TE Vwgh Erkenntnis 1997/6/24 95/08/0102

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Veröffentlicht am 24.06.1997
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §49 Abs1;
AVG §37;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der E in W, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 24. Februar 1995, Zl. MA 15-II-F 17, 18/93, betreffend Beitragsgrundlagen (mitbeteiligte Parteien: 1. Wiener Gebietskrankenkasse, Wien X, Wienerbergstraße 15-19, 2. V in W, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Zweitmitbeteiligte war vom 1. April 1987 bis 30. April 1991 bei der Beschwerdeführerin als Mietwagenfahrer beschäftigt. Am 18. April 1991 sprach er bei der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vor, gab unter Vorlage von Unterlagen an, er sei "zu gering angemeldet" worden, und ersuchte um Durchführung einer Beitragsprüfung.

Mit Bescheid vom 15. November 1991 stellte die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse Beitragsgrundlagen für die Jahre 1987 bis 1991 fest, die im wesentlichen nicht auf den Behauptungen und Unterlagen des Zweitmitbeteiligten beruhten. Begründend wurde u.a. ausgeführt, bei den umfangreichen Ermittlungen hätten sich keine relevanten Differenzen ergeben. Der Dienstgeber habe Abrechnungsunterlagen vorgelegt, die der Dienstnehmer als in Ordnung befunden unterschrieben gehabt habe. Weiters habe der Dienstnehmer am 15. Jänner 1991 dem Dienstgeber schriftlich bestätigt, daß er nach Einsicht in die Unterlagen der Firma betreffend seiner Anmeldung, Abgaben und Abrechnungen bis laufend alles als korrekt befunden habe.

Gegen diesen Bescheid erhob der Zweitmitbeteiligte persönlich und durch seinen Rechtsvertreter Einspruch. Die belangte Behörde führte mehrere Verhandlungen durch, in deren Verlauf die Beschwerdeführerin, der Zweitmitbeteiligte und drei Zeugen einvernommen wurden.

Mit Bescheid vom 4. September 1992 behob die belangte Behörde den Bescheid vom 15. November 1991 gemäß § 66 Abs. 2 AVG und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse zurück. Diese Entscheidung gründete sich darauf, daß bestimmte strittige Sachfragen nicht ausreichend geklärt seien. Der Gebietskrankenkasse wurde aufgetragen, unter Beiziehung der Aufzeichnungen des Zweitmitbeteiligten sowie unter Vorlage der entsprechenden Geschäftsunterlagen der Beschwerdeführerin und unter Mitwirkung der Parteien zu klären, welches Entgelt der Zweitmitbeteiligte im strittigen Zeitraum tatsächlich erhalten habe.

Von der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse wurden im fortgesetzten Verfahren weitere Erhebungen gepflogen und Niederschriften mit dem Zweitmitbeteiligten (am 13. November 1992) und der Beschwerdeführerin (am 23. November 1992) aufgenommen.

Mit Bescheid vom 5. März 1993 stellte die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse für den Zeitraum 1. April 1987 bis 30. April 1991 allgemeine Beitragsgrundlagen und Beitragsgrundlagen für Sonderzahlungen fest, denen im wesentlichen die Angaben des Zweitmitbeteiligten zugrunde lagen. Begründend wurde - nach Wiedergabe des Inhaltes der beiden am 13. November 1992 und 23. November 1992 aufgenommenen Niederschriften - "zusammenfassend festgestellt", auf das Beschäftigungsverhältnis sei kein Kollektivvertrag anwendbar; der Dienstgeber habe nur sehr unzureichende und mangelhafte Aufzeichnungen geführt und sei daher nicht in der Lage, die detaillierten Angaben und Aufzeichnungen des Zweitmitbeteiligten durch ordnungsgemäße Buchführung bzw. Aufzeichnungen zu widerlegen. In bezug auf das Jahr 1990 stimmten die Aufzeichnungen des Zweitmitbeteiligten im Gesamtbetrag mit der Summe überein, von der die Beschwerdeführerin in einem Schreiben vom 7. Jänner 1991 bestätigt habe, daß der Zweitmitbeteiligte sie im Jahr 1990 "bezogen" habe. Werte man letzteres als eine Angabe des Nettobezuges, so sei volle Übereinstimmung gegeben, weshalb die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse die Vorbringen des Zweitmitbeteiligten auch hinsichtlich der anderen Jahre für glaubhaft halte.

Gegen diesen Bescheid erhoben sowohl der Zweitmitbeteiligte (wegen des teilweisen Fehlens der Beifügung, daß die festgestellten Beträge jeweils Monatsbeträge seien) als auch die Beschwerdeführerin Einspruch.

Die belangte Behörde nahm am 18. Juni 1993 mit dem Zweitmitbeteiligten und am 17. September 1993 mit der Beschwerdeführerin eine Niederschrift auf, lud zur Verhandlung am 13. Oktober 1993 (in der Niederschrift fälschlich mit 13. September 1993 datiert) einen Vertreter der Arbeiterkammer zu einer gutächtlichen Äußerung über die Entgeltsansprüche des Zweitmitbeteiligten und trug im Anschluß daran der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse auf, anhand der vom Zweitmitbeteiligten vorgelegten und der von der Beschwerdeführerin vorzulegenden Unterlagen festzustellen, inwieweit der Zweitmitbeteiligte die wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden überschritten habe. Vorgeschlagen werde, daß die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse der Beschwerdeführerin Akteneinsicht in die Unterlagen des Zweitmitbeteiligten gewähre und dazu konkrete Einwendungen erstatte, die durch originale Geschäftsunterlagen zu belegen seien. Als Beweismittel möge die Beschwerdeführerin insbesondere Wochenabrechnungen, Fahrtenbücher bzw. das Auftragsbuch des Hotels S vorlegen.

Am 3. März 1994 gab die Beschwerdeführerin gegenüber der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse eine Stellungnahme zu den Unterlagen des Zweitmitbeteiligten ab. Am 20. April 1994 legte die Beschwerdeführerin Unterlagen vor, worüber eine Niederschrift aufgenommen und ein Bericht verfaßt wurde, nach dessen Inhalt aufgrund der Unterlagen u.a. festgestellt worden sei, daß von April 1987 bis September 1990 "Wochenlöhne vereinbart" gewesen seien und Überstunden "nicht "hätten" nachgewiesen werden" können. Diese Ermittlungsergebnisse übermittelte die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse der belangten Behörde mit Schreiben vom 26. April 1994, wobei zu den Unterlagen bemerkt wurde, es handle sich um "keine neuen, die bisherigen Ermittlungen ergänzenden", sondern "lediglich die im Verfahren bekannten Aufzeichnungen". Zu diesem Schreiben nahm die Beschwerdeführerin am 20. September 1994 Stellung.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 24. Februar 1995 stellte die belangte Behörde in Erledigung der vom Zweitmitbeteiligten und von der Beschwerdeführerin erhobenen Einsprüche gegenüber denjenigen im Bescheid vom 5. März 1993 nur durch die dort fehlenden Zusätze "monatliches Entgelt" und durch den Entfall der Beitragsgrundlagen für Sonderzahlungen abgeänderte Beitragsgrundlagen fest. In der Begründung gab die belangte Behörde aus der Begründung des Bescheides vom 5. März 1993 die Darstellung der Inhalte der Niederschriften vom 13. November 1992 und 23. November 1992 sowie die "zusammenfassenden Feststellungen" wieder. Daran schlossen sich nach einer Wiedergabe der Inhalte der beiden Einsprüche und allgemein gehaltenen Rechtsausführungen folgende Erwägungen der belangten Behörde in bezug auf die Ermittlung und Feststellung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes:

"Im vorliegenden Fall steht außer Streit, daß ein Kollektivvertrag nicht anwendbar ist. Daher richtet sich der Entgeltanspruch von ... nach den Bestimmungen des ABGB. Es kommt daher im vorliegenden Fall jener Lohn in Betracht, der zwischen den Parteien vereinbart wurde. Selbst wenn jedoch eine Pauschalvereinbarung getroffen worden wäre, was im vorliegenden Fall nicht eindeutig klärbar ist, da die Parteien hiezu widersprüchliche Angaben machten und keinerlei schriftliche Vereinbarung getroffen wurde, wären jedenfalls alle Stunden, die über eine tägliche Arbeitszeit von acht Stunden und eine wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden hinausgehen, als Überstunden zu werten.

Bei der Beurteilung der Beitragsgrundlage von Herrn ... kommt es nun u.a. auch darauf an, ob und wieviele Stunden Arbeitszeit von Herrn ... über das wöchentliche Ausmaß von 40 Stunden geleistet wurden.

    Im Zuge der Verhandlung vom 13.9.1993 (richtig: 13.10.1993)

wurde zwischen den Parteien vereinbart, anhand der jeweiligen

Aufzeichnungen des Dienstgebers und Dienstnehmers abzuklären,

inwieweit durch Herrn ... die wöchentliche Arbeitszeit von

40 Stunden überschritten wurde. Insbesondere sollten durch die

Firma ... die detaillierten Aufzeichnungen von Herrn ... über

die von ihm geleisteten Arbeitsstunden sowie das erhaltene

Entgelt auf ihre Richtigkeit überprüft werden bzw. ihr

Gelegenheit gegeben werden, konkrete Einwendungen gegen die

Aufstellungen des Herrn ... zu erstatten und diese anhand ihrer

eigenen Geschäftsunterlagen zu belegen.

In weiterer Folge hat der Dienstgeber seinen bisher im Verfahren dargelegten Standpunkt aufrecht erhalten, jedoch keine konkreten Unterlagen vorgelegt, die geeignet gewesen wären, Auskunft über die von Herrn ... geleistete Arbeitszeit zu geben oder zumindest die Behauptungen von Herrn ... betreffend seine Arbeitszeit und das erhaltene Entgelt glaubhaft zu widerlegen, weshalb bei der Berechnung der Beitragsgrundlagen von den Behauptungen und Aufzeichnungen von Herrn ... ausgegangen werden mußte."

In rechtlicher Hinsicht schloß sich die belangte Behörde - abgesehen von den von ihr vorgenommenen Änderungen - der Auffassung der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse an.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof - nach Vorlage der Akten durch die belangte Behörde und Erstattung von Gegenschriften durch die belangte Behörde und beide mitbeteiligten Parteien - erwogen hat:

Die Beschwerde macht - zusammengefaßt - vor allem geltend, die belangte Behörde habe es unterlassen, sich mit den Ergebnissen des jahrelangen Ermittlungsverfahrens im einzelnen auseinanderzusetzen. Dieser Kritik ist beizupflichten. Zu den entscheidenden Fragen der vereinbarten und tatsächlichen Entgelts- und Arbeitszeitgestaltung im verfahrensgegenständlichen Beschäftigungsverhältnis liegt - abgesehen von den Erhebungsberichten der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse - jeweils eine Mehrzahl von Behauptungen und Gegenbehauptungen, einander widersprechenden urkundlichen Belegen und Deutungen derselben vor, worüber die Beschwerdeführerin und der Zweitmitbeteiligte auch wiederholt einvernommen wurden. Darüber hinaus wurden von der belangten Behörde Zeugen vernommen und aus den Akten der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse geht weiters hervor, daß in deren Ermittlungen auch der arbeitsgerichtliche Akt einbezogen wurde, der nach den diesbezüglichen Hinweisen in den vorliegenden Akten weitere Aussagen - etwa eine solche von G - über die strittigen Beweisfragen enthält. Im Bescheid der belangten Behörde wird auf all das nicht Bezug genommen. Die belangte Behörde stellt vielmehr nur den Inhalt des erstinstanzlichen Bescheides und der beiden Rechtsmittelschriften dar und beschränkt sich in ihren eigenen Feststellungen zum entscheidungswesentlichen Sachverhalt und in den Überlegungen zur Beweiswürdigung auf die oben wiedergegebenen Formulierungen, die zu allgemein gehalten sind, um den kontroversen Standpunkten und einander widersprechenden Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens gerecht zu werden und dem Verwaltungsgerichtshof die Überprüfung der Entscheidung in bezug auf die Schlüssigkeit der Beweiswürdigung und die richtige Lösung der Rechtsfragen zu ermöglichen.

In diesem Zusammenhang ist besonders hervorzuheben, daß die belangte Behörde zwar eine Mehrzahl von Verhandlungen durchführte, in deren Verlauf sowohl die Parteien als auch Zeugen vernommen wurden und die belangte Behörde sich von deren persönlicher Glaubwürdigkeit ein unmittelbares Bild machen konnte, der angefochtene Bescheid aber keine Würdigung dieser Beweise enthält und sich etwa in der isoliert herausgegriffenen Frage, ob "eine Pauschalvereinbarung" getroffen wurde, mit dem Hinweis begnügt, diese Frage sei "nicht eindeutig klärbar, da die Parteien hiezu widersprüchliche Angaben machten und keinerlei schriftliche Vereinbarung getroffen wurde".

Demgegenüber hätte die belangte Behörde als Grundlage für die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts eindeutige, sich nicht im pauschalen Verweis auf die "Behauptungen und Aufzeichnungen" eines Verfahrensbeteiligten erschöpfende Feststellungen darüber zu treffen gehabt, welche entscheidungswesentlichen Tatsachen sie im Sinne des § 45 Abs. 2 AVG als erwiesen annahm. Diese Feststellungen hätte sie unter Bezugnahme auf alle wesentlichen Beweisergebnisse und in inhaltlicher Auseinandersetzung mit den Standpunkten und Argumenten der Parteien im einzelnen zu begründen gehabt, wobei u. a. auf die Glaubwürdigkeit der vernommenen Personen und die Beweiskraft der verwerteten Urkunden - etwa auch unter dem Gesichtspunkt ihrer Entstehungszeit - einzugehen gewesen wäre.

Zu den hypothetischen, auf den Fall "einer Pauschalvereinbarung" bezogenen Ausführungen im angefochtenen Bescheid, die aus der Äußerung des Vertreters der Arbeiterkammer übernommen wurden, ist anzumerken, daß die Wirkung einer solchen Vereinbarung von ihrem Inhalt - im besonderen auch hinsichtlich der Einbeziehung von Überstunden - abhinge, weshalb generalisierende, nicht an konkrete Parteienbehauptungen anknüpfende Eventualüberlegungen dieser Art nicht geeignet sind, ein Urteil darüber, welchen Parteienbehauptungen zu folgen ist, zu erübrigen.

Da der Sachverhalt somit noch einer Ergänzung bedarf und die Entscheidung der belangten Behörde in den wesentlichen Fragen keine Begründung enthält, die eine inhaltliche Überprüfung der Entscheidung ermöglichen würde, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden, da aufgrund der dargelegten Verfahrensmängel derzeit eine abschließende Beurteilung des Beschwerdefalles noch nicht möglich ist.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Auf den Ersatz der verzeichneten Barauslagen besteht im Hinblick auf die sachliche Abgabenfreiheit (§ 110 Abs. 1 ASVG) kein Anspruch.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995080102.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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