TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/24 L503 2155906-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.08.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

24.08.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

L503 2155906-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. DIEHSBACHER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Gregor KLAMMER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.4.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 2.6.2020, zu Recht erkannt:

A.) I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis III. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG, § 8 Abs. 1 AsylG, § 57 AsylG, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 2 Z 2, § 52 Abs. 9 FPG iVm § 46 FPG als unbegründet abgewiesen.

II. Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides wird dahingehend abgeändert, dass die Frist für eine freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit vier Wochen ab Rechtskraft dieses Erkenntnisses festgelegt wird.

B.) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1. Der nunmehrige Beschwerdeführer (im Folgenden kurz: "BF"), ein irakischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 25.6.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der BF in seiner am selben Tag erfolgten Erstbefragung an, dass in seiner Stadt verschiedene islamische schiitische Milizen seien und der BF, da er Sunnit sei, von diesen verfolgt und bedroht worden sei. Im Falle einer Rückkehr in seine Heimat fürchte er wegen der schiitischen Milizen um sein Leben.

2. Mit Schriftsatz seines damaligen rechtsfreundlichen Vertreters vom 20.1.2017 erhob der BF Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht.

3. Am 14.3.2017 wurde der BF durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden kurz: "BFA") niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er zusammengefasst an, dass er sich mit dem anwesenden Dolmetscher einwandfrei verständigen könne und dazu in der Lage sei, Angaben zu seinem Asylverfahren zu machen. An seine Angaben im Zuge der Erstbefragung könne er sich erinnern und würden diese in Bezug auf den Fluchtweg und Fluchtgrund der Wahrheit entsprechen. Zu seinem Fluchtgrund gab der BF in freier Erzählung an, dass am 2.4.2015 die schiitischen Milizen in Samaraa (gemeint [vgl. Beschwerde S. 2] und im Folgenden: Samarra) eingezogen seien und den BF festgenommen hätten, weil er Sunnit sei. Sie hätten ihn mit einem Holzstock geschlagen und ihm, als er nach Wasser gefragt hätte, dieses ins Gesicht gespritzt. Er habe nur sehr wenig zu essen bekommen. Er sei einen Monat bei ihnen eingesperrt gewesen und mehrmals gefoltert worden. Dabei sei ihm seine Nase gebrochen worden und sei er hauptsächlich auf die Finger und Füße geschlagen worden. Sie hätten zu ihm gesagt, er solle jetzt beten, weil er jetzt getötet würde. Zwei weitere Festgenommene seien getötet worden. Der BF sei nach einem Monat freigelassen worden. Sein Name sei registriert worden und sie hätten gesagt, dass sie ihn bei der nächsten Festnahme töten würden. Am Tag seiner Freilassung habe der BF nach Hause gehen wollen und sei von einer Milizperson, die eine Uniform getragen habe und maskiert gewesen sei, nach seinem Ausweis gefragt worden. Der BF habe ihm seinen Ausweis gegeben. Die Person habe telefoniert und sei der BF wieder zurück zu den Milizen geschickt worden. Dort habe er wieder eine Nacht verbringen müssen und sei am nächsten Tag wieder freigelassen worden. Danach sei der BF zu seinen Schwestern gegangen und habe dort die Nacht bis zur Ausreise verbracht. Seine Brüder hätten den Irak über ein Jahr vor seiner Ausreise aufgrund der Milizen verlassen. Der BF habe Angst, dass die Milizen ihn bei einer eventuellen Rückkehr in seine Heimat wieder festnehmen und töten würden.

Der BF legte im Verfahren vor dem BFA neben Identitätsdokumenten eine Teilnahmebestätigung der XXXX vom 6.3.2017, eine Bestätigung von XXXX vom 6.3.2017, ein (undatiertes, nicht gefertigtes) Schreiben sowie eine Mitgliedsbestätigung des FC XXXX vor.

4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 11.4.2017 (zugestellt am 18.4.2017) holte das BFA den Bescheid innerhalb der Frist des § 16 VwGVG nach und wies den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG nicht erteilt und gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für seine freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Begründend führte das BFA zusammengefasst aus, dass die Angaben des BF unglaubwürdig seien. Der BF habe im gesamten Verfahren widersprüchliche und vage Angaben gemacht. Er habe bei seiner Asylantragstellung ein falsches Geburtsdatum angegeben. Seine Angaben über das Verlassen des Heimatlandes seien völlig unglaubwürdig. Es werde dem BF nicht geglaubt, dass er von schiitischen Milizen entführt und verhaftet worden sei. Der BF habe den angeblich wahren Fluchtgrund bei der Erstbefragung nicht angegeben und nicht sagen können, welche schiitische Miliz ihn entführt habe. Der vorgebrachte Fluchtgrund habe nicht als entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden können. Unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände habe nicht festgestellt werden können, dass bei einer Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung in den Irak für den BF eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für den BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Es habe zudem nicht festgestellt werden können, dass dem BF im Herkunftsland die Lebensgrundlage gänzlich entzogen gewesen wäre oder dass er bei einer Rückkehr in eine die Existenz bedrohende (oder medizinische) Notlage gedrängt würde. Der BF sei in seinem Heimatland jahrelang berufstätig gewesen. Er besitze in seiner Heimat gemeinsam mit seinen Geschwistern ein Eigentumshaus und verfüge dort über familiäre Anknüpfungspunkte. Der BF habe in Österreich keine nahen Familienangehörigen und hätten sonstige soziale Bindungen und/oder sonstige wirtschaftliche Anknüpfungspunkte nicht festgestellt werden können. Es hätten keine Umstände festgestellt werden können, die auf ein schützenswertes Privatleben in Österreich hinweisen würden.

5. Mit Schriftsatz seines damaligen rechtsfreundlichen Vertreters vom 2.5.2017 erhob der BF fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 11.4.2017.

Darin brachte der BF zusammengefasst vor, dass die Behörde seine Fluchterzählung wegen seiner Angaben in der Erstbefragung und den als gesteigert erkannten Angaben in der Einvernahme und seiner Unkenntnis über die Bezeichnung der schiitischen Miliz sowie der zweimaligen Festnahme und der falschen Angabe seines Geburtsdatums nicht glaube. Die Begründung der Behörde könne die Einschätzung seiner Unglaubwürdigkeit nicht tragen. Der Geburtstag werde im Islam üblicherweise nicht gefeiert. Es sei auch nicht unglaubwürdig, dass der BF die Miliz nicht benennen habe können; es gebe im Irak eine Vielzahl schiitischer Milizen. Das Bündnis der schiitischen Milizen sei Ende 2016 vom irakischen Parlament als Teil des militärischen Staatsapparates legitimiert worden, sodass die Verfolgung durch die Miliz nunmehr dem Staat zuzurechnen sei; jedenfalls sei aber staatlicher Schutz nicht zu erreichen und wäre wohl auch nicht zu erreichen gewesen. Schiitische Milizen würden Kriegsverbrechen begehen und Menschen wahllos inhaftieren und hinrichten. Rückkehrern werde nur nach Sicherheitsüberprüfungen durch Milizen die Rückkehr erlaubt und würden erwachsene Männer an Checkpoints zu paramilitärischen Einheiten der Volksmobilisierung eingezogen, falls nicht die Provinzgrenzen ohnehin geschlossen seien. Eine Aufnahme durch die Familien der Ehemänner der Schwestern der BF sei unwahrscheinlich, im Irak herrsche Hunger. Der Staat könne die Grundversorgung nicht gewährleisten.

6. Am 8.5.2017 wurde der Akt dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.

7. Am 2.6.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht in der Sache des BF eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

Der BF legte dem Bundesverwaltungsgericht dabei mehrere Empfehlungsschreiben, einen Auszug aus dem Zentralen Melderegister vom 27.2.2020, eine Bestätigung des Gemeindeamtes XXXX vom 3.7.2019, einen Tiroler Integrationskompass (Ausstellungsdatum 4.8.2017), einen Facebook-Screenshot betreffend Fußballspiele des FC XXXX , ein Arbeitszeugnis von XXXX von Juli 2017, eine Bestätigung der Stadt XXXX vom 23.12.2019, eine Bestätigung der Stadt XXXX vom 7.8.2018, einen Auszug aus dem GISA vom 15.5.2020, eine Bestätigung von XXXX vom 2.7.2018, einen Spielerpass des ÖFB, ein Konvolut an Lichtbildern sowie einen Zeitungsbericht vom 12.5.2020 vor.

8. Am 2.6.2020 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem (nunmehrigen) rechtsfreundlichen Vertreter des BF den in der mündlichen Verhandlung in das Verfahren eingebrachten Bericht des deutschen Auswärtigen Amts über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Irak von März 2020 sowie das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation für den Irak (letzte Gesamtaktualisierung 17.3.2020) unter Festsetzung einer Frist von 14 Tagen zur Erstattung einer Stellungnahme an die in der mündlichen Verhandlung bekanntgegebene E-Mail-Adresse.

9. Mit Schriftsatz vom 15.6.2020 gab der nunmehrige rechtsfreundliche Vertreter des BF die erteilte Vollmacht bekannt und erstattete eine Stellungnahme. Der BF hätte demzufolge bei einer Rückkehr in den Irak massivste Verfolgung durch schiitische Milizen zu befürchten und wurde diesbezüglich auf Passagen aus den Länderberichten zum Irak verwiesen. Der BF hätte es aufgrund der drohenden Verfolgung schwer, im Irak Fuß zu fassen; hinzu komme, dass er im Irak keinerlei soziales Netzwerk vorfinden würde. Weitere Ausführungen bezogen sich auf die Integration des BF in Österreich. Die COVID-19-Situation im Irak sei äußerst schlecht und nehme dort die Terrorgefahr immer mehr zu.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des BF werden folgende Feststellungen getroffen:

Der BF trägt den im Spruch angeführten Namen und wurde am dort angeführten Datum geboren. Der BF ist Staatsangehöriger des Irak; er gehört der arabischen Volksgruppe an und spricht als Muttersprache Arabisch. Er bekennt sich zum sunnitischen Islam. Der BF stammt aus Samarra in der Provinz Salah ad-Din. Er ist ledig und hat keine Kinder. Sechs Schwestern des BF, die allesamt verheiratet sind, leben nach wie vor in Samarra. Zwei Brüder des BF leben in der Türkei. Die Eltern des BF sind bereits verstorben. Der BF besitzt gemeinsam mit seinen Geschwistern das Elternhaus (ein Eigentumshaus) in Samarra; der Familie ging es finanziell mittelmäßig. Der BF besuchte von 1995 bis 2003 die Schule und hat vor seiner Ausreise als Hilfsarbeiter, u.a. in einer Bäckerei und einem Supermarkt, gearbeitet. Der BF spielte im Irak auch Fußball. Der BF steht in elektronischem Kontakt zu einer seiner Schwestern im Irak; diese führt dort ein normales Leben.

1.2. Zu den Fluchtgründen bzw. Rückkehrbefürchtungen des BF werden folgende Feststellungen getroffen:

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Irak einer aktuellen, unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung ausgesetzt war oder er im Falle seiner Rückkehr dorthin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer solchen ausgesetzt wäre. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Irak von Mitgliedern schiitischer Milizen bedroht, entführt oder gefoltert worden ist oder dies im Falle seiner Rückkehr in den Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten hätte.

Dem BF droht aufgrund seiner sunnitischen Glaubensrichtung im Fall einer Rückkehr nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr für Leib und Leben.

Es kann auch keine sonstige Gefahr einer Verfolgung für den BF im Fall seiner Rückkehr festgestellt werden. Ebenso wenig kann eine maßgebliche, sonstige Gefahr für Leib und Leben des BF im Fall der Rückkehr in den Irak festgestellt werden.

1.3. Zur Lage des BF im Fall einer Rückkehr:

Nicht festgestellt werden kann, dass der BF im Fall der Rückkehr in den Irak in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde. Der BF ist gesund und arbeitsfähig und verfügt im Irak über ein Netz von Angehörigen in Form seiner sechs in Samarra wohnhaften Schwestern und deren Familienangehörigen. Der BF besitzt dort gemeinsam mit seinen Geschwistern das Elternhaus.

1.4. Zum Privat- und Familienleben des BF in Österreich:

Der BF reiste im Juni 2015 illegal und schlepperunterstützt in das Bundesgebiet ein. Er spricht nur wenig Deutsch. Der BF hat an einem Deutsch-Alphabetisierungskurs teilgenommen, aber bis dato keine Deutschprüfung abgelegt.

Der BF verrichtete in Österreich gemeinnützige Tätigkeiten, z.B. als Koch in einer Unterkunft, als Helfer bei (Sport)Veranstaltungen, im Bauhof der Gemeinde, als Hilfskraft (Hausdienst) eines Altenwohnheimes sowie bei der Neugestaltung und Übersiedlung eines Museums. Der BF spielt Fußball und nimmt seit Sommer 2019 als Vereinsmitglied an Trainings und Spielen des SV XXXX teil; davor war er Vereinsmitglied beim FC XXXX . Im Jahr 2019 unterstützte der BF den FC XXXX auch als Co-Trainer der U11-Mannschaft.

In Österreich leben keine Familienangehörigen oder Verwandten des BF. Der BF hat in Österreich seit Anfang 2020 eine Freundin, mit der er aber nicht zusammenwohnt; den Kontakt hält er durch Besuche aufrecht.

Seit Oktober 2019 betreibt der BF als Selbständiger das Gewerbe "Hausbetreuung, bestehend in der Durchführung einfacher Reinigungstätigkeiten einschließlich objektbezogener einfacher Wartungstätigkeiten". Ab Februar 2020 ruhte die Gewerbeberechtigung, seit dem 13.5.2020 hat der BF das Gewerbe wieder zur Ausübung gemeldet. Der BF bezieht keine Leistungen mehr aus der Grundversorgung. Er lebt gemeinsam mit einem Kollegen in einer privaten Wohnung. Er ist unbescholten.

1.5. Zur Lage im Herkunftsstaat des BF:

Zur Lage im Irak wird auf das vom Bundesverwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung vom 2.6.2020 in das Verfahren eingebrachte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak, Gesamtaktualisierung am 17.3.2020, sowie den Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 2.3.2020 verwiesen, in denen eine Vielzahl von Berichten diverser allgemein anerkannter Institutionen berücksichtigt werden. Insoweit die Berichtslage konkret im gegenständlichen Verfahren relevant ist (vor allem betreffend die Sicherheitslage im Irak), wird darauf unten im Rahmen der Beweiswürdigung betreffend die Fluchtgründe bzw. Rückkehrbefürchtungen des BF näher eingegangen. Der BF erstattete mit Schriftsatz seines rechtsfreundlichen Vertreters vom 15.6.2020 eine Stellungnahme zu den Länderberichten, auf die ebenfalls in der Beweiswürdigung eingegangen wird.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person des BF:

Die zur Identität des BF getroffenen Feststellungen beruhen auf den im Verfahren vor der belangten Behörde vorgelegten Identitätsdokumenten. Hinsichtlich des Geburtsdatums des BF ist festzuhalten, dass dieser in der Erstbefragung noch den 10.11.1988 angegeben hatte, sich aus dem vorgelegten Personalausweis jedoch ergibt, dass der BF am XXXX geboren ist (vgl. AS 136). Der BF erklärte diese Widersprüche mit Unkonzentriertheit sowie mit dem Umstand, dass er seinen Personalausweis schon lange nicht mehr angesehen hätte (AS 137). Im Beschwerdeverfahren führte er dazu sinngemäß aus, dass dem Geburtstag im Islam keine besondere Bedeutung zukomme (vgl. Beschwerde AS 287) bzw. Datumsangaben dort allgemein keine so große Bedeutung zugemessen werde (siehe Verhandlungsschrift S. 14). Aufgrund der Angaben im Personalausweis kann das Geburtsdatum des BF, nämlich der XXXX , dennoch als erwiesen angenommen werden.

An den sonstigen Angaben des BF, insbesondere hinsichtlich seiner Volksgruppenzugehörigkeit und seines religiösen Bekenntnisses, war nicht zu zweifeln.

Die getroffenen Feststellungen zu den im Irak lebenden Angehörigen des BF und zu seinem bisherigen Beruf im Irak beruhen auf den weitgehend glaubhaften Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht, wobei hinsichtlich seiner Berufstätigkeit im Irak festzuhalten ist, dass der BF im Verfahren vor der belangten Behörde zunächst noch angegeben hatte, bis November 2013 als Hilfsarbeiter bei verschiedenen Dienstgebern tätig gewesen zu sein (AS 139), dies aber auf Vorhalt seines Vorbringens, er sei im April 2015 – auf dem Weg zur Arbeit – von einer ihm unbekannten schiitischen Miliz festgenommen worden, dahingehend berichtigte, dass er wieder bei seinem früheren Dienstgeber zu arbeiten anfangen habe wollen und auf dem Weg zur Bäckerei festgenommen worden sei (AS 143). In der mündlichen Verhandlung gab er wiederum an, bis zur Ausreise, zuletzt in einer Bäckerei, gearbeitet zu haben (Verhandlungsschrift S. 9). Dass der BF tatsächlich bis zu seiner Ausreise aus dem Irak berufstätig war, konnte aufgrund seiner widersprüchlichen Angaben nicht festgestellt werden.

Bereits an dieser Stelle muss aber erwähnt werden, dass die hier aufgezeigten Widersprüche nicht nur vereinzelt geblieben sind, sondern sich derartige Ungereimtheiten durch das gesamte Vorbringen des BF ziehen (siehe dazu sogleich).

2.2. Zu den Fluchtgründen bzw. Rückkehrbefürchtungen des BF:

2.2.1. Zu den vom BF vorgebrachten Fluchtgründen ist zunächst festzuhalten, dass er in seiner Erstbefragung zum Fluchtgrund angab, dass in seiner Stadt verschiedene islamische schiitische Milizen seien; da er ein Sunnit sei, sei er von diesen verfolgt und bedroht worden (AS 5). Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde gab er sodann an, dass er von den schiitischen Milizen festgenommen, eingesperrt und mehrmals gefoltert worden sei, dabei sei ihm die Nase gebrochen worden und sei er hauptsächlich auf die Finger und Füße geschlagen worden. Ihm sei gesagt worden, dass er jetzt getötet würde (AS 142 f). In der Beschwerde wurde zu den Fluchtgründen überdies noch vorgebracht, dass er einer Scheinhinrichtung unterzogen worden sei (AS 287). In der Verhandlung vor dem erkennenden Gericht steigerte der BF sein Vorbringen neuerlich und gab an, mit Elektrostangen am Rücken elektrisiert worden zu sein (siehe Verhandlungsschrift S. 12). Das Gericht verkennt nicht, dass Erstbefragungen meistens kurz gehalten sind und nicht zur detaillierten Erfragung der Fluchtgründe dienen; im gegenständlichen Fall zieht sich jedoch eine auffällige Aneinanderreihung von Steigerungen durch das Fluchtvorbringen des BF, das von der zunächst völlig allgemein gehaltenen Aussage, verfolgt und bedroht worden zu sein (Erstbefragung), über eine Inhaftierung, Schläge und Drohungen mit dem Tod (niederschriftliche Einvernahme) bis hin zu einer Scheinhinrichtung (Beschwerde) und Folterungen mit Strom (mündliche Verhandlung) reicht. Es ist für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund dafür ersichtlich, weshalb der BF die zuletzt genannten Aspekte seines Fluchtvorbringens – wenn sie der Wahrheit entsprechen würden – erst im Beschwerdeverfahren und nicht bereits bei der ersten sich ihm bietenden Gelegenheit, jedenfalls aber im Verfahren vor der belangten Behörde, relevieren sollte; vielmehr erscheint es dem Gericht, als wollte der BF sein Fluchtvorbringen nachträglich als bedrohlicher darstellen. Die allgemeine Glaubwürdigkeit des BF in Bezug auf sein Fluchtvorbringen wird dadurch jedenfalls wesentlich geschmälert.

Das Fluchtvorbringen des BF erweist sich aber unabhängig von diesen Erwägungen als unglaubhaft:

Der BF gab im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde in freier Erzählung an, dass am 2.4.2015 die schiitischen Milizen in Samarra eingezogen seien und ihn festgenommen hätten, weil er Sunnit sei (AS 141). Gleich darauf führte er aber im Widerspruch dazu stehend aus, dass Samarra bereits seit 2014 unter der Macht von schiitischen Milizen sei und er am 2.4.2014 festgenommen worden sei (AS 142). Dass es sich bei diesen widersprüchlichen Angaben nicht bloß um einen Irrtum hinsichtlich des Datums handeln kann, wird schon daran deutlich, dass der BF auf den Vorhalt des Leiters der Amtshandlung, weshalb er nicht wisse, um welche schiitische Miliz es sich gehandelt habe, wenn diese schon seit 2014 in seinem Heimatdorf gewesen sei, einging und darauf antwortete, dass immer nur "die Milizen" zu ihnen gesagt worden sei. Eine Klarstellung dahingehend, dass die Milizen erst – wie zunächst angegeben – am 2.4.2015 (also dem Tag der behaupteten Festnahme des BF) in Samarra eingezogen seien und es sich bei der Erwähnung des Jahres 2014 etwa lediglich um einen Irrtum gehandelt habe, traf der BF nicht; im Gegenteil versuchte er, eine Erklärung für sein – trotz über einem Jahr Präsenz der Milizen in Samarra – immer noch fehlendes Wissen über diese anzubieten, die aber voraussetzt, dass die Milizen tatsächlich bereits seit dem Jahr 2014 in Samarra aufhältig gewesen wären und ihn nicht bereits am Tag ihres Einzuges in Sammarra festgenommen hätten. Beim erkennenden Gericht entsteht ob der widersprüchlichen Angaben des BF, die unzweifelhaft einen wesentlichen Aspekt seines Fluchtvorbringens betreffen, nämlich seit wann sein Heimatort in der Gewalt schiitischer Milizen gestanden sein soll, der Eindruck, dass die Schilderungen des BF nicht aus seiner Erinnerung heraus erfolgt sind, sondern er lediglich bestimmte einstudierte Daten – teilweise auch voneinander abweichend – wiedergibt. Der Eindruck, dass die Angaben des BF nicht mit tatsächlich stattgefundenen Ereignissen korrespondieren, erhärtet sich angesichts der Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung, dass er im Februar 2015, als er am Weg zu einer Arbeitsstelle gewesen sei, festgenommen bzw. entführt worden sei; im März 2015 sei er entlassen worden und habe er den Irak am 29.3.2015 verlassen (vgl. Verhandlungsschrift S. 10). Auf Vorhalt, dass er seine Entführung vor der belangten Behörde mehrfach mit 2. April datiert habe, entgegnete der BF, dass die heute (in der Verhandlung) getroffenen Angaben der Wahrheit entsprechen würden. Damals habe er einen Dolmetscher gehabt, der ihn nicht richtig verstanden habe. Der BF habe den irakischen Dialekt gesprochen, der Dolmetscher sei Ägypter gewesen. Der BF sei es nicht gewöhnt, vor einer Behörde Angaben zu machen und sei sehr aufgeregt gewesen (vgl. Verhandlungsschrift S. 10 f). Dem ist entgegenzuhalten, dass der BF im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme ausdrücklich angegeben hat, dass er den Dolmetscher sehr gut verstehen habe können und alles verstanden habe. Nach erfolgter Rückübersetzung bestätigte der BF, dass alles korrekt gewesen sei, alles gepasst habe und er nichts mehr hinzuzufügen habe (AS 148). Hinzu kommt, dass der BF in seiner Beschwerde sogar ausdrücklich Folgendes vorgebracht hat: "Ich komme aus dem Irak, bin Sunnite und lebte in der Stadt Samarra. Samarra ist eine schiitische Stadt, als im April 2015 die schiitischen Milizen die Stadt besetzten wurde ich festgenommen, geschlagen und einer Scheinhinrichtung unterzogen." Dass die widersprüchlichen Schilderungen des BF auf Verständigungsproblemen mit dem Dolmetscher beruhen würden, ist damit als bloße Schutzbehauptung zu qualifizieren; ebenso können die aufgetretenen Widersprüche nicht mit der Nervosität des BF vor der Behörde erklärt werden, da sich seine Angaben über die Besetzung des Ortes durch schiitische Milizen und seine Festnahme genau so auch in der Beschwerde finden. Solche Auffälligkeiten traten auch in Bezug auf das Vorbringen des BF hinsichtlich des Schicksals seines Bruders zu Tage. In der Einvernahme vor der belangten Behörde gab der BF noch an, sein Bruder sei im Jahr 2006 getötet worden (AS 139). In der mündlichen Verhandlung gab er abweichend davon an: "Mein Bruder wurde getötet, das war im Jahr 2007. Ich möchte nicht das dasselbe Schicksal wie mein Bruder erleben, ich möchte ein normales Leben führen, ohne Angst." (Verhandlungsschrift S. 9). In der während der mündlichen Verhandlung vorgelegten und vom Dolmetscher übersetzten Sterbeurkunde ist jedoch als Sterbejahr eindeutig 2006 angegeben. Der BF entgegnete dem lapidar: "Ich habe mich mit dem Datum geirrt, ich hatte die Information, dass er 2007 verstorben ist, ich entschuldige mich." (Verhandlungsschrift S. 13). Es erscheint für das erkennende Gericht schlicht nicht nachvollziehbar, weshalb der BF das Todesjahr seines Bruders in der mündlichen Verhandlung nicht in der Lage ist wiederzugeben, obwohl er dieses vor der belangten Behörde bereits angegeben hatte und es auch aus der von ihm selbst vorgelegten Sterbeurkunde hervorgeht. Die vom BF angebotene Erklärung, dass er "die Information" hätte, sein Bruder sei 2007 verstorben, kann damit denkmöglich nur als Schutzbehauptung aufgefasst werden, um zu verdecken, dass der BF offenkundig nicht mehr wiedergeben konnte, welches Datum in der von ihm vorgelegten Sterbeurkunde angeführt war. Dass der BF über Befragen durch seinen Rechtsvertreter, ob im Irak Datumsangaben nicht so große Bedeutung zugemessen würden und ob es sein könne, dass er Schwierigkeiten habe, sich an genaue Monats- oder Jahresangaben zu erinnern, beides bejahte, lässt die aufgetretenen Widersprüche nicht in einem anderen Licht erscheinen, zumal auch das Vorbringen hinsichtlich des Bruders des BF im Laufe des Verfahrens eine auffällige Steigerung erfuhr. In der Erstbefragung gab der BF an, dass sein Bruder XXXX getötet worden sei (AS 3); in der Einvernahme vor der belangten Behörde führte er dazu lediglich im Rahmen der Befragung zu den Familienverhältnissen im Herkunftsland aus, dass XXXX im Jahr 2006 getötet worden sei (AS 139). Erst in der mündlichen Verhandlung gab der BF an, dass sein Bruder – im Jahr 2007 – "seitens der Milizen, die vom Staat unterstützt sind" erschossen worden sei und legte dazu, wie bereits erwähnt, eine auf das Jahr 2006 datierte Sterbeurkunde vor, wonach die Sterbeursache auf mehrere Kopfschüsse lautet (vgl. Verhandlungsschrift S. 13). Auch in diesem Zusammenhang ist kein Grund dafür ersichtlich, weshalb der BF erst im Beschwerdeverfahren vorbringen sollte, dass sein Bruder bereits durch die Milizen getötet worden sei, wenn er tatsächlich fürchten würde, dass ihn dasselbe Schicksal ereilt (vgl. Verhandlungsschrift S. 9).

Als Zwischenergebnis ist somit festzuhalten, dass bereits die Angaben des BF zum Zeitpunkt des Geschehens und zur Chronologie der Ereignisse mit wesentlichen Widersprüchen behaftet sind, welche massive Zweifel am Wahrheitsgehalt seiner Angaben aufkommen lassen.

Das Fluchtvorbringen des BF erscheint aber auch inhaltlich nicht als plausibel oder lebensnah. Zu den Umständen seiner behaupteten Festnahme und Anhaltung durch die schiitischen Milizen machte der BF in der Verhandlung nur oberflächliche Angaben, etwa: "Ich wurde seitens schiitischer Milizen entführt. Ich musste ca. einen Monat bei ihnen verbringen, war also in Haft, nach meiner Entlassung wurde ich in späterer Folge einen Tag angehalten. Man hat mich aufmerksam gemacht, dass diese Stadt den Schiiten gehört und ich habe dort nichts zu suchen. Wenn sie mich wieder finden, werde ich getötet werden." (Verhandlungsschrift S. 9). Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde hatte der BF zu seiner Festnahme – in widersprüchlicher Weise – einerseits angegeben, dass er festgenommen worden sei, weil er Sunnit sei (AS 141), andererseits sei er überhaupt erst nach der Festnahme durch die schiitischen Milizen gefragt worden, ob er Sunnit oder Schiit sei (vgl. AS 143). Zu seiner Inhaftierung hatte er vor der belangten Behörde angegeben, dass er mit einem Holzstock geschlagen worden sei und, als er nach Wasser gefragt hätte, ihm Wasser ins Gesicht gespritzt worden sein soll. Er hätte nur sehr wenig zu essen bekommen und sei gefoltert worden, indem ihm die Nase gebrochen und er auf die Finger und Füße geschlagen worden sei. Ihm sei gesagt worden, dass er jetzt beten solle, weil er jetzt getötet würde (AS 141 f). Vor dem erkennenden Gericht war von diesen Misshandlungen nicht mehr die Rede; der BF gab zunächst nur noch an, geschlagen und gedemütigt (Verhandlungsschrift S. 9) sowie schlecht behandelt (Verhandlungsschrift S. 11) worden zu sein. Weiters führte er aus, dass er Folterspuren davongetragen hätte, die von Elektrostangen stammen würden, mit denen man ihn am Rücken elektrisiert hätte. In der Verhandlung zeigte der BF seinen unteren Rücken, auf dem bei genauerer Betrachtung hellere waagrecht verlaufende Steifen zu erkennen sind. Dazu gab der BF an, dass er auch schon eine Operation gemacht habe. Er sei auch vorne beim Brustbein geschlagen worden und am Bauch (Verhandlungsschrift S. 12). Damit divergieren die Darstellungen des BF vor der belangten Behörde und in der mündlichen Verhandlung ganz erheblich, insoweit sie seine Behandlung während der behaupteten Inhaftierung durch die schiitischen Milizen betreffen. Dass dem BF die Nase gebrochen worden und er auf die Hände und Füße geschlagen worden sei, brachte er nun nicht mehr vor, seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung zufolge sei er dagegen durch Strom und Schläge auf die Brust und den Bauch gefoltert worden. Eine Scheinhinrichtung – wie in der Beschwerde vorgebracht – behauptete der BF mit keinem Wort. Es kann vor dem Hintergrund seiner wechselnden Behauptungen und mehrfachen Steigerung des Vorbringens nicht als glaubhaft angesehen werden, dass die in der Verhandlung in Augenschein genommenen Streifen auf dem Rücken des BF tatsächlich von Folterungen herrühren. Näheres Vorbringen zu den behaupteten Misshandlungen erstattete der BF nicht, sondern beschränkte sich im Wesentlichen auf deren bloße Erwähnung. Auch über die sonstigen Bedingungen während der Haft (er habe ca. einen Monat "bei ihnen verbringen" müssen; vgl. Verhandlungsschrift S. 9), verlor der BF in der mündlichen Verhandlung kein Wort. Ebenso wirkt das Vorbringen zu seiner Entlassung aus der Anhaltung als wenig lebensnah. So habe man den BF schlicht "entlassen und aufmerksam gemacht, im Falle einer Wiederbegegnung" werde er getötet (Verhandlungsschrift S. 12). Am Tag seiner Entlassung (vgl. AS 142) habe man ihn bei einem Kontrollposten bzw. -schranken angehalten und sei er abermals festgenommen worden, aber nach einem Tag wieder freigelassen worden (Verhandlungsschrift S. 12). Plausible Gründe für seine zweimalige Freilassung aus der Gewalt schiitischer Milizen konnte er nicht nennen, vor der belangten Behörde gab er dazu an, dass er "einfach" bzw. "nur so" freigelassen worden sei (AS 142 f).

Das Vorbringen der BF zu den Umständen seiner Festnahme und Inhaftierung gestaltet sich damit in den wesentlichen Punkten als oberflächlich und vage; das weitere Vorbringen zu den behaupteten Misshandlungen seiner Person war derartig widersprüchlich, dass im Ergebnis nicht davon ausgegangen werden kann, dass der BF tatsächlich jemals durch schiitische Milizen im Irak festgenommen und inhaftiert oder gar gefoltert wurde.

Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen konnte der BF nicht glaubhaft machen, dass er im Irak tatsächlich persönlicher Verfolgungshandlungen durch Mitglieder schiitischer Milizen ausgesetzt war.

2.2.2. Soweit der BF vorbringt, bei einer Rückkehr in den Irak getötet zu werden und dabei auf sein sunnitisches Glaubensbekenntnis verweist, ist dazu Folgendes auszuführen:

Es ist unstrittig, dass der BF der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam angehört und der Volksgruppe der Araber zugehörig ist. Mit 17 bis 22 % Anteil an der Bevölkerung mit Schwerpunkt im Zentral- und Westirak bilden (arabische) Sunniten eine der wichtigsten – nach den (arabischen) Schiiten mit 60 bis 65 % die zweitgrößte – ethnisch-religiöse Gruppierung im Irak. Aus dieser Gruppe stammte bis zum Ende der Diktatur von Saddam Hussein 2003 der größte Teil der politischen und militärischen Führung (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 2.3.2020, S. 7 f). Die arabisch-sunnitische Minderheit, die über Jahrhunderte die Führungsschicht des Landes bildete, wurde nach Entmachtung Saddam Husseins 2003 insbesondere in der Regierungszeit von Ex-Ministerpräsident Al-Maliki (2006 – 2014) aus öffentlichen Positionen gedrängt. Anerkannte Führungspersönlichkeiten fehlen weitgehend. Oftmals werden Sunniten einzig aufgrund ihrer Glaubensrichtung als "IS"-Sympathisanten stigmatisiert oder gar strafrechtlich verfolgt. Zwangsmaßnahmen und Vertreibungen aus ihren Heimatorten richteten sich vermehrt auch gegen unbeteiligte Familienangehörige vermeintlicher "IS"-Anhänger (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 2.3.2020, S. 18). Insbesondere Sunniten beschweren sich über „schiitische Siegerjustiz“ und einseitige Anwendung der bestehenden Gesetze zu ihren Lasten. Hinzu kommt eine Stigmatisierung, unter der Sunniten oftmals automatisch als "IS"-Unterstützer gesehen werden. Ehemalige "IS"-Kämpfer oder Personen, die dessen beschuldigt werden, werden aktuell in großer Zahl (Details werden von der Regierung nicht preisgegeben) mit unzulänglichen Prozessen zu lebenslanger Haft oder zum Tode verurteilt und häufig auch hingerichtet (Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 2.3.2020, S. 13). Bei willkürlichen Verhaftungen meist junger sunnitischer Männer wird durch die Behörden auf das Anti-Terror-Gesetz verwiesen, welches das Recht auf ein ordnungsgemäßes und faires Verfahren vorenthält (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation für den Irak, Gesamtaktualisierung am 17.3.2020, S. 79).

Die "Volksmobilisierungskräfte" (PMF) sind eine Dachorganisation von etwa 40 bis 70 Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen. PMF spielten eine Schlüsselrolle bei der Niederschlagung des IS. Die Niederlage des IS trug zur Popularität der vom Iran unterstützten Milizen bei. Die verschiedenen unter den PMF zusammengefassten Milizen sind sehr heterogen und haben unterschiedliche Organisationsformen, Einfluss und Haltungen zum irakischen Staat. Sie werden grob in drei Gruppen eingeteilt: Die pro-iranischen schiitischen Milizen, die nationalistisch-schiitischen Milizen, die den iranischen Einfluss ablehnen, und die nicht schiitischen Milizen, die üblicherweise nicht auf einem nationalen Level operieren, sondern lokal aktiv sind. Die Mehrheit der PMF-Einheiten ist schiitisch, was die Demografie des Landes widerspiegelt. Sunnitische, jesidische, christliche und andere "Minderheiten-Einheiten" der PMF sind in ihren Heimatregionen tätig. Die PMF gehen primär gegen Personen vor, denen eine Verbindung zum IS nachgesagt wird, bzw. auch gegen deren Familienangehörigen. Betroffen sind meist junge sunnitische Araber und in einer Form der kollektiven Bestrafung sunnitische Araber im Allgemeinen. Es kann zu Diskriminierung, Misshandlungen und auch Tötungen kommen. Die Badr-Organisation strebt die Erweiterung der schiitischen Macht in den Sicherheitskräften an, durch Wahlen und durch Eindämmung sunnitischer Bewegungen. Badr-Mitglieder und andere schiitische Milizen misshandelten und misshandeln weiterhin sunnitisch-arabische Zivilisten, insbesondere Sunniten im ehemaligen IS-Gebiet (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation für den Irak, Gesamtaktualisierung am 17.3.2020, S. 38 ff).

Diese Berichte wurden vom BF nicht in Zweifel gezogen, sondern seinem eigenen Vorbringen in der Stellungnahme vom 15.6.2020 zugrunde gelegt. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass sich die Lage der Sunniten im Irak vielfach als schwieriger darstellt als jene der schiitischen Mehrheit und es immer wieder zu gegen Sunniten gerichteten Verfolgungshandlungen und Vertreibungen, primär wegen (unterstellter) IS-Anhängerschaft gekommen ist. Daraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass jeder Sunnit im Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im Falle einer Rückkehr asylrelevante Verfolgung zu befürchten hätte, sondern ist dies eine Frage der individuellen Beurteilung. Im Fall des BF – dessen individuelles Fluchtvorbringen sich als unglaubhaft herausgestellt hat – ist nicht ersichtlich, dass diesem bis zu seiner Ausreise aus dem Irak jemals (etwa vonseiten schiitischer Milizen) eine IS-Anhängerschaft oder auch nur Sympathien für den IS zur Last gelegt worden wären; derartiges behauptete der BF im Verfahren auch nicht. Vor dem Hintergrund, dass der BF bereits seit fünf Jahren in Österreich lebt und der IS im Irak mittlerweile (seit Dezember 2017) als territorial besiegt gilt, erscheint es auch nicht als besonders wahrscheinlich, dass gerade dem BF bei einer Rückkehr in den Irak nunmehr eine IS-Anhängerschaft unterstellt würde. Zudem ist zu berücksichtigen, dass zahlreiche Familienmitglieder des BF nach wie vor in Samarra leben. Der BF gab etwa an, in Samarra sechs Schwestern zu haben; diese würden gemeinsam mit ihren Familien dort leben (vgl. Verhandlungsschrift S. 7). Auf die Frage, wie es seiner Schwester XXXX (mit welcher der BF in Kontakt steht) gehe, führte der BF aus: "Natürlich befinden sich in der Stadt Sameraa Milizen, derzeit gibt es auch diese Coronamaßnahmen und -krise in Sameraa, aber sie lebt mit ihrem Mann und den Kindern, sie führt ein normales Leben." Der Ehemann von XXXX sei selbst Sunnit, nach seinem Vater. Der Vater von ihm sei Sunnit, die Mutter Schiitin (Verhandlungsschrift S. 8). Auf Vorhalt, dass er gesagt habe, dass der Mann seiner Schwester als Sunnit gut im Irak leben könne, entgegnete der BF, dass die Mutter seines Schwagers Schiitin sei; Teile seiner Familie seien Schiiten und habe er dadurch einen hohen Posten in einer Ölfirma. Seine Kinder würden die Universität besuchen, es gehe ihm deshalb gut (Verhandlungsschrift S. 13). Hinsichtlich seiner fünf weiteren in Samarra lebenden Schwestern und deren Familienangehörigen berichtete der BF ebenfalls über keinerlei Bedrohung oder Verfolgung, etwa seitens schiitischer Milizen. Es kann damit aber nicht erkannt werden, dass (gerade) der BF bloß aufgrund seiner sunnitischen Glaubensrichtung im Falle einer Rückkehr in den Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wäre.

2.3. Zur relevanten Sicherheitslage im Irak:

2.3.1. Im Hinblick auf die allgemeine Sicherheitslage im Irak wird im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak, Gesamtaktualisierung am 17.3.2020, auszugsweise wie folgt ausgeführt (S. 14 ff):

"Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat […]. Die Sicherheitslage hat sich seitdem verbessert […]. Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete […].

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren […].

[…]

Zur Sicherheitslage im Nord- und Zentralirak:

Der Islamische Staat (IS) ist im Zentralirak nach wie vor am aktivsten […], so sind Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala nach wie vor die Hauptaktionsgebiete der Aufständischen […].

In den sogenannten "umstrittenen Gebieten", die sowohl von der Zentralregierung als auch von der kurdischen Regionalregierung (KRG) beansprucht werden, und wo es zu erheblichen Sicherheitslücken zwischen den zentralstaatlichen und kurdischen Einheiten kommt, verfügt der IS nach wie vor über operative Kapazitäten, um Angriffe, Bombenanschläge, Morde und Entführungen durchzuführen […]. Die Sicherheitsaufgaben in den "umstrittenen Gebieten" werden zwischen der Bundespolizei und den Volksmobilisierungskräften (al-Hashd ash-Sha‘bi/PMF) geteilt […]. Der IS ist fast vollständig in ländliche und gebirgige Regionen zurückgedrängt, in denen es wenig Regierungspräsenz gibt, und wo er de facto die Kontrolle über einige Gebiete insbesondere im Süden von Kirkuk und im zentralen und nordöstlichen Diyala aufgebaut hat […].

Bei den zwischen Bagdad und Erbil "umstrittenen Gebieten" handelt es sich um einen breiten territorialen Gürtel der zwischen dem "arabischen" und "kurdischen" Irak liegt und sich von der iranischen Grenze im mittleren Osten bis zur syrischen Grenze im Nordwesten erstreckt […]. Die "umstrittenen Gebiete" umfassen Gebiete in den Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala. Dies sind die Distrikte Sinjar (Shingal), Tal Afar, Tilkaef, Sheikhan, Hamdaniya und Makhmour, sowie die Subdistrikte Qahtaniya and Bashiqa in Ninewa, der Distrikt Tuz Khurmatu in Salah ad-Din, das gesamte Gouvernement Kirkuk und die Distrikte Khanaqin und Kifri, sowie der Subdistrikt Mandali in Diyala […]. Die Bevölkerung der "umstrittenen Gebiete" ist sehr heterogen und umfasst auch eine Vielzahl unterschiedlicher ethnischer und religiöser Minderheiten, wie Turkmenen, Jesiden, Schabak, Chaldäer, Assyrer und andere. Kurdische Peshmerga eroberten Teile dieser umstrittenen Gebiete vom IS zurück und verteidigten sie, bzw. stießen in das durch den Zerfall der irakischen Armee entstandene Vakuum vor. Als Reaktion auf das kurdische Unabhängigkeitsreferendum im Jahr 2017, das auch die "umstrittenen Gebiete" umfasste, haben die irakischen Streitkräfte diese wieder der kurdischen Kontrolle entzogen […].

[…]

Gouvernement Salah ad-Din

Im Gouvernement Salah ad-Din ist der IS hauptsächlich in ländlichen Regionen aktiv. Im Dezember 2019 setzte der IS erstmals seit Mai 2019 wieder Autobomben ein […]. Drei derartige Attacken trafen Sicherheitskräfte der PMF […], zusätzlich zu einem Vorfall mit einem Selbstmordattentäter mit Sprengstoffweste […].

Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Salah ad-Din 78 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 27 Toten und 42 Verletzten verzeichnet […], im Februar 2020 waren es sechs Vorfälle mit zehn Toten und vier Verletzten […]. Während die übrigen Vorfälle dem IS zugeschrieben werden, werden für zwei Vorfälle im Jänner 2020 - ein Raketen-, bzw. ein Mörserbeschuss auf den Militärstützpunkt Balad - pro-iranische PMF verantwortlich gemacht […]."

2.3.2. Wenngleich die Berichte noch ein durchaus problematisches Bild von der Sicherheitslage im Irak – so auch im Zentralirak – zeichnen, kann daraus nach Ansicht des erkennenden Gerichtes aber nicht abgeleitet werden, dass gleichsam jeder, der dorthin verbracht wird, einer maßgeblichen Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt ist. Die in der Stellungnahme vom 15.6.2020 genannten Berichte stellen die Situation im Irak nicht in einem anderen Licht dar und geht aus dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Zeitungsartikel (Zeit-Online, "Der Terror kehrt zurück" vom 12.5.2020) hervor, dass sich IS-Angriffe im Irak gegen Soldaten und Polizisten, kurdische Peschmerga, schiitische Milizen und Bewaffnete lokaler Stämme richten; eine sich daraus ergebende unmittelbare Gefahr für Zivilpersonen wie den BF ist dem Bericht nicht zu entnehmen. Aus den aktuellen Berichten geht auch nicht hervor, dass der IS tatsächlich wieder Gebiete unter seine Kontrolle gebracht hätte oder sich die Sicherheitslage in einem Ausmaß verschlechtert hätte, dass nunmehr jede Rückverbringung in den Irak eine maßgebliche Gefahr für Leib und Leben der rückverbrachten Personen bedeuten würde.

2.4. Zur Versorgungslage im Irak:

Im Hinblick auf die Grundversorgung im Irak wird im Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 2.3.2020 auszugsweise wie folgt ausgeführt (S. 25):

"Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten. Jenseits des Ölsektors – daraus stammen 90% der Staatseinnahmen – verfügt Irak kaum über eigene Industrie. Der Hauptarbeitgeber ist die öffentliche Hand. Über 4 Mio. der geschätzt 38 Mio. Iraker sind Staatsbedienstete.

[…]

Über die befreiten Gebiete hinaus ist im gesamten Land die durch Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur stark sanierungsbedürftig. Die Versorgungslage ist für ärmere Bevölkerungsschichten schwierig. Nach Angaben der WHO (2014) leben 17% der Bevölkerung unterhalb der internationalen Armutsgrenze (1,90 USD/Tag). Die genannten Defizite werden durch die grassierende Korruption zusätzlich verstärkt.

Die Stromversorgung ist im Vergleich zu der Zeit vor 2003 schlecht. Selbst in Bagdad ist die öffentliche Stromversorgung vor allem in den Sommermonaten häufig unterbrochen. In der RKI erfolgt die Stromversorgung durch Betrieb eigener Kraftwerke, unterliegt jedoch wie in den anderen Regionen Iraks erheblichen Schwankungen und erreicht deutlich weniger als 20 Stunden pro Tag, insbesondere im Sommer und Winter (höherer Verbrauch durch Klimatisierung und Heizperiode).

Die Wasserversorgung leidet unter völlig maroden und teilweise im Krieg zerstörten Leitungen. Sie führen zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr. Hinzu kommt Verschmutzung durch (Industrie-)Abfälle. Im gesamten Land verfügt heute nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über Zugang zu sauberem Wasser. Kritisch wird die Wasserversorgung in den Sommermonaten immer wieder in der Hafenstadt Basra (ca. 2 Mio. Einwohner), die insbesondere im Sommer 2018 unter einer Wasserkrise litt. Über 100.000 Fälle von registrierten Magen-Darm-Erkrankungen waren auf die schlechte Wasserqualität zurückzuführen."

Das Bundesverwaltungsgericht übersieht nicht, dass sich die Versorgungslage im Irak zum Teil als problematisch darstellt; die Berichtslage deutet aber in keiner Weise auf exzeptionelle Umstände, wie Hungersnöte oder andere die gesamte Bevölkerung betreffende Notstandssituationen hin. Es kann im konkreten Fall nicht festgestellt werden, dass konkret der BF im Falle einer Rückkehr in den Irak in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde. Der BF leidet an keinen schweren oder lebensbedrohlichen Erkrankungen (vgl. Verhandlungsschrift S. 8) und ist arbeitsfähig. Er verfügt im Irak bereits über Arbeitserfahrung und sind keine Gründe dafür ersichtlich, weshalb er dort nicht wieder einer Erwerbstätigkeit nachgehen und seinen Lebensunterhalt verdienen könnte. Der BF bezeichnete die wirtschaftliche Situation seiner Familie vor der belangten Behörde als "durchschnittlich", es sei ihnen finanziell "mittelmäßig" gegangen. Der BF besitzt gemeinsam mit seinen Geschwistern das Elternhaus in Samarra (AS 140) und verfügt er mit den dort aufhältigen Schwestern auch über ein soziales Netz von Angehörigen; mit einer seiner Schwestern steht er auch in elektronischem Kontakt. Dass der BF im Fall einer Rückkehr in den Irak unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt wäre oder in eine existenzielle Notlage geraten würde, ist damit nicht erkennbar.

2.5. Zur Situation im Irak im Zusammenhang mit der aktuellen COVID-19-Pandemie:

Der Vollständigkeit halber sei ergänzend angemerkt, dass nicht verkannt wird, dass auch der Irak von der aktuellen, weltweiten COVID-19-Pandemie heimgesucht wird. Aktuell (Stand 20.8.2020) gibt es im Irak 188.802 bestätigte Fälle, wobei davon allerdings bereits 134.369 Personen genesen sind; 6.121 Personen sind bis dato verstorben. Dies bedeutet 4.825 Fälle pro eine Million Menschen (weltweit tagesaktuelle Statistiken abgerufen unter https://news.google.com/covid19/map?hl=de&gl=AT&ceid=AT%3Ade&mid=%2Fm%2F0d05q4). In Relation ist diese Zahl zwar höher als jene in Österreich (2.705 Fälle pro eine Million Menschen), aber nicht in einem grundlegenden Ausmaß und etwa erheblich niedriger als in den stärker betroffenen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, etwa Spanien mit 7.874 oder Schweden mit 8.265 Fällen pro eine Million Menschen. Für den Irak weist die aktuelle Zahl von 4.825 Fällen pro eine Million Menschen – auch im Vergleich zu anderen Staaten in der Region, etwa dem Iran mit 4.203 oder Saudi-Arabien mit 8.846 Fällen pro eine Million Menschen – nicht auf eine völlig außer Kontrolle geratene Ausbreitung des Virus hin. Die Irakische Regierung versuchte insbesondere, die Ausbreitung des Virus durch eine komplette Ausgangssperre für die Zeit zwischen 30.7. und 9.8.2020 einzudämmen (vgl. die aktuellen Hinweise des BMEIA zum Irak, abgerufen am 20.8.2020). Das Bundesverwaltungsgericht tritt den Ausführungen des BF in seiner Stellungnahme vom 15.6.2020 insoweit nicht entgegen, als darin ins Treffen geführt wird, dass das irakische Gesundheitssystem schwach ausgebaut ist und durch das Coronavirus überlastet wird und sich in diesem Zusammenhang auch die Lage für Flüchtlinge als schwierig gestaltet. Im konkreten Fall ist aber zu betonen, dass der 31-jährige BF jüngeren Alters ist und auch keine Vorerkrankungen aufweist; damit ist unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht davon auszugehen, dass er der COVID-19-Risikogruppe angehört. In einer Gesamtbetrachtung kann aus den vorliegenden Statistiken und Berichten nicht abgeleitet werden, dass dem BF im Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aufgrund der derzeitigen Pandemie Gefahr für seine Gesundheit oder gar sein Leben droht.

Soweit in der Stellungnahme vom 15.6.2020 darauf verwiesen wird, dass die Terrorgefahr aufgrund des COVID-19-bedingten Lockdowns zunehme, ist auf die Ausführungen unter Punkt 2.3.2. zu verweisen.

2.6. Zum Privat- und Familienleben des BF in Österreich:

Die getroffenen Feststellungen zum Privat- und Familienleben des BF in Österreich beruhen auf seinen glaubhaften Angaben im erstinstanzlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht sowie auf den vorgelegten Bestätigungen und Schreiben. Dass der BF unbescholten ist, ergibt sich aus einem vom Gericht eingeholten Strafregisterauszug. Von den Deutschkenntnissen des BF konnte sich das Gericht in der mündlichen Verhandlung selbst ein Bild machen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Allgemeine rechtliche Grundlagen:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich entscheidet das Bundesverwaltungsgericht mangels anderer Regelung somit durch Einzelrichter.

Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG durch Erkenntnis zu erledigen.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

3.2. Zu Spruchpunkt A.I.:

3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) – deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben – ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

Unter "Verfolgung" im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen (vgl. bspw. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 5. September 2016, Zl. Ra 2016/19/0074 u.v.a.).

§ 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005 umschreibt "Verfolgung" als jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie), worunter - unter anderem - Handlungen fallen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist. Dazu gehören insbesondere das durch Art. 2 EMRK geschützte Recht auf Leben und das in Art. 3 EMRK niedergelegte Verbot der Folter (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Dezember 2016, Ra 2016/18/0083).

Wie in der Beweiswürdigung ausführlich dargelegt, erwies sich das individuelle Fluchtvorbringen des BF (Verfolgung durch schiitische Milizen) in seiner Gesamtheit als unglaubhaft und ist in dieser Hinsicht auch im Falle der Rückkehr des BF in den Irak eine asylrelevante Verfolgung nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten, sodass die Gewährung von Asyl aus diesem Grunde nicht in Betracht kommt.

Es konnte zudem nicht festgestellt werden, dass dem BF im Irak schon aufgrund seiner sunnitischen Glaubensrichtung eine maßgebliche Verfolgungsgefahr droht, sodass eine Asylgewährung auch in dieser Hinsicht ausscheidet.

Somit war dem BF der Status eines Asylberechtigten nicht zuzuerkennen und ist die Beschwerde insofern spruchgemäß als unbegründet abzuweisen.

3.2.2. Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Nach Abs. 3 dieser Bestimmung sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offensteht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 21. Mai 2019, Ra 2019/19/0006-3, ausgesprochen, dass aus dem Wortlaut des § 8 Abs. 1 AsylG ableitbar ist, dass für die Gewährung subsidiären Schutzes bereits jegliche Gefahr (real risk) einer Verletzung von Art. 3 EMRK an sich, und zwar unabhängig von einer Verursachung von Akteuren oder einer Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt im Herkunftsstaat, ausreicht.

Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt, muss die Sicherheitslage im Irak zwar als problematisch bezeichnet werden; dessen ungeachtet stellt sich die Lage im Irak – hier auch konkret in Samarra – nach Auffassung des erkennenden Gerichtes nicht als dermaßen prekär dar, dass bereits jedwede Rückverbringung dorthin eine Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK bedeuten würde. An dieser Einschätzung vermag im Übrigen auch die aktuelle, weltweite COVID-19-Pandemie nichts zu ändern, wobei auch diesbezüglich auf die im Rahmen der Beweiswürdigung getätigten Ausführungen verwiesen sei.

Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass der BF im Fall einer Rückkehr in den Irak in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde (zu den persönlichen Verhältnissen des BF siehe die Ausführungen unter Punkt 2.4.). In der Rückverbringung des BF in den Irak kann keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung erblickt werden und ergibt sich auch vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie keine besondere Gefährdung des BF.

Unter Berücksichtigung der Länderberichte und der persönlichen Situation des BF ist in einer Gesamtbetrachtung daher nicht zu erkennen, dass er im Falle einer Abschiebung in den Irak in eine ausweglose Lebenssituation geraten oder real Gefahr laufen würde, eine Verletzung seiner durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden, weshalb sein Antrag auf internationalen Schutz auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abzuweisen war.

3.2.3. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird (§ 10 Abs. 1 AsylG 2005). Dies ist von Amts wegen zu prüfen (§ 58 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005).

3.2.3.1. Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten