TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/13 W140 2193826-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.03.2020
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Entscheidungsdatum

13.03.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
FPG §53 Abs3
FPG §55
VwGVG §28 Abs2 Z1

Spruch


W140 2193826-2/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Alice HÖLLER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX Staatsangehörigkeit Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.02.2020, Zahl: XXXX , zu Recht:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 Z. 1 VwGVG iVm § 68 Abs. 1 AVG, §§ 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG und §§ 52, 53 Abs. 3 und 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

1. Verfahrensgang

1.1. Erstes Verfahren

Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste illegal in die Republik Österreich ein und stellte am 06.04.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei er angab, den Namen XXXX zu führen, aus Afghanistan zu stammen und am XXXX geboren zu sein. Zuvor wurde er am 02.02.2016 in Griechenland und am 04.04.2016 in Ungarn erkennungsdienstlich behandelt und stellte anschließend am 05.04.2016 in Ungarn einen Asylantrag.

Der Beschwerdeführer wurde am 07.04.2016 in der PI XXXX erstbefragt und am 21.03.2017 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Regionaldirektion Niederösterreich, vom 20.03.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht Beschwerde.

Während des laufenden Asyl- bzw. Beschwerdeverfahrens wurde der BF im Bundesgebiet wiederholt straffällig.

Von 04.04.2019 bis 03.12.2019 befand sich der BF in einer Justizanstalt und wurde daraufhin am 03.12.2019 aufgrund eines Schubhaftbescheides des BFA vom 29.11.2019 in Schubhaft überstellt.

Am 10.01.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung statt. Im Anschluss an die Verhandlung hat das Bundesverwaltungsgericht mit mündlich verkündetem Erkenntnis, XXXX , vom 10.01.2020 die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht führte in den Entscheidungsgründen des mündlich verkündeten Erkenntnisses vom 10.01.2020 Folgendes aus:

„I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste illegal in die Republik Österreich ein und stellte am 06.04.2016 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz, wobei er angab, den Namen XXXX zu führen, aus Afghanistan zu stammen und am XXXX geboren zu sein. Zuvor wurde er am 02.02.2016 in Griechenland und am 04.04.2016 in Ungarn erkennungsdienstlich behandelt und stellte anschließend am 05.04.2016 in Ungarn einen Asylantrag.

Der Beschwerdeführer wurde am 07.04.2016 in der PI XXXX erstbefragt und am 21.03.2017 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Dem Beschwerdeführer wurden die Protokolle rückübersetzt, er erhob keine Einwände.

Mit nunmehr angefochtenem Bescheid des BFA, Regionaldirektion Niederösterreich, vom 20.03.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Mit Verfahrensanordnung vom 20.03.2018 wurde dem Beschwerdeführer der XXXX als Rechtsberater zur Seite gestellt.

Der damals noch minderjährige Beschwerdeführer erhob, vertreten durch die UMF-Koordinierungsstelle des Amtes XXXX , rechtzeitig Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

Die Beschwerde wurde der Gerichtsabteilung XXXX zugewiesen. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 03.07.2019 wurde die Rechtssache der Gerichtsabteilung XXXX abgenommen und in weiterer Folge der Gerichtsabteilung XXXX neu zugewiesen.

Zwischenzeitlich wurde gegen den BF mit Bescheid des BFA vom 20.12.2018 ausgesprochen, dass er sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet gem. § 13 Absatz 2 Ziffer 2 AsylG ab dem 13.12.2018 verloren habe.

Während des laufenden Asyl- bzw. Beschwerdeverfahrens wurde der BF im Bundesgebiet wiederholt straffällig und wurde bereits dreimal von inländischen Landesgerichten rechtskräftig verurteilt, wie nachfolgend angeführt:

-        Am 30.01.2017 wurde erstmals eine Anzeige wegen Körperverletzung in einer Asylunterkunft erstattet.

-        Am 13.06.2017 wurde eine Anzeige wegen § 27 SMG vom Kriminalamt erstattet.

-        Mit Urteil eines Landesgerichts vom 24.07.2017, rechtskräftig mit 24.07.2017, wurden er wegen des Vergehens des teilweise versuchten unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach §§ 27 Abs. 1 achter Fall, 27 Abs 2a SMG, § 15 StGB, wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach §§ 27 Abs 1 Ziffer 1 erster und zweiter Fall SMG, wegen des Vergehens des versuchten unerlaubten Umgangs mit psychotropen Stoffen nach § 30 Abs 1 achter Fall SMG, § 15 StGB, unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 27 Abs 2a SMG, zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monate, davon Freiheitsstrafe 6 Monate bedingt, mit Probezeit von 3 Jahre verurteilt (Jugendstraftat).

-        Er befand sich daraufhin von 22.06.2017 bis 24.07.2017 in einer Justizanstalt in Strafhaft. Nach Haftentlassung wurde am 04.01.2018 eine neuerlich Anzeige wegen nicht rechtmäßigem Aufenthalt in einem Asylquartier durch eine PI gegen ihn erstattet, da er im Asylquartier ohne Anmeldung Unterkunft genommen habe.

-        Am 28.09.2018 wurden er wegen unerlaubten Fernbleibens aus einer Sozialeinrichtung bei einer PI zur Anzeige gebracht.

-        Er wurde durch ein Landesgericht am 15.01.2018, rechtskräftig mit 19.01.2018, wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 6 Wochen bedingt, unter einer Probezeit von 3 Jahren, verurteilt.

-        Zuletzt wurde er mit Urteil eines Landesgerichtes vom 26.09.2019, rechtskräftig mit 26.09.2019, wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB, des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs 2a SMG und des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach §§ 15 StGB, 27 Abs 2a SMG zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Dabei wurde sein Alter von unter 21 Jahren als mildernd gewertet, als erschwerend hingegen, dass er die Tat während der offenen Probezeit und während anhängiger weiterer Verfahren begangen hatte.

-        Von 04.04.2019 bis 03.12.2019 befand sich der BF in einer Justizanstalt und wurde er daraufhin am 03.12.2019 aufgrund eines Schubhaftbescheides des BFA vom 29.11.2019 in Schubhaft überstellt. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.12.2019, XXXX , wurde die Beschwerde des BF gegen den Schubhaftbescheid als unbegründet abgewiesen und gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG i.V.m. § 76 Abs. 2 Z. 1 FPG festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen.

-        Zudem wurde gegen den BF am 28.03.2019 ein aufrechtes Waffenverbot verhängt.

Am 10.01.2020 wurde am Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durchgeführt, an welcher der Beschwerdeführer sowie ein Vertreter des XXXX teilnahmen und der Beschwerdeführer unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Dari vom erkennenden Richter zu seinem Antrag und seiner Beschwerde einvernommen wurde. In der Verhandlung legte der Beschwerdeführer keine weiteren Dokumente vor.

II. Feststellungen und Beweiswürdigung:

Der BF reiste illegal in das Bundesgebiet ein, ist afghanischer Staatsangehöriger und sohin Fremder i.S.d. Diktion des FPG.

Er stellte am 06.04.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bisher hat der BF keinen gültigen dauerhaften Aufenthaltstitel in Österreich erhalten.

Der BF leidet an keinen nennenswerten gesundheitlichen Einschränkungen.

Der BF konnte keine individuelle, konkret gegen ihn gerichtete Bedrohung oder Verfolgung aus einem oder mehreren Gründen der GFK glaubhaft machen.

Der BF ist jung, gesund und verfügt über mehrjährige Schulbildung, sodass er in der Lage ist, auch ohne Unterstützung durch seine Angehörigen eine Erwerbstätigkeit zu finden und für seinen Lebensunterhalt zu sorgen.

Der BF wäre im Falle einer Rückkehr in seine Heimatstadt Kabul nicht in seinem Recht auf Leben gefährdet und auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt. Er wäre auch keiner die Grundbedürfnisse der menschlichen existenzbedrohenden Lebenssituation unter exzeptionellen Umständen ausgesetzt.

Die Heimatstadt des BF (Kabul) ist von Österreich problemlos auf dem Luftweg erreichbar.

Der BF hat in Österreich keine Familienangehörigen und auch sonst keine engen sozialen Bindungen.

Der BF hat in Österreich keine Deutschprüfungen abgelegt, ist in keinem Verein und auch in keiner anderen Organisation tätig, geht keiner Arbeit nach und hat auch sonst keine besonderen Integrationsschritte gesetzt.

Der BF wurde in Österreich bisher bereits dreimal strafrechtlich verurteilt. Aufgrund der Anzahl und Schwere der Delikte ist er als Gefährder der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in Österreich anzusehen. Seit dem 28.03.2019 besteht für ihn weiters ein gültiges Waffenverbot.

Die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem Verfahrensakt des BFA, dem Gerichtsakt und der Einvernahme des BF in der mündlichen Verhandlung.

III. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids (Nichtgewährung des Status als Asylberechtigter)

Die Voraussetzungen für die Gewährung des Status als Asylberechtigter liegen nicht vor, weil der Antragsteller keine in einem Konnex zu einem der Gründe des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK zumindest glaubhaft machen konnte:

Gegen die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Fluchtgründe sprechen

-        die Widersprüche zwischen dem vorgelegten Bestätigungsschreiben und der Schilderung des Beschwerdeführers,

-        Ungereimtheiten betreffend das „Verschwinden“ des Bruders des Beschwerdeführers und Widersprüche betreffend die angebliche Bedrohung selbst [Schulbesuch und soziale Aktivitäten vs. eineinhalbjähriger Aufenthalt zu Hause in Folge eines Unfalls; widersprüchliche Angaben hinsichtlich des Erlernens der Sprache Pashto],

-        die teilweise Unplausibilität des Fluchtvorbringens [angebliche Entführung des kleinen Bruders des Beschwerdeführers, keinerlei weitere Vorfälle, Familie konnte auch nach der Ausreise des BF nach wie vor unbehelligt in der Heimatstadt Kabul leben] sowie

-        die lange, hinsichtlich allfälliger Bedrohungen ereignislos verlaufene Zeitspanne von einem Dreivierteljahr zwischen der angeblichen Bedrohung und der Ausreise.

Doch selbst wenn man die angebliche Bedrohung durch die Taliban als wahr unterstellen würde, wäre kein Nexus zu einem Grund der GFK erkennbar: Es würde sich bei den vom Beschwerdeführer geschilderten Vorfällen primär um eine allfällige Privatverfolgung handeln. Gründe dafür, dass der afghanische Staat gegenüber dem Beschwerdeführer, einem Tadschiken, dessen Vater für den Staat arbeitet, aus einem GFK-Grund schutzunwillig wäre, sind im gesamten Verfahren nicht hervorgekommen. In der Hauptstadt Kabul kann aufgrund der vorliegenden Länderinformationen auch nicht von einer Schutzunfähigkeit des Staates ausgegangen werden. Auch folgt fallbezogen aus der Zugehörigkeit zur „sozialen Gruppe“ der Familie des Beschwerdeführers kein Nexus zu einem Asylgrund: Da keine tragfähigen Indizien dafür hervorgekommen sind, dass der Vater des Beschwerdeführers oder sonstige Familienangehörige in Afghanistan einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt waren oder sind, kommt auch ein „Durchschlagen“ einer solchen Verfolgung auf den Beschwerdeführer nicht in Betracht.

Nach den zur Verfügung stehenden Länderinformationen sowie den daraus vom UNHCR sowie dem EASO zu den festzustellenden, einzelfallbezogenen Umständen gezogenen Schlussfolgerungen ist auch für die Zukunft keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung des Beschwerdeführers zu prognostizieren. Zu berücksichtigen ist dabei insbesondere, dass die gesamte Familie des Beschwerdeführers (Eltern, Geschwister, Onkel und Tanten sowie deren Familien) nach dessen Angaben auch nach der Ausreise des Beschwerdeführers unbehelligt in Kabul leben konnten, was noch zusätzlich gegen die behauptete Bedrohung spricht.

Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids (Nichtgewährung des Status als subsidiär Schutzberechtigter)

Die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes liegen nicht vor: Einerseits ist im Sinne obiger Erwägungen i.Z.m. einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit von Verfolgungshandlungen aus einem Grund nach der GFK kein reales Risiko für einen ernsthaften Schaden (Art. 15 lit. b Statusrichtlinie) durch einen Akteur erkennbar.

Aus den Feststellungen zur Sicherheitslage in der Hauptstadt Kabul kann nicht abgeleitet werden, dass für jede dort lebende oder dorthin zurückkehrende Person das reale Risiko einer Verletzung der durch Art. 2 und 3 EMRK sowie Protokoll Nr. 6 zur EMRK geschützten Güter mit einer derartigen Wahrscheinlichkeit droht, dass dies zur Gewährung von subsidiärem Schutz führen müsste. In seinem Erkenntnis vom 25.05.2016, Ra 2016/19/0036, führte der Verwaltungsgerichtshof aus, dass die in Kabul aufgezeigte bloße Möglichkeit einer schwierigen Lebenssituation bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht keine reale Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse aufzeigen könne (siehe dazu folgend die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes 08.09.2016, Ra 2016/20/0063; 23.03.2017, Ra 2016/20/0188; 25.04.2017, Ra 2017/01/0016; 08.08.2017, Ra 2017/19/0118).

Kabul ist den vorliegenden Länderinformationen zufolge eine über den Flughafen gut erreichbare Stadt, die für Normalbürger, die nicht mit Ausländern zusammenarbeiten, vergleichsweise sicher ist, auch wenn es dort zu Anschlägen kommt. Innerhalb Kabuls existieren demnach in verschiedenen Vierteln unterschiedliche Sicherheitslagen. Die afghanische Regierung behält jedoch weiterhin die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Aus den entsprechenden Länderberichten ergibt sich, dass sich die in der Stadt Kabul verzeichneten Anschläge hauptsächlich im Nahbereich staatlicher Einrichtungen (etwa Regierungs- und Polizeigebäude) oder NGOs sowie gezielt auf (internationale) Sicherheitskräfte ereignen. Diese Gefährdungsquellen sind jedoch in reinen Wohngebieten nicht anzunehmen, weshalb die Sicherheitslage in der Stadt Kabul für die dortige Wohnbevölkerung, die kein Naheverhältnis zu hochrangigen Anschlagszielen aufweist, nach wie vor als ausreichend sicher zu bewerten ist. Hinsichtlich der in der Stadt Kabul bestehenden Versorgungslage und der allgemeinen Lebensbedingungen der Bevölkerung ist im Hinblick auf die vorliegenden Länderfeststellungen auszuführen, dass die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung, häufig nur sehr eingeschränkt möglich ist. Die Versorgung der afghanischen Bevölkerung ist jedoch zumindest grundlegend gesichert.

Zu den UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018 ist festzuhalten, dass diese zwar – im Gegensatz zu anderen, keineswegs weniger seriösen Quellen (EASO, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation) – im Allgemeinen („generally“, vgl. UNHCR ELIGIBILITY GUIDELINES FOR ASSESSING THE INTERNATIONAL PROTECTION NEEDS OF ASYLUM-SEEKERS FROM AFGHANISTAN, 30 August 2018, Seite 116) eine innerstaatliche Fluchtalternative in der Hauptstadt Kabul verneinen, aber nicht näher offenbaren, wie diese Einschätzung, die eine rechtliche Beurteilung darstellt, zustandekommt. Insbesondere differenziert UNHCR – im Gegensatz zu anderen seriösen Quellen – hinsichtlich der Sicherheitslage nicht zwischen Bezirken der Hauptstadt, in denen sich High-level-Targets befinden, und in denen in jüngerer Vergangenheit eine vermehrte Anschlagstätigkeit regierungsfeindlicher Gruppierungen zu verzeichnen war, und reinen Wohngebieten für die Allgemeinbevölkerung, wo eine drastisch erhöhte Anschlagsgefahr aus dem vorliegenden Berichtsmaterial nicht abgeleitet werden kann. UNHCR-Richtlinien kommt zwar unbestreitbare Indizwirkung zu (vgl. etwa VwGH 16.01.2008, 2006/19/0182; 20.04.2006, 2005/01/0556 mwN), doch haben sie weder einen Absolutheitsanspruch noch eine rechtliche Verbindlichkeit und entheben die Behörde und das Gericht nicht der Verpflichtung, eine Prüfung im Einzelfall anhand der vorliegenden Tatsachen und Informationen vorzunehmen. Dies ergibt sich im Übrigen auch aus den neuen UNHCR Richtlinien selbst, welchen zu entnehmen ist, dass die Frage der Verfügbarkeit einer IFA aktuell im Umfeld eines dramatisch verschärften Wettbewerbs um den Zugang zu knappen Ressourcen unter Berücksichtigung der besonderen Umstände jedes einzelnen Antragstellers „von Fall zu Fall“ geprüft werden muss. Damit werden einerseits die erschwerten Bedingungen dargestellt, gleichzeitig aber auch ganz klar festgestellt, dass eine IFA in Kabul sehr wohl möglich ist, andernfalls keine „Einzelfall-Prüfung“ eingefordert, sondern vielmehr eine solche in Kabul kategorisch ausgeschlossen würde. Dies ist jedoch nicht der Fall, da eine IFA in Kabul von UNHCR derzeit zwar „im Allgemeinen“ (englisches Original: „generally“) nicht angenommen, aber auch nicht kategorisch ausgeschlossen wird. Zu beachten ist, dass der Beschwerdeführer aus Kabul stammt und diese Stadt daher in seinem Fall keine innerstaatliche Fluchtalternative, sondern sein Herkunftsort ist. Da jedoch Kabul sogar als innerstaatliche Fluchtalternative in Betracht käme, ist eine Rückkehr dorthin für den Beschwerdeführer, der in Kabul sozialisiert wurde und dort bis zu seiner Ausreise gelebt hat, erst recht zumutbar (Größenschluss).

Der Beschwerdeführer ist jung, gesund und arbeitsfähig, verfügt über eine mehrjährige Schulbildung und spricht Dari (Muttersprache) und Pashto, sodass bei ihm die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Es ist daher anzunehmen, dass er in Kabul in der Lage sein wird, sich ein ausreichendes Auskommen zu sichern und ein „relativ normales Leben“ ohne unangemessene Härten zu führen, wie es auch anderen Landsleuten möglich ist (vgl. etwa VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001-5 mit Hinweis auf UNHCR Richtlinien Nr. 4., Rz 22 ff und Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie [2009], 226 ff). Ferner ist nicht ersichtlich, dass die in Kabul in gesicherten wirtschaftlichen Verhältnissen lebenden Verwandten des Beschwerdeführers außer Stande setzen sollten, den Beschwerdeführer (etwa finanziell, aber auch sozial) zu unterstützen. Der Beschwerdeführer wird allerdings unter Berücksichtigung seiner oben dargelegten persönlichen Verhältnisse auch ohne allfällige finanzielle Unterstützung durch seine Familie imstande sein, in Kabul ein für seinen Lebensunterhalt ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die Mutter und Schwester des BF, wie dieser in der mündlichen Verhandlung erstmals erklärte, durch eine Bombe zufällig ums Leben gekommen sind und der Vater des BF bei dieser Gelegenheit verletzt wurde und sich nun in Pakistan aufhält. Da diese Ereignisse nach Angaben des BF im April 2018 stattgefunden haben, ist es kaum erklärlich, dass der BF bis zum 10.01.2020 nichts davon kommuniziert hat, obwohl er im April 2018 seine Beschwerde erhoben hat und in Betreuung durch das Amt XXXX war.

Bei all dem ist auch die aktuelle Judikatur des VwGH zu beachten, wonach selbst eine fehlende Schul- und Berufsausbildung bzw. -erfahrung, eine drohende Arbeitslosigkeit, eine nicht vorhandene familiäre Unterstützung in Afghanistan sowie nicht ausreichende Kenntnisse über die örtlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten in Kabul keine reale Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse und somit keine Verletzung des Art. 3 EMRK begründen. Insgesamt stellen Probleme hinsichtlich Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht keine exzeptionellen Umstände dar (VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0063; 18.03.2016, Ra 2015/01/0255; 25.05.2016, Ra 2016/19/0036; 23.03.2017, Ra 2016/20/0188; 10.03.2017, Ra 2017/18/0064; 25.04.2017, Ra 2017/01/0016, 20.06.2017 Ra 2017/01/0023; 08.08.2017, Ra 2017/19/0118-5; 20.09.2017, Ra 2017/19/0190).

Darüber hinaus kann der Beschwerdeführer durch die Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe zumindest übergangsweise das Auslangen finden. Deshalb ist nicht zu befürchten, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre (vgl. diesbezüglich VwGH 16.07.2003, 2003/01/0059, zur "Schwelle" des Art. 3 EMRK), hat doch der Beschwerdeführer selbst nicht ausreichend konkret vorgebracht, dass ihm im Falle einer Rückführung nach Afghanistan jegliche Existenzgrundlage – im Sinne des bereits zitierten Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 16.07.2003, 2003/01/0059 – fehlen würde und er in Ansehung existenzieller Grundbedürfnisse (wie etwa Versorgung mit Lebensmitteln oder Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre.

Zu den Spruchpunkten III. bis VI. des angefochtenen Bescheids (Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung und Abschiebung, Ausreisefrist)

Der getroffenen Rückkehrentscheidung stehen keine anderen zwingenden Vorschriften entgegen. Weder liegen die Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel nach § 57 noch § 55 AsylG vor: Der Beschwerdeführer hält sich erst seit April 2016 im Bundesgebiet auf, ist mehrfach vorbestraft, und besondere Bindungen an Österreich konnten nicht festgestellt werden. Gleichzeitig hat er noch entsprechende Bindungen nach Afghanistan, wo seine gesamte Familie lebt und wo er sich auch nach Rückkehr eine neuerliche Existenz schaffen kann und überdies nicht von einer Gefährdung seiner Integrität auszugehen ist. Bei Gesamtbetrachtung und Abwägung der Umstände des Privatlebens des Beschwerdeführers mit dem öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen überwiegt Letzteres auch unter Beachtung der Kriterien des § 9 Abs. 2 BFA-VG wie auch des Art. 8 EMRK klar.

Auch ein möglicher, aus unmittelbar anwendbarem Unionsrecht folgender Aufenthaltstitel in Anbetracht einer Beziehung zu einem Unionsbürger oder einer Unionsbürgerin und von dieser gewährter Unterstützungsleistungen ist nicht ersichtlich. Insbesondere liegt weder eine Eheschließung noch eine Lebensgemeinschaft vor.

Auch wäre nicht erkennbar, dass die Art. 2 und 3 EMRK bzw. das Refoulementverbot als solches einer Abschiebung entgegenstehen würden.

Der Beschwerdeführer brachte aus eigenem keine Umstände vor, welche die festgelegte Ausreisefrist von zwei Wochen ab Rechtskraft nicht als ausreichend erscheinen lassen würden.“

MIT GEKÜRZTER AUSFERTIGUNG VOM 28.01.2020 - DES AM 10.01.2020 MÜNDLICH VERKÜNDETEN ERKENNTNISSES - WURDE DIE BESCHWERDE ALS UNBEGRÜNDET ABGEWIESEN.

1.2. Zweites (verfahrensgegenständliches) Verfahren

Am 30.01.2020 stellte der BF beim BFA den zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Er gab an, den Namen XXXX zu führen, am XXXX geboren und Staatsangehöriger von Afghanistan zu sein.

Anlässlich des zweiten Asylverfahrens machte der BF bei der niederschriftlichen Befragung am 30.01.2020 XXXX , vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, im Wesentlichen folgende Angaben: Er brachte vor, dass er seine bisher gemachten Angaben aufrecht halte. Im 1. Monat des Jahres 2018 wären seine Eltern und seine Schwester unterwegs in das Krankenhaus (namens XXXX ) gewesen. Auf dem Weg dorthin hätte es einen Selbstmordanschlag gegeben. Dabei wären seine Mutter und seine Schwester ums Leben gekommen. Sein Vater wäre schwer verletzt worden und befände sich noch immer in medizinischer Behandlung in Pakistan. Er habe keine Bezugsperson mehr in Afghanistan. Es gäbe niemanden der ihn dort unterstützen könnte. Außerdem möchte er anmerken, dass er bei seiner Flucht aus Afghanistan im Iran von den Schleppern ausgeraubt und am rechten Unterarm verletzt worden wäre. Müsste er nach Afghanistan zurückgehen, würde er dort von der Familie seines Onkels mütterlicherseits verfolgt werden. Er sei nämlich der einzige Erbe seiner Eltern. Sogar - seit er in Österreich sei - werde er von der Familie seines Onkels noch immer bedroht.

Am 13.02.2020 wurde der BF beim BFA, Erstaufnahmestelle Ost, einvernommen. Der BF machte im Wesentlichen folgende Angaben:

„(…)

LA: Haben Sie die Belehrung verstanden?
VP: Ja.
Meine Muttersprache ist Dari und ich bin damit einverstanden, dass die Einvernahme in dieser Sprache durchgeführt wird. Die Verfahrenspartei wird darauf hingewiesen, dass sie im Fall von Verständigungsschwierigkeiten jederzeit rückfragen kann.
LA: Wie ist die Verständigung mit dem Dolmetscher?
VP: Gut.
LA: Haben Sie gegen eine der anwesenden Personen wegen einer möglichen Befangenheit oder aus anderen Gründen Einwände?
VP: Nein.
LA: Sind Sie mit dem Rechtsberater, der Ihnen für diese Einvernahme zur Seite gestellt wird, einverstanden?
VP: Ja.
LA: Haben Sie sich einer Rechtsberatung unterzogen? Wann?
VP: Ja heute.
LA: Fühlen Sie sich psychisch und physisch in der Lage, die Befragung zu absolvieren?
VP: Ja.
LA: Haben Sie einen Vertreter beziehungsweise einen Zustellbevollmächtigten in Ihrem Asylverfahren?
VP: Nein.
Erklärung: Ihre Angaben sind Grundlage für die Entscheidung im Asylverfahren und Sie sind verpflichtet, wahrheitsgemäße und vollständige Angaben zu machen. Diesen Angaben kommt in der Erstaufnahmestelle verstärkte Glaubwürdigkeit zu.
Alle persönlichen Daten und Vorbringen in diesem Verfahren unterliegen der österreichischen Gesetzgebung hinsichtlich Amtsverschwiegenheit und Datenschutz.
Diese Daten werden weder an in Ihr Heimatland weitergeleitet noch öffentlich gemacht.
LA: Haben Sie alles Verstanden?
VP: Ja ich habe verstanden.
LA: Haben Sie bis jetzt im Verfahren zur Ihrer Person und den Fluchtgründen die Wahrheit gesagt?
VP: Ja.
LA: Welche Staatsangehörigkeit haben Sie? Wo sind Sie geboren? Aus welcher Stadt, Provinz, Dorf kommen Sie?
VP: Ich bin afghanischer Staatsangehöriger, ich bin in Kabul geboren und werde in 1,5 Monaten 19.

LA: Sprechen Sie Deutsch?

VP: Ja.

LA: Wie gut spechen Sie Deutsch? Haben Sie meine bisherigen Fragen verstanden?

VP: Ja ich spreche ganz gut Deutsch.

Anm.: Der AW gibt die Antworten in Deutsch und ohne Übersetzung des Dolmetscher. Er gibt weiters an, dass er die Fragen zum großen Teil auch ohne Dolmetscher versteht.
LA: Hatten Sie jemals Probleme mit der Polizei, Militär und/ oder sonstigen Behörden im Afghanistan?
VP: Nein.
LA: Wurden Sie in Afghanistan schon einmal verurteilt bzw. waren Sie in Haft?
VP: Nein.
LA: Wie alt sind Sie bzw. wann sind Sie geboren?
VP: ich bin am XXXX geboren.
LA: Waren oder sind Sie verheiratet? Haben Sie Kinder?
VP: Nein.
LA: Welchen Beruf hatten bzw. haben Sie?
VP: Ich habe Automechanikerschule gelernt.
LA: Wie haben Sie Ihren Lebensunterhalt bisher bestritten?
VP: Ich lebte vom Einkommen meines Vaters.
LA: Welche Schule besuchten Sie und wie lange?
VP: Ich habe 7 Jahre die Schule besucht.

LA: Haben Sie eine Berufsausbildung gemacht?

VP: Ich bin Automechaniker.

Anm.: Der AW gibt die Antworten zum Teil in deutscher Sprache ohne Übersetzung des Dolmetschers.
LA:Haben Sie Beweismittel oder Identitätsbezeugende Dokumente, die Sie vorlegen können und welche Sie bisher noch nicht vorgelegt haben?
VP: Nein. Ich habe alles schon gegeben.
LA: Wann sind Sie in Österreich eingereist?
VP: Juni oder Juli 2016
LA: Sind Sie seither immer in Österreich aufhältig gewesen?
VP: Ja.
LA: Sind Sie derzeit in ärztlicher Betreuung und/ oder Behandlung bzw. Therapie?
VP: Nein.
LA: Haben Sie in Österreich Verwandte, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bzw. eine besonders enge Beziehung besteht bzw. in Österreich aufhältige Eltern oder Kinder?
VP: Nein.
LA: Haben Sie noch Angehörige in Ihrem Heimatland?
VP: Nein.
LA: Leben Sie mit einer sonstigen Person in einer Familiengemeinschaft oder in einer familienähnlichen Lebensgemeinschaft. Falls dies der Fall ist, beschreiben Sie diese Gemeinschaft.
VP: Nein. Ich habe eine Freundin und seit 3 Jahren bin ich mit Ihr zusammen.

LA: Leben sie mit Ihrer Freundin im gemeinsamen Haushalt?

VP: Nein mit der weißen Karte durfte ich nicht mit Ihr zusammenleben.

LA: Wie heißt Ihre Freunin und welchen Status hat sie in Österreich?

VP: Sie ist Österreicherin und heißt XXXX .
LA: Gehen Sie oder gingen Sie in Österreich einer Arbeit nach?
VP: Ich war 2 Monate ehrenmamtlich in einem XXXX tätig.
LA: Welche Integrationsschritte haben Sie bis jetzt getätigt?
VP: Ich habe A1 Deutschkurs abgeschlossen. Ich habe auch in einem Theaterstück gespielt in einem Gymnasium für die Schüler. Ich trainierte auch Tae Kwon Do und habe 2 Medaillien gewonnen. Ich habe auch Zertifikate dafür bekommen
LA: Über wie viel Barmittel verfügen Sie aktuell?
VP: Keine.
LA: Sind Sie Mitglied in Vereinen oder Organisationen?
VP: Ich bin in einem Tae Kwon Do Verein Mitglied.
LA: Sie haben bereits 1-mal einen Asylantrag gestellt, der rechtskräftig in 2. Instanz abgewiesen wurde. Ihre Beschwerden wurden abgewiesen. Entsprachen damals alle zu Ihren Fluchtgründen gemachten Angaben der Wahrheit?
VP: Ja.
LA: Warum stellen Sie neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz?
VP: Ein Folgeantrag war die einzige Möglichkeit für mich in Österreich zu bleiben darum habe ich einen Asylantrag gestellt. Ich konnte nich noch einmal eine Beschwerde machen, desahlb habe ich noch einen Asylantrag gestellt., weil ich nicht nach Afghanistan zurück kann.

LA: Die RB hat vorhin gesagt, dass Sie frewilllig nach Afghanistan möchten, ist das noch aufrecht?

VP: Nein, ich möchte nicht freiwillig nach Afghanistan.

LA: Das heißt Ihre bisher vorgebrachten Fluchtgründe sind immer noch aufrecht und es hat sich daran nichts geändert?

VP: Ja die bleiben aufrecht.

LA: Haben Sie neue Fluchtgründe?

VP: Nein.
LA: Hat sich seit der rechtskräftigen Entscheidung von Ihrem Vorverfahren irgendetwas Wesentliches in Ihrem Leben geändert?
VP: Nein, auch wenn etwas passiert ist weiß ich es nicht weil ich hier bin.
LA: Was befürchten Sie im Falle einer Rückkehr in Ihr Heimatland?
VP: Ich werde in Afghanistan getötet. Meine eigenen Cousin und Onkeln werden mich wegen meinem Vermögen umbringen.

LA: Das sind Ihre ursprüglich vorgebrachten Fluchtgründe, dass Sie von Cousins und Onkel getötet werden?

VP: Ja.
LA: Was machen Sie im Falle einer neuerlichen negativen Entscheidung? Würden Sie freiwillig zurückkehren?
VP: Nein. Ich würde es mir nach einer negativen Entscheidung überlegen, ob ich freiwillig zurückkehre.
LA: Seitens des Bundesamtes besteht die Absicht, Ihren Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, nachdem sich im Vergleich zu Ihren Vorverfahren kein neuer und wesentlich geänderter Sachverhalt ergibt. Die Bedeutung des Begriffs „Entschiedene Sache“ wird erläutert.
Sie haben nunmehr Gelegenheit, zur geplanten Vorgehensweise des Bundesamtes Stellung zu beziehen. Möchten Sie eine Stellungnahme abgeben?
VP: Nein ich habe nichts zu sagen.
LA: Ihnen wurden die Länderfeststellungen zu Afghanistan ausgefolgt und Sie hatten die Möglichkeit eine schriftliche Stellungnahme abzugeben. Dies haben Sie bis jetzt nicht gemacht. Möchten Sie jetzt eine mündliche Stellungnahme abgeben?

VP: Nein ich habe es nicht gelesen.
LA: Der Rechtsberatung/Vertreterin wird die Möglichkeit gegeben, Fragen und/ oder Anträge zu stellen.
RB: Keine Fragen und Anträge.
LA: Wollen Sie noch etwas angeben was Ihnen wichtig erscheint? Wollen Sie noch etwas vorbringen oder ergänzen? Konnten Sie alles vorbringen was Ihnen wichtig erscheint?
VP: Nein.
LA: Konnten Sie meinen Fragen folgen?
VP: Ja.
LA: Haben Sie die Dolmetscher verstanden, konnten Sie der Einvernahme folgen und sich konzentrieren?
VP: Ja. (…)“

Mit Bescheid des BFA vom 17.02.2020 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 30.01.2020 hinsichtlich des Status des Asylberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I). Der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 30.01.2020 wurde hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III). Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr 100/2005 (FPG) idgF, erlassen (Spruchpunkt IV). Es wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V). Gemäß § 55 Absatz 1a FPG besteht keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI). Gemäß § 53 Absatz 1 iVm Absatz 3 Ziffer 1 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. Nr. 100/2005 (FPG) idgF, wurde gegen den BF ein auf die Dauer von 8 Jahr/en befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII).

Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 09.03.2020 vom Bundesamt vorgelegt.

2. Beweisaufnahme

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

Einsicht in die dem erkennenden Gericht vorliegenden Akten und Vorakten des BFA und BVwG samt Vorakten, insbesondere in die Einvernahme vor dem BFA am 13.02.2020 und die gegenständliche Beschwerde.

3. Ermittlungsergebnis

3.1. Zur Person des BF:

Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX in der Stadt XXXX (Afghanistan). Der BF ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des BF ist Dari.

Der BF ist jung, gesund, verfügt über mehrjährige Schulbildung und hat eine Berufsausbildung zum Automechaniker gemacht, sodass er in der Lage ist, auch ohne Unterstützung durch seine Angehörigen eine Erwerbstätigkeit zu finden und für seinen Lebensunterhalt zu sorgen.

Der BF wäre im Falle einer Rückkehr in seine Heimatstadt Kabul nicht in seinem Recht auf Leben gefährdet und auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt. Er wäre auch keiner die Grundbedürfnisse der menschlichen existenzbedrohenden Lebenssituation unter exzeptionellen Umständen ausgesetzt. Die Heimatstadt des BF ( XXXX ) ist von Österreich problemlos auf dem Luftweg erreichbar.

Der BF hat in Österreich keine Familienangehörigen und auch sonst keine engen sozialen Bindungen.

Der BF hat in Österreich zwar begonnen Deutsch zu lernen, ist jedoch in keinem Verein und auch in keiner anderen Organisation tätig, geht keiner Arbeit nach und hat auch sonst keine besonderen Integrationsschritte gesetzt.

Der BF wurde in Österreich bisher bereits dreimal strafrechtlich verurteilt. Aufgrund der Anzahl und Schwere der Delikte ist er als Gefährder der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in Österreich anzusehen. Seit dem 28.03.2019 besteht für den BF weiters ein gültiges Waffenverbot.

3.2. Zu den Verfolgungsgründen:

Der BF stützt die ihm drohende Verfolgungsgefahr darauf, dass er Verfolgungsmaßnahmen durch die Taliban befürchte. Sein Vater sei als Wachmann für den XXXX tätig gewesen. Die Familie des BF hätte einen Drohbrief von den Taliban erhalten. Weiters befürchte er Verfolgungsmaßnahmen durch die Familie seines Onkels. Dieser Sachverhalt wurde bereits zum ersten Antrag auf internationalen Schutz geprüft. Das neue Tatsachenvorbringen des BF, dass er einen Folgeantrag gestellt habe, weil es die einzige Möglichkeit wäre, in Österreich zu bleiben, weist zudem keinen glaubhaften Kern auf.

Hinsichtlich der Möglichkeit, sich nach der Rückkehr nach Afghanistan in seiner Heimatstadt Kabul anzusiedeln, liegt kein geänderter Sachverhalt vor.


3.3. Zur Lage im Herkunftsstaat

Die maßgebliche und den BF betreffende allgemeine Lage im Herkunftsland hat sich seit rechtskräftigem Abschluss des ersten Verfahrens nicht geändert.

Politische Lage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

In Folge der Präsidentschaftswahlen 2014 wurde am 29.09.2014 Mohammad Ashraf Ghani als Nachfolger von Hamid Karzai in das Präsidentenamt eingeführt. Gleichzeitig trat sein Gegenkandidat Abdullah Abdullah das Amt des Regierungsvorsitzenden (CEO) an - eine per Präsidialdekret eingeführte Position, die Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers aufweist. Ghani und Abdullah stehen an der Spitze einer Regierung der nationalen Einheit (National Unity Government, NUG), auf deren Bildung sich beide Seiten in Folge der Präsidentschaftswahlen verständigten (AA 15.4.2019; vgl. AM 2015, DW 30.9.2014). Bei der Präsidentenwahl 2014 gab es Vorwürfe von Wahlbetrug in großem Stil (RFE/RL 29.5.2019). Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.4.2019).

Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.4.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.3.2019).

Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 13.3.2019, Casolino 2011).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 2.9.2019).

Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21. Oktober 2018 – mit Ausnahme der Provinz Ghazni – Parlamentswahlen statt (AA 15.4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28. September 2019 statt; ein vorläufiges Ergebnis wird laut der unabhängigen Wahlkommission (IEC) für den 14. November 2019 erwartet (RFE/RL 20.10.2019).

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. In der Provinz Kandahar musste die Stimmabgabe wegen eines Attentats auf den Provinzpolizeichef um eine Woche verschoben werden und in der Provinz Ghazni wurde die Wahl wegen politischer Proteste, welche die Wählerregistrierung beeinträchtigten, nicht durchgeführt (s.o.). Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen. Durch Wahl bezogene Gewalt kamen 56 Personen ums Leben und 379 wurden verletzt. Mindestens zehn Kandidaten kamen im Vorfeld der Wahl bei Angriffen ums Leben, wobei die jeweiligen Motive der Angreifer unklar waren (USDOS 13.3.2019).

Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.5.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als „Katastrophe“ und die beiden Wahlkommissionen als „ineffizient“ (AAN 17.5.2019).

Politische Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.5.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004, USDOS 29.5.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.1.2004).

Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 2.9.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 2.9.2019; vgl. AAN 6.5.2018, DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 2.9.2019).

Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).

Die Hezb-e Islami wird von Gulbuddin Hekmatyar, einem ehemaligen Warlord, der zahlreicher Kriegsverbrechen beschuldigt wird, geleitet. Im Jahr 2016 kam es zu einem Friedensschluss und Präsident Ghani sicherte den Mitgliedern der Hezb-e Islami Immunität zu. Hekmatyar kehrte 2016 aus dem Exil nach Afghanistan zurück und kündigte im Jänner 2019 seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2019 an (CNA 19.1.2019).

Im Februar 2018 hat Präsident Ghani in einem Plan für Friedensgespräche mit den Taliban diesen die Anerkennung als politische Partei in Aussicht gestellt (DP 16.6.2018). Bedingung dafür ist, dass die Taliban Afghanistans Verfassung und einen Waffenstillstand akzeptieren (NZZ 27.1.2019). Die Taliban reagierten nicht offiziell auf den Vorschlag (DP 16.6.2018; s. folgender Abschnitt, Anm.).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Hochrangige Vertreter der Taliban sprachen zwischen Juli 2018 (DZ 12.8.2019) – bis zum plötzlichen Abbruch durch den US-amerikanischen Präsidenten im September 2019 (DZ 8.9.2019) – mit US-Unterhändlern über eine politische Lösung des nun schon fast 18 Jahre währenden Konflikts. Dabei ging es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan nicht zu einem sicheren Hafen für Terroristen wird. Die Gespräche sollen zudem in offizielle Friedensgespräche zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban münden. Die Taliban hatten es bisher abgelehnt, mit der afghanischen Regierung zu sprechen, die sie als “Marionette“ des Westens betrachten – auch ein Waffenstillstand war Thema (DZ 12.8.2019; vgl. NZZ 12.8.2019; DZ 8.9.2019).

Präsident Ghani hatte die Taliban mehrmals aufgefordert, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln und zeigte sich über den Ausschluss der afghanischen Regierung von den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, MS 28.1.2019). Bereits im Februar 2018 hatte Präsident Ghani die Taliban als gleichberechtigten Partner zu Friedensgesprächen eingeladen und ihnen eine Amnestie angeboten (CR 2018). Ein für Mitte April 2019 in Katar geplantes Dialogtreffen, bei dem die afghanische Regierung erstmals an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen wäre, kam nicht zustande (HE 16.5.2019). Im Februar und Mai 2019 fanden in Moskau Gespräche zwischen Taliban und bekannten afghanischen Oppositionspolitikern, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehreren Warlords, statt (Qantara 12.2.2019; vgl. TN 31.5.2019). Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha, noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (REU 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die „große Ratsversammlung“ (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den innerafghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil (HE 16.5.2019).

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison – was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt – dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierungen und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten – als Reaktion auf einen Anschlag – absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit – insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle – eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle – ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet – 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Mili

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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