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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, in der Revisionssache des X Y, vertreten durch Mag. Robert Bitsche, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Nikolsdorfergasse 7-11/15, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Oktober 2020, W226 2236087-1/2E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber ist ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe. Das Bundesasylamt gewährte ihm mit Bescheid vom 13. Jänner 2004 Asyl im Wege der Asylerstreckung (abgeleitet vom Vater des Revisionswerbers) und stellte fest, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.
2 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22. September 2020 wurde dem inzwischen mehrfach straffällig gewordenen Revisionswerber der Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) aberkannt, gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme, ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt sowie ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen. Weiters wurde festgestellt, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei, die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt und ein auf zehn Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 In der Revision wird zu ihrer Zulässigkeit geltend gemacht, das Bundesverwaltungsgericht habe für die Frage, ob der Asylstatus weiterhin zu gewähren sei, nicht die geforderten Feststellungen getroffen sowie die Beurteilung nicht entsprechend der Kriterien des Verwaltungsgerichtshofes vorgenommen. Der Revisionswerber würde im Falle seiner Rückkehr in eine ausweglose Situation geraten, weil er mangels familiärer Anknüpfungspunkte auf sich alleine gestellt wäre. Auch diesbezüglich habe das Bundesverwaltungsgericht nicht die erforderlichen Feststellungen getroffen. Das Bundesverwaltungsgericht hätte sich mit den Empfehlungen und Positionen des UNHCR auseinandersetzen müssen. Bei der Interessenabwägung im Hinblick auf Art. 8 EMRK habe sich das Bundesverwaltungsgericht von den Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofes entfernt. Es würden Umstände vorliegen, die zu einem anderen Ergebnis führen würden, zumal der Revisionswerber seit über 16 Jahren über den Status des Asylberechtigten verfüge und daher sozial und wirtschaftlich integriert sei. Das Bundesverwaltungsgericht habe auch keine mündliche Verhandlung durchgeführt, obwohl kein eindeutiger Fall für die Interessenabwägung oder Gefährdungsprognose vorgelegen sei. Der Revisionswerber hätte zu den Aufenthaltsorten seiner Familienangehörigen Angaben machen können und es hätte sich ergeben, dass die Asylgründe nicht weggefallen seien.
8 Werden Verfahrensmängel - wie hier Feststellungsmängel und die Nichtberücksichtigung von Berichten - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass - auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensmangels als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 5.11.2020, Ra 2020/14/0363, mwN). Diesen Anforderungen wird die Revision, deren Zulässigkeitsbegründung zu den behaupteten Verfahrensmängeln eine Relevanzdarstellung nicht einmal im Ansatz enthält, nicht gerecht.
9 Das Bundesverwaltungsgericht ist auf Basis entsprechender Feststellungen zum Ergebnis gekommen, dass die Umstände, auf Grund derer die Bezugsperson - im vorliegenden Fall der Vater des Revisionswerbers - als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen, und dass auch hinsichtlich des Fremden - hier also des Revisionswerbers - die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 nicht vorliegen, sodass diesem der Status des Asylberechtigten nach § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK zu entziehen ist (vgl. zur Aberkennung eines im Familienverfahren zuerkannten Status des Asylberechtigten auf dieser Grundlage VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0059). Eine Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist darin auch angesichts der Revisionsausführungen nicht zu erkennen.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt festgehalten, dass für die Gewährung von subsidiärem Schutz die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK nicht ausreichend ist. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, dass exzeptionelle Umstände vorliegen (vgl. VwGH 11.11.2020, Ra 2020/14/0390, mwN). Wenn der - nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts junge, gesunde und arbeitsfähige - Revisionswerber behauptet, er sei mangels familiärer Anknüpfungspunkte auf sich alleine gestellt, zeigt er vor dem Hintergrund der Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes zur Lage im Herkunftsstaat nicht auf, dass solche exzeptionellen Umstände vorlägen.
11 Soweit sich die Revision gegen die Erlassung der Rückkehrentscheidung wendet, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, nach der eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. VwGH 13.10.2020, Ra 2020/14/0411, mwN).
12 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. VwGH 4.2.2020, Ra 2020/14/0026, mwN).
13 Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigte in seiner Interessenabwägung die lange Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers sowie den Aufenthalt seiner Eltern und Geschwister in Österreich, kam jedoch zu dem Ergebnis, dass aufgrund seiner zahlreichen Straftaten - unter anderem mehrfacher, teils schwerer Raube, gefährlicher Drohung, Nötigung, mehrfacher, teils schwerer Körperverletzungen und Widerstandes gegen die Staatsgewalt, die zu insgesamt bislang fünf strafgerichtlichen Verurteilungen innerhalb von etwas mehr als vier Jahren geführt haben - die öffentlichen Interessen an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme überwögen. Die Revision vermeint zwar, das angefochtene Erkenntnis habe sich „von den Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofes entfernt“, präzisiert jedoch nicht, in welcher Hinsicht sich das Erkenntnis von den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen entfernt habe.
14 Wenn der Revisionswerber vorbringt, das Bundesverwaltungsgericht hätte eine Verhandlung durchführen müssen, um sich im Hinblick auf die Abwägung nach Art. 8 EMRK und auf die bei der Verhängung des Einreiseverbotes erforderliche Gefährdungsprognose von ihm einen persönlichen Eindruck zu verschaffen und den Sachverhalt zu ergänzen, bleibt er schuldig, darzulegen, aus welchen konkreten Gründen die Voraussetzungen des fallbezogen anzuwendenden § 21 Abs. 7 BFA-VG für die Abstandnahme von einer Verhandlung (vgl. ausführlich zur Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen und auch hier maßgeblichen Wendung „wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“, VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017, 0018) - insbesondere vor dem Hintergrund seines unsubstantiierten Vorbringens in der Beschwerde - nicht gegeben gewesen seien.
15 Es trifft zwar zu, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer Verhandlung bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen besondere Bedeutung zukommt. Daraus ist aber noch keine „absolute“ (generelle) Pflicht zur Durchführung einer Verhandlung in Verfahren über aufenthaltsbeendende Maßnahmen abzuleiten. In eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann auch eine beantragte Verhandlung unterbleiben (vgl. VwGH 15.4.2020, Ra 2020/20/0114, mwN). Dass das Bundesverwaltungsgericht - vor allem angesichts der massiven Straffälligkeit des Revisionswerbers - nicht von einem solch eindeutigen Fall ausgehen durfte, zeigt der Revisionswerber mit dem pauschalen Hinweis auf seine Aufenthaltsdauer, welche das Bundesverwaltungsgericht ohnehin berücksichtigte, nicht auf.
16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 28. Dezember 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020140554.L00Im RIS seit
08.02.2021Zuletzt aktualisiert am
08.02.2021