TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/26 L519 2230469-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.08.2020
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Entscheidungsdatum

26.08.2020

Norm

BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs4
FPG §52 Abs9
FPG §53
FPG §55 Abs4

Spruch

L519 2230469-1/12E

SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG DES AM 01.07.2020 MÜNDLICH VERKÜNDETEN ERKENNTNISSES

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. ZOPF als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. TÜRKEI, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 10.03.2020, Zl. 441068003-190468802, wegen Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 01.07.2020 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe :

I. Verfahrensgang

I.1. Die beschwerdeführende Partei (in weiterer Folge kurz als bP bezeichnet), ist Staatsangehöriger der Republik Türkei.

I.2. Die bP hat am XXXX .2007 in XXXX die österreichische Staatsangehörige XXXX geehelicht.

I.3. Sie ist am XXXX .2008 aus der Türkei ausgereist und hat am 17.03.2020 bei der Bezirkshauptmannschaft XXXX einen befristeten Aufenthaltstitel GC Familienangehöriger gültig vom XXXX 2009 erhalten.

I.4. Am XXXX 2009 wurde ein Sohn geboren.

I.5. Die bP wurde am XXXX .2013 am Bezirksgericht XXXX von Frau XXXX 1974 geschieden.

I.6. In der Zeit vom 20.04.2018 bis 20.11.2018 war die bP via Polizeiinspektion XXXX für die Staatsanwaltschaft XXXX zur Aufenthaltsermittlung wegen eines Vergehens ausgeschrieben.

I.7. Die bP wurde am XXXX 2019 vom BG XXXX wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 1 Monat verurteilt.

I.8. Mit XXXX .2019 wurde vom Landesgericht XXXX nach § 129 StGB wegen Verdachts auf ein Verbrechen über die bP die Untersuchungshaft verhängt und wurde die bP in die Justizanstalt eingeliefert.

I.9. Am XXXX 2019 wurde die bP vom Landesgericht unter Zl. XXXX rechtskräftig mit XXXX 2019 zu einer Freiheitsstrafe von 5 ½ Jahren verurteilt.

I.10. Am XXXX .2020 wurde von der Justizanstalt XXXX , eine Anfrage wegen des fremdenpolizeilichen Status eines Strafgefangenen wegen der Verbüßung der Reststrafe im Heimatland gem.§ 42a EUJzG gestellt.

I.11. Am 16.01.2020 wurde die bP in Anwesenheit eines türkischen Dolmetschers in der JA XXXX niederschriftlich einvernommen und hat insbesondere folgende Angaben gemacht:

1.       Ihre aktuelle wirtschaftliche Lage

2.       Angaben zu Ihrem aktuellen Privat- und Familienleben

3.       Soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet

4.       Ausmass der Bindungen zum Herkunftsstaat

5.       Aktueller Gesundheitszustand

6.       Zustelladresse nach Haftentlassung im Inland

1.       Ich habe immer gearbeitet, max,. 8 Monate bin ich arbeitslos gewesen.

2.       Ich bin geschieden, habe ein Kind. Mein Kind ist jetzt 11 Jahre alt. Ich kann meinen Sohn jederzeit sehen, so habe ich das mit meiner Ex-Frau vereinbart bei der Scheidung. Ich arbeite normalerweise in der Gastronomie und deshalb sehe ich meinen Sohn ca. 2 x in der Woche, wenn es geht den ganzen Tag. Mein Sohn weiß nicht, dass ich in der JA bin, weil er in der Klasse sitzt und sich auf den Schulwechsel ins Sportgymnasium konzentrieren muss. Ich bekomme ev. nächsten Monat Ausgang und habe ich mit meiner Ex-Frau vereinbart, dass ich dann meinen Sohn sehen kann.

3.       Ich bin 2008 nach Österreich gekommen. Ich habe die Prüfung A1 abgelegt. Ich besuche den Alevitischen Kulturverein auf der XXXX , bin aber dort kein Mitglied. Ich treffe mich nicht oft, aber wenn z.B. jemand gestorben ist, gehe ich mit. Ansonsten bin ich nirgends Mitglied. Integration habe ich nur wegen der Deutschprüfung. Wegen der Arbeit habe ich zu wenig Zeit.

4.       Meine Mutter lebt noch in der Türkei. Mein Vater ist gestorben. Ich habe einen Schwester und 4 Brüder in der Türkei, habe aber keinen Kontakt zu Ihnen. Meine Mutter lebt mit meinem älteren Bruder zusammen. Letztes Jahr im Februar 2019 ist die Schwester meiner Ex-Frau gestorben und sind wir deshalb in die Türkei gereist und haben die Mama besucht.

5.       Sehr gut

6.       Ich habe immer Unterkunft in der Gastronomie bei der Arbeit gehabt. Aber die Adresse kann ich angeben. XXXX )

Frage: Was war der Grund für Ihren Aufenthalt in Österreich?

Antwort: Ich bin wegen meiner Frau nach Österreich gekommen. Ich habe in der Türkei geheiratet und habe dann ein Visum bekommen.

Frage: Sie sind geschieden. Haben Sie eine Lebensgefährtin?

Antwort: Ich bin geschieden. Ich lebe alleine.

Frage: Haben Sie Kinder? Für wen sind sie sorgepflichtig? Für Ihrer geschiedene Frau, für Ihr Kind (er)?

Antwort: Ja ich habe einen Sohn. Ich muss für ihn Unterhalt zahlen. Für meine Frau bin ich nicht unterhaltspflichtig.

Frage: Sie haben einen Antrag auf § 42 EU-JZG in der JA Ibk. gestellt. Wo wollen Sie Ihre Strafe verbüßen?

Antwort: Ich möchte hier bleiben, in der Justizanstalt XXXX , weil ich hier meinen Sohn habe.

Frage: Wollen Sie freiwillig nach Ihrer Haftentlassung in Ihren Herkunftsstaat Türkei zurückzureisen?

Antwort: Freiwillig gehe ich nicht. Ich will nicht. Es gibt Probleme dahingehend, da ich Alevitischen Glaubens bin und kurdischer Abstammung bin. Meine Mutter und meine Geschwister in der Türkei haben auch Probleme mit der Behörde. Es ist arbeitsmäßig schwer zu Leben. Wenn man Arbeit findet, dann verdient man wenig.

Vorhalt: Sie werden darüber in Kenntnis gesetzt, dass eine Rückkehrentscheidung gegen Sie beabsichtig ist und geplant ist, Sie in Ihren Herkunftsstaat abzuschieben. Möchten Sie dazu eine Stellungnahme abgeben?

Antwort: Ich sehe ein, dass ich einen Fehler gemacht habe, aber ich will nicht zurück gehen in die Türkei. Ich vollziehe meine Strafe in Österreich.

F: Wissen Sie über die aktuelle Situation in Ihrem Herkunftsstaat Bescheid?

Antwort: Sicher, ich bin immer politisch auf dem Laufenden, das ist in meinem Blut drinnen.

Frage: Wollen Sie dazu Stellung nehmen.

Antwort: Ich habe rk. 5 Jahre und 6 Monate Strafe bekommen und bin in Strafhaft. Egal was passiert. Ich möchte nicht in die Türkei zurück gehen. Mein Sohn ist da und auch wegen der politischen Lage möchte ich zurückgehen. Ich stelle hier und jetzt keinen Asylantrag, ich bin normal als Arbeiter nach Österreich gekommen und habe 13 Jahre hier gearbeitet.

I.12. Am 27.01.2020 wurde der bP ein Kostenmandatsbescheid in der Höhe von 284,40 Euro und ein Vollstreckungsbescheid vom 27.01.2020 in der Höhe von 81,18 Euro zugestellt.

I.13. Am 31.01.2020 wurde von der Justizanstalt eine Urgenz betr. des Antrages gem. § 42 EU-JZG - Verbüßung der Reststrafe im Heimatland an das BFA übermittelt.

I.14. Es wurden von der belangten Behörde (bB) ergebnislose Ermittlungen hinsichtlich Verwaltungsvorstrafen der bP unternommen.

I.15. Es wurde mit 04.03.2020 die Besucherliste der bP in der JA übermittelt und wurde zudem mitgeteilt, dass der bP bislang keine Ausgänge gewährt wurden.

I.16. Mit dem im Spruch genannten Bescheid wurde gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig ist. Gemäß § 53 FPG wurde in Bezug auf die bP ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen. Gem. § 18 Abs. 2 Z. 1 BFA-VG wurde die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung aberkannt. Gem. § 55 Abs. 4 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt.

Von der belangten Behörde (bB) wurde der Inhalt der Akte, die Verurteilungen der verschiedenen Gerichte, eine Besucherliste der Justizanstalt, Auszüge aus der BM.I Anfrage-Plattform (KPA, IZR, SA, ZMR, AJ-WEB), die Anfragebeantwortungen hinsichtlich der Verwaltungsstrafen und die Einvernahme zugrunde gelegt.

Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die belangte Behörde das Verhalten der bP als schwerwiegende und gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und sei aus diesem Grund die Erlassung von Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbotes geboten. Die bP würde zwar familiäre und sonstige Bindungen zu Österreich aufweisen, die schwere Straffälligkeit würde im Rahmen der Interessensabwägung jedoch eine Aufenthaltsbeendigung rechtfertigen.

Zur abschieberelevanten Lage in der Republik Türkei traf die belangte Behörde Feststellungen und ging die Behörde davon aus, dass nichts gegen eine Rückkehr in die Heimat spricht.

Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass die Rückkehrentscheidung keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK darstelle und aufgrund der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ein Einreiseverbot zu erlassen sei.

I.17. Gegen den Bescheid des BFA wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben und angeregt, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung unter Berücksichtigung der Judikatur des EuGH in der Rechtssache Gnadi zuzuerkennen.

Ausgeführt wurde, dass die Interessensabwägung zu Gunsten der bP ausfallen hätte müssen und insbesondere die Beziehung zum Sohn nicht entsprechend berücksichtigt worden sei. Auch die Ausführungen zur Gefährdungsprognose im Zusammenhang mit dem Einreiseverbot seien mangelhaft. Die bP sei reumütig und schuldeinsichtig und wolle sich in Zukunft auf die Familie fokussieren. Ein unbefristetes Einreiseverbot sei zudem nicht notwendig und sei das Einreiseverbot zu beheben bzw. herabzusetzen.

I.18. Die Beschwerdevorlage langte am 23.04.2020 beim BVwG ein.

I.19. Aufgrund der Anfrage durch das BVwG langte eine Besucherliste aus der JA ein.

I.20. Für den 01.07.2020 lud das erkennende Gericht die Verfahrensparteien zu einer mündlichen Beschwerdeverhandlung. Die Ex-Ehegattin der bP wurde als Zeugin einvernommen und wurde der Sachverhalt erörtert.

Vorgelegt wurde:

?        Telefonliste aus der JA

Nach Durchführung der mündlichen Verhandlung wurde das Erkenntnis des BVwG vom selben Tag mündlich verkündet.

Die Beschwerde wurde abgewiesen.

Die bP wurde iSd § 29 Abs. 2 a VwGVG über das Recht, binnen zwei Wochen nach Ausfolgung bzw. Zustellung der Niederschrift eine Ausfertigung gemäß § 29 Abs. 4 zu verlangen bzw. darüber, dass ein Antrag auf Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß § 29 Abs. 4 eine Voraussetzung für die Zulässigkeit der Revision beim Verwaltungsgerichtshof und der Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof darstellt, belehrt.

Nach Verkündung des Erkenntnisses wurde der bP sowie deren rechtsfreundlicher Vertretung eine Ausfertigung der Niederschrift ausgefolgt.

I.21. Mit Schreiben vom 07.07.2020 wurde die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses begehrt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

II.1.1. Die beschwerdeführende Partei

Bei der bP handelt es sich um einen türkischen Staatsangehörigen, welcher in XXXX geboren wurde und sich zum Alevitentum bekennt. Die Identität der bP steht fest.

Die bP verfügt über einen vom türkischen Konsulat in Österreich ausgestellten, von November 2014 bis November 2024 gültigen Reisepass, in welchem Einreisestempel aus der Türkei aus den Jahren 2016, 2017 und 2019 aufscheinen.

In der Türkei hat sie von 1994 – 2008 in der Gastronomie gearbeitet.

Sie ist nach der Hochzeit mit einer österreichischen Staatsangehörigen türkischer Herkunft in der Türkei in Österreich eingereist und gelangte am XXXX 2008 erstmalig im Bundesgebiet mit Hauptwohnsitz zur Anmeldung. Sie hat in Folge einen befristeten Aufenthaltstitel GC Familienangehöriger gültig vom XXXX 2009 erhalten. Dieser Aufenthaltstitel wurde in der Folge verlängert und erhielt sie mit 13.11.2013 eine Rot-Weiß-Rot Karte plus, welche ebenfalls in der Folge verlängert wurde.

Der am XXXX 2013 geschiedenen Ehe entstammt der Sohn XXXX 2009, welcher demnächst in ein Sportgymnasium wechselt. Die alleinige Obsorge für das Kind liegt bei der Mutter, welcher Unterhaltsvorschuss gewährt wurde und die einer Beschäftigung nachgeht. Die bP hat ihren Sohn vor der Inhaftierung sporadisch spontan gesehen, wobei sie manchmal über Monate hinweg keinen Kontakt zum Sohn hatte. Der Kontakt war schon vor der Haft unregelmäßig, die bP hat sich manchmal nur einmal im Monat und einmal sogar 6-7 Monate überhaupt nicht beim Kind gemeldet. Der letzte persönliche Kontakt zwischen Vater und Sohn erfolgte im Februar 2019 als Exfrau, bP und das Kind gemeinsam bei einer Beerdigung in der Türkei waren.

Die bP hat noch keinen Ausgang aus der seit XXXX 2019 bestehenden Haft erhalten und daher seit damals lediglich telefonischen Kontakt mit dem Sohn. Der Sohn hat keine Kenntnis von der Straftat und Haft der bP.

Laut der Besucherliste der Justizanstalt wurde die bP neben Besuchen von Rechtsanwälten und der Diakonie bisher von der Ex-Frau fünf Mal und einmal von Frau XXXX besucht. Ihr Sohn hat wie von Ihnen angegeben keine Kenntnis über Ihren Aufenthalt in der Justizanstalt XXXX und scheint er auch nicht in der Besucherliste auf.

Errechnete Haftentlassungstermine sind: ½ 03.05.2022, 2/3 07.04.2023 bzw. 18.02.2025.

Die bP besitzt kein Vermögen und belaufen sich ihre Schulden auf ca. EUR 50.000, welche sich aus Spielschulden, Kreditschulden und Unterhaltsrückständen zusammensetzen.

Von 05.12.2014 bis 05.10.2015 sowie von 23.03.2018 bis 30.07.2018 war die bP im Bundesgebiet nicht gemeldet.

In der Zeit vom 20.04.2018 bis 20.11.2018 war sie für die Staatsanwaltschaft zur Aufenthaltsermittlung wegen Vergehens ausgeschrieben.

Derzeit ist die bP als Hausarbeiter in Haft beschäftigt und erhält ca. 300 – 300 Eur. Die bP war in Österreich zwischen Juni 2008 und Juli 2019 für insgesamt fast 9 Jahre - teilweise geringfügig - beschäftigt, teilweise bezog sie Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe. Im AJ-WEB scheinen Versicherungszeiten als Arbeiter bei verschiedenen Arbeitgebern auf.

Es werden hierzu die Feststellungen im erstinstanzlichen Bescheid wiedergegeben:

XXXX

In Österreich leben die Schwägerin und zwei Onkel der bP mit ihren Familien, mit welchem sie nur sporadisch – ca. 1x im Jahr - Kontakt hat.

Die bP lebte nach der Scheidung nicht mehr in gemeinsamen Haushalt mit Kind oder Ehegattin.

In der Türkei leben die Mutter und 5 Geschwister der bP. Die Mutter wohnt mit einem Bruder in einem Haus. 2019 war die bP das letzte Mal gemeinsam mit dem Kind und der Ex-Gattin in der Türkei. Zuvor verbrachte sie Urlaube in der Türkei bzw. ging sie auf Hochzeiten und Beerdigungen, wobei sie jeweils bei verschiedenen Verwandten Unterkunft nahm. Die Geschwister der bP gehen alle in der Türkei arbeiten nach und leben dort mit ihren Familien.

Am XXXX 2020 wurde von der Justizanstalt eine Anfrage wegen des fremdenpolizeilichen Status eines Strafgefangenen wegen der Verbüßung der Reststrafe im Heimatland gem.§ 42a EUJzG gestellt. Demnach hat die bP einen Antrag auf Übernahme der Strafvollstreckung EU gem. § 42 EU-JZG beim BMVDRJ eingebracht.

Die bP möchte offensichtlich ihr künftiges Leben in Österreich gestalten und spricht Türkisch, Kurdisch und Deutsch. Sie hat die Deutschprüfung A1 absolviert und spricht gut Deutsch. Eine besondere, berücksichtigungswürdige Abhängigkeit zu Personen in Österreich, insbesondere gegenüber dem Kind besteht nicht.

Die bP ist ein junger, gesunder, arbeitsfähiger Mann mit Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und einer –wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich- gesicherten Existenzgrundlage.

Es liegen keine besonderen sozialen Kontakte in Österreich vor. Die bP ist in keinem Verein Mitglied und besucht lediglich zeitweise einen alevitischen Verein.

II.1.2. Strafrechtsrelevantes Verhalten

Aus dem Abschlussbericht der Polizei hinsichtlich der drei zur späteren Verurteilung führenden Fakten geht hervor, dass die bP auch während der Untersuchungshaft noch nicht geständig in Bezug auf die Straftaten war und selbst bei der Konfrontation mit den DNA- Treffern neuerlich angab, die Taten nicht begangen zu haben.

Im Strafregister scheinen folgende Eintragungen auf (Ergänzungen aus den Inhalten der Urteile):

II.1.2.1.

Die bP wurde vom Bezirksgericht XXXX wegen § 198 StGB (Verletzung der Unterhaltspflicht) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 1 Monat verurteilt, Probezeit 3 Jahre, welche mit XXXX 2019 widerrufen wurde.

Demnach hat die bP in den Zeiträumen zwischen Juni 2017 bis September 2017, von Dezember 2017 bis Juni 2018 sowie von September 2018 bis Oktober 2018 keinerlei oder nur unzureichende Unterhaltszahlungen geleistet und dadurch bewirkt, dass der Unterhalt der Unterhaltsberechtigten gefährdet wird oder ohne Hilfe von anderer Seite gefährdet wäre.

Es wurde kein besonderer Grund als erschwerend angenommen und die Unbescholtenheit als mildernd festgehalten.

II.1.2.2.

Die bP wurde mit Urteil vom XXXX 2019 vom des XXXX wegen Begehung des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten Diebstahles durch Einbruch nach §§ 127, 129 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 Z 1, 15 StGB und das Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 1 zweiter Fall, Abs. 2 erster Fall StGB in Anwendung des § 28 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 5 ½ Jahren verurteilt.

Demnach hat die bP im August 2018 in den Verkaufsraum des Geschäftes XXXX eingebrochen, indem sie die Hintereingangstüre mit einem Werkzeug aufbrach und das Bargeld aus der in der Geldlade unversperrten Registrierkassa wegnahm.

Zudem hat sie am XXXX 2018 bei ihrem früheren Arbeitgeber Gasthaus XXXX durch Einbruch in das Gebäude die Türe zu einem Lagerraum mit einem Stemmeisen aufgebrochen und mit dort vorgefundenen Schlüsseln mehrere Türen zum Hausflur und zur Gaststube aufgesperrt und die Räumlichkeiten nach Wertgegenständen durchsucht, wobei sie von Hausgästen gestört wurde und die Tat deshalb beim Versuch blieb.

Insbesondere hat die bP am XXXX 2019 vermummt mit Mütze und Schal in XXXX einer Tankstellenangestellten Bargeld in Höhe von 710,-- Euro abgenötigt, indem sie durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben (§ 89), nämlich unter Vorhalt eines Messers mit einer Klingenlänge von 32 cm die Angestellte durch die mehrfache Äußerung „das ganze Geld her“ , zur Herausgabe von Bargeld aufforderte, sowie durch Gewaltanwendung, indem sie hinter das Verkaufspult zu gelangen versuchte und dabei, indem sie die Genannte durch heftiges Drücken gegen ein Regal zu Sturz brachte, eine schwere und mit länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung verbundene Körperverletzung (Ruptur des Außenbandes des oberen Sprunggelenks) verursacht.

Der Privatbeteiligten wurde ein Teilschmerzensgeldbetrag von 1.000,- Euro zugesprochen.

Das Gericht nahm insbesondere nachstehenden Sachverhalt als erwiesen an:

Die bP wollte sich durch das Verbrechen des schweren Raubes bereichern und hielt es ernsthaft für möglich, dass sie durch ihr Verhalten die Tankstellenangestellte am Körper verletzen kann. Den Feststellungen wurde die geständige Verantwortung der bP, ein DNA-Gutachten sowie eine Videoaufzeichnung der Tankstelle und die Aussage der Geschädigten zugrunde gelegt.

Bei der Strafzumessung wurde erschwerend das Zusammentreffen von 2 Verbrechen und die Vorstrafe gewertet. Mildernd die geständige Verantwortung und der Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist. Zudem wurde das Verhältnis der ersten beiden Straftaten zur Verurteilung durch das BG XXXX mildernd gewertet.

Der Widerruf der bedingten Verurteilung wurde damit begründet, dass die bP während der Probezeit relativ rasch neuerlich strafbare Handlungen begangen hat und die Vollziehung dieser Strafe nunmehr notwendig erschien, um die bP von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abzuhalten.

II.1.3. Die Lage im Herkunftsstaat im Herkunftsstaat Türkei

Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat schließt sich das BVwG den Feststellungen der bB an.

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Türkei
Stand: November 2019

Politische Lage

Die Türkei ist eine Präsidialrepublik und laut Art. 2 ihrer Verfassung ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat auf der Grundlage öffentlichen Friedens, nationaler Solidarität, Gerechtigkeit und der Menschenrechte. Staats- und Regierungschef ist seit Einführung des präsidialen Regierungssystems am 9.7.2018 der Staatspräsident, der die politischen Geschäfte führt (AA 14.6.2019). Diese Entwicklung wurde mit der Parlaments- und Präsidentschaftswahl im Juni 2018 abgeschlossen, u.a. wurde das Amt des Ministerpräsidenten abgeschafft (bpb 9.7.2018).

Die Venedig Kommission des Europarates zeigte sich in einer Stellungnahme zu den Verfassungsänderungen besorgt, da mehrere Kompetenzverschiebungen zugunsten des Präsidentenamtes die Gewaltenteilung gefährden, und die Verfassungsänderungen die Kontrolle der Exekutive über Gerichtsbarkeit und Staatsanwaltschaft in problematischerweise verstärken würden. Ohne Gewaltenkontrolle würde sich das Präsidialsystem zu einem autoritären System entwickeln (CoE-VC 13.7.2017).

Der Präsident wird für eine Amtszeit von fünf Jahren direkt gewählt und kann bis zu zwei Amtszeiten innehaben, mit der Möglichkeit einer dritten Amtszeit, wenn während der zweiten Amtszeit vorgezogene Präsidentschaftswahlen ausgerufen werden. Erhält kein Kandidat in der ersten Runde die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen, findet zwei Wochen später eine Stichwahl zwischen den beiden stimmenstärksten Kandidaten statt. Die 600 Mitglieder des Einkammerparlaments werden durch ein proportionales System mit geschlossenen Parteienlisten bzw. unabhängigen Kandidaten in 87 Wahlkreisen für eine Amtszeit von fünf (vor der Verfassungsänderung vier) Jahren gewählt. Wahlkoalitionen sind erlaubt. Die Zehn-Prozent-Hürde, die höchste unter den OSZE-Mitgliedstaaten, wurde trotz der langjährigen Empfehlung internationaler Organisationen und der Rechtsprechung des EGMR nicht gesenkt. Die unter Militärherrschaft verabschiedete Verfassung garantiert die Grundrechte und -freiheiten nicht ausreichend, da sie sich auf Verbote zum Schutze des Staates konzentriert und es der Gesetzgebung erlaubt, weitere unangemessene Einschränkungen festzulegen. Die Vereinigungs-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit und das Wahlrecht selbst werden durch die Verfassung und die Gesetzgebung übermäßig eingeschränkt (OSCE/ODIHR 21.9.2018).

Am 16.4.2017 stimmten 51,4% der türkischen Wählerschaft für die von der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) initiierte und von der rechts-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) unterstützte Verfassungsänderung im Sinne eines exekutiven Präsidialsystems (OSCE 22.6.2017, vgl. HDN 16.4.2017). Die gemeinsame Beobachtungsmisson der OSZE und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) kritisierte die ungleichen Wettbewerbsbedingungen beim Referendum. Einschränkungen von grundlegenden Freiheiten aufgrund des Ausnahmezustands hatten negative Auswirkungen. Im Vorfeld des Referendums wurden Journalisten und Gegner der Verfassungsänderung behindert, verhaftet und fallweise physisch attackiert. Mehrere hochrangige Politiker und Beamte, darunter der Staatspräsident und der Regierungschef setzten die Unterstützer der Nein-Kampagne mit Terrorsympathisanten oder Unterstützern des Putschversuchs vom Juli 2016 gleich (OSCE/PACE 17.4.2017).

Bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen am 24.6.2018 errang Amtsinhaber Recep Tayyip Erdo?an mit 52,6% der Stimmen bereits im ersten Wahlgang die nötige absolute Mehrheit für die Wiederwahl. Bei den gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen erhielt die regierende AKP 42,6% der Stimmen und 295 der 600 Sitze im Parlament. Zwar verlor die AKP die absolute Mehrheit, doch durch ein Wahlbündnis mit der rechts-nationalistischen MHP unter dem Namen „Volksbündnis“ verfügt sie über eine Mehrheit im Parlament. Die kemalistisch-sekuläre Republikanische Volkspartei (CHP) gewann 22,6% bzw. 146 Sitze und ihr Wahlbündnispartner, die national-konservative ?yi-Partei, eine Abspaltung der MHP, 10% bzw. 43 Mandate. Drittstärkste Partei wurde die pro-kurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) mit 11,7% und 67 Mandaten (HDN 26.6.2018). Trotz einer echten Auswahl bestand keine Chancengleichheit zwischen den kandidierenden Parteien. Der amtierende Präsident und seine AKP genossen einen beachtlichen Vorteil, der sich auch in einer übermäßigen Berichterstattung der staatlichen und privaten Medien zu ihren Gunsten widerspiegelte. Zudem missbrauchte die regierende AKP staatliche Verwaltungsressourcen für den Wahlkampf. Der restriktive Rechtsrahmen und die unter dem geltenden Ausnahmezustand gewährten Machtbefugnisse schränkten die Versammlungs- und Meinungsfreiheit, auch in den Medien, ein. Der Wahlkampf fand in einem stark polarisierten politischen Umfeld statt (OSCE/ODIHR 21.9.2018).

Am 23.6.2019 fand in Istanbul die Wiederholung der Bürgermeisterwahl statt. Diese war von nationaler Bedeutung, da ein Fünftel der türkischen Bevölkerung in Istanbul lebt und die Stadt ein Drittel des Bruttonationalproduktes erwirtschaftet (NZZ 23.6.2019). Bei der ersten Wahl am 31. März hatte der Kandidat der oppositionellen CHP, Ekrem ?mamo?lu, mit einem hauchdünnen Vorsprung von 13.000 Stimmen gewonnen. Die regierende AKP hatte jedoch das Ergebnis angefochten, sodass die Hohe Wahlkommission am 6. Mai schließlich die Wahl wegen formaler Fehler bei der Besetzung einiger Wahlkomitees annullierte (FAZ 23.6.2019, vgl. Standard 23.6.2019). ?mamo?lu gewann die wiederholte Wahl mit 54%. Der Kandidat der AKP, Ex-Premierminister Binali Y?ld?r?m, erreichte 45% (Anadolu 23.6.2019). Die CHP löste damit die AKP nach einem Vierteljahrhundert von der Macht in Istanbul ab (FAZ 23.6.2019). Bei den Lokalwahlen vom 30.3.2019 hatte die AKP von Staatspräsident Erdo?an bereits die Hauptstadt Ankara (nach 20 Jahren) sowie die Großstädte Adana, Antalya und Mersin an die Opposition verloren. Ein wichtiger Faktor war der Umstand, dass die pro-kurdische HDP auf eine Kandidatur im Westen des Landes verzichtete (Standard 1.4.2019) und deren inhaftierter Vorsitzende, Selahattin Demirta?, auch bei der Wahlwiederholung seine Unterstützung für ?mamo?lu betonte (NZZ 23.6.2019).

Trotz der Aufhebung des Ausnahmezustands sind viele seiner Verordnungen in die ordentliche Gesetzgebung aufgenommen worden. Das neue Präsidialsystem hat etliche der bisher bestehenden Elemente der Gewaltenteilung aufgehoben und die Rolle des Parlaments geschwächt. Dies hat zu einer stärkeren Politisierung der öffentlichen Verwaltung und der Justiz geführt. Der Präsident hat die Befugnis hochrangige Regierungsbeamte zu ernennen und zu entlassen, die nationale Sicherheitspolitik festzulegen und die erforderlichen Durchführungsmaßnahmen zu ergreifen, den Ausnahmezustand auszurufen; Präsidialerlässe zu Exekutivangelegenheiten außerhalb des Gesetzes zu erlassen, das Parlament indirekt aufzulösen, indem er Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ausruft, das Regierungsbudget zu erstellen; gegen Gesetze Veto einzulegen, und vier von 13 Mitgliedern des Rates der Richter und Staatsanwälte sowie zwölf von 15 Richtern des Verfassungsgerichtshofes zu ernennen. Die traditionellen Instrumente des Parlaments zur Kontrolle der Exekutive, wie z.B. ein Vertrauensvotum und die Möglichkeit mündlicher Anfragen an die Regierung, sind nicht mehr möglich. Nur schriftliche Anfragen können an Vizepräsidenten und Minister gerichtet werden. Wenn drei Fünftel des Parlamentes zustimmen, kann dieses eine parlamentarische Untersuchung mutmaßlicher strafrechtlicher Handlungen des Präsidenten, der Vizepräsidenten und der Minister im Zusammenhang mit ihren Aufgaben einleiten. Der Grundsatz des Vorrangs von Gesetzen vor Präsidialerlässen ist im neuen System verankert. Der Präsident darf keine Dekrete in Bereichen erlassen, die durch die Verfassung der Legislative vorbehalten sind. Der Präsident hat jedoch das Recht, gegen jedes Gesetz ein Veto einzulegen, obgleich das Parlament mit absoluter Mehrheit ein solches Veto außer Kraft setzen kann, während das Parlament nur beim Verfassungsgericht die Nichtigkeitserklärung von Präsidialerlässen beantragen kann. Mehrere Schlüsselinstitutionen, wie der Generalstab, der Nationale Nachrichtendienst, der Nationale Sicherheitsrat und der Souveräne Wohlfahrtsfonds, sind inzwischen dem Büro des Präsidenten angegliedert worden (EC 29.5.2019).

Zunehmende politische Polarisierung, insbesondere im Vorfeld der Gemeinderatswahlen vom März 2019, verhindert weiterhin einen konstruktiven parlamentarischen Dialog. Die Marginalisierung der Opposition, insbesondere der Demokratischen Partei der Völker (HDP), hält an. Viele der HDP-Abgeordneten sowie deren beide ehemaligen Ko-Vorsitzende befinden sich nach wie vor in Haft. Laut europäischer Kommission muss die parlamentarische Immunität gestärkt werden, um die Meinungsfreiheit der Abgeordneten zu gewährleisten (EC 29.5.2019).

Nach dem Ende des Ausnahmezustandes am 18.7.2018 verabschiedete das Parlament ein Gesetzespaket mit Anti-Terrormaßnahmen, das vorerst auf drei Jahre befristet ist (NZZ 18.7.2018; vgl. ZO 25.7.2018). In 27 Paragrafen wird geregelt, wie der Staat den Kampf gegen den Terror auch im Normalzustand weiterführen will. So behalten die Gouverneure einen Teil ihrer Befugnisse aus dem Ausnahmezustand. Sie dürfen weiterhin Menschen bei Verdacht, dass sie "die öffentliche Ordnung oder Sicherheit stören", bis zu 15 Tage den Zugang zu bestimmten Orten und Regionen verwehren und die Versammlungsfreiheit einschränken. Der neue Gesetzestext regelt im Detail, wie Richter, Sicherheitskräfte oder Ministeriumsmitarbeiter entlassen werden können (ZO 25.7.2018).

Mehr als 152.000 Beamte, darunter Akademiker, Lehrer, Polizisten, Gesundheitspersonal, Richter und Staatsanwälte, wurden durch Notverordnungen entlassen. Mehr als 150.000 Personen wurden während des Ausnahmezustands in Gewahrsam genommen und mehr als 78.000 wegen Terrorismusbezug verhaftet, von denen 50.000 noch im Gefängnis sitzen (EC 29.5.2019). Die rund 50.000 wegen Terrorbezug Inhaftierten machen 17% aller Gefängnisinsassen aus (AM 4.12.2018).

[siehe auch: 4. Rechtsschutz/Justizwesen, 5.Sicherheitsbhörden und 3.1. Gülen- oder Hizmet-Bewegung]

Quellen:

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?        Anadolu Agency (23.6.2019): CHP's Imamoglu wins Istanbul’s mayoral poll, https://www.aa.com.tr/en/politics/chps-imamoglu-wins-istanbul-s-mayoral-poll/1513613, Zugriff 4.10.2019

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?        EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf, Zugriff 3.10.2019

?        FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (23.6.2019): Erdogan gratuliert Imamoglu zum Wahlsieg in Istanbul, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/wieder-niederlage-fuer-erdogans-akp-in-istanbul-16250529.html, Zugriff 4.10.2019

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?        NZZ – Neue Zürcher Zeitung (18.7.2018): Wie es in der Türkei nach dem Ende des Ausnahmezustands weiter geht, https://www.nzz.ch/international/tuerkei-wie-es-nach-dem-ende-des-ausnahmezustands-weitergeht-ld.1404273, Zugriff 4.10.2019

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?        Der Standard (1.4.2019): Erdo?ans AKP verliert bei türkischer Kommunalwahl die Großstädte, https://derstandard.at/2000100581333/Erdogans-AKP-verliert-die-tuerkischen-Grossstaedte, Zugriff 4.10.2019

?        Der Standard (23.6.2019): Opposition gewinnt Wahlwiederholung in Istanbul, https://derstandard.at/2000105305388/Imamoglu-bei-Auszaehlung-der-Wahlwiederholung-in-Istanbul-in-Fuehrungin-Istanbul, Zugriff 4.10.2019

?        ZO - Zeit Online (25.7.2018): Türkei verabschiedet Antiterrorgesetz, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-07/tuerkisches-parlament-verabschiedung-neue-gesetze-anti-terror-massnahmen, Zugriff 4.10.2019

Sicherheitslage

Im Juli 2015 flammte der bewaffnete Konflikt zwischen Sicherheitskräften und der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) wieder auf; der sog. Lösungsprozess kam zum Erliegen. Die Türkei musste zudem von Sommer 2015 bis Ende 2017 eine der tödlichsten Serien terroristischer Anschläge ihrer Geschichte verkraften. Sie war dabei einer dreifachen Bedrohung durch Terroranschläge der PKK (bzw. ihrer Ableger), des sogenannten Islamischen Staates sowie – in sehr viel geringerem Ausmaß – auch linksextremistischer Gruppierungen, wie der Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C), ausgesetzt. Die Intensität des Konflikts mit der PKK innerhalb des türkischen Staatsgebiets hat aber seit Spätsommer 2016 nachgelassen (AA 14.6.2019). Dennoch ist die Situation im Südosten trotz eines verbesserten Sicherheitsumfelds weiterhin angespannt. Die Regierung setzte die Sicherheitsmaßnahmen gegen die PKK und mit ihr verbundenen Gruppen fort (EC 25.9.2019). Laut der türkischen Menschenrechtsvereinigung (IHD) kamen 2018 bei bewaffneten Auseinandersetzungen 502 Personen ums Leben, davon 107 Sicherheitskräfte, 391 bewaffnete Militante und vier Zivilisten (IHD 19.4.2019). 2017 betrug die Zahl der Todesopfer 656 (IHD 24.5.2018) und 2016, am Höhepunkt der bewaffneten Auseinandersetzungen, 1.757 (IHD 1.2.2017). Die International Crisis Group zählte 2018 sogar 603 Personen, die ums Leben kamen. Von Jänner bis September 2019 kamen 361 Personen ums Leben (ICG 4.10.2019). Bislang gab es keine sichtbaren Entwicklungen bei der Wiederaufnahme eines glaubwürdigen politischen Prozesses zur Erreichung einer friedlichen und nachhaltigen Lösung (EC 29.5.2019).

Die innenpolitischen Spannungen und die bewaffneten Konflikte in den Nachbarländern Syrien und Irak haben Auswirkungen auf die Sicherheitslage (EDA 4.10.2019). Im Grenzgebiet der Türkei zu Syrien und Irak, insbesondere in Diyarbak?r, Cizre, Silopi, Idil, Yüksekova und Nusaybin sowie generell in den Provinzen Mardin, ??rnak und Hakkâri bestehen erhebliche Gefahren durch angrenzende Auseinandersetzungen. In den Provinzen Hatay, Kilis, Gaziantep, ?anl?urfa, Diyarbak?r, Mardin, Batman, Bitlis, Bingöl, Siirt, Mu?, Tunceli, ??rnak, Hakkâri und Van besteht ein erhöhtes Risiko. In den genannten Gebieten werden immer wieder „zeitweilige Sicherheitszonen“ eingerichtet und regionale Ausgangssperren verhängt. Zur Einrichtung von Sicherheitszonen und Verhängung von Ausgangssperren kam es bisher insbesondere im Gebiet südöstlich von Hakkâri entlang der Grenze zum Irak sowie in Diyarbak?r und Umgebung sowie südöstlich der Ortschaft Cizre (Dreiländereck Türkei-Syrien-Irak), aber auch in den Provinzen Gaziantep, Kilis, Urfa, Hakkâri, Batman und A?r? (AA 8.10.2019a). Das BMEIA sieht ein hohes Sicherheitsrisiko in den Provinzen A?r?, Batman, Bingöl, Bitlis, Diyarbak?r, Gaziantep, Hakkari, Kilis, Mardin, ?anl?urfa, Siirt, ??rnak, Tunceli und Van, wo es immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen mit zahlreichen Todesopfern und Verletzten kommt. Ein erhöhtes Sicherheitsrisiko gilt im Rest des Landes (BMEIA 4.10.2019).

Die Sicherheitskräfte verfügen auch nach Beendigung des Ausnahmezustandes weiterhin über die Möglichkeit, die Bewegungs- und Versammlungsfreiheit einzuschränken sowie kurzfristig lokale Ausgangssperren zu verhängen (EDA 4.10.2019).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_%28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf, Zugriff 8.10.2019

?        AA – Auswärtiges Amt (8.11.2019a): Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tuerkei-node/tuerkeisicherheit/201962#content_1, Zugriff 8.10.2019

?        BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (8.11.2019): Türkei – Sicherheit und Kriminalität, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/tuerkei/, Zugriff 8.10.2019

?        EC - European Commission (29.5.2019): Turkey 2019 Report [SWD(2019) 220 final], https://www.ecoi.net/en/file/local/2010472/20190529-turkey-report.pdf, Zugriff 3.10.2019

?        EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (4.10.2019): Reisehinweise Türkei, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/tuerkei/reisehinweise-fuerdietuerkei.html, Zugriff 4.10.2019

?        IHD – Human Rights Association - ?nsan Haklar? Derne?i (1.2.2017): IHD’s 2016 Report on Human Rights Violations in Eastern and Southeastern Anatolia Region, https://ihd.org.tr/en/ihds-2016-report-on-human-rights-violations-in-eastern-and-southeastern-anatolia/, Zugriff 4.10.2019

?        IHD – Human Rights Association - ?nsan Haklar? Derne?i (24.5.2018): 2017 Summary Table of Human Rights Violations In Turkey, http://ihd.org.tr/en/wp-content/uploads/2018/05/IHD_2017_balance-sheet-1.pdf, Zugriff 4.10.2019

?        IHD – Human Rights Association - ?nsan Haklar? Derne?i (19.4.2019): 2018 Summary Table of Human Rights Violations In Turkey, https://ihd.org.tr/en/wp-content/uploads/2019/05/2018-SUMMARY-TABLE-OF-HUMAN-RIGHTS-VIOLATIONS-IN-TURKEY.pdf, Zugriff 4.10.2019

?        ICG – Internal Crisis Group (4.10.2019): Turkey’s PKK Conflict: A Visual Explainer, https://www.crisisgroup.org/content/turkeys-pkk-conflict-visual-explainer, Zugriff 7.10.2019

Gülen- oder Hizmet-Bewegung

Fethullah Gülen, ist ein muslimischer Prediger und charismatisches Zentrum eines weltweit aktiven Netzwerks, das bis vor kurzem die wohl einflussreichste religiöse Bewegung des Landes war. Von seinen Gegnern wird Gülen als Bedrohung der staatlichen Ordnung bezeichnet (bpb 1.9.2014). Gülen wird von seinen Anhängern als spiritueller Führer betrachtet, der einen toleranten Islam fördert, der Altruismus, Bescheidenheit, harte Arbeit und Bildung hervorhebt. In der Türkei soll es möglicherweise Millionen von Anhängern geben, oft in einflussreichen Positionen. Die Gülen-Bewegung betreibt Schulen rund um den Globus (BBC 21.7.2016). Zahlreiche Gülen-Schulen wurden, teilweise auf Druck hin, auf der Basis von bilateralen Abkommen mit den jeweiligen Ländern geschlossen, anderen Eigentümern oder der türkischen staatlichen Stiftung Maarif, die eigens hierfür gegründet wurde, übertragen (SCF 5.2.2019, vgl. DS 31.7.2018). Mit Februar 2019 waren laut Direktor von Maarif rund 70% aller Gülen-Schulen in 21 Länder, ausgenommen in westlichen Staaten, der Kontrolle der Gülen-Bewegung entzogen. Hiervon wurden inzwischen 191 ehemalige Gülen-Schulen der türkischen Maarif-Stiftung übergeben (SCF 5.2.2019).

Erdo?an stand Gülen jahrzehntelang nahe. Die beiden Führer verband die Gegnerschaft zu den sekulären, kemalistischen Kräften in der Türkei. Sie hatten beide das Ziel die Türkei in ein vom türkischen Nationalismus und einer starken, konservativen Religiosität geprägtes Land zu verwandeln. Selbst nicht in die Politik eintretend, unterstützte Gülen die AKP bei deren Gründung und späteren Machtübernahme, auch indem er seine Anhänger in diesem Sinne mobilisierte (MEE 21.7.2016). Erdo?an nutzte wiederum die bürokratische Expertise der Gülenisten, um das Land zu führen und dann, um das Militär aus der Politik zu drängen. Nachdem das Militär entmachtet war, begann der Machtkampf (BBC 21.7.2016). Das Bündnis zwischen Erdo?an und Gülen begann sich aufzuweichen, als die Gülenisten in Polizei und Justiz zu unabhängig wurden. Das Klima verschärfte sich, als Gülen selbst Erdo?an für seinen Umgang mit den Protesten im Gezi-Park im Jahr 2013 kritisierte. Erdo?an beschuldigte daraufhin Gülen und seine Anhänger, die AKP-Regierung durch Korruptionsuntersuchungen zu Fall bringen zu wollen, da mehrere Beamte und Wirtschaftsführer mit Verbindungen zur AKP betroffen waren und zu Rücktritten von AKP-Ministern führten (MEE 21.7.2016). In der Folge versetzte die Regierung die an den Ermittlungen beteiligten Staatsanwälte, Polizisten und Richter (bpb 1.9.2014).

Ein türkisches Gericht hatte im Dezember 2014 Haftbefehl gegen Gülen erlassen. Die Anklage beschuldigte die Gülen- bzw. Hizmet-Bewegung, eine kriminelle Vereinigung zu sein. Zur gleichen Zeit ging die Polizei mit einer landesweiten Razzia gegen mutmaßliche Anhänger Gülens in den Medien vor (Standard 20.12.2014). Am 27.5.2016 verkündete Staatspräsident Erdo?an, dass die Gülen-Bewegung auf Basis einer Entscheidung des Nationalen Sicherheitsrates vom 26.5.2016 als terroristische Organisation registriert wird (HDN 27.5.2016). Im Juni 2017 definierte das Oberste Appelationsgericht die Gülen-Bewegung als terroristische Organisation. In dieser Entscheidung wurden auch die Kriterien für die Mitgliedschaft in dieser Organisation festgelegt (UKHO 2.2018).

Die türkische Regierung beschuldigt die Gülen-Bewegung hinter dem Putschversuch vom 15.7.2016 zu stecken, bei dem mehr als 250 Menschen getötet wurden. Für eine Beteiligung gibt es zwar zahlreiche Indizien, eindeutige Beweise aber ist die Regierung in Ankara bislang schuldig geblieben (DW 13.7.2018). Die Gülen-Bewegung wird von der Türkei als „Fetullahç? Terör Örgütü – (FETÖ)“, „Fetullahistische Terror Organisation“, tituliert, meist in Kombination mit der Bezeichnung "Parallel Devlet Yap?lanmas? (PDY)", die „Parallele Staatsstruktur“ bedeutet (UK Home Office 2.2018). Die EU stuft die Gülen-Bewegung weiterhin nicht als Terrororganisation ein und steht auf dem Standpunkt, die Türkei müsse substanzielle Beweise vorlegen, um die EU zu einer Änderung dieser Einschätzung zu bewegen (Standard 30.11.2017). Auch für die USA ist die Gülen- bzw. Hizmet-Bewegung keine Terrororganisation (TM 2.6.2016).

Insgesamt wurden rund 512.000 Personen wegen Verbindungen zur Gülen-Bewegung verhaftet und gegen diese Untersuchungen durchgeführt. Hiervon befinden sich noch ca. 31.000 Personen in Haft, gegen die noch Einvernahmen oder Prozesse ausständig sind. Über 19.000 weitere Personen wurden wegen Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung und damit verbundenen Straftaten verurteilt (DS 5.3.2019). Gegen weitere 22.000 Verdächtige wurden Haftbefehle erlassen (SCF 4.6.2019). Insgesamt sind 270 von 289 Gerichtsprozesse in Zusammenhang mit dem Putschversuch 2016 abgeschlossen. 3.838 Angeklagte wurden verurteilt. Hiervon erhielten 2.327 eine lebenslange Haft, darunter 1.224 zu erschwerten Bedingungen. 1.511 Personen erhielten Haftstrafen zwischen 14 Monaten und 20 Jahren [Stand November 2019] (Anadolu 11.11.2019).

Laut Staatspräsident Erdo?an sind die staatlichen Institutionen noch nicht vollständig von Mitgliedern der „FETÖ“ befreit (Ahval 10.4.2019). Die systematische Verfolgung mutmaßlicher Anhänger der Gülen-Bewegung dauert an (AA 14.6.2019). So wurden beispielsweise am 5.11.2019 in Ankara wieder 106 vermeintliche Mitglieder der Gülen-Bewegung verhaftet (DS 5.11.2019). Anfang November 2019 wurden acht von 43 Angeklagten, meist Mitglieder der Luftwaffenschule, als vermeintliche Mitglieder der Gülen-Bewegung wegen Unterstützung des Putschversuchs im Juli 2016 zu schweren lebenslangen Haftstrafen verurteilt (DS 4.11.2019).

Die Kriterien für die Feststellung der Anhänger- bzw. Mitgliedschaft sind hierbei recht vage. Türkische Behörden und Gerichte ordnen Personen nicht nur dann als Terroristen ein, wenn diese tatsächlich aktives Mitglied der Gülen-Bewegung sind, sondern auch dann, wenn diese z. B. lediglich persönliche Beziehungen zu Mitgliedern der Bewegung unterhalten, eine von der Bewegung betriebene Schule besucht haben oder im Besitz von Schriften Gülens sind. In der Regel reicht das Vorliegen eines der folgenden Kriterien, um eine strafrechtliche Verfolgung als mutmaßlicher „Gülenist“ einzuleiten: Nutzen der verschlüsselten Kommunikations-App ByLock; Geldeinlage bei der Bank Asya nach dem 25.12.2013; Abonnement bei der Nachrichtenagentur Cihan oder der Zeitung Zaman; Spenden an Gülen-Strukturen zugeordneten Wohltätigkeitsorganisationen; Besuch Gülen zugeordneter Schulen durch Kinder; Kontakte zu Gülen zugeordneten Gruppen/Organisationen/Firmen, inklusive abhängige Beschäftigung (AA 14.6.2019). Allerdings entschied der Oberste Berufungsgerichtshof im Mai 2019, dass weder das Zeitungsabonnement eines Angeklagten noch seine Einschreibung eines Kindes in einer Gülen-Schule als Beweis dienen kann, dass die Person in terroristische Aktivitäten verwickelt oder Mitglied einer terroristischen Vereinigung war (SCF 6.8.2019).

ByLock

Im September 2017 entschied das Kassationsgericht, dass der Besitz von ByLock einen ausreichenden Nachweis für die Aufnahme in die Gülen-Bewegung darstellt. Im Oktober 2017 urteilte dasselbe Gericht jedoch, dass das Sympathisieren mit der Gülen-Bewegung nicht gleichbedeutend ist mit einer Mitgliedschaft und somit keinen ausreichenden Nachweis für letztere darstellt. Mehrere Personen, die wegen angeblicher Nutzung von ByLock verhaftet wurden, wurden freigelassen, nachdem im Dezember 2017 nachgewiesen wurde, dass Hunderte von Personen zu Unrecht der Nutzung der mobilen Anwendung beschuldigt wurden (EC 17.4.2018). Ende September 2018 wurden mindestens 21 Verdächtige in Istanbul nach Razzien an 54 Orten verhaftet, unter dem Vorwurf, die verschlüsselte Messaging-Anwendung ByLock zu verwenden und an Trainingsaktivitäten des Unternehmens beteiligt gewesen zu sein (Anadolu 24.9.2018). Im September 2019 wurden bei Operationen in sechs Städten über 40 Verdächtige als ehemalige ByLock-Nutzer verhaftet (DS 11.9.2019). Anfang Oktober 2019 ordnete die Staatsanwaltschaft der Provinz Izmir die Festnahme von 51 Verdächtigen an, von denen 33 beschuldigt wurden, ByLock verwendet zu haben (Anadolu 8.10.2019). Laut Innenministerium wurden bislang mehr als 95.000 Nutzer identifiziert und zudem 4.676 neue ByLock Nutzer entdeckt (DS 11.9.2019).

Die Arbeitsgruppe des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen zur willkürlichen Inhaftierung gab im Oktober 2019 eine Stellungnahme ab, wonach die Nutzung von ByLock unter das Recht auf freie Meinungsäußerung fällt. Solange die türkischen Behörden nicht offen erklären würden, wie die Verwendung von ByLock einer kriminellen Aktivität gleichkommt, wären Verhaftungen aufgrund der Benutzung von ByLock willkürlich (TM 15.10.2019, vgl. UN-HRC 18.9.2019). Die Arbeitsgruppe bedauerte zudem, dass ihre Ansichten in vormaligen Stellungnahmen zu Fällen, die nach dem gleichen Muster abgelaufen waren, seitens der türkischen Behörden keine Berücksichtigung gefunden hatten (UN-HRC 18.9.2019).

Asya Bank

Das Oberste Berufungsgericht entschied 2018, dass diejenigen, die nach dem Aufruf von Fetullah Gülen Anfang 2014 Geld bei der Bank Asya eingezahlt haben, als Unterstützer und Begünstiger der Gülen-Bewegung angesehen werden sollten (DS 11.2.2018, vgl. TP 16.2.2019). Die Generalstaatsanwaltschaft Ankara hat Ende Mai 2018 Haftbefehle gegen 59 Personen erlassen, die Kunden des inzwischen geschlossenen islamischen Kreditgebers Bank Asya waren, die mit der Gülen-Bewegung verbunden war (TM 30.5.2018). Im September 2019 ordneten Staatsanwälte die Festnahme von 35 Personen an, die beschuldigt werden, die Messenger-App Bylock verwendet und Geld in der Asya Kat?l?m Bank deponiert zu haben. 14 Personen wurden in Ankara und sieben weiteren Städten festgenommen (DS 18.9.2019). [zu Verurteilungen siehe: 4.Rechtsschutz/Justizwesen].

Entführungen aus dem Ausland

Über 100 mutmaßliche Mitglieder der Gülen-Bewegung wurden laut türkischem Außenminister vom Geheimdienst (M?T) im Ausland entführt und im Rahmen der globalen Fahndung der Regierung in die Türkei zurückgebracht (SCF 16.7.2018). Demnach seien Menschen aus Malaysia, Pakistan, Kasachstan, dem Kosovo, Moldawien, Aserbaidschan, Ukraine, Gabun und Myanmar von der türkischen Regierung entführt worden. Ein weiterer Versuch in der Mongolei sei von der mongolischen Polizei im Juli 2018 verhindert worden (Welt 15.9.2019).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_T%C3%Bcrkei_%28Stand_Mai_2019%29%2C_14.06.2019.pdf, Zugriff 8.10.2019

?        Ahval (10.4.2019): Turkey’s state institutions not fully purged of Gülenists, says Erdo?an, https://ahvalnews.com/gulen-movement/turkeys-state-institutions-not-fully-purged-gulenists-says-erdogan, Zugriff 8.10.2019

?        Anadolu Agency (11.11.2019): Turkey: Over 2,300 life terms handed in 270 FETO cases, https://www.aa.com.tr/en/turkey/turkey-over-2-300-life-terms-handed-in-270-feto-cases/1642161, Zugriff 19.11.2019

?        Anadolu Agency (8.10.2019): Turkey: Warrants out for 51 FETO suspects, https://www.aa.com.tr/en/turkey/turkey-warrants-out-for-51-feto-suspects/1605390, Zugriff 9.10.2019

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?        BBC News (21.7.2016): Turkey coup: What is Gulen movement and what does it want? http://www.bbc.com/news/world-europe-36855846, Zugriff 8.10.2019

?        bpb - Bundeszentrale für politische Bildung (1.9.2014): Die Gülen-Bewegung in der Türkei und Deutschland, http://www.bpb.de/internationales/europa/tuerkei/184979/guelen-bewegung, Zugriff 8.10.2019

?        DW – Deutsche Welle (13.7.2018): Die Gülen-Bewegung: Neues Zentrum "Almanya", https://www.dw.com/de/die-g%C3%Bclen-bewegung-neues-zentrum-almanya/a-44645120, Zugriff 8.10.2019

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?        DS – Daily Sabah (5.3.2019): More than 30,000 arrested for FETÖ links since the coup bid, https://www.dailysabah.com/investigations/2019/03/05/more-than-30000-arrested-for-feto-links-since-the-coup-bid, Zugriff 8.10.2019

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?        EC – European Commission

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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