TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/23 L519 2136861-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.03.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

23.03.2020

Norm

AsylG 2005 §15b
AVG §68 Abs1
B-VG Art133 Abs4

Spruch


L519 2136861-2/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Isabella ZOPF als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , StA. Irak, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.2.2020, Zl. 1072625702-200116958, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 68 Abs. 1 AVG 1991 idgF und § 15b Abs. 1 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge kurz als „BF“ bezeichnet), ein Staatsangehöriger des Irak stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 8.6.2015 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz. Dazu wurde er am 9.6.2015 erstbefragt und von einem Organwalter des BFA am 21.7.2015 niederschriftlich einvernommen.

Als Begründung für das Verlassen des Herkunftsstaates brachte der BF zusammengefasst vor, dass er Sunnit sei und Probleme mit einer Gruppe gehabt habe, welcher schlimmer als der IS sei. Die Einheit des BF sei 2014 nach XXXX verlegt worden. Als der BF von einem Kollegen mit seinem Familiennamen gerufen wurde, hätten die Milizen erkannt, dass der BF Sunnit ist. Die Milizen hätten dem BF vorgeworfen, dass er ein Betrüger ist und ihn gefragt, weshalb er überhaupt hier sei. Es sei zu einer verbalen Auseinandersetzung gekommen, welche vom Kommandanten unterbrochen wurde. Dieser habe dem BF einen Passierschein ausgestellt und ihn nach Hause geschickt, wo sich der BF ca. 1 Monat versteckte. Vom Kommandanten habe der BF erfahren, dass die Milizen ständig nach ihm suchten. Auch im Modeladen hätten sie den BF 2 Mal gesucht. Aus Angst habe der BF auf dem Bauernhof seiner Eltern geschlafen, wo ebenfalls 2 Mal nach ihm gesucht wurde. In der Folge sei der BF mit Hilfe seines Cousins, einem Polizisten, ausgereist.

I.2. Der Antrag des BF auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid des BFA vom 15.9.2016 gemäß § 3 Absatz 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt. Gem. § 8 Absatz 1 Z 1 AsylG 2005 wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak nicht zugesprochen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung des BF in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

I.3. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.4.2019, L 524 2136861-1, gem. §§ 3, 8 Abs. 1, 57,10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG idgF, §§ 52Abs. 2 Z.2 und Abs. 9, 46 und 55 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.

Im Rahmen der Beweiswürdigung wurde wie folgt ausgeführt:

Der Beschwerdeführer brachte vor dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht vor, dass er von Mitgliedern einer schiitischen Miliz bedroht worden sei. Die näheren Angaben des Beschwerdeführers dazu waren jedoch teils widersprüchlich, teils unkonkret und allgemein gehalten, so dass ihm eine Glaubhaftmachung nicht gelungen ist:

So fällt im gesamten Vorbringen des Beschwerdeführers auf, dass er hinsichtlich der von ihm genannten Vorfälle keinerlei konkrete Daten angeben konnte. Der Beschwerdeführer sprach vor dem BFA nur davon, dass seine Einheit im Jahr 2014 nach XXXX verlegt worden sei. Wann dort die schiitische Miliz zu seiner Einheit gekommen sei, konnte er jedoch nicht angeben. Er sprach nur davon, dass es „an einem späten Nachmittag“ gewesen sei (Seite 6 des Protokolls). Ebenso unkonkret äußerte sich der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Auch hier konnte er nicht einmal annähernd angeben, wann seine Einheit von Bagdad nach XXXX verlegt worden sei, wie der folgende Auszug aus dem Verhandlungsprotokoll (Seite 13) zeigt:

„R: Wann wurde ihre Einheit nach XXXX verlegt?

BF: Als der IS kam waren wir zuerst im Bagdad, dann mussten wir nach XXXX .

R: Wann genau war das?

BF: Das weiß ich nicht mehr genau.“

Auch an welchem Tag sich der Vorfall mit der Miliz in XXXX ereignet habe, konnte der Beschwerdeführer auf Nachfrage nicht angeben. Er erklärte: „Das genaue Datum weiß ich nicht, es war einen Monat bevor ich das Land verlassen habe.“ (Seite 14 des Verhandlungsprotokolls). Der Beschwerdeführer konnte auch nicht angeben, wann die Miliz im Textilgeschäft gewesen sei und wann die Miliz zu seinem Elternhaus gekommen sei. Dem Beschwerdeführer war es in seinem gesamten Vorbringen nur möglich, zwei konkrete Daten anzugeben. Einerseits nannte er den Tag seiner Ausreise aus dem Irak, den 10.10.2014, und andererseits jenen Tag, an dem er beim Militär zu arbeiten begonnen habe, den 01.09.2010. Dass der Beschwerdeführer nicht in der Lage war anzugeben, wann sich jener Vorfall ereignet habe, der ihn schließlich zur Ausreise aus dem Irak veranlasst habe, kann nicht im Geringsten nachvollzogen werden, zumal es sich offenbar um ein derart gravierendes Ereignis gehandelt haben muss, aufgrund dessen er sich nicht mehr vorstellen konnte, im Irak zu leben. Dieses Unvermögen des Beschwerdeführers, das ausreisekausale Geschehen zu datieren, spricht dafür, dass der behauptete Vorfall gar nicht stattgefunden hat, weshalb er auch kein konkretes Datum nennen konnte. Wenn der Beschwerdeführer dagegen jenen Tag, an dem er den Irak tatsächlich verlassen hat, konkret datieren kann, spricht dies eher dafür, dass an diesem Tag ein im Leben des Beschwerdeführers einschneidendes Erlebnis passiert ist, nämlich die Ausreise, es davor aber zu keinen gravierenden Vorfällen, insbesondere nicht zu dem vom Beschwerdeführer behaupteten Vorfall gekommen ist. Für diese Ansicht spricht auch, dass der Beschwerdeführer, um den Vorfall mit der Miliz zeitlich eingrenzen zu können, von seiner Ausreise aus dem Irak rückrechnen muss: „einen Monat bevor ich das Land verlassen habe“. Wäre das behauptete Geschehen mit der Miliz tatsächlich passiert, müsste der Beschwerdeführer dies konkret angeben können. Es ist daher schon aus diesem Grund nicht glaubhaft, dass dieser Vorfall stattgefunden hat.

Hinsichtlich des vom Beschwerdeführer genannten Tages, an dem er beim Militär zu arbeiten begonnen habe, ist darauf hinzuweisen, dass das vom Beschwerdeführer genannte Datum mit dem von ihm vorgelegten Militärausweis nicht in Einklang gebracht werden kann. Der Beschwerdeführer behauptet, dass er am 01.09.2010 als Soldat begonnen habe (Seite 5 des Protokolls der Einvernahme vor dem BFA und Seite 8 des Verhandlungsprotokolls). Der von ihm vorgelegte Militärausweis trägt jedoch das Ausstellungsdatum 09.12.2010 (AS 45). Damit konfrontiert meinte der Beschwerdeführer, dass an dem Tag, an dem man zu arbeiten beginne, die Ausweise nicht ausgestellt würden, weil man noch eine Probezeit habe. Die Offiziere würden entscheiden, wann die Ausweise ausgestellt würden (Seite 9 des Verhandlungsprotokolls). Dass das Militär ihren Angehörigen, auch wenn diese sich in einer Probezeit befinden, keine Ausweise ausstellt, erscheint jedoch nicht plausibel.

Dem Beschwerdeführer war es auch nicht möglich, korrekte und vollständige Angaben dahingehend zu machen, welche Informationen sich auf einem Militärausweis befinden. So gab er an, dass der Name, die Soldatennummer, der Rang, das Ausstellungsdatum und das Ablaufdatum bis zum nächsten Rang darauf vermerkt seien (Seite 9 des Verhandlungsprotokolls). Auf dem Militärausweis ist jedoch auch die Blutgruppe des Soldaten angeführt, was der Beschwerdeführer nicht angab (AS 47). Dem Beschwerdeführer war es zudem nicht möglich, seine Soldatennummer zu nennen. Er erklärte, dass er sich nicht erinnern könne. Als der Beschwerdeführer nach seiner Blutgruppe gefragt wurde, wurde im offenbar bewusst, dass auch diese Information auf dem Militärausweis angeführt ist, da er nun behauptete, die Blutgruppe sei zwar eingetragen worden, diese sei zuvor aber nicht getestet worden (Seite 9 des Verhandlungsprotokolls). Insgesamt erscheint es, auf Grund der Unkenntnis des Beschwerdeführers zum Militärausweis, zweifelhaft, ob der Beschwerdeführer tatsächlich beim Militär war.

Zudem ist zu bedenken, dass der Beschwerdeführer vor dem Bundesverwaltungsgericht erklärte, er habe zu den Leuten der Miliz gesagt, er sei schon seit drei Jahren bei dieser Einheit des Militärs (Seite 14 des Verhandlungsprotokolls). Da sich der Vorfall etwa einen Monat vor der Ausreise des Beschwerdeführers aus dem Irak im Oktober 2014 ereignet habe und der Beschwerdeführer immer in derselben Einheit gewesen wäre, ergebe dies somit, dass der Beschwerdeführer erst seit ca. September 2011 beim Militär sei. Dies ist wiederum mit dem Militärausweis und den zuvor gemachten Angaben, dass er seit 01.09.2010 beim Militär sei, nicht vereinbar.

Auf Grund dieser aufgezeigten Umstände sind erhebliche Zweifel hinsichtlich der Richtigkeit seiner behaupteten Zugehörigkeit zum Militär entstanden. Der Beschwerdeführer behauptete auch, sein letzter Arbeitstag im Irak sei beim Militär in XXXX gewesen. Er konnte jedoch nicht angeben, wann konkret sein letzter Arbeitstag gewesen sei. Er meinte dazu nur völlig vage, dass dies einen Monat vor der Ausreise aus dem Irak gewesen sei (Seite 9 des Verhandlungsprotokolls). Der Beschwerdeführer konnte auch nicht angeben, wie lange seine Einheit in XXXX gewesen sei. Er meinte dazu Folgendes: „Sicher bin ich mir nicht, aber ca. 7 Monate. Vom Einmarsch des IS bis zu diesem Vorfall.“ (Seite 18 des Verhandlungsprotokolls). Dies müsste somit ca. Februar 2014 gewesen sein. Es mag zwar zutreffen, dass der Beschwerdeführer im Dezember 2010 dem Militär beigetreten ist, da er aber nicht angeben konnte, wann er nach XXXX verlegt worden sei und wie lange seine Einheit dort gewesen sei, sowie seinen letzten Arbeitstag beim Militär nicht konkretisieren konnte, ist es nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer zu jenem Zeitpunkt, als die Einheit nach XXXX worden sei, noch dem Militär angehört habe. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Einheit des Beschwerdeführers ca. im Februar 2014 nach XXXX verlegt worden sei, konnte somit nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Jahr 2014 dem Militär angehört hat.

Am Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinem Fluchtgrund fällt auf, dass seine Angaben im Rahmen der freien Schilderung vor dem Bundesverwaltungsgericht im Vergleich zu seinen Angaben im Rahmen der freien Schilderung vor dem BFA wesentlich ausführlicher und detaillierter waren. Dies kann insofern nicht nachvollzogen werden, als der Beschwerdeführer vor dem Bundesverwaltungsgericht Ereignisse schilderte, die sich vor ca. viereinhalb bis fünf Jahren ereignet haben, wohingegen diese Ereignisse zur Zeit der Einvernahme vor dem BFA im Juli 2015 noch nicht einmal ein Jahr her gewesen wären. Es hätten daher seine Angaben vor dem BFA wesentlich ausführlicher sein müssen als jene vor dem Bundesverwaltungsgericht, zumal es der Lebenserfahrung entspricht, dass die Erinnerung an Ereignisse im Laufe der Zeit verblasst. Da jedoch in den Schilderungen des Beschwerdeführers gerade das Gegenteil der Fall ist und die Schilderungen im Verlauf des Verfahrens ausführlicher und detaillierter werden, ist es nicht glaubhaft, dass das vom Beschwerdeführer Geschilderte tatsächlich passiert ist.

Beispielsweise gab der Beschwerdeführer vor dem BFA an, dass an einem späten Nachmittag die Milizen zu seiner Einheit gekommen seien. Ein Kollege habe ihn mit seinem Familiennamen gerufen und so haben die Milizen erfahren, dass ein Sunnit sei (Seite 6 des Protokolls). Vor dem Bundesverwaltungsgericht gab er konkret an, wie viele Personen der Miliz zu seiner Einheit gekommen seien, nämlich drei, und er habe an ihrer Uniform und dem Vollbart erkannt, dass sie einer Miliz angehören würden. Außerdem hätten sie im Dialekt mit ihm gesprochen und ihn mit „du“ angesprochen. (Seite 12 des Verhandlungsprotokolls). All diese zuletzt genannten Details brachte der Beschwerdeführer von sich aus vor. Damit ist ersichtlich, dass der Beschwerdeführer vor dem Bundesverwaltungsgericht wesentlich detailliertere Angaben machte als noch vor dem BFA. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass der Beschwerdeführer diese Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht erst auf Nachfrage tätigte, sondern von sich aus dies schon derart konkret schilderte, was der Beschwerdeführer vor dem BFA jedoch nicht tat. Dass der Beschwerdeführer vor dem Bundesverwaltungsgericht mehr Details schildern kann als vor dem BFA ist auf Grund der inzwischen verstrichenen Zeit – wie oben ausgeführt – nicht nachvollziehbar.

Vor dem Bundesverwaltungsgericht behauptete der Beschwerdeführer auch, dass diese Miliz, die Asaib Ahl al-Haqq, auch in der Kaserne und zwar in einem Nebengebäude übernachtet habe (Seite 12 des Verhandlungsprotokolls). Auch dieses Detail behauptete der Beschwerdeführer vor dem BFA noch nicht. Selbst in der Beschwerde brachte der Beschwerdeführer dies noch nicht vor, sondern sprach dort vielmehr nur davon, dass die Miliz mit der Einheit „in Kontakt“ gewesen sei (AS 182). Indem die Miliz mit seiner Einheit in Kontakt gewesen sei, habe sie erfahren, dass er als Sunnit in einer schiitisch dominierten Armee im Einsatz gewesen sei, wird in der Beschwerde weiter ausgeführt. In der Einvernahme vor dem BFA und der mündlichen Verhandlung gab der Beschwerdeführer aber konkret an, die Miliz habe erfahren, dass er ein Sunnit sei, weil ihn ein Kollege bei seinem Familiennamen gerufen habe. Von dem in der Beschwerde erstatteten Vorbringen war hier keine Rede. Die Ausführungen in der Beschwerde widersprechen somit den Angaben des Beschwerdeführers vor dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht, was das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht glaubhaft erscheinen lässt.

In der mündlichen Verhandlung brachte der Beschwerdeführer auch vor, dass die Männer der Miliz vor dem von ihm geschilderten Vorfall mit dem Oberstleutnant bzw. Offizier auch beisammengesessen seien (Seite 14 des Verhandlungsprotokolls). Auch das behauptete der Beschwerdeführer in der Einvernahme vor dem BFA noch nicht. Diese Steigerung des Vorbringens des Beschwerdeführers spricht gegen eine Glaubwürdigkeit seiner Angaben. Zudem gab er vor dem Bundesverwaltungsgericht an, dass die Männer der Miliz versucht hätten, ihn mitzunehmen, was er verweigert habe (Seite 12 des Verhandlungsprotokolls). Zwar sprach der Beschwerdeführer auch vor dem BFA davon, dass sie ihn hätten mitnehmen wollen, doch gab er dort noch nicht an, dass er dies verweigert habe. Diese unterschiedliche Darstellung der Ereignisse spricht ebenso gegen einen Wahrheitsgehalt des Behaupteten.

Zu dem Vorfall mit der Miliz gab der Beschwerdeführer vor dem BFA an, dass die Leute der Miliz ihm vorgeworfen hätten, ein Betrüger zu sein (Seite 6 des Protokolls). Dies gab der Beschwerdeführer vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht mehr an. Vor dem BFA gab der Beschwerdeführer auch an, dass es mit den Leuten der Miliz zu einer Auseinandersetzung gekommen sei und diese Auseinandersetzung vom Offizier bzw. Oberstleutnant unterbrochen worden sei (Seiten 6 und 7 des Protokolls). Dass es sich hierbei um eine körperliche Auseinandersetzung gehandelt habe, geht aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers vor dem BFA nicht hervor. In der mündlichen Verhandlung behauptete der Beschwerdeführer aber, dass es zu Handgreiflichkeiten mit den Männern der Miliz gekommen sei (Seiten 12 und 14 des Verhandlungsprotokolls). Diese Unterschiede im Vorbringen lassen dasselbe nicht glaubhaft erscheinen.

Auffällig im Vorbringen des Beschwerdeführers ist auch, dass er die drei Männer der Miliz über entsprechende Aufforderung nicht näher beschreiben konnte. Seine Ausführungen waren sehr allgemein gehalten und unkonkret. Er gab Folgendes an: „Sie trugen dunkelgrüne Uniform. Sie hatten eine dunkelbraune Hautfarbe. Vollbart in schwarz. Sie hatten einen beigen Hut auf.“ (Seite 14 des Verhandlungsprotokolls). Der Beschwerdeführer nannte keinerlei besonderes Details zu den Männern oder besondere Auffälligkeiten, sondern machte nur sehr allgemeine Angaben. Es ist daher nicht glaubhaft, dass sich dieser Vorfall mit den Männern ereignet hat. In diesem Zusammenhang ist auch darauf zu verweisen, dass der Beschwerdeführer angab, dass die Personen der Miliz auch zu seinem Bruder in das Textilgeschäft gekommen seien. Der Beschwerdeführer habe seinen Bruder auch aufgefordert, ihm diese Personen zu beschreiben. Auf Grund der Beschreibung seines Bruders habe er diese Personen aber nicht gekannt (Seite 13 des Verhandlungsprotokolls). Auf Nachfrage, wie sein Bruder die Männer beschrieben habe, gab der Beschwerdeführer folgende Antwort: „Sie haben einen Vollbart. Sie trugen normales Gewand, keine Uniform. Ich fragte meinen Bruder, ob er diese Personen schon einmal gesehen hat, er sagte nein. Ich vermute, dass sie vom Südirak waren, wegen ihrer Hautfarbe.“ (Seite 15 des Verhandlungsprotokolls). Ein Vergleich der beiden Beschreibungen zeigt, dass diese ähnlich nichtssagend sind. Wie der Beschwerdeführer anhand dieser äußerst allgemein gehaltenen und detaillosen Beschreibungen zu dem Schluss gekommen sein will, dass er die Personen nicht kennen würde, erschließt sich dem Bundesverwaltungsgericht nicht.

Der Beschwerdeführer behauptete vor dem Bundesverwaltungsgericht auch, dass er in dem Monat, in dem er zu Hause gewesen sei, mit seinem Oberstleutnant in Kontakt gestanden sei. Auf die Nachfrage, wie oft er in diesem Monat beim Oberstleutnant nachgefragt habe, ob er noch zu Hause bleiben solle, konnte er jedoch keine konkreten Angaben machen. Er gab folgende Antwort: „Ca. Jeden dritten Tag, aber nicht immer. Manchmal auch jeden vierten Tag oder auch schon nach dem zweiten Tag.“ (Seite 15 des Verhandlungsprotokolls). Der Beschwerdeführer konnte auch nicht genau angeben, wie oft die Miliz nach ihm bei der Einheit gesucht habe. Auch hier war seine Antwort wiederum sehr unkonkret, er meinte, die Miliz sei „immer wieder“ zur Einheit gekommen und habe nach ihm gesucht (Seite 13 des Verhandlungsprotokolls). Auch diese vagen Angaben sprechen nicht dafür, dass sich das vom Beschwerdeführer Behauptete tatsächlich geeignet hat.

Im Rahmen der freien Schilderung seines Fluchtgrundes brachte der Beschwerdeführer auch vor, dass die Miliz in das Textilgeschäft gekommen sei. Sie hätten bei seinem Bruder nach ihm gefragt. Dieser habe ihnen gesagt, dass der Beschwerdeführer nicht da sei und er auch nicht wüsste, wo er sich befinde (Seite 13 des Verhandlungsprotokolls). Diese Schilderungen legen den Schluss nahe, dass die Miliz einmal im Textilgeschäft gewesen sei. Auf die Nachfrage, ob die Leute der Miliz einmal oder öfter im Geschäft gewesen seien, konnte der Beschwerdeführer erneut keine konkreten Angaben machen, sondern meinte wiederum nur, er „glaube“, dass es zweimal gewesen sei (Seite 15 des Verhandlungsprotokolls). Auf die Nachfrage, wann das zweite Mal gewesen sei, brachte der Beschwerdeführer vor, „ein paar Tage“ nachdem er mit dem Oberstleutnant gesprochen habe, seien sie in das Geschäft gekommen und dann in derselben Woche noch einmal (Seite 15 des Verhandlungsprotokolls). Diesbezüglich ist auf zweierlei hinzuweisen. Einerseits gab der Beschwerdeführer an, dass die Leute der Miliz zweimal in derselben Woche in das Textilgeschäft gekommen seien. Er hätte somit auf die Frage, ob die Leute „einmal oder öfter“ im Geschäft gewesen seien, nicht bloß eine Vermutung anstellen („ich glaube“), sondern mit Sicherheit angeben können müssen, dass sie zweimal dort gewesen wären. Andererseits zeigt sich auch hier erneut, dass der Beschwerdeführer nicht konkret angeben konnte, wann die Leute im Textilgeschäft gewesen wären. Er sprach nämlich nur davon, dass es „ein paar Tage“ nach seinem Telefonat mit dem Oberstleutnant gewesen sei. Auch dies spricht nicht dafür, dass sich dieser Vorfall tatsächlich ereignet hat.

Ähnlich verhält es sich mit den Ausführungen des Beschwerdeführers zu den Vorkommnissen bei seinem Elternhaus, weshalb auch diesbezüglich dem Beschwerdeführer eine Glaubhaftmachung nicht gelungen ist. Auch hier konnte er wieder nicht konkret angeben, wann die Miliz im Elternhaus gewesen sei. Auf die dementsprechende Frage gab der Beschwerdeführer folgende Antwort: „Genau weiß ich es nicht. Nach dem letzten Besuch im Geschäft, ca. 2 bis 3 Tage danach waren sie im Familienhaus.“ (Seite 16 des Verhandlungsprotokolls). Er konnte auch vor dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht nicht übereinstimmend angeben, wann die Miliz zum Elternhaus gekommen sei. Vor dem BFA gab er nämlich an, dass sie zweimal in der Nacht gekommen seien (Seite 7 des Protokolls). Zwar gab er auch vor dem Bundesverwaltungsgericht an, dass sie zweimal gekommen seien, doch behauptete er hier, einmal sei es zu Mittag gewesen und das andere Mal bei Sonnenaufgang (Seite 16 des Verhandlungsprotokolls). Schon diese widersprüchlichen und unkonkreten Angaben sprechen nicht dafür, dass diese Vorfälle tatsächlich passiert sind.

Darüber hinaus machte der Beschwerdeführer auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht widersprüchliche Angaben. Zunächst behauptete der Beschwerdeführer nämlich, dass die Leute der Miliz in derselben Woche, als sie im Geschäft waren, auch zu ihm nach Hause gekommen seien und nach ihm gefragt hätten (Seite 13 des Verhandlungsprotokolls). Dem widersprechen seine nachfolgenden Ausführungen. Er behauptete nämlich später, dass sie in derselben Woche zwei Mal im Geschäft gewesen seien, ob sie aber in derselben Woche auch bei ihm zu Hause gewesen wären, wisse er nicht mehr (Seite 15 des Verhandlungsprotokolls). Damit war es dem Beschwerdeführer nicht möglich, in der mündlichen Verhandlung selbst widerspruchsfreie Angaben zu machen, weshalb auch aus diesem Grund nicht glaubhaft ist, dass sich die behaupteten Vorfälle tatsächlich ereignet haben.

Darüber hinaus waren die Angaben zu diesen Vorfällen vor dem Bundesverwaltungsgericht wiederum ausführlicher und konkreter als noch vor dem BFA, was ebenso gegen eine Glaubhaftmachung spricht, zumal es sich genau andersherum verhalten müsste, wie bereits weiter oben ausgeführt. Vor dem BFA gab er nur an, dass die Leute in vier Autos gekommen seien, sie bewaffnet gewesen seien, einen Milizenanzug getragen hätten und keine Ausweise vorgezeigt hätten (Seite 7 des Protokolls). Vor dem Bundesverwaltungsgericht waren die Angaben des Beschwerdeführers hierzu wesentlich ausführlicher. Er gab konkret an, dass es sich um Autos der Marke Pick-up gehandelt habe, ein Teil der Personen Auto geblieben sei, ein Teil sei ausgestiegen. Ein paar Leute hätten rund um das Haus geschaut und ein paar seien in das Haus gegangen. Wiederum andere seien bei der Straße stehen geblieben und hätten die Wege abgesperrt. Seine Mutter habe ihm im Nachhinein erzählt, dass sie nach ihm gefragt und behauptet hätten, sie wären von Polizei und würden den Beschwerdeführer suchen. Sie hätten der Mutter keine Auskunft gegeben und keinen Ausweis vorgezeigt. Sie hätten das Haus innen und außen durchsucht und auch auf der Dachterrasse des Hauses gesucht (Seite 16 des Verhandlungsprotokolls). Dieses Aussageverhalten des Beschwerdeführers, nämlich das Vorbringen auszuschmücken, spricht nicht dafür, dass sich das alles auch tatsächlich ereignet hat.

Der Beschwerdeführer gab vor dem BFA an, dass er sich nach dem Vorfall in seiner Einheit einen Monat zu Hause versteckt habe. Er habe auf dem Bauernhof seiner Eltern geschlafen (Seite 7 des Protokolls). In der Beschwerde wird vorgebracht, dass sich der Beschwerdeführer im Bauernhaus seiner Eltern aufgehalten habe (AS 182). In der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde auf die Frage, ob der Beschwerdeführer bei der Polizei und beim BFA richtige Angaben gemacht habe, angegeben, dass es im Protokoll des BFA einen Fehler gebe. Es stehe geschrieben, dass er am Bauernhof der Eltern geschlafen habe, tatsächlich hätte er aber am Feld geschlafen und nicht im Haus (Seite 12 des Verhandlungsprotokolls). Diesbezüglich ist darauf hinzuweisen, dass dem Beschwerdeführer nach der Einvernahme vor dem BFA das Protokoll rückübersetzt wurde und er angab, dass alles richtig protokolliert worden sei (Seite 12 des Protokolls). Wäre es daher tatsächlich zu dem erst in der mündlichen Verhandlung behaupteten Fehler gekommen, so hätte der Beschwerdeführer bereits bei der Einvernahme vor dem BFA darauf hinweisen müssen, was er aber nicht getan hat. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer bereits seit Erhebung der Beschwerde von derselben Rechtsvertreterin vertreten wird. Er hätte somit auch bereits in seiner Beschwerde auf den behaupteten Fehler hinweisen können, hat dies dort jedoch nicht getan, sondern vielmehr behauptet er habe sich im Bauernhaus seiner Eltern aufgehalten. Dass der Beschwerdeführer einige Zeit auf dem Feld verbracht habe, wird in der Beschwerde mit keinem Wort erwähnt. Die Ausführungen in der Beschwerde widersprechen daher eklatant den Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht. Mit der Behauptung, es gebe einen Fehler im Protokoll, wird offensichtlich versucht, die unplausiblen Angaben des Beschwerdeführers, nämlich, dass ihn die Miliz im Elternhaus gesucht habe, ihn dort aber nicht gefunden habe, obwohl er sich dort aufgehalten habe, auszuräumen. Dieser Erklärungsversuch überzeugt jedoch nicht im Geringsten.

Zum Vorbringen des Beschwerdeführers, dass er im Wald geschlafen habe, ist noch darauf hinzuweisen, dass er auch diesbezüglich keine konkreten Angaben machen konnte. Sogar auf die Frage, wie lange er im Freien geschlafen habe, gab er an, dass er das nicht genau wisse. Seit dem ersten Besuch im Textilgeschäft hätte er „gewusst“, dass sie auch zum Familienhaus kommen würden. Da hätte er sich dann im Wald versteckt. Dennoch konnte der Beschwerdeführer auf die Nachfrage nicht angeben, wie lange er im Wald gewesen sei. Schließlich konnte der Beschwerdeführer auch nicht plausibel angeben, was er den ganzen Tag im Wald gemacht habe. Er meinte hierzu nur, er hätte „gar nichts“ gemacht. Er sei nur im Wald gewesen. Er habe nicht ins Haus gehen können, dass Essen sei ihm von zu Hause gebraucht worden und gewaschen habe er sich im Teich. Es bleibt trotz dieser Ausführungen völlig im Unklaren, was der Beschwerdeführer tatsächlich den ganzen Tag gemacht hat (Seite 19 des Verhandlungsprotokolls). Dieses Unvermögen des Beschwerdeführers, plausibel darzulegen, wie er die Zeit im Wald verbracht hat, lässt es nicht glaubhaft erscheinen, dass der Beschwerdeführer tatsächlich einige Zeit im Wald verbracht hat.

Der Beschwerdeführer behauptet, dass die Miliz erfahren habe, dass er ein Sunnit sei und sie in deswegen suchen würde. Auf die konkrete Frage in der mündlichen Verhandlung, weshalb in die Miliz suche, gab der Beschwerdeführer aber eine Antwort, die nichts mit seiner Religionszugehörigkeit zu tun hat (Seite 15 des Verhandlungsprotokolls):

„R: Warum hat die Miliz Sie gesucht? Was wollte sie von Ihnen?

BF: Weil sie die Sache persönlich genommen haben. Sie haben meine Mutter beleidigt. Ich war handgreiflich, ich habe einen geschlagen vor dem Oberstleutnant. Sie respektieren das nicht. Sie sehen das Militär als ihr Eigentum. Ich finde aber, dass die Miliz genauso schlecht ist wie der IS.“

Diese Antwort erweckte nicht den Eindruck, dass die Miliz den Beschwerdeführer wegen seiner Religionszugehörigkeit suchen würde. Damit wurde der Beschwerdeführer auch konfrontiert (Seite 16 des Verhandlungsprotokolls):

„R: Dass Sie von der Miliz gesucht wurden, hat gar nichts mehr damit zu tun, dass Sie Sunnite sind, sondern, weil sie sich geschlagen haben?

BF: Sie haben angefangen, mich zu beleidigen. Ich wurde dann auch handgreiflich, weil sie mich provozierten. Sie suchten mich auch, weil ich Sunnite bin, das ist der erste Grund. Viele Sunniten, die in diesem Militär waren, wurden von den Milizen getötet.“

Anhand dieses Auszugs aus dem Verhandlungsprotokoll zeigt sich, dass der Beschwerdeführer in erster Linie vorbringt, dass die Miliz in deswegen suche, weil er sich mit ihnen geschlagen habe und sie die Sache persönlich nehmen würden. Auch auf die zweite an ihn gestellte Frage, ob dies alles nichts mit seiner Religion zu tun habe, brachte er zunächst die Handgreiflichkeiten vor. Der Beschwerdeführer konnte den gewonnenen Eindruck, dass die Suche nach ihm nichts mit seiner Religion zu tun hat, auch mit der Antwort auf die zweite Frage nicht ausräumen.

Aus dem gesamten Vorbringen des Beschwerdeführers ergab sich nicht, welche konkreten Befürchtungen er vor der Miliz hatte, und zwar weder vor dem BFA noch vor dem Bundesverwaltungsgericht. Insbesondere brachte er nicht vor, er hätte Angst, von ihnen getötet zu werden. Der Beschwerdeführer musste dazu erst konkret befragt werden (Seite 16 des Verhandlungsprotokolls):

„R: Hatten Sie Angst getötet zu werden?

BF: Ich war mir sicher, dass ich getötet werde. Wenn diese Personen jemanden wollen, dann werden sie es so lange machen, bis sie die Person haben.

R: Warum hatten Sie Angst getötet zu werden, wenn Sie bisher noch nicht geschildert haben, dass Sie mit dem Umbringen bedroht werden?

BF: Wenn sie mich erwischt hätten, dann würde ich ab diesem Tag ein Vermisster sein. Bei normalen Bürgern gehen sie einfach ins Haus, nehmen den Vater oder Bruder mit. Wenn sie jemanden suchen, dann werden sie ihn finden. Ein Sunnite wird es nicht überleben.“

Anhand seiner Antworten zeigt sich, dass der Beschwerdeführer bloß vermutet, er könnte getötet werden. Daher ist nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer mit dem Umbringen bedroht wäre.

Darüber hinaus konnte der Beschwerdeführer auch nicht plausibel darlegen, weshalb er eine Bedrohung zu befürchten habe, zumal auch seine sämtlichen Familienangehörigen Sunniten sind. Die Ausführungen des Beschwerdeführers hierzu gestalteten sich in der mündlichen Verhandlung wie folgt (Seite 17 des Verhandlungsprotokolls):

„R: Ist Ihre Familie bedroht worden?

BF: Nein. Sie waren aber unfreundlich und respektlos, als sie ins Elternhaus kamen.

R: Ihre Familie sind auch Sunniten. Warum wurden diese dann nicht bedroht?

BF: Mein Familienhaus ist in einem sunnitischen Dorf.

R: Warum wurde Ihre Familie nicht bedroht, obwohl sie auch Sunniten sind und Sie als Sunnite schon?

BF: Weil die Miliz den Vorfall persönlich genommen haben.“

Anhand der Antwort des Beschwerdeführers auf die letzte Frage wird nun offenkundig, dass ihn die Miliz nicht wegen seiner Religionszugehörigkeit sucht. Es ist daher nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer wegen seiner Religionszugehörigkeit bedroht oder gesucht werden soll.

Auch hinsichtlich der Beschaffung eines Reisepasses für die Ausreise äußerte sich der Beschwerdeführer vor dem Bundesverwaltungsgericht anders als noch vor dem BFA. Vor dem BFA gab der Beschwerdeführer an, dass ihm sein Cousin einen Reisepass organisiert habe (Seite 7 des Protokolls). Vor dem Bundesverwaltungsgericht sprach er zwar davon, dass er mithilfe seines Cousins sich einen Reisepass habe ausstellen lassen, doch gab er dann an, dass er mit seinem Cousin nach XXXX zur Staatsbürgerschaftsdirektion gefahren sei und dort selbst einen Reisepass beantragt habe. Der Beschwerdeführer habe dann auch mit seinem Cousin den Reisepass abgeholt (Seite 17 des Protokolls). Es kann daher keine Rede davon sein, dass der Cousin den Reisepass organisiert habe. Auch diese unterschiedlichen Angaben sprechen gegen einen Wahrheitsgehalt des von ihm Behaupteten.

Der Beschwerdeführer konnte auch nicht plausibel erklären, weshalb er in der Zeit, in der er auf die Ausstellung des Reisepasses gewartet habe, nicht etwa bei seiner Schwester in XXXX geblieben sei, sondern zum Bauernhof der Eltern zurückgekehrt sei und dort im Wald gewartet habe, obwohl dort die Miliz bereits zwei Mal nach ihm gesucht habe. Er meinte dazu nur, für ihn sei der Wald der sicherste Ort gewesen (Seite 17 des Verhandlungsprotokolls). Dies ist insofern nicht nachvollziehbar, als die Miliz bereits zweimal beim Elternhaus gesucht habe, der Beschwerdeführer aber keinen Vorfall geschildert hat, bei dem etwa bei seiner Schwester in XXXX gesucht worden wäre.

Auf Grund der insgesamt aufgezeigten Widersprüche zu seinem zentralen Fluchtvorbringen und Unplausibilitäten in den Angaben des Beschwerdeführers und seines Aussageverhaltens, geht das Bundesverwaltungsgericht von der Unglaubhaftigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers zu seinem Fluchtgrund und davon aus, dass das Fluchtvorbringen in Wahrheit nicht stattgefunden hat.

Dieses Erkenntnis des BVwG erwuchs am 16.4.2019 in Rechtskraft.

I.4. Die gegen dieses Erkenntnis erhobene außerordentliche Revision wurde vom VwGH mit Beschluss vom 19.6.2019, Ra 2019/14/027, zurückgewiesen.

I.5. Mit Schreiben des BFA vom 5.7.2019 wurde der BF in Kenntnis gesetzt, dass das BFA beabsichtigt, gegen ihn eine neue Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot zu erlassen. Der BF äußerte sich dazu nicht.

I.6. Am 14.7.2019 brachte der BF in der Bundesrepublik Deutschland einen Antrag auf internationalen Schutz ein.

I.7. Mit Bescheid des BFA vom 22.8.2019, Zl. 1072625702-190680780, wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG nicht erteilt. Gem. § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 1 Z. 1 FPG erlassen und gem. § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF in den Irak gem. § 46 FPG zulässig ist. Gem. § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 wurde über den BF ein auf die Dauer von 18 Monaten befristetes Einreiseverbot erlassen. Gem. § 55 Abs. 4 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt.

Diese Entscheidung erwuchs am 20.9.2020 in Rechtskraft.

I.8. Am 30.1.2020 wurde der BF im Rahmen eines Dublin-Verfahrens von der Bundesrepublik Deutschland nach Österreich überstellt, wo er noch am selben Tag den nunmehr verfahrensgegenständlichen Antrag einbrachte.

Im Rahmen der Erstbefragung gab der BF an, dass er seine Fluchtgründe aus dem ersten Verfahren aufrecht halte. Die Situation im Irak sei seit Oktober 2019 gefährlicher als früher

Beim BFA gab der BF zusammengefasst an, dass er noch immer Probleme mit den Milizen habe. Im Übrigen wiederholte er die Fluchtgeschichte aus dem Erstverfahren.

I.9. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkte I. und II.). Gem. § 15b Abs. 1 AsylG wurde dem BF aufgetragen, in der XXXX , Unterkunft zu nehmen.

Begründend wurde ausgeführt, dass kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt hervorgekommen sei, zumal der BF sich auf jene Gründe stütze, die er im bereits rechtskräftig entschiedenen vorangegangenen Verfahren vorbrachte. Diesen Fluchtgründen kam keine Glaubhaftigkeit bzw. Asylrelevanz zu. Der BF habe dieselben Fluchtgründe geschildert wie im Vorverfahren. Er habe zusätzlich keine neuen Angaben gemacht und auch keine neuen Beweismittel vorgelegt. Nicht nachvollziehbar sei, weshalb der BF nunmehr behauptete, von 4 Mitgliedern der Miliz bedroht worden zu sein, während er im Vorverfahren immer nur von 3 sprach. Dieser Umstand sei aber nicht geeignet, einen neuen Sachverhalt zu begründen, sondern eher, um den Wahrheitsgehalt der Schilderungen noch weiter in Zweifel zu ziehen. Jedenfalls decke sich das Parteibegehren im 2. Antrag mit dem aus dem Erstverfahren.

Da der BF das Vorbringen im ggst. Verfahren auf ein bereits rechtskräftig als unglaubwürdig qualifiziertes Vorbringen stützt, könne kein neuer Sachverhalt vorliegen, weil jeder Sachverhalt, welcher auf dieses unglaubwürdige bzw. mit diesem in Zusammenhang stehende Vorbringen aufbaut, nach den Denkgesetzen der Logik ebenfalls als unglaubwürdig zu werten sei und der darin behauptete Sachverhalt in der Tatsachenwirklichkeit nicht existiert.

Zur Lage im Irak führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass die getroffenen Feststellungen dazu auf einer Zusammenstellung der Staatendokumentation des BFA basieren. Diese sei der Objektivität verpflichtet und unterliege der Beobachtung eines Beirates. Es sei daher davon auszugehen, dass alle genannten Unterlagen von angesehenen staatlichen und nichtstaatlichen Einrichtungen stammen, ausgewogen zusammengestellt wurden und somit keine Bedenken bestehen, sich darauf zu stützen. Die Quellen seien auch aktuell und sei der BF diesen bis zur Bescheiderlassung nicht konkret und substantiiert entgegengetreten. Er habe keine kritischen Stellungnahmen zu den wesentlichen Punkten vorgenommen und keine Punkte angeführt, die speziell ihn betreffen würden. Auch seitens der Rechtsberatung seien keine Beanstandungen bekundet.

Da bereits eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliege, sei auch die Anordnung der Unterkunftnahme gerechtfertigt.

Dieser Bescheid des BFA wurde dem BF rechtswirksam am 12.2.2020 zugestellt.

I.10. Mit Schriftsatz vom 26.2.2020 wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und im Wesentlichen vorgebracht, dass der BF unter anderem vorgebracht habe, dass seit Oktober 2019 ca. 700 Iraker verstorben seien. Mehr als 20.000 seien verletzt. Der BF frage sich, weshalb diese Menschen im Irak so sterben, das sei die Lage. Das sei die offizielle Statistik, in Wahrheit seien viel mehr Menschen verstorben, welche von den irakischen Behörden getötet wurden. Die Milizen, von denen der BF bedroht wurde, seien die, die die Regierung gründen.

Das BFA habe nur mangelhafte Feststellungen getroffen. Seit September 2019 dauern die Proteste gegen die irakische Regierung an, die bereits mehrere Tote gefordert haben. Die Sicherheitslage sei volatil. Die Polizei gehe mit Gewalt gen die Demonstranten vor (s. auch: ZEIT ONLINE vom 7.2.2020, RFE/RL, Day of unrest in iraq claims dozens of lives vom 28.11.2019, UNHCR: Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen vom Mai 2019; AI vom 23.1 2020: Protest death toll surges as security forces resume brutal repression; UNAMI vom 5.11.2019: Human Rights Special Report;)

Dem BF stehe keine IFA zur Verfügung. XXXX sei seit Rechtskraft des 1. Verfahrens erneut Ziel der IS-Terroristen.

Die Länderfeststellungen zur Rückkehr seien veraltet (s. ACLED: Ten conflicts to worry about in 2019; EASO: Country guidance Iraq vom Juni 2019).

Im Übrigen werde beantragt, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

I.11. Am 28.2.2020 erging gem. § 14 VwGVG eine Beschwerdevorentscheidung des BFA, mit der die Beschwerde gem. § 68 AVG und § 15b AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen wurde.

I.12. Am 12.3.2020 brachte der BF einen Vorlageantrag ein und führte ergänzend aus, dass die belangte Behörde nicht berücksichtigt habe, dass sunnitische Araber der Verfolgung durch schiitische Milizen ausgesetzt sind, weil ihnen eine Zusammenarbeit mit dem IS unterstellt wird. Der BF sei daher einer Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu dieser sozialen Gruppe ausgesetzt.

Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb dem BF nicht subsidiärer Schutz gewährt wurde, zumal in anderen europäischen Ländern bei gleichen Sachverhalten in hohem Masse subsidiärer Schutz gewährt werde. Die belangte Behörde habe ihre Ermittlungspflichten bezüglich aktueller Demonstrationen und verschlechterter Sicherheitslage unterlassen.

I.13. Hinsichtlich des Verfahrensinhalts im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

II.1.1.Der Beschwerdeführer:

Der Beschwerdeführer ist ein lediger, kinderloser irakischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Araber an und ist sunnitischer Moslem. Der Beschwerdeführer lebte vor seiner Ausreise mit seinen Eltern und Geschwistern in XXXX in der Provinz XXXX . Die Familie besitzt einen Bauernhof und Grundstücke in diesem Ort. In diesem Familienhaus leben noch die Mutter des Beschwerdeführers, sein älterer Bruder mit seiner Frau und seinen Kindern, sein jüngerer Bruder, zwei Schwestern und die zweite Ehefrau des Vaters des Beschwerdeführers. Der Vater des Beschwerdeführers ist bereits 2007 verstorben. Der Beschwerdeführer hat zwei weitere verheiratete Schwestern, die in XXXX , Provinz XXXX , und in XXXX leben. Zwei Onkel und fünf Tanten leben in XXXX . Zwei Onkel und drei Tanten leben in XXXX .

Die Familie betreibt weiterhin den Bauernhof. Der ältere Bruder des Beschwerdeführers arbeitet als Taxifahrer in XXXX . Die Familie erhält Geld vom Staat und die Mutter des Beschwerdeführers erhält die Rente des verstorbenen Vaters des Beschwerdeführers.

Der Beschwerdeführer besuchte insgesamt ca. zwölf Jahre die Schule. Er hat auf dem Bauernhof seiner Eltern gearbeitet, war gelegentlich als Elektriker tätig und war ab dem Jahr 2010 Soldat beim Militär. Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer auch im Jahr 2014 noch dem Militär angehört hat.

Der Beschwerdeführer verließ ca. im Oktober 2014 legal den Irak und reiste danach schlepperunterstützt nach Österreich, wo er am 08.06.2015 den ersten Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Der 1. Antrag des BF auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid des BFA vom 6.10.2017 gemäß § 3 Absatz 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt. Gem. § 8 Absatz 1 Z 1 AsylG 2005 wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak nicht zugesprochen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung des BF in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

Der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Fluchtgrund, wonach er von schiitischen Milizen bedroht worden sei, weil er Sunnit sei, wurde dieser Entscheidung mangels Glaubwürdigkeit nicht zugrunde gelegt.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.4.2019, L 524 2136861-1, gem. §§ 3, 8 Abs. 1, 57,10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG idgF, §§ 52Abs. 2 Z.2 und Abs. 9, 46 und 55 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.

Dieses Erkenntnis des BVwG erwuchs am 16.4.2019 in Rechtskraft.

Die gegen dieses Erkenntnis erhobene außerordentliche Revision wurde vom VwGH mit Beschluss vom 19.6.2019, Ra 2019/14/027, zurückgewiesen.

Am 14.7.2019 brachte der BF in der Bundesrepublik Deutschland einen Antrag auf internationalen Schutz ein.

Mit Bescheid des BFA vom 22.8.2019, Zl. 1072625702-190680780, wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG nicht erteilt. Gem. § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 1 Z. 1 FPG erlassen und gem. § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF in den Irak gem. § 46 FPG zulässig ist. Gem. § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 wurde über den BF ein auf die Dauer von 18 Monaten befristetes Einreiseverbot erlassen. Gem. § 55 Abs. 4 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt.

Diese Entscheidung erwuchs am 20.9.2020 in Rechtskraft.

Am 30.1.2020 wurde der BF im Rahmen eines Dublin-Verfahrens von der Bundesrepublik Deutschland nach Österreich überstellt.

Im gegenständlichen Fall ergab sich weder eine maßgebliche Änderung bzw. Verschlechterung in Bezug auf die den BF betreffende asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat, noch in sonstigen in der Person des BF gelegenen Umständen.

Ebenso ergab sich keine sonstige aktuelle und entscheidungsrelevante Bedrohungssituation des BF.

Eine relevante Änderung der Rechtslage konnte ebenfalls nicht festgestellt werden.

In Bezug auf die individuelle Lage des BF im Falle einer Rückkehr in den Irak konnte keine im Hinblick auf den Zeitpunkt, an dem letztmalig über den Antrag auf internationalen Schutz inhaltlich entschieden wurde, maßgeblich geänderte oder gar verschlechterte Situation festgestellt werden.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass dem BF eine aktuelle sowie unmittelbare persönliche und konkrete Gefährdung oder Verfolgung in seinem Heimatland Irak droht. Ebenso konnte unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle einer Rückkehr in den Irak der Gefahr einer Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung iSd GFK ausgesetzt wäre.

Weiter konnte unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung in den Irak eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für den BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

II.1.2. Zur Sicherheitslage im Irak

Die folgende Karte von liveuamap zeigt die Einteilung des Irak in offiziell von der irakischen Zentralregierung kontrollierte Gouvernements (in rosa), die autonome Region Kurdistan (KRI) (in gelb) und Gebiete unter der weitgehenden Kontrolle von Gruppen des Islamischen Staates (IS) (in grau). Die Symbole kennzeichnen dabei Orte und Arten von sicherheitsrelevanten Vorfällen, wie Luftschläge, Schusswechsel/-attentate, Sprengstoffanschläge/Explosionen, Granatbeschuss, u.v.m.

Quelle: Liveuamap - Live Universal Awareness Map (1.10.2019): Map of Iraq, https://iraq.liveuamap.com/en/time/01.10.2019, Zugriff 1.10.2019

Seit der Verkündigung des territorialen Sieges des Irak über den Islamischen Staat (IS) im

Dezember 2017 (Reuters 9.12.2017) hat sich der IS in eine Aufstandsbewegung gewandelt (Military Times 7.7.2019). Zahlreiche Berichte erwähnen Umstrukturierungsbestrebungen des IS sowie eine Mobilisierung von Schläferzellen (The Portal 9.10.2019).

Im Jahr 2019 war der IS insbesondere in abgelegenem, schwer zugänglichem Gelände aktiv, hauptsächlich in den Wüsten der Gouvernements Anbar und Ninewa sowie in den Hamrin-Bergen, die sich über die Gouvernements Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala erstrecken (ACLED 7.8.2019). Er ist nach wie vor dabei sich zu reorganisieren und versucht seine Kader und Führung zu erhalten (Joel Wing 16.10.2019). Der IS setzt nach wie vor auf Gewaltakte gegen Stammesführer, Politiker, Dorfvorsteher und Regierungsmitarbeiter sowie beispielsweise auf Brandstiftung, um Spannungen zwischen arabischen und kurdischen Gemeinschaften zu entfachen, die

Wiederaufbaubemühungen der Regierung zu untergraben und soziale Spannungen zu verschärfen (ACLED 7.8.2019).

Insbesondere in den beiden Gouvernements Diyala und Kirkuk scheint der IS im Vergleich zum Rest des Landes mit relativ hohem Tempo sein Fundament wieder aufzubauen, wobei er die lokale Verwaltung und die Sicherheitskräfte durch eine hohe Abfolge von Angriffen herausfordert (Joel Wing 16.10.2019).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 7.8.2019). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungseinheiten (PMF/PMU/Hashd al Shabi) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).

Am 7.7.2019 begann die „Operation Will of Victory“, an der irakische Streitkräfte (ISF), Popular Mobilization Forces (PMF), Tribal Mobilization Forces (TMF) und Kampfflugzeuge der USgeführten Koalition teilnahmen (ACLED 7.8.2019; vgl. Military Times 7.7.2019). Die mehrphasige Operation hat die Beseitigung von IS-Zellen zum Ziel (Diyaruna 7.10.2019; vgl. The Portal 9.10.2019). Die am 7. Juli begonnene erste Phase umfasste Anbar, Salah ad-Din und Ninewa (Military Times 7.7.2019). Phase zwei begann am 20. Juli und betraf die nördlichen Gebiete von Bagdad sowie die benachbarten Gebiete der Gouvernements Diyala, Salah ad-Din und Anbar (Rudaw 20.7.2019). Phase drei begann am 5. August und konzentrierte sich auf Gebiete in Diyala und Ninewa (Rudaw 11.8.2019). Phase vier begann am 24. August und betraf die Wüstenregionen von Anbar (Rudaw 24.8.2019). Phase fünf begann am 21.9.2019 und konzentrierte sich auf abgelegene Wüstenregionen zwischen den Gouvernements Kerbala, Najaf und Anbar, bis hin zur Grenze zu Saudi-Arabien (PressTV 21.9.2019). Eine sechste Phase wurde am 6. Oktober ausgerufen und umfasste Gebiete zwischen dem südwestlichen Salah ad-Din bis zum nördlichen Anbar und Ninewa (Diyaruna 7.10.2019).

Die folgende Grafik von Iraq Body Count (IBC) stellt die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer seit 2003 dar (pro Monat jeweils ein Balken). Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar (IBC 9.2019).

Quelle: Iraq Bodycount (9.2019): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 15.10.2019

Die folgende Tabelle des IBC gibt die Zahlen der Todesopfer an. Für Juli 2019 sind 145 zivile Todesopfer im Irak ausgewiesen. Im August 2019 wurden von IBC 93 getötete Zivilisten im Irak dokumentiert und für September 151 (IBC 9.2019).

Quelle: Iraq Bodycount (9.2019): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 15.10.2019

Vom Irak-Experten Joel Wing wurden für den Gesamtirak im Lauf des Monats Juli 2019 82 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 83 Tote und 119 Verletzten verzeichnet. 18 Tote gingen auf Leichenfunde von Opfern des IS im Distrikt Sinjar im Gouvernement Ninewa zurück, wodurch die Zahl der tatsächlichen gewaltsamen Todesfälle im Juli auf 65 reduziert werden kann. Es war der zweite Monat in Folge, in dem die Vorfallzahlen wieder zurückgingen. Dieser Rückgang wird einerseits auf eine großangelegte Militäraktion der Regierung in vier Gouvernements zurückgeführt [Anm.: „Operation Will of Victory“; Anbar, Salah ad Din, Ninewa und Diyala, siehe oben], wobei die Vorfallzahlen auch in Gouvernements zurückgingen, die nicht von der Offensive betroffen waren. Der Rückgang an sicherheitsrelevanten Vorfällen wird auch mit einem neuerlichen verstärkten Fokus des IS auf Syrien erklärt (Joel Wing 5.8.2019).

Im August 2019 verzeichnete Joel Wing 104 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 103 Toten und 141 Verletzten. Zehn Tote gingen auf Leichenfunde von Jesiden im Distrikt Sinjar im Gouvernement Ninewa zurück, wodurch die Zahl der Todesfälle im August auf 93 angepasst werden kann. Bei einem der Vorfälle handelte es sich um einen Angriff einer pro-iranischen PMF auf eine Sicherheitseinheit von British Petroleum (BP) im Rumaila Ölfeld bei Basra (Joel Wing 9.9.2019).

Im September 2019 wurden von Joel Wing für den Gesamtirak 123 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 122 Toten und 131 Verletzten registriert (Joel Wing 16.10.2019).

Seit 1. Oktober kam es in mehreren Gouvernements (Bagdad, Basra, Maysan, Qadisiya, Dhi Qar, Wasit, Muthanna, Babil, Kerbala, Najaf, Diyala, Kirkuk und Salah ad-Din) zu teils gewalttätigen Demonstrationen (ISW 22.10.2019, vgl. Joel Wing 3.10.2019). Die Proteste richten sich gegen Korruption, die hohe Arbeitslosigkeit und die schlechte Strom- und Wasserversorgung (Al Mada 2.10.2019; vgl. BBC 4.10.2019; Standard 4.10.2019), aber auch gegen den iranischen Einfluss auf den Irak (ISW 22.10.2019). Im Zuge dieser Demonstrationen wurden mehrere Regierungsgebäude sowie Sitze von Milizen und Parteien in Brand gesetzt (Al Mada 2.10.2019). Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) gingen unter anderem mit scharfer Munition gegen Demonstranten vor. Außerdem gibt es Berichte über nicht identifizierte Scharfschützen, die sowohl Demonstranten als auch Sicherheitskräfte ins Visier genommen haben sollen (ISW 22.10.2019). Premierminister Mahdi kündigte eine Aufklärung der gezielten Tötungen an (Rudaw 13.10.2019). Zeitweilig, vom 2. bis zum 5. Oktober, wurde eine Ausgangssperre ausgerufen (Al Jazeera 5.10.2019; vgl. ISW 22.10.2019; Rudaw 13.10.2019) und eine Internetblockade vom 4. bis 7. Oktober implementiert (Net Blocks 3.10.2019; FAZ 3.10.2019; vgl. Rudaw 13.10.2019).

Nach einer kurzen Ruhephase gingen die gewaltsamen Proteste am 25. Oktober weiter und forderten bis zum 30. Oktober weitere 74 Menschenleben und 3.500 Verletzte (BBC News 30.10.2019). Insbesondere betroffen waren bzw. sind die Städte Bagdad, Nasiriyah, Hillah, Basra und Kerbala (BBC News 30.10.2019; vgl. Guardian 27.10.2019; Guardian 29.10.2019). Am 28. Oktober wurde eine neue Ausgangssperre über Bagdad verhängt, der sich jedoch tausende Demonstranten widersetzen (BBC 30.10.2019; vgl. Guardian 29.10.2019). Über 250 Personen wurden seit Ausbruch der Proteste am 1. Oktober bis zum 29. Oktober getötet (Guardian

29.10.2019) und mehr als 8.000 Personen verletzt (France24 28.10.2019).

BAGDAD

Der IS versucht weiterhin seine Aktivitäten in Bagdad zu erhöhen (Joel Wing 5.8.2019). Fast alle Aktivitäten des IS im Gouvernement Bagdad betreffen die Peripherie der Hauptstadt, den äußeren Norden, Süden und Westen (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 16.10.2019). Im Juli gelang es dem IS zwei Selbstmordattentate im Gouvernement auszuführen, weswegen Bagdad die Opferstatistik des Irak in diesem Monat anführte (Joel Wing 5.8.2019). Sowohl am 7. als auch am 16.September wurden jeweils fünf Vorfälle mit „Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen“ (IEDs) in der Stadt Bagdad selbst verzeichnet (Joel Wing 16.10.2019). Während der Proteste im Südirak im Oktober 2019 , von denen auch Bagdad betroffen war, stoppte der IS seine Angriffe im Gouvernement (Joel Wing 16.10.2019).

Im Juli 2019 wurden vom Irak-Experten Joel Wing im Gouvernement Bagdad 15

sicherheitsrelevante Vorfälle mit 15 Toten und 27 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurden 14 Vorfälle erfasst, mit neun Toten und elf Verwundeten (Joel Wing 9.9.2019) und im September waren es 25 Vorfälle mit zehn Toten und 35 Verwundeten (Joel Wing

16.10.2019).

AUTONOME REGION KURDISTAN / KURDISCHE REGION IM IRAK

Im Juli 2019 führte der IS seine seit langem erste Attacke auf kurdischem Boden durch. Im

Gouvernement Sulaimaniya attackierte er einen Checkpoint an der Grenze zu Diyala, der von Asayish [Anm.: Inlandsgeheimdienst der Autonomen Region Kurdistan] bemannt war. Der Angriff erfolgte in drei Phasen: Auf einen Schussangriff folgte ein IED-Angriff gegen eintreffende Verstärkung, gefolgt von Mörserbeschuss. Bei diesem Angriff wurden fünf Tote und elf Verletzte registriert (Joel Wing 5.8.2019). Im August wurde in Sulaimaniya ein Vorfall mit einer IED verzeichnet, wobei es keine Opfer gab (Joel Wing 9.9.2019).

Die am 27. Mai initiierte türkische „Operation Claw“ gegen Stellungen der Kurdischen

Arbeiterpartei (PKK) im Nordirak hält an. Die erste Phase richtete sich gegen Stellungen in der Hakurk/Khakurk-Region im Gouvernement Erbil (Anadolu Agency 13.7.2019; vgl. Rudaw 13.7.2019). Die zweite Phase begann am 12. Juli und zielt auf die Zerstörung von Höhlen und Zufluchtsorten der PKK (Anadolu Agency 13.7.2019). Die türkischen Luftangriffe konzentrierten sich auf die Region Amadiya im Gouvernement Dohuk, von wo aus die PKK häufig operiert (ACLED 17.7.2019). Aktuell befindet sich die Operation in der dritten Phase (ACLED 4.9.2019)

Im Kreuzfeuer wurden in den vergangenen Wochen mehrere kurdische Dörfer evakuiert, da manchmal auch Zivilisten und deren Eigentum bei türkischen Luftangriffen getroffen wurden (ACLED 4.9.2019; vgl. ACLED 7.8.2019).

Am 10. und 11. Juli bombardierte iranische Artillerie mutmaßliche PKK-Ziele im Subdistrikt Sidakan/Bradost im Gouvernement Sulaimaniya, wobei ein Kind getötet wurde (Al Monitor 12.7.2019). In dem Gebiet gibt es häufige Zusammenstöße zwischen iranischen Sicherheitskräften und iranisch-kurdischen Aufständischen, die ihren Sitz im Irak haben, wie die “Partei für ein Freies Leben in Kurdistan‘‘ (PJAK), die von Teheran beschuldigt wird, mit der PKK in Verbindungen zu stehen (Reuters 12.7.2019).

NORD- UND ZENTRALIRAK

In den sogenannten “umstrittenen Gebieten“, die sowohl von Bagdad als auch von der kurdischen Autonomieregion beansprucht werden, und wo es zu erhebliche Sicherheitslücken zwischen den zentralstaatlichen und kurdischen Einheiten kommt, verfügt der IS nach wie vor über operative Kapazitäten, um Angriffe, Bombenanschläge, Morde und Entführungen, durchzuführen (Kurdistan24 7.8.2019). Trotz der Zunahme der Sicherheitsvorfälle im gesamten Irak waren die Zahlen im Laufe des Monats August 2019 für den Zentral-Irak jedoch rückläufig (Joel Wing 9.9.2019).

Im Gouvernement Ninewa wurden im Juli 2019 sechs Vorfälle mit 24 Toten verzeichnet, wobei hier der Fund von 18 Leichen älteren Datums eingerechnet ist (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurden neun Vorfälle mit 24 Toten und drei Verwundeten registriert (Joel Wing 9.9.2019). Im September wurden 22 Vorfälle mit 35 Toten und 27 Verletzten registriert, wobei bei fast allen diesen Vorfällen IEDs involviert waren. Außerdem wurde ein Mukhtar ermordet und Mossul mit Mörsergranaten beschossen (Joel Wing 16.10.2019).

Das Gouvernement Diyala zählt regelmäßig zu den Regionen mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen und als die gewalttätigste Region des Irak (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 9.9.2019). Der IS ist stark in der Region vertreten und konnte seine operativen Fähigkeiten erhalten (Joel Wing 5.8.2019). Trotz wiederholter Militäroperationen in Diyala kann sich der IS noch immer in den ausgedehnten Gebieten, die sich vom westlichen Teil Diyalas bis zu den Hamreen Bergen im Norden des Gouvernements erstrecken, sowie in den rauen Gebieten nahe der Grenze zum Iran halten (Xinhua 22.8.2019). Es kommt in Diyala regelmäßig zu Konfrontationen des IS mit Sicherheitskräften und zu Übergriffen auf Städte (Joel Wing 5.8.2019). Einerseits vertreibt der IS Zivilisten aus ländlichen

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten