TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/20 I419 1214146-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.11.2020
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Entscheidungsdatum

20.11.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1a
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I419 1214146-2/13E
I419 1214146-3/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Tomas JOOS als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , StA. NIGERIA alias SUDAN, vertreten durch DIAKONIE FLÜCHTLINGSDIENST gemeinnützige GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) (a) vom 03.07.2020, Zl. XXXX und (b) vom 28.10.2020, Zl. XXXX , zu Recht:

A) I. Die Beschwerde gegen den erstgenannten Bescheid wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt I zu lauten hat: „Eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz‘ gemäß § 57 AsylG 2005 wird Ihnen nicht erteilt.“

II. Die Beschwerde gegen den zweitgenannten Bescheid wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt III zu lauten hat: „Eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz‘ gemäß § 57 AsylG 2005 wird Ihnen nicht erteilt.“

B) Zu I. und II.: Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer reiste erstmals 1999 ein und beantragte unter einer Aliasidentität als angeblich minderjährig und Sudanese internationalen Schutz. Die abweisende Entscheidung des BAA behob der AsylGH am 11.02.2010 und wies den Antrag als unzulässig zurück, weil der Beschwerdeführer sich zur Verbüßung einer mehrjährigen Freiheitsstrafe in Deutschland aufhielt. (B14 214.146-1/2009/21E)

2. Inzwischen war der Beschwerdeführer unter seiner wahren Identität von Ende 2001 bis 2006 oder Anfang 2007 mit einer Österreicherin verheiratet, die sich Anfang 2005 von ihm trennte, und hatte ab 2002 eine Niederlassungsbewilligung als begünstigter Drittstaatsangehöriger, die zuletzt 2004 bis 2014 verlängert wurde.

3. Ein 2010 wider ihn erlassenes unbefristetes Aufenthaltsverbot der BPD Wien samt Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Berufung hat (nach Aufhebung eines Berufungsbescheids der SID Wien, VwGH 22.09.2011, 2011/18/0127-8) der UVS Wien 2012 auf 10 Jahre begrenzt und auf § 63 FPG in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011 gestützt (UVS-FRG/4/9818/2010-19).

4. Seinen Antrag von 2015 auf eine Aufenthaltsberechtigung aus Gründen des Art. 8 EMRK wies das BFA 2018 zurück, weil sich seit der „Rückkehrentscheidung“, die mit dem Aufenthaltsverbot vorliege, der Sachverhalt nicht maßgeblich geändert habe. Mangels Beschwerde wurde die Zurückweisung rechtskräftig.

5. Der Beschwerdeführer wurde im Zuge einer Polizeikontrolle am 30.05.2020 festgenommen. Am nächsten Tag verhängte das BFA die Schubhaft über ihn, die dieses Gericht bisher dreimal überprüft und zuletzt am 27.10.2020 für rechtens befunden hat (G302 2232058-3/2E).

6. Mit dem ersten im Spruch genannten Bescheid hat das BFA dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel „aus berücksichtigungswürdigen Gründen“ „gemäß § 57 AsylG“ erteilt (Spruchpunkt I), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt II) sowie festgestellt, dass dessen Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt III) und keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt IV). Weiters wurde einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V) und wider den Beschwerdeführer ein 10-jähriges Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI).

6. Beschwerdehalber wird dagegen vorgebracht, der Beschwerdeführer sei Opfer von Menschenhandel und werde im Rückkehrfall wieder ein solches oder eines von Racheakten werden. Das BFA habe sich pauschaler Textbausteine bedient, und das Einreiseverbot sei unangemessen, weil der Beschwerdeführer zu seinen Taten gezwungen worden sei.

7. Vier Tage darauf stellte der Beschwerdeführer am 05.08.2020 einen Folgeantrag auf internationalen Schutz, zu dem er angab, er habe eine 10-jährige Tochter in der Slowakischen Republik, die bei ihrer Mutter lebe, und schulde seinem Schlepper von 1999 noch US$ 40.000,-- für die Reise vom Herkunftsstaat nach Österreich. Seine Mutter sei deshalb 2010 getötet worden, wozu sich der Schlepper bekannt habe, später sein Vater und sein Bruder, im Februar 2020 schließlich auch seine Stiefmutter. Er habe noch nie irgendwo einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt oder dem Schlepper Geld gegeben. Für diesen habe er nur zweimal Drogen geschmuggelt.

8. Mit dem zweiten im Spruch genannten Bescheid hat das BFA den Folgeantrag betreffend die Status des Asyl- und des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkte I und II), dem Beschwerdeführer wieder keinen Aufenthaltstitel „aus berücksichtigungswürdigen Gründen“ „gemäß § 57 AsylG“ erteilt (Spruchpunkt III), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV) sowie festgestellt, dass dessen Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt V) und keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt VI). Unter einem wurde wider den Beschwerdeführer ein 10-jähriges Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII) und einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VIII).

9. Beschwerdehalber wird vorgebracht, der Sachverhalt weise Bezüge zu Menschenhandel auf. Die Länderfeststellungen seien nur allgemeiner Natur und würden sich mit dem individuellen Vorbringen des Beschwerdeführers nicht befassen. Sie enthielten zwar allgemeine Aussagen zum Herkunftsstaat, befassten sich jedoch kaum mit der Verfolgung von Christen.

Nigerianische Menschenhändler hätten ein hoch organisiertes und weites Netz aus kriminellen Kontakten in Europa. Im Herkunftsstaat seien Voodoo- und Juju-Bräuche weit verbreitet, die von Betroffenen verlangten, sich an Versprechungen zu halten, weil diesen sonst Schaden physischer oder psychischer Art drohe, und die diese auch an die lokale Gesellschaft bänden.

Es seien zwar Gesetze für eine Besserstellung der Frau erlassen worden, die jedoch an ihrer Durchsetzung scheiterten. Aus den Berichten gehe eindeutig hervor, dass „der BF1“ eine Rückkehr nicht zumutbar sei, weil „ihr ohne die Hilfe der Familie ein Abdriften in die Armut“ und Verletzungen von Art. 2 und 3 EMRK drohten.

Der Beschwerdeführer sei „clean“ und habe Anspruch auf Grundversorgung, sodass die Gefährdungsprognose zu seinen Gunsten ausfalle und ein Einreiseverbot nicht infrage komme.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zunächst wird der unter Punkt I dargestellte Verfahrensgang festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen (Aktenseiten unterschiedlicher unbenannter Teilbände):

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers:

1.1.1 Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Nigerias und katholisch, Anfang 40, aus Delta State, spricht Englisch als Muttersprache sowie Ika und kam in einem Vorort von Agbor zur Welt. Seine Identität steht fest. In Delta State leben zumindest die beiden Schwestern des Beschwerdeführers, deren ältere etwa 40 Jahre alt ist, sowie sein Bruder, der ca. 30 ist.

Er besuchte dort 12 Jahre die Schule, begann eine Automechaniker-Lehre und arbeitete anschließend in der familiären Landwirtschaft und später in Österreich als Abwäscher. Nach eigenen Angaben hat er auch zwei Jahre lang ein Wirtschaftsstudium betrieben und mit Bakkalaureat abgeschlossen. (AS 386, 535) Zu seiner Familie dort hat er Kontakt (AS 69), etwa alle zwei Wochen per Telefon.

Der Beschwerdeführer hielt sich, wie unten näher festgestellt, mehrmals in Österreich und anderen europäischen Staaten auf, nach einer Abschiebung aus Deutschland in den Herkunftsstaat 2011 wurde er im Juni 2014 trotz Aufenthaltsverbots wieder in Österreich angetroffen, wo er anschließend 2015 und 2017/18 in Haft war, dann neuerlich untertauchte und im Mai 2020 aufgegriffen in Schubhaft kam, wo er sich seither befindet.

1.1.2 Im Oktober 1999 gelangte er illegal nach Österreich, und nach der Abweisung seines Asylantrags, Einbringung der Berufung dagegen und Entlassung aus der Schubhaft (Mitte April 2000), wo er erfolglos hungergestreikt hatte, kehrte er in den Herkunftsstaat zurück. (AS 118) Am 17.11.1999 erließ die BH Baden wider ihn ein Aufenthaltsverbot bis 2004 wegen Mittellosigkeit. Die Berufung dagegen wies die SID Niederösterreich 2000 als verspätet zurück (Fr 3969/99).

1.1.3 Im November 2000 meldete ihn ein sozialpädagogischer Verein in einer Unterkunft für entwicklungsgefährdete Jugendliche an, und im Februar 2001 zog er mit Aliasidentität bei seiner in Wien studierenden späteren österreichischen Gattin ein. Im September begab er sich nach Dänemark, wo er einen weiteren Asylantrag stellte und im Dezember 2001 die nachgereiste gleichaltrige Braut heiratete (worauf Dänemark das Verfahren eingestellt hat). Kurz danach beantragte er bei der österreichischen Botschaft in Kopenhagen unter Angabe einer dänischen Adresse einen Aufenthaltstitel als Familienangehöriger.

Dabei führte er an, am Hauptwohnsitz der Gattin in Oberösterreich wohnen zu wollen. Als Mittel zur Sicherung seines künftigen Lebensunterhalts in Österreich gab er deren Berufseinkünfte an. Diese war 2001 für 61 Tage als Arbeiterin bei einem Personaldienstleister beschäftigt und erhielt dafür Bruttolöhne im Ausmaß von gesamt ATS 43.953,-- (€ 3.194,19).

1.1.4 Der Beschwerdeführer urgierte Anfang Jänner 2002 in Dänemark persönlich die Erledigung seines 10 Tage zuvor eingegangenen Antrags und begab sich anschließend nach Wien, wo er am 08.01. bei der Meldebehörde seine Alias-Person in den Sudan abmeldete, worauf der UBAS sein unter Pseudonym geführtes Berufungsverfahren einstellte.

1.1.5 Ende Jänner 2002 meldete er sich mit richtiger Identität am Wohnsitz der Gattin in Wien 14 an und teilte von da an bis Jänner 2005 deren Meldeanschriften in Wien. Die BH Baden hob im April 2002 auf seinen Antrag das Aufenthaltsverbot von 1999 auf. Ab Dezember 2004 war der Beschwerdeführer in Island in Haft, Ende Jänner 2005 zog die Gattin in einen anderen Bezirk und begann im selben Jahr das Scheidungsverfahren (AS 459), und Mitte März 2006 meldete sich der Beschwerdeführer an einer Obdachlosenanschrift und kehrte neuerlich in den Herkunftsstaat zurück.

1.1.6 Ende Juni 2006 meldete er sich an einer Anschrift in Wien 16 an, wo er wenn überhaupt längstens bis Sommer 2009 wohnte, als er in Deutschland inhaftiert wurde. Den deutschen Behörden nannte er eine Adresse in Wien 15, an der bis 2005 eine 5 Jahre jüngere rumänische Staatsangehörige gemeldet war, nie aber der Beschwerdeführer. Im Dezember 2011 wurde er aus der Strafhaft in Deutschland entlassen und nach Nigeria abgeschoben. (AS 537)

1.1.7 Die Aufenthalte des Beschwerdeführers im Inland waren von November 2002 auf Basis der Niederlassungsbewilligungen als Angehöriger bis zu dem am 04.10.2010 zugestellten Aufenthaltsverbot rechtens, tatsächlich also bis er im Juli 2009 nach Brüssel reiste. Gegen Ihn Beschwerdeführer besteht seit 2010 ein von Deutschland erlassenes Einreiseverbot für das Schengen-Gebiet. (AS 116)

Der seit 28.06.2014 belegte neuerliche Aufenthalt des Beschwerdeführers (AS 577) war demnach nicht rechtmäßig.

1.1.8 Als Qualifizierungsmaßnahme besuchte der Beschwerdeführer 2007 und 2015 den gleichen BFI-Kurs mit 169 Unterrichtseinheiten, davon 100 als Qualifizierung zum Lagermitarbeiter. 2015 machte er auch den „Staplerführerschein“, im Jahr darauf wies er Deutschkenntnisse auf Niveau A2 nach. Er hat fallweise legal in Österreich gearbeitet, angemeldet letztmalig im Juli 2009 sowie – ohne Bewilligung – im November 2016, jeweils bei Personaldienstleistern. Zuletzt verdiente er unangemeldet Geld als Helfer beim Zerlegen von Autos und dem Verkauf ihrer Teile in den Herkunftsstaat. (AS 213)

Der Beschwerdeführer konsumierte von 2003 bis 2006 regelmäßig Drogen, von Marihuana ging er zu Kokain über. Das LGS Wien hat 2015 festgestellt, dass er an Kokain gewöhnt ist. Er ist wie folgt strafgerichtlich verurteilt worden:

- Vom BG Reykjavik, Island, am 11.03.2005 zu zwei Jahren Freiheitsstrafe, weil er am 14.12.2004 bei seiner Einreise nach Island am Flughafen versucht hatte, 677,6 g Kokain einzuschmuggeln,

- vom LGS Wien am 07.02.2006 unter Bedachtnahme auf das eben genannte Urteil zu einer Zusatzstrafe von drei Monaten wegen des Vergehens nach § 27 Abs. 2 SMG, weil er vor seiner Reise nach Island in Wien von Sommer bis ca. Anfang Dezember 2004 in zahlreichen Fällen gewerbsmäßig Heroin und / oder Kokain verkaufte

- vom LG Frankfurt am Main, Deutschland, am 03.11.2009 wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, jeweils in nicht geringer Menge, zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten, weil er am 25.07.2009 in einem ICE auf dem Weg von Brüssel nach Wien mit 3.000 g Heroin in einem präparierten Gepäckstück aufgegriffen worden war,

- und vom LGS Wien am 17.07.2015 wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels durch Überlassen und versuchtes Überlassen zu 18 Monaten Freiheitsstrafe, weil er Kokain in einer nicht mehr feststellbaren Menge, jedenfalls über 15 g Reinsubstanz, von ca. 2014 bis 17.03.2015 vier Abnehmern überlassen und am 18.03.2015 einen Teil davon mit 1,96 g Reinsubstanz zum Verkauf an einen davon bereitgehalten hatte.

Dem Beschwerdeführer wurde mit der Maßgabe Strafaufschub gewährt, dass er sich (u. a.) einer Psychotherapie, einer Entzugs- und Substitutionsbehandlung sowie einer stationären Behandlung unterzieht. Da er bereits die Vorbetreuung abbrach, hat das LGS das Strafaufschub am 04.05.2016 widerrufen.

Am 06.06.2018 wurde er bedingt aus der Strafhaft entlassen mit einer Probezeit von drei Jahren und den Auflagen, einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachzugehen (oder sich beim AMS arbeitssuchend zu melden) sowie eine ambulante Suchtmittelentwöhnungstherapie an Anspruch zu nehmen. Laut Bewährungshilfeverein besucht er die Therapie regelmäßig. Die Drogenhilfeeinrichtung hat bestätigt, dass er sie regelmäßig in Anspruch nimmt.

Den Behörden fiel er im Inland ferner bereits im April 2002 wegen des Verdachts des Vergehens nach § 27 Abs. 1 SMG in Bezug auf Besitz, Konsum und Erwerb von Cannabiskraut auf (wobei er Aufmerksamkeit erregte, weil er am unterirdischen U-Bahnsteig rauchte und nach Abmahnung den Polizeibeamten anschrie, schließlich lachend die Zigarette auf den Bahnsteig warf und nur mit Körperkraft zum Mitkommen bewegt werden konnte), und auch noch Ende Mai 2020, als er mit vier „Baggies“ mutmaßlichem Marihuana aufgegriffen wurde. (AS 171 ff, vorläufige Zurücklegung der Anzeige [2002], 179 [2020])

1.9 Der Beschwerdeführer verbrachte folgende Zeiten in Haft:

21.01.1999 bis 19.04.2000 (Schubhaft), 14.12.2004 bis 09.12.2005 in Island (worauf er nach Österreich abgeschoben wurde), 09.12.2005 (AS 286) bis 09.03.2006, 25.07.2009 bis 22.12.2011 in Deutschland, 18.03. bis 19.08.2015, 07.11.2017 bis 06.06.2018 sowie seit 30.05.2020 (Schubhaft).

1.10 Seit seiner letzten Einreise wohnte er (außer in den Zeiten der Haft) unangemeldet, zuletzt meist bei einem Landsmann in Wien 10 und hatte nur 2015/16 für sieben Monate und ab Ende Juni 2018 eine „Obdachlosenmeldung“ bei einem Verein, wo er aber nicht regelmäßig seine Post abholte, sodass er mehrere Ladungen des BFA nicht erhielt. Ein weiterer Landsmann hat ihm angeboten, gratis bei ihm in Wien 15 unterzukommen.

1.11 Der Beschwerdeführer ist haft- und verhandlungsfähig, klagt über Schmerzen im Brustbereich, leidet aber an keiner schweren Krankheit und ist grundsätzlich gesund. Er nimmt Medikamente wegen seines Blutdrucks, aber keine Herzmedikamente. Er spricht seinen Angaben nach mittelmäßig gut Deutsch. Für seine Vernehmungen waren – zuletzt am 30.09.2020 in der Verhandlung vor diesem Gericht (G311 2232058-2/35Z) – Dolmetscher erforderlich.

Er hat in Österreich keine familiären, gesellschaftlichen, beruflichen oder sonstigen Bindungen, die über die Kontakte zu Behörden und alltägliche Verrichtungen hinausgingen, keine Obsorgepflichten und keinen rechtlich gesicherten Wohnsitz. Es kann nicht festgestellt werden, dass er eine Tochter im Inland oder sonst in Europa hätte. Er ist nicht selbsterhaltungsfähig. Außer in der Kirche ist er nirgends Mitglied.

Bei der Prüfung der Schubhaft hat dieses Gericht festgestellt, dass das Risiko, dass er untertaucht, bevor ein Heimreisezertifikat ausgestellt und er anschließend abgeschoben wird, als schlüssig anzusehen und von massiver Fluchtgefahr auszugehen ist, sowie ferner, dass er nicht in den Herkunftsstaat zurückkehren möchte und nicht gewillt ist, sich der Rechtsordnung entsprechend zu verhalten.

1.2 Zur Lage im Herkunftsstaat:

In den angefochtenen Bescheiden wurden die aktuellen Länderinformationen zu Nigeria mit Stand 20.05.2020 zitiert. Im Beschwerdeverfahren sind keine entscheidenden Änderungen der Sachverhaltselemente bekannt geworden.

Aus einem Bericht des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen („EASO Special Report: Asylum Trends and COVID-19“) ergibt sich zwar betreffend Nigeria, dass die Zahl der bisher gemeldeten COV-Fälle die tatsächliche Verbreitung des Virus unterschätzen könnte, insbesondere in Bundesstaaten, die keine Labors haben, andererseits zeigt das Verhältnis der Zahl Infizierter (ohne Verstorbene und Geheilte), 3.101 per 19.11.2020, davon 37 in Delta State, zur Zahl durchgeführter Tests (728.128 bei ca. 200 Mio. Einwohnern oder 3.641 pro Million), dass auch eine Hochrechnung auf die Testquote Österreichs (311.980 pro Mio. Einwohner) keine gravierende Zahl dieser Infizierten ergäbe, nämlich 0,27 Mio. oder 0,13 % der Bevölkerung, also viel weniger als in Österreich (das bei 0,86 % liegt, als ca. 6,5 mal so viel).

Daraus folgt nicht, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr zwangsläufig in eine ausweglose Situation geriete.

Im gegebenen Zusammenhang sind mangels sonstiger Bezüge zum Vorbringen die folgenden Informationen von Relevanz und werden festgestellt:

1.2.1 Naturreligionen und Juju

Die traditionellen Religionen erleben derzeit eine Art Renaissance. Je nach Volksgruppe glaubt man an Erdgeister, Wassergötter, Ahnengeister, Gottheiten, Magie und Zauberei. Bei den Volksgruppen im Süden Nigerias ist der Juju-Glaube ausgeprägt, in dessen Zentrum Juju als magische Zauberkraft steht. Erscheinungsformen sind Juju-Wälder, Juju-Flüsse, Juju-Pflanzen, Juju-Bäume oder auch Gegenstände wie Amulett und Talisman. Trotz der Akzeptanz von Christentum und Islam sucht die breite Mehrheit der nigerianischen Bevölkerung im Juju Schutz vor fremden Mächten. Die nominelle Zugehörigkeit zu einer etablierten Religion bedeutet für viele Nigerianer keineswegs die Aufgabe ihrer traditionellen Religion (GIZ 3.2020b). Juju ist ein Ausdruck für verschiedene Kultpraktiken, die in Teilen Nigerias in einer Sphäre von Religion, Kriminalität und Politik praktiziert werden. Juju wird hauptsächlich im Verborgenen ausgeübt und es gibt unterschiedliche lokale Praktiken; daher liegen zu Juju-Kulten nur wenige Informationen vor, und diese unterscheiden sich häufig voneinander (ACCORD 25.4.2019).

Theoretisch könnte es schwierig oder gar gefährlich sein, wenn eine Person die Übernahme der Rolle eines Priesters, Kräuterkundigen oder ähnliches verweigert. Praktisch sind aber keine Fälle bekannt, wonach das Priestertum irgendwem aufgezwungen worden wäre, oder dass Verweigerer bedroht oder Gewalt ausgesetzt wurden. Ein Nachfolger, der Interesse und Eignung für die vorgesehene Rolle hat, ist erwünscht. Die Rekrutierung für solche Positionen kann unterschiedlich ablaufen, impliziert jedoch eine lange Zeit des Lernens und der Ausbildung. Es muss nicht notwendigerweise der älteste Sohn sein, der die Rolle des Oberpriesters übernimmt. Eine Verweigerung der Nachfolge des Oberpriesters wird nicht als Affront gegen den Schrein gesehen (EASO 6.2017). Menschenhändler benutzen Juju und andere traditionelle Schwur-Rituale, um Opfer von Menschenhandel, einschließlich Kinder, zu kontrollieren (ACCORD 25.4.2019).

1.2.2 Meldewesen

Ein Meldewesen ist nicht vorhanden (ÖB 10.2019; vgl. AA 16.1.2020; EASO 24.1.2019), wie u.a. zahlreiche Quellen bei EASO angeben. Nur eine Quelle behauptet, dass es eine Art Meldewesen gibt. Es bestehen gesetzliche Voraussetzungen, damit Bundesstaaten ein Meldewesen einrichten können. Bislang hat lediglich der Bundesstaat Lagos davon Gebrauch gemacht (EASO 24.1.2019). Auch ein funktionierendes nationales polizeiliches Fahndungssystem existiert nicht. Daraus resultiert, dass eine Ausforschung einmal untergetauchter Personen kaum mehr möglich ist. Das Fehlen von Meldeämtern und bundesweiten polizeilichen Fahndungsbehörden ermöglicht es in den allermeisten Fällen, bereits in der näheren Umgebung unterzutauchen (ÖB 10.2019). […]

1.2.3 Rückkehr

Generell kann kein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen festgestellt werden, welcher geeignet wäre, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die allgemein herrschende Situation in Nigeria stellt keine Bedrohung i.S.v Art. 2 MRK, 3 MRK oder des Protokolls Nr. 6 oder 13 der EMRK dar. Außerdem kann allgemein festgestellt werden, dass eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2019).

Abschiebungen erfolgen auf dem Luftweg, in Linien- oder Chartermaschinen. Rückführungen aus EU-Staaten erfolgen meist durch Charterflüge, die auch durch FRONTEX durchgeführt werden (AA 16.1.2020). Die österreichische Botschaft in Abuja unterstützt regelmäßig die Vorbereitung und Durchführung von Joint Return Operations (JROs) gemeinsam mit FRONTEX (ÖB 10.2019). Ohne gültigen nigerianischen Pass oder einen von einer nigerianischen Botschaft ausgestellten vorläufigen Reiseausweis ist eine Einreise aus Europa kommender nigerianischer Staatsangehöriger nicht möglich. Dies gilt auch für zwangsweise Rückführungen (AA 16.1.2020).

Erkenntnisse darüber, ob abgelehnte Asylbewerber bei Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Beantragung von Asyl mit staatlichen Repressionen zu rechnen haben, liegen nicht vor. Verhaftung aus politischen Gründen oder andere außergewöhnliche Vorkommnisse bei der Einreise von abgeschobenen oder freiwillig rückkehrenden Asylwerbern sind nicht bekannt (AA 16.1.2020). Die Erfahrungen mit den JROs seit dem Jahre 2005 lassen kaum Probleme erkennen (ÖB 10.2019). Abgeschobene Personen werden im Allgemeinen nach ihrer Ankunft in Lagos von der zuständigen Behörde (Nigerian Immigration Service), manchmal auch von der NDLEA (National Drug Law Enforcement Agency) befragt (AA 16.1.2020) bzw. erkennungsdienstlich behandelt (ÖB 10.2019) und können danach das Flughafengelände unbehelligt verlassen (AA 16.1.2020; vgl. ÖB 10.2019). Meist steigen sie in ein Taxi ein oder werden von ihren Familien abgeholt. Es kann jedoch nicht mit gänzlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die abgeschobenen Personen keine weiteren Probleme mit den Behörden haben. Das fehlende Meldesystem in Nigeria lässt allerdings darauf schließen, dass nach Verlassen des Flughafengeländes eine Ausforschung Abgeschobener kaum mehr möglich ist (ÖB 10.2019).

Wegen Drogendelikten im Ausland verurteilte Nigerianer werden nach Rückkehr an die NDLEA überstellt. Ein zweites Strafverfahren in Nigeria wegen derselben Straftat haben diese Personen jedoch trotz anderslautender Vorschriften im „Decree 33“ nicht zu befürchten (AA 16.1.2020). Aus menschenrechtlichen Erwägungen wird gegenüber nigerianischen Behörden als Grund für Abschiebungen stets „overstay“ angegeben, da dieser kein strafrechtliches Delikt darstellt (ÖB 10.2019).

Staatliche oder sonstige Aufnahmeeinrichtungen für zurückkehrende unbegleitete Minderjährige sind in Lagos und anderen Landesteilen grundsätzlich vorhanden. Sie sind jedoch in schlechtem Zustand, so dass z.B. die Angebote nicht bekannt sind oder eine ausreichende Versorgung dort nicht ohne weiteres gewährleistet ist. Internationale Akteure bemühen sich, neue Rückkehrer- bzw. Migrationsberatungszentren aufzubauen. Eine entsprechende Einrichtung von IOM in Benin-City, Edo State, wurde 2018 eröffnet. Gleichermaßen haben im Herbst 2018 in Lagos, Abuja und Benin City Migrationsberatungszentren der GIZ ihren Betrieb aufgenommen. Gemeinsam mit dem nigerianischen Arbeitsministerium wird dort über berufliche Perspektiven in Nigeria informiert (AA 16.1.2020).

1.3 Zum Vorbringen:

1.3.1 Zu seinem ersten Asylantrag hat der Beschwerdeführer 1999 außer seiner angeblichen sudanesischen Staatsangehörigkeit angegeben, er stamme aus einem Dorf in der Gegend von Nubah (einem Vorort von Khartum, Anm.) und die Leute aus dem Norden hätten ihn töten wollen. Ein Geistlicher habe ihn um Mitternacht vom Dorf zu einem Schiff gebracht, wo sie morgens angekommen seien. Nach „etwa zwei Wochen und vier Tage[n]“ habe der Mann gesagt, er solle das Schiff verlassen und zu einem LKW gehen, wo er dann mit Kartons zusammen mitgefahren und schließlich in einen Zug umgestiegen sei, dessen Fahrer ihm gesagt habe, dass er in Traiskirchen aussteigen solle.

In der Berufung gegen die Abweisung des ersten Asylantrags gab er (ergänzt am 17.11.1999) an, sein Vater sei umgebracht worden, weil er das Evangelium gepredigt und den Dorfbewohnern erklärt habe, was die Menschen aus dem Norden täten, sei nicht richtig. So seien fast alle Dorfbewohner Christen geworden. Seine Mutter und seinen jüngeren Bruder hätten Moslems am 30. August 1999 entführt, während der Beschwerdeführer durch ein Fenster zum Haus eines Freundes habe fliehen können. Dem habe er alles erzählt, und am nächsten Morgen auch dessen Vater.

Dieser habe dann Männer der Streitkräfte des Südsudan gebracht (Sudan People's Liberation Army, SPLA), die für ihn Rache an den Moslems nehmen wollen hätten. Da er sich dagegen ausgesprochen habe und nicht mit ihnen gegangen wäre, hätten sie ihn fünf Tage lang eingesperrt. Danach habe ihm der Vater des Freundes das Gefängnistor geöffnet, ihn zu dem Geistlichen begleitet und diesem alles über des Beschwerdeführers Probleme erzählt. Nach einer Woche im Haus des Priesters seien sie dann mit Fahrrädern zu dem Schiff gefahren.

Weil sich die Mutter geweigert habe, einen der Anführer der Moslems zu heiraten, hätten diese dann das Wohngebäude niedergebrannt. Sein Vater habe immer sicherstellen wollen, dass der Beschwerdeführer später Anwalt werden würde. Da der Vater aber 1991 umgebracht worden sei, als dieser erst in der zweiten Klasse gewesen sei, habe sich niemand mehr um die Schulausbildung des Beschwerdeführers gekümmert, sodass er schließlich Bauer geworden und geblieben sei.

1.3.2 Von der Polizei zu Aufenthaltsverbot und Schubhaft vernommen, hat der Beschwerdeführer im Dezember 2005 demgegenüber völlig anders angegeben, dass seine Eltern im Herkunftsstaat in Delta State an seiner Heimatadresse leben (AS 281), desgleichen in seinem Lebenslauf vom 15.06.2004 (AS 137). Beim BFA hat er noch am 30.05.2020 angegeben, er habe in Nigeria bei seinen Eltern gewohnt. Nach Österreich sei er gekommen, weil er bemerkt habe, hier ein gutes Leben führen zu können. In Nigeria sei er zuletzt 2006 gewesen. (AS 211 ff)

Am 24.06.2020 erklärte er beim BFA, er habe nach 12 Schuljahren Wirtschaft studiert und einen Bachelor of Science erworben. (AS 535)

1.3.3 Zu seinem Asylfolgeantrag vom 04.08.2020 gab er nunmehr wieder anders bei der Polizei an, ein Mann namens „Linus“ habe ihn 1999 nach Österreich gebracht. Ein Schulfreund habe ihm erzählt, dass „Linus“ Reisen für alle organisiere, die von Nigeria wegwollten. Der Preis seien US$ 40.000,-- und „Linus die Kontaktperson gewesen. Er sei am 01.10.1999 nach Mailand geflogen, wo „Linus“ im Transitbereich des Flughafens auf sie gewartet habe. „Linus“ habe ihm den Reisepass mit dem Visum abgenommen und die Telefonnummer einer Person gegeben, die er in Österreich kontaktieren solle. (AS 25 ff)

Beim BFA gab er (sinngemäß wie bei der Polizei auch) an (AS 69 ff), seine Mutter sei 2010 ermordet worden, sein Vater 2016 attackiert und 2017 daran verstorben. Seinen Bruder habe man Mitte Februar 2020 getötet.

Ferner gab er an, er habe nach Europa wollen, um ein neues Leben zu beginnen, hier zu arbeiten und zu leben. Er habe keinen Plan und kein Reiseziel gehabt, nur nach Europa gewollt. Den Folgeantrag stelle er, weil er den „Schleppervertrag“ nicht hätte unterzeichnen dürfen, er habe nicht bezahlt, weshalb es jetzt sehr gefährlich für seine Familie geworden sei.

Nach Nigeria sei er 2006 auch zurückgekehrt, um herauszufinden, wieviel genau er dem Schlepper schulde, im Vergleich damit, was andere ausgäben. Den Schlepper habe er, nachdem er 2011 aus der Haft entlassen worden sei, 2012 kontaktiert, und 2012 oder 2013 den letzten Kontakt mit ihm gehabt. Er habe diesem nichts bezahlt, aber für ihn die Drogen nach Island und nach Deutschland geschmuggelt.

1.3.4 Dem Beschwerdeführer droht im Herkunftsstaat keine Verfolgung durch einen Menschenhändler oder andere Kriminelle, gegen die ihn nicht eine geeignete Ortswahl oder die staatlichen Behörden schützen könnten. Er hat keinen Fluchtgrund glaubhaft gemacht und kein substantiiertes Vorbringen erstattet.

1.3.5 Es gibt keinen Hinweis, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer wie immer gearteten asylrelevanten Verfolgung oder sonstigen existentiellen Bedrohung ausgesetzt oder automatisch in eine unmenschliche Lage versetzt sein wird.

1.3.6 Der Beschwerdeführer hat im Herkunftsstaat familiäre und andere soziale Kontakte, die er nach seiner Rückkehr auffrischen und vertiefen kann. Er ist mit der Kultur des Herkunftsstaats und den Gepflogenheiten des dortigen Arbeitsmarkts vertraut. Daher wird es ihm möglich sein, dort Arbeit zu finden und von dieser zu leben. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Nigeria die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre.

2. Beweiswürdigung:

2.1 Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang und der festgestellte Sachverhalt ergeben sich zunächst aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des BAA sowie der vorliegenden Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes und der Akten der vorangegangenen Berufungs- und Beschwerdeverfahren, speziell dem vor knapp vier Wochen ergangenen Erkenntnis dieses Gerichts zu G302 2232058-3/2E betreffend die Schubhaft.

Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Fremdenregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem Register der Sozialversicherungen und dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend eingeholt, ferner das Verhandlungsprotokoll des zweiten Schubhaftverfahrens (G311 2232058-2) und dessen Erkenntnis sowie das zuvor genannte jüngste Erkenntnis im dritten Schubhaftverfahren eingesehen.

2.2 Zur Person des Fremden

2.2.1 Die Lebensumstände des Beschwerdeführers samt Ausbildung, Arbeitsmarkterfahrung sowie Privat- und Familienleben ergaben sich – soweit im Folgenden nicht darauf eingegangen wird – aus den bisherigen Feststellungen, seinen Angaben, speziell zuletzt vor dem BFA, und den Abfragen der Register.

Das Gericht verkennt nicht, dass der Beschwerdeführer in den bisherigen Verfahren unterschiedliche Angaben zur Existenz seines Vaters (wonach dieser entweder noch lebte oder 1991 oder 2017 verstorben war) und betreffend das Vorhandensein einer dritten Schwester G. in Spanien machte (Einvernahme am 31.05.2020, AS 211, 219 versus bisher und Befragung bei der Polizei am 05.08.2020, AS 5, wonach es nur die beiden Schwestern im Herkunftsstaat gäbe), ferner auch betreffend den Bruder (w. o. AS 211, Bruder lebt, Eltern verstorben, versus bei der Polizei am 05.08.2020 (AS 29, Bruder am 07.01.2020 getötet). Diese Unterschiede lassen aber (auch im Hinblick auf die Altersangaben und beim Bruder den Zusammenhang mit dem Fluchtvorbringen) keinen Zweifel, dass die im Kern viel häufiger übereinstimmende lebensnähere Version zutrifft, wonach (jedenfalls) die drei festgestellten Geschwister sich im Herkunftsstaat aufhalten.

2.2.2 Seine Identität steht auf Grund der Mitteilung des Botschafters des Sudan vom 06.12.1999, dass es sich nicht um einen Sudanesen handelt, und des nigerianischen Reisepasses fest.

2.2.3 Wann die Ehe rechtlich endete, steht nicht genauer fest, weil der Zeitpunkt der Ehescheidung in den Akten (bei gleicher GZ XXXX , also aus 2005, des BG Hernals) unterschiedlich angegeben ist, in der „Enderledigung“ des UVS vom 22.12.2010 „mit Rechtskraft vom 09.01.2007 aufgelöst“ (AS 459), und in dessen Berufungsbescheid vom 13.01.2012 mit rechtskräftig am 02.06.2006 (AS 542). Das Scheidungsurteil findet sich nicht in den Akten und stand auch nicht kurzfristig zur Verfügung.

2.2.4 Seine Unterkunft zwischen der letzten Straf- und der Untersuchungshaft ergibt sich aus mehreren Polizeiberichten z. B. vom 20.02. und 30.05.2020 (AS 171, 179) und der folgenden Aussage beim BFA (AS 209).

2.2.5 Betreffend die angebliche Tochter von der angeblichen Lebensgefährtin und die Tochter der Exgattin hatte sich die Feststellung auf das Nichtbestehen eines Familienlebens zu beschränken, weil der Beschwerdeführer zu Ersterer angegeben hat, dass ihr Vorname „N.“ laute, sie bei ihrer Mutter in der Slowakischen Republik wohne, und als ihr Geburtsdatum einen konkreten Tag im August 2009 angab (Polizei, AS 6). Er habe sie „Irgendwann 2019“ zuletzt gesehen (BFA, AS 65) und „keine Adresse“ (BFA 31.05.2020, AS 397).

Demgegenüber hat seine ehemalige Gattin Anfang 2010 angegeben, dass ihre an einem anderen Tag in einer früheren Jahreszeit 2009 geborene Tochter mit dem Vornamen „V.“ ein Kind des Beschwerdeführers sei. Wo dieser sich aufhalte oder wohne, sei ihr nicht bekannt, sie habe bereits die Scheidung beantragt. (AS 171) Nach einem Aktenvermerk dazu vom Jänner 2011 ist der Vater allerdings nicht der Beschwerdeführer, sondern ein älterer, verheirateter Österreicher nigerianischer Herkunft. (AS 293) Für dieses Ergebnis spricht sehr, dass der dritte Vorname der Tochter mit dem Nachnamen dieses Österreichers übereinstimmt.

Die Angaben der Frau zum Beschwerdeführer sind auch darüber hinaus nicht immer faktenbezogen, zumal sie auch verschwieg, dass sie damals bereits seit mehr als zwei Jahren geschieden war, und im Verfahren betreffend die Niederlassungsbewilligung der BH gegenüber als Fluchtgrund des Beschwerdeführers angegeben hat, „da er auf seiner Universität Probleme gehabt hätte“. (Niederschrift 28.01.2002, ein Monat nach der Hochzeit, AS 122) Etwa 2,5 Monate danach (April 2002) zum Vorfall auf dem U-Bahnsteig befragt, gab sie, die seit 1997 u. a. Afrikanistik studierte, der Polizei an: „Er ist Student hier, aber was er studiert weiß ich nicht.“ (AS 207)

In seiner Berufung gegen das Aufenthaltsverbot hat der Beschwerdeführer im Oktober 2010 die Folgen für „meine Gattin und das Kind“ ins Treffen geführt (aber nicht: „mein Kind“), sodass er offenließ, wessen Vaters „das“ Kind ist.

Im Urteil des LG Frankfurt von November 2009 (Hauptverhandlung am 16.10. und 03.11.) ist festgehalten, dass der Beschwerdeführer mit der Gattin (von der er seit 2006 geschieden sei) keine Kinder habe, jedoch seine Lebensgefährtin von ihm ein Kind erwarte (sodass seine Abwesenheit bei der Geburt strafmildernd berücksichtigt wurde). (AS 418) Das harmoniert nicht mit einer Niederkunft im August 2009.

Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer in der Berufungsverhandlung im Jänner 2010 beim UVS Wien vorbringen ließ, das Kind der Lebensgefährtin sei nicht seines. (AS 541) Beim BFA gab er die Namen und Geburtstag eines Kindes D. N. an (AS 379, 533), das laut ZMR nie in Österreich gemeldet war.

Nach all dem waren genauere Feststellungen nicht möglich.

Die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers folgt außer der Erklärung „Mir geht es gut.“ und dem Geständnis der Schwarzarbeit beim BFA (31.05.2020, AS 395, 399; 24.06.2020, AS 535) auch aus seinen Aussagen beim BFA am 11.08.2020 (AS 63) und vor dem Verwaltungsgericht am 30.09.2020 (S. 3 der Niederschrift), aus denen sich schließen ließ, dass eine die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigende Erkrankung nicht vorliegt.

2.2 Zur Lage im Herkunftsland

Die Länderfeststellungen, welche den Entscheidungen des BFA zu Grunde zu legen waren, sind aktuell (20.05.2020). Es ist daher und auch betreffend die Pandemie keine entscheidungswesentliche Änderung der Ländersituation eingetreten.

Das BFA hat dem Beschwerdeführer die Länderfeststellungen am 19.08.2020 vorgelegt und ihm eine Frist zur Stellungnahme bis 26.08.2020 eingeräumt, welche ungenutzt blieb. In der Beschwerde gegen den danach ergangenen zweitangefochtenen Bescheid hat er die Länderfeststellungen als unvollständig kritisiert und aus weiteren Quellen (konkret der Jahre 2015 bis 2017) zitiert. Damit ist er den Feststellungen nicht substantiiert entgegengetreten.

Die weiteren Feststellungen dazu entstammen der genannten Veröffentlichung der EU-Agentur EASO (www.easo.europa.eu/publications/easo-special-report-asylum-trends-and-covid-19-issue-2) und des „Centre for Disease Control“ des Herkunftsstaats (covid19.ncdc.gov.ng). Die inländischen Zahlen sind die des BMSGPK (www.derstandard.at/story/2000120049733/aktuelle-zahlen-coronavirus-oesterreich-corona-ampel-in-ihrem-bezirk) mit Stand 19.11.2020, 09:30 h.

2.3 Zum Vorbringen:

2.3.1 Der Beschwerdeführer behauptet im vorliegenden Folgeverfahren, zu dem der im Spruch zweitgenannte Bescheid erging, er habe nach Europa wollen, um ein neues Leben zu beginnen, hier zu arbeiten und zu leben. Da er dem Schlepper von 1999 aber das Entgelt schuldig geblieben sei, würden nun seine Angehörigen gleichsam der Reihe nach umgebracht, und er würde das gleiche Schicksal erleiden, wenn er zurückkehrte.

2.3.2 Durch eine NGO machte er ferner geltend, er sei 1999 auf Betreiben seiner Familie einem namentlich genannten Menschenhändler namens Linus O. übergeben worden. Er habe sich damals vertraglich verpflichtet, für seinen Transport nach Europa US$ 40.000,-- durch Arbeitsleistungen abzubezahlen, wobei er über den Wert getäuscht worden sei, weil ihm und der Familie der Unterschied zwischen US-Dollars und der lokalen Währung Naira nicht bekannt gewesen sei. Linus O. habe ihm eine anständige Arbeit in Europa versprochen, mit welcher die Summe zurückgezahlt werden könne.

Linus O. habe den Beschwerdeführer mit dem Flugzeug bis Mailand begleitet und diesen dort an Komplizen übergeben. Nach dem Weitertransport nach Österreich sei der Beschwerdeführer mit einem falschen sudanesischen Pass ausgestattet zur Asylantragstellung gebracht worden. Als es ihm in Zusammenhang mit der Eheschließung möglich gewesen sei, habe er selbständig seine falsche Identität abgelegt und den Behörden die richtige bekanntgegeben.

Er sei als Asylwerber von Komplizen des Linus O. zur Mitwirkung am Drogenhandel genötigt worden. Um nicht Drogen auf der Straße verkaufen zu müssen, habe er von ihnen Aufträge als Drogenkurier angenommen. Nach der Rückkehr aus Island nach Österreich sei er 2006 bedroht worden, sollte er sich weigern weiterzuarbeiten, werde seiner Familie Leid geschehen.

2.3.3 Wie bereits das BFA im Bescheid vom 28.10.2020 begründend ausführt (S. 35 f, AS 165 f), hat der Beschwerdeführer kein substantiiertes und glaubhaftes Fluchtvorbringen erstattet, zumal - vom späten Zeitpunkt des Vorbringens abgesehen - die Schilderungen unglaubwürdig und nicht nachvollziehbar und das Geschilderte unwahrscheinlich blieben. Es ist insbesondere unglaubhaft, dass der Beschwerdeführer nach einer Rückkehr gefunden würde, wenn er einen neuen Wohnort wählt.

2.3.4 Zum späten Vorbringen fällt auf, dass der Beschwerdeführer bei der Botschaft in Dänemark angegeben hat, er sei mithilfe einer Schlepperorganisation bereits 1998 nach Österreich gekommen und nach seiner freiwilligen Rückkehr 2000 nach Nigeria nach Dänemark gekommen, um Asyl zu beantragen, weil es im Herkunftsstaat „lebensbedrohlich“ gewesen sei. (AS 118) Demnach wäre er bereits 2000 imstande gewesen, die Problematik im (Berufungs-) Asylverfahren samt seiner Identität im „Zusammenhang mit der Eheschließung“ zu erklären. Nach den Feststellungen war er nämlich vorher neuerlich in Österreich und lebte bei seiner Verlobten, bevor er nach Dänemark reiste. Diese gab zu Dänemark an: „Im September 2001 flog er dann nach Dänemark, wo er neuerlich um Asyl ansuchte, da uns gesagt wurde, dass dort leichter als in Österreich Asyl gewährt wird.“ (AS 122) In Österreich wurde indes das Berufungsverfahren 2002 (bis 2010) eingestellt, weil er unter dem Aliasnamen unauffindbar war.

Selbst 10 Jahre später und nach der angeblichen Bedrohung von 2006 gab er in seiner Eingabe an die Fremdenpolizei vom 12.07.2010 an, der Zweck seiner Einreise im Oktober 1999 sei die Flucht vor seinem Vater gewesen, der Mitglied der „Großen Vampire“ sei, die rituell das erste jährlich geborene Kind opferten. Seine Mutter habe auf diese Art schon zwei Söhne vor seiner Geburt verloren und, damit der Beschwerdeführer nicht das nächste Opfer werde, den Pastor ersucht, die Flucht zu organisieren. Drei Monate darauf sei er mit dem Freund des Pastors von Warri (Delta Stata, Anm.) nach Abuja, „begleitet“ von einem namentlich genannten Anwalt mit den Initialen J. B. M., der nach ihm gesucht habe, weil er ihm kein Geld für eine Unterbringung in Österreich (im Schriftsatz der Anwältin: „Überführung nach Österreich“) habe zahlen wollen. Der Beschwerdeführer sei untergetaucht und der Pastor getötet worden, weil er seinen Aufenthaltsort nicht verraten habe. Anfang Februar 2010 seien seine Mutter und seine Großmutter geopfert worden, um der Gesundheit des Vaters willen, der ernsthaft erkrankt sei, und wenn er zurückkehren würde, wäre der Beschwerdeführer als nächste Opfergabe vorgesehen. (AS 408 f, 412)

2.3.5 Ferner erstaunt, wie auch das BFA anführt, dass der Beschwerdeführer nach eigenen Angaben seit 2012 oder 2013 unbehelligt blieb. Dieser hat in seinen Verfahren mehrfach angegeben, 2006 (auch) im Herkunftsstaat gewesen zu sein. Damals, so bringt er jetzt vor, habe er mit dem Schlepper erfolglos verhandelt. (BFA, 11.08.2020, AS 69) In keiner Vernehmung allerdings geht der Beschwerdeführer darauf ein, dass er sich ab Ende 2011 wieder im Herkunftsstaat befand, weil er dorthin abgeschoben worden war („Ich kam aus dem Gefängnis 2011 und kontaktierte ihn 2012, worauf er meinte, dass der Tod meiner Mutter eine Warnung war.“ – w. o. AS 69). Diese aktuellere Episode fehlt auch in der Eingabe der NGO.

Davon ausgehend, dass der Schlepper Gewalttaten an der Familie des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat begangen oder veranlasst hätte, wäre unerklärlich, warum dieser selbst an Ort und Stelle von ihm unbehelligt hätte bleiben sollen, ja nicht einmal neue Arbeitsaufträge erhalten hätte („weil ich meine Nummer änderte und er mich nicht erreichen konnte“, BFA 19.08.2020, AS 113).

Nach seiner Schmuggelfahrt im ICE, also nach seiner mindestens dritten Reise vom Herkunftsstaat nach Europa, hat er 2009 dem deutschen Gericht angegeben, das Heroin in Brüssel von einem „Mr. Lucas“ erhalten zu haben, der in Belgien lebe. (AS 420) Er habe ihm für den Transport € 500,-- bezahlt. Egal, ob es sich bei „Lucas“ um „Linus“ handeln soll oder nicht, widerspricht die Bezahlung des Beschwerdeführers auch seinem Vorbringen, er hätte mit der Fahrt seine Schulden abgearbeitet.

Der Beschwerdeführer hat bei seiner Einvernahme am 21.10.1999 angegeben, keine Dokumente zu haben (AS 5), also auch den angeblichen sudanesischen Pass nicht verwendet.

2.3.6 Dem BFA ist daher beizupflichten, dass der Beschwerdeführer keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen konnte, und es unglaubhaft ist, dass ihm Gefahr wegen Schulden beim Schlepper drohe. Auch dem weiteren Argument des BFA dazu ist beizupflichten, dass ein etwaiger Konnex zwischen dem Schlepper und den angeblichen Angriffen – den der Beschwerdeführer außer für 2010 nur vermutet – den Familienmitgliedern mitgeteilt und von diesen berichtet worden wäre, sollte die Erpressung ihren Zweck erfüllen.

2.3.7 Wie das BFA kann das Verwaltungsgericht darum nicht feststellen, dass der Beschwerdeführer konkreter persönlicher Verfolgung durch den Schlepper oder in dessen Auftrag ausgesetzt gewesen oder in Gefahr wäre, eine solche nach Rückkehr zu erleiden. Damit war es auch nicht notwendig, alle Widersprüche zu berücksichtigen, weil das Ergebnis bereits anhand der Überlegungen des BFA zu konkreten Punkten feststeht.

Es bedarf daher im Rahmen der vom BFA auf S. 34 (AS 164) allgemein angesprochenen Widersprüche keiner Erörterung, ob ein Wirtschaftsstudium im Herkunftsstaat (AS 535) einen Irrtum über den Wert der eigenen Währung gegenüber dem US-Dollar zulässt, oder warum der Beschwerdeführer anders als die NGO angab, „Linus“ habe in Mailand auf sie gewartet und ihm eine Telefonnummer gegeben (AS 27; „Nach Österreich kam ich alleine.“, AS 67), und nicht, dass Linus ihn nach Mailand begleitet und dort einem Komplizen übergeben habe.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) (Abweisung der Beschwerden):

3.1 Zum Status des Asylberechtigten (Bescheid 2, Spruchpunkt I):

3.1.1 Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1, Abschnitt A, Z. 2 der GFK droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Flüchtling im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen, oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

3.1.2 Zum Vorbringen des Beschwerdeführers, er werde wegen angeblicher Schulden umgebracht werden, und sein Schlepper verfolge ihn deswegen, wogegen der Staat ihn nicht schützen könne, ist auf die Notwendigkeit zu verweisen, eine Verfolgung zumindest glaubhaft zu machen. Wie ausgeführt, ist das dem Beschwerdeführer nicht gelungen.

3.1.3 Im vorliegenden Fall liegt daher die Voraussetzung einer aktuellen Verfolgungsgefahr aus einem in der GFK angeführten Grund nicht vor. Daraus ergibt sich rechtlich gesehen, dass dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat keine Verfolgung nach Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK droht, und daher der Spruchpunkt I. des zweiten angefochtenen Bescheides zu bestätigen ist.

3.2 Zum Status des subsidiär Schutzberechtigten (Bescheid 2, Spruchpunkt II):

3.2.1 Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser Antrag in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Nach § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 zu verbinden.

Das Beschwerdevorbringen beinhaltet die Behauptung einer privaten Verfolgung, welcher der Beschwerdeführer nach Rückkehr ausgesetzt wäre, führte aber zu keinen einschlägigen Feststellungen im Sinn der angeführten Bestimmungen.

3.2.2 Hinweise auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage (allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse) liegen nicht vor, auch nicht mit Blick auf die Pandemie, weshalb aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gem. Art. 2 oder 3 EMRK abgeleitet werden kann.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach erkannt, dass auch die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat eine Verletzung von Art 3 EMRK bedeuten kann, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet. Gleichzeitig wurde jedoch unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EGMR betont, dass eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen ist (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174 und VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443 mwH). Nach den Feststellungen zu Gesundheit und Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers und den Länderfeststellungen ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in eine existenzbedrohende Lage geraten würde.

Das gilt auch dann, wenn eine Unterstützung durch den Onkel oder andere Angehörige des Beschwerdeführers unterbleibt, weil er arbeitsfähig ist, Ika und Englisch spricht, eine langjährige Bildung aufweist und bereits in verschiedenen Branchen dort sowie in Österreich berufstätig war.

Aufgrund all dessen ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat seine dringendsten Bedürfnisse befriedigen kann und nicht in eine dauerhaft aussichtslose Lage gerät, sodass auch der Spruchpunkt II des zweiten angefochtenen Bescheides zu bestätigen war.

3.3 Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels (Bescheid 1, Spruchpunkt I, Bescheid 2, Spruchpunkt III):

In den genannten Spruchpunkten der angefochtenen Bescheide sprach das BFA aus, dass dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel „aus berücksichtigungswürdigen Gründen“ gemäß „§ 57 AsylG“ nicht erteilt werde. Damit war jeweils der Begründung nach (S. 15, AS 615; S. 44, AS 174) das in § 57 AsylG 2005 beschriebene Rechtsinstitut „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemeint. Dem war durch die Richtigstellung der Spruchpunkte Rechnung zu tragen.

Das Vorliegen einer der alternativen Voraussetzungen für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 57 AsylG 2005 wurde vom Beschwerdeführer im Asylfolgeverfahren behauptet, nämlich Opfer von Menschenhandel zu sein, allerdings nicht glaubhaft gemacht. Daher führte es zu keiner derartigen Feststellung (und wie das BFA ausführt auch zu keinem Strafverfahren). Aus dem Verwaltungsakt ergeben sich keine anderen Hinweise, die nahelegen würden, dass die Erteilung einer solchen Aufenthaltsberechtigung in Betracht kommt.

Die Spruchpunkte waren daher mit Maßgabe der angeführten Richtigstellung zu bestätigen.

3.4 Zur Rückkehrentscheidung (Bescheid 1, Spruchpunkt II, Bescheid 2, Spruchpunkt IV):

Wenn ein Antrag auf internationalen Schutz sowohl betreffend den Status des Asyl-, als auch jenen des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, wie im zweiten bekämpften Bescheid geschehen, ist nach § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG vorgesehen, dass das BFA eine Rückkehrentscheidung erlässt. Ebenso ist dies vorgesehen, wenn – wie im ersten Bescheid – einem Fremden, der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt („Zurückweisung, Transitsicherung, Zurückschiebung und Durchbeförderung“), von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird (§ 10 Abs. 2 AsylG 2005).

Das gilt nur dann nicht, wenn eine solche wegen eines Eingriffs in das Privat- oder Familienleben eines Fremden auf Basis des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG für dauernd unzulässig zu erklären ist. Zu entscheiden ist dabei nach einer individuellen Abwägung der berührten Interessen gegenüber den öffentlichen, ob ein Eingriff im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig ist.

Dabei ergibt im Fall des Beschwerdeführers eine individuelle Abwägung der berührten Interessen, dass ein Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers durch seine Außerlandes-bringung als im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig anzusehen ist.

Der Beschwerdeführer hat kein Familienleben im Bundesgebiet. Betreffend die angebliche Tochter erfolgte eine Negativfeststellung sowohl für Österreich als auch für Europa und damit für die Slowakische Republik. Zu prüfen war daher ein etwaiger Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers.

Unter den gegebenen Umständen kann vom Vorhandensein eines Privatlebens im Inland über ehemalige Mithäftlinge, die genannten Unterkunftgeber sowie Behördenkontakte hinaus kaum ausgegangen werden. Seine Mitgliedschaft in der Kirche betreffend ist zu berücksichtigen, dass die Kirchenzugehörigkeit auch im Herkunftsstaat bestand und hier wie dort ausgeübt werden kann.

Im Hinblick auf Art. 8 EMRK zu berücksichtigen ist, dass der Aufenthalt des volljährigen und arbeitsfähigen Beschwerdeführers im Bundesgebiet seit seiner letzten Einreise soweit feststellbar rund 5,5 Jahre währt, von denen er allerdings acht Monate in Straf- und weitere 5,5 Monaten in Schubhaft verbrachte und in der restlichen Zeit keinen gemeldeten Wohnsitz aufwies, sondern zweitweise, eine „Obdachlosenmeldung“ hatte und in den verbleibenden Perioden nirgends gemeldet war.

Es ist nicht ersichtlich, dass er bei den früheren Aufenthalten integrative Anknüpfungen gebildet hätte, die weiter aufrecht wären, sieht man von den erworbenen Zeugnissen und Scheinen ab. Seine ehemalige Gattin hat ihn bereits vor mehr als 15 Jahren verlassen, als er in Island inhaftiert war.

Von einer „Aufenthaltsverfestigung“ kann daher und schon unabhängig davon keine Rede sein, dass er sich seines illegalen Aufenthalts bewusst sein musste. Außerdem fußte der Aufenthalt auf der Einreise trotz Aufenthaltsverbots und auf einem Asylantrag, der unbegründet und im Anschluss an die zumindest vierte illegale Einreise aus Nigeria gestellt worden war.

Der Erwerb von Deutschkenntnissen auf dem Niveau A2 ist als Integrationsmerkmal zu berücksichtigen, erscheint aber nach zwei Jahren (2016) und im Hinblick auf die schon früher im Inland bestandene mehrjährige Ehe mit einer Österreicherin nicht als außergewöhnlicher Erfolg.

Demgegenüber hat der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat, in dem er aufgewachsen ist und im Vergleich der Aufenthalte in verschiedenen Staaten den längsten Teil seines Lebens verbracht hat, mindestens 20 Jahre, eher 23 oder 24 Jahre, sprachliche und kulturelle Verbindungen sowie Ortskenntnisse und die Möglichkeit, alte oder neue soziale Kontakte zu pflegen, zu knüpfen oder aufzufrischen, auch wenn das Vorhandensein von Angehörigen nur betreffend die Geschwister festgestellt wurde. Immerhin war er auch im laufenden Jahrzehnt noch dort, nachdem er aus Deutschland abgeschoben wurde, und steht mit den Geschwistern in Kontakt.

Es liegen auch keine Hinweise vor, dass der Beschwerdeführer in Österreich einen solchen Grad an Integration erlangt hätte, der seinen persönlichen Interessen ein entscheidendes Gewicht verleihen würde. Der Beschwerdeführer übt hier keine erlaubte Beschäftigung aus und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er konnte auch keine eigenen Existenzmittel in Österreich nachweisen. Dem allenfalls bestehenden Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich stehen öffentliche Interessen daran gegenüber, dass das geltende Migrationsrecht auch vollzogen wird, indem Personen, die ohne Aufenthaltstitel anwesend sind - gegebenenfalls nach Abschluss eines allfälligen Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz - auch zur tatsächlichen Ausreise verhalten werden.

Im Fall des Beschwerdeführers kommen dazu die festgestellte Suchtgiftdelinquenz, das Missverhalten in der U-Bahn, die wiederholten Missachtungen des MeldeG sowie die mehrfach falschen Angaben zu seiner Person als Faktoren, die gravierend für die Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat sprechen.

Es würde einer Benachteiligung jener Fremden gleichkommen, die die Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen in Österreich beachten, wenn sich der Beschwerdeführer erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen könnte, obwohl er seinen Aufenthalt lediglich durch seine faktische Einreise und einen unbegründeten Asylantrag erzwungen und sich daran anschließend nicht gesetzeskonform verhalten hat. In letzter Konsequenz würde ein solches Verhalten zu einer unsachlichen und damit verfassungswidrigen Differenzierung der Fremden untereinander führen.

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung kann daher nicht im Sinne von § 9 Abs. 2 BFA-VG als unzulässig angesehen werden.

Demgemäß waren die Rückkehrentscheidungen in den Spruchpunkten beider Bescheide zu bestätigen.

3.3 Zur Zulässigkeit der Abschiebung (Bescheid I, Spruchpunkt III, Bescheid 2, Spruchpunkt V):

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das BFA mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dies wäre aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich.

Die Abschiebung in einen Staat ist nach § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention verletzt würden, oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre.

Nach § 50 Abs. 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat auch unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme vorliegen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative.

§ 50 Abs. 3 FPG erklärt die Abschiebung unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

Es liegen keine Anhaltspunkte vor, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Nigeria einer realen Gefahr der Folter, der unmenschlichen Strafe oder Behandlung oder der Todesstrafe ausgesetzt wäre.

Auch fehlt es an jedem Indiz, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr durch einen innerstaatlichen oder zwischenstaatlichen Konflikt Gefahr laufen würde in seinem Leben beeinträchtigt oder gar getötet würde.

Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und damit die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre. Das gilt auch, wenn eine Unterstützung durch Angehörige ausbleiben sollte. Der Beschwerdeführer ist ausreichend gesund und daher erwerbsfähig.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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