TE Vwgh Beschluss 2020/12/21 Ra 2020/22/0249

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Veröffentlicht am 21.12.2020
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

B-VG Art133 Abs4
NAG 2005 §11 Abs1 Z3
NAG 2005 §11 Abs1 Z5
NAG 2005 §11 Abs1 Z6
NAG 2005 §11 Abs3
NAG 2005 §21 Abs3
NAG 2005 §24 Abs2 Z1
NAG 2005 §44 Abs2
NAG 2005 §44 Abs2 Z2
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag.a Merl und Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache der L D, vertreten durch die Rihs Rechtsanwalt GmbH in 1010 Wien, Kramergasse 9/3/13, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 3. August 2020, VGW-151/063/4037/2020-18, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

2        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

3        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

4        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien (VwG) die Beschwerde der Revisionswerberin, einer Staatsangehörigen der Vereinigten Staaten von Amerika, gegen den abweisenden Bescheid des Landeshauptmannes von Wien (Behörde) betreffend einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Niederlassungsbewilligung - ausgenommen Erwerbstätigkeit“ gemäß § 44 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) als unbegründet ab und erklärte eine ordentliche Revision für unzulässig.

Begründend führte das VwG im Wesentlichen aus, die Revisionswerberin habe als Familienangehörige ihrer bei der Internationalen Atomenergie-Organisation tätig gewesenen Tochter zwischen 17.2.2012 und 5.2.2018 über eine grüne Legitimationskarte verfügt. Der Arbeitsvertrag ihrer Tochter bei der Internationalen Atomenergie-Organisation sei ausgelaufen; diese sei nunmehr selbständig erwerbstätig und verfüge über einen Aufenthaltstitel „Rot-weiß-Rot - Karte plus“. Die Revisionswerberin sei seit 2014 im Ruhestand; weder die Revisionswerberin noch ihre Tochter seien als Träger von Privilegien und Immunitäten in den Ruhestand versetzt worden.

Die Revisionswerberin habe den gegenständlichen Antrag erst am 29.3.2019 und somit nicht im unmittelbaren Anschluss an ihren Aufenthalt als Trägerin von Privilegien und Immunitäten gestellt. Die Erläuternden Bemerkungen zu § 44 Abs. 2 NAG idF der Novelle BGBl. I Nr. 145/2017 verwiesen zu der Wortfolge „im unmittelbaren Anschluss“ auf § 21 Abs. 2 Z 2 NAG, wonach Drittstaatsangehörige, die bisher für ihre Niederlassung keine Bewilligung oder Dokumentation nach dem NAG benötigten, bis längstens sechs Monate nach Ende ihrer rechtmäßigen Niederlassung einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitel im Inland stellen könnten; für die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzung der Unmittelbarkeit sei von einem Zeitraum von bis zu sechs Monaten nach Beendigung des aktiven Berufsstandes auszugehen. Ein Verweis auf § 21 Abs. 3 NAG (Interessenabwägung gemäß Art. 8 EMRK) - so das VwG weiter - sei dem Gesetz nicht zu entnehmen. Bei Fehlen einer besonderen Erteilungsvoraussetzung sei keine Interessenabwägung durchzuführen.

Im Übrigen erfülle die Revisionswerberin auch nicht die Erteilungsvoraussetzung gemäß § 21a NAG betreffend den Nachweis von Deutschkenntnissen.

5        In der Zulässigkeitsbegründung wird zunächst vorgebracht, es liege keine hg. Rechtsprechung zur Wortfolge „in unmittelbarem Anschluss“ in § 44 Abs. 2 NAG vor und ob die besondere Voraussetzung in dessen Ziffer 2 voraussetze, dass die Versetzung in den Ruhestand von einer hoheitlichen/diplomatischen Position/Funktion erfolgt sei, die die Grundlage für den Aufenthalt als Träger von Privilegien und Immunitäten vermittelt habe.

Dem klaren und eindeutigen Wortlaut des § 44 Abs. 2 Z 2 NAG zufolge stellt die Versetzung in den Ruhestand eine Tatbestandsvoraussetzung für die Erteilung einer „Niederlassungsbewilligung - ausgenommen Erwerbstätigkeit“ dar.

Die Revisionswerberin trat unbestritten im Jahr 2014 in ihrer Tätigkeit als Flugbegleiterin in den Ruhestand; ihre Tochter wurde bei der Internationalen Atomenergie-Organisation nicht in den Ruhestand versetzt; das Dienstverhältnis endet, weil der Arbeitsvertrag auslief. Da die Ruhestandsversetzung der Revisionswerberin im Jahr 2014 zweifelsfrei nicht im Zusammenhang mit ihrer Stellung als Trägerin von Privilegien und Immunitäten lag und auch ihre Tochter nicht in den Ruhestand versetzt wurde, verneinte das VwG zutreffend das Vorliegen der Erteilungsvoraussetzung des § 44 Abs. 2 Z 2 NAG.

Bereits aus diesem Grund wies das VwG die Beschwerde der Revisionswerberin zutreffend ab. Auf die Auslegung der Wortfolge „in unmittelbarem Anschluss“ in § 44 Abs. 2 NAG kann es somit im gegenständlichen Fall nicht mehr ankommen.

Im Übrigen ist auch die Frage, ob im Fall einer verspäteten Antragstellung eine Interessenabwägung gemäß § 21 Abs. 3 NAG durchzuführen sei, zu verneinen. Während § 24 Abs. 2 Z 1 NAG eine ausdrückliche Regelung bei Versäumen der materiell-rechtlichen Frist betreffend Verlängerungsanträge vorsieht (vgl. VwGH 4.10.2018, Ra 2018/22/0191, Rn. 7, mwN), fehlt § 44 Abs. 2 NAG ein vergleichbarer Mechanismus zwecks „Sanierung“ einer allfälligen Fristversäumnis. Dem Gesetzestext ist auch kein Hinweis zu entnehmen, dass eine verspätete Antragstellung aufgrund privater oder familiärer Interessen „saniert“ werden könnte; § 11 Abs. 3 NAG sieht eine Interessenabwägung nur bei Vorliegen einer Rückkehrentscheidung (§ 11 Abs. 1 Z 3 NAG), der Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalts (§ 11 Abs. 1 Z 5 NAG) oder einer Bestrafung wegen Umgehung der Grenzkontrolle oder der nicht rechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet (§ 11 Abs. 1 Z 6 NAG) vor. Auch diesbezüglich ist der Wortlaut eindeutig, sodass keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt wurde.

6        Die Revision bringt weiter vor, das VwG sei auf die Beschwerdegründe und die Beschwerdeanträge beschränkt und hätte daher nicht - abweichend von der Entscheidung der Behörde - darüber entscheiden dürfen, ob der Antrag unmittelbar im Anschluss an den rechtmäßigen Aufenthalt gestellt worden sei.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat das VwG, wenn es „in der Sache selbst“ entscheidet, nicht nur über die gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid eingebrachte Beschwerde zu entscheiden, sondern auch die Angelegenheit zu erledigen, die von der Verwaltungsbehörde entschieden wurde (vgl. etwa VwGH 25.7.2019, Ra 2018/22/0270, Rn. 9, mwN). Im vorliegenden Fall ist das der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Niederlassungsbewilligung - ausgenommen Erwerbstätigkeit“ gemäß § 44 Abs. 2 NAG. Mangels Teilbarkeit des Spruches war das VwG somit verpflichtet, sämtliche Voraussetzungen für die Entscheidung über den Antrag zu prüfen.

7        Das VwG stützte seine Entscheidung tragend darauf, dass im vorliegenden Fall weder die Erteilungsvoraussetzung des § 44 Abs. 2 Z 2 NAG vorliege, noch der Antrag im unmittelbaren Anschluss an den rechtmäßigen Aufenthalt als Träger von Privilegien und Immunitäten gestellt worden sei. Dass die Revisionswerberin auch keinen Nachweis ausreichender Deutschkenntnisse erbracht habe, wurde „[b]loß ergänzend“ angemerkt. Eine allfällige Verletzung des Überraschungsverbotes oder ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht gemäß § 21a Abs. 5 NAG ist daher nicht entscheidungsrelevant.

8        In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme; sie war daher zurückzuweisen.

9        Ausgehend davon erübrigt sich eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über den Antrag, der Revision aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

10       Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 21. Dezember 2020

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020220249.L00

Im RIS seit

18.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

18.05.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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