TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/3 L502 2211059-2

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Veröffentlicht am 03.09.2020
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Entscheidungsdatum

03.09.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55

Spruch

L502 2211059-2/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Nikolas BRACHER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch RAin XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.07.2019, FZ. XXXX , zu Recht erkannt:

A)       In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid aufgehoben.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Im Gefolge einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers (BF) wurde dieser mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 05.10.2018 darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot beabsichtigt sei, und zur Abgabe einer Stellungnahme hierzu aufgefordert.

2. Mit Schriftsatz vom 16.10.2018 gab er eine Stellungnahme ab und legte mehrere Beweismittel vor.

3. Mit Bescheid des BFA vom 14.11.2018 wurde gegen ihn gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf die Dauer von 8 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I). Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde ihm ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit der Entscheidung gewährt (Spruchpunkt II).

4. Der dagegen erhobenen Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 13.06.2019 stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

5. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme des BFA vom 11.07.2019 wurde der BF darüber in Kenntnis gesetzt, dass gegen ihn die Erlassung einer Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot beabsichtigt sei, und wurde er zur Abgabe einer Stellungnahme hierzu aufgefordert.

6. Mit Schriftsatz seiner nunmehrigen rechtsfreundlichen Vertreterin vom 22.07.2019 gab er dazu eine Stellungnahme ab und legte mehrere Beweismittel vor.

7. Mit dem im Spruch genannten Bescheid des BFA vom 30.07.2019 wurde gegen den BF gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt II). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z. 1 FPG wurde gegen ihn ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt (Spruchpunkt IV).

8. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 30.07.2019 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG von Amts wegen ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben.

9. Gegen den am 31.07.2019 zugestellten Bescheid des BFA wurde mit 14.08.2019 binnen offener Frist durch die Rechtsvertreterin des BF Beschwerde erhoben.

10. Die Beschwerdevorlage des BFA langte am 22.08.2019 beim BVwG ein und wurde das gg. Beschwerdeverfahren in der Folge der Gerichtsabteilung L502 zugewiesen.

11. In weiterer Folge wurde die Beschwerde mit Erkenntnis des BVwG vom 17.10.2019 mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides zu lauten hat: Gemäß § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFA-VG wird gegen Sie eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt A)). Zudem wurden die Beschwerdeanträge auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung, auf Verlängerung des Aufenthaltstitels sowie auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen als unzulässig zurückgewiesen (Spruchpunkt B)) und die Revision für unzulässig erklärt (Spruchpunkt C)).

12. Gegen dieses Erkenntnis erhob die Rechtsvertreterin des BF Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (VfGH) und stellte unter einem einen Eventualantrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof (VwGH) sowie einen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.

13. Mit Beschluss des VfGH vom 06.12.2019 wurde dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 85 Abs. 2 und 4 VfGG Folge gegeben.

14. Mit Erkenntnis des VfGH vom 26.06.2020 wurde der Beschwerde zum Teil Folge gegeben und das angefochtene Erkenntnis des BVwG, soweit damit die Beschwerde gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen den Ausspruch, dass die Abschiebung in die Türkei zulässig sei, gegen die Erlassung eines auf die Dauer von zehn Jahren befristeten Einreiseverbotes und gegen die Festsetzung einer vierzehntägigen Frist zur freiwilligen Ausreise, abgewiesen wurde, aufgehoben.

Im Übrigen wurde die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und dem VwGH zur Entscheidung abgetreten.

15. Das BVwG erstellte aktuelle Auszüge aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR), dem Strafregister sowie dem Zentralen Melderegister (ZMR) den BF betreffend.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der og. Verfahrensgang steht fest.

1.2. Die Identität des BF steht fest. Er wurde in der Türkei geboren und ist türkischer Staatsangehöriger. Er reiste im Juli 2007 legal in das österr. Bundesgebiet ein und verfügt seither durchgehend über einen Aufenthaltstitel für dieses und eine aufrechte Meldeadresse hierorts.

Er ist ledig und kinderlos. In Österreich leben noch seine Mutter, sein Vater und zwei Schwestern sowie weitere Verwandte. Er lebt mit seinen Eltern im gemeinsamen Haushalt. Er spricht Deutsch und ist gesund und arbeitsfähig.

1.3. Von 09.09.2013 bis 07.11.2014 bestritt er seinen Lebensunterhalt durch den Bezug von Arbeitslosengeld. Er hat am 10.11.2014 eine Lehre begonnen, diese jedoch am 02.06.2015 abgebrochen. Er war von 26.07.2013 bis 02.09.2013 und von 08.10.2015 bis 10.11.2015 geringfügig beschäftigt. Seit 16.11.2015 ist er beim selben Dienstgeber als Arbeiter erwerbstätig.

1.4. Mit rechtskräftigem Urteil des XXXX vom XXXX wurde er gemäß XXXX zu einer XXXX verurteilt, wobei diese zur XXXX Unter einem wurde für die Dauer der Probezeit Bewährungshilfe angeordnet und ihm die Weisung, sich einer XXXX zu unterziehen, erteilt.

Mit Beschluss des XXXX vom XXXX wurde XXXX .

2. Beweiswürdigung:

2.1. Beweis erhoben wurde durch Einsichtnahme in den gg. Verfahrensakt des BFA unter zentraler Berücksichtigung der schriftlichen Stellungnahmen des BF und der von ihm vorgelegten Beweismittel, des bekämpften Bescheides und des Beschwerdeschriftsatzes sowie in die Entscheidung des VfGH vom 26.06.2020 und den dem VfGH seitens des BF vorgelegten Beschluss des XXXX über XXXX vom XXXX sowie durch die amtswegige Einholung von Auskünften des Zentralen Melderegisters, des Strafregisters, des IZR und des Grundversorgungsdatensystems den BF betreffend.

2.2. Der oben wiedergegebene Verfahrensgang sowie die Feststellungen zur Person des BF, seiner Einreise und seinem Aufenthalt im Bundesgebiet, seinen familiären Verhältnissen im Bundesgebiet, seinen Beschäftigungszeiten sowie seiner strafgerichtlichen Verurteilung waren im Lichte des vorliegenden Akteninhalts unstrittig.

3. Rechtliche Beurteilung:

Mit Art. 129 B-VG idF BGBl. I 51/2012 wurde ein als Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zu bezeichnendes Verwaltungsgericht des Bundes eingerichtet.

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 in Rechtssachen in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden.

Gemäß Art. 132 Abs. 1 Z. 1 B-VG kann gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.

Gemäß Art. 135 Abs. 1 B-VG iVm § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG) idF BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde als gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Mit BFA-Einrichtungsgesetz (BFA-G) idF BGBl. I Nr. 68/2013, in Kraft getreten mit 1.1.2014, wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) eingerichtet.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG idgF sowie § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Zu A)

1.1. Am 12. September 1963 schlossen die damaligen Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Rat der Europäischen Gemeinschaften mit der Türkei ein Abkommen zur Gründung einer Assoziation (Assoziierungsabkommen). Am 23. November 1970 verabschiedeten die Vertragsparteien das "Zusatzprotokoll zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation" (im Folgenden: ZP), das am 1. Januar 1973 in Kraft trat. In weiterer Folge wurde am 19.09.1980 durch den Assoziationsrat (dem durch das ZP Normsetzungskompetenz übertragen wurde) der Beschluss Nr. 1/80 über die Entwicklung der Assoziation (kurz: ARB 1/80) gefasst, welcher den vorangegangenen Beschluss Nr. 2/76 weitgehend ablöste.

In Art. 6 ARB 1/80 werden die Rechte türkischer Staatsangehöriger geregelt, welche je nach Beschäftigungsdauer in Österreich bestimmte Ansprüche im Hinblick auf ihre Weiterbeschäftigung und letztlich ihren Aufenthalt ableiten können.

Art 6 Abs. 1 ARB 1/80 lautet:

Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat

– nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;

– nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung – vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs – das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;

– nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.

Art 6 Abs. 2 ARB 1/80 lautet:

Der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit werden den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit werden zwar nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche.

Gemäß Art. 13 ARB 1/80 dürfen die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen.

Gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 gilt dieser Abschnitt vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind.

1.2. In Anbetracht der festgestellten Erwerbstätigkeit des BF im Bundesgebiet hat dieser die in Art. 6 ARB 1/80 vorgesehene Rechtstellung erworben.

Sind Rechte aus dem ARB 1/80 erst einmal entstanden, kann ein türkischer Staatsangehöriger sie (nur) unter zwei Voraussetzungen wieder verlieren. Entweder er verlässt den Aufnahmemitgliedstaat ohne berechtigte Gründe für einen nicht unerheblichen Zeitraum oder er stellt wegen seines persönlichen Verhaltens eine tatsächliche, schwerwiegende und gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit, Ordnung oder Gesundheit gemäß Artikel 14 dar (VwGH 28. Februar 2006, 2002/21/0130; sowie VwGH 04.04.2019, Ra 2019/21/0009).

1.3. In seinem Erkenntnis vom 04.04.2019, Ra 2019/21/0009, führte der VwGH unter Bezugnahme auf seine bisherige Rechtsprechung (vgl. insb. VwGH 27.6.2006, ZI. 2006/18/0138 und VwGH 26.09.2007, ZI. 2007/21/0215) zunächst aus, dass der Europäische Gerichtshof für die Bestimmung des Umfangs der in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehenen Ausnahme der öffentlichen Ordnung ausgeführt hat, dass darauf abzustellen sei, wie die gleiche Ausnahme im Bereich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die Angehörige der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft sind, ausgelegt wird; Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 setze den zuständigen nationalen Behörden Grenzen, die denen entsprechen, die für eine gegenüber einem Angehörigen eines Mitgliedstaats getroffene Ausweisungsentscheidung gelten (EuGH 10.2.2000, Nazli, C-340/97, Rn. 56 ff, sowie EuGH 11.11.2004, Cetinkaya, C-467/02, Rn. 43 ff). Im Hinblick auf die somit in Bezug auf die Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen angeordnete Gleichbehandlung von ARB-berechtigten türkischen Staatsangehörigen einerseits und - im Ergebnis - EWR-Bürgern andererseits folgerte der VwGH für das FPG in der Stammfassung, dass solche Maßnahmen gegen ARB-berechtigte türkische Staatsangehörige nur nach Maßgabe des § 86 Abs. 1 FPG, mit dem die Unionsbürger-RL umgesetzt wurde und der demnach umschrieb unter welchen Voraussetzungen (insbesondere) gegen EWR-Bürger ein Aufenthaltsverbot erlassen werden könne, in Betracht kämen und maß die Zulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes gegen diese Personen an den Kriterien dieser Bestimmung (siehe etwa VwGH 27.06.2006, ZI. 2006/18/0138).

Im Weiteren legte der VwGH dar:

„Dass in Bezug auf den Umfang der in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehenen Ausnahme der öffentlichen Ordnung darauf abzustellen ist, wie die gleiche Ausnahme im Bereich der Freizügigkeit der Angehörigen der Mitgliedstaaten ausgelegt wird, hat der Europäische Gerichtshof auch in seiner jüngeren Judikatur zum Ausdruck gebracht (vgl. EuGH 8.12.2011, Ziebell, C-371/08, Rn. 67). Im eben genannten Urteil wurde aber erkannt, dass der erhöhte Ausweisungsschutz, wie er in Art. 28 Abs. 3 lit. a der Unionsbürger-RL festgelegt ist (umgesetzt ursprünglich durch § 86 Abs.1 fünfter Satz FPG, jetzt durch § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG), nicht auch auf Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 zu übertragen sei (Rn. 74).

Demgegenüber sei - gemäß den Rn. 79 ff des genannten Urteils Ziebell - für ARB-berechtigte türkische Staatsangehörige, die sich seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen rechtmäßig im Aufnahmemitgliedsstaat aufhalten, Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG (Daueraufenthalts-RL) maßgeblich, sodass es darauf ankomme, ob der Betreffende eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt“ (VwGH 04.04.2019, Ra 2019/21/0009).“

Aus diesen Ausführungen leitete der VwGH ab, dass seine bisherige Rechtsprechung, wonach die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen ARB-berechtigte türkische Staatsangehörige nur nach Maßgabe jener Norm in Frage komme, die Aufenthaltsverbote gegen EWR-Bürger regelt, sohin in Form eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 67 FPG idgF, nicht mehr aufrechterhalten werden könne.

Infolge der Novelle des FPG durch das FrÄG 2011 sie es vielmehr zu einer grundsätzlichen Neuordnung des Systems aufenthaltsbeendender Maßnahmen gekommen, der zufolge in Umsetzung der Rückführungs-RL die neuen Institute der Rückkehrentscheidung und des Einreiseverbots in das nationale Recht eingeführt wurden. Schließlich sei dieses neue System mit dem FNG-Anpassungsgesetz (BGBl I 68/2013) weiter verändert worden, weshalb mit Wirksamkeit vom 01.01.2014 die Rechtsinstitute der Ausweisung und des Aufenthaltsverbotes nach den §§ 66 und 67 FPG idgF ausschließlich gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige in Betracht kämen. Für alle sonstigen Drittstaatsangehörigen komme hingegen nur mehr eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, allenfalls in Verbindung mit einem Einreiseverbot gemäß § 53 FPG, als aufenthaltsbeendende Maßnahme in Betracht.

Daran anknüpfend hielt der Verwaltungsgerichtshof erstmals fest, dass türkische Staatsangehörige mit einer Aufenthaltsberechtigung nach dem ARB 1/80 „sonstige“ Drittstaatsangehörige darstellen und daher dem Wortlaut des § 52 FPG folgend dem Anwendungsbereich dieser Bestimmung unterliegen.

Erläuternd führte der VwGH aus: „Vor allem aber ist zu bedenken, dass türkische Staatsangehörige, gegen die in Einklang mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 eine aufenthaltsbeendende Maßnahme erlassen wird, zu illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen werden, denen daher nach der Rückführungs-RL im Wege einer Rückkehrentscheidung eine Rückkehrverpflichtung in ihr Herkunftsland, ein Transitland gemäß gemeinschaftlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder in ein anderes Drittland, in das sie freiwillig zurückkehren wollen und in dem sie aufgenommen werden, aufzuerlegen ist (Art. 6 Abs. 1 und 6 iVm Art. 3 Z 3 und 4 Rückführungs-RL). Das wird im österreichischen Rechtsbereich (seit 1. Jänner 2014 zur Gänze) nur mehr durch die Rückkehrentscheidung nach § 52 FPG umgesetzt, die nach dem 8. Absatz dieser Bestimmung den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde, verpflichtet. Demgegenüber verpflichten Ausweisungen nach § 66 FPG und Aufenthaltsverbote nach § 67 FPG nur zur Ausreise aus Österreich (siehe § 70 Abs. 1 FPG)“ (VwGH 04.04.2019, Ra 2019/21/0009).

1.4. Aus diesen Ausführungen des VwGH ergibt sich nunmehr, dass gegen türkische Staatsangehörige, die über eine Aufenthaltsberechtigung nach dem ARB 1/80 verfügen und deren Aufenthalt in Übereinstimmung mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 beendet werden soll, anders als nach der bis 31. Dezember 2013 geltenden Rechtslage nicht mehr ein Aufenthaltsverbot, sondern eine Rückkehrentscheidung, allenfalls samt Einreiseverbot, zu erlassen ist.

2.1. § 52 FPG idgF lautet:

(1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich

1.       nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder

2.       nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1.       dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

2.       dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3.       ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

4.       ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

(3) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1.       nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre,

1a.     nachträglich ein Versagungsgrund eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Einreisetitels entgegengestanden wäre oder eine Voraussetzung gemäß § 31 Abs. 1 wegfällt, die für die erlaubte visumfreie Einreise oder den rechtmäßigen Aufenthalt erforderlich ist,

2.       ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und im ersten Jahr seiner Niederlassung mehr als vier Monate keiner erlaubten unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

3.        ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er länger als ein Jahr aber kürzer als fünf Jahre im Bundesgebiet niedergelassen ist und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

4.       der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder

5.       das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, aus Gründen, die ausschließlich vom Drittstaatsangehörigen zu vertreten sind, nicht rechtzeitig erfüllt wurde.

Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

(6) Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.

(7) Von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 ist abzusehen, wenn ein Fall des § 45 Abs. 1 vorliegt und ein Rückübernahmeabkommen mit jenem Mitgliedstaat besteht, in den der Drittstaatsangehörige zurückgeschoben werden soll.

(8) Die Rückkehrentscheidung wird im Fall des § 16 Abs. 4 BFA-VG oder mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 28 Abs. 2 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

(10) Die Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 kann auch über andere als in Abs. 9 festgestellte Staaten erfolgen.

(11) Der Umstand, dass in einem Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung deren Unzulässigkeit gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festgestellt wurde, hindert nicht daran, im Rahmen eines weiteren Verfahrens zur Erlassung einer solchen Entscheidung neuerlich eine Abwägung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG vorzunehmen, wenn der Fremde in der Zwischenzeit wieder ein Verhalten gesetzt hat, das die Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtfertigen würde.

§ 9 BFA-VG lautet:

(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.       das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.       die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.       der Grad der Integration,

5.       die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.       die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.       Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 Abs. 1a FPG nicht erlassen werden, wenn

1.       ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, oder

2.       er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.

Art. 8 EMRK lautet:

(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

§ 55 FPG lautet:

(1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.

(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt.

(4) Das Bundesamt hat von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abzusehen, wenn die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 BFA-VG aberkannt wurde.

(5) Die Einräumung einer Frist gemäß Abs. 1 ist mit Mandatsbescheid (§ 57 AVG) zu widerrufen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder Fluchtgefahr besteht.

2.2. Im gg. Fall stützte die belangte Behörde die Erlassung der Rückkehrentscheidung in der Begründung des angefochtenen Bescheides auf § 52 Abs. 5 FPG und führte hierzu aus, dass der BF eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstelle und Art 8 EMRK der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen ihn nicht entgegenstehe.

2.3. Wie oben dargelegt wurde, hat der BF Rechte aus Art 6 ARB 1/80 erworben und verfügt über einen Daueraufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“, weshalb eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 5 FPG voraussetzt, dass die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG die Annahme rechtfertigen, dass von ihm eine gegenwärtige und hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit ausgeht.

Schon die Erlassung einer Rückkehrentscheidung an sich gegen den BF setzt sohin eine Gefährdungsprognose voraus, die jener gleichkommt, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger rechtfertigt, oder wie sich aus der Rechtssache Ziebell (C-371/08, vom 08.12.2011) des EuGH ergibt, im Fall eines türkischen Staatsangehörigen, der sich seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen rechtmäßig in Österreich aufhält, Art. 12 der Daueraufenthalts-RL - umgesetzt durch § 52 Abs. 5 FPG – entspricht, sohin, dass von ihm eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit ausgeht (vgl. VwGH 04.04.2019, Ra 2019/21/0009).

Hierzu hat der VwGH in seinem Erkenntnis vom 21.06.2018, Ra 2016/22/0101 festgehalten:

Gemäß § 52 Abs. 5 FrPolG 2005 ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen bestimmte Drittstaatsangehörige nur dann zulässig, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FrPolG 2005 die Annahme rechtfertigen, dass der weitere Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt. Bei der Prüfung, ob die Annahme einer solchen Gefährdung gerechtfertigt ist, muss eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung vorgenommen werden (vgl. VwGH 22.3.2018, Ra 2017/22/0194). Dabei ist auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme (hier: eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit) gerechtfertigt ist (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289). Es ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. VwGH 20.12.2016, Ra 2016/21/0109; 31.8.2017, Ra 2017/21/0120).

Zudem ist bei der Gefährdungsprognose - abgesehen von der Bewertung des bisherigen Verhaltens des BF - darauf abzustellen, wie lange die von ihm ausgehende Gefährdung zu prognostizieren ist. Diese Prognose ist nachvollziehbar zu begründen (vgl. VwGH 06.11.2018, Ra 2018/18/0203 mit Hinweis auf VwGH 30.6.2015, Ra 2015/21/0002).

Hinsichtlich des – hier maßgeblichen - § 53 Abs. 3 Z. 1 FPG hat der VwGH in seinem Erkenntnis vom 30.08.2018, Ra 2018/21/0049 festgehalten:

Wird der Tatbestand des § 53 Abs. 3 Z 1 FrPolG 2005 (idF FrÄG 2017), der auf die gerichtliche Verurteilung zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe "von mindestens sechs Monaten" abstellt, gerade noch mit einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten erfüllt, so reicht dies für sich genommen nicht zur Annahme einer schwerwiegenden Gefahr iSd letzten Halbsatzes des § 66 Abs. 1 FrPolG 2005 aus. Liegen die Straftaten des (bis dahin unbescholtenen) Fremden bis zur Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses mehr als sechs bzw. fünf Jahre zurück, wobei sich der Fremde seither wohlverhalten hat, ist die Annahme einer - erhöhten (siehe zu den abgestuften Gefährdungsmaßstäben etwa VwGH 26.1.2017, Ra 2016/21/0370) - Gefährdung iSd § 66 Abs. 1 letzter Halbsatz FrPolG 2005 keinesfalls gerechtfertigt.

Allerdings kann nach der hg. Rechtsprechung auch aus einem einmaligen Fehlverhalten - entsprechende Gravidität vorausgesetzt - eine maßgebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit abgeleitet werden. Im Hinblick darauf ist die Verhängung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes, auch gegen langjährig rechtmäßig in Österreich aufhältige Fremde, gegebenenfalls nicht zu beanstanden (vgl. VwGH 03.07.2018, Ra 2018/21/0099 mit Hinweis auf VwGH 29.6.2017, Ra 2016/21/0338; VwGH 15.3.2018, Ra 2018/21/0021).

Die fremdenpolizeiliche Beurteilung ist unabhängig und eigenständig von den die des Strafgerichts für die Strafbemessung, die bedingte Strafnachsicht und den Aufschub des Strafvollzugs betreffenden Erwägungen zu treffen (vgl. Erkenntnis des VwGH v. 6.Juli 2010, Zl. 2010/22/0096). Es obliegt dem erkennenden Gericht festzustellen, ob eine Gefährdung im Sinne des FPG vorliegt oder nicht. Es geht bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes in keiner Weise um eine Beurteilung der Schuld des Fremden an seinen Straftaten und auch nicht um eine Bestrafung (vgl. Erkenntnis des VwGH vom 8. Juli 2004, 2001/21/0119). Selbiges gilt auch für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot.

Ein allfälliger Gesinnungswandel eines Straftäters ist der ständigen Judikatur des VwGH zufolge grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug der Freiheitsstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat (vgl. VwGH vom 25.01.2018, Ra. 2018/21/0004 sowie VwGH vom 19. April 2012, Zl. 2010/21/0507, und vom 25. April 2013, Zl. 2013/18/0056, jeweils mwN).

Das gilt auch im Fall einer (erfolgreich) absolvierten Therapie (VwGH vom 26.01.2017, Zl. Ra 2016/21/0233 - vgl. E 22. September 2011, 2009/18/0147; B 22. Mai 2014, Ro 2014/21/0007; B 15. September 2016, Ra 2016/21/0262).

Darüber hinaus ist festzuhalten, dass die Entscheidung nur nach Einzelfallbeurteilung erfolgen kann, weshalb insoweit die abstrakte allgemeine Festlegung eines Wohlverhaltenszeitraumes nicht in Betracht kommt. Dass es aber grundsätzlich eines Zeitraums des Wohlverhaltens - regelmäßig in Freiheit - bedarf, um von einem Wegfall oder einer wesentlichen Minderung der vom Fremden ausgehenden Gefährlichkeit ausgehen zu können, was grundsätzlich Voraussetzung für die Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes ist, kann nicht mit Erfolg in Zweifel gezogen werden (VwGH vom 17.11.2016, Ra 2016/21/0193; vgl. auch VwGH vom 22. Jänner 2013, 2012/18/0185 und vom 22. Mai 2013, 2013/18/0041); ebenso wenig, dass dieser Zeitraum üblicherweise umso länger anzusetzen sein wird, je nachdrücklicher sich die für die Verhängung des Aufenthaltsverbotes maßgebliche Gefährlichkeit manifestiert hat (VwGH 22.01.2015, Ra 2014/21/0009; 28.01.2016, Ra 20015/21/0013). Wenn sich die Gefährdung über einen - beginnend mit der Haftentlassung - Zeitraum von mehr als 8 Jahren nicht erfüllt, kann die diesem Aufenthaltsverbot zugrundeliegende Zukunftsprognose grundsätzlich nicht mehr aufrechterhalten werden (vgl. VwGH vom 09.09.2013, 2013/22/0117). Auch diese Ausführungen lassen sich auf eine Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot übertragen.

2.4. Für den konkreten Fall bedeutet dies:

2.4.1. In einer Stellungnahme vom 22.07.2019 brachte der BF durch seine Vertreterin vor, dass er den überwiegenden Teil seines Lebens in Österreich verbracht hat, seine Familie seit Jahrzehnten hier lebt, er aktiv im Arbeitsleben steht und hier seine Ausbildung erhalten hat, er sohin tief verwurzelt sei. Seine strafrechtliche Verurteilung bereue er zutiefst und habe er seither alle Auflagen erfüllt und sich Therapien unterzogen. Es könne deshalb nicht (mehr) von einer schwerwiegenden und gegenwärtigen Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgegangen werden.

Einem Bericht des Vereins XXXX folgend, wo sich der BF aufgrund strafgerichtlicher Weisung der Absolvierung einer XXXX unterzog, erfüllte der BF seit Dezember 2016 diese Auflage des Gerichts. Darüber hinaus wurde festgehalten, dass sich der BF mit seinem Delikt auseinandergesetzt habe, dafür die volle Verantwortung übernommen habe und insgesamt einen positiven persönlichen Wandel vollzogen habe. Zu beachten seien dabei auch seine Integrationsbemühungen, Probleme bei der Integration während der Schulzeit sowie die erwachende Sexualität in der Pubertät, die zu der der Verurteilung zu Grunde liegenden „Grenzverletzung“ beigetragen hätten.

Im bekämpften Bescheid führte die belangte Behörde aus, dass angesichts der Gesamtbeurteilung des Verhaltens des BF unter Berücksichtigung seiner familiären und privaten Interessen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot gerechtfertigt sei und angesichts der nach wie vor von ihm ausgehenden erheblichen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit auch notwendig sei um diese hintan zu halten.

In der Beschwerde wurde vorgebracht, dass eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr angesichts mittlerweile dreijährigem Wohlverhalten, erfolgreichen Therapien, positiven Berichten der Bewährungshilfe und von Therapeuten, der Reue des BF, seiner aufrechten Berufstätigkeit und intensiven Familienbindungen jedenfalls nicht ausgehe. Bei gehöriger Berücksichtigung dieser Umstände des BF hätte die belangte Behörde zu einer positiven Gefährdungsprognose kommen müssen und keine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot verhängen dürfen. Zudem würden jedenfalls die familiären und privaten Interessen des BF gegenüber den öffentlichen Interessen bei Weitem überwiegen.

2.4.2. Der BF wurde unstrittiger Weise mit rechtskräftigem Urteil des XXXX vom XXXX zu einer XXXX von XXXX verurteilt. Unter einem wurde die Bewährungshilfe sowie eine XXXX angeordnet.

Der Tatbestand des § 53 Abs. 3 Z. 1 FPG war durch diese rechtskräftige gerichtliche Verurteilung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten erfüllt. Nach der hg. Rechtsprechung indiziert die Erfüllung eines der in § 53 Abs. 3 Z. 1 bis 8 FPG normierten Tatbestände das Vorliegen einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit (vgl. VwGH 24.05.2018, Ra 2017/19/0311).

Der BF wurde wegen XXXX und XXXX rechtskräftig verurteilt. Zu den konkreten Tatumständen war ausgehend vom strafgerichtlich festgestellten Sachverhalt festzuhalten, dass der BF XXXX Zeugte schon dieses Verhalten von einer verwerflichen Haltung des Beschwerdeführers der österreichischen Rechtsordnung und XXXX gegenüber, kam erschwerend hinzu, dass er schon zuvor im XXXX . Dieser enthemmte Umgang mit geschützten Rechtsgütern bezeugte die von ihm ausgehende erhebliche kriminelle Energie. Mildernd wurde die teilweise geständige Verantwortung des BF sowie sein bisher tadelloser Lebenswandel berücksichtigt, demgegenüber fiel aber das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen erschwerend ins Gewicht.

2.4.3. Zu strafbaren Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung bei minderjährigen Opfern hat der VwGH festgehalten, dass es sich beim geschützten Rechtsgut der sexuellen Integrität von unmündigen Minderjährigen (also von Personen, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben), mit dem Ziel Kindern eine ungestörte sexuelle und allgemeine psychische Entwicklung zu ermöglichen, um ein objektiv besonders wichtiges Rechtsgut handelt. Auch der EuGH hat in seinem Urteil vom 13. Juli 2017, C- 193/16, ungeachtet dessen, dass dort eine Beurteilung nach der Richtlinie 2004/38/EG ("Unionsbürgerrichtlinie") vorzunehmen war, zum (dort gegebenen) sexuellen Missbrauch von Minderjährigen in verallgemeinernder Form festgehalten, dass nach Art. 83 Abs. 1 AEUV die sexuelle Ausbeutung von Kindern zu den Bereichen besonders schwerer Kriminalität gehört, die eine grenzüberschreitende Dimension haben und für die ein Tätigwerden des Unionsgesetzgebers vorgesehen ist. Daher steht es den Mitgliedstaaten frei, Straftaten wie die in Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV angeführten als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses anzusehen, bei der die Gefahr der Wiederholung eine unmittelbare Bedrohung der Ruhe und der physischen Sicherheit der Bevölkerung darstellt (vgl. VwGH 05.04.2018, Ra 2017/19/0531).

Primär aufgrund der bereits dargelegten Vorgehensweise des BF bei der Tatbegehung – und der daraus abzuleitenden erheblichen kriminellen Energie – sowie des Umstandes, dass durch das strafbare Verhalten des BF ein besonders gewichtiges Grundinteresse der Gesellschaft beeinträchtigt wurde, ging das BVwG im Erkenntnis vom 17.10.2019, FZ. L502 2211059-2/2E, von einer maßgeblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit durch den BF aus und kam folglich zum Schluss, dass die Erlassung der Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot wegen strafbarer Handlungen gegen fremdes Vermögen und die sexuelle Integrität von Minderjährigen auch bei einem rund zwölfjährigen Aufenthalt des Fremden in Österreich gerechtfertigt sei und wegen der Gravidität seiner strafbaren Handlungen auch keine positive Zukunftsprognose getroffen werden kann.

Dieser Auffassung vermochte sich der vom BF im Beschwerdeweg angerufene VfGH in seinem Erkenntnis vom 26.06.2020, E 4227/2019, jedoch nicht anzuschließen, sondern kam zum Ergebnis, dass es das erkennende Gericht unterlassen habe, die Gravidität der strafbaren Handlungen des BF in nachvollziehbarer und schlüssiger Weise für den konkreten Fall darzulegen sowie, dass nicht ersichtlich sei, worin sich die Nachdrücklichkeit der maßgeblichen, von ihm ausgehenden Gefahr manifestiert haben soll, zumal er bloß zu einer XXXX verurteilt wurde, die Probezeit bereits abgelaufen und endgültige Strafnachsicht eingetreten sei. Auch die Auffassung, dass keine positive Zukunftsprognose angestellt werden könne, sei angesichts des positiven Lebenswandels des BF nicht nachvollziehbar.

Unter Berücksichtigung dieser einzelfallbezogenen Einschätzung des VfGH galt es daher im fortgesetzten Verfahren ins Kalkül zu ziehen, dass der BF bislang lediglich einmal zu einer XXXX von XXXX verurteilt wurde, sodass sich angesichts des Strafrahmens des XXXX seine Bestrafung im untersten Bereich dieses Rahmens bewegte. Wegen seines jungen Alters wurde er außerdem als XXXX verurteilt. Mildernd berücksichtigte das Strafgericht dabei die teilweise geständige Verantwortung des BF sowie seinen bisher tadellosen Lebenswandel. Der Umstand, dass zwischenzeitig die gegen ihn verhängte XXXX zur Gänze nachgesehen wurde, ließ darauf schließen, dass das Strafgericht nicht davon ausging, dass es des Haftübels bedarf, um den BF künftig von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten.

Überdies war auch der zwischenzeitliche Lebenswandel des BF zu beachten. Inzwischen sind seit der letzten strafbaren Handlung vom XXXX mehr als fünf Jahre vergangen, ohne dass er erneut straffällig wurde. Selbst wenn der Zeitraum des Wohlverhaltens seit der Verurteilung im Falle des BF länger anzusetzen wäre, zumal er zweimal besonders verwerfliche Tathandlungen in einem zeitlichen Abstand von nur etwa neun Monaten begangen hat und der Zeitraum des notwendigen Wohlverhaltens umso länger anzusetzen ist, je nachdrücklicher sich die für die Verhängung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme maßgebliche Gefährlichkeit manifestiert hat (vgl. etwa zum Aufenthaltsverbot VwGH 22.01.2015, Ra 2014/21/0009; 28.01.2016, Ra 20015/21/0013), konnte aktuell nicht mehr von einer hinreichend schweren, von ihm ausgehenden Gefahr ausgegangen werden. Zwar war im Hinblick auf die von ihm behauptete und auch seitens des Berichtes des Vereins XXXX unterstellte Verantwortung für seine Straftaten und seine gute Absicht, künftig mit seinen Angehörigen ein geläutertes Leben führen zu wollen, zu bedenken, dass ihn in der Vergangenheit auch sein familiäres Umfeld nicht von der Begehung von Straftaten abgehalten hat, allerdings sprach für einen Gesinnungswandel des BF auch der Umstand, dass er sämtliche mit der Verurteilung auferlegten Weisungen einhielt und nunmehr offenbar einen – angesichts der inzwischen längerfristigen Erwerbstätigkeit – positiven Lebenswandel vollzog. Auch ein Rückfall aus wirtschaftlichen Motiven ist derzeit nicht wahrscheinlich, zumal er einer geregelten Erwerbstätigkeit nachgeht, mit der er ein ausreichendes Einkommen erwirtschaftet. Nicht zuletzt galt es zu bedenken, dass die bedingte Freiheitsstrafe inzwischen mit Beschluss des XXXX vom XXXX endgültig nachgesehen wurde.

Den oben dargelegten Ausführungen des VfGH Rechnung tragend, war daher zugunsten des BF festzuhalten, dass sein Persönlichkeitsbild aktuell nicht mehr den Schluss zulässt, dass er durch sein künftiges Verhalten im Falle des Weiterverbleibes im österreichischen Bundesgebiet die öffentliche Ordnung und Sicherheit im erforderlichen Ausmaß gefährden werde.

2.4.4. Vor dem rechtlichen Hintergrund, dass das persönliche Verhalten des BF „eine tatsächliche, schwerwiegende und gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit, Ordnung oder Gesundheit" gemäß Artikel 14 ARB 1/80 darzustellen hat, damit gegen ihn als begünstigten Drittstaatsangehörigen gemäß § 52 Abs. 5 iVm § 53 Abs. 3 eine Rückkehrentscheidung erlassen werden kann, fanden sich sohin keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass das bisherige Verhalten des BF diesen Kriterien entspricht.

2.5. In einer Gesamtbetrachtung aller relevanten Aspekte war sohin die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den BF gemäß § 52 Abs. 5 FPG rechtswidrig.

2.6. In Erledigung der Beschwerde war Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides zu beheben.

3. Folgerichtig waren auch die Spruchpunkte II bis IV des angefochtenen Bescheides zu beheben.

4. Gemäß § 24 Abs. 2 Z. 1 VwGVG kann eine mündliche Verhandlung entfallen, wenn bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben oder die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären ist.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte daher im gg. Fall gemäß § 24 Abs. 2 Z. 1 VwGVG entfallen.

5. Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Schlagworte

Assoziationsabkommen Einreiseverbot aufgehoben Ersatzentscheidung Gefährdungsprognose Rechtsanschauung des VfGH Rückkehrentscheidung behoben strafrechtliche Verurteilung Wohlverhalten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L502.2211059.2.00

Im RIS seit

28.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

28.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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