TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/17 L521 2187223-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.08.2020
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Entscheidungsdatum

17.08.2020

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
AVG §6
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch

L521 2187223-1/34E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter MMag. Mathias Kopf, LL.M. über die Beschwerde des XXXX , Staatsangehörigkeit Irak, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, 1090 Wien, Alser Straße 20, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.01.2018, Zl. 1083811406-151155395, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 25.05.2020 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 wird gemäß § 6 AVG 1991 mangels Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes zurückgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 21.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der Erstbefragung am der Antragstellung folgenden Tag legte der Beschwerdeführer dar, den Namen XXXX zu führen und Staatsangehöriger des Irak zu sein. Er sei am XXXX in Bagdad geboren und habe dort im Bezirk Al-Adhamiyah gelebt, Angehöriger der arabischen Volksgruppe, bekenne sich zum Islam der sunnitischen Glaubensrichtung und sei ledig. Er habe sechs Jahre die Grund- und drei Jahre eine Mittelschule besucht. Zuletzt sei er als Hilfsarbeiter beruflich tätig gewesen. Seine Eltern, drei Brüder und eine Schwester seien im Irak oder einem anderen Drittstaat aufhältig.

Im Hinblick auf seinen Reiseweg brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, den Irak am 23.12.2014 legal von Bagdad ausgehend im Luftweg nach Istanbul in die Türkei verlassen zu haben. Nach einem etwa achtmonatigen Aufenthalt in der Türkei sei er von Izmir ausgehend schlepperunterstützt auf dem Seeweg nach Griechenland gelangt und dort nach einer erkennungsdienstlichen Behandlung des Landes verwiesen worden. In der Folge sei er mit verschiedenen Transportmitteln und teilweise zu Fuß über Nordmazedonien, Serbien und Ungarn nach Österreich gereist.

Zu den Gründen seiner Ausreise befragt führte der Beschwerdeführer aus, als Sunnit bedroht zu sein, wobei er die Identität seiner Widersacher nicht kenne. An seinem Wohnort würden hauptsächlich Sunniten leben, aber könne man dort auch nicht gefahrlos ins Freie gehen. Wenn man das Viertel verlasse, werde man verfolgt und fühle sich unsicher. Er sei auch einmal in einem Fahrzeug beschossen, jedoch nicht getroffen worden. Anschließend habe er seine Heimat nur mehr verlassen wollen. Bei einer Rückkehr sei sein Leben in Gefahr, wobei er nicht wisse von wem bzw. von welchen Gruppen. Er habe von staatlicher Seite keine Sanktionen zu erwarten. Die schiitischen Milizen seien ein Problem.

2. Nach zweimaliger Urgenz am 01.02.2017 und 01.12.2017 bezüglich einer baldigen Durchführung einer Einvernahme und Entscheidung wurde der Beschwerdeführer am 08.01.2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Tirol, im Beisein eines geeigneten Dolmetschers in arabischer Sprache niederschriftlich vor dem zur Entscheidung berufenen Organwalter einvernommen.

Eingangs legte der Beschwerdeführer dar, der arabischen Sprache mächtig zu sein und der Einvernahme in gesundheitlicher Hinsicht folgen zu können. Er habe bislang im Verfahren wahrheitsgemäße Angaben getätigt. Es sei alles in Ordnung gewesen und habe er den Dolmetscher gut verstanden. Er habe auch eine Rückübersetzung erhalten. Bei der Erstbefragung habe es sich nur um eine kurze Befragung gehandelt, weshalb er nicht alle seine Probleme geschildert hätte.

Zur Person legte der Beschwerdeführer insbesondere dar, den Namen XXXX zu führen und Staatsangehöriger des Irak zu sein. Er sei am XXXX in Bagdad geboren und habe dort gemeinsam mit seinen Eltern und seinen drei Brüdern gewohnt. Seine Familie besitze ein Grundstück und ein Haus. Er sei Angehöriger der arabischen Volksgruppe, ledig und kinderlos. Er bekenne sich zum Islam der sunnitischen Glaubensrichtung und habe von 2000 bis 2012 die Schule besucht. Anschließend sei er von Juni 2012 bis zur Ausreise als Elektriker bei einem Onkel beruflich tätig gewesen. Zudem habe er in diesem Zeitraum an einem Projekt im Ministerium für Wissenschaft und Technologie mitgearbeitet.

Gegenwärtig würden sich seine Eltern und vier Geschwister in Bagdad aufhalten. Seine Eltern und drei Brüder würden weiterhin an der - gemeinsamen - Wohnadresse in Bagdad leben, wobei ein Bruder derzeit verschollen sei. Seine Schwester wohnt mit deren Familie ebenfalls in Bagdad. Er stehe mit seiner Familie gelegentlich über Viper und WhatsApp in Kontakt.

Hinsichtlich des Grundes für das Verlassen des Heimatstaates führte der Beschwerdeführer aus, den Irak wegen der Probleme in seiner Arbeit verlassen zu haben. Man habe auf sein Fahrzeug geschossen. Einer der anderen Projektmitarbeiter habe der Badr-Organisation angehört und von ihm bestimmte Akten verlangt, um diese auszutauschen. Dieser Aufforderung sei er nicht nachgekommen. Er habe gesagt, dass er dies nicht machen könne und um ein paar Tage Zeit gebeten. Zwei Tage später habe ihm diese Person mitgeteilt, dass er die Verantwortung tragen und ihn das Schicksal seines Vaters erwarte. Damit sei die Bombe gemeint gewesen, die am 30.03.2014 am Fahrzeug seines Vaters explodiert sei. Am 17.12.2014 um etwa 16.00 Uhr sei sein Fahrzeug an einem Kreisverkehr aus einem anderen Fahrzeug heraus mit einem Maschinengewehr beschossen und an der Heckscheibe und einer Tür im hinteren Bereich getroffen worden. Daraufhin habe er sich für fünf oder sechs Tage zu einem Onkel begeben und anschließend am 23.12.2014 das Land verlassen. Er sei zwar nicht religiös, aber seine Zugehörigkeit zur sunnitischen Glaubensrichtung habe ihm auch Probleme verursacht.

Weitere Angaben zum behaupteten Ausreisegrund machte der Beschwerdeführer nach entsprechenden Fragen durch den Leiter der Amtshandlung.

Zudem wurde dem Beschwerdeführer angeboten, ihm die aktuellen landeskundlichen Feststellungen zum Irak zur Abgabe einer Stellungnahme auszuhändigen. Der Beschwerdeführer verzichtete auf diese Möglichkeit.

Abschließend wurden dem Beschwerdeführer Fragen bezüglich seiner Integration in Österreich gestellt.

Im Rahmen der Einvernahme brachte der Beschwerdeführer einen irakischen Personalausweis in Kopie, einen irakischen Staatsbürgerschaftsnachweis in Kopie, eine irakische Wählerkarte in Kopie, eine irakische Lebensmittelkarte in Kopie, einen irakischen Personenstandsregisterauszug in Kopie, irakische Personalausweise der Eltern und dreier Brüder in Kopie, eine irakische Meldekarte des Vaters in Kopie, zwei irakische Schadensmeldungen bezüglich eines Fahrzeuges des Innenministeriums in Kopie, eine irakische Bestätigung des Ministeriums für Wissenschaft und Technologie hinsichtlich der Kostenübernahme für die Fahrzeugreparatur in Kopie, einen irakischen Unfallbericht des Ministeriums für Wissenschaft und Technologie hinsichtlich eines Terroranschlages in Kopie, einen irakischen Dienstzettel in Kopie, eine irakische Arbeitsbestätigung des Ministeriums für Wissenschaft und Technologie in Kopie, eine irakische Bestätigung des Ministeriums für Wissenschaft und Technologie über die Beendigung des Projektes und fünf Fotografien eines beschädigten Fahrzeuges zur Bescheinigung seines Fluchtgrundes sowie Unterlagen zur - sprachlichen - Integration und zu seinem Privatleben in Österreich vor.

3. Die im Verfahren vor der belangten Behörde zur Bescheinigung des Ausreisegrundes vorgelegten irakischen Dokumente wurden seitens der belangten Behörde amtswegig einer Übersetzung zugeführt.

4. Mit dem hier angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.01.2018, Zl. 15-1083811406-151155395, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wider den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak gemäß § 46 FPG 2005 zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2005 wurde ausgesprochen, dass die Frist für eine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen aus, das Vorbringen des Beschwerdeführers werde im Hinblick auf den Ausreisegrund als nicht glaubhaft erachtet. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise im Irak einer konkreten asylrelevanten Bedrohung ausgesetzt gewesen sei oder eine solche im Fall seiner Rückkehr zu befürchten habe.

Der Beschwerdeführer habe sich bei seinen Darlegungen, etwa zur Identität seines Widersachers, in Widersprüche verwickelt. Ferner habe der Beschwerdeführer nicht nachvollziehbar dargelegt, weshalb seine Familie, speziell sein Vater, trotz Bedrohung durch die Badr-Organisation dennoch im Irak verbleiben habe können. Zudem sei die ungehinderte legale Ausreise aus dem Irak nicht nachvollziehbar, zumal bei einem tatsächlichen Interesse an seiner Person durch eine bestimmte Person oder Gruppierung eine problemlose Ausreise wohl nicht möglich gewesen wäre. Ebenso wenig habe der Beschwerdeführer plausibel darlegen können, weshalb er diese Bedrohung durch ein Mitglied der Badr-Organisation weder seinem Vorgesetzten noch der Polizei gemeldet und weshalb er es unterlassen habe, in der Türkei einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen.

Eine Rückkehr in den Irak sei dem Beschwerdeführer möglich und zumutbar, zumal er dort aufgrund seiner mehrjährigen Berufserfahrung seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten könnte und zudem über familiäre Anknüpfungspunkte verfügen würde.

5. Mit Verfahrensanordnungen vom 24.01.2018 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben und der Beschwerdeführer ferner gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG darüber informiert, dass er verpflichtet sei, ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.

6. Gegen den dem Beschwerdeführer am 26.01.2018 eigenhändig zugestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die im Wege der dem Beschwerdeführer beigegebenen und von ihm bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

In dieser wird beantragt, den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass dem Antrag auf internationalen Schutz Folge gegeben und dem Beschwerdeführer der Status eines Asylberechtigten oder in eventu der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt werde oder in eventu ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 55 oder § 57 AsylG 2005 erteilt werde. Ferner wird beantragt, die gegen den Beschwerdeführer ausgesprochene Rückkehrentscheidung und den Abspruch über die Zulässigkeit der Abschiebung aufzuheben sowie eine mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht anzuberaumen.

Des Weiteren wird die Begründung des bekämpften Bescheides dargestellt und hinsichtlich der Beschwerdegründe auf das bisher im Verfahren Vorgebrachte und die vorgelegten Bescheinigungsmittel verwiesen.

Was die Beweiswürdigung betrifft, so wird diesbezüglich ausgeführt, dass der Dolmetscher in der Erstbefragung Kurde gewesen wäre und nicht perfekt Arabisch gesprochen habe. Die Angaben in der Einvernahme, dass die Verständigung einwandfrei gewesen wäre, würden nicht zutreffen. Nach der langen Reise sei der Beschwerdeführer übermüdet gewesen, hätte nicht alles genau erzählt, wäre auch nicht inhaltlich ausführlich zu den Fluchtgründen befragt worden und hätte man ihm gesagt, er solle nicht in Details erzählen und nur eigene Fluchtgründe nennen.

Zudem sei bezüglich des Religionsbekenntnisses des Beschwerdeführers anzumerken, dass der Beschwerdeführer zwar aufgrund seiner Herkunft und der Familie sunnitischer Moslem wäre, allerdings kein Interesse an Religion habe und bereits im Irak nicht religiös gewesen sei. In Zusammenhang seiner Erklärungen würde er sich als Atheist bezeichnen.

Die Lage im Wohnbezirk des Beschwerdeführers sei katastrophal. Menschen würden laufend kontrolliert und diskriminiert, wenn sie zu Kontrollpunkten kämen. Dies ausschließlich aufgrund der Zugehörigkeit zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam, zumal damit in der Regel Radikalismus verbunden würde.

Zur Einbeziehung und Beurteilung der Beweismittel sei auszuführen, dass diejenigen, die zum Beleg für das Fluchtvorbringen dienen würden, ohne konkrete Befassung als nicht beweiskräftig eingestuft, während jene, die die Berufstätigkeit darlegen und die Situation im Falle der Rückkehr begünstigen würden, als nachvollziehbar festgestellt worden seien. Zu dem Unfall des Vaters bzw. dem Bombenattentat habe er die Fotos, die Anzeige und eine Zeichnung vorgelegt. Das Attentat hätte ausschließlich wegen der Verweigerung der Unterstützung des Mitgliedes der Badr-Organisation stattgefunden. Die Reparaturkosten für das Fahrzeug seien vom Arbeitgeber übernommen worden.

Zur legalen Ausreise aus dem Irak sei festzuhalten, dass der Beschwerdeführer – wie mehrfach erklärt – keine direkten Probleme mit staatlichen Behörden und Einrichtungen gehabt habe. Allerdings sei eine Anzeige bei der Polizei gegen ein Mitglied der Badr-Organisation nicht so leicht möglich, weil die Strukturen von diesen durchsetzt wären. Er wäre aus Angst vor weiteren Verfolgungshandlungen nach Österreich gekommen. In der Türkei wäre ein Leben nicht möglich gewesen.

Insoweit im bekämpften Bescheid argumentiert werde, dass die gesamte Familie problemlos im Irak leben könne, sei zu entgegnen, dass ein Bruder nach wie vor als vermisst gelte. Dieser wäre Taxifahrer und hätte ihn die Familie nicht jeden Tag gesehen, weshalb sein Verschwinden erst sehr spät aufgefallen und der genaue Zeitpunkt bis heute nicht nachvollziehbar wäre. Der Bruder wäre erst nach der Ausreise des Beschwerdeführers verschwunden. Von Bekannten hätten die Eltern inzwischen ein Gerücht über die Inhaftierung des Bruders gehört, genaue Informationen über die Richtigkeit, den Ort etc. wären nicht erhältlich.

Der Beschwerdeführer habe ein in sich geschlossenes, den Begebenheiten entsprechendes und mit den Länderinformationen in Einklang zu bringendes Vorbringen erstattet. Er sei von Mitgliedern der Badr-Organisation wegen Verweigerung der Unterstützung und Mitarbeit aus (den Begebenheiten vor Ort anzunehmenden) politischen Gründen verfolgt worden. In diesem Zusammenhang wäre es zu mehreren Übergriffen gekommen, er wäre auf einer Autofahrt beschossen und das Fahrzeug seines Vaters mit einer Bombe sabotiert worden. Die ihm zur Verfügung stehenden Beweisfotos habe der Antragsteller in Vorlage gebracht, ebenso den Unfallbericht, die Arbeitsbestätigung und Dienstzettel. Mit den Angaben zu den Berufstätigkeiten, seiner Familie und den sonstigen Umständen wären konkrete Nachforschungen vor Ort zur Bestätigung der Angaben möglich gewesen. Die pauschale Zurückweisung der Beweismittel als nicht rechtskräftig unter Hinweis auf die Problematik irakischer Dokumente sei nicht ausreichend. Vielmehr hätten die Angaben des Beschwerdeführers anhand der vorgelegten Unterlagen vor Ort überprüft werden müssen, um Aussagen über die Richtigkeit treffen zu können.

Ferner werden im Beschwerdeschriftsatz zur Bekräftigung der Gefährdung aufgrund der Zugehörigkeit zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam – abgesehen von einem Verweis auf die von der belangten Behörde herangezogenen Länderfeststellungen zu den schiitischen Milizen - über mehrere Seiten hinweg Auszüge aus einer Anfragebeantwortung von ACCORD und einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation der belangten Behörde wiedergegeben, die sich auf die Aktivitäten schiitischer Milizen und die Lage der Sunniten im Herkunftsstaat beziehen, wobei die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation der belangten Behörde dem Rechtsmittelschriftsatz zur Gänze angeschlossen ist.

Staatlicher Schutz sei im Irak nicht zu erwarten.

Sollte das Fluchtvorbringen nicht als asylrelevant eingestuft werden, würden aufgrund der aktuellen Sicherheitslage zumindest die Voraussetzungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz vorliegen, da der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr von massiven Übergriffen gegen Leib und Leben betroffen wäre, wobei ihm keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehe.

Der Beschwerde ist eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation der belangten Behörde zu Irak bezüglich der von schiitischen Milizen dominierten Gebiete angeschlossen.

7. Die Beschwerdevorlage langte am 22.02.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die Rechtssache wurde in weiterer Folge der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zugewiesen.

8. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22.11.2019 wurde Primar Dr. XXXX , allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger, Fachgebiet Neurologie und Psychiatrie, zum Sachverständigen bestellt und mit der Erstellung eines medizinischen Gutachtens zum aktuellen Gesundheitszustand des Beschwerdeführers beauftragt.

9. Die dem Beschwerdeführer beigegebene und von ihm bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation übermittelte am 10.03.2020 ein Konvolut an Unterlagen zur Integration des Beschwerdeführers in Österreich.

10. Mit Note des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.05.2020 wurden der dem Beschwerdeführer beigegebenen und von ihm bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation einerseits aufgrund der dynamischen Lageentwicklung im Herkunftsstaat aktuelle länderkundliche Dokumente zur allgemeinen Lage im Irak und insbesondere zur Lage im Gouvernement Bagdad, insbesondere der Country of Origin Information Report von EASO vom März 2019 zum Irak betreffend gezielte Gewalt gegen Individuen, das Kapitel zur Lage in Bagdad des Country of Origin Information Report von EASO vom März 2019 zum Irak betreffend Sicherheitslage, das Kapitel zur Lage in Bagdad des Country of Origin Information Report von EASO vom Februar 2019 betreffend Iraq Body Count – civilian deaths 2012, 2017-2018, der Country of Origin Information Report von EASO vom Februar 2019 zum Irak betreffend „Zentrale sozioökonomische Indikatoren“, das ACCORD-Themendossier zur aktuellen politischen Lage im Irak/ Protestlage vom 19.02.2020 und das ACCORD-Themendossier zum Irak bezüglich schiitischer Milizen vom 27.04.2020, und andererseits das medizinische Gutachten vom 17.12.2019 zur Wahrung des Parteiengehöres übermittelt und die Möglichkeit eingeräumt, dazu bis zur Verhandlung am 25.05.2020 ab Zustellung dieses Schreibens schriftlich oder mündlich in der Verhandlung Stellung zu nehmen.

11. Mit Note des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14.05.2020 wurden der dem Beschwerdeführer beigegebenen und von ihm bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation weitere aktuelle Länderdokumentationsunterlagen zur allgemeinen Lage im Irak zur Vorbereitung der für den 25.05.2020 anberaumten mündlichen Verhandlung und allfälligen Abgabe einer Stellungnahme im Rahmen der Verhandlung übermittelt.

12. Mit Note des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.05.2020 wurden der dem Beschwerdeführer beigegebenen und von ihm bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation die COI Query von EASO vom 11.04.2018 betreffend Atheisten, der Bericht des Refugee Documentation Center vom 31.01.2018 zur Behandlung von Atheisten, die Anfragebeantwortung von ACCORD zum Irak vom 18.09.2017: Berichte über Verfolgungshandlungen gegen Atheisten, die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 13.12.2018 betreffend Probleme durch westliches Auftreten in Basra und die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 01.10.2019 über Verfolgungshandlungen gegenüber Atheisten im Irak in den Jahren 2018 und 2019 zur Kenntnisnahme übermittelt und die Möglichkeit einer Stellungnahme ab Zustellung dieses Schreibens schriftlich oder in der Verhandlung mündlich freigestellt.

13. Die dem Beschwerdeführer beigegebene und von ihm bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation übermittelte am 19.05.2020 zwei Unterlagen zur Integration des Beschwerdeführers in Österreich. Konkret handelte es sich hiebei um eine Vormerkung für eine Integrationsprüfung – Niveau B1 und eine Bestätigung über die Verrichtung gemeinnütziger Arbeit.

14. Am 22.05.2020 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers zu den ihm zum Parteiengehör übermittelten Länderdokumentationsunterlagen beim Bundesverwaltungsgericht ein. Im Wesentlichen bekräftigt der Beschwerdeführer unter auszugsweiser Zitierung der ihm zur Kenntnis gebrachten Quellen bezüglich der Sicherheitslage im Irak - speziell in Bagdad, der Badr-Organisation, der Rechtsstellung und der Aktivitäten der Popular Mobilization Forces, der Situation von Sunniten und des Atheismus die Richtigkeit des eigenen Verfahrensstandpunktes.

15. Am 25.05.2020 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht die mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers und eines Vertreters der ihm beigegebenen und von ihm bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation sowie eines Dolmetschers für die arabische Sprache durchgeführt. Im Verlauf der Verhandlung wurde die aktuelle Lageentwicklung im Irak anhand der dem Beschwerdeführer im Vorfeld übermittelten Länderdokumentationsunterlagen erörtert und dem Beschwerdeführer neuerlich die Gelegenheit eingeräumt, seine Ausreisegründe und seine Rückkehrbefürchtungen umfassend darzulegen. Zudem folgte der erkennende Richter des Bundesverwaltungsgerichtes dem Vertreter des Beschwerdeführers einen veröffentlichten Bericht des Auslandsgeheimdienstes der Vereinigten Staaten über den Al Muthanna Chemical Weapons Complex, einen Bericht der Schweizer Armee vom Juli 1999 über das irakische Chemiewaffenprogramm und einen Bericht des CRS vom 29.07.2009 über Waffenprogramme des Regimes von Saddam Hussein aus. Der Beschwerdeführer brachte im Gefolge der Verhandlung einen Arztbericht einer österreichischen Krankenanstalt vom 07.03.2016 in Vorlage.

Ein Vertreter der belangten Behörde blieb der mündlichen Verhandlung entschuldigt fern.

16. Die dem Beschwerdeführer beigegebene und von ihm bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation übermittelte am 05.06.2020 eine Anmeldebestätigung für eine Integrationsprüfung Niveau B1 und eine Einstellungszusage vom 27.05.2020. Des Weiteren wurden dem Bundesverwaltungsgericht ein Link zu einem BBC-Zeitungsartikel und ein Link zu einem Bericht über die Tötung von 100 Angehörigen der irakischen Armee in der Militärkaserne Nazem Al-Therthar auf Youtube zur Kenntnis gebracht.

17. Der auf Youtube abrufbare Bericht wurde seitens des Bundesverwaltungsgerichtes am 05.06.2020 amtswegig einer Übersetzung zugeführt.

18. Mit Eingabe vom 22.06.2020 legte der Beschwerdeführer im Wege der ihm beigegebenen und von ihm bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation eine weitere Einstellungszusage vom 03.06.2020 vor, mit weiterer Eingabe vom 13.07.2020 gab der Beschwerdeführer bekannt, dass er die Integrationsprüfung Niveau B1 in den Modulen Hören/Lesen und Schreiben nicht bestanden habe und sie deshalb wiederholen müsse. Er sei zum nächsten Termin im September 2020 erneut angemeldet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , er ist Staatsangehöriger des Irak und Angehöriger der arabischen Volksgruppe. Der Beschwerdeführer wurde am XXXX in Bagdad geboren und lebte dort im Bezirk Al-Adhamiyah gemeinsam mit seinen Eltern und einem Teil seiner Geschwister in einem im Eigentum seiner Familie stehenden Haus. Er ist ledig und kinderlos. Der Beschwerdeführer beherrscht die Sprachen Arabisch, Englisch, Deutsch (dazu näher unten 1.3.1.) und etwas Türkisch.

Der Beschwerdeführer wurde als Moslem (Sunnit) geboren. Er stammt aus einer sunnitischen Familie und bezeichnet sich im Asylverfahren weiterhin formal als Moslem (der sunnitischen Glaubensrichtung). Gleichzeitig sieht er sich mittlerweile selbst als Atheist. Den Lehren des Islam – insbesondere religiösen Verhaltensvorschriften bzw. Verboten – steht der Beschwerdeführer kritisch gegenüber. Der Beschwerdeführer besuchte bereits im Irak die Moschee nicht und hielt die religiösen Verhaltensvorschriften bzw. Verbote des Islam nicht ein, ohne dass er deswegen Schwierigkeiten zu gewärtigen hatte. In religiösen Angelegenheiten vermied der Beschwerdeführer im Irak grundsätzlich religiöse Diskussionen oder Dialoge mit Dritten, etwa seinem Vater. In Österreich betet oder fastet der Beschwerdeführer ebenfalls nicht.

Der Beschwerdeführer ist – abgesehen von einer Beta-Thalassämia minor mit mikrozytär, hypochromer Anämie – gesund. Ein Ausgleich des Eisenmangels erfolgt medikamentös.

Physisch weist der Beschwerdeführer ansonsten keine maßgeblichen körperlichen Einschränkungen oder Erkrankungen auf.

Eine krankheitswertige neurologisch-psychiatrische Erkrankung liegt beim Beschwerdeführer aktuell ebenfalls nicht vor. Es ist daher diesbezüglich aktuell weder von einer dauerhaften Behandlungsnotwendigkeit auszugehen, noch ist eine Behandlungsbedürftigkeit vorliegend. Im Fall einer Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak könnte kurzfristig eine Verschlechterung des derzeit remittierten Krankheitsbildes einer Anpassungsstörung auftreten. Aus neurologischer Sicht besteht aber im Falle einer Überstellung nicht die reale Gefahr, dass sich das Krankheitsbild in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern würde.

Aktuelle ärztliche bzw. medizinische Befunde, welche eine Behandlung in Österreich erforderlich erscheinen lassen, hat der Beschwerdeführer nicht in Vorlage gebracht, weshalb ansonsten von keiner – schon gar keiner schwerwiegenden – Erkrankung oder Behandlungsbedürftigkeit auszugehen ist.

Der Beschwerdeführer besuchte im Irak die Schule im Ausmaß von zwölf Jahren ohne Maturaabschluss. Anschließend übte er bis zu seiner Ausreise einerseits im Rahmen des Projektes „ XXXX “ des Ministeriums für Wissenschaft und Technologie in der Finanzabteilung dieses Projektes eine administrative Tätigkeit aus und arbeitete andererseits als Elektriker.

Seine Eltern und zwei Brüder leben weiterhin – an seiner alten Adresse – in Bagdad. Sein Vater ist Pensionist und seine Mutter führt den Haushalt. Der Vater des Beschwerdeführers arbeitete vor der Pensionierung ebenfalls im Rahmen des Projektes „ XXXX “ als Fahrer bzw. in der Administration. Ein Bruder studiert und ein Bruder des Beschwerdeführers besucht die Schule. Des Weiteren befindet sich auch die Schwester und der Schwager des Beschwerdeführers in Bagdad. Letzterer geht einer Beschäftigung im irakischen Außenministerium nach. Der Beschwerdeführer unterhält zu seiner Familie, etwa über Viper und WhatsApp, regelmäßigen Kontakt. Der derzeitige Aufenthaltsort seines dritten - verschollenen - Bruders kann nicht festgestellt werden.

Am 23.12.2014 verließ der Beschwerdeführer den Irak legal vom Internationalen Flughafen Bagdad ausgehend im Luftweg in die Türkei und gelangte in der Folge nach einem etwa achtmonatigen Aufenthalt auf dem Seeweg nach Griechenland und weiter nach Österreich, wo er am 21.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Der Beschwerdeführer verfügt über irakische Ausweisdokumente (Personalausweis und Staatsbürgerschaftsnachweis) in Kopie.

1.2. Zu den Ausreisegründen des Beschwerdeführers und zur Rückkehrgefährdung:

1.2.1. Der Beschwerdeführer gehörte in seinem Herkunftsstaat keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an und hatte vor seiner Ausreise – abgesehen von einem im folgenden Absatz angeführten Vorfall im Jahr 2010 – keine Schwierigkeiten aufgrund seiner arabischen Volksgruppenzugehörigkeit oder aufgrund seiner Abstammung aus einer sunnitischen Familie bzw. seines sunnitischen Religionsbekenntnisses zu gewärtigen. Der Beschwerdeführer hatte außerdem vor seiner Ausreise keine Schwierigkeiten mit Behörden, Gerichten oder Sicherheitskräften seines Herkunftsstaates zu gewärtigen.

Der Beschwerdeführer wurde etwa im Jahr 2010 bei einem Kontrollposten von Soldaten wegen seiner Herkunft bzw. seines Religionsbekenntnisses einmal geschlagen, bespuckt und beschimpft. Weitere Konsequenzen gab es nicht.

Bei einem Terroranschlag im März 2014 wurde das Fahrzeug des Vaters des Beschwerdeführers schwer beschädigt und erlitt der Vaters des Beschwerdeführers hiebei Verletzungen. Die Identität oder das Motiv der Täter waren nicht feststellbar. Ebenso wenig war feststellbar, weshalb der älteste Bruder des Beschwerdeführers verschollen ist.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Rahmen seiner administrativen Mitarbeit am Projekt „ XXXX “ von einem Mitglied der Badr-Brigaden bedroht und am 17.12.2014 während einer Autofahrt von seinen Widersachern beschossen bzw. angegriffen wurde.

Es kann abseits davon nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat dort einer anderweitigen individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte, etwa auch aufgrund seiner religiösen bzw. islamkritischen Anschauungen, ausgesetzt war oder im Falle einer Rückkehr in seine Herkunftsregion Bagdad einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.

Der Beschwerdeführer ist im Fall einer Rückkehr in seine Herkunftsregion auch nicht einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretenden individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt aufgrund seiner Abstammung aus einer sunnitischen Familie ausgesetzt.

Er hat auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit physischer Gewalt aufgrund einer allfälligen Teilnahme an regierungskritischen Demonstrationen zu rechnen.

1.2.2. Dem Beschwerdeführer droht im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat nicht die Todesstrafe. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder terroristische Anschläge im Irak.

Die irakische Hauptstadt Bagdad ist im Luftweg mit Linienflügen (Schwechat - Istanbul oder Doha oder Amman - Bagdad) direkt und gefahrlos erreichbar.

1.2.3. Der Beschwerdeführer ist ein – abgesehen von einer Beta-Thalassämia minor mit mikrozytär, hypochromer Anämie - gesunder, arbeits- und anpassungsfähiger Mensch mit im Herkunftsstaat erworbener Schulbildung und einer Berufserfahrung als Elektriker und in der staatlichen Administration. Der Beschwerdeführer verfügt über eine – wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich – gesicherte Existenzgrundlage in seinem Herkunftsstaat sowie über familiäre Anknüpfungspunkte in seiner Herkunftsregion in Gestalt seiner dort lebenden Eltern und Geschwister. Dem Beschwerdeführer ist darüber hinaus die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung seines Auskommens möglich und zumutbar.

1.3. Zur Lage des Beschwerdeführers im Bundesgebiet:

1.3.1. Der Beschwerdeführer hält sich seit etwa Mitte August 2015 im Bundesgebiet auf. Er reiste rechtswidrig in das Bundesgebiet ein, ist Asylwerber und verfügt über keinen anderen Aufenthaltstitel.

Der Beschwerdeführer bezieht seit 23.08.2015 Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber und war bislang in verschiedenen Unterkünften für Asylwerber in Tirol untergebracht. Gelegentlich erhält der Beschwerdeführer finanzielle Unterstützung von seiner im Irak lebenden Familie.

Der Beschwerdeführer war im Bundesgebiet bislang nicht legal erwerbstätig. Er hat auch gegenwärtig keine bestimmte Erwerbstätigkeit am regulären Arbeitsmarkt in verbindlicher Weise durch Abschluss eines (bedingten) Dienstvertrages in Aussicht. Ihm wurde jedoch von XXXX und von XXXX jeweils eine Beschäftigung in deren Firmen in Aussicht gestellt, wobei das Ausmaß der Beschäftigung und das Entgelt aus den diesbezüglichen Absichtserklärungen nicht hervorgehen.

Der Beschwerdeführer geht seit mehreren Jahren einer Remunerantentätigkeit in seiner Wohnortgemeinde im Recyclinghof und bei sonstigen Arbeiten für die Gemeinde nach und bringt dafür EUR 3,00 pro Stunde ins Verdienen. Des Weiteren verrichtet(e) er zusätzlich unentgeltlich unterstützende Tätigkeiten im Rahmen der verschiedenen Unterkünfte für Asylwerber und seiner derzeitigen Wohnortgemeinde. Beispielsweise ist der Beschwerdeführer auch als Dolmetscher für andere Asylwerber in einer österreichischen Krankenanstalt bzw. für Kollegen im Rahmen seiner Remunerantentätigkeit tätig (gewesen) und verrichtete verschiedene Hilfstätigkeiten bei in der Gemeinde stattfindenden Veranstaltungen.

Er absolvierte ferner am 01.02.2019 einen Vertiefungskurs - Arbeit & Beruf, am 20.03.2019 einen Vertiefungskurs - Umwelt & Nachbarschaft, am 24.09.2019 den handwerklich motorischen Eignungstest sowie den Kompetenzcheck durch beruflich-soziale Diagnostik im Rahmen des Tiroler Integrationspasses und am 10.12.2019 einen Werte- und Orientierungskurs. Am 26.08.2016 nahm er an einer Kompetenzanalyse der Tiroler Soziale Dienste GmbH, am 16.01.2017 am Projekt „Protect“ des Österreichischen Roten Kreuzes, am 22.03.2017 am Projekt „Miteinander in Innsbruck - Präventive Werte-, Verhaltens- und Rechtsvermittlung für AsylwerberInnen“, von 09.09.2017 bis 15.12.2017 an Boardingkursen am Berufsförderungsinstitut Tirol im Ausmaß von 180 Stunden und von 03.10.2017 bis 24.11.2017 am Bildungsanbot „Lernen lernen mit dem Computer“ im Ausmaß von 60 Unterrichtseinheiten teil. Zudem besuchte der Beschwerdeführer im Oktober 2016 einen 16-stündigen Erste-Hilfe-Kurs. Er bestand zwar die Pflichtschulabschlussprüfungen in Englisch und Mathematik mit „Gut“, setzte aber die Vorbereitungen auf den Pflichtschulabschluss nach eine negativ beurteilten Deutschprüfung nicht fort.

Der Beschwerdeführer besuchte mehrere Qualifizierungsmaßnahmen zum Erwerb der deutschen Sprache auf unterschiedlichem Niveau. Entsprechende Prüfungen über Kenntnisse der deutschen Sprache auf dem Niveau A1 und A2 legte er auch erfolgreich ab. Am 17.06.2020 trat er zur Integrationsprüfung auf den Niveau B1 an, die er jedoch nicht bestand. Derzeit ist der Beschwerdeführer zur Integrationsprüfung auf den Niveau B1 am 04.09.2020 erneut angemeldet. Der Beschwerdeführer verfügt über gute Sprachkenntnisse, die eine Verständigung im Alltag in deutscher Sprache zulassen und verbessert diese weiter.

Der Beschwerdeführer ist alleinstehend und hat in Österreich keine Verwandten. Er pflegt normale soziale Kontakte zu seinem Freundeskreis und ist für keine Person im Bundesgebiet sorgepflichtig. Eine Kursleiterin eines „Boardingkurses“ zwecks Vorbereitung für den Einstieg in den Pflichtschulabschluss attestierte dem Beschwerdeführer Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. Des Weiteren bescheinigte sie ihm zusätzliche Übungseinheiten genutzt und seine Lernerfolge in Deutsch, Englisch und Mathematik gesteigert zu haben. Weitere Unterstützer attestieren ihm Engagement, Kommunikationsfreude, Herzlichkeit, Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft, Sozialkompetenz, den Willen zur Integration und zum kulturellen Austausch sowie Bemühen beim Erlernen der deutschen Sprache. Der Beschwerdeführer frequentiert ein Fitnessstudio. Ein vereinsmäßiges Engagement des Beschwerdeführers ist nicht feststellbar.

1.3.2. Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet war nie nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Z. 3 FPG geduldet. Sein Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Der Beschwerdeführer wurde nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.

1.4. Zur Lage im Herkunftsstaat:

1.4.1. Zur gegenwärtigen Lage im Gouvernement Bagdad werden folgende Feststellungen getroffen:

Das Gouvernement Bagdad ist das mit ca. 4.555 km² flächenmäßig kleinste Gouvernement des Landes und beherbergt die gleichnamige irakische Hauptstadt Bagdad. In Bagdad lebten 2018 offiziell schätzungsweise 8,1 Millionen Menschen. Obwohl Bagdad das kleinste Gouvernement im Irak ist, hat es die höchste Einwohnerzahl von allen Gouvernements. 87% der Bevölkerung des Gouvernements leben in der Stadt Bagdad selbst. Die Hauptstadt ist das wichtigste Wirtschaftszentrum des Landes und beherbergt die stark geschützte grüne Zone.

Die Stadt Bagdad ist in neun Verwaltungsbezirke gegliedert: Adhamiyah, Karkh, Karada, Khadimiyah, Mansour, Sadr City, Al Rashid, Rasafa und 9 Nissan (‘new Baghdad’). Die restliche Fläche des Gouvernements beherbergt die Verwaltungsbezirke Al Madain, Taji, Tarmiyah, Mahmudiyah und Abu Ghraib, die den sogenannten „Bagdad Belt“ bilden und die Vororte beherbergen.

Gouvernement und Stadt Bagdad weisen eine gemischte Bevölkerung aus Schiiten und Sunniten mit einer geringeren Anzahl christlicher Gemeinschaften auf. Während die meisten Stadtteile in Bagdad in der Vergangenheit von einer Mischung aus Sunniten und Schiiten bewohnt waren, führte die gewaltsame Säuberung im Zuge der konfessionellen Konflikte insbesondere in den Jahren 2006 und 2007 dazu, dass die Stadt viel stärker religiös geteilt und von den Schiiten dominiert zu sein scheint (siehe dazu im Detail unten 1.10 „Lage von sunnitischen Arabern in Bagdad“).

Die Einheiten der irakischen Armee in Bagdad unterstehen Führung des Baghdad Operations Command (BOC), das in zwei Gebiete unterteilt ist, das Karkh Area Command und das Rusafa Area Command. Die Special Forces Division (SFD) des Premierministers ist für die Sicherheit in der grünen Zone und den Schutz des Premierministers verantwortlich und kann vom Verteidigungsministerium, dem BOC, dem Joint Operations Command (JOC) sowie dem Premierminister selbst eingesetzt werden. Die SDF wird auch für Sicherungsaufgaben in Bagdad herangezogen, insbesondere während der schiitischen Pilgerreisen.

Dem Karkh Area Command untersteht die 6. irakische Armeedivision mit verschiedenen Brigaden, die in und außerhalb der Stadt stationiert sind. Die dem Rusafa Area Command unterstehende 9. Irakische Armeedivision ist derzeit nicht in Bagdad stationiert. Die Bundespolizei des irakischen Innenministeriums ist in Bagdad durch drei Bundespolizeidivisionen vertreten. Die 1. Federal Police Division sichert die südwestliche, westliche und südöstliche Kanalzone von Bagdad. Die 2. Federal Police Division, die einzige mechanisierte Division der Bundespolizei in Bagdad, wird hauptsächlich zur Terrorismusbekämpfung in Bagdad und den Bagdad-Belts, zur Sicherung von Pilgerwegen und zu Aufgaben in Zusammenhang mit der Strafverfolgung herangezogen. Die 4. Federal Police Division deckte das südliche Bagdad und Gebiete südlich der Hauptstadt ab und betreibt das Gefängnis in Karkh. Ergänzend steht westlich von Bagdad die 3. Brigade der Emergency Response Division (ERD) zur Verfügung. Die Stadt Bagdad und die Vororte werden grundsätzlich von den irakischen Behörden kontrolliert. In der Praxis teilen sich die Behörden jedoch die Verteidigungs- und Strafverfolgungsaufgaben mit den schiitisch dominierten Milizen der Volksmobilisierungseinheiten (al-hashd al-sha‘bi, engl.: popular mobilization units, PMU oder popular mobilization forces bzw. popular mobilization front, PMF), was zu einer „unvollständigen“ oder überlappenden Kontrolle mit diesen Milizen führt. Für die Jahre 2014 und 2015 liegen Berichte vor, wonach Einheiten der PMF an Misshandlungen und Morden an Zivilisten und Sunniten im Zusammenhang mit Operationen gegen den Islamischen Staat in den Bagdad-Belts beteiligt waren.

Seit dem Eintritt der militärischen Niederlage des Islamischen Staates im Dezember 2017 gibt es in Bagdad und anderen Landesteilen weniger Angriffe des Islamischen Staates mit großer Breitenwirkung. Der Islamische Staat verfügt weiterhin über aktive Zellen im nördlichen und westlichen Bagdad-Belt, diese befinden sich jedoch erheblichen Verlusten im Jahr 2017 in einem inaktiven Zustand. Seit dem Jahr 2018 sind Bagdad und die Bagdad-Belts kein prioritäres Operationsgebiet des Islamischen Staates mehr und ist der Islamische Staat nicht mehr für den überwiegenden Teil der Gewalttätigkeiten in der irakischen Hauptstadt verantwortlich. Die Möglichkeit, Anschläge auch im Zentrum der irakischen Hauptstadt zu verüben, dürfte nach wie vor gegeben sein, allerdings befindet sich die verbliebenen Anhänger des Islamischen Staates in einer Phase der Neuaufstellung.

Wenn der Islamische Staat die Verantwortung für Angriffe übernimmt, werden die Opfer entweder als „Abtrünnige“ oder „Rafida“ (eine abfällige Bezeichnung für schiitische Muslime) oder als bewaffnete Akteure bezeichnet, obwohl die Opfer möglicherweise Zivilisten sind. Der Islamische Staat übertreibt das häufig die Verluste, die seine Anschläge nach sich ziehen.

Die nachstehende Grafik zeigt, dass die Anzahl der zivilen Opfer von Gewaltakten in Bagdad in den Jahren 2017 und 2018 gegenüber den Vorjahren signifikant gesunken ist und wieder das Niveau vor dem Erstarkten des Islamischen Staates erreicht hat (Anmerkung: Die Datenbank Iraq Body Count kommt zu abweichenden Werten, siehe dazu die weitere Grafik).

Die folgende Grafik veranschaulicht die Entwicklung der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Gouvernement Bagdad und Anzahl der Opfer nach der Datenbank Iraq Body Count, wobei die Darstellung jedwede Art von Gewaltanwendung (insbesondere Bombenanschläge, Selbstmordattentate, Attacken mit Schusswaffen und außergerichtliche Tötungen) umfasst.

Die Verwaltungsbezirke mit der höchsten Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen, die zu zivilen Todesfällen führten, waren im Jahr 2018 Adhamiya mit 78 sicherheitsrelevanten Vorfällen, die zu 94 zivilen Todesfällen führten, gefolgt von Resafa (einschließlich Thawra 1 & 2) mit 77 sicherheitsrelevanten Vorfällen, die zu 161 zivilen Todesfällen führten, gefolgt von und Mada'In mit 63 sicherheitsrelevanten Vorfällen, bei denen 69 Zivilisten ums Leben kamen. Die höchste Rate an Todesfällen pro 100.000 Einwohner) wurden im Vorort Tarmia (35,80) verzeichnet, gefolgt von Mada'in (15,91) und Adhamiya (8,25). Die meisten von der Iraq Body Count im Jahr 2018 im Gouvernement Bagdad erfassten Vorfälle betrafen Schießereien (46,4%), gefolgt von Morden („executions“) (30,6%) und die Verwendung improvisierter Sprengsätze (20,7%).

Dem Experten Michael Knights zufolge ereigneten sich in Bagdad 2018 die wenigsten Terroranschläge von –Jihadisten seit dem Jahr 2003. Anschläge des Islamischen Staates sind in der Stadt selbst „mehr oder weniger verschwunden“, in den Bagdad-Belts sind die Anschläge des islamischen Staates zurückgegangen. Derzeit verhält sich der Islamische Staate in Bagdad und den Bagdad-Belts unauffällig und hat 2018 nicht viele Operationen durchgeführt. Wenn Angriffe verübt werden, handelt es sich meistens um Anschläge mit improvisierten Sprengsätzen. Der Islamische Staat ist wahrscheinlich nicht für den Großteil der Gewalt in Bagdad verantwortlich. Das Institute for the Study of War geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass die derzeit registrierten Gewaltakte in Bagdad im Zusammenhang mit kriminellen und politischen Auseinandersetzungen (unter letztes fallen politische Einschüchterung, gezielte Attentate usw.) und nicht mit dem Islamischen Staat stehen. Auch der Experte Michael Knights geht davon aus, dass meisten Gewalttaten in Bagdad nicht dem Islamischen Staat zuzuschreiben sind. Quellen besagen, dass der Islamische Staat seine Aktivitäten derzeit nur im Bagdad-Belt und in den Randgebieten der angrenzenden Gouvernements entfaltet, anstatt in der Stadt selbst. Der Experte Joel Wing gab an, dass die gewalttätigsten Vorfälle mit improvisierten Sprengsätzen und Schießereien, die er aufzeichnete, Medienberichten zufolge im äußersten Norden und Süden von Bagdad und in geringerem Maße im Westen vorkommen. Das Institute for the Study of War stellte fest, dass die intensiveren Angriffe mit improvisierten Sprengsätzen im nördlichen und nordwestlichen Teil der Stadt Bagdad (Kadhimiyah, Adahamyah) und im Vorort Tarmia (nördlich von Bagdad) verübt werden. Nur einige Vorfälle ereigneten sich in Bagdad westlich des Tigris - Karadah und Neu-Bagdad / al-Nissan und östlich des Tigris (Rusafa, Karkh, Rasheed und Mansour) sowie in Doura, jedoch in geringerer Intensität.

Das Institute for the Study of War kommt in seiner Analyse zum Ergebnis, dass „überwiegende Mehrheit“ der Gewaltakte in Bagdad im Jahr 2018 „politische Gewalt“ darstellte, die im Allgemeinen politische Einschüchterungen, bewaffnete Scharmützel und gezielte Morde unter Schiiten vor dem Hintergrund des anhaltenden politischen Wettbewerbs und der Regierungsbildung nach den Wahlen im Mai 2018 umfasste. In ähnlicher Weise erklärt der Experte Michael Knights, dass der Haupttrend bei der Gewalt in Bagdad darin besteht, dass es sich fast ausschließlich um persönliche, gezielte oder kriminelle Gewalt handelt, die in erster Linie den Einsatz von Kleinwaffen, Erpressung, Einschüchterung, improvisierte Sprengsätze oder Granaten, Schießereien, Raubüberfälle und andere Erscheinungsformen organisierter Kriminalität umfasst. Diese Aktivitäten dienen dem Experten zufolge in erster Linie der Einschüchterung und Gewalt gegen Zivilisten, um Geld zu verdienen, Zivilisten zu vertreiben, die als Außenseiter angesehen werden, oder um politische Gegner oder Menschen mit einer anderen ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit zu vertreiben oder ist gegen Personen gerichtet, die aufgrund ihres Lebensstils oder ihrer vorherigen Beteiligung an Verbrechen oder bewaffneten Konflikten exponiert sind. Er erwähnte auch, dass die politischen Spaltungen unter den Schiiten derzeit einen Großteil der Gewalt in den schiitischen Gebieten von Bagdad und Basrah ausmachen.

Die Expertin Geraldine Chatelard hebt hervor, dass Milizen in Bagdad häufig von Sunniten und Minderheiten der Gewalt beschuldigt werden, Morddrohungen, Entführungen, gezielte Attentate oder die Übernahme von Gebäuden von rechtmäßigen Eigentümern verübt zu haben, dies unter Hinweis darauf, dass sogar Schiiten Opfer von Erpressung und Tötung geworden sind. Der Expterte Michael Knights weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Sunniten und Christen in erster Linie befürchten, von schiitischen Milizen in Bagdad erpresst oder entführt zu werden, jedoch Quellen davon berichteten, dass die Zuweisung der Verantwortung für bestimmte Angriffe zu bestimmten Täter in Bagdad schwierig ist und insbesondere Sprengstoff sowohl zu politischen als auch zu kriminellen Zwecken eingesetzt wird, um Ziele anzugreifen und einzuschüchtern. Den PMF-Milizen werden dabei „enge Verbindungen zu kriminellen Banden“ zugeschrieben, die Unterscheidung zwischen beiden ist nicht immer klar.

Der Experte Michael Knights vertritt zur Sicherheitslage allgemein die Ansicht, dass in der Stadt Bagdad die Gebiete sicherer sind und weniger Raum für offene Gewalt wie z.B. improvisierte Sprengsätze oder Raubüberfälle bieten, in denen sich die irakischen Streitkräfte auf die Bewachung wichtiger Standorte konzentrieren – etwa die Verwaltungsbezirke Karkh, Doura und Mansour. Dort wo die irakischen Streitkräfte weniger dominant ist und bewaffnete Akteure wie kriminelle Banden und Milizen Revierkämpfe führen und um Einfluss konkrurrieren, ist die Sicherheitslage entsprechend angespannter, wie in Kadhimiyah, Jihad, Bayaa und Karadah. Er vertrat die Ansicht, dass die "schlimmsten Sicherheitsbereiche" in der Stadt Adhamiyah, New Bagdad und Sadr City seien.

Milizen sind auch in bewaffnete Zusammenstöße zwischen ihnen selbst und den regulären Sicherheitskräften verwickelt, die laut Michael Knights im Jahr 2018 im Zentrum der Hauptstadt und in östlich gelegenen Gebieten mehrmals stattfanden. Ein Vorfall zog mediale Aufmerksamkeit nach sich: Am 20. Juni 2018 stoppte die irakische Polizei ein Auto in der Innenstadt von Bagdad, das Angehörigen der von Iran unterstützten Miliz Kataib Hezbollah („Hisbollah-Brigaden“) gehörte. Ein Hisbollah-Konvoi mit fünf Fahrzeugen traf ein und begann auf die Polizei zu schießen, was zu einem Feuergefecht führte, bei dem zwei Offiziere und ein Milizionär verletzt wurden. Die Polizei umzingelte daraufhin das Hauptquartier der Kataib Hezbollah, bis der Schütze der Polizei übergeben wurde. Der Vorfall spiegelt den möglichen Machtkampf zwischen irakischen Sicherheitskräften (Armee, Bundespolizei, örtliche Polizei) und PMF-Milizen wider.

EASO hat die folgenden sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2018 exemplarisch identifiziert:

Anschläge mit improvisierten Sprengsätzen und Bomben

Bagdad wurde in der Vergangenheit vom Islamischen Staat wegen der Bevölkerungskonzentration bevorzugt angegriffen, da die großen Menschenansammlungen die Möglichkeit geboten haben, mit einem Bombenanschlag eine große Anzahl von Opfern zu treffen. 2018 sind solche Anschläge jedoch zurückgegangen. Noch im Jahr 2017 verfolgte der Experte Michael Knights eine hohe Anzahl von Angriffen mit Hilfe von improvisierten Sprengsätzen auf Märkte und Geschäfte in Bagdad. Die Anzahl der Angriffe dieser Art ging jedoch im weiteren Verlauf des Jahres 2018 zurück. Das Institute for the Study of War stellte fest, dass ein in Bagdad im Jahr 2018 festgestellter charakteristischer Angriff des Islamischen Staates darin bestand, Sprengsätze gegen kleine Personenbusse einzusetzen, die jeweils etwa zehn Personen befördern und die in ganz Bagdad zum Straßenbild gehören. Diese Busse wurden im Islamischen Staat im Jahr 2018 mehrmals mit improvisierten Sprengsätzen angegriffen, was zwar nur minimale Verluste, aber Einschüchterungen der Zivilbevölkerung zur Folge hatte.

Noch im Januar 2018 sprengten sich zwei Selbstmordattentäter auf dem überfüllten Tayran-Markt in Bagdad und töteten dabei mindestens 38 Menschen und verletzten bis zu 90 Menschen. Der Angriff schockierte die Bevölkerung von Bagdad, da er nach einem signifikanten Rückgang solcher Angriffe in Bagdad. Er wurde vom Guardian als der schwerste Angriff auf Bagdad seit der Erklärung des Sieges über den Islamischen Staat beschrieben. Beispiele für andere explosive Angriffe im Jahr 2018 sind die folgenden:

?        In Rashidiya explodierte im Januar 2018 eine Bombe, ein Milizionär der PFM wurde getötet und zwei weitere wurden verletzt wurden.

?        Am 23. Januar 2018 wurde ein Soldat getötet und zwei weitere verletzt, als eine irakische Militärpatrouille in Tarmiya nördlich von Bagdad von einer Straßenbombe getroffen wurde.

?        Am 16. Mai 2018 wurden 5 Menschen getötet und 10 verletzt, als ein Selbstmordattentäter ein schiitisches Begräbnis in Tarmiya angriff.

?        Am 23. Mai 2018 verübte der Islamische Staat einen Selbstmordanschlag in der Shula-Region, bei dem Angaben des Islamischen Staates zufolge 33 Menschen getötet und verletzt wurden. Die irakischen Medien berichteten demgegeneüber, dass vier Menschen getötet und 15 verletzt wurden.

?        Der Islamische Staat meldete im August 2018 5 Angriffe mit improvisierten Sprengsätzen auf Kleinbusse in Bagdad in den Distrikten Amil, Shula, Turath und Baladiyat. 669 Zwei dieser Angriffe töteten und verletzten 12 schiitische Muslime.

?        Im Juni 2018 wurden 17 Menschen bei einer Explosion eines Waffenlagers der Miliz von Muqtada al Sadr getötet und 80 verletzt. Berichten zufolge wurden die Waffen in einer Moschee aufbewahrt, die von Sadr-Anhängern benutzt wurde.

?        Eine Explosion auf einem Markt in Sadr City am 14. August 2018 wurde von einer Quelle im Sicherheitsapparat auf kriminelle Gründe zurückgeführt. Dabei wurden drei Menschen getötet und vier verletzt.

?        Ein improvisierter Sprengsatz, der auf Schiiten im Bezirk Jihad (West-Bagdad) abzielt, tötete Berichten zufolge im September 2018 vier Menschen in der Nähe eines Einkaufszentrums.

?        Am 25. September 2018 wurde in den folgenden Bezirken eine Reihe von Explosionen gemeldet, die zu Opfern führten: Al Jadid (New Bagdad) östlich von Bagdad (1 Tote, 2 Verletzte), al Shaab nördlich von Bagdad (2 Tote) und al-Baayaa westlich von Bagdad (2 Tote) .Der Islamische Staat übernahm am 25. September 2018 die Verantwortung für fünf improvisierte Sprengsätze gegen Shula, Kadhimiyah (Nord-Bagdad), Shaab und Bataween (Rusafa), und den Bezirk Bayaa (Zentral-Bagdad), dabei wurden 3 Zivilisten getötet.

?        Am 1. und 2. Oktober 2018 forderten zwei improvisierte Sprengsätze in Shaab und Al Jadid einen Toten und mehrere Verwundete. Dem Islamischen Staat zufolge sei die Zahl der Opfer bei diesen beiden Angriffen viel höher gewesen und habe mehr als 50 Tote und Verwundete betragen.

?        Am 7. Oktober 2018 wurden bei einer Reihe von Angriffen auf verschiedene Vororte in Bagdad (Abu Dshir, 17 km südlich von Bagdad, Abu Ghraib, 44 km westlich von Bagdad und im Norden von Bagdad) vier Personen getötet und fünf verletzt.

?        Am 4. November 2018 wurden bei einer Serie von fünf improvisiertem Sprengsätzen in verschiedenen Gebieten des Gouvernements 8 Personen getötet und 14 verletzt. Eine andere Quelle berichtete von 7 Toten und 16 Verletzten. Der Islamische Staat behauptete jedoch, es seien bei den von ihm verübten Anschlägen mehr als 50 Opfer zu beklagen gewesen.

Beispiele für bewaffnete Zusammenstöße im Jahr 2018 sind die folgenden:

?        Unbekannte bewaffnete Personen eröffneten das Feuer im Stadtteil Jihad im Westen von Bagdad und töteten im Januar 2018 einen lokalen Bürgermeister.

?        Der Islamische Staat ermordete 8 Zivilisten bei einem Angriff auf den Vorort Tarmia im Mai 2018; die Opfer stellten Werbung für die Parlamentswahl auf; der Islamische Staat bezeichnete sie als Mitglieder einer Stammesmiliz.

?        Bei einem weiteren, nächtlichen Angriff des Islamischen Staates auf den Vorort Tarmia Anfang Mai 2018 wurden 21 Mitglieder eines lokalen Stammes (18 Männer, 2 Frauen und ein Kind) getötet. Sämtliche Opfer waren Mitglieder des Albu-Faraj-Stammes, der ein überzeugter Gegner des Islamische Staates in der Region ist. Die Mitglieder sind Teil der lokalen sunnitischen Miliz und der PMF, die zur Verteidigung gegen des Islamischen Staat gegründet wurden. Die Angreifer des Islamischen Staates trugen Armeeuniformen und gingen zunächst gegen einen Anwalt vor, von dem bekannt war, dass er Opfern des Islamischen Staates half, und töteten ihn in seinem Haus. Als andere Dorfbewohner kamen, um zu helfen, eröffneten sie das Feuer, töteten und verletzten sie und zogen sich zurück, bevor die Armee eintraf, um sie zu fassen.

In Bagdad gab es mehrere Morde an Persönlichkeiten, die in sozialen Medien bekannt geworden waren, ohne dass die Täter identifiziert und einer bestimmten Gruppierung zugeordnet werden konnten.

?        Tara Fares, bekannt aus Instagram, die in den sozialen Medien über persönliche Freiheit berichtet, wurde am 27. September 2018. in Bagdad erschossen, als sie in ihrem Porsche fuhr.

?        Im Jahr 2017 wurde Karar Nushi, ein männliches Model, das Morddrohungen wegen seiner langen Haare und seiner engen Kleidung erhalten hatte, in der Palästina-Straße erstochen aufgefunden, wobei sein Körper Anzeichen von Folter zeigte.

?        Hammoudi al-Meteiry, ein 15-jähriger und als „König von Instagram“ bezeichneter Jugendlicher, der Berichten zufolge wegen seiner Homosexualität von unbekannten Tätern getötet wurde.

Der Islamische Staat gab bekannt, Scheichs und Stammesführer angegriffen zu haben, die die Parlamentswahlen im Mai 2018 unterstützten. Im Mai 2018 behauptete der Islamische Staat, er habe das Haus eines wahlfördernden Stammesführers mit einer Bombe angegriffen zu haben; es ist unklar, ob diese dabei getötet wurde. Folgende weiteren Angriffe wurden dem Islamischen Staat zugeschrieben:

?        Am 27. Februar 2018 wurden vier Mitglieder der Sahwa-Bewegung von unbekannten Tätern im Norden Bagdads erschossen. Einer wurde getötet, die anderen drei verwundet.

?        Am 1. März 2018 wurde ein ehemaliger Beamter der Sahwa-Bewegung durch eine Bombe in Bagdad getötet.

?        Am 29. April 2018 wurde ein Führer der PMF, Qassim Al-Zubaidi, bei einem Attentat in der Innenstadt von Bagdad verletzt. Stunden zuvor wurde ein Wahlkandidat der Rechtsstaat-Koalition nördlich von Bagdad getötet.

?        Am 22. Juni 2018 gab der Islamische Staat bekannt, einen Stammesführer in al-Zour in der Nähe von Tarmia nördlich der Hauptstadt getötet zu haben, weil er die Parlamentswahlen unterstützt hatte.

?        Am 8. Juli 2018 wurden ein Kommandeur der Stammesmiliz und einer seiner Begleiter bei einem Bombenangriff in Nordbagdad verwundet.

?        Am 19. Juli 2018 wurde ein Angehöriger der Sicherheitskräfte bei einem Angriff mit einer auf der Straße platzierten Bombe auf ihn in Tarmia im Norden von Bagdad verwundet.

?        Am 2. August 2018 wurde mit einer am Straßenrand platzierten Bombe ein Fahrzeug der Sicherheitskräfte in der Region Sabaa al-Bour nördlich von Bagdad angegriffen. Eine Person wurde getötet, eine andere verletzt.

Im Januar 2018 erklärte der Direktor des Medienbüros des BOC, dass die Sicherheitskräfte in der Hauptstadt Fortschritte in Bezug auf das Sammeln von Informationen über den Islamischen Staat gemacht hätten und dass sich Militäreinsätze im Bagdader Gürtel positiv auf die Sicherheitslage ausgewirkt hätten. Der Direktor kündigte ferner den Bau eines Sicherheitszauns um Bagdad mit Sicherheitstoren an, um Aufständische daran zu hindern, in die Stadt einzusickern.

Dem Institute für the Study of War zufolge hat sich BOC im vergangenen Jahr auf die Bagdad-Belts konzentriert, was zu dem Rückgang der Angriffe in Bagdad beigetragen hat. Im Allgemeinen sei es den Sicherheitskräften gelungen, die Rückkehr weitverbreiteter Gewalt nach Bagdad im Jahr 2018 zu verhindern. Dieser Erfolg zeigt sich in der allgemeinen Abnahme von Gewaltereignissen im vergangenen Jahr. Politische Gewalt stelle nach wie vor die größte Herausforderung dar, dazu komme Destabilisierung angesichts der anhaltenden Blockade der neuen irakischen Regierung unter dem irakischen Premierminister Adel Abdul-Mahdi. Die PMF und andere lokale Sicherheitskräfte in Bagdad würden häufig eher auf politische Akteure reagieren, als auf den institutionellen staatlichen

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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