TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/13 W220 2015102-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.11.2020
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Entscheidungsdatum

13.11.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §18
BFA-VG §18 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1a

Spruch

W220 2015102-3/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Daniela UNTERER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.09.2020, ZI.: 831889008/190969518, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen und der Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides ergänzt, sodass dieser zu lauten hat:

„Es wird gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass Ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist.“

II. Der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wird als unzulässig zurückgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 22.12.2013 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, welcher mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.10.2014, Zl.: 831889008-2293527, als unbegründet abgewiesen wurde; unter einem wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung samt Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan erlassen.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29.06.2018, W186 2015102-1, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.06.2018, als unbegründet abgewiesen. In den Entscheidungsgründen wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer seine Angaben zu seinen Fluchtgründen (Verfolgung bzw. Bedrohung von unbekannten Männern als Spion der Regierung, seitdem er auf dem Schulweg eine Landmine entdeckt und dies der Polizei gemeldet habe) nicht glaubhaft gemacht habe und ihm selbst bei Wahrunterstellung eine innerstaatliche Fluchtalternative offenstehe, beispielsweise nach Kabul, da nicht angenommen werden könne, dass der Beschwerdeführer, der keine exponierte Persönlichkeit darstelle, in einer Millionenstadt von unbekannten Männern seiner Herkunftsprovinz gesucht würde. Dem Beschwerdeführer würde derzeit bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Baghlan ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen; der Beschwerdeführer habe jedoch nicht glaubhaft gemacht, dass ihm im Fall einer Rückkehr nach Kabul ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde oder er Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der Beschwerdeführer, der den Großteil seines bisherigen Lebens im Herkunftsland verbracht habe und dort prägend sozialisiert worden sei, sei gesund, im erwerbsfähigen Alter, verfüge über Schulbildung und habe bereits Arbeitserfahrung in der Landwirtschaft. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer sei zulässig. Zwar führe der Beschwerdeführer eine Beziehung zu einer polnischen Staatsangehörigen, erwarte mit dieser im September ein Kind und kümmere sich gelegentlich um ein Kind seiner Lebensgefährtin aus einer früheren Beziehung, doch habe sich der Beschwerdeführer beim Eingehen dieser Beziehung und der baldigen Geburt seines eigenen Kindes seines unsicheren und vorläufigen Aufenthaltsstatus bewusst sein müssen, weshalb diesen Bindungen ein abgeschwächter Stellenwert zukomme. Ein Eingriff in das Familienleben des Beschwerdeführers sei mangels Eheschließung sowie aufgrund des Umstandes, dass der Beschwerdeführer weder mit seiner Lebensgefährtin im gemeinsamen Haushalt lebe noch von ihr finanziell abhängig sei, zu verneinen; bezüglich des ungeborenen Kindes liege ein Eingriff in das Familienleben des Beschwerdeführers ebenfalls nicht vor, da familiäre Anknüpfungen nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte erst mit der tatsächlichen Geburt begründet würden. Der mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung verbundene Eingriff in das Privatleben sei aufgrund der strafrechtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers (nachdem der Beschwerdeführer versucht habe, als Mittäter Suchtgift, und zwar 630g Cannabiskraut, um 4.000,00 Euro sowie 150g MDMA und 30g Crystal Meth um 10.500,00 Euro an einen verdeckten Ermittler zu verkaufen: Verurteilung des Beschwerdeführers mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX 26.02.2016 wegen Suchtgifthandels nach § 15 StGB, § 28a Abs. 1 fünfter Fall SMG und § 28a Abs. 1 vierter Fall SMG unter Anwendung des § 28 StGB zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von neun Monaten, davon sieben Monate bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren) verhältnismäßig; das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet aufgrund der strafrechtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers, dem weiterhin bestehenden Kontakt zur „Drogenszene“ und der damit einhergehenden erhöhten Gefahr einer erneuten Straffälligkeit des Beschwerdeführers überwiege das persönliche Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet. Die gegen dieses Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29.06.2018, W186 2015102-1, erhobene außerordentliche Revision wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 10.09.2018, Ra 2018/20/0427, zurückgewiesen; der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der Beschwerde gegen das Erkenntnis das Bundesverwaltungsgerichtes mit Beschluss vom 25.09.2018, E 3255/2018, ab.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.09.2019 wurde über den Beschwerdeführer die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet und der Beschwerdeführer in Schubhaft genommen.

Am 23.09.2019 stellte der Beschwerdeführer im Stande der Schubhaft den gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Mit Aktenvermerk vom selben Tag hielt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl fest, dass im Sinn des § 76 Abs. 6 FPG Gründe zur Annahme bestünden, dass dieser Antrag auf internationalen Schutz zur Verzögerung und Vollstreckung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt worden sei und die Anhaltung in Schubhaft derzeit aufrecht bleibe.

Zu seinem zweiten Antrag auf internationalen Schutz vom 23.09.2019 wurde der Beschwerdeführer am selben Tag vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt und gab dabei zusammengefasst an, dass er seit einem Jahr Vater sei; seine Frau sei verstorben, das Sorgerecht habe seine Schwiegermutter. Er habe in Österreich als Vertrauensperson mit der Polizei zusammengearbeitet; zirka dreißig Menschen seien wegen dieser Zusammenarbeit aufgrund von Drogen gefasst worden; zudem habe der Beschwerdeführer bei den jeweiligen Gerichtsverfahren als Zeuge ausgesagt. Er sei von mehreren Beschuldigten, die wegen Drogen gefasst worden seien, bedroht worden; wenn er nach Afghanistan abgeschoben würde, fürchte er um sein Leben, da alle diese Männer Verwandte in Afghanistan hätten.

Am 01.10.2019 fand eine erste niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt. Dabei brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass er sich seit seiner erstmaligen Einreise nach Österreich im Jahr 2013 im österreichischen Bundesgebiet aufhalte. Seit dem Jahr 2017 arbeite er intensiv mit der Kriminalpolizei als Vertrauensperson zusammen; durch seine Informationen seien mindestens dreißig Personen teilweise mit größeren Mengen Rauschgift verhaftet worden. Einer der Verhafteten sei ein Afghane gewesen und verurteilt worden; dieser habe dem Beschwerdeführer bei der Verhandlung gesagt, dass er ihn umbringen würde, sobald er entlassen werde. Einige der verhafteten Personen würden zu einer großen Familie in Afghanistan gehören, die ihm sicher etwas antun würden. Von den anderen Verhafteten habe er über Dritte gehört, dass sie sich an ihm rächen würden. In Österreich habe er eine im September 2018 geborene Tochter polnischer Staatsangehörigkeit, die bei der Schwiegermutter des Beschwerdeführers wohne; mit der Mutter des Kindes sei er nur traditionell, nicht standesamtlich verheiratet gewesen. Er sei in der Geburtsurkunde des Kindes nicht als Vater eingetragen, da er keine afghanische Geburtsurkunde habe.

Am 20.09.2019 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag für unterstützte freiwillige Rückkehr nach Afghanistan.

Mit am 30.09.2019 mündlich verkündetem und am 06.12.2019 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, W250 2223701-1, wurden der oben genannte Schubhaftbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.09.2019 sowie die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft seit 19.09.2019 für rechtswidrig erklärt und wurde festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorliegen würden. In den Entscheidungsgründen wurde ausgeführt, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl von einer persönlichen Einvernahme des Beschwerdeführers abgesehen habe und die gebotene Einzelfallbeurteilung nicht durchgeführt worden sei, da offensichtlich die vom Beschwerdeführer im Rahmen seiner mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 06.06.2018 getätigten Aussagen, wonach der Beschwerdeführer mit seiner Freundin ein gemeinsames Kind erwarte und für das Bundeskriminalamt als Vertrauensperson registriert sei, nicht berücksichtigt worden seien; es liege daher ein wesentlicher Begründungsmangel vor. Eine Fortsetzung der Schubhaft erscheine nicht zulässig, da das erkennende Gericht davon ausgehe, dass der Beschwerdeführer seinen Antrag auf internationalen Schutz nicht ausschließlich in Verzögerungsabsicht gestellt habe.

Mit Stellungnahme vom 11.10.2019 brachte der Beschwerdeführer vor, dass die vom Bundesverwaltungsgericht im abweisenden Erkenntnis angenommene innerstaatliche Fluchtalternative in der Hauptstadt Kabul nicht mehr verfügbar sei; der maßgebliche Sachverhalt habe sich nach dem Erkenntnis geändert, weil er als Vertrauensmann bedroht worden sei. Einer Abschiebung würde sein Recht auf Kontakt mit seinem Kind und das Recht des Kindes auf Kontakt zu ihm verletzten und müsse er, weil seine Tochter polnische Staatsbürgerin sei, einen Aufenthaltstitel erhalten. Mit Stellungnahme vom 15.10.2019 (irrtümlich mit 14.10.2019 datiert) stellte er den Antrag auf seine neuerliche Einvernahme und auf Einholung eines Gutachtens zur Feststellung der Vaterschaft zur Tochter seiner verstorbenen Lebensgefährtin.

Mit Schreiben vom 04.11.2019 teilte die Großmutter der angeblichen Tochter des Beschwerdeführers dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit, dass ihr ein persönliches Erscheinen als Zeugin nicht möglich sei, weil sich ihre Enkelin einer Herzoperation unterziehen hätte müssen. Sie könne die Vaterschaft des Beschwerdeführers, den sie persönlich nicht kenne und der sich seit dem Tod ihrer Tochter um seine Enkelin nicht gekümmert hätte, nicht bestätigen.

Am 05.11.2019 fand eine weitere niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt, in welcher der Beschwerdeführer erklärte, dass er seine Tochter zuletzt nach seiner Schubhaftentlassung vor etwa einem Monat besucht habe. Zur Großmutter des Kindes habe er telefonischen Kontakt und könne er diese jederzeit besuchen. Auf den Vorhalt, dass der Rechtsanwalt der Genannten der Behörde schriftlich mitgeteilt habe, dass diese seit dem Tod ihrer Tochter keinen Kontakt mit dem Beschwerdeführer habe, seitens ihrer Tochter der Name des Beschwerdeführers nie gefallen sei und sie auch nicht bestätigten könne, dass der Beschwerdeführer der Vater des Kindes sei, vermeinte der Beschwerdeführer, er wisse nicht, weshalb der Anwalt dies geschrieben habe; er habe immer Kontakt zur Großmutter gehabt. Alimente zahle er nicht; zum Nachweis der Vaterschaft könne er einen Vaterschaftstest durchführen. Zu seinem Antrag auf freiwillige Rückkehr befragt, erklärte der Beschwerdeführer, dass er nicht nach Afghanistan zurückkehren wolle; dies sei vor der Beratung mit seinem Rechtsberater gewesen. Im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan würde der Beschwerdeführer von den Familien der Personen, die durch seine Zusammenarbeit mit der Polizei verurteilt worden seien, getötet werden. Im Anschluss an die Vernehmung des Beschwerdeführers hob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit mündlich verkündetem Bescheid den faktischen Abschiebeschutz des Beschwerdeführers gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 auf. Eine Gefährdung des Beschwerdeführers sei durch seine Tätigkeit als Vertrauensperson in Afghanistan nicht entstanden, weil er – nach seinen Aussagen – anonym ausgesagt hätte. Der Beschwerdeführer könne sich um seine angebliche Tochter, die bei ihrer Großmutter lebe, zu der er nur wenig Kontakt habe und keine Alimente zahle, nicht kümmern und könne kein Familienleben zu ihr festgestellt werden. Durch das Fehlverhalten des Beschwerdeführers, insbesondere seine strafrechtliche Verurteilung, wiege das öffentliche Interesse an einer Abschiebung schwerer als das persönliche Interesse des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.11.2019, W258 2015102-2, wurde festgestellt, dass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 und § 22 Abs. 10 AsylG 2005 iVm § 22 BFA-Verfahrensgesetz nicht rechtmäßig sei und der entsprechende Bescheid aufgehoben. Begründend wurde angeführt, dass die Beziehung des Kindes zum Beschwerdeführer unklar bleibe und hinsichtlich der Auswirkungen der Trennung des Kindes von seinem angeblichen Vater keine Feststellungen getroffen werden könnten. Da nicht ausgeschlossen werden könne, dass durch die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan ein etwaiges Familienleben iSd Art. 8 EMRK zwischen ihm und seiner angeblichen Tochter verletzt würde, sei der faktische Abschiebeschutz des Beschwerdeführers zu Unrecht aufgehoben worden.

Das Verfahren des Beschwerdeführers über seinen zweiten Antrag auf internationalen Schutz wurde in weiterer Folge zugelassen.

Mit Schreiben vom 02.12.2019 teilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 2 AsylG 2005 den Verlust seines Aufenthaltsrechts im Bundesgebiet wegen strafrechtlicher Verurteilung mit.

Am 09.09.2020 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl neuerlich niederschriftlich einvernommen. Der Beschwerdeführer gab dabei zusammengefasst an, dass er gesund sei. Er sei Hazara und Schiite und in Baghlan geboren, habe neun Jahre die Schule besucht und seinem Vater bei der landwirtschaftlichen Tätigkeit geholfen. Er habe eine Tochter, die bei ihrer Großmutter lebe; seine Schwiegermutter könne das beweisen. Sieben Monate habe er das Kind aufgezogen; die Großmutter habe gesagt, er solle das Kind zur Adoption freigeben, damit man für das Kind Familienbeihilfe beziehen könne. Seine „Frau“ sei am XXXX .2019 (nach Rückübersetzung: XXXX 2019) verstorben. Diese habe bereits einen Sohn gehabt, als der Beschwerdeführer sie kennengelernt habe. Der Beschwerdeführer habe von 2017 bis 2019 als Vertrauensperson gearbeitet, seinen Stiefsohn in den Kindergarten gebracht und zuletzt auf seine Tochter aufgepasst. Sein Kind habe er zuletzt im Juni einen Monat nach dem Tod seiner Frau gesehen, dann sei er festgenommen worden. Seine Tochter sei am XXXX .2018 oder 2019 geboren; nachgefragt sei sie am XXXX .2019 geboren. Der Beschwerdeführer habe kein Geld gehabt und seiner Tochter nichts kaufen können, aber sie zweimal gesehen. Wegen des ganzen Stresses habe er begonnen, Heroin zu konsumieren. Auf die Frage, weshalb seine Schwiegermutter jeglichen Kontakt zu ihm nach dem Tod seiner Frau verneine, erklärte der Beschwerdeführer, dass er nach dem Tod seiner Frau zwei Wochen jeden Tag bei den Kindern gewesen sei, weil die Familie mit der Bestattung beschäftigt gewesen sei. Danach habe seine Schwiegermutter gesagt, dass er auf sich selbst schauen solle, und sei der Beschwerdeführer festgenommen worden. Als er freigekommen sei, habe er versucht, sie zu besuchen, aber es sei niemand zu Hause gewesen. Danach sei der Beschwerdeführer heroinsüchtig geworden und habe sich nicht um die Kinder kümmern können. Mit seiner Frau sei er Ende 2015 zusammengekommen; er glaube, sie hätten dreieinhalb Jahre im gemeinsamen Haushalt gelebt. Unterhalt habe er nie bezahlt, das Sorgerecht habe seine Schwiegermutter. Der Beschwerdeführer habe nicht standesamtlich geheiratet, sondern sei es eine Kulturheirat gewesen; ein Mullah habe dies über das Telefon gemacht. 2017 habe der Beschwerdeführer angefangen, für ein Landeskriminalamt als Vertrauensperson zu arbeiten; in dieser Zeit seien einige Afghanen festgenommen worden, die ihn in Österreich bedroht hätten und ihn umbringen würden, falls sie ihn in Afghanistan erwischen würden; diese Personen hätten Familienangehörige in allen vierunddreißig Provinzen.

Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 18.09.2020, ZI.: 831889008/190969518, wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde ausgesprochen, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt VI.). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer keine Gefährdungslage in Afghanistan glaubhaft machen können habe; eine Rückkehr nach Mazar-e Sharif sei dem Beschwerdeführer möglich und zumutbar. In Österreich habe der Beschwerdeführer keine Verwandtschaft, gehe keiner Arbeit nach, sei zum Entscheidungszeitpunkt in Haft und sei zweimal rechtskräftig strafrechtlich verurteilt worden. Der Beschwerdeführer habe mit seinen zu den Verurteilungen führenden Taten (Suchtgifthandel, Diebstahl im Rahmen einer kriminellen Vereinigung) in besonders schwerwiegender Art und Weise gegen die öffentliche Ordnung und Sicherheit verstoßen. Mit seiner mittlerweile verstorbenen Lebensgefährtin sei der Beschwerdeführer nicht verheiratet gewesen; die behauptete Vaterschaft zu einer Tochter habe der Beschwerdeführer nicht belegen können und auch nicht glaubhaft gemacht. Der Beschwerdeführer habe im Hinblick auf sein Vorbringen, als Vertrauensmann, der mitgeholfen habe, Straftäter zu verurteilen, bedroht worden zu sein, weder die angeblichen Bedrohungen in Österreich noch eine Gefährdungslage in Afghanistan glaubhaft gemacht. Der Beschwerdeführer könne in der Stadt Mazar-e Sharif, die als relativ sicher bewertet würde, seinen Lebensunterhalt zumutbar bestreiten, zumal der Beschwerdeführer über Schulbildung und Arbeitserfahrung sowie über örtliche Kenntnisse in der Stadt verfüge, da er Mazar-e Sharif in seiner Kindheit regelmäßig besucht habe. Das individuelle Risiko des Beschwerdeführers, schwer oder tödlich an SARS-CoV-2 zu erkranken, sei sehr niedrig; ein „real risk“ einer Verletzung des Art. 3 EMRK drohe dem Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht. Hinsichtlich seiner strafrechtlichen Verurteilungen verspüre der Beschwerdeführer keinerlei Reue und stelle weiterhin eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar; die sofortige Umsetzung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme sei im Fall des Beschwerdeführers geboten.

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht in vollem Umfang erhoben und insbesondere vorgebracht, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die in der schriftlichen Ausfertigung vom 06.12.2019 des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes betreffend die Verhängung von Schubhaft über den Beschwerdeführer, W250 2223701-1, getroffenen Feststellungen ignoriert habe, wobei beispielsweise bereits die Vaterschaft des Beschwerdeführers festgestellt worden sei. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe es unterlassen, zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers adäquate Ermittlungen anzustellen; so liege dem Bescheid trotz mehrfach wiederholter, widerspruchsfreier Aussage sowie der gegenteiligen Feststellungen im genannten Erkenntnis die Annahme zugrunde, der Beschwerdeführer habe keine Kinder und sei nicht der Vater der genannten Minderjährigen. Der Beschwerdeführer habe sich bis zum Tod seiner Lebensgefährtin um seine Tochter gekümmert und habe sich der Beschwerdeführer nach dem Tod seiner Lebensgefährtin wieder seiner – überwunden zu haben geglaubten – Drogenabhängigkeit zugewandt. Auch seine Verurteilung wegen Ladendiebstahls sei auf seine Drogensucht zurückzuführen, da er sich zu dieser Straftat hinreißen lassen habe, um seinen Drogenkonsum zu finanzieren. Seit seiner Inhaftierung absolviere der Beschwerdeführer mit Erfolg eine Substitutionstherapie und wünsche sich, dass die Vaterschaft zu seiner Tochter festgestellt würde bzw. wolle er seiner Rolle als Kindesvater nachkommen. Die Mutter der verstorbenen Partnerin sei als Auskunftsperson zur Vaterschaft des Beschwerdeführers genannt, jedoch zu keinem Zeitpunkt mündlich einvernommen worden. Eine Anfragebeantwortung an deren Rechtsvertreterin, ob sie mit der Durchführung eines Vaterschaftstests einverstanden wäre, sei ausständig. Die Annahme der belangten Behörde, dass die Mutter der verstorbenen Lebensgefährtin des Beschwerdeführers (im Folgenden: D. M.) diesen nicht kenne, sei falsch; der Beschwerdeführer habe detaillierte Angaben gemacht, die auf ein damals intaktes Familienleben schließen lassen würden. Überdies sei an dieser Stelle auf den Inhalt des der Behörde vorgelegen Schreibens zu verweisen, wonach die Rechtsvertreterin der D. M., die diese auch im damaligen Obsorgeverfahren vertreten habe, mitgeteilt habe, dass das Obsorgeverfahren nunmehr abgeschlossen und daher davon auszugehen sei, dass D. M. einem Vaterschaftstest (anders als im laufenden Obsorgeverfahren, welches durch einen Vaterschaftstest verzögert worden wäre, was angesichts des Zustandes der D. M. nicht in deren Interesse gewesen wäre) nichts entgegenzusetzen habe. Auch sei im Rahmen eines Telefonates mitgeteilt worden, dass die Schwester der verstorbenen Partnerin des Beschwerdeführers im Zuge der Räumung der Wohnung auf Unterlagen des Beschwerdeführers gestoßen sei. Zum Beweis dafür, dass der Beschwerdeführer der leibliche Vater des Kindes (im Folgenden: minderjährige D. M.) sei, würde die Durchführung eines Vaterschaftstests beantragt. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe weiters unterlassen, Ermittlungen zu den vom Beschwerdeführer vorgebrachten Vorfällen, im Rahmen derer er von Afghanen mit dem Tod bedroht und auch gewaltsam angegriffen worden sei, zu tätigen; so hätte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in Kontakt mit den vom Beschwerdeführer genannten Polizeibeamten treten können, um die erfolgten Übergriffe zu überprüfen, und hätten die entsprechenden Unterlagen zu den angeführten Strafverfahren herangezogen werden müssen. Dem Bescheid würden adäquate Ausführungen zum mangelnden staatlichen Schutz vor Verfolgung durch Private in Afghanistan fernbleiben; die Schutzfähigkeit der afghanischen Behörden sei nicht gegeben, wie sich aus den zitierten Länderberichten ergebe. Aufgrund der unterschiedlichen geographischen Einflussbereiche der Familien, durch die Verfolgung drohe, bestünde Verfolgung im gesamten Land, inklusive der Großstädte. In Bezug auf das Einreiseverbot habe das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl keine Einzelfallprüfung vorgenommen, im Rahmen derer eine eigene Prognosebeurteilung anzustellen wäre; analog dazu sei auch die Begründung hinsichtlich der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung mangelhaft.

Mit Beschwerdeergänzung vom 29.10.2020 wurde die Antwort der D. M. auf die Anfrage, ob diese mit einem Vaterschaftstest einverstanden wäre, übermittelt; demzufolge würde D. M. einer freiwilligen Vaterschaftsfeststellung nicht zustimmen. Durch eine Reihe von nicht erwiesenen Vorwürfen zu Lasten des Beschwerdeführers (Gewalttätigkeiten sowohl gegenüber der verstorbenen Kindesmutter als auch deren Kindern) ergebe sich eindeutig, dass zwischen D. M. und dem Beschwerdeführer ein bekanntschaftliches Verhältnis bestehe. Es bestehe die berechtigte Annahme, dass der Beschwerdeführer der Vater der minderjährigen D. M. sei und bestätige das E-Mail auch, dass der Beschwerdeführer regelmäßig versucht habe, Kontakt zu seiner Tochter zu halten. Beantragt würden abermals die Durchführung eines Vaterschaftstestes zum Beweis dafür, dass der Beschwerdeführer der Vater der minderjährigen D. M. sei sowie zudem die zeugenschaftliche Einvernahme von D. M. zum Nachweis eines schützenswerten Familienlebens des Beschwerdeführers in Österreich sowie seiner Vaterschaft zur namensgleichen Tochter.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX ; seine Identität steht nicht fest. Er ist afghanischer Staatsangehöriger und der Volksgruppe der Hazara sowie der schiitischen Glaubensrichtung des Islam zugehörig.

Der Beschwerdeführer stammt aus der Provinz Baghlan, wo er geboren und aufgewachsen ist. Er hat Schulbildung im Umfang von neun Jahren absolviert und in der Landwirtschaft gearbeitet. Der Beschwerdeführer beherrscht die Sprachen Dari und Paschtu.

Der Beschwerdeführer stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 22.12.2013 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, welcher letztlich als unbegründet abgewiesen wurde; unter einem wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung samt Feststellung der Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Afghanistan erlassen (Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.10.2014, Zl.: 831889008-2293527; Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29.06.2018, W186 2015102-1, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.06.2018; Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 10.09.2018, Ra 2018/20/0427; Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 25.09.2018, E 3255/2018). Der Beschwerdeführer verblieb ungeachtet seiner Ausreiseverpflichtung im österreichischen Bundesgebiet und stellte am 23.09.2019 im Stande der Schubhaft den gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Der Beschwerdeführer ist ledig. In Österreich führte der Beschwerdeführer eine Beziehung zu einer im Mai 2019 verstorbenen, polnischen Staatsangehörigen (im Folgenden: A. M.); ein gemeinsamer Haushalt bestand nie. Der Beschwerdeführer hat sich nicht um die Kinder der A. M., einen minderjährigen Sohn und die minderjährige D. M., gekümmert. Ob der Beschwerdeführer der biologische Vater der minderjährigen D. M. ist, steht nicht fest. Der Beschwerdeführer scheint nicht als Vater in der Geburtsurkunde der minderjährigen D. M. auf. Es bestand zu keinem Zeitpunkt bzw. besteht auch derzeit kein gemeinsamer Haushalt zwischen dem Beschwerdeführer einerseits und der A. M. sowie ihren beiden minderjährigen Kindern andererseits. Der Beschwerdeführer hat für die minderjährige D. M. zu keinem Zeitpunkt Unterhalt geleistet, ist für die minderjährige D. M. nicht obsorgeberechtigt, hatte nie regelmäßigen Kontakt zur minderjährigen D. M. und hat sich auch nach der Geburt nicht um eine Anerkennung der minderjährigen D. M. bemüht.

Der Beschwerdeführer besuchte Deutschkurse und spricht ein wenig Deutsch. Der Beschwerdeführer ist heroinabhängig; derzeit absolviert er (im Rahmen seiner Strafhaft) eine Substitutionstherapie. Er hat im Bereich der Bekämpfung von Suchtmittelkriminalität zwei Jahre als Vertrauensperson für das Bundeskriminalamt gearbeitet und dafür etwas Geld erhalten. Er ist weder in einem Verein aktiv noch geht er einer ehrenamtlichen Tätigkeit nach. Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über soziale Anknüpfungspunkte in Form eines Bekanntenkreises, das Bestehen enger sozialer Bindungen ist dabei aber nicht hervorgekommen. Das Bestehen wirtschaftlicher Anknüpfungspunkte ist nicht hervorgekommen; der Beschwerdeführer bezog Leistungen aus der Grundversorgung und befindet sich derzeit in Strafhaft.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer wurde in Österreich (rechtskräftig) zweimal strafrechtlich verurteilt:

1.       Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 26.02.2016, XXXX , wurde der Beschwerdeführer als junger Erwachsener wegen versuchten Suchtgifthandels gemäß § 15 StGB, § 28a Abs. 1 5. Fall SMG sowie wegen Suchtgifthandels gemäß § 28 Abs. 1 4. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, davon sieben Monate bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, verurteilt;

2.       mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 20.01.2020, XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen gewerbsmäßigen Diebstahls gemäß §§ 127, 130 Abs. 1 1. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünfzehn Monaten verurteilt.

Der Beschwerdeführer befindet sich seit 02.01.2020 in Untersuchungs- bzw. Strafhaft.

1.2. Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

Dem Beschwerdeführer droht im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan nicht konkret und individuell Verfolgung durch Familienangehörige von in Österreich lebenden Afghanen, an deren Verurteilung der Beschwerdeführer im Zuge seiner Tätigkeit als Vertrauensperson für das Bundeskriminalamt mitgewirkt hat. Im Fall der Rückkehr nach Afghanistan ist der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie immer gearteten Verfolgung ausgesetzt.

Dem Beschwerdeführer droht wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara oder zur schiitischen Religion keine konkrete und individuelle physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass jeder Angehörige der Volksgruppe der Hazara oder der schiitischen Religion in Afghanistan physischer und/oder psychischer Gewalt ausgesetzt ist.

Das Vorliegen anderer Verfolgungsgründe aufgrund von Religion, Nationalität, politischer Einstellung, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder ethnischer Zugehörigkeit wurde nicht konkret vorgebracht; Hinweise für eine solche Verfolgung sind auch amtswegig nicht hervorgekommen.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in die Provinz Baghlan ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde.

Dem Beschwerdeführer ist jedoch eine Rückkehr in die Stadt Mazar-e Sharif möglich und zumutbar.

Der Beschwerdeführer ist im Fall der Rückkehr nach Mazar-e Sharif nicht gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden und ist nicht von der Todesstrafe bedroht. Er würde bei einer Rückkehr nach Mazar-e Sharif nicht in eine existenzgefährdende Notlage geraten.

Bei einer Rückkehr in die Stadt Mazar-e Sharif besteht für den Beschwerdeführer nicht ein so hohes Maß an Gewalt, dass er allein durch seine Anwesenheit tatsächlich einer ernsthaften, individuellen Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt ist.

Zwar sind die wirtschaftlichen Bedingungen für Rückkehrer schwierig. Der junge, gesunde und arbeitsfähige Beschwerdeführer, der über Schulbildung im Umfang von neun Jahren sowie Berufserfahrung in der Landwirtschaft verfügt, läuft jedoch im Falle der Rückkehr in die Stadt Mazar-e Sharif nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose beziehungsweise existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen.

Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des Beschwerdeführers in die Stadt Mazar-e Sharif ausschließen, können nicht festgestellt werden. Er kann dort seine Existenz – zumindest anfänglich – mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Der Beschwerdeführer ist in der Lage, in der Stadt Mazar-e Sharif eine einfache Unterkunft zu finden. Es ist dem Beschwerdeführer daher möglich, in der Stadt Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort für seinen grundlegenden Lebensunterhalt zu sorgen. Zudem hat der Beschwerdeführer zunächst auch die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen.

Die Stadt Mazar-e Sharif ist grundsätzlich über den Flughafen direkt und sicher erreichbar.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

1.4.1. Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019, zuletzt eingefügte Kurzinformation vom 21.07.2020, wiedergegeben:

„[…]

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 17.3.2019). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Nichtsdestotrotz, hat die afghanische Regierung wichtige Transitrouten verloren (USDOD 12.2019).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer "strategischen Pattsituation", die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann (SIGAR 30.1.2020). Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten (BBC 1.4.2020). Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist (TD 2.4.2020). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (BBC 1.4.2020).

Für den Berichtszeitraum 8.11.2019-6.2.2020 verzeichnete die UNAMA 4.907 sicherheitsrelevante Vorfälle – ähnlich dem Vorjahreswert. Die Sicherheitslage blieb nach wie vor volatil. Die höchste Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle wurden in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, registriert, die alle samt 68% der Zwischenfälle ausmachten. Die aktivsten Konfliktregionen waren in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gingen die Kämpfe in den Wintermonaten – Ende 2019 und Anfang 2020 – zurück (UNGASC 17.3.2020).

Die Sicherheitslage im Jahr 2019

Die geographische Verteilung aufständischer Aktivitäten innerhalb Afghanistans blieb, im Vergleich der beiden Jahre 2018 und 2019, weitgehend konstant. Im Jahr 2019 fanden auch weiterhin im Süden und Westen Afghanistans weiterhin schwere Kampfhandlungen statt; feindliche Aktivitäten nahmen zu und breiteten sich in größeren Gebieten des Nordens und Ostens aus. Der Resolute Support (RS) Mision (seit 2015 die Unterstützungsmission der NATO in Afghanistan) zufolge, waren für das Jahr 2019 29.083 feindlich-initiierte Angriffe landesweit zu verzeichnen. Im Gegensatz waren es im Jahr 2018 27.417 (SIGAR 30.1.2020). Mit einer hohen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen – speziell in den südlichen, nördlichen und östlichen Regionen – blieb die Sicherheitslage vorerst volatil, bevor ein Zeitraum der Reduzierung der Gewalt registriert werden konnte. Die UNAMA (Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan) registrierte für das gesamte Jahr 2019 10.392 zivile Opfer, was einem Rückgang von 5% gegenüber 2018 entspricht (UNGASC 17.3.2020).

Seit Ende des Jahres 2019 haben Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente erheblich zugenommen. Im September 2019 fanden die afghanischen Präsidentschaftswahlen statt, in diesem Monat wurde auch die höchste Anzahl feindlicher Angriffe eines einzelnen Monats seit Juni 2012 und die höchste Anzahl effektiver feindlicher Angriffe seit Beginn der Aufzeichnung der RS-Mission im Januar 2010 registriert. Dieses Ausmaß an Gewalt setzte sich auch nach den Präsidentschaftswahlen fort, denn im Oktober 2019 wurde die zweithöchste Anzahl feindlicher Angriffe in einem Monat seit Juli 2013 dokumentiert. Betrachtet man jedoch das Jahr 2019 in dessen Gesamtheit, so waren scheinbar feindliche Angriffe, seit Anfang des Jahres, im Zuge der laufenden Friedensgespräche zurückgegangen. Nichtsdestotrotz führte ein turbulentes letztes Halbjahr zu verstärkten Angriffen feindlicher Elemente von insgesamt 6% und effektiver Angriffe von 4% im Jahr 2019 im Vergleich zu den bereits hohen Werten des Jahres 2018 (SIGAR 30.1.2020).

Zivile Opfer

Für das Jahr 2019 registrierte die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) als Folge des bewaffneten Konflikts 10.392 zivile Opfer (3.403 Tote und 6.989 Verletzte), was einen Rückgang um 5% gegenüber dem Vorjahr, aber auch die niedrigste Anzahl an zivilen Opfern seit dem Jahr 2013 bedeutet. Nachdem die Anzahl der durch ISKP verursachten zivilen Opfer zurückgegangen war, konnte ein Rückgang aller zivilen Opfer registriert werden, wenngleich die Anzahl ziviler Opfer speziell durch Taliban und internationale Streitkräfte zugenommen hatte. Im Laufe des Jahres 2019 war das Gewaltniveau erheblichen Schwankungen unterworfen, was auf Erfolge und Misserfolge im Rahmen der Friedensverhandlungen zwischen Taliban und den US-Amerikanern zurückzuführen war. In der ersten Jahreshälfte 2019 kam es zu intensiven Luftangriffen durch die internationalen Streitkräfte und Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte – insbesondere der Spezialkräfte des afghanischen Geheimdienstes NDS (National Directorate of Security Special Forces) (UNAMA 2.2020).

Aufgrund der Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte, gab es zur Jahresmitte mehr zivile Opfer durch regierungsfreundliche Truppen als durch regierungsfeindliche Truppen. Das dritte Quartal des Jahres 2019 registrierte die höchste Anzahl an zivilen Opfern seit 2009, was hauptsächlich auf verstärkte Anzahl von Angriffen durch Selbstmordattentäter und IEDs (improvisierte Sprengsätze) der regierungsfeindlichen Seite – insbesondere der Taliban – sowie auf Gewalt in Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen zurückzuführen ist. Das vierte Quartal 2019 verzeichnete, im Vergleich zum Jahr 2018, eine geringere Anzahl an zivilen Opfern; wenngleich sich deren Anzahl durch Luftangriffe, Suchoperationen und IEDs seit dem Jahr 2015 auf einem Rekordniveau befand (UNAMA 2.2020).

[…]

Die RS-Mission sammelt ebenfalls Informationen zu zivilen Opfern in Afghanistan, die sich gegenüber der Datensammlung der UNAMA unterscheiden, da die RS-Mission Zugang zu einem breiteren Spektrum an forensischen Daten und Quellen hat. Der RS-Mission zufolge, ist im Jahr 2019 die Anzahl ziviler Opfer in den meisten Provinzen (19 von 34) im Vergleich zum Jahr 2018 gestiegen; auch haben sich die Schwerpunkte verschoben. So verzeichneten die Provinzen Kabul und Nangarhar weiterhin die höchste Anzahl ziviler Opfer. Im letzten Quartal schrieb die RS-Mission 91% ziviler Opfer regierungsfeindlichen Kräften zu (29% wurden den Taliban zugeschrieben, 11% ISKP, 4% dem Haqqani-Netzwerk und 47% unbekannten Aufständischen). 4% wurden regierungsnahen/-freundlichen Kräften zugeschrieben (3% der ANDSF und 1% den Koalitionskräften), während 5% anderen oder unbekannten Kräften zugeschrieben wurden. Diese Prozentsätze entsprechen in etwa den RS-Opferzahlen für Anfang 2019. Als Hauptursache für zivile Opfer waren weiterhin improvisierte Sprengsätze (43%), gefolgt von direkten (25%) und indirekten Beschüssen (5%) verantwortlich – dies war auch schon zu Beginn des Jahres 2019 der Fall (SIGAR 30.1.2020).

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl in den ersten fünf Monaten 2019, als auch im letzten Halbjahr 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 12.2019; vgl. USDOD 6.2019). Das Haqqani-Netzwerk führte von September bis zum Ende des Berichtszeitraums keine HPA in der Hauptstadtregion durch. Die Gesamtzahl der öffentlichkeitswirksamen Angriffe ist sowohl in Kabul als auch im ganzen Land in den letzten anderthalb Jahren stetig zurückgegangen (USDOD 12.2019). Zwischen 1.6.2019 und 31.10.2019 fanden 19 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 17) (USDOD 12.2019), landesweit betrug die Zahl 88 (USDOD 12.2019).

Öffentlichkeitswirksame Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente setzten sich im Berichtszeitraum (8.11.2019-6.2.2020) fort: 8 Selbstmordanschläge wurden verzeichnet; im Berichtszeitraum davor (9.8.-7.11.2019) wurden 31 und im Vergleichszeitraum des Vorjahres 12 Selbstmordanschläge verzeichnet. Der Großteil der Anschläge richtetet sich gegen die ANDSF (afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte) und die internationalen Streitkräfte; dazu zählte ein komplexer Angriff der Taliban auf den Militärflughafen Bagram im Dezember 2019. Im Februar 2020 kam es in Provinz Nangarhar zu einem sogenannten „green-on-blue-attack“: der Angreifer trug die Uniform der afghanischen Nationalarmee und eröffnete das Feuer auf internationale Streitkräfte, dabei wurden zwei US-Soldaten und ein Soldat der afghanischen Nationalarmee getötet. Zu einem weiteren Selbstmordanschlag auf eine Militärakademie kam es ebenso im Februar in der Stadt Kabul; bei diesem Angriff wurden mindestens 6 Personen getötet und mehr als 10 verwundet (UNGASC 17.3.2020). Dieser Großangriff beendete mehrere Monate relativer Ruhe in der afghanischen Hauptstadt (DS 11.2.2020; vgl. UNGASC 17.3.2020).

Die Taliban setzten außerdem improvisierte Sprengkörper in Selbstmordfahrzeugen gegen Einrichtungen der ANDSF in den Provinzen Kandahar, Helmand und Balkh ein (UNGASC 17.3.2020).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Nach Unterzeichnung des Abkommens zwischen den USA und den Taliban war es bereits Anfang März 2020 zu einem ersten großen Angriff des ISKP gekommen (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020). Der ISKP hatte sich an den Verhandlungen nicht beteiligt (BBC 6.3.2020) und bekannte sich zu dem Angriff auf eine Gedenkfeier eines schiitischen Führers; Schätzungen zufolge wurden dabei mindestens 32 Menschen getötet und 60 Personen verletzt (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020).

Am 25.3.2020 kam es zu einem tödlichen Angriff des ISKP auf eine Gebetsstätte der Sikh (Dharamshala) in Kabul. Dabei starben 25 Menschen, 8 weitere wurden verletzt (NYT 26.3.2020; vgl. TN 26.3.2020; BBC 25.3.2020). Regierungsnahe Quellen in Afghanistan machen das Haqqani-Netzwerk für diesen Angriff verantwortlich, sie werten dies als Vergeltung für die Gewalt an Muslimen in Indien (AJ 27.3.2020; vgl. TTI 26.3.2020). Die Taliban distanzierten sich von dem Angriff (NYT 26.3.2020). Am Tag nach dem Angriff auf die Gebetsstätte, detonierte eine magnetische Bombe beim Krematorium der Sikh, als die Trauerfeierlichkeiten für die getöteten Sikh-Mitglieder im Gange waren. Mindestens eine Person wurde dabei verletzt (TTI 26.3.2020; vgl. NYT 26.3.2020).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 12.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 12.2019):

Taliban

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) – Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub – Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar – und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018). Die Taliban sind keine monolithische Organisation (NZZ 20.4.2020); nur allzu oft werden die Taliban als eine homogene Einheit angesehen, während diese aber eine lose Zusammenballung lokaler Stammesführer, unabhängiger Warlords sowie abgekoppelter und abgeschotteter Zellen sind (BR 5.3.2020).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).

Haqqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.2.2019). Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani (AAN 1.7.2010; vgl. USDOS 19.9.2018; vgl. CRS 12.2.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015, als stellvertretender Leiter galt (CTC 1.2018).

Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk, seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.8.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.2.2019).

Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)

Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück (AAN 17.11.2014; vgl. LWJ 5.3.2015). Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban (AAN 1.8.2017; vgl. LWJ 4.12.2017). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000 (USDOS 18.9.2018), bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern (UNSC 13.6.2019). Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren (BAMF 3.6.2019; vgl. VOA 21.5.2019).

Der ISKP geriet in dessen Hochburg in Ostafghanistan nachhaltig unter Druck (UNGASC 17.3.2020). Jahrelange konzertierten sich Militäroffensiven der US-amerikanischen und afghanischen Streitkräfte auf diese Hochburgen. Auch die Taliban intensivierten in jüngster Zeit ihre Angriffe gegen den ISKP in diesen Regionen (NYT 2.12.2020; vgl. SIGAR 30.1.2020). So sollen 5.000 Talibankämpfer aus der Provinz Kandahar gekommen sein, um den ISKP in Nangarhar zu bekämpfen (DW 26.2.2020; vgl. MT 27.2.2020). Schlussendlich ist im November 2019 die wichtigste Hochburg des islamischen Staates in Ostafghanistan zusammengebrochen (NYT 2.12.2020; vgl. SIGAR 30.1.2020). Über 1.400 Kämpfer und Anhänger des ISKP, darunter auch Frauen und Kinder, kapitulierten. Zwar wurde der ISKP im November 2019 weitgehend aus der Provinz Nangarhar vertrieben, jedoch soll er weiterhin in den westlichen Gebieten der Provinz Kunar präsent sein (UNGASC 17.3.2020). Die landesweite Mannstärke des ISKP wurde seit Anfang 2019 von 3.000 Kämpfern auf 300 Kämpfer reduziert (NYT 2.12.2020).

49 Angriffe werden dem ISKP im Zeitraum 8.11.2019-6.2.2020 zugeschrieben, im Vergleichszeitraum des Vorjahres wurden 194 Vorfälle registriert. Im Berichtszeitraum davor wurden 68 Angriffe registriert (UNGASC 17.3.2020).

Die Macht des ISKP in Afghanistan ist kleiner, als jene der Taliban; auch hat er viel Territorium verloren. Der ISKP war bzw. ist nicht Teil der Friedensverhandlungen mit den USA und ist weiterhin in der Lage, tödliche Angriffe durchzuführen (BBC 25.3.2020). Aufgrund des Territoriumsverlustes ist die Rekrutierung und Planung des ISKP stark eingeschränkt (NYT 2.12.2020).

Der ISKP verurteilt die Taliban als "Abtrünnige", die nur ethnische und/oder nationale Interessen verfolgen (CRS 12.2.2019). Die Taliban und der Islamische Staat sind verfeindet. In Afghanistan kämpfen die Taliban seit Jahren gegen den IS, dessen Ideologien und Taktiken weitaus extremer sind als jene der Taliban (WP 19.8.2019; vgl. AP 19.8.2019). Während die Taliban ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte beschränken (AP 19.8.2019), zielt der ISKP darauf ab, konfessionelle Gewalt in Afghanistan zu fördern, indem sich Angriffe gegen Schiiten richten (WP 19.8.2019).

Al-Qaida und ihr verbundene Gruppierungen

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Beide Gruppierungen haben immer wieder öffentlich die Bedeutung ihres Bündnisses betont (UNSC 15.1.2019). Unter der Schirmherrschaft der Taliban ist al-Qaida in den letzten Jahren stärker geworden; dabei wird die Zahl der Mitglieder auf 240 geschätzt, wobei sich die meisten in den Provinzen Badakhshan, Kunar und Zabul befinden. Mentoren und al-Qaida-Kadettenführer sind oftmals in den Provinzen Helmand und Kandahar aktiv (UNSC 13.6.2019).

Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen. Des Weiteren fungieren al-Qaida-Mitglieder als Ausbilder und Religionslehrer der Taliban und ihrer Familienmitglieder (UNSC 13.6.2019).

Im Rahmen der Friedensgespräche mit US-Vertretern haben die Taliban angeblich im Jänner 2019 zugestimmt, internationale Terrorgruppen wie Al-Qaida aus Afghanistan zu verbannen (TEL 24.1.2019).

Baghlan

Letzte Änderung: 22.4.2020

Baghlan, das sich im Nordosten Afghanistans befindet, grenzt an die Provinzen Bamyan, Samangan, Kunduz, Takhar, Panjshir, Parwan (UNOCHA 4.2014), und in einem sehr kleinen Abschnitt an Balkh (AIMS o.D.). Baghlan ist in die folgenden 15 Distrikte unterteilt: Andarab, Baghlan-e-Jadeed (auch bekannt als Baghlan-e-Markazi), Burka, Dahana-e-Ghuri, Deh Salah, Dushi, Firing Wa Gharu, Gozargah-e-S. Noor, Khinjan, Khost Wa Firing, Khwaja hejran (Jalga), Nahreen, Pul-e-Hisar, Pul-i-Khumri und Tala Wa Barfak. Die Hauptstadt der Provinz ist Pul-i-Khumri (CSO 2019; vgl. IEC 2018).

Die zentrale Statistikorganisation Afghanistan (CSO) schätzt die Bevölkerung von Baghlan für den Zeitraum 2019-20 auf 995.814 Personen (CSO 2019). Eine knappe Mehrheit der Einwohner von Baghlan sind Tadschiken, gefolgt von Paschtunen und Hazara als zweit- bzw. drittgrößte ethnische Gruppen. Außerdem leben ethnische Usbeken und Tataren in Baghlan (NPS o.D.).

Baghlan befindet sich auf der Kabul-Nord-Route, welche insgesamt neun Provinzen miteinander verbindet (PAJ o.D.). Dies ist die einzige Trans-Hindukush-Autobahn in Afghanistan und die wichtigste Transitroute zwischen Kabul und dem Norden des Landes (AAN 21.10.2015). Die Sicherheit entlang der Autobahn ist auch bedeutsam für die Energieversorgung Kabuls, da Stromleitungen aus Tadschikistan und Usbekistan entlang dieser verlaufen (AT 29.3.2019; PAJ 14.4.2018; KP 19.3.2018).

Gemäß dem UNODC Opium Survey 2018 gehörte Baghlan im Jahr 2018 nicht zu den zehn wichtigsten Schlafmohn anbauenden Provinzen Afghanistans. Der Schlafmohnanbau blieb in Baghlan im Jahr 2018 im Vergleich zu 2017 ungefähr gleich (UNODC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zu Konflikt und Akteuren

Baghlan zählt zu den relativ volatilen Provinzen Afghanistans; Aufständische der Taliban sind in gewissen unruhigen Distrikten aktiv, in denen sie oftmals terroristische Aktivitäten gegen die Regierung und Sicherheitsinstitutionen durchführen (KP 20.5.2019; vgl. KP 11.6.2019, KP 11.4.2019). Im Dezember 2018 erklärte das afghanische Innenministerium (MoI), dass Baghlan zu den Provinzen mit einer hohen Taliban-Präsenz gehört und dass afghanische Streitkräfte in Teilen der Provinz in tödliche Kämpfe verwickelt sind (TN 26.12.2018). Zwischen 2014 und 2018 wurde in Baghlan ein Angriff des ISKP gezählt(CTC 3.12.2018).

Aufseiten der Regierungstruppen liegt Baghlan im Verantwortungsbereich des 217. ANA Corps, das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - North (TAAC-N) untersteht, welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

[…]

Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 349 zivile Opfer (123 Tote und 226 Verletzte) in der Provinz Baghlan. Dies entspricht einer Steigerung von 34% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von gezielten Tötungen und improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) (UNAMA 2.2020).

Baghlan liegt im Fokus der im April 2019 von der Regierung beschlossenen „Operation Khalid“ (UNGASC 14.6.2019). Seit dem Jahr 2018 führen die ANDSF regelmäßig Operationen in der Provinz durch (KP 20.5.2019; vgl. PAJ 5.11.2018; PAJ 11.9.2018). Bereits im November wurden zusätzliche Sicherheitskräfte vom Verteidigungsministerium als Verstärkung nach Baghlan entsandt (TN 8.11.2018). Bewaffnete Zusammenstöße zwischen Regierungstruppen und den Taliban finden statt (TN 3.9.2019; vgl. 13.9.2019). Taliban-Kämpfer griffen im Mai 2019 in der Provinzhauptstadt Pul-i-Khumri Sicherheitskräfte an (AJ 5.5.2019) und im September 2019 die Provinzhauptstadt Pul-i-Khumri selbst (NZZ 1.9.2019) und lieferten sich weitere bewaffnete Zusammenstöße. Die Verbindungsstraßen in die Hauptstadt waren temporär gesperrt (TN 3.9.2019) und waren erst nach großangelegten Sicherheitsoperationen der afghanischen Regierungstruppen wieder eröffnet worden (TN 13.9.2019).

Balkh

Balkh liegt im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Usbekistan, im Nordosten an Tadschikistan, im Osten an Kunduz und Baghlan, im Südosten an Samangan, im Südwesten an Sar-e Pul, im Westen an Jawzjan und im Nordwesten an Turkmenistan (UNOCHA 13.4.2014; vgl. GADM 2018). Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Balkh, Char Bolak, Char Kent, Chimtal, Dawlat Abad, Dehdadi, Kaldar, Kishindeh, Khulm, Marmul, Mazar-e Sharif, Nahri Shahi, Sholgara, Shortepa und Zari (CSO 2019; vgl. IEC 2018).

Nach Schätzung der zentralen Statistikorganisation Afghanistan (CSO) für den Zeitraum 2019-20 leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif (CSO 2019). Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird (PAJ o.D.; vgl. NPS o.D.).

Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum (SH 16.1.2017). Die Autobahn, welche zum usbekischen Grenzübergang Hairatan-Termiz führt, zweigt ca. 40 km östlich von Mazar-e Sharif von der Ringstraße ab (TD 5.12.2017). In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen (BFA Staatendokumentation 25.3.2019). Im Januar 2019 wurde ein Luftkorridor für Warentransporte eröffnet, der Mazar-e Sharif und Europa über die Türkei verbindet (PAJ 9.1.2019).

Laut dem Opium Survey von UNODC für das Jahr 2018 belegt Balkh den 7. Platz unter den zehn größten Schlafmohn produzierenden Provinzen Afghanistans. Aufgrund der Dürre sank der Mohnanbau in der Provinz 2018 um 30% gegenüber 2017 (UNODC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Balkh zählt zu den relativ stabilen (TN 1.9.2019) und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten (AN 6.5.2019). Die vergleichsweise ruhige Sicherheitslage war vor allem auf das Machtmonopol des ehemaligen Kriegsherrn und späteren Gouverneurs von Balkh, Atta Mohammed Noor, zurückzuführen (RFE/RL o.D.; RFE/RL 23.3.2018). In den letzten Monaten versuchen Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Taliban überrannten keines dieser Gebiete (TN 22.8.2019). Einem UN-Bericht zufolge, gibt es eine Gruppe von rund 50 Kämpfern in der Provinz Balkh, welche mit dem Islamischen Staat (IS) sympathisiert (UNSC 1.2.2019). Bei einer Militäroperation im Februar 2019 wurden unter anderem in Balkh IS-Kämpfer getötet (BAMF 11.2.2019).

Das Hauptquartier des 209. ANA Shaheen Corps befindet sich im Distrikt Dehdadi (TN 22.4.2018). Es ist für die Sicherheit in den Provinzen Balkh, Jawzjan, Faryab, Sar-e-Pul und Samangan zuständig und untersteht der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - North (TAAC-N), welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019). Deutsche Bundeswehrsoldaten sind in Camp Marmal in Mazar-e Sharif stationiert (TS 22.9.2018).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

[…]

Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 277 zivile Opfer (108 Tote und 169 Verletzte) in der Provinz Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 22% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen. (UNAMA 2.2020).

Im Winter 2018/2019 (UNGASC 28.2.2019) und Frühjahr 2019 wurden ANDSF-Operationen in der Provinz Balkh durchgeführt (UNGASC 14.6.2019). Die ANDSF führen auch weiterhin regelmäig Operationen in der Provinz (RFERL 22.9.2019; vgl KP 29.8.2019, KP 31.8.2019, KP 9.9.2019) unter anderem mit Unterstützung der US-amerikanischen Luftwaffe durch (BAMF

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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