TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/13 W131 2233638-2

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Veröffentlicht am 13.11.2020
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Entscheidungsdatum

13.11.2020

Norm

BVergG 2018 §327
BVergG 2018 §328 Abs1
BVergG 2018 §333
BVergG 2018 §342
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W131 2233638-2/101E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag Reinhard GRASBÖCK als Vorsitzenden, durch die fachkundige Laienrichterin Dr´a Ilse Pohl als Beisitzerin der Auftraggeberseite und durch den fachkundigen Laienrichter Mag Matthias Wohlgemuth als Beisitzer der Auftragnehmerseite betreffend das Vergabeverfahren der anwaltlich vertretenen Auftraggeberin ÖBB-Infrastruktur Aktiengesellschaft (= AG) mit der Bezeichnung "Planung und Errichtung einer schlüsselfertigen Eisenbahnkreuzungssicherungsanlage in km 17,029 der ÖBB VzG-Strecke 46201 Spielfeld-Straß – Bad Radkersburg (Verfahrens-ID: 40809)" bzw „Planung und Errichtung einer schlüsselfertigen Eisenbahnkreuzungssicherungsanlage für die technische Sicherung der Eisenbahnkreuzung in km 17,029 der ÖBB VzG-Strecke 46201 Spielfeld-Straß – Bad Radkersburg im Verlauf der freien Strecke mit der Gemeindestraße Ratschendorferstraße im Gemeindegebiet der Gemeinde Mureck“, Verfahrens ID: 40809“ aufgrund des Antrags der anwaltlich vertretenen Antragstellerin (=ASt), der Bietergemeinschaft bestehend aus XXXX , auf Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung zu Gunsten der anwaltlich vertretenen XXXX (= MB) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Dem Nachprüfungsantrag wird stattgegeben und die Zuschlagsentscheidung zu Gunsten der XXXX vom 23.07.2020 für nichtig erklärt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die AG führt das im Entscheidungskopf ersichtliche Vergabeverfahren als Verhandlungsverfahren im Unterschwellenbereich nach vorheriger Bekanntmachung nach den Bestimmungen des Sektorenbereichs durch, dies mit einem geschätzten Auftragswert iHv XXXX Euro.

2. Die ASt legte ein Letztangebot mit einem Gesamtpreis iHv XXXX mit bewertungsrelevanten Gesamtkosten für 25 Jahre iHv XXXX .

3. Die MB legte ein Letztangebot mit einem Gesamtpreis iHv XXXX mit Gesamtkosten für 25 Jahre iHv XXXX Euro.

4. Das BVwG verhandelte diese Nachprüfungssache am 16.09.2020 und fortgesetzt am 09.10.2020 und langten danach - mitunter auch über gerichtliche Aufforderung - noch weitere Schriftsätze ein, nachdem vor und während beiden Verhandlungsterminen gleichfalls Schriftsätze der Verfahrensparteien überreicht worden sind.

Anfang November 2020 wurde danach das Ermittlungsverfahren beendet.

5. Die ASt bekämpfte die Zuschlagsentscheidung mit den Argumenten der Ausschreibungswidrigkeit des Angebots der MB, der fehlenden ausreichenden Berufsbefugnisse der MB und insb wegen eines vergaberechtswidrigen Preises der MB.

6. Nachdem zu Verfahrensbeginn die AG einige Tatsachen und insb sogar den geschätzten Auftragswert als von der Akteneinsicht auszunehmend bewertete und insoweit Fragestellungen zu einem denkbaren Zwischenverfahren über den Umfang der Akteneinsicht und des Parteiengehörs iSv VfGH E 706-707/2020 verstärkt zu behandeln waren, konnte im ersten Verhandlungstermin am 16.09.2020 mit der AG akkordiert werden, dass sie außerhalb von Geschäftsgeheimnissen vor dem Hintergrund des in den beteiligten Verkehrskreisen allgemein vorhandenen Wissens nähere Erklärungen zum als korrekt bewerteten Preis der MB abgibt.

7. Die ASt wiederum konkretisierte im Verhandlungstermin am 16.09.2020 am Ende ihr Vorbringen insb wie folgt:

... Die begründete Hauptsorge ist in Hinblick auf einen sogfältig geschätzten Auftragswert in der Höhe von rund XXXX EUR exkl. Ust. und dem Preis der MB in Höhe von 136.000 EUR Folgende: Gefordert waren nach Ausschreibungsunterlage die Erbringung der Leistung nach Regelzeichnung der ÖBB. Dies bedeutet, alle Anlagenteile sind gemäß diese[n] Regelzeichnungen anzubieten und zu erbringen. Der eklatante Preisunterschied zwischen dem geschätzten Auftragswert und dem angebotenen Preis der MB lässt sich nur dadurch erklären, dass die MB von diesen zwingenden Mindesterfordernissen abgewichen ist (z.B. [i]m Bereich des zwingend vorgeschrieben Schalthauses). Wir gehen davon aus, dass kein begehbares Schalthaus gemäß Regelzeichnungen ÖBB angeboten wurde, sondern ein ausschreibungswidriger Schaltkasten. Es ist zusammenfassend daher zwingend darzulegen, dass die angebotenen Lösungen sämtlichen Anforderungen der Ausschreibungsunterlage entsprechen, bei sonstiger Ausscheidungsverpflichtung. ...

Die ASt hat insoweit bereits mit Nachprüfungsantrag die Beilage ./9 der ASt in Vorlage gebracht, in welcher Schalthausgrundrisse bzw Aufrisse bzw Querschnitte eines Schalthauses ersichtlich sind.

8. Insb die AG trat dem Standpunkt der ASt mit vielen Argumenten entgegen. So beurteilte die AG einen aus ihrer Sicht fehlerhaften Bauzeitplan der ASt als Ausscheidensgrund, während die AG es zuletzt am 02.11.2020 ausdrücklich als keinen Ausscheidensgrund qualifizierte, dass die MB nach Letztangebotsabgabefrist von der AG noch aufgefordert worden war, an Stelle des Bauzeitplans des Erstangebots noch einen aktuellen Bauzeitplan nachzureichen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Verfahrensgang und die darin festgehaltenen Tatsachen des Vergabeverfahrens werden als entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt.

Darüber hinaus wird zu diesem Vergabeverfahren und Nachprüfungsverfahren ausdrücklich festgestellt wie folgt:

1.1. Der Zuschlag ist unstrittig noch nicht erteilt und ist dessen Erteilung durch eine einstweilige Verfügung untersagt, die ASt wurde von der AG bislang noch nicht bestandsfest mit ihrem Angebot aus dem Vergabeverfahren ausgeschieden. Die Antragslegitimation der ASt wurde im Verfahren vor dem BVwG nicht substantiiert bestritten.

1.2. Die ASt hat Pauschalgebühren iHv insgesamt 4.862,00 Euro an das BVwG entrichtet, dies für ihren Nachprüfungsantrag und ihren Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung - OZZ 5 und 7 des Verfahrensakts W131 2233638-2.

1.3. Bis auf die in diesem Nachprüfungsverfahren Zuschlagsentscheidung wurde noch keine Auftraggeberentscheidung des streitigen Vergabeverfahrens beim BVwG angefochten.

Bereits in den bestandsfesten Teilnahmeantragsunterlagen waren folgende Textpassagen enthalten:

[...]

Die ÖBB-Infrastruktur Aktiengesellschaft plant die technische Sicherung der Eisen-bahnkreuzung in km 17,029 der ÖBB VzG-Strecke 46201 Spielfeld-Straß – Bad Rad-kersburg, gemäß dem eisenbahnrechtlichen Sicherungsbescheid gem. § 49 Abs 2 EisbG 1957 und dem Stand der Technik entsprechend den Bestimmungen der Eisen-bahnkreuzungsverordnung aus 2012 baulich und sicherungstechnisch zu errichten.
[...]

Der Leistungsgegenstand ist in der Leistungsbeschreibung „Planung und Errichtung einer schlüsselfertigen Eisenbahnkreuzungssicherungsanlage (EKSA) in km 17,029 der ÖBB VzG-Strecke 46201 Spielfeld-Straß – Bad Radkersburg“ (Anlage 2 zu den Vertragsbedingungen Errichtung) näher beschrieben. Diese Leistungsbeschreibung [Leistungsbeschreibung_Pilot-1-EK17029_20200218_pr.docx] ist Bestandteil dieser Teilnahmeunterlagen.

[...]

Die Beschreibung der Eisenbahnkreuzungssicherungsanlage im Allgemeinen, sowie im Speziellen die Darstellung der Einrichtungen und deren Funktionen und Aufgaben der EKSA und die daran gestellten Anforderungen, sind im Lastenheft Eisenbahnkreu-zungssicherungsanlagen (LaHe-EKSA) und in dessen Anlage 1 (List of Compliance für die Anforderungen im Einzelnen) dargestellt. Das Lastenheft [00_LH_EKSA_Version 1.00__2020-02-06__Bili_KARA_GH_ML_(112-A4h)sw_unterfertigt.pdf] ist Bestandteil dieser Teilnahmeunterlagen.

[...]

14.1 Die Teilnahmeunterlagen bestanden aus den folgenden Teilen, die in der angeführten Reihenfolge gelten:

- „Allgemeine Teilnahmeunterlage“

- Die beigelegte „Leistungsbeschreibung“ für die Planung und Errichtung einer schlüsselfertigen Eisenbahnkreuzungssicherungsanlage (EKSA) in km 17,029 der ÖBB VzG-Strecke 46201 Spielfeld-Straß – Bad Radkersburg (Anlage 2 zu den Vertragsbedingungen Errichtung)

- Das beigelegte „Lastenheft Eisenbahnkreuzungssicherungsanlagen“ (LaHe-EKSA)

- Anlage 1 Muster für Teilnahmeantrag

- Anlage 2 Erklärung zur allgemeinen beruflichen Zuverlässigkeit

- Anlage 3 Referenzliste und -nachweis(e)

- Anlage 4 Verfügbarkeitserklärung für eignungsrelevant (Sub-)Unternehmer

- Anlage 5 Solidarhaftungserklärung für eignungsrelevante (Sub-)Unternehmer

- Anlage 6 Ausschreibungsunterlage

- Anlage 7 Bietererklärung2

- Anlage 8 Vertraulichkeitserklärung3

- Anlage 9 Allgemeine Geschäftsbedingungen des ÖBB Konzerns für Bauaufträge, Ausgabe 06.2018 (AGB B).

Die Anlage 9 war nicht beigelegt und stand im Internet auf "konzern.oebb.at" unter "B2B Online" zur Verfügung bzw wurde diese auf Anforderung zugesendet.

Sämtliche angeführte Teile sind integrierte Bestandteile der Teilnahmeunterlagen.

[...]

1.4. Im Lastenheft Eisenbahnkreuzungssicherungsanlagen“ (LaHe-EKSA)

findet sich - bereits zum Zeitpunkt der Verwendung der Teilnahmeunterlagen - auf Seite 23 folgende Passage:

[...]

3. Schaltstationen müssen den Regelzeichnungen

Rz 15.463/1 EK Schaltstation Rechnertechnik – mittel – BA14 Fertigungsplan

Rz 15.463/2 EK Schaltstation Rechnertechnik – mittel – BA14 Fundamentplan

Rz 15.463/3 EK Schaltstation Rechnertechnik – mittel – BA14 Einrichtungsplan

E-Verteiler EKSA-Schaltstation mittel BA14 ÖBB mit Zwischentrafo – Netzform TT

entsprechen.

(Fabrikat Fa. BEECK Type Rechteck-Betonschalthaus BSH180-297 oder gleichwertig)

[...]

1.5. In den Erstangebotsunterlagen findet sich folgende Passage:

[...]

Die Ausschreibungsunterlagen bestehen aus den folgenden Teilen, die in der angeführten Reihenfolge gelten.

Die gegenständliche „Aufforderung zur Angebotsabgabe“

Anlage 1a

Vertragsbedingungen Errichtung EK km 17,029

Anlage 1b

Vertragsbedingungen Option (IT-Sicherheit) EK km 17,029 (inkl. Anhang 1)

Anlage 2

Leistungsbeschreibung EK km 17,029 (inkl. Anlagen)

Anlage 3

Angebotsformular für Preise (Preisblatt) EK km 17,029

Anlage 4a

Bietererklärung

Anlage 4b

Vertraulichkeitserklärung

Anlage 5*

Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des ÖBB Konzerns

für Bauaufträge, Ausgabe 06.2018 (AGB B)

Anlage 6*

Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des ÖBB Konzerns

für IT-Leistungen, Ausgabe 06.2018 (AGB IT)

Anlage 7

List of Compliance zum Lastenheft EKSA

Anlage 8

Bewertungsschema (Gesamtkosten 25 Jahre) EK 17,029

Anlage 9

Ersatzteilpaket-Preisliste EK km 17,029

Anlage 10

Verschleißteile-Preisliste EK km 17,029

* Diese Unterlage steht im Internet auf “konzern.oebb.at“ unter “Über den Konzern / Für Lieferanten“ zur Verfügung bzw. kann diese auf Anforderung zugesendet werden.

Sämtliche angeführte Teile sind integrierte Bestandteile der Ausschreibungsunterlagen. Bei Widersprüchen zwischen den Bestandteilen gilt die Regelung der jeweils vorangereihten Unterlage(n). [...]

1.6. Die Aufforderung zur Letztangebotsabgabe vom 15.07.2020 enthielt insb folgenden Text:

[...]

I. Aufforderung zur Abgabe eines Letztangebotes

Nach Durchführung der klärenden Gespräche zu den gelegten Angeboten und den gegebenen Auskünften der Bieter werden die Bieter im Rahmen der schriftlichen Verhandlungsrunde (Schlussrunde) zur Legung eines abschließenden Letztangebotes eingeladen. Das Letztangebot ist auf Grundlage des gelegten Angebotes des Bieters und der Resultate der klärenden Gespräche und den gegebenen Auskünften durch den Bieter zu erstellen. Bei der nunmehrigen Vorlage eines Letztangebotes, wird somit erwartet, dass die Ergebnisse der Aufklärungsgespräche sowohl technisch als auch kommerziell berücksichtigt werden.

1. Auftraggeber und vergebende Stelle

[...]

2. Abgabe des Letztangebotes und Termin

2.1 Das Letztangebot ist spätestens bis zu dem auf der Plattform ProVia (https://www.provia.at) bekannt gegebenen elektronisch und signiert auf der Plattform ProVia einzureichen.

2.2 Das Letztangebot ist als solches zu bezeichnen und hat neben einem allfälligen Anschreiben zumindest die in dieser Aufforderung zur Abgabe eines Letztangebotes aufgelisteten Bestandteile zu enthalten.

3. Hinweise und Klarstellungen

3.1 Zur List of Compliance wird festgestellt, dass die Anforderung 3.7.1d im Lastenheft nicht definiert ist und eine entsprechende Beantwortung in der List of Compliance nicht erforderlich ist.

3.2 Zur Erarbeitung des Letztangebotes sind weiterhin die dzt. gültigen und in der Regelwerks-Datenbank verfügbaren Regelwerke und Regelzeichnungen heranzuziehen.

3.3 Eine Anbindung der EKSA an die SAM Schnittstelle ist dzt. nicht vorgesehen.

3.4 Eine Anbindung der EKSA an die EBO-S Schnittstelle ist dzt. nicht vorgesehen.

4. Bestandteile des Letztangebots

4.1 Das Letztangebot hat neben einem allfälligen Anschreiben folgende aufgelistete Bestandteile zu enthalten.

vollständig ausgefülltes Angebotsformular für Preise

Preisblatt, Anlage 3

ausgefüllte Tabelle Bewertungsschema

Gesamtkosten 25 Jahre, Anlage 8

List of Compliance zum Lastenheft EKSA; sofern Änderungen zum bisher gültigen Angebot

Bauzeitplan

Kalkulationsblätter K3; sofern Änderungen zum bisher gültigen Angebot

Ersatzteilpreisliste

Ersatzteilpaket-Preisliste, Anlage 9

Liste der Verschleißteile

Verschleißteile-Preisliste, Anlage 10

nachzureichende Dokumente gemäß Aufklärungsgespräch

5. Anlagen zur Aufforderung zur Abgabe eines Letztangebotes

5.1 Dieser Aufforderung zur Abgabe eines Letztangebotes liegen folgende Unterlagen bei.

Anlage 1a

Vertragsbedingungen (mit der Aktualisierung der Leistungsfristen)

Anlage 3

Angebotsformular für Preise (Preisblatt in der letztgültigen Ausgabe)

Anlage 8

Bewertungsschema; Gesamtkosten 25 Jahre (in der letztgültigen Ausgabe)

Anlage 9

Ersatzteilpaket-Preisliste (in der letztgültigen Ausgabe)

Anlage 10

Verschleißteile-Preisliste (in der letztgültigen Ausgabe)

Anlage A

EK-Maßnahmenblatt zur EKSA der EK in km 17,029

Sämtliche angeführte Teile sind integrierte Bestandteile der Ausschreibungsunterlagen. Bei Widersprüchen zwischen den Bestandteilen gilt die Regelung der jeweils vorangereihten Unterlage(n).

[...]

1.7. Ausdrücklich festzustellen ist daher nochmals, dass die bestandsfest gewordene Letztangebotsaufforderung folgende Textpassage enthält:

3.2 Zur Erarbeitung des Letztangebotes sind weiterhin die dzt. gültigen und in der Regelwerks-Datenbank verfügbaren Regelwerke und Regelzeichnungen heranzuziehen.

Die Passage mit dem zitierten Leitprodukt aus dem einen Bestandteil der Leistungsbeschreibung darstellenden Lastenheft Eisenbahnkreuzungssicherungsanlagen, die lautete:

(Fabrikat Fa. BEECK Type Rechteck-Betonschalthaus BSH180-297 oder gleichwertig),

findet sich in der Letztangebotsaufforderung nicht.

1.8. Unstrittig zeigt die Regelzeichnung 15.463/1, wie bereits in der Leistungsbeschreibung der Teilnahmeunterlagen erwähnt und von der ASt als Beilage ./9 zum Nachprüfungsantrag vorgelegt, ein Schalthaus (als zu liefernd), das eine Länge von 312 cm aufweist, eine Breite bei der Fundamentplatte von 182 cm bzw im Dachbereich von 194 cm, und eine Höhe von 248 cm von der Fundamentunterkante bis zum Dachgiebel. Dieses Schalthaus ist zweikammrig dargestellt, wobei das Bedienerabteil eine Bodenfläche von 1,65 m2 hat und das betretbare Technikabteil eine Fläche von 2,4 m2 aufweist.

Die Außenwandstärke des Schalthauses gemäß Regelzeichnung 15.463/1 beträgt 16 cm, die Innenwand zwischen Bedienerabteil und Technikabteil beträgt 10 cm.

1.9. Die MB hat (auch) in ihrem Letztangebot ein Schalthaus iSd ursprünglich im Lastenheft Eisenbahnkreuzungssicherungsanlagen angeführten Leitproduktes angeboten, das abweichend davon 263 cm hoch, allerdings nur 287 cm lang und 170 cm breit ist, wie in der Angbebotsbeilage ./1 der MB dokumentiert. Die Außenwände des Schalthaus - Leitprodukts gemäß Angebot der MB sind - insb auch nach Auffassung des von der AG bei der Vergabe beigezogenen externen Sachverständigen - um 6 cm dünner, als in der Regelzeichnung 15.463/1 vorgesehen, sein. Die Eingangstüre in das Bedienerabteil befindet sich beim besagten Leitprodukt nicht wie bei der Regelzeichnung 15.463/1 rechts, sondern zentrierter und daher näher beim E-Verteiler.

1.10. In den in der Letztangebotsaufforderung vom 15.07.2020 als Anlage 5 verwiesenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen des ÖBB Konzerns für Bauaufträge, Ausgabe 06.2018 (= AGB) ist in Punkt 1.1.1. festgeschrieben, dass für erteilte Aufträge subsidiär die Bestimmungen der Ö-Norm B 2118 idF 15.03.2013 gelten.

Insb die AG hat dazu erstmalig am 09.10.2020 zu Verhandlungsende und danach schriftlich vorgebracht, dass nach der zitierten Ö-Norm gemäß deren Punkt 5.1.3. bei Widersprüchen im Vertrag die Vertragsbestandteile in nachfolgender Reihenfolge gelten würden:

1) die schriftliche Vereinbarung (z. B. Angebotsannahme, Auftragsschreiben, Bestellschein, Auftragsbestätigung,

Schluss- und Gegenschlussbrief), durch die der Vertrag zu Stande gekommen ist;

2) die Beschreibung der Leistung oder das mit Preisen versehene Leistungsverzeichnis;

3) Pläne, Zeichnungen, Muster;

[...]

Daraus folgerte insb auch die AG, dass die Abmessungen des Schalthauses gemäß Regelzeichnung 15.463/1 nicht für das von der MB angebotene Schalthaus gelten würden, da diese Regelzeichnung als Plan wegen Widersprüchlichekit zur Leistungsbeschreibung nicht gelten würde.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus der Aktenlage der Gerichtsakten und aus den vorgelegten Vergabeunterlagen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Gegenständlich ist wegen der Vergabeverfahrenseinleitung nach dem 21.08.2018 das BVergG 2018 gemäß BGBl I 2018/65 einschlägig, § 376 Abs 4 BVergG 2018 (im Folgenden: BVergG).

Unstrittig kommen dabei Sektorenvergabebestimmungen des 3. Teils des BVergG zur Anwendung.

3.1.1. Das BVwG hatte gegenständlich in der im Entscheidungskopf ersichtlichen Senatsbesetzung zu entscheiden - § 328 BVergG 2018 iVm § 6 VwGVG.

Als Verfahrensrecht waren dabei abseits der Sonderverfahrensvorschriften des BVergG das VwGVG und die in § 333 BVergG 2018 verwiesenen Teile des AVG anzuwenden.

3.1.2. Die ASt ist bislang nicht formal endgültig aus dem Vergabeverfahren ausgeschieden worden. Da die Antragslegitimationsbestimmung des § 342 Abs 1 BVergG ident im Ober- und Unterschwellenbereich gilt und der EuGH zu C-355/15 bzw zu C-333/18 maW klargestellt hat, dass bis zum bestandkräftigen [Ausscheiden] eines Antragstellers dessen Antragslegitimation vorliegt, kann die Bestimmung des § 342 Abs 1 BVergG gleichheitskonform auch gegenständlich nur so ausgelegt werden, dass der ASt Antragslegitimation zukommt - Art 2 StGG.

Die Zulässigkeitsvoraussetzungen dieses Nachprüfungsantrags wurden auch sonst nicht substantiiert bestritten.

Zu A)

3.2. Zur Nichtigerklärung

3.2.1. IZm der Pflicht zur gesetzeskonformen Auslegung von Ausschreibungsunterlagen bzw iZm der Irrelevanz eines nur zu vermutenden Zwecks der Ausschreibungsbestimmungen hat der VwGH zB zu Ra 2018/04/0137 rechtssatzmäßig dokumentiert ausgeführt wie folgt:

Ausschreibungsbestimmungen sind nach dem objektiven Erklärungswert für einen durchschnittlichen fachkundigen Bieter bei Anwendung der üblichen Sorgfalt auszulegen. Im Zweifel sind Festlegungen in der Ausschreibung gesetzeskonform und sohin in Übereinstimmung mit den maßgeblichen Bestimmungen zu lesen. Auf den vermuteten Sinn und Zweck der Ausschreibungsbestimmungen kommt es nicht an. Maßgeblich ist vielmehr der objektive Erklärungswert der Ausschreibungsbestimmungen (Hinweis E vom 27. Oktober 2014, 2012/04/0066, mwN).

Zur alleinigen Releveanz des objektiven Erklärungswerts der Ausschreibung siehe insoweit zB auch VwGH Zl 2006/04/0024, wo festgehalten ist:

Der Verwaltungsgerichtshof hat schon wiederholt bei der Auslegung von Ausschreibungsbestimmungen, somit hinsichtlich der Willenserklärungen des Auftraggebers, den objektiven Erklärungswert für einen durchschnittlich fachkundigen Bieter bei Anwendung der üblichen Sorgfalt für maßgebend erachtet (Hinweis E vom 19. November 2008, 2007/04/0018, mit Verweis auf die Vorjudikatur). Dass der objektive Erklärungswert maßgeblich ist, gilt auch für die Auslegung der Willenserklärung des Bieters.

3.2.2. Da die MB kein Schalthaus angeboten hat, dass in Länge, Breite, Höhe und Außenwandstärke den Abmessungen der Regelzeichnung 15.463/1 entspricht, hat die MB ein ausschreibungswidriges Angebot gelegt, das gemäß § 302 Abs 1 Z 5 BVergG zwingend auszuscheiden ist. Daher war die Zuschlagsentscheidung dem Nachprüfungsantrag stattgebend für nichtig zu erklären.

Dass die Abmessungen der Regelzeichnung 15.463/1 als Ausschreibungsbestandteil maßgeblich sind, ergibt sich aus dem objektiven Wortlaut der Ausschreibungsunterlagen. Die AG hat insoweit in den Teilnahmeunterlagen und zuletzt in der Letztangebotsaufforderung auf die Regelzeichnungen referenziert und dadurch über die Regelzeichnungen und damit insb über die Regelzeichnung 15.463/1 die eigene gewünschte Leistung beschrieben, wobei die Regelzeichnung 15.463/1 objektiv redlich nicht ein bloßer Plan (zB iSd Punkt 5.1.3. der Ö-Norm B 2118), sondern ein bestandsfester Teil der Leistungsbeschreibung der Ausschreibung (geworden) ist.

3.2.3. Wenn insb die AG für ihren Standpunkt auf die Widerspruchsregelung des Punkts 5.1.3. der Ö-Norm B-2118 hinweist, ist festzuhalten, dass diese Ö-Norm nach ihrem Zweck nur Sachverhalte nach Vertragsabschluss regelt und zudem nur über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der AG für Bauaufträge (= AGB) Geltung erlangen soll, wobei diese AGB der AG die subsidiäre Geltung der Ö-Norm ausdrücklich nur für die Zeit nach Auftragserteilung vorsehen.

Der gegenständliche Auftrag wurde aber noch nicht erteilt und ist daher diese von der AG zitierte Ö-Norm - Bestimmung in der Phase vor Zuschlagserteilung noch nicht einschlägig. Insoweit ist aus ihr für den Standpunkt der AG und der MB nichts zu gewinnen.

Dieser Punkt 5.1.3. der Ö-Norm gilt schlicht vor Auftragsvergabe nicht und führt daher nicht dazu, dass die Regelzeichnung 15.463/1 mit den dort ersichtlichen Abmessungen des zu liefernden Schalthauses kein relevanter Maßstab für die Frage der Ausschreibungskonformität des Angebots der MB wäre.

3.2.4. Bei diesem Ergebnis war nicht mehr näher zu erörtern, ob die MB mit ihrem Angebot allenfalls auch deshalb zwingend auszuscheiden sein könnte, weil sie erst nach Letztangebotsfrist einen aktuellen Bauzeitplan nachreichen durfte oder aber weil sie allenfalls ein Angebot ohne klares Ausschreibungsverständnis gelegt haben könnte, wenn die MB insoweit mit der Eingabe OZ 81 ausschreibungsspezifische Fragen des BVwG gemäß OZ 79 nicht beantwortete.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

3. Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision war gegenständlich nicht zuzulassen, weil gegenständlich Ausschreibungsunterlagen im Einzelfall auf Grund deren Wortlauts ausgelegt und angewendet wurden und insoweit keine Revisibilität besteht, siehe dazu zB VwGH Ra 2020/04/0037 mwN.

Schlagworte

Angebot ausschreibungswidrig Auslegung der Ausschreibung Ausschreibung bestandfeste Ausschreibung Eisenbahnkreuzung mündliche Verhandlung Nachprüfungsantrag Nachprüfungsverfahren Nachreichung von Unterlagen Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung objektiver Erklärungswert Sicherungsbedarf Vergabeverfahren Verhandlungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W131.2233638.2.00

Im RIS seit

28.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

28.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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