Index
L92056 Altenheime Pflegeheime Sozialhilfe Steiermark;Norm
ABGB §143 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des A in H, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in H, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 12. Juni 1995, Zl. 9 - 18 - 76 - 1995/4, betreffend Ersatz von Sozialhilfekosten nach § 39 Z. 2 Stmk. Sozialhilfegesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Land Steiermark Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Knittelfeld vom 27. Mai 1993 wurde der Beschwerdeführer verpflichtet, dem Sozialhilfeverband Knittelfeld als Sozialhilfeträger ab 1. Februar 1993 monatlich S 1.967,-- als (teilweisen) Ersatz des Aufwandes für die der Mutter des Beschwerdeführers gewährte Sozialhilfe zu bezahlen.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof - nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde - erwogen hat:
Der Beschwerdeführer vertritt die Ansicht, seine Heranziehung zum Kostenersatz verstoße in zweifacher Hinsicht gegen § 40 Abs. 4 Stmk. Sozialhilfegesetz (Stmk. SHG). Diese Bestimmung hat folgenden Wortlaut:
"Die unterhaltspflichtigen Angehörigen können von der Kostenersatzpflicht befreit werden, wenn sie nachweisen, daß der Hilfeempfänger die Notlage selbst schuldhaft herbeigeführt hat oder seinen Sorgepflichten gegenüber den zum Rückersatz verpflichteten Angehörigen nicht nachgekommen ist."
Nach Ansicht des Beschwerdeführers sei seine Mutter ihren Sorgepflichten ihm gegenüber insofern nicht nachgekommen, als sie ihn (in der Zeit zwischen seiner Firmung im Alter von 12 Jahren und seinem Auszug von zu Hause mit 19 Jahren) "gegen seinen Willen in der Lehre der Zeugen Jehovas erzogen", ihn dabei "bedroht und ihm gegenüber versichert" habe, "daß er erschlagen würde, wenn er nicht der Lehre der Zeugen Jehovas nähertreten würde". Dies habe beim Beschwerdeführer zu "nachhaltigen psychischen Schäden" geführt, die er erst nach völliger Abkehr von seiner Mutter und einer geordneten Berufslaufbahn nach Jahren habe ablegen können.
Die belangte Behörde hält dem entgegen, in § 40 Abs. 4 des Stmk. SHG seien mit "Sorgepflichten" die früheren Unterhaltspflichten des nunmehrigen Sozialhilfeempfängers gemeint, von denen der Beschwerdeführer einräumt, er könne ihre Verletzung nicht nachweisen.
Die Ersatzpflicht des Beschwerdeführers ist nach § 39 Z. 2 Stmk. SHG durch seine "nach bürgerlichem Recht" zu beurteilende Unterhaltspflicht gegenüber seiner Mutter begrenzt. Gemäß § 143 Abs. 1 ABGB hat ein Elternteil Unterhaltsansprüche gegenüber einem Kind nur dann, wenn er "seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind nicht gröblich vernachlässigt hat". Dieser Tatbestand ist enger als die in einigen Sozialhilfegesetzen vorgesehene Ausnahme, daß eine Ersatzleistung wegen "des Verhaltens" des Hilfeempfängers gegenüber dem unterhaltspflichtigen Angehörigen "sittlich nicht gerechtfertigt wäre" (vgl. dazu Pfeil, Östereichisches Sozialhilferecht, S. 527, mit weiteren Nachweisen). Wenn § 40 Abs. 4 Stmk. SHG - zusätzlich zur Begrenzung der Ersatzpflicht durch die nach bürgerlichem Recht zu beurteilende Unterhaltspflicht - eine Befreiungsmöglichkeit für den Fall vorsieht, daß der Hilfeempfänger "seinen Sorgepflichten" gegenüber dem Angehörigen "nicht nachgekommen" ist, so kann dies einerseits auf die (seltenen) Fälle bezogen werden, in denen der Unterhaltsanspruch des Hilfeempfängers gegenüber einer Person, für die er früher selbst sorgepflichtig war, nicht in der in § 143 Abs. 1 ABGB vorgesehenen Weise begrenzt ist. In erster Linie wird darin aber - im Sinne der Beschwerdeausführungen - eine Erweiterung des dem § 143 Abs. 1 ABGB zugrundeliegenden Gedankens im Sinne der erwähnten, auf das frühere "Verhalten" des Hilfeempfängers abstellenden Ausnahmen in manchen Sozialhilfegesetzen zu verstehen sein (vgl. Pfeil, a.a.O.: "wohl auch in diesem Sinne zu verstehen"). Auch eine gröbliche Vernachlässigung der Pflege und Erziehung (vgl. etwa im Erbrecht § 769 ABGB i.d.F. vor dem Erbrechtsänderungsgesetz, BGBl. Nr. 656/1989, und § 540 ABGB in der geltenden Fassung) wird daher zu berücksichtigen sein.
Der Verwaltungsgerichtshof teilt aber nicht die Ansicht des Beschwerdeführers, der von ihm ins Treffen geführte Umstand, er sei unter Drohungen gezwungen worden, der Lehre der Zeugen Jehovas "näherzutreten", erlaube unter dem dargestellten Gesichtspunkt die Annahme, seine jetzt hilfebedürftige Mutter sei ihren "Sorgepflichten ... nicht nachgekommen". Geht man von den Behauptungen des Beschwerdeführers aus, so läge ein krasser Erziehungsfehler und ein in bezug auf die Wahl der Mittel und die Mißachtung der religiösen Selbstbestimmung (vgl. § 5 des Bundesgesetzes über die religiöse Kindererziehung, BGBl. Nr. 155/1985) rechtswidriges Verhalten vor, das für sich allein genommen aber nicht genügen würde, um den Tatbestand einer Nichterfüllung der Sorgepflichten zu verwirklichen. Dieser Tatbestand wird nicht durch jedes vorwerfbare Verhalten verwirklicht, mag es auch die Entwicklung des nunmehr Ersatzpflichtigen und seine Beziehung zum Hilfeempfänger - unter Umständen nachhaltig - beeinträchtigt haben. Im gegebenen Zusammenhang, in dem es nur um die Zumutbarkeit finanzieller Ersatzleistungen geht, die keine persönliche Zuwendung erfordern, muß der Gesetzeswortlaut ("nicht nachgekommen") auch insoweit, als es um die Pflege und Erziehung geht, so verstanden werden, daß damit eine anhaltende und allgemeine, typischerweise auf einer desinteressierten oder ablehnenden Einstellung gegenüber dem nunmehr Ersatzpflichtigen beruhende Vernachlässigung gemeint ist. Das vom Beschwerdeführer behauptete Fehlverhalten seiner Mutter auf dem Gebiet der religiösen Kindererziehung würde auch nicht ausreichen, um im Sinne der erwähnten Tatbestände in manchen anderen Sozialhilfegesetzen den Schluß zu ziehen, ein Ersatz des Beschwerdeführers für den materiellen Aufwand zur Unterstützung seiner in Not geratenen Mutter wäre "sittlich nicht gerechtfertigt".
Der Beschwerdeführer beruft sich auf § 40 Abs. 4 Stmk. SHG auch insoweit, als die unterhaltspflichtigen Angehörigen danach von ihrer Kostenersatzpflicht befreit werden können, wenn sie "nachweisen, daß der Hilfeempfänger die Notlage selbst schuldhaft herbeigeführt hat". Wenn der Beschwerdeführer dazu ausführt, "nach einem seit nunmehr mehr als 20 Jahren nicht mehr bestehenden Kontakt" zu seiner Mutter könne er "lediglich die Behauptung aufstellen", sie habe ihre Notlage selbst verschuldet, und es müsse "wohl davon ausgegangen werden", daß sie "keiner geregelten Arbeit nachgegangen" sei, so handelt es sich hiebei aber bloß um unsubstantiierte Vermutungen, mit denen der Beschwerdeführer keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzeigt.
Der Beschwerdeführer meint schließlich noch, die belangte Behörde sei in ihrer Entscheidung von "völlig falschen finanziellen Voraussetzungen des Beschwerdeführers und seiner Gattin" ausgegangen. Sie habe Verfahrensvorschriften verletzt, indem sie im Berufungsverfahren keine weiteren Erhebungen über die Einkünfte des Beschwerdeführers "seit November 1993" gepflogen und in der Beschwerde näher dargestellte Verhältnisse des Beschwerdeführers und seiner Gattin nicht berücksichtigt habe.
Die belangte Behörde hält dem entgegen, daß und in welcher Hinsicht bei der Bemessung des Ersatzes "äußerst kulant vorgegangen" worden sei, indem der von der Behörde erster Instanz ermittelte Ersatzbetrag bestätigt worden sei, obwohl die Behörde erster Instanz (nach Abzug u.a. von Kreditraten) eine Bemessungsgrundlage von S 12.070,-- herangezogen habe, während sich im Berufungsverfahren eine solche von S 17.216,-- ergeben habe. Mit Schreiben vom 15. März 1994 sei dem Beschwerdeführer u.a. das Ergebnis der im Berufungsverfahren ergänzten Ermittlungen über seine wirtschaftlichen Verhältnisse vorgehalten worden. Der Beschwerdeführer sei diesen Ermittlungsergebnissen in seiner Stellungnahme vom 13. April 1994 mit keinem Wort entgegengetreten und habe auch in der Folge nie bekanntgegeben, daß sich seine wirtschaftlichen Verhältnisse verschlechtert hätten. Die belangte Behörde habe von Amts wegen noch Ermittlungen darüber geführt, inwieweit die Geschwister des Beschwerdeführers zum Kostenersatz heranzuziehen seien, und in diesem Zusammenhang auch die Einkommenssituation des Beschwerdeführers noch einmal beleuchtet, wobei sich keine nachteilige Änderung ergeben habe.
Der Verfahrensrüge des Beschwerdeführers ist unter diesen (auch aus den vorgelegten Akten ersichtlichen) Umständen nicht zu folgen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes befreit der Grundsatz der Amtswegigkeit des Verfahrens eine Partei nämlich nicht von der Verpflichtung, zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes - im besonderen dort, wo es um die Feststellung von Einkommens- und Vermögensverhältnissen geht - ihrerseits beizutragen. Die Verfahrensrüge einer Partei, die im Verwaltungsverfahren untätig geblieben ist, vor dem Verwaltungsgerichtshof aber das Verfahren, an dem sie trotz gebotener Gelegenheit nicht genügend mitgewirkt hat, als mangelhaft bekämpft, ist demnach abzulehnen (vgl. dazu die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, S. 227 ff, 262 ff und 301, wiedergegebene Rechtsprechung). Wenn dem Beschwerdeführer die Ermittlungsergebnisse in bezug auf seine wirtschaftlichen Verhältnisse von der belangten Behörde zur Kenntnis gebracht wurden, ohne daß er ihnen entgegentrat, und in seinen wirtschaftlichen Verhältnissen in der Folge Änderungen eintraten, die ihm relevant erschienen, so wäre es an ihm gelegen, dies schon im Verwaltungsverfahren geltend zu machen. Dies gilt auch für die erst kurz vor der Erlassung des angefochtenen Bescheides eingetretene Arbeitslosigkeit des Beschwerdeführers, mit der - anders als etwa in dem mit dem Erkenntnis vom 16. März 1993, Zl. 92/08/0224, entschiedenen Fall - im vorliegenden Fall nicht von vornherein zu rechnen war. Dem Versuch, die Geltendmachung dieses und anderer Umstände in der Beschwerde nachzuholen, steht § 41 Abs. 1 VwGG entgegen. Insoweit es dabei um die Ausgaben des Beschwerdeführers geht, wären die Beschwerdebehauptungen auch nicht geeignet, die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darzutun. Bringt man von der im Berufungsverfahren ermittelten Bemessungsgrundlage (in der neben anderen Abzugsposten Unterhaltszahlungen in der Höhe von S 1.400,-- bereits berücksichtigt sind) die in der Beschwerde behaupteten weiteren Ausgaben (Miete, Betriebskosten, Lebensversicherungen und Kreditrückzahlungen) in Abzug - was nicht den Regeln der Unterhaltsbemessung entspricht, insoweit es sich dabei um persönlichen Lebensaufwand des Beschwerdeführers handelt -, so ergibt sich nämlich nicht, daß der von der belangten Behörde bestätigte monatliche Ersatzbetrag geeignet gewesen wäre, bei Berücksichtigung der sonstigen Sorgepflichten des Beschwerdeführers im Sinne des § 143 Abs. 3 ABGB seinen eigenen angemessenen Unterhalt zu gefährden.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1995080223.X00Im RIS seit
13.07.2001