TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/24 L529 2221249-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.08.2020
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Entscheidungsdatum

24.08.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

L529 2221249-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. M. EGGINGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.05.2019, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrenshergang

I.1. Der BF stellte nach nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 05.03.2019 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) einen Antrag auf internationalen Schutz.

Anlässlich der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 06.03.2019 gab der BF zum Fluchtgrund an, dass er als Nachbar von XXXX diesen verbal verteidigt habe, deswegen zum Staatsfeind erklärt und bei der Polizei angezeigt worden sei. Bei Rückkehr habe er Angst, für viele Jahre ins Gefängnis zu kommen.

I.2. Am 24.04.2019 wurde der BF beim BFA niederschriftlich einvernommen. Dabei gab der BF an, dass er Kurde sunnitischer Religionszugehörigkeit sei, geschieden sei und keine Kinder habe. Im Heimatland würden seine Mutter, Geschwister und weitere Verwandte aufhältig sein, er habe aber keinen Kontakt zu ihnen. Zum Fluchtgrund befragt, führte der BF aus, er sei wegen seiner positiven Einstellung zu XXXX von den Dorfbewohnern beschimpft und mit dem Umbringen bedroht worden. Bei einem Treffen in einem Kaffeehaus mit einem Dorfbewohner sei er mit diesem wegen XXXX in Streit geraten, weshalb dieser Dorfbewohner veranlasst habe, dass der BF von einem ihm unbekannten Mann angegriffen und verletzt worden sei. Es gebe einen Haftbefehl gegen ihn und die Polizei habe ihn mehrmals gesucht. Er werde verfolgt, weil er Armenier verteidigt habe und er habe seine Religion – er fühle sich als Christ – nicht frei ausüben dürfen. Sein einziger Fluchtgrund sei seine Haltung zu XXXX gewesen.

I.3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.05.2019 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.) Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Das BFA führte aus, dass eine Verfolgung des BF wegen seines verbalen Einsatzes für den XXXX , XXXX , oder eine asylrelevante Verfolgung aus sonstigen Gründen nicht habe festgestellt werden können.

I.4. Gegen den genannten Bescheid wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.

I.5. Der Verwaltungsakt langte am 15.07.2019 bei der zuständigen Gerichtsabteilung ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II. 1. Feststellungen (Sachverhalt)

II.1.1. Der Beschwerdeführer:

Die Identität des BF steht fest. Der BF ist türkischer Staatsangehöriger, gehört der kurdischen Volksgruppe und der sunnitischen Religionsgemeinschaft an. Der BF ist geschieden und hat keine Kinder.

Der BF reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 05.03.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der BF stammt aus dem Dorf XXXX in der Stadt XXXX in der Provinz XXXX . Er hat in seinem Heimatland fünf Jahre die Volksschule besucht. Er hat mit seinem Bruder den väterlichen Betrieb – Transport- und Erdarbeiten – übernommen und in diesem Unternehmen als Baggerfahrer gearbeitet.

Familienangehörige (Mutter und Geschwister) sind nach wie vor im Heimatland des BF aufhältig; der BF gibt an, keinen Kontakt zur Familie zu haben. Der Vater ist verstorben.

Der BF hat in Österreich keine Verwandten und lebt auch sonst mit keiner nahestehenden Person zusammen.

Der BF bezieht Leistungen aus der Grundversorgung. Er ist kein Mitglied in einem Verein oder sonstigen Organisation und er hat bislang keine Deutschprüfung absolviert.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig und in Österreich strafrechtlich unbescholten.

II.1.2. Die Lage im Herkunftsstaat Türkei

II.1.2.1. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Türkei schließt sich das ho. Gericht den schlüssigen und nachvollziehbaren Feststellungen des BFA an; es wird konkret auf die insoweit relevanten Abschnitte hingewiesen:

Sicherheitslage

Die innenpolitischen Spannungen und die bewaffneten Konflikte in den Nachbarländern Syrien und Irak haben Auswirkungen auf die Sicherheitslage. In den größeren Städten und in den Grenzregionen zu Syrien kann es zu Demonstrationen und Ausschreitungen kommen. Im Südosten des Landes sind die Spannungen besonders groß, und es kommt immer wieder zu Ausschreitungen und bewaffneten Zusammenstößen. Der nach dem Putschversuch vom 15.7.2016 ausgerufene Notstand wurde am 18.7.2018 aufgehoben. Allerdings wurden Teile der Terrorismusabwehr, welche Einschränkungen gewisser Grundrechte vorsehen, ins ordentliche Gesetz überführt. Die Sicherheitskräfte verfügen weiterhin über die Möglichkeit, die Bewegungs- und Versammlungsfreiheit einzuschränken sowie kurzfristig lokale Ausgangssperren zu verhängen. Trotz erhöhter Sicherheitsmaßnahmen besteht das Risiko von Terroranschlägen jederzeit im ganzen Land. Im Südosten und Osten des Landes, aber auch in Ankara und Istanbul haben Attentate wiederholt zahlreiche Todesopfer und Verletzte gefordert, darunter Sicherheitskräfte, Bus-Passagiere, Demonstranten und Touristen (EDA 19.9.2018). Im Juli 2015 flammte der Konflikt zwischen Sicherheitskräften und PKK wieder militärisch auf, der Lösungsprozess kam zum Erliegen. Die Intensität des Konflikts innerhalb des türkischen Staatsgebiets hat aber seit Spätsommer 2016 nachgelassen (AA 3.8.2018).

Mehr als 80% der Provinzen im Südosten des Landes waren zwischen 2015 und 2016 von Attentaten der PKK, der TAK und des sogenannten IS, sowie Vergeltungsoperationen der Regierung und bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der PKK und den türkischen Sicherheitskräften betroffen (SFH 25.8.2016). Ein hohes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 3 des BMEIA) gilt in den Provinzen A?r?, Batman, Bingöl, Bitlis, Diyarbak?r, Gaziantep, Hakkari, Kilis, Mardin, ?anl?urfa, Siirt, ??rnak, Tunceli und Van – ausgenommen in den Grenzregionen zu Syrien und dem Irak. Gebiete in den Provinzen Diyarbak?r, Elaz??, Hakkari, Siirt und ??rnak können von den türkischen Behörden und Sicherheitskräften befristet zu Sicherheitszonen erklärt werden. Ein erhöhtes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 2) gilt im Rest des Landes (BMEIA 9.10.2018).

1,6 Millionen Menschen in den städtischen Zentren waren während der Kämpfe 2015-2016 von Ausgangssperren betroffen. Die türkischen Sicherheitskräfte haben in manchen Fällen schwere Waffen eingesetzt. Mehrere Städte in den südöstlichen Landesteilen wurden zum Teil schwer zerstört (CoE-CommDH 2.12.2016). Im Jänner 2018 veröffentlichte Schätzungen für die Zahl der seit Dezember 2015 aufgrund von Sicherheitsoperationen im überwiegend kurdischen Südosten der Türkei Vertriebenen, liegen zwischen 355.000 und 500.000 (MMP 1.2018).

Die Türkei musste von Sommer 2015 bis Ende 2017 eine der tödlichsten Serien terroristischer Anschläge ihrer Geschichte verkraften. Sie war dabei einer dreifachen Bedrohung durch Terroranschläge der PKK bzw. ihrer Ableger, des sogenannten Islamischen Staates sowie – in sehr viel geringerem Ausmaß – auch linksextremistischer Gruppierungen wie der Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) ausgesetzt (AA 3.8.2018). Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Mitgliedern bewaffneter Gruppen wurden weiterhin im gesamten Südosten gemeldet. Nach Angaben des türkischen Verteidigungsministeriums wurden vom 2. bis 3. Juli 2015 und 11. Juni 2017 im Rahmen von Sicherheitsoperationen 10.657 Terroristen „neutralisiert" (OHCHR 3.2018). Die Sicherheitslage im Südosten ist weiterhin angespannt, wobei 2017 weniger die urbanen denn die ländlichen Gebiete betroffen waren (EC 17.4.2018).

Es ist weiterhin von einem erhöhten Festnahmerisiko auszugehen. Behörden berufen sich bei Festnahmen auf die Mitgliedschaft in Organisationen, die auch in der EU als terroristische Vereinigung eingestuft sind (IS, PKK), aber auch auf Mitgliedschaft in der so genannten „Gülen-Bewegung“, die nur in der Türkei unter der Bezeichnung „FETÖ“ als terroristische Vereinigung eingestuft ist. Auch geringfügige, den Betroffenen unter Umständen gar nicht bewusste oder lediglich von Dritten behauptete Berührungspunkte mit dieser Bewegung oder mit ihr verbundenen Personen oder Unternehmen können für eine Festnahme ausreichen. Öffentliche Äußerungen gegen den türkischen Staat, Sympathiebekundungen mit von der Türkei als terroristisch eingestuften Organisationen und auch die Beleidigung oder Verunglimpfung von staatlichen Institutionen und hochrangigen Persönlichkeiten sind verboten, worunter auch regierungskritische Äußerungen im Internet und in den sozialen Medien fallen (AA 10.10.2018a).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (3.8.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei

?        AA – Auswärtiges Amt (10.10.2018a): Reise- und Sicherheitshinweise, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_28DF483ED70F2027DBF64AC902264C1D/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/TuerkeiSicherheit_node.html, Zugriff 9.10.2018

?        BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (9.10.2018): Türkei – Sicherheit und Kriminalität, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/tuerkei/, Zugriff 9.10.2018

?        CoE-CommDH - Council of Europe - Commissioner for Human Rights (2.12.2016): Memorandum on the Human Rights Implications of Anti-Terrorism Operations in South-Eastern [CommDH (2016)39], https://www.ecoi.net/en/file/local/1268258/1226_1481027159_commdh-2016-39-en.pdf, Zugriff 19.9.2018

?        EC – European Commission (17.4.2018): Turkey 2018 Report [SWD (2018) 153 final], https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/20180417-turkey-report.pdf, Zugriff 18.9.2018

?        EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (19.9.2018): Reisehinweise Türkei, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/tuerkei/reisehinweise-fuerdietuerkei.html, Zugriff 19.9.2018

?        MMP - Mixed Migration Platform (1.2018): Mixed Migration Monthly Summery, http://www.mixedmigration.org/wp-content/uploads/2018/05/ms-me-1801.pdf, Zugriff 20.9.2018

?        OHCHR – UN Office of the High Commissioner for Human Rights (3.2018): Report on the impact of the state of emergency on human rights in Turkey, including an update on the South-East; January - December 2017, März 2018, https://www.ecoi.net/en/file/local/1428849/1930_1523344025_2018-03-19-second-ohchr-turkey-report.pdf, Zugriff 20.9.2018

?        SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (25.8.2016): Türkei: Situation im Südosten - Stand August 2016, https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/europa/tuerkei/160825-tur-sicherheitslage-suedosten.pdf, Zugriff 24.1.2017

Meinungs- und Pressefreiheit / Internet

Der Geltungsbereich der im Rahmen der Notverordnungen erlassenen restriktiven Maßnahmen hat sich im Laufe der Zeit entgegen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auf viele oppositionelle Stimmen in den Medien und in der Wissenschaft ausgedehnt. Die Meinungsfreiheit ist ernsthaft unter Druck geraten. Gesetzgebung und Praxis entsprechen nicht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Strafverfahren gegen Journalisten, Menschenrechtsanwälte, Schriftsteller oder Nutzer sozialer Medien, die Schließung zahlreicher Medien oder die Ernennung von Treuhändern durch die Regierung zu deren Verwaltung sind besorgniserregend. Diese beruhen meist auf einer selektiven und willkürlichen Anwendung des Gesetzes. Insbesondere die übermäßige Anwendung des Konzepts der terroristischen Propaganda bzw. der Unterstützung einer terroristischen Organisation, einschließlich von Aussagen, die eindeutig nicht zu Gewaltanwendung führen, und die Kombination mit einer übermäßigen Interpretation des Begriffes der Verleumdung haben die Türkei auf einen gefährlichen Weg gebracht. 150 Journalisten sind nach wie vor inhaftiert. Das Internetgesetz und die allgemeinen rechtlichen Rahmenbedingungen ermöglichen es der Exekutive weiterhin, Online-Inhalte ohne Gerichtsbeschluss aus unangemessen vielen Gründen zu sperren (EC 17.4.2018; CoE-CommDH 15.2.2017).

Das fortdauernde Muster von Verletzungen der Meinungsfreiheit aufgrund der geltenden Rechtsvorschriften und ihrer Auslegung durch die Gerichte erfüllen nicht die in Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention festgelegten Normen. Die Türkei ist Gegenstand der höchsten Zahl von Urteilen des Gerichtshofs zu Artikel 10 der Konvention. Die Mehrzahl der Strafverfahren gegen Journalisten wurde auf der Grundlage unbegründeter Vorwürfe und ohne sachliche Beweise außer ihrer rein journalistischen Tätigkeit eingeleitet. Es besteht eine mangelnde Berücksichtigung des Rechts auf freie Meinungsäußerung bei der Beurteilung durch das Gericht und überdies eine offensichtlich unplausible Einschätzung, wonach die Angeklagten zugleich sowohl Propaganda für die Gülen-Bewegung als auch für die Kurdische Arbeiterpartie (PKK) betrieben hätten, zwei Organisationen, die in Gegnerschaft zueinander stehen. Zudem fehlen sachliche Beweise, die irgendeinen Zusammenhang zwischen den Verdächtigen und diesen Organisationen herstellen, abgesehen von kritischen Zeitungsartikeln zu Fragen, die von öffentlichem Interesse sind. Maßnahmen, die mit Freiheitsentzug gegen Journalisten verbunden sind nicht nur ungerechtfertigt und unverhältnismäßig, sondern tragen auch zu einem Klima der Selbstzensur bei. Journalisten werden in den meisten Fällen auf der Grundlage fadenscheiniger Anschuldigungen und mit sehr wenig oder gar keinem Prima-Facie-Beweis festgenommen (CoE-CommDH 10.10.2017).

Viele türkische Bürgerinnen und Bürger äußern ihre Meinung weiterhin offen unter Freunden und Verwandten, inzwischen sind sie jedoch vorsichtiger gegenüber dem, was sie online veröffentlichen oder öffentlich sagen. Nicht jede regierungskritische Äußerung wird bestraft, aber die Willkür der Strafverfolgung, die oft zu Untersuchungshaft führt und das Risiko langer Haftstrafen birgt, schafft zunehmend eine Atmosphäre der Selbstzensur (FH 1.2018). In vielen Fällen können Einzelpersonen den Staat oder die Regierung nicht öffentlich kritisieren, ohne das Risiko von zivil- oder strafrechtlichen Verfahren oder Ermittlungen einzugehen. Die Regierung beschränk auch Äußerungen von Einzelpersonen, die mit gewissen religiösen, politischen oder kulturellen Standpunkten sympathisieren. Viele, die zu sensiblen Themen schreiben oder sich äußern oder die Regierung kritisieren, riskieren behördliche Untersuchungen (USDOS 20.4.2018).

Obwohl einige unabhängige Zeitungen und Websites weiterhin funktionieren, sind sie einem enormen politischen Druck ausgesetzt und werden regelmäßig strafrechtlich verfolgt. Die Versuche der Regierung, Nachrichtenseiten und andere Online-Informationsquellen zu blockieren, wurden 2017 fortgesetzt (HRW 18.1.2018; RSF 2018). Die Mainstream-Medien, insbesondere das Fernsehen, spiegeln Regierungspositionen wider und bringen routinemäßig identische Schlagzeilen (FH 1.2018). Den meisten Zeitungen und Fernsehsendern fehlt es an Unabhängigkeit und sie fördern die politische Linie der Regierung (HRW 18.1.2018).

Die überwiegende Mehrheit der inhaftierten Journalisten werden Verbindungen zur PKK oder zur Gülen-Bewegung vorgeworfen. Zahlreiche Journalisten kehrten aus Angst vor Verhaftungen nicht in die Türkei zurück. Hunderte weitere blieben ohne Arbeit, nachdem die Regierung Medien geschlossen hatte (USDOS 20.4.2018).

Im Jahr 2017 begannen mehrere große, politisch motivierte Prozesse gegen Journalisten wegen terroristischer Anschuldigungen. Die Beweise bestanden aus schriftlichen Beiträgen und der Berichterstattung der Journalisten selbst, die nicht für Gewalt eintraten, sowie aus unbewiesenen Behauptungen über Verbindungen zu terroristischen Organisationen oder die Beteiligung am Putschversuch vom Juli 2016. Diese Verfahren wurden trotz des Fehlens glaubwürdiger Beweise fortgesetzt (HRW 18.1.2018). Journalisten sitzen mitunter mehr als ein Jahr bis zum Prozessbeginn im Gefängnis, und lange Gefängnisstrafen werden zur neuen Norm - in einigen Fällen werden Journalisten zu lebenslanger Haft ohne die Möglichkeit einer Begnadigung verurteilt. Inhaftierten Journalisten und geschlossenen Medien wird jeder wirksame Rechtsweg verwehrt. Selbst Verfassungsgerichtsurteile werden nicht mehr automatisch umgesetzt. Die Türkei rutschte im World Press Freedom Index 2018 um zwei Plätze [1.Rang = bester Wert] nach unten und belegt Rang 157 von 180 Ländern (RSF 2018).

Die missbräuchliche Anwendung des Art. 299 hinsichtlich der Beleidigung des Staatspräsidenten führte zu einer unangemessenen Einschränkung der Meinungsfreiheit. Der türkische Außenminister rief Staatsbürger im Ausland dazu auf, entsprechende Fälle dem Präsidenten zu melden, damit im Ausland Klagen erhoben werden können (PACE 22.6.2016).

Dutzende türkische Social-Media-Nutzer, darunter auch Journalisten, wurden festgenommen, weil sie die Offensive der Türkei gegen die syrisch-kurdische Miliz YPG in Syrien kritisiert haben. Die türkische Internetbehörde überwacht Nutzer, die Inhalte teilen, welche die türkischen Truppen an der Front demoralisieren oder die einheimische Öffentlichkeit beeinflussen könnten. Das Büro des Premierministers erließ Zugangsverbote für solche Inhalte, und gegen Nutzer, die solche Beiträge teilten, wurden Untersuchungen eingeleitet (Ahval 26.1.2018, vgl. Standard 23.1.2018). Außenminister Mevlüt Cavu?o?lu hatte bereits am 21.1.2018 verkündet, dass jeder, der sich gegen die türkische Afrin-Offensive ausspricht, Terroristen unterstütze (DS 21.1.2018). Diesbezüglich Verdächtige würden wegen "Beleidigung von Amtsträgern", "Anstiftung zu Hass und Feindseligkeit in der Öffentlichkeit", "Beleidigung des Präsidenten" oder "Propaganda für terroristische Vereinigungen" angeklagt (Anadolu 27.1.2018). Allein in den ersten zehn Tagen der am 20.1.2018 gestarteten „Operation Olivenzweig“ wurden 311 Personen, darunter Journalisten, Politiker und Aktivisten, verhaftet, weil sie auf irgendeine Weise etwas Kritisches über den Militärschlag gesagt oder geschrieben hatten. Im Sprachgebrauch des Innenministeriums waren sie alle Terrorpropagandisten. 170 Autoren, Schauspieler, Hochschullehrer, Journalisten und ehemalige Politiker richteten gleich zu Beginn der Offensive einen offenen Brief an das Parlament, in dem sie zum Frieden aufriefen. Das machte sie zu Zielscheiben der Regierung. Die Zahl der Festgenommenen stieg nach amtlichen Angaben auf 786 (Die Welt 19.2.2018).

Angesichts des Währungsverfalls im August 2018 sprach Staatspräsident Erdo?an von "Wirtschaftsterroristen", die der Türkei durch die Verbreitung falscher Berichte Schaden zufügen. Diese würden die volle Kraft des Gesetzes spüren. Laut Innenministerium wurden 346 Social-Media-Konten identifiziert [Stand 13.8.2018], die durch ihre Kommentare eine negative Wahrnehmung der türkischen Wirtschaft erzeugten. Das Ministerium kündigte nicht weiter definierte rechtliche Maßnahmen an. Die Staatsanwaltschaften von Istanbul und Ankara haben zudem Ermittlungen gegen Personen eingeleitet, die im Verdacht stehen, an Aktionen beteiligt zu sein, die die wirtschaftliche Sicherheit der Türkei bedrohen (Reuters 13.8.2018, vgl. WZ 13.8.2018).

Quellen:

?        Ahval (26.1.2018): Turkey asks Twitter, Facebook, YouTube to remove posts on Afrin op, https://ahvalnews.com/freedom-speech/turkey-asks-twitter-facebook-youtube-remove-posts-afrin-op, Zugriff 20.8.2018

?        Anadolu Agency (27.1.2018): Turkey remands 16 for PYD/PKK promotion on social media, http://aa.com.tr/en/turkey/turkey-remands-16-for-pyd-pkk-promotion-on-social-media/1044501, Zugriff 20.8.2018

?        CoE-CommDH - Council of Europe - Commissioner for Human Rights (10.10.2017): Third party intervention by the Council of Europe Commissioner for Human Rights under Article 36, paragraph 3, of the European Convention on Human Rights [CommDH(2017)29], https://rm.coe.int/third-party-intervention-10-cases-v-turkey-on-freedom-of-expression-an/168075f48f, Zugriff 20.8.2018

?        CoE-CommDH - Council of Europe / Commissioner for Human Rights (15.2.2017): Urgent measures are needed to restore freedom of expression in Turkey, http://www.coe.int/en/web/commissioner/-/urgent-measures-are-needed-to-restore-freedom-of-expression-in-turkey, Zugriff 20.8.2018

?        DS – Daily Sabah (21.1.2018): Anyone who opposes Turkey's Afrin op will be siding with terrorists: FM Çavu?o?lu, https://www.dailysabah.com/war-on-terror/2018/01/21/anyone-who-opposes-turkeys-afrin-op-will-be-siding-with-terrorists-fm-cavusoglu, Zugriff 20.8.2018

?        EC – European Commission (17.4.2018): Turkey 2018 Report [SWD (2018) 153 final], https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/20180417-turkey-report.pdf, Zugriff 14.8.2018

?        FH - Freedom House 1.2018): Freedom in the World 2018 - Turkey, https://www.ecoi.net/en/document/1426448.html, 14.8.2018

?        HRW – Human Rights Watch (18.1.2018): World report 2018 - Turkey, https://www.ecoi.net/en/document/1422518.html, Zugriff 14.8.2018

?        PACE - Council of Europe - Parliamentary Assembly (22.6.2016b): The functioning of democratic institutions in Turkey [Resolution 2121 (2016), Provisional version], http://semantic-pace.net/tools/pdf.aspx?doc=aHR0cDovL2Fzc2VtYmx5LmNvZS5pbnQvbncveG1sL1hSZWYvWDJILURXLWV4dHIuYXNwP2ZpbGVpZD0yMjk1NyZsYW5nPUVO&xsl=aHR0cDovL3NlbWFudGljcGFjZS5uZXQvWHNsdC9QZGYvWFJlZi1XRC1BVC1YTUwyUERGLnhzbA==&xsltparams=ZmlsZWlkPTIyOTU3, Zugriff 14.8.2018

?        Reuters (13.8.2018): Erdogan vows action against 'economic terrorists' over lira plunge, https://www.reuters.com/article/us-turkey-currency-security/erdogan-vows-action-against-economic-terrorists-over-lira-plunge-idUSKBN1KY1R9, Zugriff 20.8.2018

?        RSF – Reporters without Borders (2018): Turkey, https://rsf.org/en/turkey, Zugriff 20.8.2018

?        

?        Der Standard (23.1.2018): Feldzug gegen Kurden: Kein Platz für Kritiker bei Erdo?ans Krieg, https://derstandard.at/2000072760808/Kurdenmiliz-Tuerkische-Armee-bombardiert-Doerfer-in-Syrien?ref=rec, Zugriff 20.8.2018

?        USDOS – US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430322.html, Zugriff 14.8.2018

?        Die Welt (19.2.2018). Jeder soll wissen, dass man nur auf eigene Gefahr seine Meinung sagt, https://www.welt.de/politik/ausland/article173749894/Verhaftungen-in-Tuerkei-Jeder-soll-wissen-dass-man-nur-auf-eigene-Gefahr-seine-Meinung-sagt.html, Zugriff 14.8.2018

?        WZ – Wiener Zeitung (13.8.2018): Erdogan lässt "Wirtschaftsterroristen" verfolgen, https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/top_news/982569_In-der-Tuerkei-werden-Menschen-fuer-negative-Kommentare-ueber-die-wirtschaftliche-Lage-bestraft..html, Zugriff 20.8.2013

Ethnische Minderheiten

Die türkische Verfassung sieht nur eine einzige Nationalität für alle Bürger und Bürgerinnen vor. Sie erkennt keine nationalen oder ethnischen Minderheiten an, mit Ausnahme der drei nicht-muslimischen, nämlich der Armenisch-Orthodoxen Christen, der Juden und der Griechisch-Orthodoxen Christen. Andere nationale oder ethnische Minderheiten wie Assyrer, Dschafari [zumeist schiitische Azeris], Jesiden, Kurden, Araber, Roma, Tscherkessen und Lasen dürfen ihre sprachlichen, religiösen und kulturellen Rechte nicht vollständig ausüben (USDOS 20.4.2018).

Neben den offiziell anerkannten religiösen Minderheiten gibt es folgende ethnische Gruppen: Kurden (ca. 13-15 Mio.), Kaukasier (6 Mio., davon 90% Tscherkessen), Roma (zwischen 500.000 und 6 Mio., je nach Quelle), Lasen (zwischen 750.000 und 1,5 Mio.) und andere Gruppen in kleiner und unbestimmter Anzahl (Araber, Bulgaren, Bosnier, Pomaken, Tataren und Albaner) (AA 3.8.2018). Dazu kommen noch, so sie nicht als religiöse Minderheit gezählt werden, Jesiden, Griechen, Armenier (60.000), Juden (wengier als 20.000) und Assyrer (25.000) vorwiegend in Istanbul und 3.000 im Südosten (MRGI 6.2018).

Das Gesetz erlaubt den Bürgern private Bildungseinrichtungen zu eröffnen, um Sprachen und Dialekte, die traditionell im Alltag verwendet werden, zu unterrichten. Dies unter der Bedingung, dass die Schulen den Bestimmungen des Gesetzes über die privaten Bildungsinstitutionen unterliegen und vom Bildungsministerium inspiziert werden. Das Gesetz erlaubt die Wiederherstellung einstiger nicht-türkischer Ortsnamen von Dörfern und Siedlungen und gestattet es politischen Parteien sowie deren Mitgliedern, in jedweder Sprache ihre Kampagnen zu führen sowie Informationsmaterial zu verbreiten. In der Praxis war dieses Recht jedoch nicht geschützt (USDOS 20.4.2018).

Was die kulturellen Rechte betrifft, so ist die Verwendung anderer Sprachen als Türkisch im öffentlichen Dienst nicht gestattet (EC 17.4.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Zum Beispiel hat der von der Regierung ernannte Treuhänder [nach Ablöse des gewählten Bürgermeisters] des Edremit-Distrikts in der Provinz Van die Verwendung des Armenischen und Kurdischen abgeschafft. Die Behörden haben auch die Entfernung arabischer Aufschriften in bestimmten Gebieten angeordnet. Im April 2017 ordnete die Stadtverwaltung in Adana die Entfernung arabischsprachiger Schilder von Geschäftslokalen an, um "die türkische Sprache zu schützen". Obwohl Kurdisch offiziell in der privaten Bildung und im öffentlichen Diskurs erlaubt ist, hat die Regierung die Erlaubnis zum kurdischen Sprachunterricht nicht auf die öffentliche Bildung ausgeweitet (USDOS 20.4.2018).
Die gesetzlichen Einschränkungen für den muttersprachlichen Unterricht in der Primar- und Sekundarstufe blieben bestehen. Optionale Kurse in Kurdisch wurden in öffentlichen staatlichen Schulen und Universitäten in Kurdisch, Arabisch, Syrisch und Zazaki weiterhin angeboten. Einige Universitätsdozenten der kurdischen Sprache und Literatur wurden im Januar 2017 durch eine Notverordnung entlassen, was den Mangel an qualifizierten Dozenten auf Kurdisch noch verstärkte. Nach Angaben zivilgesellschaftlicher Organisationen wurden zahlreiche Theater, Bibliotheken, Kultur- und Kunstzentren aufgrund dieses Dekrets geschlossen (EC 17.4.2018). Andere nationale oder ethnische Minderheiten, darunter Assyrer, Caferis, Jesiden, Kurden, Araber, Roma, Tscherkessen und Lasen, durften ihre sprachlichen, religiösen und kulturellen Rechte nicht vollständig ausüben (ARC 21.11.2017). Weiterhin werden mit Verweis auf die „Bedrohung der nationalen Sicherheit“ oder „Gefährdung der nationalen Einheit“ Publikationsverbote ausgesprochen. Dies trifft – teilweise wiederholt – vor allem kurdische oder linke Zeitungen (AA 3.8.2018).

Das gesamte Bildungssystem basiert auf dem Türkentum. Auf nicht-türkische Gruppen wird entweder kein Bezug genommen oder sie werden auf eine negative Weise dargestellt (MRGI 27.10.2015). Bis heute gibt es im Nationenverständnis der Türkei keinen Platz für eigenständige Minderheiten. Der Begriff "Minderheit" (im Türkischen "az?nl?k") ist negativ konnotiert. Diese Minderheiten wie Kurden, Aleviten und Armenier werden auch heute noch als "Spalter" und "Vaterlandsverräter" und als Gefahr für die türkische Nation betrachtet. Mittlerweile ist sogar die Geschäftsordnung des türkischen Parlaments dahingehend angepasst worden, dass die Verwendung der Begriffe "Kurdistan", "kurdische Gebiete" und "Völkermord an den Armeniern" im Parlament verboten ist, mit einer hohen Geldstrafe geahndet wird und Abgeordnete dafür aus Sitzungen ausgeschlossen werden können (bpb 17.2.2018). Zwar werden Gespräche zwischen der Regierung und Vertretern von Minderheiten fortgesetzt. Trotzdem bleiben Hassreden und Drohungen gegen Minderheiten ein ernstes Problem. Eine zivilgesellschaftliche Umfrage zu Hassreden in den Medien ergab, dass Artikel/Nachrichten, die sich gegen nationale, ethnische und religiöse Gruppen richten, im Berichtszeitraum zugenommen haben. Antisemitische Rhetorik in den Medien und von Beamten besteht weiterhin (EC 17.4.2018).

Die türkische Regierung hat mehrere Male gegenüber dem UN-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung wiederholt, dass sie keine quantitativen oder qualitativen Daten in Bezug auf den ethnischen Hintergrund ihrer Bürger sammelt, speichert oder verwendet. Allerdings sammeln die Behörden in der Tat Daten zur ethnischen Herkunft der Bürger, zwar nicht für Rechtsverfahren oder zu Studienzwecken, aber zwecks Profilerstellung und Überwachung, insbesondere von Kurden und Roma (EC/DGJC 2016).

Die nationale Strategie (2016-2021) und der Aktionsplan (2016-2018) für Roma-Bürger werden umgesetzt, aber der zuständige Ausschuss zur Überwachung und Bewertung der Strategie trat nur einmal zusammen. Es bedarf insbesondere der Zuteilung budgetärer Mittel zur Unterstützung des Aktionsplanes. Laut einer umfassenden Umfrage steigt das Bildungsniveau unter jungen Roma. Davon abgesehen, ist das allgemeine Bildungsniveau unter den Roma niedrig. Extreme Armut und ein Mangel an Gütern des täglichen Bedarfs sind in den Haushalten der Roma nach wie vor weit verbreitet. Die Gesamtbeschäftigungsquote ist mit 31% niedrig. Die Roma leben im Allgemeinen in sehr schlechten Wohnverhältnissen, oft ohne Grundversorgung und mit Segregation konfrontiert. Das Stadterneuerungsprojekt führte häufig dazu, dass Roma-Siedlungen abgerissen und Familien vertrieben wurden. Der Zugang zu öffentlichen Diensten ist für Roma, die keinen ständigen Wohnsitz haben, eine große Herausforderung (EC 17.4.2018).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (3.8.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei

?        ARC - Asylum Research Consultancy (21.11.2017): Turkey Country Report – Update November 2017 [3rd edition], https://www.ecoi.net/en/file/local/1418404/1226_1511364755_5a1313bf4.pdf, Zugriff 10.7.2018

?        bpb - Bundeszentrale für politische Bildung (17.2.2018): Die Türkei im Jahr 2017/2018, http://www.bpb.de/internationales/europa/tuerkei/253187/die-tuerkei-im-jahr-2017-2018#footnode12-12, Zugriff 11.7.2018

?        EC - European Commission (17.4.2018): Turkey 2018 Report [SWD (2018) 153 final], https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/20180417-turkey-report.pdf, Zugriff 10.7.2018

?        EC/DGJC - European Commission/ Directorate-General for Justice and Consumers, European Network of legal experts in gender equality and non-discrimination (2016): Country report: Non-discrimination –Turkey, http://www.equalitylaw.eu/downloads/3748-2016-tr-country-report-nd, Zugriff 10.7.2018

?        MRGI - Minority Rights Group International (27.10.2015): Education system in Turkey criticised for marginalising ethnic, religious and linguistic minorities, http://minorityrights.org/2015/10/27/education-system-in-turkey-criticised-for-marginalising-ethnic-religious-and-linguistic-minorities/, Zugriff 10.7.2018

?        MRGI - Minority Rights Group International (2015): Discrimination Based on Colour, Ethnic Origin, Language, Religion and Belief in Turkey’s Education System, http://minorityrights.org/wp-content/uploads/2015/10/EN-turkiye-egitim-sisteminde-ayirimcilik-24-10-2015.pdf, Zugriff 10.7.2018

?        MRGI - Minority Rights Group International (6.2018): World Directory of Minorities and Indigenous Peoples, Turkey, http://minorityrights.org/country/turkey/, Zugriff 10.7.2018

?        USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430322.html, Zugriff 10.7.2018

Kurden

Die Kurden (ca. 20% der Bevölkerung) leben v.a. im Südosten des Landes sowie, bedingt durch Binnenmigration und Mischehen, in den südlich und westlich gelegenen Großstädten (Istanbul, Izmir, Antalya, Adana, Mersin, Gaziantep) (ÖB 10.2017). Mehr als 15 Millionen türkische Bürger haben einen kurdischen Hintergrund und sprechen einen der kurdischen Dialekte (USDOS 20.4.2018). Der private Gebrauch der in der Türkei gesprochenen kurdischen Sprachen Kurmandschi und des weniger verbreiteten Zaza ist in Wort und Schrift keinen Restriktionen ausgesetzt, der amtliche Gebrauch ist allerdings eingeschränkt (AA 3.8.2018). Einige Universitäten bieten Kurdisch-Kurse an, und zwei Universitäten haben Abteilungen für die Kurdische Sprache (USDOS 20.4.2018).

Die kurdischen Gemeinden waren überproportional von den Zusammenstößen zwischen der PKK und den Sicherheitskräften betroffen. In etlichen Gemeinden wurden seitens der Regierung Ausgangssperren verhängt. Kurdische und pro-kurdische NGOs sowie politische Parteien berichteten von zunehmenden Problemen bei der Ausübung der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (USDOS 20.4.2018). Hunderte von kurdischen zivilgesellschaftlichen Organisationen und kurdischsprachigen Medien wurden 2016 nach dem Putschversuch per Regierungsverordnung geschlossen (USDOS 20.4.2018; vgl. EC 17.4.2018). Durch eine sehr weite Auslegung des Kampfes gegen den Terrorismus wurden die Rechte von Journalisten und Menschenrechtsverteidigern, die sich mit der Kurdenfrage auseinandersetzen, zunehmend eingeschränkt (EC 17.4.2018). Zwei Drittel der per Notstandsdekret geschlossenen Medien sind kurdische Zeitungen, Onlineportale, Radio- und Fernsehsender. Am 16.08.16 wurde z. B. die Tageszeitung „Özgür Gündem“ per Gerichtsbeschluss geschlossen. Der Zeitung wird vorgeworfen, „Sprachrohr der PKK“ zu sein (AA 3.8.2018; vgl. EFJ 30.10.2016). Im Jahr 2017 wurden kurdische Journalisten wegen Verbindungen zur bewaffneten kurdischen Arbeiterpartei (PKK) wegen ihrer Berichterstattung verfolgt und inhaftiert. Dutzende von Journalisten und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die sich an einer Solidaritätskampagne mit der inzwischen geschlossenen pro-kurdischen Zeitung Özgür Gündem beteiligten, wurden wegen terroristischer Propaganda verfolgt (HRW 18.1.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Die Verschlechterung der Sicherheitslage in der Region seit dem Zusammenbruch des Friedensprozesses im Jahr 2015 setzte sich fort und betraf im Jahr 2017 die städtischen Gebiete in geringerem Maße. Stattdessen waren ländliche Gebiete zusehends betroffen. Es gab keine Entwicklungen in Richtung der Wiederaufnahme eines glaubwürdigen politischen Prozesses, der für eine friedliche und nachhaltige Lösung notwendig ist. Nach dem Putschversuch im Juli 2016 wurden zahlreiche kurdische Lokalpolitiker wegen angeblicher Verbindung zur PKK inhaftiert. Im Osten und Südosten gab es zahlreiche neue Festnahmen und Verhaftungen von gewählten Vertretern und Gemeindevertretern auf der Basis von Vorwürfen, terroristische Aktivitäten zu unterstützen. An deren Stelle wurden Regierungstreuhänder ernannt (EC 17.4.2018; vgl. AM 12.3.2018, USDOS 20.4.2018).

Mehr als 90 Bürgermeister wurden durch von der Regierung ernannte Treuhänder ersetzt. 70 von ihnen befinden sich in Haft. Insgesamt wurden mehr als 10.000 Funktionäre und Mitglieder der pro-kurdischen HDP verhaftet (AM 12.3.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). [siehe auch Kapitel 13.1. Opposition]

Die pro-kurdische HDP schaffte bei den Wahlen im Juni 2018 den Wiedereinzug ins Parlament mit einem Stimmenanteil von 11,5% und 68 Abgeordneten, dies trotz der Tatsache dass der Spitzenkandidat für die Präsidentschaft und acht weitere Abgeordnete des vormaligen Parlaments im Gefängnis saßen, und Wahlbeobachter der HDP schikaniert wurden (MME 25.6.2018). Während des Wahlkampfes bezeichnete der amtierende Präsident und Spitzenkandidat der AKP für die Präsidentschaftswahlen, Erdo?an den HDP-Kandidaten Demirta? bei mehreren Wahlkampfauftritten als Terrorist (OSCE 25.6.2018). Bereits im Vorfeld des Verfassungsreferendums 2017 bezeichnete auch der damalige Regierungschef Y?ld?r?m die HDP als Terrorunterstützerin (HDN 7.2.2017).

Am 8.9.2016 suspendierte das Bildungsministerium mittels Dekret 11.285 kurdische Lehrer unter dem Vorwurf Unterstützer der PKK zu sein. Alle waren Mitglieder der linksorientierten Gewerkschaft für Bildung und Bildungswerktätige, E?itim Sen (AM 12.9.2016). Bereits öffentliche Kritik am Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte in den Kurdengebieten der Südosttürkei kann bei entsprechender Auslegung den Tatbestand der Terrorpropaganda erfüllen (AA 3.8.2018).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (3.8.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei

?        AM - Al Monitor (12.3.2018): Some 40 million Turks ruled by appointed, not elected, mayors, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2018/03/turkey-becoming-land-of-trustees.html, Zugriff 11.7.2018

?        AM - Al Monitor (12.9.2016): Kurds become new target of Ankara’s post-coup purges, https://www.newcoldwar.org/kurds-become-new-target-of-ankaras-post-coup-purges/, Zugriff 10.7.2018

?        CB - Covcas Bulletin (22.9.2015): The revival of Turkey’s ‘lynching’ culture, http://www.covcasbulletin.info/?p=1730, Zugriff 11.7.2018

?        EC - European Commission (17.4.2018): Turkey 2018 Report [SWD (2018) 153 final], https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/sites/near/files/20180417-turkey-report.pdf, Zugriff 11.7.2018

?        EFJ - European Federation of Journalists (30.10.2016): Turkish government shuts down 15 Kurdish media outlets, http://europeanjournalists.org/blog/2016/10/30/turkish-government-shuts-down-15-kurdish-media-outlets/, Zugriff 11.7.2018

?        HDN - Hürriyet Daily News (7.2.2017): Main opposition in same boat as terror-supporting HDP: PM Y?ld?r?m, http://www.hurriyetdailynews.com/main-opposition-in-same-boat-as-terror-supporting-hdp-pm-yildirim-109443, Zugriff 11.7.2018

?        HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World report 2018 - Turkey, https://www.ecoi.net/en/document/1422518.html, Zugriff 11.7.2018

?        MME - Middle East Eye ( 25.6.2018) Turkey election: Erdogan wins, the opposition crashes – but don’t write off the HDP, http://www.middleeasteye.net/columns/turkey-election-erdogan-wins-akp-chp-opposition-crashes-dont-write-off-hdp-776290051, Zugriff 11.7.2018

?        OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights; OSCE Parliamentary Assembly; PACE – Parliamentary Assembly of the Council of Europe (25.6.2018): International Election Observation Mission Republic of Turkey – Early Presidential and Parliamentary Elections – 24.6.2018, https://www.osce.org/odihr/elections/turkey/385671?download=true, Zugriff 26.6.2018

?        USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Turkey, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430322.html, Zugriff 11.7.2018

Grundversorgung / Wirtschaft

Für die Türkei werden Marktturbulenzen, starke Währungsabwertungen und erhöhte Unsicherheiten erwartet, die Investitionen und die Konsumnachfrage belasten und eine deutliche negative Korrektur der Wachstumsaussichten rechtfertigen. In der Türkei führten die Besorgnis über die zugrunde liegenden Fundamentaldaten und die politischen Spannungen mit den Vereinigten Staaten zu einer starken Abwertung der Währung (27% zwischen Februar und Mitte September 2018) und sinkenden Vermögenswerten. Das Wachstum in der Türkei war 2017 und Anfang 2018 sehr stark, dürfte sich aber deutlich abschwächen. Das reale BIP-Wachstum wird für 2018 mit 3,5% prognostiziert, soll aber entgegen den positiven ursprünglichen Prognosen 2019 auf 0,4% sinken. Die türkische Wirtschaft ist nach wie vor sehr anfällig für plötzliche Veränderungen der Kapitalströme und geopolitischen Risiken (IMF 8.10.2018).

Die Arbeitslosigkeit bleibt ein gravierendes Problem und verharrt trotz leichter Erholung bei knapp 11% (September 2017). Aus der jungen Bevölkerung drängen jährlich mehr als eine halbe Million Arbeitssuchende auf den Arbeitsmarkt, können dort aber nicht vollständig absorbiert werden. Die bereits hohe Jugendarbeitslosigkeit stieg 2017 gegenüber dem Vorjahr weiterhin an. Hinzu kommt das starke wirtschaftliche Gefälle zwischen strukturschwachen ländlichen Gebieten (etwa im Osten und Südosten) und den wirtschaftlich prosperierenden Metropolen. Auf der Suche nach Arbeit und besseren Lebensbedingungen wandert die ländliche Bevölkerung daher weiterhin in die Städte und industriellen Zentren ab. Herausforderungen für den Arbeitsmarkt bleiben der weiterhin hohe Anteil der Schwarzarbeit und die niedrige Erwerbsquote von Frauen. Dabei bezieht der überwiegende Teil der in Industrie, Landwirtschaft und Handwerk erwerbstätigen Arbeiter und Arbeiterinnen weiterhin den offiziellen Mindestlohn. Er wurde für das Jahr 2017 auf 1.777,50 Lira brutto festgesetzt. Die Entwicklung der Realeinkommen hält mit der Wirtschaftsentwicklung nicht Schritt, so dass insbesondere die einkommensschwächeren Bevölkerungsschichten empfindlich am Rande des Existenzminimums leben (AA 10.2017c).

Das türkische Arbeitsrecht muss noch an die EU-Standards angepasst werden. Obwohl die nicht registrierte Beschäftigung auf 27,8% zurückgegangen ist, bestehen weiterhin große Unterschiede in Bezug auf Sektor, Beschäftigungsstatus und Geschlecht (BS 2018).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (10.2017c): Wirtschaft, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tuerkei-node/wirtschaft/201964#content_1, Zugriff 4.7.2018

?        BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 — Turkey Country Report, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Turkey.pdf, Zugriff 4.7.2018

?        IMF – International Monetary Found (8.10.2018): World Economic Outlook – Challenges to Steady Growth, https://www.imf.org/~/media/Files/Publications/WEO/2018/October/English/main-report/Text.ashx?la=en, Zugriff 17.10.2018

Behandlung nach Rückkehr

Türkische Staatsangehörige, die im Ausland in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben, laufen Gefahr polizeilicher oder justizieller Maßnahmen, wenn sie in die Türkei einreisen. Insbesondere Personen, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Anstifter oder Aufwiegler angesehen werden, müssen mit strafrechtlicher Verfolgung durch den Staat rechnen (AA 3.8.2018). Personen die für die PKK oder eine Vorfeldorganisation der PKK tätig waren, müssen in der Türkei mit langen Haftstrafen rechnen. Ähnliches gilt für andere Terrororganisationen (z.B. DHKP-C, türkische Hisbollah, Al-Qaida) (ÖB 10.2017). Das türkische Außenministerium sieht auch die syrisch-kurdische PYD bzw. die YPG als von der als terroristisch eingestuften PKK geschaffene Organisationen, welche mit der PKK hinsichtlich der Führungskader, der Organisationsstrukturen sowie der Strategie und Taktik verbunden sind (MFA o.D.).

Seit dem versuchten Militärputsch im Juni 2016 werden Personen, die mit dem Gülen-Netzwerk in Verbindung sind, als Terroristen gesehen. Auf die sog. Mitglieder der „FETÖ“ (Fetullah-Gülenistische Terrororganisation), die im Ausland leben, werden von der Türkei Einreiseverbote verhängt. Hierbei handelt es sich meistens um nicht-türkische Staatsbürger mit türkischem Ursprung (ÖB 10.2017). Die türkische Regierung hat im Nachgang zu dem Putschversuch 2016 zahlreiche ausländische Regierungen um Mithilfe bei der Ermittlung von Mitgliedern des sog. „Gülen-Netzwerkes“ gebeten. Es ist wahrscheinlich, dass türkische Stellen Regierungsgegner und Gülen-Anhänger im Ausland ausspähen. Öffentliche Äußerungen, auch in Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten etc. im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange sind strafbar, wenn sie als Anstiftung zu konkret separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen nach dem türkischen Strafgesetzbuch gewertet werden können. Aus bekannt gewordenen Fällen ist zu schließen, dass solche Äußerungen zunehmend zu Strafverfolgung und Verurteilung zumindest als Propaganda für eine terroristische Organisation führen (AA 3.8.2018).

Wenn bei der Einreisekontrolle festgestellt wird, dass für die Person ein Eintrag im Fahndungsregister besteht oder ein Ermittlungsverfahren anhängig ist, wird die Person in Polizeigewahrsam genommen. Es ist in den letzten Jahren jedoch kein Fall bekannt geworden, indem ein in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten – dies gilt auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen – gefoltert oder misshandelt worden ist (AA 3.8.2018).

Rückkehrprobleme im Falle einer Asylantragstellung im Ausland sind keine bekannt. Nach Artikel 23 der türkischen Verfassung bzw. Paragraph 3 des türkischen Passgesetzes ist die Türkei zur Rückübernahme türkischer Staatsangehöriger verpflichtet, wenn zweifelsfrei der Nachweis der türkischen Staatsangehörigkeit vorliegt (ÖB 10.2017).

Türkischen Staatsangehörigen im Ausland, die von den türkischen Behörden der Beteiligung an der Gülen-Bewegung verdächtigt werden, werden ihre Pässe für ungültig erklärt und durch einen Ein-Tages-Pass ersetzt , mit dem sie in die Türkei zurückkehren, um vor Gericht gestellt zu werden, wo sie ihre Unschuld zu beweisen haben. Lehrer und Militärangehörige scheinen besonders betroffen zu sein, aber auch Kurden und Journalisten (UKHO 2.2018).

Es gibt Vereine, welche von türkischen Rückkehrern gegründet wurden. Hier werden spezielle Programme angeboten, welche die Rückkehrer in Fragen wie Wohnungssuche, Versorgung etc. unterstützen und zugleich eine Netzwerkplattform zur Verfügung stellen. Im Folgenden eine kleine Auswahl:

• Rückkehrer Stammtisch Istanbul, Frau Çi?dem Akkaya, LinkTurkey, E-Mail: info@link-turkey.com

• Die Brücke, Frau Christine Senol, Email: info@bruecke-istanbul.org , http://bruecke-istanbul.com/

• TAKID, Deutsch-Türkischer Verein für kulturelle Zusammenarbeit, ÇUKUROVA/ADANA, E-Mail. almankulturadana@yahoo.de , www.takid.org (ÖB 10.2017).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (3.8.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei

?        EP - European Parliament, Vice-President Mogherini on behalf of the Commission (23.6.2016): Answer given by Vice-President Mogherini on behalf of the Commission [E-000843/2016], http://www.europarl.europa.eu/sides/getAllAnswers.do?reference=E-2016-000843&language=EN, Zugriff 27.1.2017

?        MFA - Republic of Turkey, Ministry of Foreign Affairs (o.D.): PKK, http://www.mfa.gov.tr/pkk.en.mfa, Zugriff 2.7.2018

?        ÖB - Österreichische Botschaft - Ankara (10.2017): Asylländerbericht Türkei

?        UKHO - United Kindom Home Office (2.2018): Country Policy and Information Note Turkey: Gülenist movement, https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/682868/Turkey_-_Gulenists_-_CPIN_-_v2.0.pdf, Zugriff 2.7.2018

II.1.3. Zu den angegebenen Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates:

Der BF hat nicht glaubhaft dargelegt und kann auch sonst nicht festgestellt werden, dass er vor seiner Ausreise aus seiner Heimat in dieser einer aktuellen sowie unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung ausgesetzt war oder er im Falle seiner Rückkehr dorthin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer solchen ausgesetzt wäre oder in eine lebens- bzw. existenzbedrohliche Notlage geraten würde.

II.2. Beweiswürdigung

II.2.1. Beweis wurde erhoben durch die Einsichtnahme in den behördlichen Verwaltungsakt unter zentraler Zugrundelegung der niederschriftlichen Angaben des BF, des Bescheidinhaltes sowie des Inhaltes der gegen den Bescheid des BFA erhobenen Beschwerde. Einsicht genommen wurde zudem in die vom BFA in das Verfahren eingebrachten Erkenntnisquellen betreffend die allgemeine Lage im Herkunftsstaat des BF, die dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegen.

Der festgestellte Sachverhalt in Bezug auf den bisherigen Verfahrenshergang steht aufgrund der außer Zweifel stehenden Aktenlage fest und ist das ho. Gericht in der Lage, sich vom entscheidungsrelevanten Sachverhalt (§ 37 AVG) ein ausreichendes und abgerundetes Bild zu machen.

II.2.2. Die personenbezogenen Feststellungen hinsichtlich des BF ergeben sich aus seinen in diesem Punkt nicht widerlegten Angaben sowie seinen Sprach- und Ortskenntnissen. Der BF konnte seine Identität mittels seines türkischen Führerscheins nachweisen, dessen Überprüfung keine Hinweise auf das Vorliegen einer Verfälschung ergab (AS 63). Schon das BFA ging davon aus, dass die Identität des BF feststeht, und es besteht für den erkennenden Richter kein Grund daran zu zweifeln.

Die Feststellungen zur Herkunftsregion des BF, seiner Volksgruppe, zu den familiären und privaten Verhältnissen im Herkunftsland und in Österreich sowie zum Gesundheitszustand des BF gründen sich auf die in diesen Punkten widerspruchsfreien und glaubhaften Angaben.

Die Feststellung zu seiner sunnitischen Religionszugehörigkeit war aufgrund seiner Angaben in der Erstbefragung (AS 9) und in der niederschriftlichen Einvernahme (AS 91) zu treffen. Soweit der BF in der niederschriftlichen Einvernahme auch angibt, er sei „nur am Papier Moslem“ und er „fühle sich wie ein Christ“ ist auszuführen, dass aus folgenden Gründen dennoch von einer sunnitischen Religionszugehörigkeit des BF auszugehen ist: So hat der BF sowohl in der Erstbefragung als auch in der niederschriftlichen Einvernahme angegeben, sunnitischer Moslem zu sein. Er bete in Österreich zwar in einer assyrischen Kirche, gehe aber auch in andere Kirchen um zu beten (AS 109) und in der Türkei durfte die Religion nicht offen ausgelebt werden (AS 109). In der Beschwerde präzisierte der BF dieses Vorbringen dahingehend, dass er mit der Aussage, er sei nur auf dem Papier Moslem, lediglich anmerken wollte, sich nicht als religiös zu bezeichnen (AS 245) und darauf hinweisen wollte, dass es in der Türkei keine Meinungs- und Religionsfreiheit gebe und er diese in Österreich sehr schätze (AS 245). Es war daher die sunnitische Religionszugehörigkeit des BF festzustellen und ging auch zuvor das BFA von einer sunnitischen Religionszugehörigkeit aus.

Seine strafrechtliche Unbescholtenheit in Österreich ergibt sich aus dem hg. erstellten aktuellen Strafregisterauszug.

II.2.3. Die vom BFA im gegenständlich angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat ergeben sich aus den in das Verfahren eingebrachten und im Bescheid angeführten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen, die einer Analyse der Staatendokumentation entstammen.

Zu der getroffenen Auswahl der Quellen, welche zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat herangezogen wurden, ist anzuführen, dass es sich hierbei aus der Sicht des erkennenden Gerichts um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen – sowohl staatlichen, als auch nichtstaatlichen Ursprunges – handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Die getroffenen Feststellungen ergeben sich daher im Rahmen einer ausgewogenen Gesamtschau unter Berücksichtigung der Aktualität und der Autoren der einzelnen Quellen. Auch kommt den Quellen im Rahmen einer Gesamtschau Aktualität zu.

In Bezug auf die existierende Quellenlage wurden zusammenfassende Feststellungen von der Staatendokumentation, welche ex lege zur Objektivität verpflichtet ist und deren Tätigkeit der Beobachtung eines unabhängigen Beirates unterliegt, getroffen, welchen sich das ho. Gericht im beschriebenen Rahmen anschließt.

Auch ist auszuführen, dass die dem BF zur Kenntnis gebrachten länderspezifischen Feststellungen zum Herkunftsstaat zwar nicht den Anspruch absoluter Vollständigkeit erheben (können), jedoch als so umfassend qualifiziert werden, dass der Sachverhalt bezüglich der individuellen Situation des Beschwerdeführers in Verbindung mit der Beleuchtung der allgemeinen Situation im Herkunftsstaat als geklärt angesehen werden kann, weshalb gemäß hg. Ansicht nicht von einer weiteren Ermittlungspflicht, die das Verfahren und damit gleichzeitig auch die ungewisse Situation des Beschwerdeführers unverhältnismäßig und grundlos prolongieren würde, ausgegangen werden kann. (dazu auch Hengstschläger-Leeb, Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, RZ 65 zu § 52 AVG).

II.2.3.1. Das Bundesamt räumte dem BF die Möglichkeit ein, eine schriftliche Stellungnahme zu den Länderfeststellungen betreffend der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Türkei Vorheriger Suchbegriffabzugeben. Der BF verzichtete auf die Ausfolgung der Länderinformationen und auf die Abgabe einer Stellungnahme.

Soweit in der Beschwerde auf mangelhaftes Ermittlungsverfahren und mangelhafte Länderberichte verwiesen wird und Berichte zur Situation der Kurden zitiert werden, ist auszuführen, dass diese Berichte weder aktueller als jene Berichte sind, die das BFA zur Beurteilung der konkreten Situation des BF herangezogen hat, noch geeignet, die Feststellungen des BFA zum Herkunftsstaat des BF, insbesondere auch zur Lage der Kurden, in Zweifel zu ziehen. Insbesondere wird durch diese Berichte bzw. in der Beschwerde in keiner Weise substantiiert dargetan, inwieweit sich daraus eine asylrelevante Verfolgung oder die Gewährung von subsidiärem Schutz konkret für den BF ergeben soll.

Soweit in der Beschwerde in diesem Zusammenhang bemängelt wird, dass es das BFA unterlassen habe, den BF einer näheren (ergänzenden) Befragung zur Sicherheitslage für Kurden zu unterziehen, ist auf die in § 15 AsylG normierte Mitwirkungspflicht des Asylwerbers zu verweisen, wonach dieser ohne unnötigen Aufschub seinen Antrag zu begründen hat. Zwar hat gemäß § 18 AsylG das Bundesamt in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht werden, jedoch ist diese Bestimmung des § 18 AsylG 2005 in engem Zusammenhang mit der Mitwirkungspflicht des Asylwerbers zu sehen und ergibt sich der Grundsatz, wonach es dem Asylwerber obliegt, alles Zweckdienliche vorzubringen. Damit ist die Pflicht des Antragstellers verbunden, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der Voraussetzungen für eine Asylgewährung spricht und diesbezüglich konkrete Umstände anzuführen, die objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzungen liefern. Nur im Fall hinreichender deutlicher Hinweise im Vorbringen eines Asylwerbers auf einen Sachverhalt, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung iSd Flüchtlingskonvention in Betracht kommt, ist die Behörde verpflichtet, in geeigneter Weise auf eine Konkretisierung der Angaben zu dringen. Die Pflicht geht aber nicht so weit, dass sie Asylgründe, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat, ermitteln müsste (vgl. VwGH 20.1.1993, 92/01/0950; 17.1.1994, 94/19/0886).

Nachdem der BF weder in der Erstbefragung noch in der niederschriftlichen Einvernahme – und auch in der Beschwerde nicht – konkrete Verfolgung aufgrund seiner kurdischen Volksgruppenzugehörigkeit geltend gemacht hat, geht dieses Argument in der Beschwerde ins Leere.

II.2.3.2. Auch im Hinblick auf die weltweite Ausbreitung des COVID-19 Erregers kann unter Zugrundelegung der medial ausführlich kolportierten Entwicklungen auch im Herkunftsland bislang keine derartige Entwicklung erkannt werden, die im Hinblick auf eine Gefährdung nach Art. 3 EMRK eine entscheidungsrelevante Lageänderung erkennen lässt. Unabhängig davon liegen sowohl im Hinblick auf sein Alter als auch seinen Gesundheitszustand keine Anhaltspunkte vor, wonach der BF bei einer allfälligen COVID-19 Infektion einer besonderen Risikogruppe angehören würde.

Bei COVID 19 handelt es sich um keine wahrscheinlich tödlich verlaufende, die Schwelle des Art 3 EMRK tangierende Krankheit, und hat der BF zu den diesbezüglichen hg. Feststellungen auch kein Vorbringen erstattet, aus dem sich in diesem Zusammenhang ein reales Risiko im Falle seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat ergeben würde.

Insgesamt kann sohin im vorliegenden Fall vor dem Hintergrund der COVID 19-Pandemie im Herkunftsstaat des BF weder auf eine hohe Wahrscheinlichkeit eines schweren oder tödlichen Krankheitsverlaufes noch auf eine allgemeine oder medizinische unzureichende Versorgungslage geschlossen werden.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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