TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/15 I416 2232732-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.10.2020
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Entscheidungsdatum

15.10.2020

Norm

AVG §37
AVG §39 Abs2
AVG §58 Abs2
AVG §60
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §66 Abs1
FPG §66 Abs2
FPG §70 Abs3
NAG §52 Abs1
NAG §54 Abs1
NAG §55 Abs1
NAG §55 Abs3
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

I416 2232732-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Alexander BERTIGNOL über die Beschwerde des XXXX , geb. am XXXX , StA. Serbien, vertreten durch die RAe Dr. Peter LECHENAUER, Dr. Margit SWOZIL, Hubert-Sattler-Gasse 10, 5020 Salzburg, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.05.2020, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) teilte dem Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 20.03.2020 mit, dass eine Beweisaufnahme stattgefunden habe, da der Beschwerdeführer aufgrund seiner Eheschließung mit einer die Freizügigkeit genützten EU-Bürgerin einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltskarte beim Magistrat der Stadt XXXX eingebracht habe. Es seien nun gegen ihn und seine Ehegattin Verfahren wegen Eingehens einer Scheinehe eingeleitet worden und lägen unabhängig vom Ausgang dieses Verfahrens die Voraussetzungen für eine Anmeldebescheinigung nicht vor. Da für ihn die Erlangung eines Aufenthaltstitels ohne das Eingehen einer Ehe mit einer EU-Bürgerin nicht möglich sei, sei ein Missbrauch zur Umgehung der Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetze anzunehmen. Der Beschwerdeführer wurde somit von der belangten Behörde über eine beabsichtigte Erlassung einer Ausweisung, eventuell eines Aufenthaltsverbots sowie einer Abschiebung informiert und ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme und Beantwortung eines Fragenkatalogs gewährt.

2.       Am 08.04.2020 langte bei der belangten Behörde eine Stellungnahme samt Beantwortung des Fragenkataloges ein und legte der Beschwerdeführer zudem eine Kopie seines serbischen Reisepasses bei.

3.       Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 11.05.2020 wurde der Beschwerdeführer gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.) und ihm gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung erteilt (Spruchpunkt II.).

4.       Am 15.06.2020 langte bei der belangten Behörde das Rechtsmittel der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht ein und wurden im Zuge dessen eine Bestätigung der Hausbetreuung XXXX , Einkommensunterlagen von XXXX , vierzehn Empfehlungsschreiben, ein serbisches Diplom als Innenarchitekt sowie ein Nachweis der Mitgliedschaft XXXX beigelegt.

5.       Die belangte Behörde legte dem Bundesverwaltungsgericht die gegenständliche Beschwerde samt Verwaltungsakt und Stellungnahme vor und langten sämtliche Unterlagen am 06.07.2020 beim erkennenden Gericht ein.

6.       Am 26.08.2020 legten die ausgewiesenen Rechtsvertreter des Beschwerdeführers dem erkennenden Gericht folgende Unterlagen vor: Anmeldebescheinigung der Ehegattin, Mitgliedschaftsvereinbarung XXXX , Bestätigung XXXX .

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

Der volljährige Beschwerdeführer ist serbischer Staatsangehöriger, mit einer die Freizügigkeit ausnutzenden ungarischen Staatsangehörigen verheiratet und kinderlos. Seine Identität steht fest.

Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer nachweislich eine Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme zugestellt und übermittelte der Beschwerdeführer eine Stellungnahme, in welcher er die ihm gestellten Fragen zu seinem Eheleben knapp beantwortete.

Die belangte Behörde hat in weiterer Folge am 11.05.2020 den gegenständlich angefochtenen Bescheid erlassen. Eine vorherige niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers oder dessen Ehegattin hat nicht stattgefunden. Es kann diesbezüglich nicht festgestellt werden, ob sich die belangte Behörde inhaltlich mit seinen in der Stellungnahme angeführten Angaben in irgendeiner anderen Form näher auseinandergesetzt hat. Die belangte Behörde hat notwendige Ermittlungen hinsichtlich der Ausgestaltung des Ehelebens sowie seines Privat- und Familienlebens unterlassen und somit im angefochtenen Bescheid eine unzureichende Beweiswürdigung durchgeführt.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde sowie des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Die Feststellungen zu seiner Volljährigkeit, seiner Staatsangehörigkeit, seinem Familienstand und der Kinderlosigkeit ergeben sich aus dem diesbezüglich unbestrittenen Inhalt des Behördenaktes. Aus dem Behördenakt sowie dem gegenständlich angefochtenen Bescheid ergibt sich, dass die Ehegattin des Beschwerdeführers ungarische Staatsangehörige ist und ihre Freizügigkeit ausgenutzt hat. So legte sie beispielsweise eine Anmeldebescheinigung und Lohnunterlagen vor.

Da der Beschwerdeführer im Behördenverfahren seinen serbischen Reisepass vorgelegt hat, steht seine Identität fest.

Aus dem Behördenakt ist unzweifelhaft ersichtlich, dass die belangte Behörde dem Beschwerdeführer eine Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme übermittelte, jedoch keine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers sowie seiner Ehegattin durchführte und wird auch im angefochtenen Bescheid bzw. im Beschwerdeschriftsatz auf keine niederschriftliche Einvernahme hingewiesen. Die schriftlich eingebrachte Stellungnahme des Beschwerdeführers ist im vorgelegten Behördenakt enthalten.

Die Negativfeststellung hinsichtlich einer anderweitig inhaltlichen Auseinandersetzung seiner Angaben zum Eheleben gründet auf dem Umstand, dass im Behördenakt keinerlei sonstige Ermittlungstätigkeiten sichtbar sind, jedoch ein Teil des Behördenaktes dem erkennenden Gericht wohl nicht vorgelegt wurde. So sind beispielsweise Dokumente, die der Niederlassungsbehörde vorgelegt und der belangten Behörde laut dem angefochtenen Bescheid übermittelt wurden, wie beispielsweise die Heiratsurkunde, im nunmehr beim Bundesverwaltungsgericht eingelangten Behördenakt nicht enthalten.

Es war trotz dieses Umstands die weitere Feststellung zu treffen, dass notwendige Ermittlungen hinsichtlich der Ausgestaltung des Ehelebens unterlassen wurden, da weder niederschriftliche Einvernahmen beider Ehepartner durchgeführt noch beispielsweise polizeiliche Nachschau an der Wohnadresse des Ehepaars gehalten wurde. Der Beschwerdeführer legte unter anderem ein Schreiben seiner Ehegattin vor, in welchem sie ihrer Liebe zum Beschwerdeführer Ausdruck verschaffte und besteht – wie schon die belangte Behörde zu Recht ausführte – gemäß den ZMR-Auszügen ein gemeinsamer Wohnsitz. In einer Gesamtschau liegen somit sehr wohl Hinweise für ein tatsächlich vorliegendes gemeinsames Familienleben vor. Die Beweiswürdigung wurde jedoch äußerst kurz, ohne auf die Gründe für die Annahme einer Aufenthaltsehe einzugehen, im angefochtenen Bescheid behandelt und ergibt sich daraus die Feststellung zur unzureichenden Beweiswürdigung.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

3.1.1. Rechtslage:

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß Abs. 2 leg. cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß Abs. 3 leg. cit. hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Gemäß § 66 Abs. 1 FPG können EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt gemäß Abs. 2 leg. cit. insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

Gemäß § 52 Abs. 1 NAG sind auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§§ 51 und 53a) sind, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1. Ehegatte oder eingetragener Partner sind;

2. Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres und darüber hinaus sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird;

3. Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird;

4. Lebenspartner sind, der das Bestehen einer dauerhaften Beziehung nachweist, oder

5. sonstige Angehörige des EWR-Bürgers sind,

a) die vom EWR-Bürger bereits im Herkunftsstaat Unterhalt tatsächlich bezogen haben,

b) die mit dem EWR-Bürger bereits im Herkunftsstaat in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben, oder

c) bei denen schwerwiegende gesundheitliche Gründe die persönliche Pflege zwingend erforderlich machen.

Gemäß § 54 Abs. 1 NAG sind Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§ 51) sind und die in § 52 Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen erfüllen, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt. Ihnen ist auf Antrag eine Aufenthaltskarte für die Dauer von fünf Jahren oder für die geplante kürzere Aufenthaltsdauer auszustellen. Dieser Antrag ist innerhalb von vier Monaten ab Einreise zu stellen. § 1 Abs. 2 Z 1 gilt nicht.

Zum Nachweis des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts sind gemäß Abs. 2 leg. cit. ein gültiger Personalausweis oder Reisepass, die Anmeldebescheinigung oder die Bescheinigung des Daueraufenthalts des zusammenführenden EWR-Bürgers sowie folgende Nachweise vorzulegen:

1. nach § 52 Abs. 1 Z 1: ein urkundlicher Nachweis des Bestehens der Ehe oder eingetragenen Partnerschaft;

2. nach § 52 Abs. 1 Z 2 und 3: ein urkundlicher Nachweis über das Bestehen einer familiären Beziehung sowie bei Kindern über 21 Jahren und Verwandten des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie ein Nachweis über die tatsächliche Unterhaltsgewährung.

Liegt gemäß Abs. 7 leg. cit. eine Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30), eine Zwangsehe oder Zwangspartnerschaft (§ 30a) oder eine Vortäuschung eines Abstammungsverhältnisses oder einer familiären Beziehung zu einem unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger vor, ist ein Antrag gemäß Abs. 1 zurückzuweisen und die Zurückweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass der Antragsteller nicht in den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts fällt.

Gemäß § 55 Abs. 1 NAG kommt EWR-Bürgern und ihren Angehörigen das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht (Abs. 3 leg. cit.), weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.

Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§ 9 BFA-VG), hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dies gemäß Abs. 4 leg. cit. der Behörde mitzuteilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.

Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung von Drittstaatsangehörigen, die Angehörige sind, aber die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, ist diesen Angehörigen gemäß Abs. 5 leg. cit. ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ quotenfrei zu erteilen.

Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung gemäß Abs. 6 leg. cit. in Rechtskraft, ist ein nach diesem Bundesgesetz anhängiges Verfahren einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird.

3.1.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:

Das Unionsrecht vermittelt drittstaatsangehörigen Personen ein Aufenthaltsrecht als Familienangehörigen von Unionsbürgern durch die Unionsbürgerrichtlinie (RL 2004/38/EG). Nach der Rechtsprechung des EuGH handelt es sich bei dem einem Drittstaatsangehörigen auf diese Weise vermittelten Aufenthaltsrecht jedoch nicht um eine eigenständige Rechtsposition, sondern um eine abgeleitete Rechtsstellung, die vom aufrechten Bestand eines Aufenthaltsrechts des Unionsbürgers selbst im betreffenden EU-Aufnahmestaat abhängig ist (EuGH 05.05.2011 C-434/09 McCarthy Rn 42 mwN; EuGH 08.05.2013 C-529/11 Alarape Rn 34 und andere). Der EuGH hat ferner darauf hingewiesen, dass dieses Aufenthaltsrecht "nach Art. 14 Abs. 2 dieser Richtlinie Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen nur so lange zusteht, wie sie diese Voraussetzungen erfüllen" (EuGH, aaO). Diese Richtlinie wurde in Österreich durch die §§ 51 ff NAG umgesetzt.

Drittstaatsangehörige sind gemäß § 54 Abs. 1 NAG dann zum Aufenthalt für mehr als drei Monate in Österreich berechtigt, wenn sie Ehegatten eines unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers sind. Geht jedoch vom Drittstaatsangehörigen eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit aus, kommt ihm dennoch kein Aufenthaltsrecht zu (§ 55 Abs. 3 NAG).

Gemäß den §§ 37 und 39 Abs. 2 AVG hat die Behörde den wahren Sachverhalt im Sinn einer Ermittlungspflicht zur Feststellung der materiellen Wahrheit auf Grundlage des Antrages von Amts wegen zu ermitteln (vgl. VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063). Sie hat jedes Beweismittel in freier Beweiswürdigung abzuwägen und ihre Schlüsse daraus im Licht der anzuwendenden Rechtsvorschriften nachvollziehbar darzulegen (§ 45 Abs. 1 und 2, § 60 AVG).

Gemäß § 58 Abs. 2 AVG, welcher auch für die belangte Behörde maßgeblich ist, sind Bescheide zu begründen, wenn dem Standpunkt der Partei nicht vollinhaltlich Rechnung getragen oder über Einwendungen oder Anträge von Beteiligten abgesprochen wird. In der Begründung sind im Sinne des § 60 AVG die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben (VwGH 20.05.2015, Ra 2014/09/0041).

Eine dem § 60 AVG entsprechende Entscheidungsbegründung muss (auch) zu widersprechenden Beweisergebnissen im einzelnen Stellung nehmen und schlüssig darlegen, was die Behörde veranlasst hat, dem einen Beweismittel mehr Vertrauen entgegenzubringen als dem anderen; die dabei vorgenommenen Erwägungen müssen schlüssig sein, das heißt mit den Gesetzen der Logik und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut im Einklang stehen.

Im gegenständlichen Fall hat die belangte Behörde die Ausweisungsentscheidung in Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides auf § 55 Abs. 3 NAG gestützt und in der rechtlichen Beurteilung ausgeführt, dass gemäß § 55 Abs. 1 NAG EWR-Bürgern und ihren Angehörigen das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zukomme, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt seien.

In weiterer Folge stützte sich die belangte Behörde auf das Vorliegen einer Aufenthaltsehe, ohne eine dahingehende Feststellung getroffen zu haben oder sich in der Beweiswürdigung mit den Beweisergebnissen genauer befasst zu haben. Die belangte Behörde stellte lediglich die Eheschließung fest sowie den Umstand, dass ein Verfahren wegen Eingehens von Aufenthaltsehen gegen beide Ehepartner eingeleitet wurde und die Ehe eingegangen worden sei, um in Österreich einer Arbeit nachgehen zu können. Diese Feststellungen genügen nicht zur tatsächlichen Annahme einer Aufenthaltsehe in rechtlicher Hinsicht und wurden zudem lediglich ungenügende Ermittlungen hinsichtlich des etwaigen Bestehens einer Aufenthaltsehe durchgeführt. Der belangten Behörde ist somit vorzuwerfen, dass sie bei Erlassung des gegenständlichen Bescheides nicht den Erfordernissen einer umfassenden und schlüssigen Erledigung einer behördlichen Entscheidung entsprochen hat.

Da der Beschwerdeführer mit einer unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgerin verheiratet ist und das Bestehen einer Aufenthaltsehe zum derzeitigen Ermittlungsstand nicht festgestellt werden konnte, erfüllt er die Voraussetzungen nach § 54 Abs. 1 NAG. Eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit kam im gegenständlichen Verfahren nicht hervor, sodass zum Entscheidungszeitpunkt die Voraussetzungen für eine Ausweisung aus dem Bundesgebiet und den damit einhergehenden Durchsetzungsaufschub nicht vorliegen.

4. Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben oder die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären ist.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte sohin unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Aufenthaltsehe Aufenthaltsrecht Ausweisung Ausweisung aufgehoben Ausweisung nicht rechtmäßig Behebung der Entscheidung Durchsetzungsaufschub Ermittlungsmangel Ermittlungspflicht ersatzlose Behebung EU-Bürger EWR-Bürger Interessenabwägung Kassation Nachvollziehbarkeit öffentliche Interessen öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Privat- und Familienleben private Interessen Unionsbürger

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I416.2232732.1.00

Im RIS seit

28.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

28.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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