TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/13 I416 2235901-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.10.2020
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Entscheidungsdatum

13.10.2020

Norm

BFA-VG §18 Abs3
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §67 Abs4
FPG §70 Abs3
JGG §5
StGB §107 Abs1
StGB §107 Abs2
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5
WaffG §50 Abs1 Z2

Spruch

I416 2235901-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Alexander BERTIGNOL über die Beschwerde des mj. XXXX , geboren am XXXX , bulgarischer Staatsangehöriger, gesetzlich vertreten durch seine Mutter XXXX , Staatsangehörigkeit Bulgarien, diese vertreten durch die ARGE Rechtsberatung (Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH), gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 07.09.2020, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Verfahrensgang:

Der mj. Beschwerdeführer ein bulgarischer Staatsangehöriger, wurde mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 05.06.2019, Zl. XXXX , wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB unter Anwendung des § 28 Abs. 1 StGB sowie des § 5 Z. 4 JGG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten rechtskräftig verurteilt. Hinsichtlich der Strafbemessungsgründe wurde mildernd das umfassende und reumütige Geständnis sowie der bisherige ordentliche Lebenswandel und die Schadensgutmachung gewertet als erschwerend das Zusammentreffen zweier Verbrechen.

Am 29.10.2019 wurde dem Beschwerdeführer mittgeteilt, dass das Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eingestellt werde, bei erneuter Straffälligkeit sei jedoch mit einem Aufenthaltsverbot zu rechnen.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 23.01.2020, Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach §§ 107 Abs. 1 und Abs. 2 1. Fall StGB und dem Vergehen des unbefugten Besitzes von Waffen gemäß § 50 Abs. 1 Z. 2 WaffG unter Anwendung des § 28 StGB und § 5 Z. 4 JGG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten verurteilt, wobei der Vollzug eines Teiles der verhängten Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Vom Widerruf seiner vorangegangenen bedingten Strafnachsicht wurde abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert. Hinsichtlich der Strafbemessungsgründe wurde als erschwerend die einschlägige Vorstrafe, der rasche Rückfall, die Tatbegehung innerhalb offener Probezeit, die Tatbegehung unter Verwendung einer Waffe und das Zusammentreffen von zwei Vergehen gewertet, als mildernd das reumütige Geständnis, die positive Zukunftsprognose sowie die Herabsetzung der Dispositionsfähigkeit durch den Genuss von Alkohol.

Mit Schreiben vom 14.05.2020, bezeichnet als „Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme“ wurde dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht, dass es beabsichtigt sei, gegen ihn eine Ausweisung gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG, gegebenenfalls gemäß § 67 FPG ein Aufenthaltsverbot zu erlassen. Zur Klärung seiner persönlichen Verhältnisse wurde dem Beschwerdeführer eine Frist von 14 Tagen zur Beantwortung des im Schreiben angeführten Fragenkataloges, gewährt. Mit Schriftsatz vom 03. Juni 2020 wurde eine Stellungnahme unter Vorlage entsprechender Unterlagen erstattet. Dieser Stellungnahme war zudem ein Schreiben der Bewährungshelferin vom 01. Juni 2020 beigelegt.

Im Rahmen einer Anfrage an die Staatendokumentation hinsichtlich der Frage, ob bei einer Abschiebung des minderjährigen Beschwerdeführers nach Bulgarien die Möglichkeit bestehen würde den Beschwerdeführer an eine Jugendwohlfahrtsorganisation zu übergeben bzw. ob eine Obhut als gesichert erscheine, wurde der belangten Behörde mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer über einen XXXX jährigen Bruder im Bulgarien verfüge, sowie dass der Beschwerdeführer am 10.8.2020 nach Bulgarien eingereist sei.

Mit dem im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 07.09.2020 wurde gemäß § 67 Abs. 1 und 2 Fremdenpolizeigesetz gegen den Beschwerdeführer ein für die Dauer von sieben Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz wurde ihm kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.). Mit Spruchpunkt III. wurde einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.).

Mit Schriftsatz vom 05.10.2020 erhob der Beschwerdeführer durch seine gewillkürte Rechtsvertretung Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und monierte die Verletzung von Verfahrensvorschriften und inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Begründend wurde zusammengefasst im Wesentlichen ausgeführt, dass der besonderen Rechtsstellung des Beschwerdeführers als einer dem Gemeinschaftsrecht unterliegenden minderjährigen Person nicht Rechnung getragen wurde wie es von der Rechtsprechung des EuGH und VwGH verlangt werde, zudem sei dem angefochtenen Bescheid ein Abstellen auf den gebotenen erhöhten (höchsten) Gefährdungsmaßstab für Minderjährige nicht zu entnehmen. Ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von sieben Jahren stehe zudem nicht in einem angemessenen Verhältnis zum persönlichen Verhalten und persönlichen Umständen des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich über ein besonders schützenswertes Privat- und Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere, da die Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Mutter von einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis gekennzeichnet sei, sodass durch die Erlassung eines Aufenthaltsverbots die Interessen des Beschwerdeführers im Sinne des Art. 8 MRK verletzt worden seien. Hinsichtlich der Nichterteilung eines Durchsetzungsaufschubs und Aberkennung der aufschiebenden Wirkung wurde letztlich ausgeführt, dass die Behörde dem von der Judikatur geforderten Begründungsmaßstab nicht gerecht geworden sei und auch keine ausreichende Interessenabwägung erfolgt sei, sodass im vorliegenden Fall die sofortige Ausreise des Beschwerdeführers nicht im Interesse der Ordnung und Sicherheit erforderlich sei und eine Abschiebung Art. 8 MRK verletzen würde. Es werde daher beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung und Einvernahme des Beschwerdeführers und der beantragten Zeugen durchführen, den angefochtenen Bescheid zur Gänze beheben, in eventu das Aufenthaltsverbot auf eine angemessene Dauer herabsetzen, in eventu den angefochtenen Bescheid ersatzlos beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverweisen. Der Beschwerde angeschlossen, war eine Stellungnahme der Bewährungshelferin vom 25.9.2020, eine Anmeldebescheinigung bei der oberösterreichischen Gebietskrankenkasse hinsichtlich der Arbeitsaufnahme des Beschwerdeführers und eine Bestätigung über eine ehrenamtliche Tätigkeit vom 29.05.2020

Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 09.10.2020 vorgelegt. Der physische Akt ist am 12.10.2020 bei der zuständigen Gerichtabteilung I 416 eingelangt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der minderjährige Beschwerdeführer ist bulgarischer Staatsangehöriger und somit EWR-Bürger bzw. Unionsbürger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 8 FPG. Die Identität des Beschwerdeführers steht fest.

Der Beschwerdeführer war erstmalig vom 28.02.2008 bis 15.12.2011 im Bundesgebiet an derselben Adresse wie seine Mutter melderechtlich mit Hauptwohnsitz erfasst. Der Beschwerdeführer hält sich seit zumindest 23.09.2013 durchgehend im Bundesgebiet auf und lebt zusammen mit seiner obsorgeberechtigten Mutter in einem gemeinsamen Haushalt, die auch für seinen Unterhalt aufgekommen ist. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist bulgarisch, der Beschwerdeführer verfügt über Deutschkenntnisse.

Am 21.01.2014 wurde ihm eine Anmeldebescheinigung als Angehöriger ausgestellt. Der Beschwerdeführer hat in XXXX die Volksschule und Neue Mittelschule besucht, der Beschwerdeführer hat vom 01.07.2019 bis 31.07.2020 Arbeitslosengeld bezogen, der Beschwerdeführer ist seit 22.09.2020 als Arbeiter bei der Firma XXXX beschäftigt.

Im Bulgarien lebt noch der ältere Bruder des Beschwerdeführers. In Österreich leben noch der Onkel und die Cousinen des Beschwerdeführers.

Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Sorgepflichten. Er ist gesund und arbeitsfähig.

Der Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Landesgericht XXXX vom 05.06.2019 liegt zugrunde, dass er als Jugendlicher am 04.03.2019 gemeinsam mit einem Mittäter einem anderen zur Herausgabe von Geld aufforderte, woraufhin dieser ihm EUR 45 aus seiner Geldbörse übergab und am 16.03.2019 gemeinsam mit einem Mittäter, einem anderen einen Kopfhörer der Marke iPhone im Wert von EUR 178,99 sowie Bargeld in der Höhe von EUR 1 wegnahm, indem sie diesen beim Aussteigen aus dem Bus verfolgten, aufforderten stehenzubleiben und sich in bedrohlicher Haltung neben diesen stellten. Der Beschwerdeführer wurde deshalb - ausgehend vom Strafsatz des § 142 Abs. 1 StGB unter Anwendung von § 5 Z 4 JGG - zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, die für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Für die Dauer der Probezeit wurde Bewährungshilfe angeordnet. Als mildernd wurden das Geständnis und der bislang ordentliche Lebenswandel, sowie die Schadensgutmachung berücksichtigt, als erschwerend das Zusammentreffen zweier Verbrechen.

Der Beschwerdeführer wurde am 29.10.2019 darüber belehrt, dass keine aufenthaltsbeende Maßnahme erlassen wird, jedoch bei erneuter Straffälligkeit mit einem Aufenthaltsverbot zu rechnen ist.

Der Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Landesgericht XXXX 23.01.2020 liegt zugrunde, dass er als Jugendlicher am 18.12.2019 mehrere Passanten insbesondere XXXX gefährlich mit dem Tode bedrohte, indem er in der Straßenbahn ein mit einem Metallrohr getarnten Dolch zückte, diesen XXXX gegen den Körper hielt und dabei diesen und den weiteren Fahrgästen damit drohte, sie abzustechen, sowie, dass er wenn auch nur fahrlässig, ein in einem Metallrohr getarnten Dolch somit eine verbotene Waffe, unbefugt besessen hat. Er wurde deshalb - ausgehend vom Strafsatz des § 107 Abs. 2 StGB unter Anwendung von § 5 Z 4 JGG - zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten - wobei 6 Monate unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden - verurteilt. Als mildernd wurde das reumütige Geständnis, die positive Zukunftsprognose, und die Herabsetzung der Dispositionsfähigkeit durch den Genuss von Alkohol berücksichtigt, als erschwerend wurde die einschlägige Vorstrafe, der rasche Rückfall, die Tatbegehung innerhalb offener Probezeit, die Tatbegehung unter Verwendung einer Waffe und das Zusammentreffen von zwei Vergehen gewertet. Gleichzeitig mit dieser Verurteilung wurde vom Widerruf der zuvor gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens und des Gerichtsakts des BVwG. Entscheidungswesentliche Widersprüche bestehen nicht.

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers beruhen auf dem dem Akt inneliegenden gültigen Reisepass und Personalausweis, die Feststellungen zu seinen persönlichen Verhältnissen gründen sich auf seine Angaben im Rahmen der Stellungnahme vom 03.06.2020.

Die Feststellungen zu seinem im Bulgarien aufhältigen Bruder, gründen auf die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 15.8.2020. Die Feststellung zu seinen Familienangehörigen im Bundesgebiet gründen sich auf seinen seitens der belangten Behörde unbestritten gebliebenen Angaben im Rahmen der Stellungnahme vom 03.06.2020.

Seine bulgarische Muttersprache ist aufgrund seiner Herkunft plausibel, die Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers ergeben sich aus den vorgelegten Unterlagen, sowie angesichts des mehrjährigen Schulbesuchs in Österreich und werden seine Deutschkenntnisse auch dadurch untermauert, dass in den Verhandlungsprotokollen des Straflandesgerichtes kein Dolmetscher angeführt wird. Ein bestimmtes Niveau der Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers kann mangels entsprechender Beweisergebnisse nicht festgestellt werden.

Der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich ab 2008 ergibt sich aus den Hauptwohnsitzmeldungen laut dem Zentralen Melderegister (ZMR), der durchgehende Aufenthalt seit März 2013 ebenso. Der gemeinsame Haushalt des Beschwerdeführers mit seiner Mutter ergibt sich aus seinen Angaben, die mit den übereinstimmenden Wohnsitzmeldungen laut ZMR in Einklang stehen.

Die Anmeldebescheinigung des Beschwerdeführers ist im Fremdenregister dokumentiert. Sein Schulbesuch in Österreich ergibt sich aus seinen seitens der belangten Behörde unbestritten gebliebenen Angaben in seiner Stellungnahme im Rahmen des Parteiengehörs und seinen vorgelegten Unterlagen. Im Versicherungsdatenauszug scheinen bis 22.09.2020 keine Beschäftigungsverhältnisse auf.

Die Versorgung des Beschwerdeführers durch seine Mutter können ebenfalls aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers im Rahmen der Stellungnahme vom 03.06.2020 festgestellt werden. Diese sind plausibel und blieben von der belangten Behörde zudem unbestritten. Hinweise auf eine Eheschließung des Beschwerdeführers oder dafür, dass er Kinder oder andere Sorgepflichten hat, sind im Verfahren nicht hervorgekommen und wurden auch nicht behauptet. Der Beschwerdeführer bestätigte vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gesund zu sein, was im Einklang mit seinem berufsfähigen Alter und seiner Absicht, eine Ausbildung zu machen, seine Arbeitsfähigkeit indiziert. Dass der Beschwerdeführer seit 22.09.2020 einer Erwerbstätigkeit nachgeht ergibt sich aus dem vorliegenden Auszug aus dem AJ-WEB.

Die Feststellungen zu den vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten, zu seinen Verurteilungen und zu den Strafzumessungsgründen basieren auf den vorliegenden Strafurteilen. Die rechtskräftigen Verurteilungen des Beschwerdeführers werden auch durch das Strafregister belegt, in dem keine weiteren Verurteilungen aufscheinen. Es gibt keine Indizien für eine strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers in anderen Staaten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Behebung des Bescheides:

Der minderjährige Beschwerdeführer ist als Staatsangehöriger von Bulgarien EWR-Bürger iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG.

Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen Minderjährige ist gemäß § 67 Abs 1 Satz 6 iVm Satz 5 FPG dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

Obwohl dem Beschwerdeführer trotz seines jugendlichen Alters mehrere, durchaus schwerwiegende Straftaten anzulasten sind, erreicht sein Fehlverhalten auch in der gebotenen Gesamtbetrachtung die von § 67 Abs. 1 Satz 5 und 6 FPG geforderte Schwere nicht. Mangels Erfüllung des aufgrund seiner Minderjährigkeit anzuwendenden Gefährdungsmaßstabs kann gegen ihn kein Aufenthaltsverbot erlassen werden, da dies auch nicht zu seinem Wohl notwendig ist, zumal seine Hauptbezugsperson, insbesondere seine Mutter, die während seines bisherigen Aufenthaltes für seinen Unterhalt aufgekommen ist und seine alleinige Obsorgeberechtigte und gesetzliche Vertreterin ist, im Bundesgebiet lebt. Dahingehend, können auch die Ermittlungen der belangten Behörde, nämlich, dass der Beschwerdeführer noch einen in Bulgarien aufhältigen Bruder hat, nichts entscheidungsmaßgebliches ändern. Eine Prüfung, ob der mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers verhältnismäßig wäre, muss daher mehr nicht vorgenommen werden.

Da die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den Beschwerdeführer nicht vorliegen, ist der angefochtene Bescheid in Stattgebung der Beschwerde ersatzlos aufzuheben. Sollte der Beschwerdeführer in Zukunft abermals wegen entsprechend schwerwiegender Taten strafgerichtlich verurteilt werden, wird die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen ihn neuerlich zu prüfen sein.

Die Ausführungen im angefochtenen Bescheid, wonach der Beschwerdeführer in Österreich nicht ausreichend integriert sei und er bisher keiner Erwerbstätigkeit in Österreich nachgegangen sei und er auch nie dauerhaft auf dem österreichischen Arbeitsmarkt Fuß fassen habe können, sind angesichts der Angaben des Beschwerdeführers in seiner Stellungnahme, den vorgelegten Unterlagen aktenwidrig und angesichts seines Alters zudem zum Teil unvertretbar.

Minderjährige gelten - auch wenn sie (wie der Beschwerdeführer) straffällig wurden - als schutzbedürftige Personen (vgl Art 21 der Richtlinie 2013/33/EU [AufnahmeRL]) und stehen unter dem besonderen Schutz der Gesetze (vgl § 21 ABGB). Die daraus entspringenden Verpflichtungen hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in Bezug auf den Beschwerdeführer gröblich missachtet (ua. persönliche Einvernahme).

Eine nähere Auseinandersetzung mit der allfälligen Unrechtmäßigkeit des Durchsetzungsaufschubes (Spruchpunkt II. des in Beschwerde gezogenen Bescheides) und mit der Frage der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (in Spruchpunkt III. des in Beschwerde gezogenen Bescheides) kann daher entfallen.

Zudem erübrigt sich ein gesonderter Abspruch über die aufschiebende Wirkung aufgrund der am 13.10.2020, innerhalb der in § 17 Abs. 1 BFA-VG genannten Frist von einer Woche ab Vorlage der Beschwerde, getroffenen Entscheidung in der Sache selbst.

Da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist, kann eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG entfallen.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Aufenthalt im Bundesgebiet Aufenthaltsverbot Aufenthaltsverbot aufgehoben aufschiebende Wirkung - Entfall Behebung der Entscheidung Durchsetzungsaufschub ersatzlose Behebung EU-Bürger EWR-Bürger Gefährdung der Sicherheit Gefährdungsprognose gefährliche Drohung Gesamtbetrachtung Gewalttätigkeit Haft Haftstrafe Jugendstraftat Kassation Minderjährigkeit öffentliche Interessen öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Raub Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Straftat Unionsbürger Verbrechen Vergehen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I416.2235901.1.00

Im RIS seit

28.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

28.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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