Entscheidungsdatum
13.11.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs2Spruch
I419 2235114-1/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von XXXX , StA. NIGERIA, vertreten durch RA Mag. Hubert WAGNER LL.M., gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 05.08.2020, Zl. XXXX , zu Recht:
A) Die Beschwerde wird zu Spruchpunkt I mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der Spruchpunkt zu lauten hat: „Eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz‘ wird Ihnen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt.“ Der Beschwerde wird zu den anderen Spruchpunkten stattgegeben, und diese werden behoben. Eine Rückkehrentscheidung ist gemäß § 9 BFA-VG auf Dauer unzulässig. XXXX wird gemäß § 54 Abs. 2 und § 55 Abs. 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Mit dem bekämpften Bescheid erteilte das BFA dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus „berücksichtigungswürdigen Gründen“ „gemäß § 57 AsylG“ (Spruchpunkt I), erließ wider ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt II), stellte fest, dass dessen Abschiebung nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt III), verhängte ein 3-jähriges Einreiseverbot (Spruchpunkt IV), aberkannte einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung (Spruchpunkt V) und gewährte für die freiwillige Ausreise keine Frist (Spruchpunkt VI).
2. Beschwerdehalber wird vorgebracht, der Beschwerdeführer halte sich seit vier Jahren hier auf und führe eine Lebensgemeinschaft mit einer österreichischen Staatsbürgerin, die erwarte, Mutter eines gemeinsamen Kindes zu werden. Eine Eheschließung sei beabsichtigt. Nach der Niederkunft werde es nötig sein, Mutter und Kind persönlich zu betreuen, was unbedingt seine Anwesenheit erfordere. Es lägen geordnete Lebens- und Wohnverhältnisse sowie ausreichende finanzielle Mittel vor.
Der sozialversicherte und unbescholtene Beschwerdeführer könne sofort wieder zu arbeiten beginnen und damit Geld verdienen. Er sei integriert und nicht mittellos, habe in der Vergangenheit ein ausreichendes Einkommen gehabt, gute Deutschkenntnisse und ein Bankkonto.
Beantragt wurde unter anderem die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde.
3. Das Verwaltungsgericht hat der Beschwerde am 21.09.2020 von Amts wegen die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Zunächst wird der unter Punkt I dargestellte Verfahrensgang festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:
1.1 Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer nigerianischer Staatsangehörigkeit ist Anfang 40, hat im September 2016 im Herkunftsstaat eine Österreicherin geheiratet, ist im Juni 2017 mit einem österreichischen Visum legal eingereist und wohnt seither mit angemeldetem Hauptwohnsitz hier. Die drei Kinder der Frau, 13 bis 22 Jahre alt, sind nicht die seinen. Im Juli 2018 verließ er nach Streitigkeiten die eheliche Wohnung und mietete eine Garconniere. Die Ehe wurde einvernehmlich am 14.11.2019 geschieden.
Der Aufenthaltstitel des Beschwerdeführers als Familienangehöriger galt bis 30.05.2019. Seinen Verlängerungsantrag hat der Bürgermeister von Linz am 10.12.2019 abgewiesen, was mangels Beschwerde am 14.01.2020 rechtskräftig wurde.
Der Beschwerdeführer ist im Herkunftsstaat in Sapele, Delta State, zur Welt gekommen. Er spricht Wohobo und Englisch und besuchte im Herkunftsstaat 13 Jahre lang die Schule. Er ist gesund sowie arbeitsfähig und kann dort aufgrund dessen seine Existenz sichern, auch wenn Hilfe von Angehörigen ausbliebe. Nach eigenen Angaben hat er keine Kontakte in den Herkunftsstaat.
1.2 Zu Familienleben und Integration:
Anfang März 2020 zog der Beschwerdeführer zu seiner etwa ½ Jahr jüngeren Lebensgefährtin, die von ihm schwanger war und am 09.10.2020 einen Sohn gebar. Diese ist ledig und österreichische Staatsbürgerin, war vor dem Mutterschutz Angestellte und hat 2011/12 in Australien gelebt. Ob sie auch von ihrem Freizügigkeitsrecht als EWR-Bürgerin Gebrauch gemacht hat, steht nicht fest. Eltern und Kind leben zusammen und bilden einen gemeinsamen Haushalt in der etwa 150 m² großen Eigentumswohnung der Lebensgefährtin. Diese hat zu deren Erwerb im Vorjahr einen Hypothekarkredit über rund € 75.000,-- aufgenommen. Als erwarteter Geburtstermin war laut Mutter-Kind-Pass der 04.10.2020 vorgesehen.
Er hat am 20.01.2020 beim BH von Gmunden eine Rot-Weiß-Rot-Karte plus beantragt, worüber noch kein Bescheid erging. Die Integrationsprüfung gemäß § 11 IntG hat er am 18.09.2019 bestanden und die Bestätigung des ÖIF vorgelegt. Somit entsprechen seine nachgewiesenen Deutschkenntnisse A2.
Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten. Er verfügt über einen österreichischen Führer- und einen hier erworbenen Staplerschein sowie ein Girokonto im Inland. Seit Juli 2017 war er mit kurzen Unterbrechungen vollversichert bei Personaldienstleistern als Arbeiter beschäftigt, 2019 auch bei einem Bauunternehmen, sowie 2020 geringfügig bei einer Transportfirma. Seine Bruttolöhne bei den Personaldienstleistern betrugen auf Monate umgerechnet jeweils rund € 1.740,-- bis € 2.140,--. Wegen des Aufenthalts und der Berufstätigkeit des Beschwerdeführers wurden Verwaltungsstrafverfahren eingeleitet. Er hat wegen der Abweisung seines Verlängerungsantrags weder legale Arbeit noch, da er dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung steht, Anspruch auf Leistungen des AMS.
Außer dem Säugling, der österreichischer Staatsbürger ist, hat der Beschwerdeführer keine Kinder. Er hat angegeben, Unterhalt für das Baby zu leisten und zur Obsorge berechtigt zu sein. Es kann nicht festgestellt werden, dass das Baby auf Unterhalt von ihm angewiesen wäre. Der ehemaligen Gattin schuldet er nach der Ratenvereinbarung im Scheidungsvergleich noch restlich ca. € 6.000,--, von denen er auf Grund dieser Vereinbarung monatlich € 200,-- zu bezahlen hat.
2. Beweiswürdigung:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich weitgehend aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Inhalt des Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem Firmenbuch, dem Grundbuch, dem Register der Sozialversicherungen und dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend eingeholt.
2.1 Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen konnten anhand der Angaben des Beschwerdeführers, speziell denen im Zuge des Parteiengehörs, sowie der vorgenommenen Registerabfragen getroffen werden. Die vorliegenden Beweise sind widerspruchsfrei und entsprechen inhaltlich der Lebenserfahrung.
2.2 Zu Familienleben und Integration:
Außer dem Vorbringen konnte betreffend Geburt und Staatsbürgerschaft des Kindes die Abfrage des ZMR herangezogen werden, wegen des Wohnungskredits der Grundbuchsauszug, und für die Einkommensberechnung die Sozialversicherungs-Abfrage. Aus den eingeleiteten Verwaltungsstrafverfahren enthält der BFA-Akt Entwürfe für Erledigungen (AS 103 f, 287 f).
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Stattgebung der Beschwerde und Erteilung des Aufenthaltstitels:
3.1 Im Spruchpunkts I des angefochtenen Bescheids sprach das BFA aus, dass dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel „aus berücksichtigungswürdigen Gründen“ „gemäß § 57 AsylG“ nicht erteilt werde. Damit war nach der Bescheidbegründung (S. 40, AS 342) das in § 57 AsylG 2005 beschriebene Rechtsinstitut „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemeint. Dem war durch die Richtigstellung des Spruchs Rechnung zu tragen.
Nach § 58 Abs. 1 Z. 5 AsylG 2005 hat das BFA die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG („Zurückweisung, Transitsicherung, Zurückschiebung und Durchbeförderung“) fällt. Von den alternativen Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Z. 1 bis 3 AsylG 2005 liegt hier keine vor und wurde vom Beschwerdeführer auch keine behauptet. Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz war dem Beschwerdeführer daher nicht zuzuerkennen.
3.2 In § 10 Abs. 2 AsylG 2005 ist angeordnet, dass die Entscheidung, mit welcher einem Fremden von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird, mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden ist.
Nach dem im bezogenen 8. Hauptstück des FPG zu findenden § 52 Abs. 1 Z. 1 FPG ist gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Allerdings legt § 9 Abs. 1 BFA-VG fest, dass - u. a - eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, die in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingreift, nur zulässig ist, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind nach § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere zu berücksichtigen:
Die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z. 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z. 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z. 3), der Grad der Integration (Z. 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z. 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z. 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z. 7) sowie die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z. 8).
3.3 Nach den Feststellungen war der rund 3,5-jährige Aufenthalt des Beschwerdeführers bis 14.01.2020, somit deutlich überwiegend rechtmäßig (und dieser hätte die Rechtmäßigkeit auch noch mittels einer Beschwerde gegen den abweisenden Bescheid über diesen Zeitpunkt hinaus verlängern können, weil § 24 Abs. 1 NAG diese Rechtmäßigkeit bis zur Rechtskraft der Entscheidung über den Verlängerungsantrag vorsieht).
Am Bestehen eines Familienlebens mit Lebensgefährtin und gemeinsamem Baby besteht kein Zweifel. Das Interesse des Beschwerdeführers, seine Berufstätigkeit fortzusetzen, ist auch unter diesem Aspekt nachvollziehbar, macht aber die festgestellte „Schwarzarbeit“ nicht schutzwürdig.
Betreffend die Integration hat der VwGH (zum Folgenden: 17.10.2016, Ro 2016/22/0005 mwN) unter anderem folgende Umstände - meist in Verbindung mit anderen Aspekten - als Anhaltspunkte dafür anerkannt, dass ein Fremder die in Österreich verbrachte Zeit zumindest in gewissem Ausmaß genützt hat, um sich zu integrieren:
Die Erwerbstätigkeit des Fremden, das Vorhandensein einer Beschäftigungsbewilligung, eine Einstellungszusage, das Vorhandensein ausreichender Deutschkenntnisse, familiäre Bindungen zu in Österreich lebenden, aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen, ein Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich bzw. die Vorlage von Empfehlungsschreiben, eine aktive Teilnahme an einem Vereinsleben, freiwillige Hilfstätigkeiten, ein Schulabschluss bzw. eine gute schulische Integration in Österreich oder der Erwerb des Führerscheins.
Unter den genannten Aspekten fällt neben Führerschein und Integrationsprüfung auf, dass die Familienangehörigen nicht nur aufenthaltsberechtigt sind, sondern österreichische Staatsbürger. Mit Blick auf die Berufstätigkeit des Beschwerdeführers ist zu sehen, dass bis zu der Abweisung seines Verlängerungsantrags mit dem Aufenthaltstitel auch eine Arbeitserlaubnis bestand (die er, s. o., mittels einer Beschwerde auch hätte verlängern können) und seine Deutschkenntnisse für die Arbeit ausreichend waren. Auch wenn ein Freundes- und Bekanntenkreis nicht explizit festgestellt wurde, liegen private Kontakte im Zusammenhang mit der Arbeit, der Familie und den alltäglichen Verrichtungen auf der Hand.
Betreffend die Bindungen zum Herkunftsstaat geht das Gericht davon aus, dass sie nach zwei „Familiengründungen“ in Österreich trotz der geringen vergangenen Zeit an Gewicht verloren haben, wenn auch das behauptete Nichtbestehen von Kontakten dorthin nicht festgestellt werden kann.
Der strafgerichtlichen Unbescholtenheit steht das festgestellte Fehlverhalten durch die Fortsetzung von Aufenthalt und Berufstätigkeit trotz fehlender Bewilligungen gegenüber. Auch wenn sich dieses zeitweise durch eine Beschwerde hätte legalisieren lassen, wirkt es sich zulasten des Beschwerdeführers aus.
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers zu einem Zeitpunkt entstanden ist, als er sich legal im Inland aufhielt, was sich aus dem erwarteten Geburtsdatum seines Sohnes und dem notorischen Wissen über Beginn und Dauer von Schwangerschaften ergibt, und zwar auch dann, wenn die Beziehung zur Mutter seines Sohns damit erst begonnen hätte.
3.4 Zusammengefasst ist fallbezogen zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer sich nach einem für eine Aufenthaltsverfestigung zu kurzen Aufenthalt von 3,5 Jahren seit ca. 10 Monaten unrechtmäßig im Inland aufhält und auch mehrfach ohne Bewilligung gearbeitet hat. Diese Umstände sprechen für eine Rückkehrentscheidung, dazu das öffentliche Interesse daran, dass das geltende Migrationsrecht auch vollzogen wird, indem Personen, die ohne Aufenthaltstitel anwesend sind auch zur tatsächlichen Ausreise verhalten werden.
Ebenso zusammengefasst ist als Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich zu berücksichtigen, dass er mit Lebensgefährtin und gemeinsamem Kind zusammenlebt und seine Berufstätigkeit im Hinblick auf diese Familie hier fortsetzen will, sowie ferner, dass er legal als Familienangehöriger eingereist ist, hier legal aufhältig war und es wieder sein möchte, weil er sein Familienleben im Inland weiterzuführen beabsichtigt. Den Umständen nach entspricht das auch dem Interesse seines Sohnes und seiner Lebensgefährtin.
3.5 Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK, auf den § 9 Abs. 1 BFA-VG verweist, ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und des Briefverkehrs nur statthaft, insoweit er gesetzlich vorgesehen und eine Maßnahme ist, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ist es ein grundlegender Bestandteil des Familienlebens, dass Eltern und Kinder sich der Gesellschaft des jeweiligen anderen Teiles erfreuen können. Davon ausgehend kann eine unzureichende Berücksichtigung des Kindeswohles zur Fehlerhaftigkeit der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG und somit zu einer Verletzung des Art. 8 EMRK führen, weil eine Aufenthaltsbeendigung nicht verfügt werden darf, wenn dadurch das Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens des Betroffenen verletzt würde. (VfGH 12.10.2016, E1349/2016 mwH)
3.6 Nach Abwägung der in 3.2 und 3.3 angeführten, in 3.4 zusammengefassten Umstände überwiegt das Interesse des Beschwerdeführers an der Fortführung seines Privat- und Familienlebens und damit am Aufenthalt im Inland die öffentlichen Interessen an seiner Rückkehr, zumal nicht zu erwarten ist, dass sein fortgesetzter Aufenthalt sich auf die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes und die anderen genannten Kriterien in anderer Weise auswirken wird als sein legaler Aufenthalt von 2017 bis heuer.
3.7 Nach § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG insbesondere im Hinblick darauf begründet abzusprechen, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist. Das ist nur dann der Fall, wenn die sonst drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind, insbesondere dann, wenn die Rückkehrentscheidung schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen unzulässig wäre, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht verfügen.
Die angeführten Gründe für des Beschwerdeführers Interesse am Verbleib sind ihrer Natur nach dauernde und beziehen sich auf sein Familienleben mit österreichischen Staatsbürgern, sodass die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.
3.8 Unter den Oberbegriff „Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen“ fallen gemäß § 54 Abs. 1 AsylG 2005 neben der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ auch die „Aufenthaltsberechtigung plus“ und die „Aufenthaltsberechtigung“, die in § 55 geregelt sind („Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK“).
Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 ist nach § 58 Abs. 2 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.
3.9 Nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist Drittstaatsangehörigen, die sich im Bundesgebiet aufhalten, von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn das gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist (Z. 1) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG) erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 ASVG) erreicht wird (Z. 2).
Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist nach § 9 Abs. 4 Z. 1 IntG erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 vorlegt, was der Beschwerdeführer nach den Feststellungen tat.
Demgemäß war dem Beschwerdeführer eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, sodass dies zusammen mit der Feststellung der dauernden Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung wie vorliegend im Spruch geschehen auszusprechen war.
Gemäß § 54 Abs. 2 AsylG 2005 sind solche Aufenthaltstitel für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen. Dies war sohin zusätzlich auszusprechen, um damit die Basis für die Ausstellung durch das BFA nach § 58 Abs. 7 AsylG 2005 zu schaffen.
Die Rückkehrentscheidung des BFA war demnach aufzuheben. Als die mit der Rückkehrentscheidung in Spruchpunkt II verbundenen, ebenfalls aufzuhebenden Nebenaussprüche sind fallbezogen außer dem Einreiseverbot (Spruchpunkt IV) die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers (Spruchpunkt III) und jene des Nichtbestehens einer Frist für dessen freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI) aus dem Rechtsbestand zu entfernen, die auf der Rückkehrentscheidung beruhen, und schließlich – auch infolge der bereits mit Teilerkenntnis erfolgten Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde – die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkt V). Ein Antragsrecht, das auf diese Zuerkennung gerichtet wäre, ist nicht vorgesehen. Der in der Beschwerde gestellte Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung erweist sich damit als unzulässig, weshalb er mit Beschluss zurückzuweisen wäre, würde er nicht mit der Erlassung der vorliegenden inhaltlichen Entscheidung ohnehin gegenstandslos (vgl. VwGH 30.01.2015, Ra 2014/02/0174, mwH).
Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zur Relevanz des Privat- und Familienlebens und der Berücksichtigung von Integrationsmerkmalen bei Rückkehrentscheidungen.
Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage(n) kamen nicht hervor.
4. Zum Unterbleiben einer Verhandlung:
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.
Auch darf im Rahmen der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüberhinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht zu bleiben hat, wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt.
Die genannten Kriterien treffen in diesem Fall zu. Der Sachverhalt ist durch die belangte Behörde vollständig erhoben und weist - aufgrund des Umstandes, dass seit der Beschwerde erst gut zwei Monate vergangen, und die den Registern zu entnehmenden Daten noch jünger sind, - die gebotene Aktualität auf.
Das Gericht musste sich auch keinen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer verschaffen, da es sich um einen eindeutigen Fall in dem Sinne handelt, dass auch bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn der persönliche Eindruck ein positiver ist (vgl. VwGH 18.10.2017, Ra 2017/19/0422 mwH).
Die Abhaltung einer Verhandlung konnte demnach unterbleiben.
Schlagworte
Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz Aufenthaltsberechtigung plus Aufenthaltstitel Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK befristete Aufenthaltsberechtigung berücksichtigungswürdige Gründe Einreiseverbot aufgehoben ersatzlose Teilbehebung illegale Beschäftigung Integration Interessenabwägung Kassation öffentliche Interessen öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Privat- und Familienleben private Interessen Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig SpruchpunktbehebungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:I419.2235114.1.01Im RIS seit
29.01.2021Zuletzt aktualisiert am
29.01.2021