TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/10 I419 2195596-2

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Veröffentlicht am 10.11.2020
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Entscheidungsdatum

10.11.2020

Norm

AsylG 2005 §57
BFA-VG §18 Abs5
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch

I419 2195596-2/6Z

TEILERKENNTNIS

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA. NIGERIA, vertreten durch LEGAL FOCUS und RAin Dr.in Martina SCHWEIGER-APFELTHALER, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 14.10.2020, Zl. XXXX zu Recht:

A) Der Beschwerde wird gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer beantragte 2014 in Griechenland sowie 2015 erst in Ungarn und dann in Österreich internationalen Schutz. Das BFA wies den Antrag zurück und ordnete die Außerlandesbringung an, was dieses Gericht bestätigte (20.08.2015, Zl. W192 2110811-1/5E). Die Behandlung einer Beschwerde dagegen lehnte der VfGH ab (23.02.2016, E 2060/2015-14).

2. Drei Tage nach seiner Überstellung kehrte der Beschwerdeführer aus Ungarn ins Bundesgebiet zurück. Einen Folgeantrag von 2016 wies das BFA ab, verhängte ein siebenjähriges Aufenthaltsverbot und erteilte keinen Durchsetzungsaufschub. Die Beschwerde dagegen wies dieses Gericht ab und stellte korrigierend fest, dass der Beschwerdeführer das Recht zum Aufenthalt ab dem 23.08.2016 verloren hatte (07.12.2018, I421 2195596-1/6E).

3. Mit dem nun bekämpften Bescheid hat das BFA einen weiteren Folgeantrag des Beschwerdeführers betreffend die Status des Asyl- und des subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkte I und II) und erteilte diesem keinen Aufenthaltstitel „aus berücksichtigungswürdigen Gründen“ „gemäß § 57 AsylG“ (Spruchpunkt III).

4. Beschwerdehalber wird vorgebracht, der Beschwerdeführer würde in seinem Recht auf Familienleben verletzt, und ferner, dass dessen Stiefkind, das auf ihn angewiesen sei, in seinen Rechten auf gute Versorgung, Familienleben und Kontakt mit dem Stiefvater verletzt würde. Dieser sei dessen stärkste Bezugsperson, weil die Mutter, seine Gattin und Unionsbürgerin, „nicht verfügbar“ sei. Dem Beschwerdeführer komme wegen seiner Ehe mit einer „freizügigen EU-Bürgerin“ eine Aufenthaltsbewilligung zu, was „losgelöst von den österreichischen Bestimmungen zu betrachten“ sei.

Das Stiefkind, ein minderjähriger EU-Bürger könne ohne den Beschwerdeführer das Recht auf Freizügigkeit nicht weiter ausüben.

In einer als „Beschwerde“ bezeichneten Beschwerdeergänzung wird weiter vorgebracht, der Beschwerdeführer sei seit 2017 mit einer Staatsangehörigen Ungarns verheiratet und für seine Gattin und deren Sohn sorgepflichtig, ferner habe er einen in Ungarn lebenden leiblichen Sohn. Den Folgeantrag habe er wegen der „geänderten familiären Situation“ gestellt. Er werde im Herkunftsstaat zu Unrecht beschuldigt, einen Freund getötet zu haben, weshalb er geflüchtet sei.

Es könne nicht sein, dass Frau und Stiefkind für das vom Beschwerdeführer gesetzte Fehlverhalten „bestraft“ würden, weil der Beschwerdeführer nicht zumindest einen Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen erhalte, der ihm erlaube, einer Arbeit nachzugehen und mit den beiden gemeinsam zu leben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A) Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung:

Gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aberkannt wurde, binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, Art. 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Weil das Bundesverwaltungsgericht binnen einer Woche in einem Eilverfahren eine Annahme über die Gefahr einer Grundrechtsverletzung zu treffen hat, wird eine Prognose aufgrund der Aktenlage nötig. Schon im Hinblick darauf, dass Grundrechte oder sonstige massive Interessen der Beschwerdeführer beeinträchtigt werden könnten, dürfen die anzulegende Prüfdichte und der Wahrscheinlichkeitsgrad nicht allzu hoch sein. Gewissheit kann in diesem Stadium des Verfahrens nicht vorausgesetzt werden, weil damit das Schicksal der Beschwerde schon entschieden wäre.

Im vorliegenden Fall erscheint das Beschwerdevorbringen durch die kurzfristig möglichen Registerabfragen zusammen mit dem Akteninhalt und einer kurzfristig eingeholten Stellungnahme der LPD Wien weithin plausibel, denen sich im Kern entnehmen lässt:

Der Beschwerdeführer hat im Oktober 2017 in Wien eine etwa 5 Jahre jüngere ungarische Staatsangehörige geheiratet. Diese lebt seit Mitte 2016 in Österreich, wo sie im Oktober 2016 zum Beschwerdeführer zog und seit November 2016 mit Unterbrechungen vollversichert als Arbeiterin beschäftigt war. Am längsten war sie von Oktober 2018 bis Juli 2019 in einem Hotel beschäftigt.

Die Ehegattin ist Mutter eines knapp 7-jährigen Sohnes aus einer früheren Ehe, der den Nachnamen seines Vaters trägt, im gleichen Ort in Ungarn geboren wurde wie sie und ebenso ungarischer Staatsangehöriger ist. Dieser Sohn hält sich seit Mitte 2018 bei ihr auf, zog ihr also im Alter von etwa 4,5 Jahren nach.

Der Beschwerdeführer war von 17.08.2019 bis 17.08.2020 in Untersuchungs- und in Strafhaft, aus der er auf Bewährung entlassen wurde. Am folgenden Tag wurde er verletzt ins Krankenhaus gebracht, wo er zunächst angab, von seiner Gattin mit einer Schere angegriffen worden zu sein, später dann, dass die Schere von einem Schrank herab ihm auf den Kopf gefallen sei. Seine Gattin befindet sich seither in einer Justizanstalt. Gegen sie hat die StA Wien im September 2020 Anklage wegen des Vorwurfs des Mordversuchs erhoben, das BFA hat ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eingeleitet.

Er wurde operiert und verblieb bis 24.08.2020 in stationärer Behandlung. Bei der Nahtentfernung vier Tage darauf ging es ihm sehr gut, er hatte auch keine Kopfschmerzen. Für den Fall, dass Schmerzen auftreten, wurde ihm ein Schmerzmittel verschrieben. Ansonsten ist er gesund und arbeitsfähig.

Es kann ohne weitere Ermittlungen insbesondere nicht festgestellt werden, ob der Beschwerdeführer seinem Stiefsohn sorgepflichtig ist, ihm Unterhalt gewährt und ob dieser darauf angewiesen ist. Deshalb ist der Sachverhalt in Gesamtschau mit dem Beschwerdevorbringen in Bezug auf das Privat- und Familienleben zu klären.

Ohne eingehende Prüfung des Sachverhaltes, insbesondere unter diesem Aspekt kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Vollstreckung der Entscheidung zu einer Verletzung von Bestimmungen der EMRK zulasten des Beschwerdeführers führt. Zur Klärung des Sachverhaltes ist ein längerer Zeitraum als die für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung bestehende Wochenfrist notwendig.

Diese – von Amts wegen zu treffende – Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ist nicht als Entscheidung in der Sache selbst zu werten. Vielmehr handelt es sich dabei um eine der Sachentscheidung vorgelagerte Verfügung, die nicht geeignet ist, den Ausgang des Verfahrens vorwegzunehmen.

Da eine Gefährdung des Beschwerdeführers im Sinne des § 18 Abs. 5 BFA-VG derzeit nicht mit der in diesem Zusammenhang erforderlichen Sicherheit von vornherein auszuschließen ist, war spruchgemäß zu entscheiden.

Eine Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG entfallen.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zur Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Aufenthaltstitel aufschiebende Wirkung Behandlungsmöglichkeiten Interessenabwägung medizinische Versorgung Menschenrechtsverletzungen öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen real risk reale Gefahr Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I419.2195596.2.00

Im RIS seit

28.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

28.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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