TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/27 L518 1414141-6

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Veröffentlicht am 27.08.2020
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Entscheidungsdatum

27.08.2020

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §55
BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §18 Abs5
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55

Spruch

L518 1414141-6/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. STEININGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Georgien, vertreten durch RIHS Rechtsanwalt GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.01.2020, Zl. 501313202-14933759, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.08.2020 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass gemäß Spruchpunkt IV eine Frist zur freiwilligen Ausreise mit 14 Tagen gewährt wird.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. STEININGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Georgien, vertreten durch RIHS Rechtsanwalt GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.01.2020, Zl. 501313202-14933759, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.08.2020 den Beschluss gefasst:

A II) Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

I.1. Die beschwerdeführende Partei (in weiterer Folge kurz als „bP“ bezeichnet) brachte nach rechtswidriger Einreise in das Hoheitsgebiet der Europäischen Union und in weiterer Folge nach Österreich am 05.10.2009 bei der belangten Behörde (in weiterer Folge „bB“) einen Antrag auf internationalen Schutz ein.

Grob zusammengefasst gab sie als Fluchtgrund an, dass ihre Mutter Ossetin sei. Sie selbst hätte, um einen Job zu erhalten, mit einem einflussreichen Mann sexuell verkehren sollen, hätte dies abgelehnt und sei von ihm vergewaltigt und anschließend bedroht worden, als sie ihn mit einer Anzeige gedroht hätte.

Von der belangten Behörde in Georgien durchgeführte Recherchen ergaben, dass es sich bei dem namentlich genannten, sie belästigenden Mann um den Innenminister Georgiens handle und dass der Verlobte der bP drogensüchtig gewesen sei, weshalb sie ihn verlassen hätte. Dessen Belästigungen wurden auch als tatsächlicher Grund für ihr Verlassen der Heimat gesehen. Sie hätte ihrer Mutter auch nicht – wie von ihr behauptet – über die angebliche Vergewaltigung bzw. Schwangerschaft erzählt.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes, Außenstelle Graz, vom 09.04.2010 wurde der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Georgien abgewiesen und die bP nach Georgien ausgewiesen.

Als Begründung nannte die bB die Unglaubwürdigkeit der bP.

I.2. Mit Schreiben vom 17.05.2010 wurde ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie eine Berufung gegen den angeführten Bescheid des Bundesasylamtes eingebracht. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 14.06.2010 wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 18.05.2010 abgewiesen. Mit Beschluss des Asylgerichtshofs vom 08.07.2010 wurde dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 18.05.2010 die aufschiebende Wirkung zuerkannt, der Beschwerde in weiterer Folge stattgegeben und der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt (D14 414.141-2/2010/2E).

Der Asylgerichtshof wies mit Erkenntnis vom 04.08.2010 die inhaltliche Beschwerde gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1 und § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 als unbegründet ab. Auch der Asylgerichtshof kam zu dem Schluss, dass das Vorbringen der bP unglaubwürdig sei. Sie habe in Georgien Eltern und eine Schwester, die allesamt das finanzielle Auslangen finden würden. Im Falle einer Rückkehr könne sie bei diesen über familiären Rückhalt und Unterstützung verfügen. Sie sei gesund und arbeitsfähig und könne ihre notdürftige Lebensgrundlage sichern.

Zur Ausweisung wurde ausgeführt, dass keine besondere Schutzwürdigkeit des Familienlebens der bP vorhanden sei, während sie in Georgien weitreichende und enge familiäre Bindungen hätte. Sie sei auch nicht nachhaltig integriert, lebe von der Grundversorgung, gehe keiner Beschäftigung nach und sei nicht selbsterhaltungsfähig. Sie spreche auch weder ausreichend Deutsch, noch sei sie Mitglied in Vereinen.

I.3. Am 24.08.2011 wurde das Kind der bP, XXXX im österreichischen Bundesgebiet geboren.

I.4. Am 12.01.2012 konnte für die bP ein Heimreisezertifikat von der georgischen Botschaft erlangt werden.

I.5. Am 14.02.2012 brachte die bP für sich und das Kind einen Antrag auf Ausstellung einer „Karte für Geduldete“ ein.

Ihre Abschiebung konnte nicht effektuiert werden.

I.6. Am 11. Februar 2013 stellte die bP den zweiten Antrag auf internationalen Schutz für sich und den ersten für das Kind. Sie führte im Rahmen der Erstbefragung aus, dass ihr Lebensgefährte staatenlos sei, es sei ihm auch ein Duldungsausweis zugesprochen worden, der Referent XXXX hätte ihm diesen nicht ausstellen wollen, sondern ihn nach Georgien zurückschieben wollen, obwohl ihr Mann nachweislich kein georgischer Staatsbürger mehr sei. Er befinde sich seit XXXX 2013 wegen psychischer Probleme stationär im Krankenhaus, da er einen Selbstmordversuch unternommen hätte. Bisher hätten beide illegal gearbeitet und so den Lebensunterhalt verdient. Da ihr Lebensgefährte nunmehr im Krankenhaus sei und sie sich um das Kind kümmern müsse, könne sie nicht mehr arbeiten und wisse auch nicht, wovon sie leben solle. Aus diesem Grund hätte sie einen neuerlichen Asylantrag gestellt. Sie erhoffe sich dadurch finanzielle Unterstützung, da sie nicht wisse, wovon sie mit ihrer Tochter leben solle. Ihr Lebensgefährte sei Ossete, deshalb gebe es Probleme. Im Fall ihrer Rückkehr habe sie in Georgien Feinde und befürchte getötet zu werden. Aus diesem Grund hätte sie auch die georgische Staatsbürgerschaft zurückgelegt. Ihre Tochter befinde sich seit deren Geburt ständig bei ihr und auch für sie würden dieselben Asylgründe gelten.

I.7. Am 06.03.2013 gab die Beschwerdeführerin neuerlich vom Bundesasylamt befragt an, dass sie glaube, an gynäkologischen Problemen zu leiden. Sie wisse allerdings nicht, woran sie leide, sie hätte jedoch manchmal Schmerzen im Bauch. Sie würde auch gerne den Psychiater aufsuchen. Die Caritas hätte ihr nicht richtig zugehört und bisher nichts für sie erreichen können.

Zwischenzeitlich hätte sie mit ihren Eltern in Georgien Kontakt aufgenommen – ihre Eltern und ihre Schwester würden dort noch leben. Die Eltern seien berufstätig und ihre Schwester sei Saisonarbeiterin in einem Hotel.

Folgende Urkunden legte sie vor:

Geburtsurkunde des Kindes, Vaterschaftsanerkenntnis, Kopie der eigenen Geburtsurkunde, ein Schreiben über ihr Zurücklegen der georgische Staatsbürgerschaft, Diplom der bP (Lehrerin der englischen Sprache und Literatur in den Grundschulen) mit Übersetzung, zwei Bestätigungen über den Besuch eines Deutschkurses.

Weiters legte sie eine übersetzte Geburtsurkunde ihres Lebensgefährten vor, sowie ein Schreiben der georgischen Botschaft in Wien, welchem zufolge ihr Lebensgefährte unter dem Namen XXXX , in der georgischen Personendatenbank nicht aufscheine. Aus diesem Grund sei nicht möglich festzustellen, ob er georgischer Staatsangehöriger sei.

Nach der Ursache für das Zurücklegen der georgischen Staatsbürgerschaft befragt, gab sie an, dass sie wegen ihrer Probleme wirklich Angst hätte. Man könnte sie nicht beschützen.

In Österreich hätten sie bis jetzt von den Einkünften ihres Mannes aus dessen „Schwarzarbeit“ gelebt, auch sie selbst hätte illegal gearbeitet. Sie würde gerne am liebsten jeden Tag arbeiten. In Georgien hätte sie vor der Ausreise das Studium abgeschlossen, aber nicht gearbeitet.

Zu ihrem Lebensgefährten befragt, gab sie an, dass sie dessen Aufenthaltsstatus nicht kennen würde.

Ihr Lebensgefährte hätte vor drei Wochen abgeschoben werden sollen, obwohl die georgische Botschaft sozusagen nicht zugestimmt hätte, weil er in den Aufzeichnungen nicht aufscheine. Sein Zustand sei aber so schlimm, er werde sicher nicht zurückkehren, er hätte früher schon einen Selbstmordversuch begangen, sei dann zwei Wochen in der Psychiatrie und zwei Wochen im Krankenhaus gewesen. Jetzt sei er zuhause und besuche den Psychiater oder Psychologen. Er hätte bis jetzt gearbeitet und sie ernährt, aber jetzt sei sie alleine und sie wisse nicht, was sie tun solle.

Darauf hingewiesen, dass ihr Lebensgefährte wohl keine „Duldung“ hätte, wenn er abgeschoben werden hätte sollen, führte sie aus, sich dabei nicht auszukennen.

Im Fall einer Rückkehr hätte sie Angst um ihr Leben und um das Leben ihres Kindes. Die Gründe aus ihrem ersten Verfahren gäbe es noch, sie könne dort sicher nicht in Ruhe leben. Neue Beweismittel zum ersten Verfahren würden jedoch nicht bestehen. Sie hätte auch keine Unterstützung von der Polizei in Georgien.

Befragt, warum man sie weiterhin verfolgen sollte, wo sie doch bereits seit dem Jahr 2009 in Österreich sei, gab sie an, dass ihre Eltern noch immer bedroht würden, dass sie sie vernichten würden und man sie im Fall einer Rückkehr sofort finden würde, da die Herkunftsstadt eine kleine Stadt sei. Befragt, warum sie nicht in eine andere Stadt ziehen könnte, gab sie an, dass sie dort keine Wohnmöglichkeit hätte. Befragt, warum sie die georgische Polizei nicht schützen würde, gab sie an, dass es viele Vorfälle gäbe, dass Leute verschwinden und die Polizei gar nichts machen würde. Befragt, wer sie konkret nun noch verfolgen solle, antwortete sie, dass diese Menschen selbst bei der Polizei arbeiten würden. Er heiße XXXX , sei der Chef der Stelle, wo sie arbeiten hätte sollen. Sie hätte den Fall jedoch nie angezeigt. Weitere Familienangehörige in Österreich hätte sie nicht. Sie pflege Kontakt zu georgischen Familien und besuche manchmal die Kirche.

Zu ihren Deutschkenntnissen befragt, gab sie an, noch grammatikalische Fehler zu machen, sich jedoch gut verständigen zu könne. Sie sei kein Mitglied in einem Verein und nehme auch nicht am sozialen oder kulturellen Leben in Österreich teil. Befragt, ob sie und ihr Lebensgefährte entschieden hätten, welche Staatsangehörigkeit ihr Kind hätte, gab sie an, dies nicht zu wissen, was für das Kind in Zukunft besser sei.

Mit dem Lebensgefährten und Vater des Kindes XXXX lebe sie seit drei Jahren in Lebensgemeinschaft. Er hätte keine Angehörigen in Österreich.

Mit Bescheid der bB, Außenstelle Wien, vom 06.05.2013 wurden die Anträge der bP und ihres Kindes auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Georgien abgewiesen und sie nach Georgien ausgewiesen.

Nach Wiedergabe der Einvernahmeprotokolle stellte die bB die ehemalige georgische Staatsangehörigkeit und nunmehrige Staatenlosigkeit fest sowie, dass es sich bei Georgien um ihren Herkunftsstaat handle. Die bP sei in psychiatrischer Behandlung wegen einer depressive Störung mit gegenwärtig schwerer Episode. Sie sei erwachsen und grundsätzlich arbeitsfähig und hätte ihren Lebensunterhalt in Österreich durch Schwarzarbeit bestritten. Sie sei illegal in das Bundesgebiet eingereist und halte sich seit 2009 im Bundesgebiet auf.

Sie wohne mit ihrem Lebensgefährten und ihrer Tochter in einem Haushalt zusammen, habe keine weiteren Familienangehörigen in Österreich, verfüge über gute Deutschkenntnisse, pflege keinen engen Kontakt zu Österreichern, sei in Österreich keiner legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen, sondern habe ihren Lebensunterhalt durch Schwarzarbeit bestritten.

Sie verfüge in Gestalt ihrer Eltern und ihrer Schwester über familiäre Anknüpfungspunkte in Georgien und stehe zu ihren Angehörigen in Georgien in Kontakt, habe den Großteil ihres bisherigen Lebens in Georgien verbracht, verfüge über keinen nennenswerten Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich.

Es bestünden in Österreich keine weiteren engen privaten, familiären oder sonstige Beziehungen, welche einer Ausweisung entgegenstünden.

I.8. Die gegen den Bescheid vom 06.05.2013 eingebrachte Beschwerde im zweiten Asylverfahren wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 21.06.2013 vollinhaltlich abgewiesen.

I.9. Folgende Gutachten langten im Jahr 2013 bei der bB ein:

?        ein psychiatrisches Gutachten vom XXXX 2013, ausgestellt von Frau XXXX , welches in Bezug auf die bP eine depressive Störung diagnostizierte

?        ein psychiatrisches Gutachten vom XXXX .2013, ebenfalls ausgestellt von Frau Dr. XXXX , welches in Bezug auf den Lebensgefährten der bP eine paranoide Schizophrenie und PTBS diagnostizierte

I.10. Die bP wurde mittels Ladungsbescheid vor die bB geladen und am 29.08.2013 niederschriftlich einvernommen. Dort weigerte sie sich, am Verfahren zur Erlangung eines neuerlichen Heimreisezertifikates mitzuwirken.

I.11. Am 02.10.2013 langte ein Gutachten des polizeiärztlichen Dienstes bei der bB ein, aus welchem hervorgeht, dass in Zusammenschau der vorgelegten Befunde „eine Abschiebung von XXXX , basierend auf der Staatendokumentation Georgien aus Jahr 2011, prinzipiell möglich“ sei.

I.12. Die bP stellte für sich und ihre Tochter am 02.09.2014 Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK.

Sie wurde am 30.07.2015 hierzu einvernommen und führte im Wesentlichen aus, staatenlos zu sein.

Bereits im Jahr 2013 wurden eine Kopie und eine Übersetzung eines Schreibens des Justizministeriums von Georgien zum Akt genommen, aus welchem hervorgeht, dass die bP die georgische Staatsbürgerschaft mit dem XXXX 2010 zurückgelegt habe. Ein Schreiben der Botschaft von Georgien vom XXXX 2015 bestätigte jedoch die aufrechte Staatsbürgerschaft von Georgien; diese sei bis zum Erlangen der Staatsbürgerschaft eines anderen Staates aufrecht.

Am 17.07.2016 wurde die bP vom Ergebnis der Beweisaufnahme und dem Vorhaben der Behörde, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK der bP und ihres Kindes abzuweisen und eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, nachweislich in Kenntnis gesetzt. Ein Auszug des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation zu Georgien wurde ihnen nachweislich zur Kenntnis gebracht.

Am 08.08.2016 wurde über die damalige rechtsfreundliche Vertretung eine schriftliche Stellungnahme eingebracht.

Von der bB wurde am 08.09.2017 neuerlich Parteiengehör gewährt, diese Möglichkeit nahm die bP am 20.09.2017 in Form einer weiteren Stellungnahme war und es wurden verschiedene Schreiben zur Integration der bP vorgelegt.

I.13. Die Anträge der bP und ihres Kindes auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK wurden vom BFA mit Bescheiden vom 02.11.2017 abgewiesen. Es wurden Rückkehrentscheidungen erlassen. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung nach Georgien zulässig ist und wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt.

Festgehalten wurde unter anderem, dass die bP sich von ihrem Lebenspartner getrennt und versucht hätte, die georgische Staatsbürgerschaft zurückzulegen. Sie sei mehrfach der Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen und verweigere die Mitwirkung am Erhalt eines Heimreisezertifikates. Die Dauer des Aufenthalts sei einzig dem Unwillen geschuldet, in die Heimat zurückzukehren und auf ein unglaubwürdiges Fluchtvorbringen im Asylverfahren gestützt. Auf die zahlreich vorgelegten Empfehlungsschreiben wurde eingegangen.

In Erledigung einer dagegen erhobenen Beschwerde (aufgrund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses wurden die Verfahren mit 16.10.2018 der Gerichtsabteilung L526 des BVwG zugeteilt) wurden diese Bescheide mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.05.2019 behoben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

I.14. Mit einem als „Bescheid“ betitelten Schriftstück vom 13.11.2019, Zl. IFA 501313202 – 14933759 ATB, wurde der Antrag der bP auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß §§ 55 AsylG abgewiesen, gegen die bP eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt dass die Abschiebung in den Herkunftsstaat zulässig sei, eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt, gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt und ein auf die Dauer von 3 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Gegen die beiden „Bescheide“ vom 13.11.2019 wurde mit Schriftsatz vom 23.12.2019 Beschwerde erhoben.

Das Schriftstück vom 13.11.2019 wurde am 27.12.2019 durch das BVwG nicht als Bescheid anerkannt (Fehlen der Paraphe bei der BFA-internen Erledigung). Es wurde festgehalten, dass ein Nichtbescheid vorliege und die Beschwerde als unzulässig zurückgewiesen.

I.15. Mit im Spruch genannten Bescheid vom 09.01.2020 wurde Antrag der bP auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG abgewiesen, gegen die bP eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt dass die Abschiebung in den Herkunftsstaat zulässig sei, eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt, gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt und ein auf die Dauer von 3 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

I.16. Mit Schreiben vom 13.01.2020 erfolgte eine Anfrage des Rechtsvertreters an die bB und wurde unter einem eine Anfrage an das BVwG vom 13.01.2020 vorgelegt.

I.17.Mit Schreiben vom 28.01.2020 wurde von der rechtsfreundlichen Vertretung der bP Beschwerde gegen den Bescheid vom 09.01.2020 fristgerecht erhoben.

Ausgeführt wurde, dass sich die bB nicht wie vom BVwG mit Beschluss vom 27.12.2019 aufgetragen mit dem Vorbringen der bP auseinandergesetzt und vielmehr den Nichtbescheid wiederholt habe. Die bP sei wie ihre Tochter jahrelang in Österreich wirtschaftlich und sozial integriert. Zudem sei nicht geprüft worden, ob die bP staatenlos ist. Es folgten Ausführungen zu den Verfahren der Tochter sowie des Lebensgefährten und wurde moniert, dass die formelle Vorgehensweise unrichtig gewesen sei. Im Anschluss wurden die in der ursprünglichen Beschwerde getätigten Angaben wiederholt. Der Aufenthalt sei nach Abschluss der Asylverfahren seit 2013 nicht illegal und durfte die bP mit Recht darauf vertrauen, dass sie einen Aufenthaltstitel erhalten wird, da sich die Integration wesentlich verbessert habe. Die bP sei sich ihres unsicheren Status nicht bewusst gewesen und träfe sie keine Mitwirkungspflicht im Hinblick auf eine Abschiebung nach Georgien, da sie keine georgische Staatsbürgerin wäre. Es wurde auf die diversen Beweismittel zur Integration verwiesen. Eine Sippenhaftung sei der österreichischen Rechtsordnung fremd und dürfe das Verhalten des Lebensgefährten der bP nicht zugerechnet werden.

I.18. Die Beschwerdevorlage langte am 04.02.2020 beim BVwG, Außenstelle Linz ein.

I.19. Mit Schreiben vom 14.07.2020 wurde die Bevollmächtigung der nunmehrigen rechtlichen Vertretung bekannt gegeben.

I.20. Eine Anfragebeantwortung des BVwG zur Staatsbürgerschaft der bP brachte am 23.07.2020 nachstehendes Ergebnis:

In dem Schreiben wird angeführt, dass die vorgelegten Dokumente authentisch sind und dem Antrag von Frau XXXX auf Rücklegung der georgischen Staatsbürgerschaft mit Erlaß vom XXXX vom damaligen georgischen Präsidenten stattgegeben wurde.

Weiters wird in dem Schreiben ausgeführt, dass Frau XXXX bis dato noch keine Bestätigungen für den Erwerb einer anderen Staatsbürgerschaft vorgelegt hat. Aus diesem Grund gilt Frau XXXX noch immer als georgische Staatsangehörige!

Zur Information:

Sollte die georgische Staatsbürgerschaft zurückgelegt und eine andere Staatsbürgerschaft angenommen worden sein ist eine Rückerlangung der georgischen Staatsbürgerschaft unter folgenden Voraussetzungen möglich:

Gemäß § 18 des georgischen Staatsbürgerschaftsgesetzes, kann die georgische Staatsbürgerschaft auf Antrag in folgenden Fällen wiedererlangt werden:

a)       nach einer rechtswidrigen Aberkennung oder einem sonstigen rechtswidrigen Verlust der StA,

b)       nach freiwilliger Zurücklegung der georgischen StA,

c)       nachdem die georgische StA aufgrund einer Entscheidung der Eltern (bei Minderjährigen) zurückgelegt wurde.

I.21. Für den 03.08.2020 lud das erkennende Gericht die Verfahrensparteien zu einer mündlichen Beschwerdeverhandlung. Eine Zeugin zur Integration der bP wurde einvernommen.

Gemeinsam mit der Ladung wurden Feststellungen zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat zugestellt. Ebenso wurde – in Ergänzung bzw. Wiederholung zu den bereits bei der belangten Behörde stattgefundenen Belehrungen - ua. hinsichtlich der Obliegenheit zur Mitwirkung im Verfahren manuduziert und wurden die bP aufgefordert, Bescheinigungsmittel vorzulegen.

Eine Stellungnahme langte am 28.07.2020 ein. Es wurden Ausführungen zur Integration getroffen und wurde angegeben, dass die Tochter der bP keine georgische Staatsangehörige sei, da diese nicht in Georgien registriert worden sei. Die bP selbst habe die georgische Staatsangehörigkeit zurückgelegt. Die lange Aufenthaltsdauer der bP sei insbesondere auf ein Organisationsverschulden der Behörden zurückzuführen. Es wurde die Verbindung der Verfahren der bP und ihrer Tochter angeregt. Vorgelegt wurden drei Unterstützungsschreiben, Mietverträge, e-Card, GVS Leistungsbezug, Schulzeugnis der Tochter, Besuchsbestätigung eines Tageskinderheims der Tochter der bP und ein Auszug aus einem Kommentar zum Internationalen Ehe- und Kindschaftsrechts, Stand 01.02.2009.

Vorgelegt in der Verhandlung wurde von der bP:

?        Zwei Einstellungszusagen

Folgende Erkenntnisquellen werden den beschwerdeführenden Partei genannt und deren Inhalt erörtert:

-        LIB der Staatendokumentation Georgien, Gesamtaktualisierung am 12.9.2019, letzte Information eingefügt am 16.3.2020

-        Bericht des AA über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien vom 19.10.2019

Abschließend gab der Vertreter an:

RV: Die P ist jedenfalls arbeitsfähig und arbeitswillig. Sie kann jedoch derzeit in Ermangelung eines Ausweises bzw. eines Aufenthaltstitels in Österreich weder selbstständig noch unselbstständig erwerbstätig sein. Sie hat die Möglichkeit eine Beschäftigung anzutreten, sobald sie den beantragten Aufenthaltstitel, Aufenthaltsberechtigung plus erhalten hat. Dieser Aufenthaltstitel beinhaltet auch einen Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt. Die Antragstellerin wird aus ihrer Erwerbstätigkeit ihren Lebensunterhalt bestreiten und ihre Tochter versorgen können.

Die Antragstellerin ist Alleinerzieherin. Sie kümmert sich um ihre Tochter, die eine sehr gute Schülerin ist und in der 3. Klasse Volksschule ein sehr gutes Abschlusszeugnis vorweisen kann. Die P unter stützt ihre Tochter nach Kräften, ermöglicht dieser eine Ausbildung und den Besuch von Kursen. Für die P steht die Zukunft ihrer Tochter hier in Österreich im Mittelpunkt.

Die P hat 2014 einen Antrag auf eine Aufenthaltsberechtigung plus eingebracht. Das BFA hat 2020 über diesen Antrag entschieden. Der Bescheid des BFA wurde als absolut nichtig aufgehoben. Die P hatte durchwegs eine aufrechte Meldeadresse in Österreich, und war für die Behörde jederzeit verfügbar. Die Dauer des Verfahrens über ihren Antrag auf Erteilung eines humanitären Aufenthaltstitels ist nicht von ihr verschuldet. Die P ist sprachlich hervorragend integriert und spricht sehr gut Deutsch. Sie erfüllt damit eine der wesentlichen Voraussetzungen des § 55 AsylG. Sie war seit mehr als 10 Jahren nicht mehr in ihrer alten Heimat Georgien und hat mit dieser gebrochen.

Das Privat- und Familienleben, dass die P während der Dauer des gegenständlichen Verfahrens in Österreich entwickelt hat, ist bei der Entscheidung jedenfalls in Anschlag zu bringen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

II.1.1. Die beschwerdeführende Partei

II.1.1.1. Bei der bP handelt es sich um eine im Herkunftsstaat der Mehrheits- und Titularethnie angehörige Georgierin, welche sich zum Mehrheitsglauben des Christentums bekennt.

Die bP ist ein junger, gesunder, arbeitsfähiger Mensch mit bestehenden familiären Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und einer –wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich- gesicherten Existenzgrundlage.

Familienangehörige (Eltern, welche ein Haus besitzen, in welchem die bP vor ihrer Ausreise lebte und eine Pension beziehen) leben nach wie vor in Georgien. Auch Familienangehörige des Lebensgefährten XXXX StA. Georgien leben in Georgien.

Die bP hat in Georgien die Schule besucht und Anglistik studiert.

II.1.1.2. Die bP leidet an keiner Erkrankung und ist aktuell in keiner Behandlung.

Eine etwa wiederauftretende depressive Störung ist in Georgien behandelbar und hat die bP auch Zugang zum georgischen Gesundheitssystem. Soweit sie im Falle der Behandlung mit einem Selbstbehalt belastet wird, steht es ihr im Falle der Bedürftigkeit frei, die Kostenübernahme des Selbstbehaltes durch den Staat zu beantragen, worüber eine eigens hierfür eingerichtete Kommission entscheidet.

Die volljährig bP hat Zugang zum georgischen Arbeitsmarkt und es steht ihr frei, eine Beschäftigung bzw. zumindest Gelegenheitsarbeiten anzunehmen.

Ebenso hat die bP Zugang zum– wenn auch minder leistungsfähige als das österreichische - Sozialsystem des Herkunftsstaates und kann dieses in Anspruch zu nehmen.

Darüber hinaus ist es der bP unbenommen, Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen und sich im Falle der Bedürftigkeit an eine im Herkunftsstaat karitativ tätige Organisation zu wenden.

II.1.1.3. Die bP hat in Österreich neben der in Österreich lebenden Tochter und dem Lebensgefährten, deren Abschiebung ebenfalls mit Entscheidungen des BVwG vom heutigen Tag verfügt werden (auf die Erkenntnisse diesbezüglich zu L526 2216701-2 und L526 1435257-3 wird verwiesen), keine Verwandten und lebt auch sonst mit keiner nahe stehenden Person zusammen, welche nicht zur Kernfamilie zu zählen ist. Sie ist mit einer georgischen Staatsangehörigen mit österreichischem Aufenthaltstitel befreundet, welche sie im Alltag unterstützt, mit welcher sie jedoch nie gemeinsam wohnte. Sie möchte offensichtlich ihr künftiges Leben in Österreich gestalten und hält sich seit 2013 unrechtmäßig im Bundesgebiet auf. Der Aufenthalt zuvor war lediglich aufgrund zweier Asylverfahren vorübergehend rechtmäßig. Sie reiste rechtswidrig und mit Hilfe einer Schlepperorganisation in das Bundesgebiet ein. Sie lebt von der Grundversorgung und hat in Österreich illegal gearbeitet. Sie hat Deutschkurse besucht und spricht Deutsch auf Niveau B1, wobei sie die Prüfung im Jahr 2013 bestanden hat. Sie ist strafrechtlich unbescholten und hat an einem Werte- und Orientierungskurs teilgenommen. Für sie liegen zwei Einstellungszusagen vor.

Die Identität der bP steht fest.

Bei der volljährigen bP handelt es sich um einen mobilen, jungen, gesunden, arbeitsfähigen Menschen. Einerseits stammt die bP aus einem Staat, auf dessen Territorium die Grundversorgung der Bevölkerung gewährleistet ist und andererseits gehört die bP keinem Personenkreis an, von welchem anzunehmen ist, dass er sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellt als die übrige Bevölkerung, welche ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann. So war es der bP auch vor dem Verlassen ihres Herkunftsstaates möglich, dort ihr Leben zu meistern.

II.1.2. Die Lage im Herkunftsstaat Georgien

Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass es sich bei Georgien um einen sicheren Herkunftsstaat gem. § 19 BFA-VG handelt.

Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat werden folgende Feststellungen getroffen:


1.         Politische Lage

Letzte Änderung am 16.3.2020

In Georgien finden regelmäßig kompetitive Wahlen statt. Nachdem der Demokratisierungsprozess in den Jahren 2012-13 an Dynamik gewonnen hatte, kam es in den letzten Jahren zu einer Stagnation der Fortschritte. Oligarchen haben übergroßen Einfluss auf Politik und politische Entscheidungen und die Rechtsstaatlichkeit wird nach wie vor durch politische Interessen behindert. Das politische Leben in Georgien ist lebendig. Neue politische Parteien können in der Regel ohne Behinderungen gegründet werden und zu den Wahlen antreten. Allerdings war die politische Landschaft von der Dominanz abwechselnd einer Partei geprägt, was die Entwicklung und Stabilität konkurrierender Gruppen gehemmt hat (FH 10.3.2020).

Georgien hat eine doppelte Exekutive, wobei der Premierminister als Regierungschef und der Präsident als Staatsoberhaupt fungiert. Der Präsident wurde bis 2018 durch Direktwahl für maximal zwei Amtszeiten von je fünf Jahren gewählt. Aufgrund einer Verfassungsänderung wird der Präsident in Zukunft indirekt für sechs Jahre von einem Gremium, bestehend aus nationalen, regionalen und lokalen Gesetzgebern, gewählt werden. Der Präsident ernennt formal den Premierminister, der vom Parlament nominiert wird (FH 10.3.2020).

Die ehemalige Außenministerin Salome Zurabishvili wurde am 28.11.2018 zur Präsidentin des Landes gewählt. Offiziell als unabhängige Kandidatin, jedoch unterstützt von der Regierungspartei „Georgischer Traum“, setzte sie sich in der Stichwahl mit fast 60% gegen ihren Konkurrenten Grigol Vashadze durch, welcher insbesondere von der oppositionellen Vereinigten Nationalen Bewegung von Ex-Präsident Saakashvili unterstützt wurde (FAZ 29.11.2018; vgl. CW 29.11.2018). Die OSZE beurteilte den Wahlgang als kompetitiv und gut administriert, wobei der Wahlkampf von einer scharfen Rhetorik und Demonstrationen begleitet war. Hauptkritikpunkte waren allerdings die einseitige Verwendung staatlicher Verwaltungsressourcen sowie die Berichterstattung des öffentlichen Rundfunks zugunsten von Zurabishvili (OSCE/ODIHR 29.11.2018). Am 1.12.2018 demonstrierten rund 25.000 Menschen in XXXX und warfen der von der Regierungspartei unterstützten neuen Präsidentin Zurabishvili Wahlbetrug vor und forderten vorgezogene Parlamentswahlen (Standard 2.12.2018).

Am 8.10. und 30.10.2016 fanden Parlamentswahlen in Georgien statt. Die bislang regierende Partei „Georgischer Traum“ sicherte sich die Verfassungsmehrheit, indem sie 115 der 150 Sitze gewann. Die „Vereinigte Nationale Bewegung“ (UNM) des Expräsidenten Mikheil Saakashvili errang 27 und die „Allianz der Patrioten Georgiens“ (APG) sechs Sitze (RFE/RL 1.11.2016). Mit der APG ist erstmals eine pro-russische Partei im Parlament vertreten. In der notwendigen Stichwahl am 30.10.2016 in 50 Wahlkreisen, die nach dem Mehrheitswahlrecht bestimmt werden, gewann der „Georgische Traum“ 48 Wahlkreise (Standard 31.10.2016).

Die Änderungen zu einem reinen Verhältniswahlrecht wurden vom Parlament für die übernächsten, 2024 stattfindenden Wahlen beschlossen (KP 23.11.2019a; vgl. RFE/RL 28.11.2019). Demonstrationen im Juni 2019 führten unter anderem dazu, dass bereits bei der für Oktober 2020 angesetzten Wahl die Parlamentssitze nach dem Verhältniswahlrecht vergeben werden sollten (DW 24.6.2019, vgl. RFE/RL 5.8.2019). Die notwendige Drei-Viertel-Mehrheit zur Abänderung des Wahlgesetzes für die Wahl 2020 kam infolge des parlamentarischen Abstimmungsverhaltens der Regierungspartei „Georgischer Traum“ nicht zustande (KP 23.11.2019a, vgl. NZZ 20.11.2019).

Als Reaktion demonstrierten ab Mitte November zeitweise Tausende im Zentrum von Tiflis. Die Polizei löste die Blockade des Parlamentsgebäudes am 18.11.2019 unter Einsatz von Tränengas und Wasserwerfern auf und nahm etliche Demonstranten fest (RFE/RL 28.11.2019, NZZ 20.11.2019, JAMNews 20.11.2019, KP 23.11.2019a). Bei neuerlichen Demonstrationen am 25.11.2019 waren rund 30 Menschen festgenommen worden, nachdem die Protestierenden versucht hatten die Eingänge des Parlamentsgebäudes zu blockieren (ZO 26.11.2019). Dies wiederholte sich am 28.11.2019 (RFE/RL 28.11.2019).

Zu Beginn des Jahres 2020 kam es zu Verhandlungen zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien, wobei im März 2020 ein Kompromiss erzielt werden konnte. Bei den kommenden Wahlen im Oktober 2020 werden 120 Abgeordnete über proportionale Parteilisten und 30 Abgeordnete über das Mehrheitswahlsystem (Wahlkreise mit einem einzigen Mandat) gewählt werden. Die Wahlhürde für die Verhältniswahl wird auf 1% der Stimmen festgelegt. Es wird ein Begrenzungsmechanismus eingeführt, der vorsieht, dass keine einzelne Partei, die weniger als 40 % der abgegebenen Stimmen erhält, die Mehrheit der Sitze im Parlament erhalten darf. 30 Wahlkreise werden definiert, deren Abweichung von der durchschnittlichen Größe der Wahlkreise nicht mehr als 15 % beträgt. Im Falle einer vorgezogenen Neuwahl zwischen 2020 und 2024 wird diese nach demselben Wahlsystem wie im Jahr 2020 durchgeführt. Alle nachfolgenden Wahlen werden jedoch auf der Grundlage des vollständig proportionalen Wahlsystems durchgeführt, wie es für die Parlamentswahlen 2024 vorgesehen ist (civil 8.3.2020).

Quellen:

?        CW - Caucasus Watch (29.11.2018): Surabischwili gewinnt Wahl: Georgien bekommt erstmals eine Präsidentin, http://caucasuswatch.de/news/1190.html, Zugriff 12.8.2019

?        civil.ge (8.3.2020): Georgian Dream, Opposition Reach Consensus over Electoral Reform, https://civil.ge/archives/341385, Zugriff 9.3.2020

?        DW – Deutsche Welle (24.6.2019): Proteste in Tiflis trotz Zugeständnissen, https://www.dw.com/de/proteste-in-tiflis-trotz-zugest%C3%A4ndnissen/a-49339505, Zugriff 13.8.2019

?        JAMnews (20.11.2019): Protests in Tbilisi continue after dispersal – demonstrators plan to disrupt parliament, https://jam-news.net/protests-in-tbilisi-continue-after-dispersal-demonstrators-plan-to-disrupt-parliament/, Zugriff 22.11.2019

?        FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (29.11.2018): Georgien bekommt eine Präsidentin, https://www.faz.net/aktuell/salome-surabischwili-wird-neue-praesidentin-in-georgien-15915289.html, Zugriff 12.8.2019

?        FH - Freedom House (10.3.2020): Freedom in the World 2020 - Georgia, https://freedomhouse.org/country/georgia/freedom-world/2020, Zugriff 11.3.2020

?        KP – Kaukasische Post (23.11.2019a): Vorhängeschlösser und Wasserwerfer ersetzen den politischen Diskurs, http://www.kaukasische-post.com/?p=3078, Zugriff 17.1.2020

?        KP – Kaukasische Post (23.11.2019b): Welches Wahlrecht für Georgien?, http://www.kaukasische-post.com/?p=3075, Zugriff 17.1.2020

?        NZZ – Neue Zürcher Zeitung (20.11.2019): Georgiens Politiker manövrieren sich in eine Sackgasse, https://www.nzz.ch/international/georgien-proteste-nach-gebrochenem-versprechen-ld.1522982, Zugriff 22.11.2019

?        OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights, European Parliament, OSCE Parliamentary Assembly, Parliamentary Assembly of the Council of Europe (30.10.2016): International Election Observation Mission, Georgia – Presidential Election, Second Round, 28 November 2018 - Statement of Preliminary Findings and Conclusions, Preliminary Conclusions, https://www.osce.org/odihr/elections/georgia/404642?download=true, Zugriff 12.8.2019

?        RFE/RL – Radion Free Europe/Radion Liberty (28.11.2019): Georgian Police Cordon Off Parliament Building To Prevent Opposition Rally, https://www.rferl.org/a/georgian-police-cordon-off-parliament-building-to-prevent-opposition-rally/30297334.html, Zugriff 2.12.2019RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (1.11.2016): Georgia's Ruling Party Wins Constitutional Majority, http://www.rferl.org/a/georgia-elections-second-round-georgian-dream-super-majority/28085474.html, Zugriff 12.8.2019

?        RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (5.8.2019): Georgian Parliament Speaker Presents Amendments To Electoral Code, https://www.rferl.org/a/georgian-parliament-speaker-presents-amendments-to-electoral-code/30093372.html, 13.8.2019

?        Der Standard (2.12.2018): 25.000 Georgier wegen angeblichen Wahlbetrugs auf den Straßen – derstandard.at/2000092965067/25-000-Georgier-wegen-angeblichen-Wahlbetrugs-auf-den-Strassen, https://derstandard.at/2000092965067/25-000-Georgier-wegen-angeblichen-Wahlbetrugs-auf-den-Strassen?ref=rec, Zugriff 12.8.2019

?        Der Standard (31.10.2016): Regierungspartei kann Georgien im Alleingang regieren, http://derstandard.at/2000046738001/Wahlsieg-von-Regierungspartei-in-Georgien-in-zweiter-Runde-bestaetigt, Zugriff 12.8.2019

?        ZO – Zeit Online (26.11.2019): Zahlreiche Festnahmen bei regierungskritischen Protesten, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-11/georgien-tbilissi-proteste-wahlsystem-reform, Zugriff 2.12.2019


2.         Sicherheitslage

Letzte Änderung am 12.9.2019

Die Lage kann in den meisten Landesteilen als stabil bezeichnet werden. Die Konflikte um die beiden separatistischen georgischen Regionen Abchasien und Südossetien sind indes ungelöst und verursachen Spannungen. Trotz vordergründiger Beruhigung der Lage kann ein erneutes Aufflammen des Konfliktes zwischen Abchasien bzw. Südossetiens und Georgien nicht ausgeschlossen werden (EDA 13.8.2019).

Die EU unterstützt durch die Arbeit des EU-Sonderbeauftragten für den Südkaukasus und die EU-Beobachtermission (EUMM) aktiv die Bemühungen um Konfliktlösung. 2009 wurde der Incident Prevention and Response Mechanism (IPRM) geschaffen, der Risiko- und Sicherheitsfragen der Gemeinden in den abtrünnigen Regionen Abchasiens und Südossetens erörtern soll (EC 30.1.2019).

Quellen:

?        EC - European Commission (30.1.2019): Association Implementation Report on Georgia [SWD (2019) 16 final], https://eeas.europa.eu/sites/eeas/files/2019_association_implementation_report_georgia.pdf, Zugriff 30.1.2019

?        EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (13.8.2019): Reisehinweise für Georgien, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/georgien/reisehinweise-georgien.html, Zugriff 13.8.2019

2.1.    Regionale Problemzone: Südossetien

Letzte Änderung am 16.3.2020

Südossetien - amtliche Bezeichnung in Georgien auch: Region Tskhinvali - hat eine Fläche von ca. 3.900 km² (gov.ge o.D.) und eine Bevölkerung von ca. 53.000 (Jam 20.2.2016). Große Teile Südossetiens wurden nach dem Ende eines Bürgerkriegs 1992 de facto unabhängig. Der Krieg im Jahr 2008 führte zum Einmarsch russischer Truppen und zur Vertreibung der zuvor noch bestehenden georgischen Regierungspräsenz sowie etlicher ethnischer Georgier. Nur Russland und eine Handvoll anderer Staaten haben seither die Unabhängigkeit Südossetiens anerkannt. Das Territorium bleibt fast vollständig von Russland abhängig und Moskau übt einen entscheidenden Einfluss auf die Politik und die Regierungsführung aus (FH 4.2.2019s).

Im März 2019 drückte eine Resolution des UN-Menschenrechtsrates erneut große Besorgnis über die Menschenrechtssituation in Südossetien aus, wobei insbesondere Entführungen, willkürliche Festnahmen, Verletzung von Eigentumsrechten, das Fehlen muttersprachlichen Schulunterrichts, mangelnde Freizügigkeit und Diskriminierung aufgrund ethnischer Herkunft und Verweigerung des Rückkehrrechts für die geflüchtete georgische Bevölkerung genannt werden. Die Diskriminierung dieser Bevölkerungsteile kann als zielgerichtet bewertet werden, um diese zur Abwanderung zu bewegen. Dagegen ist die Anwesenheit der im Gebiet von Akhalgori [Leningor] lebenden Georgier gegenwärtig akzeptiert (AA 19.10.2019, vgl. FH 4.2.2019s). Die südossetischen de facto-Behörden verweigern den meisten wegen des Konflikts von 2008 vertriebenen ethnischen Georgiern die Rückkehr nach Südossetien und erlauben den meisten internationalen Organisationen keinen regelmäßigen Zugang nach Südossetien zur Leistung humanitärer Hilfe (USDOS 11.3.2020).

Die russische „Grenzverfestigung“ (borderization) der administrativen Grenze (ABL) geht weiter, sodass Anrainer von ihren Gemeinden bzw. Lebensgrundlagen getrennt werden (USDOS 11.3.2020, vgl. AI 7.2019). Die Dorfbewohner - einige leben in den ärmsten Teilen des Landes - verlieren Zugang zu Weiden, Ackerland und Obstgärten, zu Wasserquellen und Brennholz. Sie sind von ihren Verwandten und Einkommensgrundlagen ebenso abgeschnitten wie vom kulturellen und sozialen Leben. Jedes Jahr werden Hunderte von Menschen willkürlich festgehalten, während sie versuchen, die ABL zu überqueren (AI 7.2019). Die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit zwischen Südossetien und Georgien wurden 2018 verschärft. Wie in den vergangenen Jahren wurden Dutzende georgischer Bürger von südossetischen Grenzschutzbeamten in der Nähe der administrativen Grenze zum Rest Georgiens festgehalten und gegen Zahlung einer Geldstrafe freigelassen. Im November 2018 verabschiedete das Parlament Südossetiens ein neues Gesetz, das die Geldbußen für illegale Grenzübertritte um fast das Vierfache erhöht. Ende Dezember 2018 gaben die Behörden bekannt, dass ein spezieller Pass erforderlich sein würde, um die Grenze zu Georgien zu überschreiten (FH 4.2.2019s).

Die lokalen Medien stehen weitgehend unter Kontrolle der Behörden, die auch die Aktivitäten der Zivilgesellschaft einschränken oder genau überwachen. Zahlreiche politische Parteien wurden durch bürokratische Hürden an der Registrierung vor den Parlamentswahlen 2019 gehindert. Aufgrund des erheblichen russischen Einflusses auf die Innenpolitik und Entscheidungsfindung arbeitet die Regierung Südossetiens nicht transparent. Behörden-Korruption ist weit verbreitet. Ein systematischer Zugang diese zu bekämpfen besteht nicht. Die Justiz ist nicht unabhängig. Sie unterliegt politischer Einflussnahme und Manipulation und dient zur Bestrafung vermeintlicher politischer Gegner. Körperliche Übergriffe und schlechte Bedingungen sind Berichten zufolge in Gefängnissen und Haftanstalten weit verbreitet (FH 4.2.2019s).

Die Bewohner demonstrieren gelegentlich gegen Umweltzerstörung, das schleppende Tempo des Wiederaufbaus nach dem Krieg und seltener gegen politische Missstände. Die Versammlungsfreiheit ist jedoch stark eingeschränkt. Teilnehmer an nicht genehmigten Versammlungen laufen Gefahr, angeklagt zu werden (FH 4.2.2019s).

Die Mehrheit der Bevölkerung sind orthodoxe Christen. Es gibt aber auch eine beträchtliche muslimische Gemeinschaft. Ein Teil des Eigentums der georgisch-orthodoxen Kirche wird von der südossetisch-orthodoxen Kirche kontrolliert. Der Oberste Gerichtshof Südossetiens hat im Jahr 2017 die Zeugen Jehovas als extremistische Organisation verboten (FH 4.2.2019s).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (19.10.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2019042/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Georgien_%28Stand_Juli_2019%29%2C_19.10..pdf, Zugriff 30.1.2020

?        AI – Amnesty International: Georgia: Behind barbed wire (7.2019): Human rights toll of “borderization” in Georgia [EUR 56/0581/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2012567/EUR5605812019ENGLISH.PDF, Zugriff am 20.8.2019

?        FH - Freedom House (4.2.2019s): Freedom in the World 2019 - South Ossetia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2014287.html, Zugriff 20.8.2019

?        gov.ge – ??????????? ???????? / Government of Georgia (o.D.): ??????????? ??????????? ??????????? - ????????? ??????? / ??????? ?????, http://www.gov.ge/index.php?lang_id=GEO&sec_id=214, Zugriff 17.1.2020

?        Jam News (20.2.2016): How many people live today in South Ossetia?, https://jam-news.net/how-many-people-live-today-in-south-ossetia/, Zugriff 17.1.2020

?        USDOS – U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Georgia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/GEORGIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 12.3.2020
3.         Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung am 16.3.2020

Georgien hat bei der Reform des Justizsektors bescheidene Fortschritte erzielt. Es gibt noch immer wichtige Herausforderungen, um die erzielten Fortschritte zu konsolidieren und die Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten. Die Zivilgesellschaft hat Bedenken hinsichtlich einer möglichen politischen Einmischung in die Justiz und den Medienpluralismus. Die wirksame Umsetzung der Rechtsvorschriften zu Menschenrechten und Antidiskriminierung stellt nach wie vor eine Herausforderung dar. Am 23.3.2018 schloss das georgische Parlament den Prozess der Verfassungsreform ab. Die überarbeitete Verfassung enthält neue Bestimmungen über die Gleichstellung der Geschlechter, Antidiskriminierung und Kinderrechte (EC 30.1.2019).

Die Stärkung eines unabhängigen und nach rechtsstaatlichen Grundsätzen handelnden Justizwesens gehört zu den wichtigsten Zielen der Regierung und wird fortgesetzt. NGOs begleiten den Reformprozess sehr aktiv und sehr kritisch mit. Ungeachtet der institutionellen Unabhängigkeit der Justiz ist das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz wenig ausgeprägt. Politisch motivierte Strafverfolgung war bis [zum Regierungswechsel] 2012 erkennbar und erfolgte in der Regel durch fingierte Vorwürfe von Korruption, Amtsmissbrauch oder Steuervergehen. Seit 2012 laufende Ermittlungen oder mit rechtskräftigen Urteilen abgeschlossene Strafverfahren gegen hochrangige Mitglieder und nachgeordnete Mitarbeiter der ehemaligen Regierung werden von georgischen und ausländischen NGOs nicht als politisch motiviert eingeschätzt, sondern beruhen auf rechtswidrigen bzw. strafrechtlich relevanten Handlungen durch Amtsträger oder Parteifunktionäre der Vorgängerregierung. Die Tatsache, dass Gerichte hierbei nicht immer den Anträgen der Staatsanwaltschaft folgen, zeigt eine wachsende Unabhängigkeit der Justiz und Grenzen für eine etwaige politische Zielsetzung der Verfahren. Nach dem Regierungswechsel 2012/13 erfolgte eine kontinuierliche Liberalisierung des Strafrechts. Eine feststellbare niedrigere Verurteilungsrate ist auf eine stärkere Emanzipierung der Richterschaft von den Anträgen der Staatsanwaltschaft zurückzuführen, aber auch auf eine Stärkung der Rechte der Verteidigung im Strafprozess (AA 19.10.2019).

Trotz der laufenden Justizreformen bleiben die Einmischung der Exekutive und der Legislative in die Gerichte ein erhebliches Problem, ebenso wie die Korruption und der Mangel an Transparenz und Professionalität bei Gerichtsverfahren. Nach einem neuen verfassungsrechtlichen Rahmen, der nach den Präsidentschaftswahlen 2018 in Kraft trat, werden die Richter des Obersten Gerichtshofs nicht mehr vom Präsidenten, sondern vom Hohen Justizrat ernannt und vom Parlament gebilligt. Ein gerichtliches Selbstverwaltungsorgan wählt die Mehrheit der Mitglieder des Rates (FH 10.3.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (19.10.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2019042/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Georgien_%28Stand_Juli_2019%29%2C_19.10..pdf, Zugriff 30.1.2020

?        EC - European Commission (30.1.2019): Association Implementation Report on Georgia [SWD (2019) 16 final], https://eeas.europa.eu/sites/eeas/files/2019_association_implementation_report_georgia.pdf, Zugriff 22.8.2019

?        FH - Freedom House (10.3.2020): Freedom in the World 2020 - Georgia, https://freedomhouse.org/country/georgia/freedom-world/2020, Zugriff 11.3.2020
4.         Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung am 16.3.2020

Das Innenministerium und der Staatssicherheitsdienst (SSSG) tragen die Hauptverantwortung für die Durchsetzung der Gesetze und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Das Ministerium ist die primäre Organisation der Strafverfolgung und umfasst die nationale Polizei, die Grenzsicherheitsdienste und die georgische Küstenwache. Der SSSG ist der Inlandsnachrichtendienst, der für Spionageabwehr, Terrorismusbekämpfung und Korruptionsbekämpfung zuständig ist. Es gibt Anzeichen dafür, dass die zivilen Behörden zeitweise keine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte ausüben (USDOS 11.3.2020).

Seit dem Regierungswechsel im Oktober 2012 ist von Machtmissbrauch von Amtsträgern nicht mehr die Rede. Bis 2012 waren Exekutivorgane, z.B. Staatsanwaltschaft, Polizei oder Finanzbehörden, als Machtinstrument oder als Mittel zur rechtswidrigen Erlangung wirtschaftlicher Vorteile von Regierungsangehörigen oder ihnen nahestehenden Personen missbraucht worden. Bestechung bzw. Bestechlichkeit von Polizisten sind allgemein nicht mehr zu verzeichnen. In ihrer Rolle als Hüter des Gesetzes werden sie öffentlich als zurückhaltend, aber auch als untätig wahrgenommen. Die Geheim- und Nachrichtendienste treten nicht als Repressionsinstrumente auf. NGOs fordern jedoch eine organisatorische Trennung der Sicherheitsdienste vom Innenministerium (AA 19.10.2019).

Die Wirksamkeit der staatlichen Mechanismen zur Untersuchung und Bestrafung von Missbrauch durch Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte ist begrenzt (USDOS 11.3.2020) und Straffreiheit bei Misshandlungsfällen bleibt ein anhaltendes Problem (HRW 14.1.2020; vgl. USDOS 11.3.202013.3.2019).

Trotz der rückläufigen Zahl der Beschwerden wegen polizeilicher Gewaltanwendung, welche beim Büro der Ombudsperson einlangten, verdoppelte sich fast gleichzeitig die Zahl der Verletzungen der Häftlinge nach der Festnahme. In der autonomen Region Adscharien stieg die Zahl der Verletzung nach Festnahmen fast um das Neunfache (PD 2.4.2019).

Das 2018 geschaffene Büro der staatlichen Inspektoren (State Inspector‘s Office) nahm seine Arbeit am 1.11.2019 auf (HRW 14.1.2020). Neben der Beobachtung etwa der gesetzeskonformen Verarbeitung von personenbezogenen Daten ist eine weitere Hauptaufgabe des State Inspector‘s Service die unparteiische und wirksame Untersuchung schwerer Verbrechen (inklusive Folter), die von Vertretern der Strafverfolgungsbehörden gegen die Menschenrechte und Freiheiten verübt werden, sowie Untersuchung von Straftaten, die unter Anwendung von Gewalt oder unter Verletzung der persönlichen Würde eines Opfers begangen wurden (SIS 22.8.2019; vgl. HRW 14.1.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (19.10.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2019042/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Georgien_%28Stand_Juli_2019%29%2C_19.10..pdf, Zugriff 30.1.2020

?        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Georgia, https://www.hrw.org/world-report/2020/country-chapters/georgia, Zugriff 17.1.2020

?        PD - Public Defender of Georgia (2.4.2019): Public Defender Presents Report on Situation of Human Rights and Freedoms in Georgia, http://www.ombudsman.ge/eng/akhali-ambebi/sakhalkho-damtsvelma-parlamentshi-sakartveloshi-adamianis-uflebata-da-tavisuflebata-datsvis-mdgomareobis-shesakheb-angarishi-tsaradgina, Zugriff 26.8.2019

?        SIS - State Inspector‘s Service (22.8.2019): Who we are? https://personaldata.ge/en/about-us#, Zugriff 22.8.2019

?        USDOS – U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Georgia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/GEORGIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 12.3.2020
5.         Folter und unmenschliche Behandlung

Letzte Änderung am 16.3.2020

Während die Verfassung und das Gesetz Folter verbietet, gibt es Berichte, dass sie von Regierungsbeamten angewandt wird (USDOS 11.3.2020). Umfangreicher Personalaustausch, insbesondere in den Behördenleitungen, die juristische Aufarbeitung (Strafverfahren gegen Verantwortliche) sowie durchgreifende Reformen bei Polizei und im Strafvollzug haben Vorfälle von Gewaltanwendung auf Einzelfälle reduziert, ein systemischer Charakter ist nicht mehr feststellbar. Ombudsperson und zivilgesellschaftliche Organisationen sprechen bekannt werdende Vorfälle von Gewaltanwendung und gegebenenfalls unzureichend betriebene Ermittlungen öffentlich an (AA 19.10.2019).

Beim Besuch des Europäischen Anti-Folterkomitees des Europaratals (CPT) im September 2018 wurden seitens Personen, die sich in Polizeigewahrsam befanden oder zuvor befunden hatten kaum Anschuldigungen wegen Misshandlung durch Polizeibeamte erhoben. Keinerlei diesbezügliche Anschuldigungen gab es gegenüber dem Personal in temporären Haftinstitutionen (CoE-CPT 10.5.2019). Das Büro der Ombudsperson erhielt im Zeitraum Jänner bis September 2019 54 Beschwerden über Misshandlungen durch Gefängnispersonal oder die Polizei und ersuchte hierbei die Staatsanwaltschaft, in 52 Fällen Untersuchungen einzuleiten. Keine der Untersuchungen führte zu einer Strafverfolgung (HRW 14.1.2020).

Was Misshandlung betrifft, gab es den Aktionsplan zur Bekämpfung von Folter, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung oder Strafe für den Zeitraum 2017-2018. Fälle von Misshandlungen im Strafvollzug haben sich im Gegensatz zu Fällen von Misshandlungen durch Polizeibeamte verringert (EC 30.1.2019).

In ihrem Jahresbericht 2019 an das Parlament berichtet die Obmudsfrau von Fällen von Misshandlungen auf Polizeistationen und in Haftanstalten. Verbesserungen zum Schutz der Häftlinge vor Misshandlung blieben eine wichtige Aufgabe der georgischen Regierung. Die öffentlich erhobenen Forderungen nach unabhängiger Untersuchung mündeten in der Einrichtung einer unabhängigen Stelle (Service of State Inspector; vgl. Abschnitt 4. Sicherheitsbehörden), die auch die Aufgaben des bestehenden Datenschutzbeauftragten umfasst. Es stößt jedoch auf deutliche Kritik, dass dieses Amt nicht mit einem eigenen Budget und staatsanwaltlichen Befugnissen ausgestattet ist (AA 19.10.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (19.10.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2019042/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Georgien_%28Stand_Juli_2019%29%2C_19.10..pdf, Zugriff 30.1.2020

?        CoE-CPT – Council of Europe - European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (10.5.2019): Report to the Georgian Government on the visit to Georgia carried out by the European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT) from 10 to 21 September 2018 [CPT/Inf (20 19 )16], https://www.ecoi.net/en/file/local/2009081/2019-16-inf-eng.docx.pdf, Zugriff 22.8.2019

?        EC - European Commission (30.1.2019): Association Implementation Report on Georgia [SWD (2019) 16 final],

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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