiligt und Demonstranten sowie Menschenrechtsaktivisten angegriffen zu haben (Diyaruna 7.8.2019; vgl. Al Jazeera 25.10.2019).

Seit dem 1.10.2019 kommt es in mehreren Gouvernements (Bagdad, Basra, Maysan, Qadisiya, Dhi Qar, Wasit, Muthanna, Babil, Kerbala, Najaf, Diyala, Kirkuk und Salah ad-Din) zu teils gewalttätigen Demonstrationen (ISW 22.10.2019, vgl. Joel Wing 3.10.2019). Die Proteste richten sich gegen Korruption, die hohe Arbeitslosigkeit und die schlechte Strom- und Wasserversorgung (Al Mada 2.10.2019; vgl. BBC 4.10.2019), aber auch gegen den iranischen Einfluss auf den Irak (ISW 22.10.2019). Eine weitere Forderung der Demonstranten ist die Abschaffung des ethnisch-konfessionellen Systems (muhasasa) zur Verteilung der Ämter des Präsidenten, des Premierministers und des Parlamentspräsidenten (AW 4.12.2019).

Im Zusammenhang mit diesen Demonstrationen wurden mehrere Regierungsgebäude sowie Sitze von Milizen und Parteien in Brand gesetzt (Al Mada 2.10.2019). Im Zuge der Proteste kam es in mehreren Gouvernements von Seiten anti-iranischer Demonstranten zu Brandanschlägen auf Stützpunkte pro-iranischer PMF-Fraktionen und Parteien, wie der Asa‘ib Ahl al-Haq, der Badr-Organisation, der Harakat al-Abdal, Da‘wa und Hikma (Carnegie 14.11.2019; vgl. ICG 10.10.2019), sowie zu Angriffen auf die iranischen Konsulate in Kerbala (RFE/RL 4.11.2019) und Najaf (RFE/RL 1.12.2019).

Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) gingen unter anderem mit scharfer Munition gegen Demonstranten vor. Außerdem gibt es Berichte über nicht identifizierte Scharfschützen, die sowohl Demonstranten als auch Sicherheitskräfte ins Visier genommen haben sollen (ISW 22.10.2019). Premierminister Mahdi kündigte eine Aufklärung der gezielten Tötungen an (Rudaw 13.10.2019). Zeitweilig riefen die Behörden im Oktober und November 2019 Ausgangssperren aus (AI 18.2.2020; vgl. Al Jazeera 5.10.2019; ISW 22.10.2019; Rudaw 13.10.2019) und implementierten zeitweilige Internetblockaden (UNAMI 10.2019; vgl. AI 18.2.2020; USDOS 11.3.2020).

Die irakische Menschenrechtskommission berichtete Ende Dezember 2019, dass seit Beginn der Proteste am 1.10.2019 mindestens 490 Demonstranten getötet wurden (AAA 28.12.2019; vgl. RFE/RL 6.2.2020), darunter 33 Aktivisten, die gezielt getötet wurden. Mehr als 22.000 Menschen wurden verletzt. 56 Demonstranten gelten nach berichteten Entführungen als vermisst, während zwölf weitere wieder freigelassen wurden (AAA 28.12.2019). Mitte Jänner 2020 berichtet Amnesty International von 600 Toten Demonstranten seit Beginn der Proteste (AI 23.1.2020).

Quellen:

-        AAA - Asharq Al-Awsat (28.12.2019): Iraq: Human Rights Commission Says 490 Protesters Killed Since October, https://aawsat.com/english/home/article/2056146/iraq-human-rights-commission-says-490-protesters-killed-october, Zugriff 13.3.2020

-        AI - Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019; Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2025831.html, Zugriff 13.3.2020

-        AI - Amnesty International (23.1.2020): Iraq: Protest death toll surges as security forces resume brutal repression, https://www.ecoi.net/de/dokument/2023297.html, Zugriff 13.3.2020

-        Al Jazeera (25.10.2019): Dozens killed as fierce anti-government protests sweep Iraq, https://www.aljazeera.com/news/2019/10/dozens-killed-fierce-anti-government-demonstrations-sweep-iraq-191025171801458.html, Zugriff 13.3.2020

-        Al Jazeera (5.10.2019): Iraq PM lifts Baghdad curfew, https://www.aljazeera.com/news/2019/10/iraq-pm-lifts-baghdad-curfew-191005070529047.html, Zugriff 13.3.2020

-        Al Mada (2.10.2019): ????????????????????????????? („Proteste werden zu Kriegsgebieten“), https://almadapaper.net/view.php?cat=221822, Zugriff 13.3.2020

-        AW - Arab Weekly, The (4.12.2019): Confessional politics ensured Iran’s colonisation of Iraq, https://thearabweekly.com/confessional-politics-ensured-irans-colonisation-iraq, Zugriff 13.3.2020

-        BBC News (4.10.2019): Iraq protests: 'No magic solution' to problems, PM says, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-49929280, Zugriff 13.3.2020

-        Carnegie - Carnegie Middle East Center (14.11.2019): How Deep Is Anti-Iranian Sentiment in Iraq?, https://carnegie-mec.org/diwan/80313, Zugriff 13.3.2020

-        Diyaruna (7.8.2019): Iran-backed militias suppress Iraqi protests, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/08/07/feature-01, Zugriff 13.3.2020

-        ICG - International Crisis Group (10.10.2019): Widespread Protests Point to Iraq’s Cycle of Social Crisis, https://www.ecoi.net/de/dokument/2018263.html, Zugriff 13.3.2020

-        ICG - International Crisis Group (31.7.2018): How to cope with Iraq’s summer brushfire, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/iraq/b61-how-cope-iraqs-summer-brushfire, Zugriff 13.3.2020

-        ISW - Institute for the Study of War (22.10.2019): Iraq's Sustained Protests and Political Crisis, https://iswresearch.blogspot.com/2019/10/iraqs-sustained-protests-and-political.html, Zugriff 13.3.2020

-        Joel Wing, Musings on Iraq (3.10.2019): Iraq’s October Protests Escalate And Grow, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/iraqs-october-protests-escalate-and-grow.html, Zugriff 13.3.2020

-        RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (6.2.2020): Iraqi Protesters Clash With Sadr Backers In Deadly Najaf Standoff, https://www.ecoi.net/en/document/2024704.html, Zugriff 13.3.2020

-        RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (1.12.2019): Iraqi Protesters Torch Iranian Consulate For Second Time Within Week, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022938.html, Zugriff 13.3.2020

-        RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (4.11.2019): Security Forces Shoot At Baghdad Protesters, Several Killed In Karbala, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019395.html, Zugriff 13.3.2020

-        Rudaw (13.10.2019): Iraq launches probe into killing of protesters, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/13102019, Zugriff 13.3.2020

-        UNAMI - UN Assistance Mission for Iraq (10.2019): Demonstrations in Iraq; 1-9 October 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019889/UNAMI_Special_Report_on_Demonstrations_in_Iraq_22_October_2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020

-        WZ - Wiener Zeitung (9.10.2018): Schlüsselland Irak, https://www.wienerzeitung.at/_em_cms/globals/print.php?em_ssc=LCwsLA==&em_cnt=994916&em_loc=69&em_ref=/nachrichten/welt/weltpolitik/&em_ivw=RedCont/Politik/Ausland&em_absatz_bold=0, Zugriff 13.3.2020

Im Juni 2020 kam es in der Folge der Verhängung eines „Lockdowns” angesichts der Coronavirus-Pandemie auch zu Demonstrationen im Gouvernement Sulaimaniyya, welche teils in Ausschreitungen mündeten. Diese Ausschreitungen wurden seitens der KRI Sicherheitskräfte durch Schüsse in die Luft aufgelöst.

Quellen:

-        EASO Country of Origin Information Report: Iraq, Security Situation, October 2020, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/10_2020_EASO_COI_Report_Iraq_Security_situation_0.pdf, S 187, Zugriff 5.11.2020

1.3.5. Kurden:

Schätzungen zufolge sind 15-20% der irakischen Bevölkerung Kurden. Während sich die arabische Bevölkerung vorwiegend in den westlichen Landesteilen, der Zentralregion und im Süden des Landes verteilt, leben die Kurden mehrheitlich im Nordosten. Die Kurden in der Kurdischen Region im Irak (KRI) bekennen sich überwiegend als Sunniten. Aber es gibt unter ihnen auch neuzeitliche Zoroastrier und Jesiden. Die meisten Kurden Bagdads fühlen sich einem schiitischen Religionszweig verbunden: dem des Faili-Schiitentums (GIZ 6.2019c).

Von ethnisch-konfessionellen Auseinandersetzungen sind auch Kurden betroffen, soweit sie außerhalb der KRI leben. Im Nachgang zum Unabhängigkeitsreferendum hat die zentral-irakische Armee die zwischen Kurden und Zentralregierung umstrittenen Gebiete größtenteils wieder unter die Kontrolle Bagdads gebracht (AA 12.1.2019). Insbesondere in diesen „umstrittenen Gebieten“ waren und sind Kurden und andere Minderheiten mit Diskriminierung, Vertreibung und in einigen Fällen mit Gewalt seitens der Regierungstruppen, insbesondere der mit dem Iran verbündeten PMF-Milizen, konfrontiert (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020b): Gesellschaft, https://www.liportal.de/irak/gesellschaft/, Zugriff 13.3.2020

-        USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020

1.3.6. Frauen:

In der Verfassung ist die Gleichstellung der Geschlechter festgeschrieben und eine Frauenquote von 25% im Parlament verankert (AA 12.1.2019). In der Kurdischen Region im Irak (KRI) sind es 30% (AA 12.1.2019; vgl. OHCHR 11.9.2019). Frauen sind jedoch auf Gemeinde- und Bundesebene, in Verwaltung und Regierung weiterhin unterrepräsentiert. Dabei stellt die Quote zwar sicher, dass Frauen zahlenmäßig vertreten sind, sie führt aber nicht dazu, dass Frauen einen wirklichen Einfluss auf Entscheidungsfindungsprozesse haben, bzw. dass das Interesse von Frauen auf der Tagesordnung der Politik steht (K4D 24.11.2017).

Frauen sind weit verbreiteter gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt und werden unter mehreren Aspekten der Gesetzgebung ungleich behandelt (FH 4.3.2020). Zwar ist laut Artikel 14 und 20 der Verfassung jede Art von Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes verboten. Artikel 41 bestimmt jedoch, dass Iraker Personenstandsangelegenheiten ihrer Religion entsprechend regeln dürfen. Viele Frauen kritisieren diesen Paragrafen als Grundlage für eine Re-Islamisierung des Personenstandsrechts und damit eine Verschlechterung der Stellung der Frau. Zudem findet auf einfachgesetzlicher Ebene die verfassungsrechtlich garantierte Gleichstellung häufig keine Entsprechung. Defizite bestehen insbesondere im Familien-, Erb- und Strafrecht sowie im Staatsangehörigkeitsrecht (AA 12.1.2019). Die Stellung der Frau hat sich jedenfalls im Vergleich zur Zeit des Saddam-Regimes teilweise deutlich verschlechtert (AA 12.1.2019; vgl. FIS 22.5.2018). Auch die prekäre Sicherheitslage in Teilen der irakischen Gesellschaft hat negative Auswirkungen auf das Alltagsleben und die politischen Freiheiten der Frauen (AA 12.1.2019). In der Praxis ist die Bewegungsfreiheit für Frauen auch stärker eingeschränkt als für Männer (FH 4.3.2020). So hindert das Gesetz Frauen beispielsweise daran, ohne die Zustimmung eines männlichen Vormunds oder gesetzlichen Vertreters einen Reisepass zu beantragen (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020), oder ein Dokument zur Feststellung des Personenstands zu erhalten, welches für den Zugang zu Beschäftigung, Bildung und einer Reihe von Sozialdiensten erforderlich ist (FH 4.3.2020).

Die geschätzte Erwerbsquote von Frauen lag 2014 bei nur 14%, der Anteil an der arbeitenden Bevölkerung bei 17% (AA 12.1.2019; vgl. Frontline 12.11.2019). Jene rund 85% der Frauen, die nicht an der irakischen Arbeitswelt teilhaben, sind einem erhöhten Armutsrisiko ausgesetzt, selbst wenn sie in der informellen Wirtschaft mit Arbeiten wie Nähen oder Kunsthandwerk beschäftigt sind (Frontine 12.11.2019). Die genauen Zahlen unterscheiden sich je nach Statistik und Erhebungsmethode (FIS 22.5.2018).

Frauen und Mädchen sind im Bildungssystem deutlich benachteiligt und haben noch immer einen schlechteren Bildungszugang als Buben und Männer. Im Alter von zwölf Jahren aufwärts sind Mädchen doppelt so stark von Analphabetismus betroffen wie Buben (GIZ 1.2020b). Mehr als ein Viertel von Frauen im Alter von über 15 Jahren können nicht lesen und schreiben (CIA 28.2.2020). Schätzungen zufolge liegt die Analphabetenrate bei Frauen im Irak bei 28,2% und ist damit etwa doppelt so hoch wie jene von Männern und Buben (13%) (UN Women 12.2018). In ländlichen Gebieten ist die Einschulungsrate für Mädchen weit niedriger als jene für Buben (GIZ 1.2020b).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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