TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/11 I403 2236403-1

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Veröffentlicht am 11.11.2020
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Entscheidungsdatum

11.11.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I403 2236403-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, StA. Libyen, vertreten durch RA Dr. Gregor KLAMMER, Lerchenfelder Gürtel 45/11, 1160 Wien, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.09.2020, Zl. XXXX, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Libyen, reiste am 04.02.2020 auf dem Luftweg mit einem Schengen-Visum der Kategorie C in das Bundesgebiet ein.

Am 27.04.2020 stellte er einen Antrag auf internationalen Schutz, welchen er im Wesentlichen damit begründete, sich jeden Abend mit Freunden in einem Café getroffen und hierbei in der Öffentlichkeit Lösungsansätze gegen das in Libyen bestehende Milizsystem diskutiert zu haben. Man habe den Beschwerdeführer und seine Freunde beschuldigt, Jugendliche gegen das Regime sowie den Staat aufzustacheln. Am Abend des 30.01.2020 habe sich der Beschwerdeführer gerade auf der Toilette des Café befunden, als vier bewaffnete Milizangehörige gekommen seien und einen seiner Freunde entführt hätten. Nach diesem Vorfall habe der Beschwerdeführer Angst bekommen, ebenfalls festgenommen zu werden und sich entschlossen, das Land zu verlassen. Nachträglich habe er erfahren, dass sein entführter Freund gefoltert und geschlagen worden sei und hierbei auch einige Namen, darunter jenen des Beschwerdeführers, preisgegeben habe.

Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA / belangte Behörde) vom 07.09.2020 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß „§ 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs.1 Z 13 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF“ abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß „§ 8 Abs. 1 AsylG“ wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.). Mit Spruchpunkt III. wurde dem Beschwerdeführer gemäß „§ 8 Abs. 4 AsylG“ eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer von einem Jahr erteilt.

Gegen Spruchpunkt I. des gegenständlich angefochtenen Bescheides wurde fristgerecht mit Schriftsatz vom 15.10.2020 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben. Die Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheides, mit welchen dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer von einem Jahr erteilt wurden, erwuchsen unangefochten in Rechtskraft.

Beschwerde und Bezug habender Akt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 28.10.2020 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:

1.1. Zur Person und zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos, Staatangehöriger von Libyen, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zum sunnitisch-moslemischen Glauben. Seine Identität steht fest.

Er ist gesund und erwerbsfähig.

Er lebte bis zu seiner Ausreise in Tripolis. Er besuchte insgesamt zwölf Jahre die Schule und fünf Jahre eine Universität, wo er einen Abschluss in Verwaltungs- und Finanzwissenschaften erlangt hat. Er bestritt seinen Lebensunterhalt als Buchhalter sowie Büroangestellter. Die Mutter, drei Brüder sowie fünf Schwestern des Beschwerdeführers halten sich nach wie vor in Tripolis auf und leben – mit Ausnahme einer Schwester – gemeinsam in einem dreistöckigen Haus, welches im Eigentum der Familie steht. Der Beschwerdeführer steht in regelmäßigem Kontakt zu seiner Mutter.

Bereits seit dem 02.10.2019 ist der Beschwerdeführer im Bundesgebiet hauptgemeldet. Er lebt in einem gemeinsamen Haushalt mit zwei Cousins, wobei ihn sein Onkel mütterlicherseits finanziell unterstützt.

Der Beschwerdeführer hatte bereits im Spätsommer 2019 bei der österreichischen Botschaft in Tunis die Erteilung eines Schengen-Visums der Kategorie C beantragt, welches ihm in weiterer Folge vom 25.09.2019 bis zum 19.10.2019 erteilt wurde. Am 26.09.2019 reiste er über den Flughafen Wien-Schwechat in das Bundesgebiet ein und am 10.10.2019, ebenfalls über den Flughafen Wien-Schwechat, wieder aus.

Am 15.11.2019 beantragte der Beschwerdeführer bei der österreichischen Botschaft in Tunis ein weiteres Schengen-Visum der Kategorie C. Ursprünglich hatte er bereits am 14.11.2019 bei der Fluggesellschaft "Tunisair" einen Flug von Tunis nach Wien für den 01.12.2019 und den Rückflug von Wien nach Tunis für den 27.02.2020 reserviert. Nach einem Verbesserungsauftrag der österreichischen Botschaft in Tunis aufgrund fehlender Unterlagen hinsichtlich der Visums-Erteilung änderte er die Reservierung am 04.12.2019 auf einen Hinflug von Tunis nach Wien für den 21.01.2020 und einen Rückflug von Wien nach Tunis für den 30.01.2020. Nachdem ihm das Visum letztlich mit einer Gültigkeit vom 21.01.2020 bis zum 20.04.2020 erteilt wurde, reiste er schlussendlich auf Grundlage dieses Visums erst am 04.02.2020 auf dem Luftweg über den Flughafen Wien-Schwechat in das Bundesgebiet ein, ehe er am 27.04.2020 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz einbrachte.

Er hält sich zum Entscheidungszeitpunkt auf Grundlage einer Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte, gültig bis zum 17.09.2021, rechtmäßig im Bundesgebiet auf.

Der Beschwerdeführer ist nicht aus Libyen geflüchtet, da er aufgrund regimekritischer Aktivitäten oder Äußerungen in der Öffentlichkeit der Gefahr einer staatlichen Verfolgung oder einer Verfolgung durch Milizen ausgesetzt ist. Das entsprechende Vorbringen ist nicht glaubhaft.

1.2. Zur Situation im Herkunftsstaat:

Zur aktuellen Situation in Libyen werden folgende Feststellungen getroffen, soweit sie für den vorliegenden Beschwerdefall von Relevanz sind:

Politische Lage

Der Sturz des langjährigen Staatschefs Muammar Gaddafi im Jahr 2011 führte zu einem Machtvakuum und zu Instabilität. Das Land ist zersplittert und seit 2014 in konkurrierende politische und militärische Fraktionen mit Sitz in Tripolis und im Osten des Landes geteilt (BBC 8.6.2020; vgl. ZDF 16.2.2020, USDOS 11.3.2020, FH 4.3.2020).

Zu den wichtigsten Führungspersönlichkeiten gehören Premierminister Fayez Sarraj, Chef der international anerkannten Regierung (Einheitsregierung, Government of National Accord, GNA) in Tripolis; Khalifa Haftar, Führer der Libyschen Nationalarmee (LNA), die einen Großteil des östlichen Libyens kontrolliert; Aghela Saleh, Sprecher des Repräsentantenhauses mit Sitz in der östlichen Stadt Tobruk; und Khaled Mishri, der gewählte Chef des Hohen Staatsrates in Tripolis (BBC 8.6.2020).

Libyen ist eine parlamentarische Republik (AA 16.3.2020). Die GNA hält Gebiete um die Hauptstadt Tripolis im Westen des Landes. Gegen sie kämpft General Haftar mit Verbündeten, die weite Teile des ölreichen Landes beherrschen (ZDF 16.2.2020; vgl. USDOS 11.3.2020, FH 4.3.2020) [Anm.: Details siehe Abschnitt 3. Sicherheitslage]. Libyen verfügt somit über zwei Zentren der Macht: den Präsidialrat unter al-Sarraj und die Behörden in Tobruk und al-Bayda, unter der Führung von General Khalifa Haftar, Kommandeur der LNA und selbsternannter Anti-Islamist (BS 2020). Weder die GNA noch Haftar wurden durch Wahlen legitimiert. Die De-facto-Behörden haben im östlichen Teil des Landes beispielsweise eine parallele Zentralbank und eine staatliche Ölgesellschaft eingerichtet (FH 4.3.2020).

Seit dem 3.8.2011 gilt eine übergangsmäßige „Verfassungserklärung“ bis zu einem Referendum über eine neue Verfassung. Mit dem am 17.12.2015 in Skhirat/Marokko unterzeichneten „Libyschen Politischen Abkommen“ wurde ein Präsidialrat als kollektives Staatsoberhaupt geschaffen, bestehend aus dem Vorsitzenden des Präsidialrats, fünf Stellvertretern und drei Ministern. Nach dem „Libyschen Politischen Abkommen“ ist der Vorsitzende des Präsidialrates Fayez Al Sarraj gleichzeitig als Premierminister Regierungschef (AA 16.3.2020).

Im Juli 2017 vereinbarten die rivalisierenden Seiten einen Waffenstillstand und die Abhaltung von Wahlen im Jahr 2018. Im Mai 2018 trafen sich die beiden Seiten in Paris, um einen Fahrplan für den Frieden zu unterzeichnen. Das Abkommen hat den Konflikt jedoch nicht gelöst, sondern stattdessen rekonfiguriert. Während der Konflikt im Jahr 2015 zwischen zwei rivalisierenden Regierungen ausgetragen wurde, verläuft er jetzt in erster Linie zwischen Befürwortern und Gegnern des von den Vereinten Nationen vermittelten Abkommens (BS 2020).

Der Islamische Staat (IS), der bis 2014 die Kontrolle über Al-Bayda und Benghazi, Sirte, al-Khums und sogar die Hauptstadt Tripolis übernommen hatte, wurde bis Ende 2016 erheblich geschwächt. Nach einem siebenmonatigen Kampf konnten Truppen der Einheitsregierung im Dezember 2016 Sirte als letzte Hochburg des IS räumen. Der IS ist jedoch weiterhin in Libyen aktiv, insbesondere aus „sicheren Häfen“ im unkontrollierten Süden des Landes (BS 2020; vgl. BBC 8.6.2020).

Ausländische Akteure sind in Libyen involviert. Eine Gruppe überwiegend westlicher Länder und der Türkei, unter Führung der Vereinigten Staaten setzt sich für die bedingungslose Unterstützung des Präsidialrats und der GNA ein, wobei sie dem Kampf gegen den IS und der Eindämmung der Ströme von Migranten, Flüchtlingen und Asylsuchenden über das Mittelmeer Vorrang einräumt. Eine zweite Gruppe, angeführt von Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Russland, räumt der Einheit der verbleibenden Armee - insbesondere der LNA von General Haftar - Priorität ein (BS 2020). Das zunehmende Maß an ausländischer Einmischung, Militärinterventionen und konkurrierenden Interessen hat zu einem Stillstand im politischen Prozess geführt. Russland und die Türkei sind nun die Hauptentscheidungsträger in Libyen, eine Dynamik, die die Bemühungen der EU und der UNO um eine Deeskalation des Konflikts und eine Annäherung zwischen den rivalisierenden politischen Einheiten Libyens an den Rand gedrängt und geschwächt hat (Garda 23.8.2020).

Im September 2020 kündigte der Premierminister der GNA Fajis al-Sarradsch seinen bevorstehenden Rücktritt an. Nur wenige Tage zuvor hatte der Regierungschef der Gegenregierung im Osten des Landes, Abdullah al-Thenni, seinen Rückzug erklärt. Zum Rückzug der beiden konkurrierenden Regierungschefs haben ähnliche Dynamiken beigetragen: In beider Einflussbereiche kam es in den Wochen davor immer wieder zu Protesten wegen steigenden Lebenshaltungskosten, den häufigen Unterbrechungen der Stromversorgung und der Treibstoffknappheit (SZ 17.9.2020)

Russland und die Türkei, die in Libyen jeweils Schutzmacht der rivalisierenden Kräfte sind, sind ihrerseits auf einem guten Weg zu einem Übereinkommen. Bereits im August hatten sowohl Serraj in Tripolis als auch der Sprecher des Parlaments im Osten des Landes einen Waffenstillstand ausgehandelt und zu Verhandlungen aufgerufen, daraufhin tagten Verhandlungsteams in Bouznika (Marokko) und Montreux (Schweiz). Sie einigten sich darauf, einen neuen Präsidialrat zu schaffen, der die Regierung über das gesamte Land übernehmen soll, und binnen 18 Monaten Neuwahlen abzuhalten. Gelingt es, bei weiteren Verhandlungen im Oktober die komplizierten Details dieser Einigung auszuhandeln, will Serraj noch im selben Monat abtreten (SZ 17.9.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (16.3.2020): Libyen: Steckbrief, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/libyen-node/steckbrief/219608, Zugriff 24.9.2020

-        BBC News (8.6.2020): Libya country profile, https://www.bbc.com/news/world-africa-13754897, Zugriff 24.9.2020

-        BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020: Libya, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_LBY.pdf, Zugriff 23.9.2020

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Libya, https://www.ecoi.net/en/document/2030888.html, Zugriff 24.9.2020

-        Garda World (23.8.2020): Libya Country Report – Overview, https://www.garda.com/crisis24/country-reports/libya, Zugriff 24.9.2020

-        SZ - Süddeutsche Zeitung (17.9.2020): Keiner will regieren, https://www.sueddeutsche.de/politik/libyen-keiner-will-regieren-1.5035159, Zugriff 24.9.2020

-        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Libya, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/LIBYA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 23.9.2020

-        ZDF - Zweites Deutsches Fernsehen (16.2.2020): Münchner Sicherheitskonferenz - "Europa muss zu Interventionen bereit sein", https://www.zdf.de/nachrichten/politik/aussenministertreffen-sicherheitskonferenz-libyen-100.html, Zugriff 24.9.2020

Sicherheitslage

Libyen ist seit der Revolution vom 17.2.2011 von einem Bürgerkrieg betroffen und hat einen beispiellosen Prozess des gewaltsamen Staatszerfalls erlebt (BS 2020). Die Lage ist in weiten Teilen des Landes sehr unübersichtlich und unsicher (AA 31.3.2020).

Ab April 2019 kam es im Großraum Tripolis und einigen weiteren Städten im Nordwesten Libyens vermehrt zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Kräften der international anerkannten Regierung des Nationalen Einvernehmens und Einheiten der sogenannten Libyschen Nationalen Armee. Auch in anderen Landesteilen kommt es immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen (AA 31.3.2020; vgl. MEAÉ 11.5.2020), insbesondere im Zentrum und im Süden des Landes (MEAÉ 11.5.2020). Mit türkischer Unterstützung konnte die GNA im Juni 2020 die LNA aus dem Großraum Tripolis vertreiben und die Kontrolle der LNA über Sirte und das Zentrum des Landes bedrohen (Garda 23.8.2020).

Im Bürgerkrieg zwischen Milizkoalitionen, die lose mit zwei großen konkurrierenden Regierungspolen verbunden sind (Garda 3.9.2020) wird mit wenig Rücksicht auf die Zivilbevölkerung operiert. Verschiedene bewaffnete Gruppen beschießen willkürlich Wohngebiete und üben auch kriminelle Aktivitäten aus, darunter Erpressung und andere Formen der Ausbeutung der Zivilbevölkerung (FH 4.3.2020; vgl. AA 31.3.2020).

Sporadische Zusammenstöße zwischen bewaffneten Gruppen können zu Kämpfen mit schweren Waffen führen, auch in städtischen Gebieten (MEAÉ 11.5.2020). Nichtstaatliche bewaffnete Gruppen, kriminelle Banden und terroristische Organisationen verüben gezielte Tötungen und Bombenanschläge sowohl gegen Regierungsbeamte als auch gegen Zivilisten (USDOS 11.3.2020; vgl. BS 2020). Es gibt viele Berichte über Opfer unter der Zivilbevölkerung als Folge der anhaltenden Feindseligkeiten. Durch Beschuss, Feuergefechte, Luftangriffe und nicht explodierte Sprengkörper kamen im Laufe des Jahres 2019 mehr als tausend Menschen, darunter auch Zivilisten, ums Leben (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020).

General Haftar und die Libysche Nationalarmee (LNA) haben sich in den Süden ausgedehnt, angeblich zum Schutz der Ölfelder, was zu einer Eskalation der Gewalt im bisher relativ ruhigen Fezzan geführt hat. Als Reaktion darauf haben die Tebu- und Tuareg-Stämme ein Bündnis unter der Einheitsregierung (GNA) geschlossen, um den Vormarsch der LNA zu stoppen (BS 2020). Vorübergehende Allianzen zwischen Regierungselementen, nichtstaatlichen Akteuren und ehemaligen oder aktiven Offizieren der Streitkräfte, die sich an extralegalen Kampagnen beteiligten, machen es schwierig, die Rolle der Regierung bei Angriffen bewaffneter Gruppen zu ermitteln (USDOS 11.3.2020).

Der Islamische Staat (IS) wurde bis Ende 2016 erheblich geschwächt, ist jedoch weiterhin in Libyen aktiv. Er operiert insbesondere aus „sicheren Häfen“ im unkontrollierten Süden des Landes (BS 2020; vgl. Garda 3.9.2020). Der IS bekannte sich im Laufe des Jahres 2019 zu verschiedenen Angriffen auf zivile und militärische Gebiete (USDOS 11.3.2020). In einigen Fällen operieren ausländische Söldner mit Unterstützung ihrer Heimatregierungen. Beispielsweise soll die Wagner-Gruppe Berichten zufolge bei der Offensive der LNA auf Tripolis Kommando- und Kontrollunterstützung geleistet haben, wobei es bei Scharfschützenbeschuss durch Wagner-Personal zu mehreren Opfern kam (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (31.3.2020): Libyen: Reisewarnung, https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/libyensicherheit/219624, Zugriff 22.9.2020

-        BBC News (8.6.2020): Libya country profile, https://www.bbc.com/news/world-africa-13754897, Zugriff 24.9.2020

-        BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020: Libya, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_LBY.pdf, Zugriff 23.9.2020

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Libya, https://www.ecoi.net/en/document/2030888.html, Zugriff 24.9.2020

-        Garda World (23.8.2020): Libya Country Report – Overview, https://www.garda.com/crisis24/country-reports/libya, Zugriff 24.9.2020

-        Garda World (3.9.2020): Libya Country Report – War Risks, Terrorism, https://www.garda.com/crisis24/country-reports/libya, Zugriff 24.9.2020

-        MD - Monde Diplomatique, le / Céline Marin (9.2020): Libya divided, https://mondediplo.com/maps/libya-divided, Zugriff 24.9.2020

-        MEAÉ - Ministère de l’Europe et des Affaires Étrangères [Außenministerium der Republik Frankreich] (11.5.2020): Conseils par pays - Libye, http://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays/libye/, Zugriff 23.9.2020

-        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Libya, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/LIBYA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 23.9.2020

Rechtsschutz / Justizwesen

Die Verfassungserklärung sieht ein unabhängiges Justizwesen vor und legt fest, dass jede Person das Recht hat, sich an das Justizsystem zu wenden. Die Verfassungserklärung sieht die Unschuldsvermutung und das Recht auf einen Rechtsbeistand vor, der dem Beschuldigten auf öffentliche Kosten zur Verfügung gestellt wird. Diese Standards werden weder von der Einheitsregierung (GNA) noch von nichtstaatlichen Akteuren erfüllt (USDOS 11.3.2020).

Das Justizsystem ist im Wesentlichen zusammengebrochen; die Gerichte sind in weiten Teilen des Landes nicht mehr funktionsfähig. In einigen Fällen haben informelle Streitbeilegungsmechanismen die Lücke gefüllt (FH 4.3.2020; vgl. BS 2020). Richter, Anwälte und Staatsanwälte sehen sich häufigen Bedrohungen und Angriffen ausgesetzt (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020, AI 18.2.2020, BS 2020). Seit der Revolution von 2011 wird das Recht der Bürger auf einen fairen Prozess und ein ordnungsgemäßes Verfahren durch die anhaltende Einmischung bewaffneter Gruppen und die Unfähigkeit, Zugang zu Anwälten und Gerichtsdokumenten zu erhalten, infrage gestellt (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

Milizen und halboffizielle Sicherheitskräfte führen regelmäßig ungestraft willkürliche Verhaftungen, Inhaftierungen und Einschüchterungen durch (FH 4.3.2020; vgl. BS 2020).Tausende Gefangene haben keinen Zugang zu Anwälten und Informationen über die gegen sie erhobenen Anklagen (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020, AI 18.2.2020). Die insgesamt mangelnde Sicherheitslage behindert die Rechtsstaatlichkeit weiter. Zivil- und Militärgerichte arbeiteten, je nach örtlicher Sicherheitslage, sporadisch; insbesondere in den von anhaltenden Feindseligkeiten betroffenen Gebieten und im Süden des Landes (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

-        AI - Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019; Libya, https://www.ecoi.net/en/document/2025836.html, Zugriff 24.9.2020

-        BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020: Libya, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_LBY.pdf, Zugriff 23.9.2020

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Libya, https://www.ecoi.net/en/document/2030888.html, Zugriff 24.9.2020

-        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Libya, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/LIBYA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 23.9.2020

Sicherheitsbehörden

Milizen, bewaffnete Gruppen und Sicherheitskräfte, die der von den Vereinten Nationen unterstützten Einheitsregierung (Government of National Accord – GNA) unter Führung von Premierminister Fayez al-Sarraj mit Sitz in Tripolis bzw. der selbsternannten Libyschen Nationalarmee (LNA) unter Führung von General Khalifa Haftar, die der Übergangsregierung im Osten Libyens angeschlossen sind, operieren weiterhin außerhalb der Rechtsstaatlichkeit (AI 18.2.2020).

Die GNA hat nur eine begrenzte effektive Kontrolle über die Sicherheitskräfte, die aus einer Mischung aus semi-regulären Einheiten, nichtstaatlichen bewaffneten Stammesgruppen und zivilen Freiwilligen bestehen. Die nationale Polizei, die dem Innenministerium untersteht, ist offiziell für die innere Sicherheit zuständig. Für die Außenverteidigung sind hauptsächlich die dem Verteidigungsministerium unterstellten Streitkräfte zuständig, aber sie unterstützen auch die Kräfte des Innenministeriums in Fragen der inneren Sicherheit. Zivile Behörden haben nur eine nominelle Kontrolle über die Polizei und den Sicherheitsapparat und die Polizeiarbeit fällt im Allgemeinen in den Zuständigkeitsbereich verschiedener informeller bewaffneter Gruppen, die Gehälter von der Regierung erhalten und die Strafverfolgung ohne formelle Ausbildung oder Aufsicht und mit unterschiedlichem Grad von Rechenschaftspflicht ausüben (USDOS 11.3.2020).

Im Laufe des Jahres 2019 verschärften sich die Konflikte zwischen bewaffneten nichtstaatlichen Gruppen, die mit der GNA verbündet sind, und anderen nichtstaatlichen Akteuren. Die LNA übt in wechselndem Umfang Kontrolle über den größten Teil des libyschen Territoriums aus. Informelle nichtstaatliche bewaffnete Gruppen füllen das Sicherheitsvakuum im ganzen Land. Einige dieser Gruppen schlossen sich im Westen des Landes der GNA an, um Zugang zu staatlichen Ressourcen zu erhalten (USDOS 11.3.2020).

Milizen, bewaffnete Gruppen und Sicherheitskräfte begehen schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, einschließlich Kriegsverbrechen (AI 18.2.2020). Die Fähigkeit und Bereitschaft der Regierung, Missbräuche zu untersuchen oder strafrechtlich zu verfolgen, ist stark eingeschränkt (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

-        AI - Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019; Libya, https://www.ecoi.net/en/document/2025836.html, Zugriff 24.9.2020

-        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Libya, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/LIBYA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 23.9.2020

Folter und unmenschliche Behandlung

Die Verfassungserklärung und nach-revolutionäre Gesetzgebung verbietet Folter (USDOS 11.3.2020). Folter und andere Misshandlungen sind in Gefängnissen, Haftanstalten und inoffiziellen Haftanstalten jedoch weit verbreitet (AI 18.2.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Bewaffnete Gruppen, von denen sich einige der Einheitsregierung (GNA) oder der Übergangsregierung angeschlossen haben, führen außergerichtliche Hinrichtungen, Entführungen, Folter und erzwungenes Verschwindenlassen durch (HRW 14.1.2020). Es gibt Berichte über grausame und erniedrigende Behandlung in staatlichen und extralegalen Haftanstalten, darunter Schläge, Verabreichung von Elektroschocks, Verbrennungen und Vergewaltigungen (USDOS 11.3.2020; vgl. AI 18.2.2020).

Quellen:

-        AI - Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019; Libya, https://www.ecoi.net/en/document/2025836.html, Zugriff 24.9.2020

-        HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Libya, https://www.ecoi.net/en/document/2022716.html, Zugriff 23.9.2020

-        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Libya, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/LIBYA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 23.9.2020

Korruption

Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Beamte wegen Korruption vor (USDOS 11.3.2020). Der Inlandskonflikt und die Schwäche der öffentlichen Institutionen untergraben die Umsetzung des Gesetzes (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 4.3.2020). Korruption ist weit verbreitet (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Es fehlen grundlegende Mechanismen zur Verfolgung von Korruption bei Polizei und Sicherheitskräften (USDOS 11.3.2020).

Im Index der Korruptionswahrnehmung (CPI, Corruptions Perception Index) von Transparency International für das Jahr 2019 liegt Libyen auf Rang 168 von 180 untersuchten Staaten (TI 23.1.2020). Instabilität, Terrorismus, Krieg und Konflikte sind Gründe, warum Libyen am unteren Ende des Index’ verbleibt (TI 29.1.2019).

Quellen:

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Libya, https://www.ecoi.net/en/document/2030888.html, Zugriff 24.9.2020

-        TI - Transparency International (23.1.2020): Corruption Perceptions Index 2019 – Full Data Set, https://images.transparencycdn.org/images/2019_CPI_FULLDATA.zip, Zugriff 24.9.2020

-        TI - Transparency International (29.1.2019): Middle East & North Africa: corruption continues as institutions and political rights weaken, https://www.transparency.org/en/news/regional-analysis-mena, Zugriff 24.9.2020

-        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Libya, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/LIBYA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 23.9.2020

Allgemeine Menschenrechtslage

Libyen wird seit einem bewaffneten Volksaufstand im Jahr 2011, bei dem der langjährige Diktator Mu'ammar al-Qaddafi abgesetzt wurde, von internen Spaltungen und zeitweiligen Bürgerkriegen heimgesucht. Internationale Bemühungen, rivalisierende Verwaltungen in einer Einheitsregierung zusammenzuführen, sind gescheitert, und die Einmischung regionaler Mächte hat die jüngsten Kämpfe verschärft. Die Verbreitung von Waffen und autonomen Milizen, blühende kriminelle Netzwerke und die Präsenz extremistischer Gruppen haben allesamt zur mangelnden physischen Sicherheit im Lande beigetragen (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Die anhaltende Gewalt hat Hunderttausende von Menschen vertrieben und die Menschenrechtslage hat sich stetig verschlechtert (FH 4.3.2020; vgl. BS 2020). Milizen, bewaffnete Gruppen und Sicherheitskräfte begehen schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, darunter auch Kriegsverbrechen (AI 18.2.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

Nach 2011 erlebte Libyen ein Wiederaufleben zivilgesellschaftlicher Aktivitäten, die 42 Jahre lang unterdrückt wurden. Zivilgesellschaftliche Organisationen sind weiterhin präsent und konzentrieren sich in erster Linie auf humanitäre Hilfe. Ihre Zahl ist seit 2014 zurückgegangen. Aufgrund gezielter Angriffe auf Aktivisten der Zivilgesellschaft sind jedoch viele von ihnen geflohen und operieren aus dem Ausland (BS 2020).

Milizen, bewaffnete Gruppen und Sicherheitskräfte unterdrücken die Meinungsfreiheit, indem sie Politiker, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger und andere Aktivisten schikanieren, entführen und angreifen. Die libyschen Behörden schützen Frauen nicht vor geschlechtsspezifischer Gewalt durch Milizen und bewaffnete Gruppen (AI 18.2.2020; vgl. FH 4.3.2020, USDOS 11.3.2020). Gemäß Strafgesetzbuch wird die sexuelle Betätigung zwischen Angehörigen des gleichen Geschlechts mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft. Sexuelle Minderheiten sind mit schwerer Diskriminierung und Belästigung konfrontiert und wurden von militanten Gruppen ins Visier genommen (FH 4.3.2020; vgl. AI 18.2.2020, USDOS 11.3.2020).

Ausländische Staatsangehörige, die auf dem Weg nach Europa als Asylsuchende und Migranten durch Libyen reisen, sind Erpressung, Folter, Entführung und sexueller Gewalt durch kriminelle Banden ausgesetzt, die in Schmuggel und Menschenhandel verwickelt sind (BS 2020; vgl. AI 18.2.2020, USDOS 11.3.2020).

Quellen:

-        AI - Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019; Libya, https://www.ecoi.net/en/document/2025836.html, Zugriff 24.9.2020

-        BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020: Libya, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_LBY.pdf, Zugriff 23.9.2020

-        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Libya, https://www.ecoi.net/en/document/2030888.html, Zugriff 24.9.2020

-        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Libya, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/LIBYA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 23.9.2020

Haftbedingungen

Überbelegte Gefängnisse, in denen harte und lebensbedrohende Haftbedingungen herrschen, entsprechen nicht internationalen Standards. Viele Gefängnisse befinden sich nicht unter der Kontrolle der Regierung. Berichten zufolge gibt es keine Jugendstrafanstalten im Land und die Behörden halten Jugendliche in Gefängnissen für Erwachsene fest, wenn auch manchmal in getrennten Abschnitten. Oft gibt es getrennte Einrichtungen für Männer und Frauen (USDOS 11.3.2020; vgl. HRW 14.1.2020). Die Strafvollzugsbehörden, die oft nur nominell der einen oder anderen rivalisierenden Regierung unterstellt sind, halten weiterhin Tausende von Gefangenen ohne Anklage in langfristiger willkürlicher Haft (HRW 14.1.2020).

Quellen:

-        HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Libya, https://www.ecoi.net/en/document/2022716.html, Zugriff 23.9.2020

-        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Libya, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/LIBYA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 23.9.2020

Todesstrafe

Im Strafgesetz bestehen 30 Paragraphen, welche die Todesstrafe vorsehen. Seit 2010 wurde kein Todesurteil vollstreckt (HRW 12.1.2017; vgl. DPW 17.9.2020). Im Jahr 2019 wurden keine Todesurteile verhängt; im Jahr davor 45 (AI 21.4.2020).

Quellen:

-        AI - Amnesty International (21.4.2020): Death sentences and executions 2019, https://www.amnesty.org/download/Documents/ACT5018472020ENGLISH.PDF, Zugriff 23.9.2020

-        HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Libya, https://www.ecoi.net/en/document/2022716.html, Zugriff 23.9.2020

-        DPW - Death Penalty Worldwide (17.9.2020): Death Penalty Database – Libya; Annual Number of Reported Executions, https://dpw.pointjupiter.co/country-search-post.cfm?country=Libya, Zugriff 23.9.2020

Bewegungsfreiheit

Die Verfassung gewährleistet Bewegungsfreiheit, inklusive Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung. Gesetzlich ist die Regierung dazu befugt, die Bewegungsfreiheit einer Person einzuschränken, wenn diese nach Ansicht der Behörde eine „Bedrohung der öffentlichen Sicherheit und Stabilität“ darstellt, basierend auf „früheren Handlungen oder Verbindungen zum ehemaligen Regime“ der betreffenden Person. Es gibt Berichte, dass bewaffnete Gruppen, die Flughäfen innerhalb des Landes kontrollierten, stichprobenartige Kontrollen von abfliegenden nationalen und internationalen Reisenden durchführen, da das Land kein einheitliches Zoll- und Einwanderungssystem besitzt (USDOS 11.3.2020).

Die Reisefreiheit im Inland ist eingeschränkt (BS 2020). Reisen im Land ist durch Kampfhandlungen vielerorts weiterhin sehr gefährlich, dazu kommen schlechte bzw. unbefestigte Straßen und mangelnde Sicherheitsstandards von Fahrzeugen, die zu einer hohen Unfallrate führen (AA 31.3.2020; vgl. MAE 7.8.2020, Garda 5.4.2019). Die Infrastruktur im Land hat unter den Kriegswirren erheblich gelitten. In den Städten und auf den Hauptverbindungsstraßen wie insbesondere die wichtigste Verbindungsstrecke von West nach Ost entlang der Küste gibt es eine Vielzahl militärischer Kontrollposten der Sicherheitsbehörden und bewaffneter Milizen, die umfassende und häufig willkürliche Kontrollen durchführen. Überlandstraßen und Autobahnen wie auch Grenzübergänge sind zeitweise gesperrt (AA 31.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

Die wichtigsten Flughäfen (z.B. der internationale Flughafen von Tripolis, der derzeit wiederaufgebaut wird) wurden in den letzten Jahren durch Kämpfe schwer beschädigt. Es gibt Verbesserungen bei den Inlands- und internationalen Flügen, die jetzt vom internationalen Flughafen Benina in Benghazi aus durchgeführt werden. Der Hauptzugang nach Tripolis erfolgt über Flüge von Tunesien zum Flughafen Mitiga mit begrenzter Kapazität. Die Kämpfe in diesem Gebiet haben jedoch wiederholt zur zeitweiligen Schließung des Flughafens geführt (Garda 5.4.2019; vgl. MAE 7.8.2020, MEAÉ 11.5.2020, AA 31.3.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (31.3.2020): Libyen: Reisewarnung, https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/libyensicherheit/219624, Zugriff 22.9.2020

-        BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020: Libya, https://www.bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_LBY.pdf, Zugriff 23.9.2020

-        Garda World (5.4.2019): Libya Country Report – Transportation, https://www.garda.com/crisis24/country-reports/libya, Zugriff 23.9.2020

-        MAE - Ministerio degli Affari Esteri e della Cooperazione Internazionale [Außenministerium der Republik Italien] (7.8.2020): Viaggiare Sicuri Informatevi – Libia, http://www.viaggiaresicuri.it/country/LBY, Zugriff 23.9.2020

-        MEAÉ - Ministère de l’Europe et des Affaires Étrangères [Außenministerium der Republik Frankreich] (11.5.2020): Conseils par pays - Libye, http://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays/libye/, Zugriff 23.9.2020

-        USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Libya, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/LIBYA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 23.9.2020

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in die zitierten Länderberichte zu Libyen.

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Ergänzend wurden Auszüge aus dem Informationsverbund zentrales Fremdenregister und dem zentralen Melderegister eingeholt.

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Identität des Beschwerdeführers steht aufgrund seines im Original in Vorlage gebrachten libyschen Führerscheins Nr. XXXX fest. Überdies hatte er sich bereits bei seiner erstmaligen behördlichen Meldung im österreichischen Bundesgebiet vor der Meldebehörde, wie sich aus einer Abfrage im zentralen Melderegister ergibt, mit seinem (sich überdies in Kopie im Akt befindlichen) libyschen Reisepass Nr. XXXX ausgewiesen. Im gegenständlichen Asylverfahren gab der Beschwerdeführer unter Vorlage einer Verlustmeldung des "Fundservice" eines Wiener Bezirksamtes an, seinen Reisepass nach seiner letztmaligen Einreise in das Bundesgebiet verloren zu haben.

Die Feststellungen zu seiner Herkunft, seiner Bildung und Berufserfahrung, seinem Gesundheitszustand, seiner Erwerbsfähigkeit, seinen Lebensumständen, seinen Familienverhältnissen, seiner Volksgruppenzugehörigkeit sowie zu seiner Konfession ergeben sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren.

Die durchgehende Hauptmeldung des Beschwerdeführers im Bundesgebiet seit 02.10.2019 ergibt sich aus einer Abfrage im zentralen Melderegister der Republik, wobei er stets – mit Ausnahme einer Unterbrechung von vierzehn Tagen, in welchen er sich in einer Asylwerberunterkunft aufgehalten hat – in Privatunterkünften gelebt hat, bei denen offenbar sein Onkel als Unterkunftgeber aufscheint. Dass sein in Österreich lebender Onkel ihn überdies finanziell unterstützt, ergibt sich aus einem im Verfahren in Vorlage gebrachten Bestätigungsschreiben von diesem, wonach er für alle Wohnkosten des Beschwerdeführers aufkomme und ihm überdies bei der Bestreitung seines Lebensunterhaltes behilflich sei (AS 219).

Die Feststellungen zu den zwei dem Beschwerdeführer erteilten Schengen-Visa der Kategorie C ergeben sich aus einer Abfrage im Informationsverbund zentrales Fremdenregister in Zusammenschau mit den im Akt enthaltenen Visa-Unterlagen, aus welchen u.a. auch die seitens des Beschwerdeführers reservierten Flüge zwischen Tunis und Wien hervorgehen.

Die vorangegangene Ein- und Ausreise des Beschwerdeführers über den Flughafen Wien-Schwechat am 26.09.2016 bzw. am 10.10.2019 ergibt sich aus betreffenden, sich in Kopie im Akt befindlichen Ein- und Ausreisestempeln in seinem Reisepass (AS 125).

Die Feststellung bezüglich der befristeten Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 17.09.2021 ergibt sich aus dem Inhalt des angefochtenen Bescheides in Zusammenschau mit einer Abfrage im Informationsverbund zentrales Fremdenregister.

2.2. Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer begründete seinen verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz vor der belangten Behörde im Wesentlichen damit, dass die Milizen in Libyen „Diebe und Verbrecher“ seien und er Angst vor diesen habe. Er habe sich täglich abends mit einigen Freunden in einem Café getroffen und hierbei über die Situation in Libyen gesprochen sowie Lösungsansätze diskutiert, um die Milizen im Staat loszuwerden. Während eines abendlichen Treffens in besagtem Café am 30.01.2020 sei der Beschwerdeführer kurz auf die Toilette gegangen, als er plötzlich gehört habe, dass es draußen laut geworden sei. Beim Verlassen der Toilette habe er vier bewaffnete und maskierte Milizangehörige gesehen, wobei zwei von ihnen einen seiner Freunde namens T. mitgenommen hätten. Der Beschwerdeführer habe sich hierbei stets im Bereich der Toilette versteckt gehalten, sodass die Milizangehörigen ihn nicht gesehen hätten. Zu Hause habe er mit seiner Mutter über den Vorfall gesprochen und habe Angst gehabt, dass er ebenfalls festgenommen werde. Daraufhin habe er sich entschlossen, das Land zu verlassen. Von Tunesien aus habe er noch seinen Freund M. angerufen, welcher mit der Regierung zusammenarbeiten würde und diesen zum Verbleib seines entführten Freundes T. befragt. M. habe dem Beschwerdeführer hierbei mitgeteilt, dass T. gefoltert und geschlagen worden sei und einige Namen, darunter auch jenen des Beschwerdeführers, preisgegeben habe. Der Grund für die Entführung und Folter von T. sei, dass man den Beschwerdeführer und seine Freunde beschuldige, Jugendliche gegen das Regime in Libyen sowie gegen den Staat aufzustacheln (AS 243f).

Das Bundesverwaltungsgericht gelangt wie bereits die belangte Behörde zum Schluss, dass das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers nicht glaubhaft ist. Dies aufgrund folgender Erwägungen:

Eingangs ist festzuhalten, dass das gesamte Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner Fluchtgründe über die bloße Behauptungsebene nicht hinausgeht und durch keinerlei Bescheinigungsmittel untermauert werden konnte.

Darüber hinaus gestaltete sich sein Vorbringen nicht stringent. So behauptete er im Rahmen seiner Erstbefragung in Widerspruch zu seinen nachfolgenden Angaben im Verfahren, er sei deshalb geflohen, da er geglaubt habe, sein Freund T. werde unter Folter seinen Namen preisgeben (AS 13), während er vor der belangten Behörde ausdrücklich angab, diesen Umstand erst nach seiner Ausreise von Tunesien aus erfragt zu haben (AS 244). Darüber hinaus behauptete er in der Erstbefragung, T. sei von der Miliz „Tuwar Tripolis“ entführt worden, während er vor dem BFA auf die konkrete Aufforderung, umfassende Angaben zu den Milizen zu machen, wiederum replizierte, es gebe zwei Milizen mit den Namen „Al Musrat Rebellen“ und „Rebellen von Tarablus“ (AS 246). Wenngleich das Bundesverwaltungsgericht nicht verkennt, dass die polizeiliche Erstbefragung eines Asylwerbers im Sinne des § 19 AsylG 2005 insbesondere der Ermittlung seiner Identität und Reiseroute dient und sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat, sind offenkundige Abweichungen im Kern des Fluchtvorbringens nicht zugunsten der Glaubhaftigkeit seiner Angaben auszulegen und diesbezüglich beweiswürdigende Erwägungen auch im Lichte der höchstgerichtlichen Judikatur zulässig (vgl. zuletzt VwGH 21.11.2019, Ra 2019/14/0429 mwH). Bemerkenswert ist überdies, dass der Beschwerdeführer im Rahmen einer schriftlichen Stellungnahme an die belangte Behörde vom 13.07.2020 wiederum abweichend angab, Soldaten der GNA (Anm.: Government of National Accord; die international anerkannte offizielle Regierung Libyens) hätten T. entführt (AS 257), während er in seiner Einvernahme noch ausdrücklich behauptet hatte, es habe sich um maskierte, bewaffnete Zivilisten gehandelt (AS 245).

Ungeachtet der aufgezeigten Widersprüche erwiesen sich die Schilderungen des Beschwerdeführers darüber hinaus als äußerst oberflächlich und ließen alle Realkriterien, wie sie für Erzählungen von selbst wahrgenommenen Ereignissen typisch sind - etwa eigene Gefühle oder auch nur unwesentliche Details oder Nebenumstände – vermissen. Wiederholte, konkrete Nachfragen des Einvernahmeleiters beantwortete der Beschwerdeführer durchwegs ausweichend und mit kurzen Stehsätzen, wie nachfolgender Auszug aus dem Einvernahmeprotokoll exemplarisch veranschaulicht (AS 245f):

„F (Anm.: Frage): Was war das Motiv der Entführung von T.?

A (Anm.: Antwort): Unsere Idee war, dass jeder in seinem Ort eine Privatpolizei macht und wir dort eine Blockade wie einen Checkpoint errichten, damit die Gegner dort nicht hineinkommen.

F: Diese Erklärung erscheint besonders vage und unkonkret. Erzählen Sie über diese Pläne bitte umfangreich und detailliert.

A: Es gibt im Ort eine Ausfahrt und Einfahrt, und bei der Einfahrt wollten wir Blockaden errichten, damit die Gegner nicht hineinkommen. Es war nur eine Idee, wir haben nichts davon umgesetzt.

F: Mehr können Sie mir darüber nicht berichten? Ist dass das vollständige Motiv der Entführung des T. gewesen?

A: Das war die Erklärung, es tut mir leid. Wir wollten in unseren Bezirken in Tripolis mehr Sicherheit erreichen und gegen diese Milizen agieren. Wir wollten dann mit den Jugendlichen sprechen, das war unser Plan.

F: Sie waren bisher Büroangestellter und Buchhalter. Wieso also wären ausgerechnet Sie vom Interesse für den libyschen Staat?

A: Kein Mensch akzeptiert, dass Leute vor deinen Augen getötet werden. Keiner akzeptiert was diese Milizen mit uns machen.

F: Machen Sie bitte umfassende Angaben zu den Milizen!

A: Die eine Miliz heißt „Al Musrat Rebellen“ und die andere heißt „Rebellen von Tarablus“.“

Ein derart vages, oberflächliches und widersprüchliches Vorbringen reicht nicht aus, um glaubhaft zu machen, dass der Beschwerdeführer tatsächlich in Libyen der Gefahr einer individuell gegen seine Person gerichteten Verfolgung ausgesetzt ist und ist vielmehr davon auszugehen, dass er seinen Herkunftsstaat aus wirtschaftlichen Erwägungen und/oder aufgrund der unstreitig volatilen Sicherheitslage verlassen hat.

Sofern in der Beschwerde vorgebracht wird, die Angaben des Beschwerdeführers hätten sich deshalb vage und oberflächlich gestaltet, da es sich um „keine wichtigen Besprechungen“ in dem Café gehandelt habe und auch nicht konkret geplant gewesen sei, an bestimmten Orten Sperren zu errichten oder eine „Privatpolizei“ aufzubauen, dies sei lediglich „Gerede unter Freunden“ gewesen (AS 332), erscheint es umso weniger nachvollziehbar, weshalb eine Miliz T. aufgrund eines unwichtigen „Geredes unter Freunden“ entführen und foltern hätte sollen oder der Beschwerdeführer selbst aufgrund dessen nunmehr der Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt sei.

Hinsichtlich des Beschwerdevorbringens, wonach der Beschwerdeführer Glück gehabt habe, bereits mit einem zuvor erlangten Visum aus Libyen ausreisen und hierbei mehrere Checkpoints nach Tunesien passieren zu können, vermutlich bevor „irgendwelche Fahndungsmaßnahmen“ gegen ihn eingeleitet worden seien (AS 333), so erscheint für das Bundesverwaltungsgericht im Falle einer zeitnahen Ausreise zu den behaupteten ausreisekausalen Fällen zwar schlüssig, dass zu diesem Zeitpunkt wohl noch nicht nach dem Beschwerdeführer gefahndet worden sei, doch ändert dies nichts an dem Umstand, dass seine ausdrückliche Behauptung, er habe sich nach der Entführung von T. am 30.01.2020 entschlossen, Libyen zu verlassen (AS 244), bereits angesichts der Beantragung seines (zweiten) Schengen-Visums am 15.11.2019 und seinen Flugreservierungen von Tunis nach Wien für den 01.12.2019 bzw. den 21.01.2020 objektivierbar den Tatsachen widerstreitet.

Es erscheint aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes bemerkenswert, dass der Beschwerdeführer bereits seit dem 02.10.2019 durchgehend in Österreich hauptgemeldet ist, sich ausgehend von den Ein- und Ausreisestempeln in seinem Reisepass vom 26.09.2019 bis zum 10.10.2019 in Österreich aufgehalten hat, am 15.11.2019 ein weiteres, ihm letztlich mit einer Gültigkeit vom 21.01.2020 bis zum 20.04.2020 erteiltes Schengen-Visum beantragte und nunmehr eine Woche nach Ablauf seines Visums – am 27.04.2020 – den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat. Die Chronologie dieser Ereignisse legt unweigerlich den Schluss nahe, dass dieser Asylantrag (letztlich erfolgreich) dem vorgefassten Ziel des Beschwerdeführers diente, seinen Aufenthalt in Österreich zu prolongieren und wiederum zu legalisieren. Er vermochte vor der belangten Behörde nämlich auch nicht schlüssig zu erklären, weshalb seine Antragstellung erst knapp drei Monate nach seiner Einreise in das Bundesgebiet erfolgte, indem er zunächst – neben „Corona“ – behauptete, er habe Angst um seine Familie in Libyen gehabt, sofern er in Österreich einen Asylantrag stelle und die staatlichen Behörden mit der Botschaft in Tripolis kommunizieren würden, und schließlich mit dem Vorhalt konfrontiert, ob diese Befürchtung denn drei Monate später nicht mehr bestanden habe, sinngemäß angab, dass er sich mit einer Gefährdung seiner Familie abgefunden und dennoch den Antrag eingebracht habe (AS 242).

Zusammengefasst gelangt das Bundesverwaltungsgericht somit zur Überzeugung, dass der Beschwerdeführer sein Fluchtvorbringen gedanklich konstruiert und nicht selbst wahrgenommen hat, sodass es ihm nicht gelungen ist, eine aktuelle, gegen seine Person gerichtete Verfolgungsgefahr, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen und waren daher die entsprechenden Feststellungen zu treffen.

2.3. Zu den Länderfeststellungen:

Zu den zur Feststellung der asylrelevanten Lage im Herkunftsstaat ausgewählten Quellen wird angeführt, dass es sich hierbei um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen, sowohl staatlichen als auch nicht-staatlichen Ursprungs handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten, von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen, diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um kritische Sachverhalte geht, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteinahme unterstellt werden kann. Zudem werden auch Quellen verschiedener Menschenrechtsorganisationen herangezogen, welche oftmals das gegenteilige Verhalten aufweisen und so gemeinsam mit den staatlich-diplomatischen Quellen ein abgerundetes Bild ergeben. Bei Berücksichtigung dieser Überlegungen hinsichtlich des Inhaltes der Quellen, ihrer Natur und der Intention der Verfasser handelt es sich nach Ansicht der erkennenden Richterin bei den Feststellungen um ausreichend ausgewogenes und aktuelles Material (vgl. VwGH 07.06.2000, Zl. 99/01/0210).

Der Beschwerdeführer trat den Quellen und deren Kernaussagen im Beschwerdeverfahren auch nicht substantiiert entgegen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

Zum Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1, Abschnitt A, Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Im Hinblick auf die behauptete Gefahr einer staatlichen Verfolgung des Beschwerdeführers in Libyen oder die Gefahr einer Verfolgung durch Milizen ist festzustellen, dass dieses Vorbringen, wie in der Beweiswürdigung unter Punkt A) 2.2. dargelegt, nicht glaubhaft ist. Ansonsten wurden keine weiteren Fluchtgründe geltend gemacht.

Dem Beschwerdeführer ist es damit im gesamten Verfahren nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen.

Aus diesen Gründen ist festzustellen, dass dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat Libyen keine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht und Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides zu bestätigen ist.

4. Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.

Eine mündliche Verhandlung kann unterbleiben, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungsrelevante Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Ferner muss die Verwaltungsbehörde die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung in seiner Entscheidung teilen. Auch darf im Rahmen der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht zu bleiben hat, wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. VwGH 28.05.2014, 2014/20/0017). Eine mündliche Verhandlung ist bei konkretem sachverhaltsbezogenem Vorbringen des Revisionswerbers vor dem VwG durchzuführen (vgl. VwGH 30.06.2015, Ra 2015/06/0050, mwN). Eine mündliche Verhandlung ist ebenfalls durchzuführen zur mündlichen Erörterung von nach der Aktenlage strittigen Rechtsfragen zwischen den Parteien und dem Gericht (vgl. VwGH 30.09.2015, Ra 2015/06/0007, mwN) sowie auch vor einer ergänzenden Beweiswürdigung durch das VwG (vgl. VwGH 16.02.2017, Ra 2016/05/0038). § 21 Abs. 7 BFA-VG 2014 erlaubt andererseits das Unterbleiben einer Verhandlung, wenn - wie im vorliegenden Fall - deren Durchführung in der Beschwerde ausdrücklich beantragt wurde, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint (vgl. VwGH 23.11.2016, Ra 2016/04/0085; 22.01.2015, Ra 2014/21/0052 ua). Diese Regelung steht im Einklang mit Art. 47 Abs. 2 GRC (vgl. VwGH 25.02.2016, Ra 2016/21/0022).

Die vorgenannten Kriterien treffen in diesem Fall zu. Der Sachverhalt ist durch die belangte Behörde vollständig erhoben und weist - angesichts des Umstandes, dass zwischen der Entscheidung durch die belangte Behörde und jener durch das Bundesverwaltungsgericht lediglich etwa zwei Monate liegen - die gebotene Aktualität auf. Der Beweiswürdigung durch die belangte Behörde hat sich das Bundesverwaltungsgericht zur Gänze angeschlossen. Das Beschwerdevorbringen erwies sich, wie unter der "Beweiswürdigung" ausgeführt, als unsubstantiiert. Es lagen keine strittigen Sachverhalts- oder Rechtsfragen vor und es waren auch keine Beweise aufzunehmen. Daher konnte aufgrund der Aktenlage entschieden werden.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte sohin gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Asylantragstellung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren begründete Furcht vor Verfolgung Fluchtgründe Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I403.2236403.1.00

Im RIS seit

29.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

29.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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