TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/6 I416 2226308-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.10.2020
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Entscheidungsdatum

06.10.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I416 2226308-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Alexander BERTIGNOL als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , geboren am XXXX , StA. Guinea, vertreten durch den Verein Legal Focus gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.10.2019, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.08.2020 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt III. wie folgt lautet:

„Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG wird nicht erteilt.“

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Guinea, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen ins Bundesgebiet ein und stellte am 13.11.2017 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Bei ihrer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes vom 14.11.2017 gab die Beschwerdeführerin befragt nach ihren Fluchtgründen wörtlich an: „Ich war in meinem Heimatland verheiratet und hatte eine gemeinsame Tochter. Mein Mann ist vor einem Jahr gestorben und weil es keine männlichen Nachkommen gibt, sollte ich den Bruder meines Mannes heiraten. Das wollte ich nicht. Dadurch bekam ich Probleme mit meiner Familie. Wenn ich dortgeblieben wäre, hätte ich mein ganzes Vermögen und das meines Mannes an die Familie abgeben müssen. Meine Tochter lebt jetzt bei meinem Bruder.“ Gefragt, was sie im Falle ihrer Rückkehr befürchte, gab sie wörtlich an: „Ich will nicht zurück.“. Konkrete Hinweise, dass ihr im Falle ihrer Rückkehr unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe oder die Todesstrafe drohen würde, bzw. dass sie mit irgendwelchen Sanktionen zu rechnen hätte, gäbe es nicht.

2.       Nach Feststellung, dass der Beschwerdeführerin ein Visum für die Schweiz mit Gültigkeitszeitraum vom 16.10.2017 bis 13.11.2017 ausgestellt worden ist, wurden Dublin Konsultationen mit der Schweiz geführt, und stimmte die Schweiz dem Ersuchen nach Überstellung der Beschwerdeführerin zu. Nach niederschriftliche Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 04.01.2018 wurde der Antrag vom 13.11.2017 gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 mit Bescheid vom 09.01.2018 als unzulässig zurückgewiesen und festgestellt, dass für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz die Schweiz zuständig sei und wurde die Außerlandesbringung angeordnet sowie die Abschiebung in die Schweiz für zulässig erklärt. Die für den 28.02.2018 avisierte unbegleitete Abschiebung konnte aufgrund des Verhaltens der Beschwerdeführerin nicht erfolgen, die für 12.03.2018 avisierte begleitete Abschiebung konnte aufgrund einer Fristversäumnis des Bundesverwaltungsgerichts und der daraus resultierenden Entlassung der Beschwerdeführerin aus der Schubhaft nicht durchgeführt werden. Die gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.01.2018 erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 01.10.2018, GZ: W184 2185777-1/3E als unbegründet abgewiesen.

3.       Am 12.06.2019 stellte die Beschwerdeführerin den verfahrensgegenständlichen Folgeantrag. Am 11.09.2016 wurde die Beschwerdeführerin von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Zu ihrem Gesundheitszustand befragt, gab sie an, dass sie chronische Hepatitis B habe, sowie dass sie vor zwei Wochen ein Kind auf die Welt gebracht habe, es ihr aber wieder gut gehen würde. Festgestellt habe sie erst in Österreich, dass sie an Hepatitis B leiden würde und sei ihr Mann an Leberkrebs gestorben. Sie habe nie einen Reisepass besessen und würden sich ihre anderen Dokumente sowie die ihres verstorbenen Mannes in einem Safe im Haus ihres Bruders befinden. Zu ihren persönlichen Lebensumständen gab sie an, dass sie der Volksgruppe der Fulla angehören würde, muslimischen Glaubens sei, seit ihrer Geburt in XXXX gelebt und aufgewachsen sei und sich dort auch bis zu ihrer Ausreise aufgehalten habe. Gewohnt habe sie vor ihrer Ausreise mehr als sechs Monate in ihrem Elternhaus zusammen mit ihrer Mutter, ihrem Stiefvater, ihrer Tochter, ihren beiden Schwestern und ihrem Bruder. Seit ihrer Ausreise aus Guinea wohne ihre Tochter zusammen mit ihrem Bruder an einer anderen Adresse in XXXX . Ihr Bruder sei zudem verlobt und ihre Schwestern seien noch ledig. In Guinea habe sie nach der Schule Wirtschaft und Finanzen studiert und auch ein entsprechendes Diplom erhalten. Nach ihrem Studium habe sie mehrere Praktika absolviert und dann für ihren Mann in der Buchhaltung gearbeitet, welcher Handelstreibender gewesen und oft nach China gereist sei. Zu ihrem Familienstand gab sie an, dass sie verwitwet sei und dass sie im Jänner 2019 traditionell in Österreich geheiratet habe. Kennengelernt habe sie den Vater ihres Sohnes am Tag ihrer Ankunft am Hauptbahnhof. Nachdem sie sich vom Schlepper getrennt habe, sei dies der erste Schwarze gewesen, den sie in Österreich getroffen habe. Dieser sei ebenfalls Fula, stamme aus Guinea und befinde sich seit 20 Jahren in Österreich, wobei er seit drei Jahren über eine Rot-Weiß-Rot Karte plus verfüge. Ihre Familienangehörigen würden alle noch in XXXX wohnen und habe sie zuletzt gestern Kontakt mit ihrem Bruder gehabt, um sich zu erkundigen, wie es ihrer Tochter gehen würde. Ihre Familie besitze ihn Guinea das Haus, in dem ihre Mutter leben würde und besitze sie von ihrem verstorbenen Mann ein Haus und zwei Grundstücke. Zu ihrer Fluchtroute führte sie aus, dass sie von Guinea in den Senegal gegangen sei, wo sie sich drei Wochen aufgehalten habe. Sie habe dort jedoch nicht bleiben können, weil dort Teile ihrer Familie und die ihres Mannes leben würden. Sie sei dann mit einem Mann, der ihr auch den Reisepass besorgt habe, weiter über die Türkei und die Schweiz nach Wien geflogen. Auf Vorhalt, dass sie am 13.11.2017 ihren ersten Asylantrag in Österreich gestellt habe, sich jedoch dem Verfahren entzogen habe und wo sie sich zwischen Februar 2018 und Juni 2019 aufgehalten habe, gab die Beschwerdeführerin an, dass sie die ganze Zeit in Österreich beim Vater ihres Kindes gelebt habe. Man habe ihr gesagt, dass sie ohne Ausweis keinen Meldezettel bekommen würde. Gefragt, warum sie nicht in der Schweiz einen Asylantrag gestellt habe, zumal sie über ein Visum für die Schweiz verfügt habe, gab sie an, dass dies der Herr, der sie aus Senegal begleitet habe, für sie entschieden hätte. Er habe sie gefragt, in welchem Land der Union sie einen Antrag stellen wolle und habe ihr Frankreich oder Belgien vorgeschlagen. Da ihr dort zu viele Landsleute wären, habe er ihr Norwegen, Polen und Österreich vorgeschlagen und ihr letztlich Österreich empfohlen. Zu ihren Fluchtgründen befragt, führte sie zusammengefasst aus, dass ihr Mann krank gewesen sei und habe sie gesehen, dass sich seine Familie nicht für seine Erkrankung interessiert habe und nur sein Hab und Gut gewollt habe. Als ihr Mann verstorben sei, habe die Familie ihres Mannes gesagt, dass sie seinen Bruder heiraten müsse, woraufhin sie den Entschluss gefasst habe auszureisen. Sie habe dann auch mit ihrer Mutter gesprochen und habe diese mit der Familie ihres verstorbenen Mannes kooperieren wollen, da diese sie unter Druck gesetzt hätten. Es seien ihrer Mutter böse Dinge vorausgesagt worden, die eintreffen würden, wenn sie nicht machen würde was von ihr verlangt werde. Daraufhin, habe sie mit ihrem Bruder gesprochen und habe dieser ihr gesagt, sie solle das Geld nehmen und das Land verlassen, damit sie nicht getötet werde. Gefragt, ob sie noch weitere Probleme in dem Herkunftsstaat gehabt habe, gab sie an, dass sie Leute verfolgt hätten, wenn sie mit dem Auto gefahren sei. Dazu führte sie auf Nachfrage an, dass diese Verfolgungen mit ihrem Fluchtgrund zusammenhängen würden. Sie habe das Land wegen dieser drohenden Zwangsverehelichung verlassen, andere Probleme habe sie nicht gehabt. Sie habe sich wegen dieser Probleme auch an die Gendarmerie gewandt und dort auch gesagt, dass sie von Leuten von der Familie ihres Mannes unter Angabe deren Namen verfolgt werde. Da die Familie ihres Mannes dort sehr bekannt gewesen sei, sei die Gendarmerie dann bestochen worden und habe die Gendarmerie ihr gesagt, dass sie nichts machen könnten, weil es sich um ein familiäres Problem handeln würde. Auf Nachfrage gab sie an, dass die Assistentin des Gendarmen ihr gesagt habe, dass der Bruder ihres verstorbenen Mannes vorgeladen worden sei und sich dieser mit den Gendarmen geeinigt habe. Sie sei insgesamt dreimal von denselben unbekannten Leuten in einem Pick-up verfolgt worden, da das Autokennzeichen immer gleich gewesen sei. Dies sei vier Monate nach dem Tod ihres Mannes nach der Trauerphase und einer Zusammenkunft beider Familien, in der sie gesagt habe, dass sie kein Mitglied dieser Familie heiraten werde, geschehen. Sie gab weiters an, dass ihr Mann im Oktober oder November 2016 gestorben sei und dass sie nach der Trauerphase den Bruder ihres Mannes hätte heiraten sollen. Gefragt, ob ihr Leben zwischen dem Tod ihres Mannes und ihrer Ausreise Ende 2017 in irgendeiner Form in Gefahr gewesen sei, gab sie wörtlich an: „Ja, mein Leben und das Leben meiner Tochter war in Gefahr, weil meine Tochter die einzige rechtmäßige Erbin meines Mannes ist.“ Auf Nachfrage, was genau passiert sei, gab sie wörtlich an: „Drohungen, ich habe auch telefonische Drohungen erhalten. Eine meiner Schwägerinnen, die Frau des jüngeren Bruders eines verstorbenen Mannes, mit der ich mich bis zuletzt sehr gut verstanden habe, hat mir erzählt was dort passiert. Ich erhielt Drohungen, sie hat mir gesagt, dass ich die Unterlagen hergeben muss.“ Diese Drohungen, habe sie in Form der Verfolgung mit dem Auto erlebt und zudem eine SMS erhalten, in welcher ihr wortwörtlich mitgeteilt worden sei: „Wenn du die Papiere für das Haus nicht hergibst, riskiert du dein Leben zu verlieren wegen des Erbes“ und habe sie auf diese SMS geantwortet: „Ich würde lieber sterben, als zu verlieren, was ich gemeinsam mit ihm aufgebaut habe“. Gefragt, wann sie diese SMS erhalten habe, gab sie an, dass dies im September 2017 gewesen sei. An die Polizei habe sie sich nicht mehr gewandt, da sie bereits beschlossen habe wegzugehen und sich um ihre Reise gekümmert habe. Gefragt, ob die Familie ihres Mannes kein Problem damit habe, dass ihre Tochter bei ihrem Bruder aufhältig sei, gab sie an, dass viele von den Familienangehörigen glauben würden, dass sie mit ihrer Tochter hier sei. Sie würden bereits wissen, dass sie in Europa sei, aber nicht in welchem Land - dies wisse nicht einmal ihre Mutter, nur ihr Bruder. Die Familie des Mannes wisse, dass sie sich in Europa aufhalte, da sie ihre Schwägerin, mit der sie sich gut verstehen würde, informiert habe. Sie führte weiters aus, dass die Familie ihres Mannes auch kein Problem damit gehabt habe, dass sie nach dem Tod ihres Mannes mit ihrer Tochter in ihr Elternhaus zurückgekehrt sei. Sie hätten sich nicht für ihre Tochter interessiert, sondern sei es ihnen nur um das Haus und um die Grundstücke gegangen. Ihr Bruder habe zudem die Adresse geändert, weil ihre Mutter von ihm verlangt habe, dass er auf sie einwirke, damit sie die Papiere der Familie zurückgebe. Der Grund dafür sei ihre Angst gewesen, dass sie wegen dieser Familie ihr Leben verlieren könnte. Ihr Bruder habe keine Probleme mit der Familie ihres verstorbenen Mannes. Das Haus, welches sie geerbt habe, sei derzeit abgeschlossen und auch nicht vermietet. Gefragt, was sie von Österreich aus von dem Erbe, auf das sie nicht verzichten wollte, habe, gab sie wörtlich an: „Das ist für meine Tochter. Wenn sie 18 Jahre alt ist, werde ich ihr die Papiere geben und sie wird wissen, was sie damit zu tun hat. Die letzten Worte meines Mannes waren: „Mein Erbe ist für meine Tochter“. Sie gab weiters an, dass sie nie Probleme aufgrund ihrer politischen Aktivität, ihrer Volksgruppenzugehörigkeit oder ihrer Religion gehabt habe. Im Falle ihrer Rückkehr nach Guinea befürchtete sie ihr Leben zu verlieren. Auf Vorhalt, dass sie mittlerweile ja traditionell geheiratet habe und mit diesem Mann ein Kind habe, sodass sie den Bruder ihres verstorbenen Mannes gar nicht mehr heiraten könne, gab sie an, dass dies richtig sei, diese aber sagen könnten, dass ihr Sohn unehelich zur Welt gekommen sei und dies ein großes Problem darstellen könne. Sie könne das Kind nicht nach Guinea mitnehmen, da das Kind aus einer unehelichen Beziehung stammen würde, weil bei der Eheschließung niemand von ihrer Familie anwesend gewesen sei. Er müsse daher in Österreich bleiben und könne er nie ihre Familie kennenlernen, weil er außerhalb der Ehe gezeugt worden sei. Gefragt, ob sie außerhalb ihrer Heimatstadt in einem anderen Teil von Guinea leben könnte, gab sie wörtlich an: „Nein. Ich will überhaupt nichts von Guinea hören. Ich überlege mir, ob ich nicht auch meine Religion wechseln soll, weil es mir nicht richtig vorkommt, sie beurteilen die Dinge nicht richtig.“ Zu ihren Lebensumständen im Bundesgebiet führte sie aus, dass sie in der Grundversorgung leben würde und von ihrem Lebensgefährten unterstützt werde, da dieser arbeiten würde. Sie habe außer ihrem Kind und ihrem Lebensgefährten keine sonstigen Verwandten in Österreich. Sie würde alleine leben, sei aber seit der Geburt ihres Sohnes meistens bei ihrem Lebensgefährten und würden sie gerade eine gemeinsame größere Wohnung suchen. Sie habe in Österreich weder Kurse noch sonstige Ausbildungen absolviert, da sie schwanger geworden und immer sehr müde gewesen sei. Sie habe auch keine Deutschkurse gemacht, sodass sie noch nicht Deutsch sprechen könne. Auch sei sie kein Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation. In ihrer Freizeit treffe sie sich mit Landsleuten und gäbe es einen guineischen Verein in Wien. Zudem sei sie jetzt mit ihrem Baby beschäftigt. Der Beschwerdeführerin wurden die Länderfeststellungen zu Guinea mit der Möglichkeit, binnen drei Wochen eine Stellungnahme abzugeben, ausgehändigt. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme wurden seitens der Beschwerdeführerin die Geburtsurkunde des Sohnes, ein Auszug aus dem Geburteneintrag, die Beurkundung der Anerkennung der Vaterschaft, ein ZMR Auszug des Kindes und die Bestätigung über die Einreichung des Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels des Kindes vorgelegt.

4.       Mit Schreiben vom 04.10.2019 wurde durch die gewillkürte Rechtsvertretung der Beschwerdeführerin eine Stellungnahme zu den Länderinformationen abgegeben und zusammengefasst auf die katastrophale Lage der Frauenrechte und die fehlende Existenzmöglichkeit im Falle einer Rückkehr hingewiesen. Zudem wurde ausgeführt, dass die Behörden des Heimatstaates schutzunfähig und schutzunwillig seien. Die Länderinformationen würden zeigen, dass Frauen nur einen sehr geringen Stellenwert innerhalb der Gesellschaft einnehmen und das Gesetz in Guinea für Frauen nicht den gleichen Rechtsstatus wie für Männer vorsehen würden. Außerdem seien Frauen auch im Erbschaftsrecht benachteiligt, sei Gewaltanwendung gegen Frauen in Guinea sehr wahrscheinlich und herrsche eine diesbezügliche Straflosigkeit. Dem Schriftsatz beigefügt war ein Schreiben von Amber-Med, wonach die Beschwerdeführerin von Juni 2018 bis September 2019 aufgrund ihrer chronischen Hepatitis B Virusinfektion behandelt und betreut werde.

5.       Mit Bescheid vom 25.10.2019 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten „gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF“ (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Guinea „gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG“ (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich wurde der Beschwerdeführerin ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen „gemäß § 57 AsylG“ nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und wurde „gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF“ gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung „gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF“ erlassen (Spruchpunkt IV.), sowie „gemäß § 52 Absatz 9 FPG“ festgestellt, dass ihre Abschiebung „gemäß § 46 FPG“ nach Guinea zulässig ist (Spruchpunkt V.). Eine Frist für ihre freiwillige Ausreise wurde „gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG" mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgestellt (Spruchpunkt VI.).

6.       Mit Verfahrensanordnungen gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 28.10.2019 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH, als Mitglieder der ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48/3, 1170 Wien, als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

7.       Gegen den Bescheid der belangten Behörde erhob die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz ihrer gewillkürten Rechtsvertretung vom 01.12.2019 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und monierte unrichtige Feststellungen, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die in der Beweiswürdigung angeführten Gründe zur Ablehnung des Antrages nicht schlüssig seien. Diese würden teils auf ein Unverständnis der Sachlage in Guinea, teils auf verifizierbaren Spekulationen beruhen, die objektiv nicht nachvollziehbar seien. Die Vorwürfe der belangten Behörde hätten keinen erkennbaren Begründungswert, sondern seien lediglich selektiv und würden zudem in tendenziöser Weise Aussagen heraus „geklaubt“, die der Argumentation des Bundesamtes zuträglich seien. Die ausführlichen Erklärungen der Beschwerdeführerin, wie auch die Länderberichte, würden deutlich den niedrigen Stellenwert, den das Leben einer Frau in Guinea hat, zeigen und würden die Fluchtgründe der Beschwerdeführerin in der Einschränkung ihrer grundsätzlichen Menschenrechte, die auch seitens der Behörden in keinster Weise geschützt werden, liegen. Die heimatlichen Behörden seien der Beschwerdeführerin gegenüber schutzunfähig und schutzunwillig und würde im Falle einer Abschiebung die reale Gefahr bestehen, dass sie in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde. Schließlich könne sie im Falle ihrer Rückkehr nicht mit der Familie in Kontakt treten könne, weil sie diese sonst in Gefahr bringen würde und würde die Tochter der Beschwerdeführerin derzeit versteckt leben. Die Beschwerdeführerin habe zwar wieder geheiratet, damit der neugeborene Sohn kein uneheliches Kind sei, dies würde die Beschwerdeführerin jedoch nicht vor der Verfolgung der Familie des ersten Ehemannes beschützen. Die Familie sei primär an dem Land und dem Vermögen der Beschwerdeführerin interessiert und sei die Verheiratung nur ein Mittel gewesen, um dieses Ziel zu erreichen. Die Familie werde sicherlich andere Mittel finden um an ihr Ziel zu gelangen, wodurch das Leben und die Unversehrtheit der Beschwerdeführerin und ihres Sohnes im Falle einer Rückkehr in Gefahr seien. Auch die weitere Beweiswürdigung, wonach das Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht asylrelevant bzw. nicht glaubhaft sei, könne nicht überzeugen, da die belangte Behörde explizit auf jegliche inhaltliche Prüfung der Verfolgungsbefürchtungen verzichtet habe und wäre es der Behörde offen gestanden, Recherchen im Heimatland der Beschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen anzustellen. Zu ihrem Privat und Familienleben wurde ausgeführt, dass der bloße Verweis auf die Aufenthaltsdauer die Integration der Beschwerdeführer in Österreich nicht entkräften könne. Die Beschwerdeführerin habe sich in der Zeit ihres Aufenthalts in Österreich intensiv um eine Integration bemüht, versucht die deutsche Sprache zu erlernen und habe soziale Kontakte geknüpft. Die Beschwerdeführerin sei arbeitsfähig und arbeitswillig, unbescholten und wäre im Falle der Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung keinesfalls eine Belastung für die Gebietskörperschaft. Der Lebensgefährte der Beschwerdeführerin lebe seit mehr als 20 Jahren in Österreich und habe einen Aufenthaltstitel. Er habe bereits mehr Zeit in Österreich verbracht als zuvor in Guinea und sei aus Guinea entwurzelt. Es wäre ihm auch nicht zuzumuten, gegebenenfalls mit der Beschwerdeführerin und ihrem Sohn nach Guinea zu übersiedeln. Zudem sei davon auszugehen, dass der Sohn der Beschwerdeführerin demnächst einen Aufenthaltstitel in Österreich verliehen bekomme. Das Verfahren sei noch offen und nur aufgrund der Überlastung bis dato noch nicht abgeschlossen. Zusammenfassend sei daher festzustellen, dass es der belangten Behörde in keiner nachvollziehbaren Weise gelungen sei, die Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin und die Asylrelevanz ihrer Fluchtgründe zu widerlegen, so sei auf die Fluchtgründe der Beschwerdeführerin nicht substantiell eingegangen worden und würde dem Bescheid daher ein massiver Begründungsmangel anhaften. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin entspreche der Wahrheit, sei glaubwürdig und gründlich substantiiert. Letztlich wurde ausgeführt, dass es die belangte Behörde verabsäumt habe, sich mit der konkreten Situation der Beschwerdeführerin und der aktuellen Situation in Guinea näher auseinanderzusetzen und stelle dies eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens dar. Es werde daher beantragt, der Beschwerdeführerin Flüchtlingseigenschaft zuzusprechen, allenfalls subsidiären Schutz zu gewähren, einen landeskundigen Sachverständigen zu beauftragen, der sich mit der aktuellen Situation in Guinea und den spezifischen von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Punkten befasst, eine mündliche Beschwerdebehandlung anzuberaumen, allenfalls eine Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären, allenfalls einen Aufenthaltstitel aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen, allenfalls festzustellen, dass die Abschiebung nach Guinea unzulässig ist.

8.       Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 09.12.2019 vorgelegt.

9.       Mit E-Mail vom 03.08.2020, wurde eine Vollmacht vom Verein LegalFocus übermittelt und erfolgte mit 05.08.2020 die Vollmachtskündigung der bisherigen Rechtsvertretung. Mit weiterer E-Mail vom 17.08.2020, wurde ein Arztbrief vom 30.07.2020 und Unterlagen hinsichtlich der Teilnahme an einem Deutschkurs A1/A1+ vom 13.01.2020 vorgelegt.

10.      Mit E-Mail vom 20.08.2020 übermittelte die Stadt Wien, MA 35, dem Bundesverwaltungsgericht eine Kopie des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Sohn der Beschwerdeführerin sowie sämtliche zusätzlich vorgelegte Unterlagen und eine Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 11.08.2020.

11.      Am 20.08.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit der Beschwerdeführerin, ihres Rechtsvertreters, einer Dolmetscherin sowie des Zeugen XXXX eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin:

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige von Guinea und somit Drittstaatsangehörige im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 20b AsylG 2005. Sie ist keine begünstigte Drittstaatsangehörige und es kommt ihr kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu. Ihre Identität steht nicht zweifelsfrei fest.

Die Beschwerdeführerin ist volljährig, gehört der Volksgruppe der Fula an und bekennt sich derzeit zu keiner Religionsgemeinschaft. Die Beschwerdeführerin hat einen Lebensgefährten, einen Staatsangehörigen von Guinea, und ist Mutter eines in Österreich geborenen Sohnes und einer in Guinea lebenden Tochter.

Die Beschwerdeführerin leidet an einer chronischen Hepatitis B Infektion (chronische Hepatitis B, Hepatitis B e Antigen neg. mit anhaltender niedriger Viruslast), Schwangerschaftsdiabetes und einer Fettleber, wobei sie keine Medikamente einnimmt. Es konnte keine derart schwere, akut lebensbedrohliche und zudem in Guinea nicht behandelbare gesundheitliche Beeinträchtigung festgestellt werden, die nach Berücksichtigung der höchstgerichtlichen Judikatur zur Gefahr einer unmenschlichen Behandlung im Falle einer Rückkehr führen könnte. Die Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin liegt vor.

Die Beschwerdeführerin besuchte in ihrem Heimatstaat die Universität und hat einen Abschluss in Finanzwirtschaft. Anschließend arbeitete sie als Buchhalterin im Unternehmen ihres verstorbenen Mannes. In Guinea leben noch ihre Mutter, ihre Schwestern, ihr Bruder sowie ihre Tochter. Die Familie der Beschwerdeführerin besitzt in XXXX ein Haus. Ihre Tochter lebt bei ihrem Bruder und pflegt die Beschwerdeführerin regelmäßigen Kontakt.

Die Beschwerdeführerin hält sich seit mindestens 13.11.2017 in Österreich auf. Nicht festgestellt werden konnte, ob die Beschwerdeführerin einen ununterbrochenen Aufenthalt im Bundesgebiet aufweist, da sie sich dem Verfahren hinsichtlich ihres ersten Asylantrag entzogen hat und nach ihrer Entlassung aus der Schubhaft am 08.03.2018 bis 12.06.2019 untergetaucht ist.

Die Beschwerdeführerin lebt mit ihrem am 26.08.2019 geborenen Sohn und ihrem Lebensgefährten seit 09.01.2020 in einem gemeinsamen Haushalt. Während ihr Lebensgefährte einer Erwerbstätigkeit nachgeht, kümmert sich die Beschwerdeführerin um ihren Sohn. Ihr Lebensgefährte verfügt über eine Rot-Weiß-Rot-Karte plus, hinsichtlich welcher gerade ein Verlängerungsverfahren anhängig ist. Er hat an der Integrationsprüfung A2 teilgenommen, jedoch diese nicht bestanden. Ebenso hat er für seinen Sohn einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gestellt, dessen Verfahren derzeit noch beim Magistrat der Stadt Wien anhängig ist. Sein Aufenthalt im Bundesgebiet qualifiziert sich derzeit als unrechtmäßig. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels wird jedoch derzeit nicht beabsichtigt und wurde dies der Beschwerdeführerin und ihrem Lebensgefährten mitgeteilt.

Ansonsten leben keine Familienangehörigen oder Verwandten der Beschwerdeführerin in Österreich und verfügt die Beschwerdeführerin über kein maßgebliches Privatleben im Bundesgebiet. Die Beschwerdeführerin besuchte einen Deutschkurs auf dem Niveau A1/A1+, wobei sie über kein Sprachzertifikat verfügt. Sie verfügt über Kenntnisse der Sprache Deutsch, jedoch spricht sie diese Sprache nicht qualifiziert und war während der Verhandlung auf die anwesende Dolmetscherin angewiesen. Die Beschwerdeführerin steht in Kontakt mit einem guineischen Verein sowie Bekannten, welche sie unter anderem in Traiskirchen kennengelernt hat. Die Beschwerdeführerin hat auch an keinen beruflichen Aus- oder Weiterbildungen teilgenommen, ist kein Mitglied in einem Verein und engagierte sich nicht ehrenamtlich.

Die Beschwerdeführerin ging zu keinem Zeitpunkt einer legalen, schon jedoch vereinzelt einer illegalen Erwerbstätigkeit nach, bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig.

Es konnten somit keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer hinreichenden Integration der Beschwerdeführerin in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht festgestellt werden.

Die Beschwerdeführerin ist strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zum Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin:

Es kann in Bezug auf das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin nicht festgestellt werden, dass diese in Guinea einer persönlichen Verfolgung aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung ausgesetzt war.

Die Beschwerdeführerin konnte nicht glaubhaft machen, dass ihr in Guinea Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht. Die von der Beschwerdeführerin behauptete Bedrohung/Verfolgung durch die Familie ihres verstorbenen Mannes kann mangels Glaubhaftmachung nicht festgestellt werden.

Die Beschwerdeführerin wird im Fall ihrer Rückkehr nach Guinea mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine asylrelevante Verfolgung und keine wie auch immer geartete existentiellen Bedrohung ausgesetzt zu befürchten haben.

Es existieren keine Umstände, welche einer Abschiebung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich entgegenstünden. Die Beschwerdeführerin verfügt über keine sonstige Aufenthaltsberechtigung. Es spricht nichts dafür, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Guinea eine Verletzung von Art. 2, Art. 3 oder auch der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention nach sich ziehen würde. Die Beschwerdeführerin ist auch nicht von willkürlicher Gewalt infolge eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bedroht.

Der Beschwerdeführerin wird im Falle einer Rückkehr nach Guinea auch nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen, da sie in Guinea noch über zahlreiche familiäre Anknüpfungspunkte verfügt.

1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Der Beschwerdeführerin wurde im Zuge der Ladung zur mündlichen Verhandlung das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Guinea übermittelt. Daraus ergeben sich folgende entscheidungswesentliche Feststellungen:

1.3.1. Politische Lage:

Die Republik Guinea ist geprägt von einem demokratischen Aufbruch nach dem kurzzeitigen Militärregime unter Moussa Dadis Camara (2008-2010). Zuvor war Guinea trotz politischer Öffnung unter dem autoritären Regime von Präsident Lansana Conté bestimmt. Die ersten freien Präsidentschaftswahlen 2010 endeten in der Stichwahl mit einem sehr knappen Ergebnis zwischen Regierungs- und Oppositionspartei. Der teilweise erbittert geführte Wahlkampf von 2010 war Ausgangspunkt für eine Lagerbildung in der guineischen Politik ("Regierungsmehrheit" gegen "Opposition"), die in den folgenden Jahren immer wieder zu teils gewaltsamen Auseinandersetzungen führte und bis heute die innenpolitische Situation beeinflusst. Staatspräsident Condé setzte sich bei den Präsidentschaftswahlen im Oktober 2015 erneut durch. Aktuell wird in Guinea von Seiten der Regierung eine Verfassungsänderung zugunsten einer bisher verfassungsrechtlich ausgeschlossenen 3. Amtszeit des Präsidenten erwogen.

Die ersten freien Parlamentswahlen fanden nach Verzögerungen am 28.9.2013 statt. Die Nationalversammlung tagt in mindestens zwei Sitzungsperioden im Jahr. Die nächsten Parlamentswahlen hätten schon Anfang 2019 stattfinden sollen, wurden aber aufgeschoben: dasParlament ist per präsidentiellem Dekret in Amtsverlängerung getreten. Die ersten demokratischen Kommunalwahlen fanden am 4.2.2018 statt, deren Ergebnis jedoch noch nicht vollständig umgesetzt ist. Im Rahmen von Dezentralisierungsbemühungen soll die Autonomie der Gebietskörperschaften längerfristig gestärkt werden.

Das Parteiensystem war zwischen den beiden Präsidentschaftswahlen 2010 und 2015 weitgehend von einer Orientierung in zwei Lagern bestimmt: Die Regierungsmehrheit unter Führung der dominierenden RPG (Rassemblement du Peuple de Guinée), zusammen mit mehreren Kleinstparteien in einem Bündnis RPG-Arc-en-Ciel; und die Opposition, innerhalb derer die UFDG (Union des Forces Démocratiques de Guinée) die mit Abstand stärkste Partei stellt, sowie einer Reihe von kleineren und kleinsten Parteien. Beide Gruppen bilden in der Nationalversammlung jeweils einen Fraktionsverbund. Zur Opposition gehört auch die kleinere UFR (Union des Forces Républicaines), die zwischenzeitlich (Jänner 2016 bis Mai 2018) an der Regierung beteiligt war und in der Nationalversammlung eine eigene Fraktion bildet. Das bisher bestimmende Lagergefüge der Parteipolitik ist seitdem in Bewegung gekommen.

Laut Verfassung müssen die Parteien national aufgestellt sein; dies trifft auf jeden Fall auf die großen Parteien zu. Trotzdem haben auch diese ethnisch-regionale Hochburgen.

In Guinea wurden bei der Umsetzung der politischen Vereinbarung vom 12.10.2016 schrittweise Fortschritte erzielt. Das politische Umfeld polarisierte sich jedoch zunehmend nach der Verschiebung der anstehenden Parlamentswahlen, die für Jänner auf November 2019 verschoben wurden. Es wird befürchtet, dass das Präsidentenlager auf eine Erneuerung der Verfassung von 2010 drängt, um Präsidenten Alpha Condé den Weg für eine mögliche dritte Amtszeit zu ebnen.

1.3.2. Sicherheitslage:

In Guinea bestehen soziale und politische Spannungen, die sich auch zu Sicherheitsrisiken ausweiten können. In XXXX sowie im Inneren des Landes kommt es regelmäßig zu Demonstrationen, die zum Teil zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen ethnischen und politischen Gruppen und den Sicherheitskräften führen. Immer wieder werden zahlreiche Menschen verletzt oder getötet. So haben die Proteste im Zusammenhang mit den Lokalwahlen im Februar 2018 mehrere Todesopfer und Verletzte gefordert. Die Kriminalitätsrate hat sowohl in XXXX , als auch im Landesinneren stark zugenommen. Bewaffnete Raubüberfälle und Diebstähle sind häufig. Aufgrund der für den Großteil der Bevölkerung sehr schwierigen wirtschaftlichen Lage gibt es in XXXX , aber auch im Landesinneren, immer wieder Akte des Vandalismus und Straßenblockaden. Vor allem im städtischen Milieu sind nächtliche Überfälle auf Passanten, Wohnhäuser und Geschäfte verbreitet. Bewaffnete nächtliche Überfälle auf Fahrzeuge werden von Zeit zu Zeit auf einzelnen Überlandstraßen gemeldet. Auch aus diesem Grund wird von nächtlichen Überlandfahrten abgeraten. Besonders zu beachten ist, dass die Täter teilweise uniformiert sind. Die südlichen Grenzgebiete zu Liberia, Sierra Leone und Côte d'Ivoire sind aufgrund ethnischer Spannungen gefährlich.

1.3.3. Rechtsschutz/Justizwesen:

Obwohl die Verfassung und die Gesetze die Unabhängigkeit der Justiz vorsehen, fehlt es dem Justizsystem an Unabhängigkeit. Es ist unterfinanziert, ineffizient und offen korrupt. Das Justizsystem ist gekennzeichnet von zahlreichen Problemen wie z.B. geringes Budget, das Fehlen von qualifizierten Anwälten und Untersuchungsrichtern sowie einem veralteten und restriktiven Strafgesetzbuch. Die Justiz ist nicht vollständig unabhängig, aber es gibt Anzeichen dafür, dass die Autonomie der Justiz leicht zugenommen hat. Die Bürgerrechte sind gesetzlich garantiert, werden aber in der Praxis nur teilweise respektiert. Vetternwirtschaft und ethnische Voreingenommenheit schränkten die Wirksamkeit der Justiz ein. Aufgrund des korruptionsanfälligen formalen Justizsystems vertrauen viele Bürger auf das traditionelle Rechtssystem. Fälle, die dort nicht zur Zufriedenheit der Beteiligten gelöst werden können, werden an das formale Justizsystem übergeben. Das Gesetz sieht die Unschuldsvermutung, die Unabhängigkeit der Richter, die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz, das Recht auf einen Verteidiger und das Recht der Berufung vor.

1.3.4. Sicherheitsbehörden:

Die dem Verteidigungsministerium unterstellte Gendarmerie und die nationale Polizei unter dem Ministerium für Sicherheit teilen sich die nur unzulänglich definierte Verantwortung für die innere Sicherheit. Die Armee ist für die Sicherheit nach außen verantwortlich, spielt jedoch auch im Bereich der inneren Sicherheit eine Rolle. Per Gesetz sind das Militär, die Gendarmerie und die Polizei dazu befugt, Verhaftungen durchzuführen. Gesetzlich ist allerdings nur die Gendarmerie dazu ermächtigt, Verhaftungen von Angehörigen des Militärs und der Polizeikräfte durchzuführen. Es gibt auch spezielle Polizei- und Gendarmerie-Einheiten.

Die Polizei bleibt weiterhin unterbezahlt, inadäquat ausgerüstet und ineffizient. Es gibt mehrere Berichte über Sicherheitsbehörden, die Befehle ignorieren und auf übermäßige Gewalt zurückgreifen. Es gibt zahlreiche Vorwürfe über unprofessionelles Verhalten, Diebstahl und Erpressung. Straffreiheit bleibt ein verbreitetes Problem. Im Februar 2018 wurde erstmals ein hoher Armeeoffizier für Ausschreitungen des Militärs gegen die Zivilbevölkerung verurteilt und erhielt eine Bewährungsstrafe; seine Soldaten dagegen Haftstrafen. Sicherheitskräfte folgen nur selten dem Strafgesetzbuch, die zivile Kontrolle über die Polizei ist ineffektiv. Disziplin innerhalb der und zivile Kontrolle über die Sicherheitskräfte scheinen sich aber zu verbessern.

1.3.5. Korruption:

Korruption ist in Guinea weit verbreitet und bleibt ein Problem. Während das Gesetz strafrechtliche Folgen für die Korruption von Beamten vorsieht, wird das Gesetz nicht wirksam umgesetzt. Beamte sind häufig ungestraft in korrupte Praktiken verwickelt. Öffentliche Gelder werden für den privaten Gebrauch oder für illegitime öffentliche Zwecke, wie das Kaufen teurer Fahrzeuge für Regierungsangestellte, missbraucht.

2004 gründete der Präsident per Dekret die Anti-Korruptionsbehörde (ANLC). Die ANLC ist die einzige staatliche Behörde, die sich ausschließlich auf die Bekämpfung der Korruption konzentriert. Ein neues Antikorruptionsgesetz im Jahr 2017 gab der ANLC ein klareres rechtliches Mandat. Die Agentur blieb jedoch unterfinanziert und unterbesetzt.

Das staatliche Handeln ist jedoch in weiten Bereichen, insbesondere bei Sicherheitskräften und Justiz, von Korruption und Willkür geprägt. Bei Sicherheitskräften ist Korruption endemisch. Polizei und Gendarmen erpressen Bürger an Straßensperren, in Gefängnissen und in Haftanstalten. Der Justiz fehlt die finanzielle und rechtliche Unabhängigkeit und Korruption findet auch in Gerichtsverfahren statt.

1.3.6. Allgemeine Menschenrechtslage:

Die Menschenrechte sind zwar gesetzlich garantiert, werden aber von einer noch schwachen Justiz bisher nicht ausreichend geschützt. Besondere Sorgen macht die Einschränkung von Menschenrechten durch die konservativ-traditionelle gesellschaftliche Praxis. Dies betrifft insbesondere die Rechte von Frauen und von Kindern. Kritisch sind dabei vor allem die Praxis der Zwangsverheiratung von Minderjährigen, erzwungene Kinderarbeit und die verbreitete Genitalverstümmelung.

Seit Amtsantritt der Regierung Condé Ende 2010 kommt dem institutionalisierten Menschenrechtsschutz verstärkte Bedeutung zu. Die Bemühungen der Regierung werden insbesondere in der Schaffung eines eigenen Ministeriums für Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten (seit 2016) deutlich, stoßen in der Praxis jedoch immer wieder an Grenzen. Obwohl sich das Verhalten der Sicherheitskräfte in den letzten Jahren verbessert hat, sind Polizei und Gendarmerie an übermäßiger Gewalt, Korruption und Kriminalität beteiligt. Bei Übergriffen herrscht Straflosigkeit, es ist allenfalls mit internen Disziplinarmaßnahmen zu rechnen. Diese Straflosigkeit ist ein zentrales Manko in der Menschenrechtsbilanz Guineas.

Nationale und internationale Menschenrechtsgruppen berichten zudem von Folter, mit der Gefangene eingeschüchtert oder Geständnisse erzwungen werden. Die gravierendsten Menschenrechtsprobleme im Land sind u.a. die übermäßige Anwendung von Gewalt und Folter gegen Zivilisten durch die Sicherheitskräfte, willkürliche Verhaftungen, endemische Korruption auf allen Ebenen der Regierung, Vergewaltigungen und Gewalt gegen Frauen und Mädchen und Zwangs- und Frühehen.

Obwohl die Verfassung und die Gesetze Meinungs- und Pressfreiheit gewährleisten, schränkt die Regierung diese Freiheiten ein. Staatliche Fernseh- und Rundfunkmedien berichten überwiegend aus Regierungssicht. Unabhängige und oppositionseigene Medien sind aktiv und drücken ein weites Spektrum von Ansichten aus. Wichtigstes Medium bleibt aber noch – auch angesichts der hohen Analphabetenrate (41%) – das Radio. Neben dem öffentlichen, regierungsgelenkten Rundfunk der RTG (Radio Television Guinéenne) gibt es seit 2006 zahlreiche private Radiosender im ganzen Land. FM-Radio-Call-in-Shows bleiben beliebt und erlaubten den Bürgern, ihre Unzufriedenheit mit der Regierung auszudrücken. Die Zunahme der Online-Nachrichten-Websites spiegelt die wachsende Nachfrage nach unterschiedlichen Ansichten wider.

Allerdings können Verleumdungen und Anschuldigungen zu Vergeltungsmaßnahmen durch die Regierung führen. Die Bedrohung der Medienfreiheit hat in den letzten Jahren zugenommen. 2018 wurden mehrere Journalisten wegen regierungskritischer Berichterstattung verhaftet und dann wieder freigelassen. Das Klima für Journalisten in den letzten Jahren etwas verbessert. Die Pressefreiheit ist grundsätzlich gewahrt, Eingriffe durch staatliche Zensur finden im Ausnahmefall statt, wurden bisher aber nach scharfer Kritik der Zivilgesellschaft wieder zurückgenommen. Die Verfassung sieht Versammlungsfreiheit vor, die Regierung schränkt dieses Recht jedoch ein. 2017/2018 kam es zu einer Zunahme von Demonstrationen, die teilweise in gewaltsamen Konfrontationen mit Sicherheitskräften mündeten. Seit Ende 2018 werden Straßendemonstrationen aus Sicherheitsgründen regelmäßig untersagt. Das Gesetz verbietet jedes Treffen, das ethnischen Charakter hat, sowie jede Versammlung, die die nationale Einheit bedrohen könnte. Für öffentliche Versammlungen ist eine Anmeldung einzuholen. Lokale Behörden können Demonstrationen verbieten, wenn sie der Ansicht sind, dass die öffentliche Ordnung bedroht ist. In der Praxis werden Versammlungen, die ohne Ankündigung abgehalten werden, oft gewaltsam aufgelöst. Die Regierung untersagt häufig Demonstrationen der Opposition und es kommt zum Einsatz von Tränengas und Wasserwerfer durch die Sicherheitskräfte.

Die Verfassung und Gesetze gewährleisten Vereinigungsfreiheit, und die Regierung respektiert dieses Recht in der Praxis. Es sind über 150 politische Parteien zugelassen, von denen aber nur 6 über eine nennenswerte Mitgliederzahl und über mehr als einen Abgeordneten in der Nationalversammlung verfügen. Staatliche Einschränkungen von oppositionellen Aktivitäten haben in den vergangenen Jahren abgenommen. Guineas Oppositionsparteien sind im Parlament stark vertreten. Bei den Kommunalwahlen am 4.2.2018 konnten Oppositionsparteien erstmals die Mehrheit in zahlreichen Städten und Gemeinden gewinnen und politische Verantwortung übernehmen. Die Regierung kooperiert mit UNHCR und anderen Hilfsorganisationen um Flüchtlingen, Staatenlosen und Asylwerbern Schutz und Hilfe zu bieten.

1.3.7. Religionsfreiheit:

Ca. 89,1% der Bevölkerung sind Muslime, 6,8% Christen, und ca. 4% gehören anderen bzw. keinen Religionen an. Die Verfassung sieht einen säkularen Staat vor, verbietet religiöse Diskriminierung und gewährt Glaubens- und Religionsfreiheit. In der Regel werden die religiösen Rechte respektiert. Die aktive Ausübung des muslimischen Glaubens hat zugenommen. Es gibt eine gewisse Dominanz des Islam im öffentlichen und im Alltagsleben. Andererseits übt der Staat eine viel stärkere Kontrolle über die muslimischen Gemeinden als über die christlichen Kirchen aus, um vorhandene islamistische Strömungen im Keim zu ersticken. Aus Angst vor radikal-wahabistischen Bewegungen wurden in den letzten Jahren präventiv mehrere Moscheen geschlossen. Maßnahmen gegen Gläubige waren damit nicht verbunden.

1.3.8. Frauen:

Das Gesetz sieht nicht den gleichen Rechtsstatus und die gleichen Rechte für Frauen wie für Männer vor, einschließlich bei Erbschaft, Eigentum, Beschäftigung, Kredit und Scheidung. Das im Februar 2014 verabschiedete Arbeitsgesetzbuch verbietet geschlechtsspezifische Diskriminierung bei der Einstellung. Dennoch werden Frauen in den Bereichen Beschäftigung, Bezahlung und Bildung routinemäßig diskriminiert. Obwohl das Prinzip gleiches Gehalt für gleiche Arbeit gilt, erhalten Frauen in der Praxis ein geringeres Gehalt als Männer. Traditionelle Praktiken diskriminieren Frauen und haben manchmal Vorrang vor dem Gesetz, insbesondere in ländlichen Gebieten. Polygamie ist üblich und bei traditionellen Eheschließungen weit verbreitet. Im Rahmen der Novellierung des Zivilgesetzbuches (Code Civil) wurde Polygamie als zulässige Form der Ehe wiedereingeführt; Bedingung ist eine ausdrückliche Erklärung des Mannes und der Frau vor dem Standesbeamten beim Eingehen der (ersten) Ehe. Scheidungsgesetze begünstigen im Allgemeinen Männer bei der Vergabe von Sorgerecht und der Güterteilung. Zeugenaussagen von Frauen haben weniger Gewicht als jene von Männern, in Übereinstimmung mit islamischen Vorschriften und traditionellem Recht.

Die Zahl an Gewaltanwendungen gegen Frauen und Mädchen bleibt hoch. Vergewaltigung und häusliche Gewalt sind in strafrechtlicher Hinsicht ein Verbrechen, kommen aber häufig vor und werden nur selten verfolgt. Vergewaltigung wird mit bis zu zwanzig Jahren Haft geahndet. Das Gesetz geht jedoch nicht auf eheliche Vergewaltigung ein. Aufgrund bestehender Sitten, aus Angst vor Stigmatisierung oder Vergeltung und wegen mangelnder Kooperationsbereitschaft der Ermittler wird Vergewaltigung nur sehr selten angezeigt. Körperverletzung ist ein Scheidungsgrund gemäß Zivilrecht; die Polizei interveniert aber nur selten bei häuslichen Konflikten, und Gerichte bestrafen Täter ebenfalls nur selten.

Weibliche Genitalverstümmelung (FGM) ist trotz eines gesetzlichen Verbots nahezu allgegenwärtig und betrifft bis zu 97% der Mädchen und Frauen im Land, die zweithöchste Rate der Welt. Guinea gilt als einziges Land, in dem diese Praxis in Laufe der letzten Jahre tendenziell eher zu- de abgenommen hat. Nach anderen Angaben ging die Quote auf circa 50% zurück. Laut UNICEF sind Frauen und Mädchen unter allen religiösen und ethnischen Gruppen davon betroffen. Die Regierung kooperiert mit NGOs, um die Anwendung von FGM zu beseitigen und medizinisches Personal und Bürger über die Gefahren aufzuklären. Es gibt einen Trend, FGM unter besseren hygienischen Umständen und unter Mitwirkung medizinischen Personals durchzuführen.

1.3.9. Kinder:

Kinderehen stellen in Guinea ein Problem dar. Die Tradition ermöglicht Ehen ab vierzehn Jahren, obwohl Art. 280 des guineischen Zivilgesetzbuches für eine Eheschließung ein Alter von 21 Jahren für Männer und 17 Jahren für Frauen vorsieht. Es gab 2018 keine bekannten Strafverfolgungsmaßnahmen mit Bezug auf Kinderehen. Allerdings konnte eine lokale NGO (Young Girls Leaders Club of Guinea Against Early and Forced Eriages) erfolgreich die Eheschließung von 11 Mädchen verhindern.

Das Gesetz verbietet Kinderarbeit im formellen Sektor und legt Strafen von drei bis zehn Jahren Freiheitsstrafe fest. Kinder, die im informellen Sektor arbeiten, sind nicht vom Gesetz geschützt. Das Mindestalter für Erwerbstätigkeit beträgt 16 Jahre. Kinder arbeiten aber in hoher Zahl im informellen Sektor, meist als Straßenverkäufer oder Haushaltshilfe, leiden häufig unter Gewalt, Missbrauch und Ausbeutung und haben oft weder Zugang zu medizinischer Versorgung, noch zu Bildungsangeboten. Insbesondere in den goldreichen Regionen in Oberguinea werden Kinder unter Duldung des Staates als Goldgräber ausgebeutet. Nach jüngsten Schätzungen von UNICEF sind über 60% aller Kinder im Alter von 5 bis 14 Jahren von Kinderarbeit betroffen. Zudem sind Fälle bekannt, in denen Kinder als Arbeitssklaven nach Mali, Sierra Leone und Côte d'Ivoire „verkauft“ werden. Das Gesetz sieht Strafen von fünf bis zehn Jahren Haft für alle Formen des Kinderhandels vor, einschließlich der kommerziellen sexuellen Ausbeutung von Kindern. Dieses Gesetz wird aber nicht durchgesetzt, und Kinderhandel bleibt ein ernstes Problem.

Der Staat kommt seiner Verantwortung zur Durchsetzung der Schulpflicht auch deshalb nur unzureichend nach, da noch immer weit über die Hälfte der im Landesinneren geborenen Kinder nach Geburt nicht registriert werden und somit fernab jeglicher staatlicher Infrastruktur aufwachsen. Die Behörden erlaubten Kindern ohne Geburtsurkunde nicht den Schulbesuch oder den Zugang zur Gesundheitsversorgung. Die Regierungspolitik sieht eine obligatorische Grundschulbildung für alle Kinder bis 16 Jahre vor. Allerdings sehen sich sowohl Mädchen wie auch Buben durch das nicht funktionierende Bildungssystem beeinträchtigt, so dass die durchschnittliche Schulbildung nur 2,4 Jahre beträgt.

1.3.10. Bewegungsfreiheit:

Das Gesetz garantiert uneingeschränkte Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr, und die Regierung respektiert diese Rechte auch üblicherweise in der Praxis. Die Regierung fordert von allen Bürgern, die älter als 18 Jahre sind, einen Ausweis mitzuführen, welchen sie auf Verlangen an den Checkpoints vorzuweisen haben. Polizei und Sicherheitskräfte halten weiterhin Personen an Straßensperren an, um Bestechungsgeld zu verlangen und schränken dadurch die Reisefreiheit und die Sicherheit der Reisenden ein. In XXXX und auch im Landesinneren gibt es Straßensperren; Schikanen durch Zoll, Militär und Polizei sind häufig.

1.3.11. Grundversorgung:

Trotz großer wirtschaftlicher Ressourcen (größte Bauxitvorkommen der Welt, reiche Vorkommen an Eisenerz, Nickel, Gold, Diamanten, Wasserkraft, großes landwirtschaftliches Anbaupotenzial), gehört Guinea zu den ärmsten Ländern der Welt. Die schnell wachsende Bauxit-Minenindustrie Guineas bedroht jedoch die Lebensgrundlage von Tausenden von Guineern. Der Bergbau hat z.B. alte Ackerflächen zerstört und Wasserquellen beschädigt. Das Versäumnis der Regierung, die Landrechte zu schützen, nutzen Bergbauunternehmen, um alte Ackerflächen ohne Entschädigung zu nutzen. Damit werden dortige Bewohner ihrer Ernährungsgrundlage beraubt. Seit 2010 geht die Politik unter der Regierung von Präsident Alpha Condé den Weg einer verstärkten Investition in die Infrastruktur und der Suche nach internationalen Partnern. Defizite des Rechtsstaates, schwache staatliche Strukturen und unzureichende Ausbildungssysteme verschlechtern die Investitionsbedingungen neben mangelhafter Regierungsführung, Vetternwirtschaft und der nach wie vor weit verbreiteten Korruption. Umfangreiche Wirtschaftsreformmaßnahmen der Regierung trugen aber zu einer verbesserten Wahrnehmung Guineas in internationalen Rankings bei.

Das BIP-Wachstum Guineas wurde durch die jüngste Ebola-Epidemie gebremst. Diese hat dazu geführt, dass die zahlreiche Bergbau- und andere Auslandsgeschäfte dauerhaft eingestellt wurden. Während die ausländischen Direktinvestitionen 2011 19% des BIP und 2012 11% des BIP ausmachten, sanken sie 2014 und 2015 auf nur 1%. Nach mehreren Jahren des Wachstums zwischen 2,3% und 3,9% brach dieses 2014 auf 0,4% und 2015 auf 0,1% ein. Dies ist zum Teil auf die Ebola-Krise, aber auch auf den Einbruch der Rohstoffpreise zurückzuführen. Das BIP pro Kopf, bereinigt um die Kaufkraft, ist in den letzten zehn Jahren stagniert und liegt zwischen 1.100 und 1.200 US-Dollar. Die Inflation ist von über 30% im Jahr 2005 auf etwa 8% im Jahr 2016 stetig zurückgegangen. Die Arbeitslosigkeit wird von der Weltbank auf etwa 2% geschätzt, aber die Unterbeschäftigung ist sicherlich viel höher (BS 2018). Soziale Sicherheitsnetze sind unzureichend bzw. kaum vorhanden und decken nur eine begrenzte Anzahl von Risiken für relativ wenige Begünstigte ab. Die Caisse Nationale de Sécurité Sociale (CNSS; Nationaler Fonds für soziale Sicherheit) ist die staatliche Einrichtung, die für die Bereitstellung von Sozialhilfe zuständig ist, aber nicht ausreichend finanziert wird.

1.3.12. Medizinische Versorgung:

Die medizinische Versorgung im Lande ist mit Europa nicht zu vergleichen und vielfach technisch, apparativ und/oder hygienisch hoch problematisch. Die ärztliche Versorgung in XXXX ist begrenzt. Das öffentliche Gesundheitswesen ist nur sehr eingeschränkt vorhanden, bzw. völlig unzureichend. Ärzte sind oftmals schlecht ausgebildet, Patienten müssen ihre Medikamente, Operationen und Krankenhausaufenthalte selbst finanzieren. Dies gilt sowohl für die staatlichen als auch die privaten Krankenhäuser, deren Ausstattung mangelhaft ist. Insbesondere im Falle chronisch Kranker steht im Regelfall die gesamte erweiterte Familie in der Pflicht, für die Behandlungskosten aufzukommen. Schwere Erkrankungen und Verletzungen müssen im Ausland (Senegal oder Europa) behandelt werden. Die Apotheken in Guinea haben ein begrenztes Sortiment wichtiger Standardmedikamente, häufig europäischer Herkunft. Medikamentenfälschungen mit unsicherem Inhalt kommen vor. Grundsätzlich gilt, dass eine umfangreiche medizinische Behandlung mit relativ hohen Kosten und langen Wartezeiten verbunden ist. Allerdings ist das Gesundheitssystem deutlich besser als in den Nachbarländern Sierra Leone und Guinea-Bissau.

1.3.13. Rückkehr:

Gesetze und Verfassung sehen Grundlagen für Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes sowie Reisefreiheit, Auswanderung und Wiedereinbürgerung vor. Diese Rechte werden im Allgemeinen respektiert. Das Strafgesetzbuch von 2016 enthält keine Bestimmungen, die einen Staatsbürger kriminalisieren, der illegal das Land verlassen, internationalen Schutz beantragt und/oder sich im Ausland aufgehalten hat.

Rückgeführte guineische Staatsangehörige haben bei ihrer Rückkehr keine aus dem Auslandsaufenthalt resultierenden Nachteile zu befürchten. Bisher hatten Rückkehrer keine Probleme mit den nationalen Behörden. Es sind keine Fälle bekannt, in denen Personen festgenommen oder misshandelt wurden. IOM Guinea arbeitet weiterhin an Rückkehr- und Reintegrationsprojekten, um eine große Zahl an Rückkehrern aus Guinea zu unterstützen. Seit April 2017 hat IOM mit Unterstützung der EU die Rückkehr von mehr als 11.000 Guineern unterstützt, von denen 7.000 Unterstützung erhalten haben, darunter 2.500 begünstigt durch sozioökonomische Wiedereingliederungsprojekte und 500 psychosoziale Folgemaßnahmen.

Am 18.4.2019 wurde in XXXX von IOM und ihren Partnern das erste Aufnahme-, Transit- und Orientierungszentrum eingeweiht. Es wird von Guinea verwaltet, von IOM technisch und finanziell unterstützt. Dieses Zentrum mit einer Kapazität von 300 Plätzen bietet Migranten, die freiwillig nach Guinea zurückgekehrt sind, freiwillige Rückkehrunterstützung und grundlegende Hilfe zur Deckung ihres unmittelbaren Bedarfs. Es gibt auch vorgesehene Plätze für Frauen und Kinder. Die Reintegrationshilfe beinhaltet ein Willkommenspaket mit Hygieneartikeln, eine Mahlzeit und den Anspruch auf psychosoziale und/oder medizinische Versorgung. Weiters werden Rückkehrer über die verschiedenen sozialen und wirtschaftlichen Wiedereingliederungsmöglichkeiten informiert und Informationsveranstaltungen zum Unternehmertum angeboten. Für die am stärksten gefährdeten Menschen (Kinder, Opfer von Menschenhandel, kranke Migranten, Mütter mit Kindern, schwangere Frauen, ältere Menschen) wird ein geeigneter Wiedereinbürgerungsplan entwickelt.

1.3.14. Zur aktuell vorliegenden Pandemie aufgrund des Corona-Virus:

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. In Österreich gibt es mit Stand 06.10.2020 13:00 Uhr, 50.149 bestätigte Fälle, 9.207 aktuell Erkrankte von je mit dem Corona-Virus infizierten Personen und 803 bestätigte Todesfälle gemäß EpiG (https://info.gesundheitsministerium.at/dashboard_Epidem.html?l=de); in Guinea wurden zu diesem Zeitpunkt 10.754 Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei 66 diesbezügliche Todesfälle bestätigt wurden (https://covid19.who.int).

Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.

Unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände kann nicht festgestellt werden, dass bei einer Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung nach Guinea für die Beschwerdeführerin eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Es wird weiters festgestellt, dass in Guinea für die Masse der Bevölkerung nicht im gesamten Staatsgebiet jene gemäß der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte geforderte Exzeptionalität der Umstände vorliegt, welche die Rückkehr eines Fremden automatisch im Widerspruch zu Art. 2 oder Art. 3 EMRK erscheinen lässt (vgl. dazu VwGH vom 21. August 2001, 2000/01/0043). Wie sich aus den Länderfeststellungen ergibt wird eine nach Guinea abgeschobene Person, bei welcher keine besonders berücksichtigungswürdigen Umstände vorliegen, durch eine Rückkehr nicht automatisch in eine "unmenschliche Lage" versetzt.

Zusammengefasst konnte nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr mit einem gänzlichen Entzug ihrer Lebensgrundlage rechnen müsste oder in eine existenzbedrohende oder medizinische Notlage geraten würde. Es wurden zwischenzeitlich auch keine Anhaltspunkte dafür bekannt, wonach die Abschiebung der Beschwerdeführerin in ihren Heimatstaat Guinea unzulässig wäre.

2. Beweiswürdigung

Der erkennende Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

2.1. Zum Sachverhalt:

Der umseits unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang, dessen Ausführungen zu Feststellungen erhoben wurden, ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des Bundesverwaltungsgerichtes.

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben der Beschwerdeführerin vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid, in den Beschwerdeschriftsatz, in das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Guinea, in die von der Beschwerdeführerin vorgelegten Unterlagen sowie in ihre Aussage in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht. Auskünfte aus dem Strafregister der Republik Österreich, dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR), der Grundversorgung (GVS) und dem AJ-WEB Auskunftsverfahren wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.

2.2. Zur Person der Beschwerdeführerin:

Die Feststellungen zu ihrer Person, insbesondere zu ihrer Staatsangehörigkeit, ihrer Volljährigkeit, ihrer Volksgruppenzugehörigkeit, ihrer familiären Situation in Guinea und Österreich, beruhen auf den diesbezüglich glaubhaften und gleichbleibenden Angaben der Beschwerdeführerin vor der belangten Behörde sowie vor dem Bundesverwaltungsgericht. In ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde gab die Beschwerdeführerin zu Protokoll, ihren Lebensgefährten im Jänner 2091 traditionell geheiratet zu haben. Diese Angabe revidierte sie jedoch in der mündlichen Verhandlung und gab gleichlautend wie ihr Lebensgefährte zu Protokoll, sie wollten heiraten, dies sei jedoch am Imam in Guinea gescheitert, sodass eine traditionelle Eheschließung nicht festgestellt wurde. Auch ihre Angaben zu ihrer Religion lassen jede Nachvollziehbarkeit vermissen, sodass die diesbezüglichen Angaben der Beschwerdeführerin ihre persönliche Glaubwürdigkeit erschüttern.

Da die Beschwerdeführerin keinerlei identitätsbezeugende Dokumente vorlegte, konnte ihre Identität nicht festgestellt werden.

Die Feststellung zu ihrem derzeitigen gesundheitlichen Zustand ergibt sich zunächst aus dem im Verfahren vorgelegten Arztbrief von Dr. XXXX , Dr. XXXX , Fachärztinnen für Innere Medizin, vom 30.07.2020 in Zusammenschau mit ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung am 20.08.2020. Im Arztbrief sind die ärztlichen Diagnose

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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