TE OGH 2021/1/13 13Os111/20b

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Veröffentlicht am 13.01.2021
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Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Jänner 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz-Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. Pateisky in der Strafsache gegen Darko S***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Darko S***** und Igor G***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 31. Juli 2020, GZ 10 Hv 30/20g-48, weiters über die Beschwerde des Angeklagten Darko S***** gegen den zugleich ergangenen Beschluss auf Verlängerung einer Probezeit nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Den Angeklagten Darko S***** und Igor G***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1]       Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Freispruch der Daniela J***** enthält, wurden Darko S***** und Igor G***** jeweils eines Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (B I) und der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB (B III) sowie mehrerer Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 erster Fall StGB (B II, S***** auch zu A III 1 und 3), Ersterer darüber hinaus jeweils eines Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB (A I 1), des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB (A I 2) und der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 erster Fall StGB (A II) sowie mehrerer Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (A III 2) schuldig erkannt.

[2]       Danach haben (soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerden von Bedeutung) jeweils im Herbst 2018 in S*****

(A) Darko S***** allein

(I) durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) eine fremde bewegliche Sache mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz abgenötigt, und zwar

(1) Heinrich Sc***** unter Verwendung einer Waffe 100 Euro Bargeld, indem er mit einem Messer in der Hand äußerte, die Wohnung des Genannten „anzuzünden“ und ihn „umzubringen“, sollte er das Geld nicht herausgeben, weiters

(II) vor der vom Schuldspruch A I 1 umfassten Tat Mario B***** durch gefährliche Drohung mit dem Tod zu einer Handlung, nämlich dazu genötigt, Heinrich Sc***** herbeizurufen, indem er ihm ein Messer an den Hals hielt, ferner

(B) Darko S***** und Igor G***** im einverständlichen Zusammenwirken Mario B*****

(I) mit Gewalt zu einer Handlung, nämlich dazu genötigt, ein Lokal zu verlassen und in einen Pkw zu steigen, indem sie ihn aus Ersterem zerrten und in Letzteren drängten, sodann

(II) gefährlich mit dem Tod bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem sie im Zuge einer anschließenden, zumindest 15 Minuten dauernden sowie von einem Aufenthalt unterbrochenen Autofahrt, während welchen Zeitraums B***** keine Fluchtmöglichkeit hatte, mehrmals äußerten, sie würden ihn „umbringen“, wobei S***** mit einem Messer gestikulierte, sowie

(III) durch ihre von den Schuldsprüchen B I und II umfassten Verhaltensweisen (widerrechtlich gefangen gehalten und) auf andere Weise die persönliche Freiheit entzogen.

[3]       

Rechtliche Beurteilung

Ihre dagegen erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden stützen die Angeklagten S***** und G***** auf Z 5, Letzterer darüber hinaus auf Z 4, 5a und 9 lit a jeweils des § 281 Abs 1 StPO.

[4]       Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten S*****:

[5]            Seine den Schuldspruch A I 1 tragenden Feststellungen zum Abnötigen (§ 142 Abs 1 StGB) der Raubbeute (US 7) folgerte das Schöffengericht nicht allein aus der Aussage des Zeugen Sc***** (US 14), sondern auch – willkürfrei (Z 5 vierter Fall) – aus daran geknüpften Plausibilitätserwägungen (US 16). Gleiches gilt für die Konstatierungen zur – als Raubmittel eingesetzten – Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben. Soweit der weitere unmittelbare Tatzeuge B***** in der polizeilichen Vernehmung in Bezug auf Letztere keine Wahrnehmung schilderte, wurden dessen Angaben nicht „vollkommen unberücksichtigt“ gelassen (Z 5 zweiter Fall), sondern – in Befolgung des Gebots zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) ausreichend – mitbedacht (US 14).

[6]       Die das betreffende Feststellungssubstrat bekämpfende Mängelrüge (Z 5 zweiter und vierter Fall) versäumt es bereits, die Gesamtheit der diesbezüglichen Urteilsgründe in den Blick zu nehmen. Damit ist sie nicht nach der Verfahrensordnung ausgerichtet (RIS-Justiz RS0119370).

[7]       Gefangenhalten (§ 99 Abs 1 erster Fall StGB) bedeutet, das Opfer am Verlassen eines bestimmten abgegrenzten Raumgebildes zu hindern. Wie bei der (damit rechtlich gleichwertigen) Entziehung der persönlichen Freiheit auf andere Weise (§ 99 Abs 1 zweiter Fall StGB) muss das (deren Wiedererlangung entgegenstehende) Hindernis ernstlich und gewichtig, aber nicht unüberwindlich sein (RIS-Justiz RS0092904 und RS0092919). Es genügt, wenn dem Opfer wegen der damit verbundenen Gefahr nicht zugemutet werden kann, den Raum, in dem es sich befindet, zu verlassen (RIS-Justiz RS0092881). Dies ist etwa dann der Fall, wenn nach Schließen der Türen eines Pkw – wie hier nach den Feststellungen (US 11 f) – mit diesem losgefahren wird, sodass das Opfer zur Mitfahrt gezwungen ist (Leukauf/Steininger/Tipold, StGB4 § 99 Rz 5 mwN, 15 Os 14/07h, 11 Os 96/11v).

[8]       Indem das gegen den Schuldspruch B III gerichtete Vorbringen (Z 5 vierter Fall) allein die Feststellung bekämpft, das Opfer habe „keine Möglichkeit“ gehabt, „den Pkw aus eigenem zu verlassen“ (US 12), berührt sie somit keinen entscheidenden Aspekt (siehe aber RIS-Justiz RS0117499).

[9]       Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten G*****:

[10]     Nach den (zu den Schuldsprüchen B getroffenen) Feststellungen des Erstgerichts gingen S***** und G***** auf B*****, der sich zu diesem Zeitpunkt als Gast in einem Lokal aufhielt, zu. Ohne weitere Präliminarien zerrte S***** ihn gegen dessen Willen vom Tisch weg und aus dem Lokal hinaus bis zu einem davor abgestellten Pkw, auf dessen Rückbank ihn S***** und G***** gemeinsam drängten. Dadurch und durch eine anschließende Fahrt mit dem – von J***** auf Anweisung des S***** gelenkten – Pkw erzwangen sie den Aufenthalt des Opfers im Fahrzeug. Diese Fahrt wurde nur einmal unterbrochen, als G*****, S***** und über dessen Aufforderung auch B***** aus dem Fahrzeug stiegen. Während dieser – zumindest 15 Minuten dauernden – Fahrt samt Unterbrechung schrien sowohl S***** als auch G***** immer wieder, sie würden B***** „umbringen“. Dabei hielt Ersterer ein Messer von rund 10 cm Klingenlänge in der Hand, mit dem er dem Opfer gegenüber wild gestikulierte. Während der gesamten Fahrt (samt Unterbrechung) bis zu deren Beendigung, als S***** und G***** das Opfer wieder aussteigen ließen, hatte dieses „keine Möglichkeit, den Pkw aus eigenem zu verlassen“ (US 11 ff).

[11]     Gegenteiligen Beschwerdeprämissen (siehe aber RIS-Justiz RS0119370) zuwider hat das Erstgericht damit gar wohl – den Urteilskonstatierungen zufolge mit entsprechender Willensausrichtung gesetzte (US 12 f) – Verhaltensweisen des Beschwerdeführers festgestellt (US 11 ff), die als (einander teils überschneidende) Ausführungshandlungen (§ 12 erster Fall StGB) des § 105 Abs 1 StGB, des § 99 Abs 1 StGB und des § 107 Abs 1 und 2 erster Fall StGB zu beurteilen sind.

[12]     Hiervon ausgehend ist aber weder für die Schuld- noch für die Subsumtionsfrage von Bedeutung, somit nicht entscheidend (RIS-Justiz RS0117264), ob er und sein Mittäter (§ 12 erster Fall StGB) die Tatbegehung zuvor gemeinsam „beschlossen“, einen diesbezüglichen „Plan geschmiedet“ oder „Absprachen“ getroffen hatten (RIS-Justiz RS0090006 [insbesondere T3]; Fabrizy in WK2 StGB § 12 Rz 26 ff).

[13]     Soweit die Mängelrüge (Z 5, nominell verfehlt auch Z 4) dazu getroffene Feststellungen (US 11) bekämpft, verfehlt sie daher von vornherein den Bezugspunkt der unternommenen Anfechtung (RIS-Justiz RS0117499).

[14]     Die vermisste „logische Beweiswürdigung“ (nominell Z 4, inhaltlich Z 5 vierter Fall) in Bezug auf die Konstatierungen „hinsichtlich der Mittäterschaft bzw. des Vorsatzes“ (US 11 ff) des Beschwerdeführers wiederum findet sich – vom Rechtsmittel prozessordnungswidrig (RIS-Justiz RS0119370) missachtet – auf den US 21 bis 23.

[15]     Ihre den Schuldspruch tragenden Feststellungen (US 11 ff) erschlossen die Tatrichter vor allem aus in der polizeilichen Vernehmung abgelegten Aussagen des tatbetroffenen Zeugen B***** (US 21 f). Die „gegenteiligen Aussagen“ der Angeklagten haben sie dabei keineswegs „völlig unberücksichtigt“ (Z 5 zweiter Fall) gelassen, sondern – ebenso wie seinen früheren Bekundungen widersprechende Angaben des genannten Zeugen in der Hauptverhandlung – als unglaubhaft verworfen (US 21 bis 23).

[16]     Kein Widerspruch in der Bedeutung der Z 5 dritter Fall besteht zwischen den bekämpften Konstatierungen zur Tatbegehung durch den Beschwerdeführer (US 11 ff) und der (Negativ-)Feststellung zum Vorsatz der – vom Vorwurf der Beteiligung (§ 12 StGB) hieran freigesprochenen – Mitangeklagten J*****, die nach dem Urteilssachverhalt den Pkw gelenkt hat (US 13).

[17]     Soweit die Rüge die – von den Tatrichtern bejahte – Überzeugungskraft belastender Zeugenaussagen bezweifelt und anhand eigenständig entwickelter Beweiswerterwägungen von jenen des Schöffengerichts abweichende Schlussfolgerungen einfordert, erschöpft sie sich in einem Angriff auf die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld (RIS-Justiz RS0099419).

[18]     Indem die Beschwerde § 281 Abs 1 Z 5a StPO bloß benennt, ohne einen dieser Anfechtungskategorie unterliegenden Sachverhalt zu behaupten, unterlässt sie die deutliche und bestimmte (§§ 285 Abs 1 zweiter Satz, 285a Z 2 StPO) Bezeichnung angeblich Nichtigkeit begründender Umstände (vgl Ratz, WK-StPO § 285d Rz 10).

[19]     Der Einwand der Rechtsrüge (Z 9 lit a), es sei weder § 99 Abs 1 StGB noch § 105 Abs 1 StGB „und auch sonst kein Tatbestand“ erfüllt, wird nicht auf der Basis des Urteilssachverhalts entwickelt. Damit gelangt der herangezogene materiell-rechtliche Nichtigkeitsgrund nicht zu prozessförmiger Darstellung (RIS-Justiz RS0099810).

[20]     Weshalb es für die Frage der Tatbestandsmäßigkeit (§ 99 Abs 1 StGB) des erzwungenen Aufenthalts in einem fahrenden Pkw (siehe dazu das in Erwiderung der Mängelrüge des S***** Gesagte) darauf ankommen sollte, ob zusätzlich dessen Türen versperrt waren, legt das diesbezügliche Feststellungen vermissende Vorbringen nicht dar (siehe aber RIS-Justiz RS0116565).

[21]     Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[22]     Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO sei hinzugefügt, dass dem angefochtenen Urteil folgende – nicht geltend gemachte – Subsumtionsfehler (Z 10) anhaften:

[23]     Eine Nötigung (§ 105 Abs 1 StGB), mit der der Täter ausschließlich den Zweck verfolgt, des Opfers einer intendierten Freiheitsentziehung (§ 99 Abs 1 StGB) habhaft zu werden oder eine bereits verwirklichte Freiheitsentziehung aufrecht zu erhalten, wird – sofern sie nicht nach § 106 StGB qualifiziert ist – als typische „Begleittat“ in der Regel, und zwar dann von § 99 StGB konsumiert, wenn ihr Unwert unter Berücksichtigung der konkreten Fallgegebenheiten im Verhältnis zur „Haupttat“ deutlich zurückbleibt (RIS-Justiz RS0091710 [T1] und RS0090842 [T2]; Schwaighofer in WK2 StGB § 99 Rz 49; für materielle Subsidiarität hingegen Schmoller SbgK § 99 Rz 72, obwohl er – von diesem Sonderfall abgesehen – zutreffend [RIS-Justiz RS0090763] echte Konkurrenz der beiden [Grund-]Tatbestände annimmt [zu den angesprochenen Scheinkonkurrenztypen eingehend Ratz in WK2 StGB Vor §§ 28–31 Rz 36 ff und 57 ff]). Die von den Angeklagten angewandten Nötigungsmittel (Schuldspruch B I) dienten nach dem Urteilssachverhalt nur dazu, B***** in ihre Gewalt zu bringen. Ihr Unwert fällt gegenüber dem der (damit bereits begonnenen) Freiheitsentziehung (Schuldspruch B III) nach der Lage des Falles nicht besonders ins Gewicht. Die Subsumtion der (einen) von den Schuldsprüchen B umfassten Tat jedes der Angeklagten (auch) nach § 105 Abs 1 StGB ist demnach fallbezogen verfehlt.

[24]     Gleiches gilt für die rechtliche Unterstellung des vom (jeweiligen) Schuldspruch B II umfassten Geschehens als mehrere Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 erster Fall StGB (anstatt jeweils bloß einer solchen strafbaren Handlung), weil der Urteilssachverhalt (US 11 f) insoweit eine tatbestandliche Handlungseinheit beschreibt (zu dieser Rechtsfigur 13 Os 1/07g [verst Senat]; RIS-Justiz RS0122006; Ratz in WK2 StGB Vor §§ 28–31 Rz 89).

[25]     Die Entscheidung über die Berufungen und die (gemäß § 498 Abs 3 dritter Satz StPO als erhoben zu betrachtende) Beschwerde kommt dem Oberlandesgericht zu (§§ 285i, 498 Abs 3 letzter Satz StPO). Dabei ist dieses – aufgrund der hier getroffenen Klarstellung – nicht an die aufgezeigte Fehlsubsumtion gebunden.

[26]     Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Textnummer

E130444

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0130OS00111.20B.0113.000

Im RIS seit

29.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

29.01.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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