TE Bvwg Beschluss 2020/11/19 I412 2234991-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.11.2020
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Entscheidungsdatum

19.11.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs3 Satz2
VwGVG §31 Abs1

Spruch

I412 2234991-1/5E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Gabriele ACHLEITNER über die Beschwerde des XXXX , geb. am XXXX , StA. NIGERIA, vertreten durch die Mutter XXXX als gesetzliche Vertreterin, diese vertreten durch RA Mag. Susanne SINGER, gegen den Bescheid des BFA, RD Wien Außenstelle Wien (BFA-W-ASt-Wien) vom 12.08.2020, Zl. XXXX , beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung einer neuen Entscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

Für den Beschwerdeführer wurde von der Mutter als gesetzliche Vertreterin ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Am Antragsformular wurde angegeben, dass der Beschwerdeführer selbst keine Fluchtgründe habe und sich auf jene der gesetzlichen Vertreterin stütze.

Mit Bescheid vom 12.08.2020 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt V.). Für die freiwillige Ausreise besteht eine Frist von 14 Tagen (Spruchpunkt VI.).

Dagegen richtet sich die Beschwerde vom 09.09.2020. Zur Rückkehrentscheidung wurde vorgebracht, dass der Beschwerdeführer nach der Haftentlassung der Mutter gemeinsam mit seinem leiblichen Vater leben und aufwachsen werde. Der Kindsvater sei in Österreich aufenthaltsberechtigt und werde das gemeinsame Sorgerecht und in weiterer Folge einen Aufenthaltstitel für den Beschwerdeführer beantragen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der knapp einjährige Beschwerdeführer wurde in Wien geboren, ist der Sohn der XXXX und ist wie seine Mutter nigerianischer Staatsangehöriger. Ob XXXX , der in Österreich seit 17.06.2015 aufgrund von Aufenthaltstiteln, zuletzt aufgrund des Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“, gültig bis 04.08.2023, rechtmäßig aufhältig ist, der Vater des Beschwerdeführers ist, steht nicht fest.

Die Mutter des Beschwerdeführers verbüßt bis voraussichtlich April 2022 eine Haftstrafe und befindet sich der Beschwerdeführer gegenwärtig mit ihr in einer Justizanstalt.

Das Asylverfahren der gesetzlichen Vertreterin wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.07.2018, GZ. I403 2190627-1/5E, rechtskräftig negativ entschieden. Gegen die Mutter besteht eine Ausreiseverpflichtung, ein anderes Recht zum Aufenthalt kommt ihr nicht zu.

2. Beweiswürdigung:

Der oben dargestellte Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde, dessen Inhalt nicht bestritten wird.

Die Feststellungen zum möglichen Kindsvater ergeben sich aus eingeholten Auszügen aus dem Zentralen Melderegister, dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister und dem Vorbringen in der Beschwerde sowie aus der Korrespondenz zwischen der belangten Behörde und der Justizanstalt vom 22.06.2020 (AS 17ff).

Angaben zum Asylverfahren der Mutter und gesetzlichen Vertreterin ergeben sich aus einer Einsicht in den Gerichtsakt zu I403 2190627-1.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Aufhebung des Bescheides:

3.1. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über eine Bescheidbeschwerde iSd Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG wie die vorliegende dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder dessen Feststellung durch das Gericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2). Wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, hat das Gericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG dann meritorisch zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die Behörde zurückverweisen, die dann an die rechtliche Beurteilung, von der das Gericht ausgegangen ist, gebunden ist.

Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Behörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Wenn die Behörde den entscheidungswesentlichen Sachverhalt unzureichend festgestellt hat, indem sie keine für die Sachentscheidung brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert hat, ist eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zulässig (VwGH 28.03.2017, Ro 2016/09/0009). Von der Möglichkeit einer Zurückverweisung kann demnach nur bei besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren § 28 VwGVG, Anm 13), wie sie hier vorliegen.

3.2. Die belangte Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren Ermittlungen zur beiden Elternteilen anstellen müssen und auf Grundlage dieser Ergebnisse entscheiden und abwägen müssen, ob eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer zu erlassen ist.

Dazu werden geeignete Ermittlungen anzustellen sein, die bislang gänzlich unterblieben sind. Insbesondere hat es das Bundesamt unterlassen, die beteiligten Personen einzuvernehmen. Auch wenn die Mutter als gesetzliche Vertreterin bei Stellung des Asylantrages für den Beschwerdeführer am Antragsformular angekreuzt hat, dass sie auf eine weitere Stellungnahme, Einvernahme und auf ein gesondertes Ermittlungsverfahren verzichtet, bezieht sich diese Erklärung schon vom Wortlaut her bloß auf die Gründe für die beantragte Zuerkennung des Status des Asyl- bzw. subsidiär Schutzberechtigten.

Eine solche Erklärung entbindet die belangte Behörde generell nicht von Ermittlungsschritten, wenn der entscheidungswesentliche Sachverhalt (noch) nicht feststeht.

Bereits durch E-Mail - Korrespondenz mit dem sozialen Dienst der Justizanstalt war der belangten Behörde bekannt, dass sich der mögliche Kindsvater um eine Vaterschaftsanerkennung und die Ausstellung einer Rot-Weiß-Rot – Karte plus für den Beschwerdeführer kümmern wolle. Der belangten Behörde wurde auch mitgeteilt, dass deshalb mit der Stellung eines Asylantrages für den Beschwerdeführer zugewartet worden sei. Es wäre der belangten Behörde jederzeit möglich gewesen, den angegebenen Vater, der in Österreich über eine Meldeadresse und einen Aufenthaltstitel verfügt, zu erreichen und zu befragen.

Im angefochtenen Bescheid geht die belangte Behörde bereits davon aus, dass der Beschwerdeführer in der Obsorge seiner erziehungsberechtigten Eltern (Bescheid S. 49) steht und verweist auf entsprechende Feststellungen im Bescheid, die aber so nicht getroffen wurden. Vielmehr führt es auf Seite 13 noch an, dass der Vater nicht feststehe.

Auch in der Beschwerde wurde auf den Kindsvater Bezug genommen und hat die belangte Behörde erneut keine Ermittlungen angestellt, um von der Möglichkeit der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen. Derartige Schritte sind bis dato unterblieben und hat das Bundesamt durch (frühzeitige) Vorlage an das Bundesverwaltungsgericht diese Ermittlungen an das erkennende Gericht delegiert.

Da zu den tragenden Sachverhaltselementen keine Beweisergebnisse vorliegen, zur Klärung des relevanten Sachverhalts zusätzliche Ermittlungen notwendig sein werden und dadurch bedingte Erweiterungen des Verfahrens nicht ausgeschlossen werden können, führt es weder zu einer Kostenersparnis noch zu einer Verfahrensbeschleunigung, wenn das Bundesverwaltungsgericht die Erhebungen selbst durchführt, zumal das (auch in örtlicher Nähe zu den betreffenden Personen befindliche) Bundesamt jegliche Ermittlungen zur Vaterschaft, möglichen Aufenthaltstiteln und zur Obsorge offenbar deshalb unterließ, damit diese durch das Bundesverwaltungsgericht vorgenommen werden.

Im Ergebnis ist der angefochtene Bescheid daher gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur allfälligen Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.

Eine mündliche Verhandlung entfällt gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG, weil schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist wegen der Einzelfallbezogenheit der Entscheidung über die Anwendung des § 28 Abs. 3 VwGVG, die keine grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG begründet, nicht zuzulassen (vgl. VwGH 25.01.2017, Ra 2016/12/0109).

Schlagworte

Asylverfahren Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Kassation Kind mangelhaftes Ermittlungsverfahren mangelnde Sachverhaltsfeststellung Obsorge Rückkehrentscheidung Rückkehrentscheidung behoben Zurückverweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I412.2234991.1.00

Im RIS seit

28.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

28.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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