Entscheidungsdatum
20.11.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W274 2196626-1/31E
W 274 2196640-1/28E
W 274 2196635-1/32E
W 274 2196630-1/35E
GEKÜRZTE AUSFERTIGUNG DER AM 03.11.2020 MÜNDLICH VERKÜNDETEN ERKENNTNISSE
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch Mag. LUGHOFER als Einzelrichter über die Beschwerden der 1. XXXX (geb. XXXX ), 2. XXXX (geb. XXXX ), 3. XXXX (geb. XXXX ), alle XXXX , und 4. XXXX (geb. XXXX ), XXXX , alle StA. Iran, alle vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, Alser Straße 20, 1090 Wien, gegen die Bescheide des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich je vom 19.4.2018, 1. ZahI: 1015402309 - 14543454, 2. Zahl: 1015402200 – 14543446, 3. Zahl: 1015402407 – 14543462 und 4. Zahl: 1015402004 – 14543489, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht erkannt:
Den Beschwerden wird Folge gegeben und XXXX (2. BF) gemäß § 3 Abs. 2 AslyG sowie XXXX (1. BF), XXXX (3. BF) und XXXX (4. BF) gemäß § 3 iVm. § 34 Abs. AsylG der Status der Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX , XXXX , XXXX und XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Die Revision ist nach Art. 44 Abs. 4 nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Bei den BF1 – BF4 handelt es sich um eine Familie der arabischen Volksgruppe aus Ahwas, Iran.
Die Familie gelangte gemeinsam mit über die italienische Botschaft in Teheran erlangten Touristenvisa im März 2014 schlepperunterstützt nach Mailand und weiter nach Österreich, wo alle Familienmitglieder am 16.04.2014 vor der PI St. Georgen im Attergau Anträge auf internationalen Schutz stellten, der BF1 und die BF2 auch als Vertreter ihrer damals noch minderjährigen und mittlerweile volljährigen Kinder, des BF3 und der BF4. Als Asylgrund wurde im Wesentlichen eine Verfolgung des BF1 aufgrund Zugehörigkeit einer die Rechte der arabischen Bevölkerung in Khusestan verteidigenden Partei und deshalb erfolgter Verhaftung, Folterung und Misshandlung geltend gemacht. Im Wesentlichen bezogen sich die BF2 und die Kinder auf die Fluchtgründe des BF1.
Offenbar amtswegig wurden die Visaanträge der BF an die italienische Botschaft in Teheran durch das BFA beigeschafft und das Verfahren im Hinblick auf die Zuständigkeit von Italien zunächst nicht zugelassen.
Nach Zurückweisung durch das BFA wurden diese Bescheide mit Beschlüssen des BVwG vom 13.11.2014 behoben, weil die Gefahr einer Trennung der Familienmitglieder in Italien nicht ausschließbar gewesen sei, obwohl eine Zuständigkeit von Italien bejaht wurde.
Nach Vernehmungen der BF1 – BF3 im Zulassungsverfahren, in dem eine Einreise über Italien bestritten wurde, fanden sodann Vernehmungen vor dem BFA am 30.03.2017 statt, in denen eine Einreise über Italien eingeräumt wurde, der Fluchtgrund der Verhaftung und Misshandlung des BF1 aufrechterhalten wurde und Konversionen der BF1 – BF4 behauptet wurden.
Mit den angefochtenen Bescheiden wurde sowohl Asyl als auch subsidiärer Schutz nicht zuerkannt, Aufenthaltstitel nicht erteilt, Rückkehrentscheidungen erlassen, die Abschiebung als zulässig erachtet und Ausreisefristen gesetzt. Begründend wurde weder das Fluchtvorbringen noch eine Konversion für glaubwürdig erachtet.
Gegen diese Bescheide richten sich die verbundenen Beschwerden mit dem primären Antrag, den BF Asyl zuzuerkennen.
Nach Vorlage weiterer Unterlagen und Urkunden fand am 3.11.2020 eine Verhandlung statt, in der neben der Vorlage weiterer Unterlagen die BF befragt und die Zeugen XXXX und XXXX und XXXX befragt wurden.
Aufgrund dessen steht folgender Sachverhalt fest:
Nicht festgestellt werden konnte, dass der Ausreise ernsthafte Schwierigkeiten des BF1 im Zusammenhang mit einer vergangenen Mitgliedschaft bei einer arabischen Partei in Khusestan (Verhaftung, Folter, Verletzung) zu Grunde liegen. Die BF waren im Iran schiitische Muslime. Insbesondere die BF2 lebte diesen Glauben auch durch das tägliche Gebet, Fasten etc. aus.
Die Familie lebte im Wesentlichen seit Beginn ihres Aufenthalts in Österreich im Jahr 2014 in einem Flüchtlingsquartier in Linz. Lediglich die BF4 hat in allerletzter Zeit getrennt in Linz Wohnung genommen.
In Österreich wurde die Familie etwa 4 Monate nach ihrer Ankunft, noch 2014, von der der freikirchlichen Gemeinde XXXX zugehörigen Familie XXXX aufgesucht, zu Gottesdiensten und Veranstaltungen eingeladen und nahm dieses Angebot mit der Zeit in ernsthafter Weise an. Es ist glaubhaft, dass zwischen der Familie XXXX und den BF seit 2014 naher Kontakt besteht, wobei die Zeugin XXXX sich auch mit Familienmitgliedern in Hauskreisen trifft, dabei mit den BF betet, über den Glauben spricht und das Abendmahl feiert. Die BF nahmen seit Ende 2014 regelmäßig an Gottesdiensten der XXXX Gemeinde in deren Gemeindezentrum am Stadtrand von XXXX teil und wurden 2017 nach kurzer Einweisung durch den Pastor XXXX durch Untertauchen im XXXX getauft. Es besteht bis heute, somit durch Jahre hindurch, ein regelmäßiger Besuch der Gottesdienste, wobei die Frequenz derzeit etwa alle 2 Wochen ist.
Es ist glaubhaft, dass zumindest die BF2 den christlichen Glauben zwischenzeitlich soweit angenommen hat, dass sie das Bedürfnis hätte, diesen auch unter geänderten Verhältnissen, wie einer Rückkehr in den Iran, weiterhin auszuleben.
Die BF erlernten in unterschiedlichem Umfang die deutsche Sprache. Der BF1 konnte bislang lediglich A1 erfolgreich absolvieren. Die BF2 absolvierte den Pflichtschulabschluss und A2. Der BF3 absolvierte den Pflichtschulabschluss. Die BF4 ist dabei, den Pflichtschulabschluss zu absolvieren. Die BF3 und BF4 verfügen über in der praktischen Anwendung sehr gute Deutschkenntnisse.
Der BF1 ist ehrenamtlich im Markt XXXX tätig, die BF2 führt derzeit selbstständig ein XXXX , der BF3 ist dabei, eine Ausbildung im Gastgewerbe zu absolvieren. Die BF4 übt aufgrund einer Beschäftigungsbewilligung eine Tätigkeit als Sekretärin in einer XXXX 14 Stunden pro Woche neben ihrem Kurs zum Pflichtschulabschluss aus.
Die BF1, BF2 und BF4 sind unbescholten.
Der BF3 wurde am 03.10.2017 zu einer bedingten Freiheitsstrafe von einem Monat gemäß § 83 Abs. 1 StGB durch das LG Linz verurteilt. Am 17.05.2018 wurde er vom BG Linz gemäß § 88 Abs. 1 und 3 zweiter Fall (81 Abs. 2) StGB zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen verurteilt (fahrlässige Körperverletzung im Zustand der Berauschung).
Beweiswürdigung:
Im Rahmen der Befragung insbesondere der BF2-BF4 ergab sich kein nachvollziehbarer zeitlicher Rahmen, der die behauptete Verhaftung und den Krankenhausaufenthalt des BF1 mit den Ausreisedaten mit dem italienischen Visum und den diesbezüglichen Vorbereitungshandlungen vereinbar macht. Die BF2 gab ausdrücklich zunächst die Verhaftung als Grund für die Ausreiseentscheidung an. Das von ihr dezidiert genannte Datum der Verhaftung ihres Mannes, der 17.03.2014, ist aber bereits mit dem aus dem Akt des BF1 hervorgehenden Buchungsdatum der Flüge nach Mailand, 11.03.2014, nicht in Übereinstimmung zu bringen. Auch die Schilderungen der BF2-BF4 betreffend die Verhaftung stellten selbst angesichts der lange zurückliegenden Zeit keinen nachvollziehbaren Ablauf der Geschehnisse dar.
Evident ist, dass die BF1 – BF4 bereits über einen über 5 Jahre dauernden Zeitraum in Kontakt mit der XXXX Freikirche stehen. Diesbezüglich erliegen Bescheinigungen im Akt. An den Angaben der Zeugen XXXX betreffend Art und Zeitpunkt des Kennenlernens, der Begleitung, der Aktivitäten der Familienmitglieder und der Art der Integration in die Gemeinde bestand kein Zweifel. Zwar fiel auf, dass der Pastor einerseits offenbar kein Problem mit einer Taufe der Familie hatte, andererseits eine Mitgliedschaft unter Hinweis auf die noch gegebene Flüchtlingseigenschaft derzeit als nicht angemessen sah. Daraus ergibt sich in konkreto für das Gericht aber kein Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Integration der Familienmitglieder, insbesondere der BF2, die durch den Zeugen XXXX auch differenziert dargestellt wurde. Insbesondere die Zeugen XXXX schilderten den Wandlungsprozess der BF2 von einer praktizierenden Muslimin zu einer westlich orientieren, freikirchlich geprägten Christin. Auch die Angaben der BF2 wirkten diesbezüglich nicht eingelernt und nachvollziehbar, selbst wenn man von den Schilderungen von Wundern absieht. Die BF2 konnte nachvollziehbar eine von ihr geschätzte Bibelstelle nennen. Der Familie ist auch zugute zu halten, dass es sich bei der XXXX Gemeinde offensichtlich nicht um eine primär auf Asylwerber eingestellte Gemeinde handelt, sondern um eine Gemeinde, der engmaschige religiöse familiäre Kontakte wichtig sind. In diese Kontakte wurde die Familie aufgenommen und ist bereits in einem relativ langen Zeitraum ununterbrochen dort involviert. Besonders betreffend die BF2 erschien die Zuwendung zur christlichen Botschaft den Zeugen authentisch und in einem fortgeschrittenen Stadium, sodass im Hinblick auf die in der rechtlichen Beurteilung darzustellende Rechtsprechung insbesondere des VfGH eine Konversion glaubhaft war.
Rechtlich folgt:
Der VfGH geht davon aus, dass, wenn aufgrund äußerlicher Umstände eine Konversion nicht unwahrscheinlich ist, durch eine ins einzelne gehende Befragung zu klären ist, weshalb im Einzelfall von einer derartigen Konversion nicht auszugehen ist.
Aufgrund der äußeren Umstände des über 5-jährigen praktischen Besuchs der Gottesdienste und Veranstaltungen der XXXX Gemeinde durch die BF1-BF4 sowie die 2017 erlangte Taufe ist eine innere Konversion nicht unwahrscheinlich. Jedenfalls betreffend die BF2 sind im Verfahren keine zwingenden Anhaltspunkte dafür hervorgekommen, nach denen angesichts dessen eine Konversion zu verneinen wäre.
Die belangte Behörde hat sich am Verfahren vor dem BVwG im Rahmen der Verhandlung nicht beteiligt.
Vor dem Hintergrund der durch das LIB Iran dokumentierten Verhältnisse in Bezug auf „nicht geborene Christen“ bildet eine innere Konversion zum Christentum ein von der Genfer Konvention geschütztes Rückkehrhindernis im Sinne eines Nachfluchtgrundes, das für die BF2 originär wirkt und auf den BF1 als Ehemann und die im Zeitpunkt der Asylantragsstellung minderjährigen BF3 und BF4 abzuleiten war.
Die einmalige Verurteilung wegen einer Vorsatztat fällt als solche nicht in die landesgerichtliche Zuständigkeit (wenn auch offenbar aufgrund Verbindung durch ein Landesgericht abgeurteilt) und bildet insofern gemäß § 34 Abs. 2 Z. 1 iVm. § 2 Abs. 3 AsylG kein Hindernis einer Ableitung auch auf den BF3.
Der Ausspruch der Unzulässigkeit der Revision folgt dem Umstand, dass zur Konversion von Iranern zum Christentum höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliegt und im Wesentlichen Umstände des Einzelfalls zu beurteilen waren.
Eine Ausfertigung des Erkenntnisses wurde innerhalb der Frist des § 29 Abs. 4 VwGVG nicht beantragt. Die Ausfertigung konnte daher gemäß § 29 Abs 5 VwGVG in gekürzter Form erfolgen.
Schlagworte
asylrechtlich relevante Verfolgung Familienverfahren Flüchtlingseigenschaft gekürzte Ausfertigung westliche OrientierungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W274.2196640.1.00Im RIS seit
29.01.2021Zuletzt aktualisiert am
29.01.2021