Entscheidungsdatum
23.11.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z4Spruch
I413 2220682-1/46E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Martin ATTLMAYR, LL.M. als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch den "Verein Menschenrechte Österreich", Alser Straße 20, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 03.06.2019, Zl. " XXXX – 180946235 / BMI-BFA_VBG_RD", nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 04.11.2019 sowie am 12.10.2020 zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt III. wie folgt zu lauten hat:
„Eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz‘ gemäß § 57 AsylG wird XXXX nicht erteilt.“
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Irak, reiste als Minderjähriger gemeinsam mit seinen Eltern sowie drei Brüdern in das Bundesgebiet ein. Am 13.09.2015 stellte seine Mutter, zum damaligen Zeitpunkt seine gesetzliche Vertreterin, im Rahmen eines Familienverfahrens iSd § 34 AsylG für ihn einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei für den Beschwerdeführer keinerlei eigene Fluchtgründe geltend gemacht wurden.
2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA / belangte Behörde) vom 22.09.2016 wurde dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten zuerkannt und festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Den Flüchtlingsstatus leitete er hierbei gemäß § 34 Abs. 2 AsylG von seiner Mutter ab, welcher mit Bescheid der belangten Behörde vom selben Tag ebenfalls der Status einer Asylberechtigten zuerkannt worden war.
3. Mit Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 02.07.2018, Zl. XX HV 56/18z wurde der Beschwerdeführer wegen unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen nach § 136 Abs. 1 StGB rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen, im Uneinbringlichkeitsfall 30 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, davon 30 Tagessätze bedingt nachgesehen unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren, verurteilt.
4. Mit Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 14.09.2018, Zl. XX Hv 93/18s wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 12 dritter Fall, 269 Abs. 1 erster Fall StGB, des Verbrechens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 12 dritter Fall, 269 Abs. 1 zweiter Fall StGB, Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach §§ 12 dritter Fall, 89 StGB, Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Abs. 1 Z 1, 15 StGB, unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen nach § 136 Abs. 1 StGB, Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB sowie dauernder Sachentziehung nach § 135 Abs. 1 StGB rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von neun Monaten, davon sechs Monate bedingt nachgesehen unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren, verurteilt. Überdies wurde der bedingt nachgesehene Teil der Geldstrafe aus seiner vorangegangenen Verurteilung widerrufen und dem Beschwerdeführer Bewährungshilfe angeordnet.
5. Am 06.11.2018 wurde seitens der belangten Behörde in Bezug auf den Beschwerdeführer ein Verfahren hinsichtlich der Prüfung einer Aberkennung seines Status des Asylberechtigten eingeleitet.
6. Mit Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 19.12.2018, Zl. XX Hv 116/18m wurde der Beschwerdeführer wegen Unterschlagung nach § 134 Abs. 2 StGB, unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen nach § 136 Abs. 1 StGB, Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Abs. 1 Z 1, 15 StGB sowie Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten verurteilt. Überdies wurde die Probezeit des bedingt nachgesehenen Strafteils aus seiner vorangegangenen Verurteilung auf fünf Jahre verlängert.
7. Am 15.04.2019 wurde der zum damaligen Zeitpunkt noch minderjährige Beschwerdeführer während seiner Anhaltung in Strafhaft im Beisein seiner Mutter als seiner gesetzlichen Vertreterin niederschriftlich vor der belangten Behörde bezüglich der Prüfung einer Aberkennung seines Status des Asylberechtigten einvernommen. Hierbei gab er im Hinblick auf seine wiederholte Straffälligkeit im Wesentlichen an, aus jugendlichem Leichtsinn Fehler begangen zu haben. Er werde sich bessern und habe nunmehr, nachdem er nach seiner dritten Verurteilung eine längere Haftstrafe verbüßen müsse, aus seinen Fehlern gelernt. Nach seiner Haftentlassung wolle er sich mit Unterstützung seines Bewährungshelfers für eine Lehrstelle als Automechaniker bewerben. Seine Eltern und Geschwister würden in Österreich leben, im Irak bzw. in seiner Heimatstadt Bagdad habe er niemanden mehr. Im Falle seiner Rückkehr in den Irak müsse er entweder kämpfen oder sterben, zu dieser Annahme gelange er, da er „die Nachrichten“ verfolgen würde.
8. Am 21.05.2019 wurde die Mutter des Beschwerdeführers niederschriftlich als Zeugin vor der belangten Behörde einvernommen. Hierbei gab diese an, keinerlei Verwandte im Irak mehr zu haben, sondern lediglich in Schweden sowie in Deutschland. Ein Bruder sowie ihre Eltern seien bereits verstorben, der Aufenthaltsort ihres anderen Bruders sei ihr nicht bekannt. Ihr Ehemann (der Vater des Beschwerdeführers) habe ihr gesagt, dass er Verwandte in Samawa habe, mehr wisse sie jedoch nicht.
9. Am 21.05.2019 wurde der Vater des Beschwerdeführers, niederschriftlich als Zeuge vor der belangten Behörde einvernommen. Dieser gab hinsichtlich etwaiger verwandtschaftlicher Anknüpfungen im Irak an, dass noch ein Cousin von ihm namens „Thamer“ in Samawa im Gouvernement Al-Muthanna lebe. Der Cousin sei beim Militär, jedoch habe er keinen Kontakt zu ihm.
10. Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 03.06.2019 wurde der dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 22.09.2016 zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß „§ 7 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF“ aberkannt sowie gemäß „§ 7 Abs. 4 AsylG“ festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.). Gemäß „§ 8 Abs. 1 Z 2 AsylG“ wurde ihm zudem der Status des subsidiär Schutzberechtigter nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Zugleich wurde ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß „§ 57 AsylG“ nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß „§ 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF“ wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß „§ 52 Abs. 2 Z 3 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF“ erlassen (Spruchpunkt IV.) und es wurde gemäß „§ 52 Abs. 9 FPG“ festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß „§ 46 FPG“ in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß „§ 55 Abs. 1 bis 3 FPG“ wurde ihm eine Frist von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.). Überdies wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß „§ 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG“ ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).
11. Gegen den gegenständlich angefochtenen Bescheid wurde fristgerecht mit Schriftsatz vom 25.06.2019 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben und hierbei eine unrichtige rechtliche Beurteilung seitens der belangten Behörde sowie die Mangelhaftigkeit des Verfahrens moniert.
12. Mit Schriftsatz des Bundesverwaltungsgerichts vom 01.08.2019 ("Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme") wurde dem Beschwerdeführer das aktualisierte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak übermittelt und ihm die Möglichkeit eingeräumt, diesbezüglich innerhalb einer Frist von vierzehn Tagen schriftlich Stellung zu nehmen. Von dieser Möglichkeit machte der Beschwerdeführer keinen Gebrauch.
13. Mit Urteil des Bezirksgerichts Bludenz vom 16.10.2019, Zl. XX U 66/19s wurde der Beschwerdeführer wegen Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs. 1 StGB rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen, im Uneinbringlichkeitsfall 20 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt.
14. Mit Schriftsatz vom 28.10.2019 übermittelte der Beschwerdeführer dem Bundesverwaltungsgericht diverse Unterlagen des AMS sowie medizinische Befunde eines Krankenhauses über einen eintägigen Aufenthalt im Juli 2019.
15. Am 04.11.2019 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung in Anwesenheit des Beschwerdeführers, seiner Rechtsvertretung, dreier Zeugen (seine damalige Freundin, seine Mutter sowie sein Vater) sowie einer Vertreterin der belangten Behörde abgehalten und hierbei die gegenständliche Beschwerdesache erörtert.
16. Mit Schriftsatz des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.05.2020 ("Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme") wurde dem Beschwerdeführer das aktualisierte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak sowie eine Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Feldkirch gegen ihn vom 14.04.2020 zur Zl. 928-007 St 65/20a übermittelt und ihm die Möglichkeit eingeräumt, diesbezüglich bis 25.05.2020 schriftlich Stellung zu nehmen. Von dieser Möglichkeit machte der Beschwerdeführer keinen Gebrauch.
17. Mit Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 18.05.2020, Zl. XX HV 29/20w wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des Raubes nach §§ 142 Abs. 1 und Abs. 2 StGB, des Verbrechens der Erpressung nach §§ 15, 144 Abs. 1 StGB sowie des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 5 Z 2 StGB rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von achtzehn Monaten, davon zwölf Monate bedingt nachgesehen unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren, verurteilt. Überdies wurden die bedingte Strafnachsicht sowie die bedingte Entlassung aus der Strafhaft bezüglich seiner zweiten rechtskräftigen Verurteilung vom 14.09.2018 widerrufen und dem Beschwerdeführer für die Dauer der Probezeit Bewährungshilfe angeordnet.
18. Mit Schriftsatz des Bundesverwaltungsgerichtes vom 26.08.2020 ("Anberaumung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht") wurde der Beschwerdeführer zu einer für den 12.10.2020 anberaumten Verhandlung geladen und ihm hierbei das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak übermittelt. Zugleich wurde er davon in Kenntnis gesetzt, dass eine Stellungnahme zu den übermittelten Länderberichten schriftlich, spätestens jedoch im Rahmen der Verhandlung mündlich zu erfolgen habe und er aufgefordert, alle ihm bekannten Tatsachen und Beweismittel, insbesondere medizinische Unterlagen, spätestens eine Woche vor der mündlichen Verhandlung geltend zu machen. Mit Schriftsatz vom 08.09.2020 brachte der Beschwerdeführer diesbezüglich eine schriftliche Stellungnahme zu den Länderberichten sowie hinsichtlich seiner persönlichen Verhältnisse beim Bundesverwaltungsgericht ein.
19. Am 12.10.2020 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine weitere mündliche Beschwerdeverhandlung abgehalten, wobei der zum damaligen Zeitpunkt noch minderjährige Beschwerdeführer im Beisein seiner Mutter als seiner gesetzlichen Vertreterin sowie seiner Rechtsvertretung per Videokonferenz einvernommen und hierbei die gegenständliche Beschwerdesache erörtert wurde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der volljährige Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos, Staatsangehöriger des Irak, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zum schiitisch-moslemischen Glauben. Seine Identität steht fest.
Er ist gesund und erwerbsfähig.
Der Beschwerdeführer ist in Bagdad geboren und aufgewachsen. Er hat in seinem Herkunftsstaat sechs Jahre die Schule besucht und bei seiner Kernfamilie, bestehend aus seinen Eltern und drei Brüdern, im Stadtviertel Al-Za'franiya gelebt, wobei sein Vater für seinen Lebensunterhalt aufkam. Im Irak lebt noch ein Cousin des Vaters des Beschwerdeführers, welcher Angehöriger des Militärs ist.
Der Beschwerdeführer reiste gemeinsam mit seiner Kernfamilie nach Österreich ein, wo er sich seit (spätestens) 13.09.2015 aufhält. Mit Bescheid des BFA vom 22.09.2016, rechtskräftig mit 28.10.2016, wurde seiner Mutter der Status der Asylberechtigten zuerkannt und ihr Flüchtlingsstatus im Rahmen des geführten Familienverfahrens gemäß § 34 Abs. 2 AsylG mit Bescheiden jeweils vom 22.09.2016 auf den Beschwerdeführer, seinen Vater und seine drei Brüder (geb. 2000, 2004 sowie 2011) erstreckt. Für den Beschwerdeführer wurden im Rahmen seines Asylverfahrens keinerlei eigene Fluchtgründe geltend gemacht.
Die Eltern sowie die beiden jüngeren Brüder des Beschwerdeführers halten sich nach wie vor auf Grundlage ihrer Flüchtlingseigenschaft legal im Bundesgebiet auf. Dem älteren Bruder des Beschwerdeführers wurde der Status des Asylberechtigten zwischenzeitlich mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.09.2020, Zl. I413 2230949-1/10E rechtskräftig aberkannt (und auch der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt), zugleich jedoch festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung gegen ihn auf Dauer unzulässig ist und ihm ein Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" erteilt, sodass auch diesem nach wie vor ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet zukommt. Dieser Aberkennung lag zugrunde, dass der ältere Bruder des Beschwerdeführers Anfang des Jahres 2020 freiwillig für einen mehrwöchigen Aufenthalt nach Bagdad zurückgereist ist und sich dort auch einen Reisepass hat ausstellen lassen. Die Eltern und drei Brüder des Beschwerdeführers leben in einem gemeinsamen Haushalt, in welchem auch der Beschwerdeführer – abgesehen von den Zeiten seiner Inhaftierung – gelebt hat. Zum Entscheidungszeitpunkt befindet sich der Beschwerdeführer seit 15.03.2020 durchgehend in Strafhaft.
Ansonsten verfügt der Beschwerdeführer in Österreich über keine maßgeblichen privaten oder familiären Anknüpfungspunkte und er lebt auch in keiner Beziehung oder Lebensgemeinschaft.
Er hat in Österreich die Schule besucht, jedoch keinen Schulabschluss erworben und scheint lediglich für zwei Tage, von 10.09.2019 bis 11.09.2019, als geringfügig beschäftigter Arbeiter für die Caritas im Hauptverband österreichischer Sozialversicherungsträger auf, während er ansonsten nur Arbeitslosengeld bezog.
Er verfügt über grundlegende Deutsch-Kenntnisse, wenngleich er kein Zertifikat über eine abgelegte Sprachprüfung in Vorlage gebracht hat. Eine soziale, kulturelle oder berufliche Integration in Österreich besteht nicht.
1.2. Zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten:
Der Beschwerdeführer wurde in Österreich insgesamt fünfmal rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt:
1. Mit Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 02.07.2018, Zl. XX Hv 56/18z wurde der Beschwerdeführer wegen unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen nach § 136 Abs. 1 StGB rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen, im Uneinbringlichkeitsfall 30 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, davon 30 Tagessätze bedingt nachgesehen unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren, verurteilt. Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass er in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit einem Mittäter einen PKW ohne Einwilligung des Berechtigten in Gebrauch nahm, wobei der Fahrzeugschlüssel im Zündschloss steckte, und mit diesem herumfuhr. Als mildernd wurden im Rahmen der Strafbemessung die bisherige Unbescholtenheit sowie die Geständigkeit des Beschwerdeführers, als erschwerend hingegen die Tatbegehung in Gesellschaft eines Mittäters gewertet.
2. Mit Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 14.09.2018, Zl. XX Hv 93/18s wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 12 dritter Fall, 269 Abs. 1 erster Fall StGB, des Verbrechens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 12 dritter Fall, 269 Abs. 1 zweiter Fall StGB, Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach §§ 12 dritter Fall, 89 StGB, Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Abs. 1 Z 1, 15 StGB, unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen nach § 136 Abs. 1 StGB, Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB sowie dauernder Sachentziehung nach § 135 Abs. 1 StGB rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von neun Monaten, davon sechs Monate bedingt nachgesehen unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren, verurteilt. Überdies wurde der bedingt nachgesehene Teil der Geldstrafe aus seiner vorangegangenen Verurteilung widerrufen und dem Beschwerdeführer Bewährungshilfe angeordnet. Dieser Verurteilung lag u.a. zugrunde, dass der Beschwerdeführer als Beifahrer den Lenker eines PKW anfeuerte und darin bestärkte, Polizeibeamte durch Drohung mit Gewalt bzw. dem Tod an einer Amtshandlung zu hindern, indem dieser mit unverminderter Geschwindigkeit frontal auf das Fahrzeug einer Polizeistreife zufuhr, sodass diese eine Kollision nur durch ein Ausweichmanöver vermeiden konnte und in weiterer Folge mit einer Geschwindigkeit von etwa 70 km/h auf einen Polizeibeamten zufuhr, welcher sich im letzten Moment durch einen Sprung auf die Seite in Sicherheit bringen konnte. Überdies flüchtete der Lenker des PKW mit dem ihn in seinem Verhalten bestärkenden Beschwerdeführer als Beifahrer vor der Kriminalpolizei, indem er mit über 100 km/h im Ortsgebiet fuhr, sodass unter anderem eine Passantin beim Überqueren eines Fußgängerübergangs zur Seite springen musste. Weiters nahm der Beschwerdeführer, teils in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit einem Mittäter, anderen fremde bewegliche Sachen in einem 5.000 Euro im Zweifel nicht übersteigenden Wert durch Einbruch in Gebäude, in Transportmittel sowie durch Einsteigen in einen umschlossenen Raum weg, mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er den Rollladen eines Kiosk ausriss und dessen Scheibe einschlug, die Scheiben von insgesamt vier PKW einschlug und in ein Catering-Zelt einstieg. Darüber hinaus nahm er gemeinsam mit einem Mittäter zwei Fahrzeuge ohne Einwilligung der Berechtigten in Gebrauch, indem er die betreffenden PKW jeweils durch auf dem Fahrzeugdach zurückgelassene Schlüssel startete und mit diesen wegfuhr. Schlussendlich warf er noch mit einem Mittäter einen DPD-Scanner, welchen er in jenem Kiosk vorgefunden hatte, in welchen er sich durch Einbruch Zutritt verschafft hatte, in einen See und entzog dadurch eine fremde bewegliche Sache aus der Gewahrsame ihres Verfügungsberechtigten. Als mildernd wurden im Rahmen der Strafbemessung die Geständigkeit des Beschwerdeführers sowie der Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben war, als erschwerend hingegen seine einschlägige Vorstrafe, das Zusammentreffen mehrerer Vergehen mit einem Verbrechen, sein rascher Rückfall, die Tatbegehung in Gesellschaft eines Mittäters sowie die teilweise Tatbegehung während eines weiteren anhängigen Verfahrens gewertet.
3. Mit Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 19.12.2018, Zl. XX Hv 116/18m wurde der Beschwerdeführer wegen Unterschlagung nach § 134 Abs. 2 StGB, unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen nach § 136 Abs. 1 StGB, Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Abs. 1 Z 1, 15 StGB sowie Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten verurteilt. Überdies wurde die Probezeit des bedingt nachgesehenen Strafteils aus seiner vorangegangenen Verurteilung auf fünf Jahre verlängert. Dieser Verurteilung lag u.a. zugrunde, dass der Beschwerdeführer, teils in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit weiteren Mittätern, anderen fremde bewegliche Sachen in einem 5.000 Euro nicht übersteigenden Wert durch Einbruch in Gebäude sowie in Transportmittel mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wegnahm, indem er den Rollladen eines Kiosk ausriss und dessen Scheibe einschlug, die Seitenscheibe eines PKW einschlug sowie Zeitungsständer abriss und die sich daran befindlichen Kassen aufbrach. Darüber hinaus entwendete er Sachen aus mehreren unversperrten PKW und nahm mit weiteren Mittätern zwei PKW ohne Einwilligung der Berechtigten mit einem in der Mittelkonsole abgelegten bzw. im Zündschloss steckenden Schlüssel in Gebrauch und fuhr mit diesen herum. Als mildernd wurden im Rahmen der Strafbemessung die Geständigkeit des Beschwerdeführers sowie der Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben war, als erschwerend hingegen das Zusammentreffen mehrerer Vergehen, die Vorstrafenbelastung, der rasche Rückfall sowie die Begehung der Tat mit Mittätern gewertet.
4. Mit Urteil des Bezirksgerichts Bludenz vom 16.10.2019, Zl. XX U 66/19s wurde der Beschwerdeführer wegen Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs. 1 StGB rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen, im Uneinbringlichkeitsfall 20 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt. Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer während seiner Anhaltung in einer Justizanstalt einem Mithäftling einen Kopfstoß versetzte und diesen dadurch vorsätzlich am Körper zu verletzen versuchte. Als mildernd wurde im Rahmen der Strafbemessung gewertet, dass die Tat beim Versuch geblieben war und das Opfer provoziert hatte, erschwerende Strafbemessungsgründe wurden nicht ins Treffen geführt.
5. Mit Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 18.05.2020, Zl. XX Hv 29/20w wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des Raubes nach §§ 142 Abs. 1 und Abs. 2 StGB, des Verbrechens der Erpressung nach §§ 15, 144 Abs. 1 StGB sowie des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 5 Z 2 StGB rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von achtzehn Monaten, davon zwölf Monate bedingt nachgesehen unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren, verurteilt. Überdies wurden die bedingte Strafnachsicht sowie die bedingte Entlassung aus der Strafhaft bezüglich seiner zweiten rechtskräftigen Verurteilung vom 14.09.2018 widerrufen und dem Beschwerdeführer für die Dauer der Probezeit Bewährungshilfe angeordnet. Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit einem Mittäter eine Person aufforderte, ihm Geld zu geben, und, nachdem diese sich weigerte, sie an den Händen festhielt. Nachdem sich das Tatopfer wehrte, drückte der Mittäter dieses gegen eine Wand, während der Beschwerdeführer dem Opfer 20 Euro aus der Geldtasche entnahm. Eine andere Person nötigte der Beschwerdeführer durch Androhung einer Körperverletzung durch die sinngemäße Äußerung, sie solle glücklich sein, nicht zusammengeschlagen zu werden, und der Androhung eines Vermögensnachteils, nämlich der Nicht-Rückgabe eines Mobiltelefons, dass ihr der Beschwerdeführer kurz zuvor weggenommen hatte, zur Beischaffung und Übergabe eines Kopfhörers im Wert von ca. 300 Euro. Überdies verletzte der Beschwerdeführer eine andere Person in verabredeter Verbindung mit einem Mittäter durch zahlreiche Faustschläge, wodurch diese Prellungen im Gesicht und an der linken Hand erlitt, am Körper. Als mildernd wurden im Rahmen der Strafbemessung die Geständigkeit des Beschwerdeführers sowie der Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben war, als erschwerend hingegen die einschlägige Vorstrafenbelastung, das Zusammentreffen dreier Verbrechen sowie die teilweise Begehung der Taten mit Mittätern gewertet.
Der Beschwerdeführer wurde von einem inländischen Gericht wegen besonders schwerer Verbrechen rechtskräftig verurteilt, wobei er aufgrund seines wiederholten strafbaren Verhaltens mit steigender krimineller Energie, zuletzt kulminierend in seiner Verurteilung von Mai 2020 aufgrund dreier Verbrechenstatbestände (Raub, Erpressung, schweren Körperverletzung), eine Gefahr für die Gemeinschaft darstellt.
1.3. Zu einer Rückkehrgefährdung des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer wird im Falle seiner Rückkehr in den Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein. Weder wird ihm seine Lebensgrundlage gänzlich entzogen, noch besteht für ihn in seiner Heimatstadt Bagdad die reale Gefahr einer ernsthaften Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes.
1.4. Zu den Feststellungen zur Lage im Irak:
Zur aktuellen Lage im Irak werden folgende Feststellungen getroffen, soweit sie für den vorliegenden Beschwerdefall von Relevanz sind:
1.4.1. Allgemeine Sicherheitslage:
Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat (IS) (Reuters 9.12.2017; vgl. AI 26.2.2019). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem verbessert (FH 4.3.2020). Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete (USDOS 1.11.2019).
Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.1.2019).
In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.1.2019). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (FIS 6.2.2018). Die Zahl der Entführungen gegen Lösegeld zugunsten extremistischer Gruppen wie dem IS oder krimineller Banden ist zwischenzeitlich zurückgegangen (Diyaruna 5.2.2019), aber UNAMI berichtet, dass seit Beginn der Massenproteste vom 1.10.2019 fast täglich Demonstranten in Bagdad und im gesamten Süden des Irak verschwunden sind. Die Entführer werden als „Milizionäre“, „bewaffnete Organisationen“ und „Kriminelle“ bezeichnet (New Arab 12.12.2019).
Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 2.10.2019a). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungskräfte (PMF) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019b; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019b; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).
Als Reaktion auf die Ermordung des stellvertretenden Leiters der PMF-Kommission, Abu Mahdi Al-Muhandis, sowie des Kommandeurs der Quds-Einheiten des Korps der Islamischen Revolutionsgarden des Iran, Generalmajor Qassem Soleimani, durch einen Drohnenangriff der USA am 3.1.2020 (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020; Joel Wing 15.1.2020) wurden mehrere US-Stützpunkte durch den Iran und PMF-Milizen mit Raketen und Mörsern beschossen (Joel Wing 15.1.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019b): Regional Overview – Middle East 2 October 2019, https://www.acleddata.com/2019/10/02/regional-overview-middle-east-2-october-2019/, Zugriff 13.3.2020
- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020
- Al Jazeera (24.9.2019): Two rockets 'hit' near US embassy in Baghdad's Green Zone, https://www.aljazeera.com/news/2019/09/rockets-hit-embassy-baghdad-green-zone-190924052551906.html, Zugriff 13.3.2020
- Al Jazeera (25.8.2019): Iraq paramilitary: Israel behind drone attack near Syria border, https://www.aljazeera.com/news/2019/08/iraq-paramilitary-israel-drone-attack-syria-border-190825184711737.html, Zugriff 13.3.2020
- Al Monitor (23.2.2020): Iran struggles to regain control of post-Soleimani PMU, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/02/iraq-iran-soleimani-pmu.html, Zugriff 13.3.2020
- Diyaruna (5.2.2019): Baghdad sees steep decline in kidnappings, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/02/05/feature-02, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- FIS - Finnish Immigration Service (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in Iraq variable but improving, https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish_immigration_service_report_security_in_iraq_variable_but_improving/10061710, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (15.1.2020): Pro-Iran Hashd Continue Attacks Upon US Interests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/pro-iran-hashd-continue-attacks-upon-us.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020
- MEMO - Middle East Monitor (21.1.2020): Iraq’s PMF appoints new deputy head as successor to Al-Muhandis, https://www.middleeastmonitor.com/20200221-iraqs-pmf-appoints-new-deputy-head-as-successor-to-al-muhandis/, Zugriff 13.3.2020
- New Arab, The (12.12.2019): 'We are not safe': UN urges accountability over spate of kidnappings, assassinations in Iraq, https://www.alaraby.co.uk/english/news/2019/12/11/un-urges-accountability-over-spate-of-iraq-kidnappings-assassinations, Zugriff 13.3.2020
- Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9, Zugriff 13.3.2020
- Reuters (30.9.2019): Iraqi PM says Israel is responsible for attacks on Iraqi militias: Al Jazeera, https://www.reuters.com/article/us-iraq-security/iraqi-pm-says-israel-is-responsible-for-attacks-on-iraqi-militias-al-jazeera-idUSKBN1WF1E5, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020
1.4.2. Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen:
Die Zahl der durch Gewalt ums Leben gekommenen ist zwischen 2017 und 2019 erheblich gesunken. Waren 2015 noch etwa 17.500 zivile Gewaltopfer im Irak zu beklagen, so ist diese Zahl im Jahr 2019 auf rund 2.300 Gewaltopfer gesunken. Im Jahr 2020 gab es nach vorläufigen Schätzungen bis einschließlich September 704 zivile Todesopfer im Irak (Statista 03.11.2020).
Vom Irak-Experten Joel Wing wurden im Lauf des Monats November 2019 für den Gesamtirak 55 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 47 Toten und 98 Verletzten verzeichnet, wobei vier Vorfälle, Raketenbeschuss einer Militärbasis und der „Grünen Zone“ in Bagdad (Anm.: ein geschütztes Areal im Zentrum Bagdads, das irakische Regierungsgebäude und internationale Auslandvertretungen beherbergt), pro-iranischen Volksmobilisierungskräften (PMF) zugeschrieben werden (Joel Wing 2.12.2019). Im Dezember 2019 waren es 120 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 134 Toten und 133 Verletzten, wobei sechs dieser Vorfälle pro-iranischen Gruppen zugeschrieben werden, die gegen US-Militärlager oder gegen die Grüne Zone gerichtet waren (Joel Wing 6.1.2020). Im Jänner 2020 wurden 91 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 53 Toten und 139 Verletzten verzeichnet, wobei zwölf Vorfälle, Raketen- und Mörserbeschuss, pro-iranischen PMF, bzw. dem Iran zugeschrieben werden, während der Islamische Staat (IS) für die übrigen 79 verantwortlich gemacht wird (Joel Wing 3.2.2020). Im Februar 2020 waren es 85 Vorfälle, von denen drei auf pro-iranischen PMF zurückzuführen sind (Joel Wing 5.3.2020).
Der Rückgang an Vorfällen mit IS-Bezug Ende 2019 wird mit den Anti-Regierungsprotesten in Zusammenhang gesehen, da der IS bereits in den vorangegangenen Jahren seine Angriffe während solcher Proteste reduziert hat. Schließlich verstärkte der IS seine Angriffe wieder (Joel Wing 3.2.2020).
Quellen:
- ACCORD (26.2.2020): Irak, 4. Quartal 2018: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2025321/2018q4Iraq_de.pdf, Zugriff 13.3.2020
- IBC - Iraq Bodycount (2.2020): Monthly civilian deaths from violence, 2003 onwards, https://www.iraqbodycount.org/database/, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020
- Statista Research Department - deutsches Online-Portal für Statistik (21.09.2020): Anzahl der dokumentierten zivilen Todesopfer im Irakkrieg und in den folgenden Jahren von 2003 bis 2020*, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/163882/umfrage/dokumentierte-zivile-todesopfer-im-irakkrieg-seit-2003/#professional, Zugriff 3.11.2020
1.4.3. Sicherheitslage Bagdad:
Das Gouvernement Bagdad ist das kleinste und am dichtesten bevölkerte Gouvernement des Irak mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit des Gouvernements wird sowohl vom „Baghdad Operations Command“ kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst bezieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden (OFPRA 10.11.2017).
Entscheidend für das Verständnis der Sicherheitslage Bagdads und der umliegenden Gebiete sind sechs mehrheitlich sunnitische Regionen (Latifiya, Taji, al-Mushahada, al-Tarmia, Arab Jibor und al-Mada'in), die die Hauptstadt von Norden, Westen und Südwesten umgeben und den sogenannten „Bagdader Gürtel“ (Baghdad Belts) bilden (Al Monitor 11.3.2016). Der Bagdader Gürtel besteht aus Wohn-, Agrar- und Industriegebieten sowie einem Netz aus Straßen, Wasserwegen und anderen Verbindungslinien, die in einem Umkreis von etwa 30 bis 50 km um die Stadt Bagdad liegen und die Hauptstadt mit dem Rest des Irak verbinden. Der Bagdader Gürtel umfasst, beginnend im Norden und im Uhrzeigersinn die Städte: Taji, Tarmiyah, Baqubah, Buhriz, Besmaja und Nahrwan, Salman Pak, Mahmudiyah, Sadr al-Yusufiyah, Fallujah und Karmah und wird in die Quadranten Nordosten, Südosten, Südwesten und Nordwesten unterteilt (ISW 2008).
Fast alle Aktivitäten des Islamischen Staate (IS) im Gouvernement Bagdad betreffen die Peripherie der Hauptstadt, den „Bagdader Gürtel“ im äußeren Norden, Süden und Westen (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 16.10.2019; Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 5.3.2020), doch der IS versucht seine Aktivitäten in Bagdad wieder zu erhöhen (Joel Wing 5.8.2019). Die Bestrebungen des IS, wieder in der Hauptstadt Fuß zu fassen, sind Ende 2019 im Zuge der Massenproteste ins Stocken geraten, scheinen aber mittlerweile wieder aufgenommen zu werden (Joel Wing 3.2.2020; vgl. Joel Wing 5.3.2020).
Dabei wurden am 7.und 16.9.2019 jeweils fünf Vorfälle mit „Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen“ (IEDs) in der Stadt Bagdad selbst verzeichnet (Joel Wing 16.10.2019). Seit November 2019 setzt der IS Motorrad-Bomben in Bagdad ein. Zuletzt detonierten am 8. und am 22.2.2020 jeweils fünf IEDs in der Stadt Bagdad (Joel Wing 5.3.2020).
Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Bagdad 60 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 42 Toten und 61 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 2.12.2019; vgl. Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 3.2.2020), im Februar 2020 waren es 25 Vorfälle mit zehn Toten und 35 Verletzten (Joel Wing 5.3.2020). Die meisten dieser sicherheitsrelevanten Vorfälle werden dem IS zugeordnet, jedoch wurden im Dezember 2019 drei dieser Vorfälle pro-iranischen Milizen der Volksmobilisierungskräfte (PMF) zugeschrieben, ebenso wie neun Vorfälle im Jänner 2020 und ein weiterer im Februar (Joel Wing 6.1.2020; vgl. Joel Wing 5.3.2020)
Die Ermordung des iranischen Generals Suleimani und des stellvertretenden Kommandeurs der PMF, Abu Muhandis, durch die USA führte unter anderem in der Stadt Bagdad zu einer Reihe von Vergeltungsschlägen durch pro-iranische PMF-Einheiten. Es wurden neun Raketen und Mörserangriffe verzeichnet, die beispielsweise gegen die Grüne Zone und die darin befindliche US-Botschaft sowie das Militärlager Camp Taji gerichtet waren (Joel Wing 3.2.2020).
Seit 1.10.2019 kommt es in mehreren Gouvernements, darunter auch in Bagdad, zu teils gewalttätigen Demonstrationen.
Quellen:
- Al Monitor (11.3.2016): The rise of Islamic State sleeper cells in Baghdad, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2016/03/iraq-baghdad-belts-harbor-islamic-state.html, Zugriff 13.3.2020
- ISW - Institute for the Study of War (2008): Baghdad Belts, http://www.understandingwar.org/region/baghdad-belts, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.3.2020): Violence Largely Unchanged In Iraq In February 2020, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/03/violence-largely-unchanged-in-iraq-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (2.12.2019): Islamic State Waits Out The Protests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/12/islamic-state-waits-out-protests-in-iraq.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.8.2019): Islamic State’s Offensive Could Be Winding Down, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/08/islamic-states-offensive-could-be.html, Zugriff 13.3.2020
- OFPRA - Office Français de Protection des Réfugiés et Apatrides (10.11.2017): The Security situation in Baghdad Governorate, http://www.ofpra.gouv.fr/sites/default/files/atoms/files/39_irq_security_situation_in_baghdad.pdf, Zugriff 13.3.2020
Im Einklang mit der allgemeinen Verbesserung der Sicherheitslage im Jahr 2018 und 2019 wird auch über Bagdad berichtet, dass sich die Sicherheitslage dort weitgehend stabilisiert hat. Über das Jahr 2018 hinweg blieben Überreste des IS in den Vororten von Bagdad („Bagdad-Gürtel“) aktiv und starteten gelegentliche USBV-Angriffe auf zivile Ziele. Es wird jedoch berichtet, dass die Fähigkeit des IS, Großanschläge mit hohen Opferzahlen durchzuführen, signifikant zurückgegangen ist. Anfang 2019 wurde berichtet, dass der IS sich weitgehend zurückgezogen hat, während die ISF ihre Kontrolle über den „Bagdad-Gürtel“ verstärkte, wodurch die Sicherheitsvorfälle noch weiter abnahmen. Jedoch soll der IS im April 2019 versucht haben, seine Stützzone in den südwestlichen Gegenden des Bagdad-Gürtels auszudehnen. Während es in den vergangenen Jahren Berichte über fast tägliche Entführungen aus politischen Gründen oder gegen Lösegeld gab, wurde für das Jahr 2018 und Anfang 2019 diesbezüglich von einem Rückgang berichtet. In Bagdad ereignen sich nach wie vor Fälle gezielter Tötungen hochrangiger Persönlichkeiten.
In Bezug auf die Lage in der Stadt Bagdad vertritt UNHCR die Ansicht, dass die einzigen Personengruppen, hinsichtlich derer keine externe Unterstützung vorauszusetzen ist, arabisch-schiitische und arabisch-sunnitische alleinstehende, körperlich leistungsfähige Männer und kinderlose Ehepaare im arbeitsfähigen Alter ohne identifizierte besondere Vulnerabilitäten sind. Abhängig von den jeweiligen Umständen sind solche Personen möglicherweise in der Lage, in der Stadt Bagdad ohne Unterstützung durch ihre Familie und/oder ihren Stamm zu bestehen.
Quellen:
- UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen: https://www.unhcr.org/dach/wp-content/uploads/sites/27/2020/01/Schutzerw%C3%A4gungen-Irak-2019-korrigiert.pdf, S 23f sowie S 141, Zugriff 16.6.2020
Im Jahr 2019 ereigneten sich im gesamten Gouvernement Bagdad insgesamt noch 42 Vorfälle in Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten, welche zu 37 zivilen Todesopfern und 13 Verletzten geführt hatten.
Von Jänner bis Juli 2020 ereigneten sich im gesamten Gouvernement Bagdad nur noch vier Vorfälle in Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten, welche zu drei zivilen Todesopfern und acht Verletzten geführt hatten.
Per 15.06.2020 wurde die Rückkehr von mittlerweile bereits 90.228 Binnenflüchtlingen nach Bagdad dokumentiert. Berichten des UNHCR zur Folge benötigen selbst Personen aus vormaligen vom IS besetzten Gebieten, speziell sunnitische Araber, keinen Bürgen, um nach Bagdad einreisen zu können. Um sich in Bagdad dauerhaft niederlassen zu können, würden derartige Personen jedoch zwei Bürgen aus der Nachbarschaft, in welcher sie beabsichtigen sich niederzulassen, als auch einen Brief des „Mukhtar“ (Anm.: ein örtlicher Beamter der untersten lokalen Verwaltungsebene im Irak) vorweisen.
Quellen:
- EASO Country of Origin Information Report: Iraq, Security Situation, October 2020, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/10_2020_EASO_COI_Report_Iraq_Security_situation_0.pdf, S 80f sowie S 83, Zugriff 5.11.2020
Im Gouvernement Bagdad ereignen sich nach wie vor sicherheitsrelevante Vorfälle, jedoch nicht flächendeckend und mit derartiger Regelmäßigkeit, dass automatisch Gründe vorliegen würden um die Annahme zu rechtfertigen, dass eine nach Bagdad zurückkehrende Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist.
Quellen:
- EASO Country Guidance: Iraq, Guidance note and common analysis, June 2019, https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/Country_Guidance_Iraq_2019.pdf, S 29, Zugriff 16.6.2020
1.4.4. Protestbewegung:
Seit 2014 gibt es eine Protestbewegung, in der zumeist junge Leute in Scharen auf die Straße strömen, um bessere Lebensbedingungen, Arbeitsplätze, Reformen, einen effektiven Kampf gegen Korruption und die Abkehr vom religiösen Fundamentalismus zu fordern (WZ 9.10.2018).
So kam es bereits 2018 im Südirak zu weitreichenden Protesten in Basra, nahe den Ölfeldern West Qurna und Zubayr. Diese eskalierten, nachdem die Polizei in West Qurna auf Demonstranten schoss (ICG 31.7.2018). Ebenso kam es im Jahr 2019 zu Protesten, wobei pro-iranische Volksmobilisierungskräfte (PMF) beschuldigt wurden, sich an der Unterdrückung der Proteste beteiligt und Demonstranten sowie Menschenrechtsaktivisten angegriffen zu haben (Diyaruna 7.8.2019; vgl. Al Jazeera 25.10.2019).
Seit dem 1.10.2019 kommt es in mehreren Gouvernements (Bagdad, Basra, Maysan, Qadisiya, Dhi Qar, Wasit, Muthanna, Babil, Kerbala, Najaf, Diyala, Kirkuk und Salah ad-Din) zu teils gewalttätigen Demonstrationen (ISW 22.10.2019, vgl. Joel Wing 3.10.2019). Die Proteste richten sich gegen Korruption, die hohe Arbeitslosigkeit und die schlechte Strom- und Wasserversorgung (Al Mada 2.10.2019; vgl. BBC 4.10.2019), aber auch gegen den iranischen Einfluss auf den Irak (ISW 22.10.2019). Eine weitere Forderung der Demonstranten ist die Abschaffung des ethnisch-konfessionellen Systems (muhasasa) zur Verteilung der Ämter des Präsidenten, des Premierministers und des Parlamentspräsidenten (AW 4.12.2019).
Im Zusammenhang mit diesen Demonstrationen wurden mehrere Regierungsgebäude sowie Sitze von Milizen und Parteien in Brand gesetzt (Al Mada 2.10.2019). Im Zuge der Proteste kam es in mehreren Gouvernements von Seiten anti-iranischer Demonstranten zu Brandanschlägen auf Stützpunkte pro-iranischer PMF-Fraktionen und Parteien, wie der Asa‘ib Ahl al-Haq, der Badr-Organisation, der Harakat al-Abdal, Da‘wa und Hikma (Carnegie 14.11.2019; vgl. ICG 10.10.2019), sowie zu Angriffen auf die iranischen Konsulate in Kerbala (RFE/RL 4.11.2019) und Najaf (RFE/RL 1.12.2019).
Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) gingen unter anderem mit scharfer Munition gegen Demonstranten vor. Außerdem gibt es Berichte über nicht identifizierte Scharfschützen, die sowohl Demonstranten als auch Sicherheitskräfte ins Visier genommen haben sollen (ISW 22.10.2019). Premierminister Mahdi kündigte eine Aufklärung der gezielten Tötungen an (Rudaw 13.10.2019). Zeitweilig riefen die Behörden im Oktober und November 2019 Ausgangssperren aus (AI 18.2.2020; vgl. Al Jazeera 5.10.2019; ISW 22.10.2019; Rudaw 13.10.2019) und implementierten zeitweilige Internetblockaden (UNAMI 10.2019; vgl. AI 18.2.2020; USDOS 11.3.2020).
Die irakische Menschenrechtskommission berichtete Ende Dezember 2019, dass seit Beginn der Proteste am 1.10.2019 mindestens 490 Demonstranten getötet wurden (AAA 28.12.2019; vgl. RFE/RL 6.2.2020), darunter 33 Aktivisten, die gezielt getötet wurden. Mehr als 22.000 Menschen wurden verletzt. 56 Demonstranten gelten nach berichteten Entführungen als vermisst, während zwölf weitere wieder freigelassen wurden (AAA 28.12.2019). Mitte Jänner 2020 berichtet Amnesty International von 600 Toten Demonstranten seit Beginn der Proteste (AI 23.1.2020).
Quellen:
- AAA - Asharq Al-Awsat (28.12.2019): Iraq: Human Rights Commission Says 490 Protesters Killed Since October, https://aawsat.com/english/home/article/2056146/iraq-human-rights-commission-says-490-protesters-killed-october, Zugriff 13.3.2020
- AI - Amnesty International (18.2.2020): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2019; Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2025831.html, Zugriff 13.3.2020
- AI - Amnesty International (23.1.2020): Iraq: Protest death toll surges as security forces resume brutal repression, https://www.ecoi.net/de/dokument/2023297.html, Zugriff 13.3.2020
- Al Jazeera (25.10.2019): Dozens killed as fierce anti-government protests sweep Iraq, https://www.aljazeera.com/news/2019/10/dozens-killed-fierce-anti-government-demonstrations-sweep-iraq-191025171801458.html, Zugriff 13.3.2020
- Al Jazeera (5.10.2019): Iraq PM lifts Baghdad curfew, https://www.aljazeera.com/news/2019/10/iraq-pm-lifts-baghdad-curfew-191005070529047.html, Zugriff 13.3.2020
- Al Mada (2.10.2019): ????????????????????????????? („Proteste werden zu Kriegsgebieten“), https://almadapaper.net/view.php?cat=221822, Zugriff 13.3.2020
- AW - Arab Weekly, The (4.12.2019): Confessional politics ensured Iran’s colonisation of Iraq, https://thearabweekly.com/confessional-politics-ensured-irans-colonisation-iraq, Zugriff 13.3.2020
- BBC News (4.10.2019): Iraq protests: 'No magic solution' to problems, PM says, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-49929280, Zugriff 13.3.2020
- Carnegie - Carnegie Middle East Center (14.11.2019): How Deep Is Anti-Iranian Sentiment in Iraq?, https://carnegie-mec.org/diwan/80313, Zugriff 13.3.2020
- Diyaruna (7.8.2019): Iran-backed militias suppress Iraqi protests, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/08/07/feature-01, Zugriff 13.3.2020
- ICG - International Crisis Group (10.10.2019): Widespread Protests Point to Iraq’s Cycle of Social Crisis, https://www.ecoi.net/de/dokument/2018263.html, Zugriff 13.3.2020
- ICG - International Crisis Group (31.7.2018): How to cope with Iraq’s summer brushfire, https://www.crisisgroup.org/middle-east-north-africa/gulf-and-arabian-peninsula/iraq/b61-how-cope-iraqs-summer-brushfire, Zugriff 13.3.2020
- ISW - Institute for the Study of War (22.10.2019): Iraq's Sustained Protests and Political Crisis, https://iswresearch.blogspot.com/2019/10/iraqs-sustained-protests-and-political.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (3.10.2019): Iraq’s October Protests Escalate And Grow, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/iraqs-october-protests-escalate-and-grow.html, Zugriff 13.3.2020
- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (6.2.2020): Iraqi Protesters Clash With Sadr Backers In Deadly Najaf Standoff, https://www.ecoi.net/en/document/2024704.html, Zugriff 13.3.2020
- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (1.12.2019): Iraqi Protesters Torch Iranian Consulate For Second Time Within Week, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022938.html, Zugriff 13.3.2020
- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (4.11.2019): Security Forces Shoot At Baghdad Protesters, Several Killed In Karbala, https://www.ecoi.net/de/dokument/2019395.html, Zugriff 13.3.2020
- Rudaw (13.10.2019): Iraq launches probe into killing of protesters, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/13102019, Zugriff 13.3.2020
- UNAMI - UN Assistance Mission for Iraq (10.2019): Demonstrations in Iraq; 1-9 October 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019889/UNAMI_Special_Report_on_Demonstrations_in_Iraq_22_October_2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
- WZ - Wiener Zeitung (9.10.2018): Schlüsselland Irak, https://www.wienerzeitung.at/_em_cms/globals/print.php?em_ssc=LCwsLA==&em_cnt=994916&em_loc=69&em_ref=/nachrichten/welt/weltpolitik/&em_ivw=RedCont/Politik/Ausland&em_absatz_bold=0, Zugriff 13.3.2020
1.4.5. Verwestlichung, westlicher bzw. nicht-konservativer Lebensstil
Sowohl Männer als auch Frauen stehen unter Druck, sich an konservative Normen zu halten, was das persönliche Erscheinungsbild betrifft (FH 4.3.2020). Vor allem im schiitisch geprägten Südirak werden auch nicht gesetzlich vorgeschriebene islamische Regeln, z.B. Kopftuchzwang an Schulen und Universitäten, stärker durchgesetzt. Frauen werden unter Druck gesetzt, ihre Freizügigkeit und Teilnahme am öffentlichen Leben einzuschränken (AA 12.1.2019). Einige Muslime bedrohen weiterhin Frauen und Mädchen, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit, wenn sich diese weigern, den Hijab zu tragen, bzw. wenn sie sich in westlicher Kleidung kleiden oder sich nicht an strenge Interpretationen islamischer Normen für das Verhalten in der Öffentlichkeit halten (USDOS 21.6.2019).
Auch Frauen, die in politischen und sozialen Bereichen tätig sind, darunter Frauenrechtsaktivistinnen, Wahlkandidatinnen, Geschäftsfrauen, Journalistinnen sowie Models und Teilnehmerinnen an Schönheitswettbewerben, sind Einschüchterungen, Belästigungen und Drohungen ausgesetzt. Dadurch sind sie oft gezwungen, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen oder aus dem Land zu fliehen (UNHCR 5.2019). Im Jahr 2018 gab es einige Morden an Frauen, die in der Öffentlichkeit standen und als gegen soziale Gebräuche und traditionelle Geschlechterrollen verstoßend wahrgenommen wurden, darunter Bürgerechtlerinnen und Personen, die mit der Beauty- und Modebranche in Verbindung standen (FH 4.3.2020; vgl. UNHCR 5.2019).
Mädchen und Frauen haben immer noch einen schlechteren Zugang zu Bildung. Je höher die Bildungsstufe ist, desto weniger Mädchen sind vertreten. Häufig lehnen die Familien eine weiterführende Schule für die Mädchen ab oder ziehen eine „frühe Ehe" für sie vor (GIZ 1.2020b).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020b): Gesellschaft, https://www.liportal.de/irak/gesellschaft/, Zugriff 13.3.2020
- UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (5.2019): International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007789/5cc9b20c4.pdf, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html, Zugriff 13.3.2020
1.4.6. Allgemeine Menschenrechtslage:
Die Verfassung vom 15.10.2005 garantiert demokratische Grundrechte wie Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit, Schutz von Minderheiten und Gleichberechtigung. Der Menschenrechtskatalog umfasst auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte wie das Recht auf Arbeit und das Recht auf Bildung. Der Irak hat wichtige internationale Abkommen zum Schutz der Menschenrechte ratifiziert. Es kommt jedoch weiterhin zu Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und andere Sicherheitskräfte. Der in der Verfassung festgeschriebene Aufbau von Menschenrechtsinstitutionen kommt weiterhin nur schleppend voran. Die unabhängige Menschenrechtskommission konnte sich bisher nicht als geschlossener und durchsetzungsstarker Akteur etablieren. Internationale Beobachter kritisieren, dass Mitglieder der Kommission sich kaum mit der Verletzung individueller Menschenrechte beschäftigen, sondern insbesondere mit den Partikularinteressen ihrer jeweils eigenen ethnisch-konfessionellen Gruppe. Ähnliches gilt für den Menschenrechtsausschuss im irakischen Parlament. Das Menschenrechtsministerium wurde 2015 abgeschafft (AA 12.1.2019).
Zu den wesentlichsten Menschenrechtsfragen im Irak zählen unter anderem: Anschuldigungen bezüglich rechtswidriger Tötungen durch Mitglieder der irakisc