TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/25 W229 2177143-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.11.2020
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Entscheidungsdatum

25.11.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W229 2177143-1/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Elisabeth WUTZL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.10.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 08.06.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 09.06.2015 gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, er stamme aus XXXX , Urzugan, Afghanistan. Er sei Hazara sowie Schiite und in Afghanistan nie zur Schule gegangen. Seine Kernfamilie bestehe aus seiner Mutter sowie aus je zwei jüngeren Schwestern und Brüdern, sein Vater sei bereits verstorben. Seine finanzielle Lage und die seiner Familie in Afghanistan beschreibe er als schlecht. Er habe Afghanistan bereits vor zwei Jahren verlassen und habe in der Zwischenzeit in Teheran im Iran gelebt.

Befragt zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer an, dass es in Afghanistan keine Arbeitsmöglichkeiten gebe und Krieg herrsche. Im Iran habe er nicht bleiben können, da ihm eine Abschiebung nach Afghanistan gedroht habe.

3. Mit Beschluss des Bezirksgerichts XXXX vom 11.12.2015 wurde dem Kinder- und Jugendhilfeträger Land XXXX , vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft XXXX -Land, die Obsorge für den unbegleiteten, minderjährigen Beschwerdeführer übertragen.

4. Mittels Vereinbarung vom 20.04.2016 wurde die Obsorge für den Beschwerdeführer der Diakonie XXXX übertragen.

5. Im weiteren Verfahrensverlauf gab der Beschwerdeführer in seiner niederschriftlichen Einvernahme im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) am 13.09.2017 zusammengefasst an, er sei am XXXX im Dorf XXXX in der Provinz Uruzgan geboren und habe dort bis zu seinem XXXX . Lebensjahr gelebt, als er alleine in den Iran gezogen sei. In Afghanistan habe er als Hirte gearbeitet, im Iran sei er illegal auf Baustellen tätig gewesen. In Afghanistan leben noch seine Mutter, seine je zwei Brüder und Schwestern im Heimatdorf sowie ein Cousin des Beschwerdeführers in der Provinz Herat. Zu seiner Kernfamilie bestehe einmal im Monat telefonischer Kontakt.

Als Gründe für das Verlassen Afghanistans gab der Beschwerdeführer an, dass in Uruzgan hauptsächlich Paschtunen, in seinem Heimatdorf jedoch Hazara gelebt haben. Es habe keine Polizei gegeben, weshalb sich die Dorfbevölkerung für den Fall, dass die Taliban ins Dorf kommen, bewaffnet habe. Die Dorfältesten haben beschlossen, mit ein paar Kämpfern gegen die Taliban in den Krieg zu ziehen, die Mutter des Beschwerdeführers habe gehört, dass er Teil dieser Gruppe sein solle. Auf Anraten seiner Mutter habe der Beschwerdeführer Afghanistan verlassen.

Der Beschwerdeführer legte ein Konvolut an Integrationsunterlagen vor.

6. Mit Schriftsatz seiner gesetzlichen Vertretung vom 25.09.2017 bezog der Beschwerdeführer Stellung zum aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan.

7. Mit Bescheid vom 09.10.2017 wies das BFA den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt; gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wurde eine Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise festgelegt (Spruchpunkt IV.).

8. Mit Verfahrensanordnung vom 13.10.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig der Verein Menschenrechte Österreich als Rechtsberatung für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

9. Der Beschwerdeführer erhob mit Schriftsatz seiner gesetzlichen Vertretung vom 11.11.2017 gegen den oben genannten Bescheid fristgerecht Beschwerde, welche an das Bundesverwaltungsgericht weitergeleitet wurde (eingelangt am 20.11.2017).

10. Der Beschwerdeführer teilte dem BFA mit, dass er seit Jänner 2018 in einem Lehrverhältnis sei und zum Beschriftungsdesigner bzw. Werbetechniker ausgebildet werde, und übermittelte den diesbezüglichen Lehrvertrag. Das BFA leitete die Dokumente an das Bundesverwaltungsgericht weiter (eingelangt am 16.01.2020).

11. Das Diakoniewerk XXXX informierte das Bundesverwaltungsgericht mittels Schriftsatz vom 06.07.2020 von der Auflösung der Vollmacht, die mit dem Erreichen der Volljährigkeit des Beschwerdeführers automatisch in Kraft trat.

12. Mittels Vorlage der Vollmacht vom 07.07.2020 teilte der Verein Menschenrechte Österreich dem Bundesverwaltungsgericht mit, dass er den Beschwerdeführer im weiteren Verfahren rechtlich vertreten werde.

13. Am 08.07.2020 beantragte der Beschwerdeführer die Ladung einer Zeugin.

14. Der Beschwerdeführer übermittelte dem Bundesverwaltungsgericht ein weiteres Konvolut an Integrationsunterlagen (eingelangt am 09.07.2020).

15. Am 21.07.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer, sein Rechtsvertreter sowie eine Zeugin teilnahmen und der ein Dolmetscher für die Sprache Dari beigezogen wurde. Ein Vertreter des BFA nahm an der Verhandlung nicht teil.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer, XXXX , geboren am XXXX , ist afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekennt sich zum schiitischen Islam. Seine Muttersprache ist Dari, er spricht auch Farsi und ein wenig Deutsch. Er wurde im Dorf XXXX in der Provinz Uruzgan geboren. Der Beschwerdeführer besuchte in Afghanistan nie eine Schule und hat keine Berufsausbildung. Er arbeitete als Schäfer bzw. Hirte in Afghanistan, im Iran als Bauarbeiter. Er ist ledig und hat keine Kinder.

Der Beschwerdeführer ist jung, gesund und arbeitsfähig.

Der Vater des Beschwerdeführers ist bereits vor neun Jahren bei einem Autounfall verstorben. Im Heimatdorf des Beschwerdeführers leben weiterhin seine Mutter, seine zwei jüngeren Schwestern und ein Bruder, sein zweiter Bruder lebt im Iran. Die Mutter arbeitet in der Landwirtschaft, die Geschwister des Beschwerdeführers helfen ihr dabei. Zur Kernfamilie besteht regelmäßiger Kontakt, ungefähr einmal im Monat. Ein Cousin des Beschwerdeführers lebt mit seiner Familie in Herat, er arbeitet jedoch im Iran auf Baustellen. Es besteht Kontakt über Facebook, ungefähr ein bis zwei Mal pro Jahr.

1.2. Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der Beschwerdeführer hält sich seit Juni 2015 in Österreich auf.

Der Beschwerdeführer besuchte mehrere Deutsch-, einen Basisbildungs- und einen Erste-Hilfe-Grundkurs. Er absolvierte eine Deutschprüfung des Sprachniveaus A2 erfolgreich. Mit ihm sind einfache Unterhaltungen auf Deutsch möglich.

Seit Jänner 2018 befindet sich der Beschwerdeführer in einem Lehrverhältnis, er wird zum Beschriftungsdesigner und Werbetechniker ausgebildet. Die Lehre läuft bis zum 07.01.2021 und sie wurde dem BFA bekanntgegeben. Der Beschwerdeführer besucht daneben die Berufsschule Linz.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich lose soziale Kontakte, die in der mündlichen Verhandlung anwesende Zeugin hat eine Patenschaft im Rahmen der Arbeit des Diakoniewerks XXXX für den Beschwerdeführer übernommen.

In Österreich hat der Beschwerdeführer keine Familienangehörigen und ist strafrechtlich unbescholten.

1.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer stellte am 08.06.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Seinen Antrag auf internationalen Schutz begründet der Beschwerdeführer im Wesentlichen damit, dass in Afghanistan Krieg herrsche, es in seinem Heimatdorf nicht sicher gewesen sei und er zur Teilnahme an Kampfhandlungen mit Dorfbewohnern gegen die Taliban gezwungen bzw. zur afghanischen Nationalarmee einberufen worden sei.

Das erkennende Gericht hält dazu Folgendes fest:

Der Beschwerdeführer persönlich ist in Afghanistan keiner Verfolgung und damit einhergehenden physischen und/oder psychischen Gewalt aufgrund der erzwungenen Teilnahme an Kampfhandlungen mit Dorfbewohnern gegen die Taliban bzw. einer Einberufung in die afghanische Nationalarmee ausgesetzt.

Insgesamt ist der Beschwerdeführer nicht ohne Hinzutreten weiterer wesentlicher individueller Merkmale mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit durch staatliche Organe oder (von staatlichen Organen geduldet) durch Private, sei es vor dem Hintergrund seiner ethnischen Zugehörigkeit (Hazara), seiner Religion (schiitischer Islam), Nationalität (Afghanistan), Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung im Falle einer Rückkehr bedroht.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 13.11.2019 in der Fassung vom 21.07.2020 - LIB 21.07.2020, S. 27).

Die afghanischen Regierungskräfte und die Amerikaner können die Taliban, die über rund 60.000 Kämpfer verfügen, nicht besiegen. Auch die Islamisten sind nicht stark genug, um die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. In Afghanistan herrscht fast zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des Taliban-Regimes durch die USA eine Pattsituation. Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet. Die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses. Auch verzögert sich die Umsetzung des Abkommens, der Abzug der ausländischen Truppenangehörigen ist abhängig davon, ob die Taliban ihren Teil des Abkommens einhalten. Die Taliban haben seit dem unterzeichneten Abkommen im Februar mehr als 4.500 Angriffe verübt. Die von dieser Gewalt am stärksten betroffenen Provinzen sind auch jene Provinzen, die am stärksten von COVID-19-Fällen betroffen sind (LIB 21.07.2020, S. 30).

1.4.1. Aktueller Stand der COVID-19 Krise in Afghanistan:

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.

Das genaue Ausmaß der COVID-19 Krise in Afghanistan ist unbekannt. Berichten zufolge haben sich mehr als 35.000 Menschen mit COVID-19 angesteckt, mehr als 1.280 sind daran gestorben. Allerdings werden bestätigte Fälle und Todesfälle aufgrund der begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens, der begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters insgesamt zu wenig gemeldet. Kabul ist hinsichtlich der bestätigten Fälle nach wie vor der am stärksten betroffene Teil des Landes, gefolgt von den Provinzen Herat, Balkh, Nangarhar und Kandahar. Beamte in der Provinz Herat sagten, dass der Strom afghanischer Flüchtlinge, die aus dem Iran zurückkehren, und die Nachlässigkeit der Menschen, die Gesundheitsrichtlinien zu befolgen, die Möglichkeit einer neuen Welle des Virus erhöht haben, und dass diese in einigen Gebieten bereits begonnen hätte. Am 18.07.2020 wurde mit 60 neuen COVID-19 Fällen der niedrigste tägliche Anstieg seit drei Monaten verzeichnet – wobei an diesem Tag landesweit nur 194 Tests durchgeführt wurden (LIB 21.07.2020, S. 7).

Krankenhäuser und Kliniken sind weiterhin mit Problemen bei der Aufrechterhaltung und Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten konfrontiert, wie der Bereitstellung persönlicher Schutzausrichtung, Testkits und der begrenzten Anzahl geschulter Mitarbeiter. 10 % der insgesamt bestätigten COVID-19-Fälle entfallen auf das Gesundheitspersonal (LIB 21.07.2020, S. 7).

Landesweit sind in Sperrmaßnahmen der Regierung Afghanistans in Kraft. Die Regierung gab am 06.06.2020 bekannt, dass sie die landesweite Abriegelung um drei weitere Monate verlängern und neue Gesundheitsrichtlinien für die Bürger herausgeben werde. Berichten zufolge werden die Vorgaben der Regierung nicht befolgt, und die Durchsetzung war nachsichtig. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus unterscheiden sich weiterhin von Provinz zu Provinz, in denen die lokalen Behörden über die Umsetzung der Maßnahmen entscheiden (LIB 21.07.2020, S. 8).

In der Provinz Balkh gibt es ein Krankenhaus, welches COVID-19 Patienten behandelt und über 200 Betten verfügt. Es gibt Berichte, dass die Bewohner einiger Distrikte der Provinz mit Wasserknappheit zu kämpfen hatten. Darüber hinaus hatten die Menschen in einigen Distrikten Schwierigkeiten mit dem Zugang zu ausreichender Nahrung, insbesondere im Zuge der COVID-19-Pandemie (LIB 21.07.2020, S. 9).

In der Provinz Herat gibt es zwei Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln. Ein staatliches öffentliches Krankenhaus mit 100 Betten, das vor kurzem speziell für COVID-19-Patienten gebaut wurde, und ein Krankenhaus mit 300 Betten, das in einem umgebauten Hotel zur Behandlung von COVID-19-Patienten eingerichtet wurde. Es gibt Berichte, dass 47,6 % der Menschen in Herat unter der Armutsgrenze leben und oft ein erschwerter Zugang zu sauberem Trinkwasser und Nahrung haben, insbesondere im Zuge der Quarantäne aufgrund von COVID-19, durch die die meisten Tagelöhner arbeitslos blieben (LIB 21.07.2020, S. 9 f.).

Der Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs in Afghanistan wird zwischen Ende Juli und Anfang August erwartet, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen der Bevölkerung haben wird. Die Lebensmittelpreise sind teilweise stark gestiegen. Berichten zufolge sind über 20 % der befragten Bauern nicht in der Lage, ihre nächste Ernte anzubauen, wobei der fehlende Zugang zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und die COVID-19-Beschränkungen als Schlüsselfaktoren genannt werden (LIB 21.07.2020, S. 10).

1.4.2. Sicherheitslage:

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (LIB 21.07.2020, S. 33). Diese ist jedoch regional und sogar innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich (EASO Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 89 ff; LIB 21.07.2020, S. 33 ff). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen waren die Provinzen Helmand, Kandahar, Nangarhar und Bhalk (LIB 21.07.2020, S. 33).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Nichtsdestotrotz, hat die afghanische Regierung wichtige Transitrouten verloren. (LIB 21.07.2020, S. 33).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer „strategischen Pattsituation“, die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann. Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten. Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist. Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (LIB 21.07.2020, S. 21 - 22).

Die geographische Verteilung aufständischer Aktivitäten innerhalb Afghanistans blieb, im Vergleich der beiden Jahre 2018 und 2019, weitgehend konstant. Im Jahr 2019 fanden auch weiterhin im Süden und Westen Afghanistans weiterhin schwere Kampfhandlungen statt; feindliche Aktivitäten nahmen zu und breiteten sich in größeren Gebieten des Nordens und Ostens aus. Mit einer hohen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen – speziell in den südlichen, nördlichen und östlichen Regionen – blieb die Sicherheitslage vorerst volatil, bevor ein Zeitraum der Reduzierung der Gewalt registriert werden konnte. Im Zeitraum 08.11.2019 bis 06.02.2020 waren die aktivsten Konfliktregionen in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden (LIB 21.07.2020, S. 33).

Für das Jahr 2019 wurden als Folge des bewaffneten Konflikts 10.392 zivile Opfer (3.403 Tote und 6.989 Verletzte) registriert, was einen Rückgang um 5% gegenüber 2018, aber auch die niedrigste Anzahl an zivilen Opfern seit dem Jahr 2013 bedeutet. Die Anzahl der durch ISKP verursachten zivilen Opfer ist zurückgegangen, die Anzahl ziviler Opfer speziell durch Taliban und internationale Streitkräfte haben zugenommen. Im Laufe des Jahres 2019 war das Gewaltniveau erheblichen Schwankungen unterworfen, was auf Erfolge und Misserfolge im Rahmen der Friedensverhandlungen zwischen Taliban und den US-Amerikanern zurückzuführen war (LIB 21.07.2020, S. 34).

Sowohl in den ersten fünf Monaten 2019, als auch im letzten Halbjahr 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (LIB 21.07.2020, S. 36).

1.4.3. Regierungsfeindliche Gruppen:

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (LIB 21.07.2020, S. 37).

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada – Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub – Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar – und Serajuddin Haqqani Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes. Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (LIB 21.07.2020, S. 37).

Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt. Die Kämpfe werden hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LIB 21.07.2020, S. 38).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Das Khalid bin Walid-Camp soll 12 Ableger, in acht Provinzen betreiben (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden. Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB 21.07.2020, S. 38).

In Gebieten, in denen regierungsfeindliche Gruppen Kontrolle ausüben, gibt es eine Vielzahl an Methoden, um Kämpfer zu rekrutieren, darunter auch solche, die auf Zwang basieren, wobei der Begriff Zwangsrekrutierung von Quellen unterschiedlich interpretiert und Informationen zur Rekrutierung unterschiedlich kategorisiert werden. Landinfo versteht Zwang im Zusammenhang mit Rekrutierung dahingehend, dass jemand, der sich einer Mobilisierung widersetzt, speziellen Zwangsmaßnahmen und Übergriffen (zumeist körperlicher Bestrafung) durch den Rekrutierer ausgesetzt ist. Die Zwangsmaßnahmen können auch andere schwerwiegende Maßnahmen beinhalten und gegen Dritte, beispielsweise Familienmitglieder, gerichtet sein. Auch wenn jemand keinen Drohungen oder körperlichen Übergriffen ausgesetzt ist, können Faktoren wie Armut, kulturelle Gegebenheiten und Ausgrenzung die Unterscheidung zwischen freiwilliger und zwangsweiser Beteiligung zum Verschwimmen bringen. Die Taliban haben keinen Mangel an freiwilligen Rekruten und machen nur in Ausnahmefällen von Zwangsrekrutierung Gebrauch. Druck und Zwang, den Taliban beizutreten, sind jedoch nicht immer gewalttätig (LIB 21.07.2020, S. 258).

1.4.4. Sicherheitsbehörden:

Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF - Afghan National Defense and Security Forces) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police) (LIB 21.07.2020, S. 246).

Die Afghanische Nationalarmee (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Das Verteidigungsministerium hat die Stärke der ANA mit 227.374 autorisiert. Die Afghan National Police (ANP) gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA, jedoch ist es nach wie vor das Langzeitziel der ANP, sich in einen traditionellen Polizeiapparat zu verwandeln. Die Afghan Local Police (ALP) wird ausschließlich durch die USA finanziert. Die ANP rekrutiert lokal vor Ort in einer der 34 Rekrutierungsstationen in den Provinzen (LIB 21.07.2020, S. 246 - 247).

1.4.5. Uruzgan:

Die Provinz Uruzgan liegt Zentralafghanistan und grenzt an die Provinzen Daikundi im Norden, Ghazni im Osten, Zabul und Kandahar im Süden und Helmand im Westen. Die Bevölkerung von Uruzgan für den Zeitraum 2019-20 wird auf 428.466 Personen geschätzt. Sie besteht hauptsächlich aus Paschtunen sowie Hazara und Kuchi-Nomaden (LIB 21.07.2020, S. 208-209).

Die Autobahn Kandahar-Uruzgan führt durch die Distrikte Chora und Tirinkot. Auf der Autobahn kommt es manchmal zu Kontrollpunkten durch die Taliban. Militärische Operationen werden durchgeführt, um die Kandahar-Uruzgan-Autobahn von den Taliban-Aufständischen zu räumen. Der Flughafen Tirinkot wird Stand Juni 2019 aus Kabul von Kam Air mit Linienflügen für Passagiere angeflogen (LIB 21.07.2020, S. 209).

Uruzgan ist weiterhin die Provinz mit der drittgrößten Anbaufläche des Landes (LIB 21.07.2020, S. 209).

Immer wieder kommt es zu Konflikten zwischen Paschtunen und Hazara. In einigen Distrikten der Provinz, wie Khas Urozgan, leben Hazara in selbstverwalteten Enklaven im Rahmen lokaler Vereinbarungen mit den Taliban, die bisher für Stabilität sorgten (LIB 21.07.2020, S. 209).

Die Präsenz der Taliban in Uruzgan groß. Aufständische der Taliban sind in manchen unruhigen Distrikten der Provinz aktiv und führen oftmals terroristische Aktivitäten aus. Die Provinz Uruzgan wird heftig von Aufständischen heimgesucht. Speziell die Provinzhauptstadt Tirinkot hat seit der Verlautbarung der Frühjahrsoffensive der Taliban im Jahr 2019 einen Anstieg an Aufständischenaktivitäten registriert (LIB 21.07.2020, S. 209).

Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 145 zivile Opfer (73 Tote und 72 Verletzte) in der Provinz Uruzgan. Dies entspricht einem Rückgang von 16% gegenüber 2018. Die Hauptursachen für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von Luftangriffen und improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate). Im Juni 2019 wurde berichtet, dass sich die Sicherheitslage in manchen Distrikten in den vorangegangenen Monaten verschlechtert hätte. Um die Sicherheitslage in der Provinz zu verbessern, wurde eine regionale Streitkraft nach Uruzgan entsandt. In der Provinz kam es regelmäßig zu Sicherheitsoperationen, bei denen auch Luftangriffe durchgeführt und Gefangene der Taliban befreit wurden (LIB 21.07.2020, S. 210-211).

Bewaffnete Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt. Die Taliban dehnten 2018 ihre Tätigkeit auf Gebiete aus, die bis dahin verschont geblieben waren – beispielsweise der Distrikt Khas Uruzgan – und entfachten intensive Kämpfe zwischen den Milizen des Kommandanten Schujai und den Taliban (LIB 21.07.2020, S. 211).

1.4.6. Herat-Stadt:

Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt. Sie hat 556.205 Einwohner. Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert, der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 durch Iran-Rückkehrer und Binnenvertriebene besonders gestiegen (LIB 21.07.2020, S. 110).

Herat ist durch die Ring-Road sowie durch einen Flughafen mit nationalen und internationalen Anbindungen erreichbar (LIB 21.07.2020, S. 110).

Die Provinz Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, die Stadt Herat gilt als „sehr sicher“. Dennoch sind sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten durchzuführen. Je mehr man sich von Herat-Stadt und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban (LIB 21.07.2020, S. 110 - 111).

Auch im Vergleich zu Kabul gilt Herat-Stadt einem Mitarbeiter von IOM-Kabul zufolge zwar als sicherere Stadt, doch gleichzeitig wird ein Anstieg der Gesetzlosigkeit und Kriminalität verzeichnet, so nahmen etwa Raubüberfälle zu. Entführungen finden gelegentlich statt, wenn auch in Herat nicht in solch einem Ausmaß wie in Kabul (LIB 21.07.2020, S. 111).

Der Distrikt mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen ist der an Farah angrenzende Distrikt Shindand, wo die Taliban zahlreiche Gebiete kontrollieren, aufgrund der großen US-Basis jedoch nicht den gesamten Distrikt. Aufgrund der ganz Afghanistan betreffenden territorialen Expansion der Taliban in den vergangenen Jahren sah sich jedoch auch die Provinz Herat zunehmend von Kampfhandlungen betroffen, im Vergleich zu einigen Gebieten des Ostens, Südostens, Südens und Nordens Afghanistans in einem deutlich niedrigeren Ausmaß (LIB 21.07.2020, S. 111).

Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 400 zivile Opfer (144 Tote und 256 Verletzte) in der Provinz Herat. Dies entspricht einer Steigerung von 54% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierte Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen. Der volatilste Distrikt ist Shindand (LIB 21.07.2020, S. 111 - 112).

Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Herat so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO - Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 89, S. 99f).

Der Einschätzung einer in Afghanistan tätigen internationalen NGO zufolge gehört Herat zu den „bessergestellten“ und „sichereren Provinzen“ Afghanistans und weist historisch im Vergleich mit anderen Teilen des Landes wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf. Aufgrund der sehr jungen Bevölkerung ist der Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter in Herat - wie auch in anderen afghanischen Städten - vergleichsweise klein. Erwerbstätige müssen also eine große Anzahl an von ihnen abhängigen Personen versorgen. Hinzu kommt, dass die Hälfte der arbeitstätigen Bevölkerung in Herat Tagelöhner sind, welche Schwankungen auf dem Arbeitsmarkt in besonderem Ausmaß ausgesetzt sind (LIB 21.07.2020, S. 328).

Die Herater Wirtschaft bietet seit langem Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran, wie auch Bergbau und Produktion. Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt. Manche alten Handwerksberufe (Teppichknüpfereien, Glasbläsereien, die Herstellung von Stickereien) haben es geschafft zu überleben, während sich auch bestimmte moderne Industrien entwickelt haben (z.B. Lebensmittelverarbeitung und Verpackung). Die meisten der in KMUs Beschäftigten sind entweder Tagelöhner oder kleine Unternehmer. Die Arbeitsplätze sind allerdings von der volatilen Sicherheitslage bedroht (insbesondere Entführungen von Geschäftsleuten oder deren Angehörigen durch kriminelle Netzwerke, im stillen Einverständnis mit der Polizei). Als weitere Probleme werden Stromknappheit, bzw. -ausfälle, Schwierigkeiten, mit iranischen oder anderen ausländischen Importen zu konkurrieren und eine steigende Arbeitslosigkeit genannt (LIB 21.07.2020, S. 328).

Die meisten Menschen in Herat haben Zugang zu Elektrizität (80 %), zu erschlossener Wasserversorgung (70 %) und zu Abwasseranlagen (30 %). 92,1 % der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen und 81,22 % zu besseren Wasserversorgungsanlagen (EASO - Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 133).

Die Stadt Herat verfügt über 65 private Gesundheitskliniken, die jedoch dafür kritisiert werden, wie Unternehmen zu operieren. Auch wird die geringe Qualität der Medikamente, fehlende Behandlungsmöglichkeiten und die Fähigkeit der Ärzte, Krankheiten richtig zu diagnostizieren, kritisiert. Infolgedessen entscheidet sich eine Reihe von Heratis für eine Behandlung im Ausland. Das Jebrael-Gesundheitszentrum im Nordwesten der Stadt Herat bietet für rund 60.000 Menschen im dicht besiedelten Gebiet mit durchschnittlich 300 Besuchern pro Tag grundlegende Gesundheitsdienste an, von denen die meisten die Impf- und allgemeinen ambulanten Einheiten aufsuchen (LIB 21.07.2020, S. 338 - 339).

1.4.7. Mazar-e Sharif:

Die Provinzhauptstadt von Balkh ist Mazar-e Sharif. Sie hat 469.247 Einwohner (LIB 21.07.2020, S. 69).

Balkh zählt zu den relativ stabilen und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten. Die vergleichsweise ruhige Sicherheitslage war vor allem auf das Machtmonopol des ehemaligen Kriegsherrn und späteren Gouverneurs von Balkh, Atta Mohammed Noor, zurückzuführen. In den letzten Monaten versuchen Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Taliban überrannten keines dieser Gebiete (LIB 21.07.2020, S. 69).

Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 277 zivile Opfer (108 Tote und 169 Verletzte) in der Provinz Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 22% gegenüber 2018. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen (LIB 21.07.2020, S. 70).

Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Provinz Balkh sowie in der Stadt Mazar-e Sharif so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO - Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 89; S. 92f).

Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz, ein regionales Handelszentrum sowie ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen. Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) zu erreichen (LIB 21.07.2020, S. 69; S. 329).

Die meisten Menschen in Mazar-e Sharif haben Zugang zu erschlossener Wasserversorgung (76 %), welche in der Regel in Rohrleitungen oder aus Brunnen erfolgt. 92 % der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen (EASO - Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 133).

In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es 10 - 15 - teils öffentliche, teils private - Krankenhäuser. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer, jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken die zu 80% öffentlich finanziert sind (LIB 21.07.2020, S. 339).

1.4.8. Erreichbarkeit und Bewegungsfreiheit:

Die Infrastruktur bleibt ein kritischer Faktor für Afghanistan, trotz der seit 2002 erreichten Infrastrukturinvestitionen und -optimierungen. Seit dem Fall der Taliban wurde das afghanische Verkehrswesen in städtischen und ländlichen Gebieten grundlegend erneuert. Beachtenswert ist die Vollendung der „Ring Road“, welche Zentrum und Peripherie des Landes sowie die Peripherie mit den Nachbarländern verbindet (LIB 21.07.2020, S. 224).

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Die Regierung respektierte diese Rechte im Allgemeinen. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen. Als zentrale Hürde für die Bewegungsfreiheit werden Sicherheitsbedenken genannt, diese betreffen insbesondere den Landweg, auf welchem illegale Kontrollpunkte und Überfälle auf Überlandstraßen zugenommen haben. In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht (LIB 21.07.2020, S. 320).

Jährlich sterben Hunderte von Menschen bei Verkehrsunfällen auf Autobahnen im ganzen Land – vor allem durch unbefestigte Straßen, überhöhte Geschwindigkeit und. Einige Beispiele für unsichere Straßenabschnitte sind die Routen Kabul-Kandahar, Herat-Kandahar, Kunduz-Takhhar und Ghazni-Paktika (LIB 21.07.2020, S. 224).

Das Transportwesen in Afghanistan gilt als „verhältnismäßig gut“. Es gibt einige regelmäßige Busverbindungen innerhalb Kabuls und in die wichtigsten Großstädte Afghanistans. Die Kernfrage bleibt nach wie vor die Sicherheit. Es existieren einige nationale Busunternehmen, welche Mazar-e Sharif, Kabul, Herat, Jalalabad und Bamiyan miteinander verbinden (LIB 21.07.2020, S. 228).

Der Mangel an Bussen insbesondere während der Stoßzeit in Kabul-Stadt ist eine Herausforderung für die afghanische Regierung. Als Unterstützung hat z.B. Indien dem Transportsystem in Kabul hunderte Busse zur Verfügung gestellt. Auch wird gemäß Aussagen des Bürgermeisters von Kabul ein Projekt zur Einrichtung eines Metro-Bus-Dienstes, auch Bus Rapid Transit genannt, in Kabul-Stadt geplant, mit dem 111 km innerhalb der Stadt abgedeckt werden sollen. Im Juli 2018 gab ein Sprecher der Stadt Kabul an, dass die Planungsphase des Projektes bald beendet würde und es zu Verzögerungen gekommen sei (LIB 21.07.2020, S. 228 - 229).

Der internationale Flughafen Kabuls, „Internationaler Flughafen Hamid Karzai“, liegt etwa 16 km außerhalb des Stadtzentrums. In den letzten Jahren wurde der Flughafen erweitert und modernisiert und ein neues internationales Terminal hinzugefügt (LIB 21.07.2020, S. 230).

Die Ausweichmöglichkeiten in Afghanistan für diskriminierte, bedrohte oder verfolgte Personen hängen maßgeblich vom Grad ihrer sozialen Verwurzelung, ihrer Ethnie und ihrer finanziellen Lage ab. Die sozialen Netzwerke vor Ort und deren Auffangmöglichkeiten spielen eine zentrale Rolle für den Aufbau einer Existenz und die Sicherheit am neuen Aufenthaltsort. Für eine Unterstützung seitens der Familie kommt es auch darauf an, welche politische und religiöse Überzeugung den jeweiligen Heimatort dominiert (LIB 21.07.2020, S. 321).

Bewohner der zentralen Stadtbereiche neigen zu häufigerem Wohnortwechsel, um näher bei ihrer Arbeitsstätte zu wohnen oder um wirtschaftlichen Möglichkeiten und sicherheitsrelevanten Trends zu folgen. Diese ständigen Wohnortwechsel haben einen störenden Effekt auf soziale Netzwerke. Auch in größeren Städten erfolgt in der Regel eine Ansiedlung innerhalb von ethnisch geprägten Netzwerken und Wohnbezirken. Die Absorptionsfähigkeit der genutzten Ausweichmöglichkeiten, vor allem im Umfeld größerer Städte, ist durch die hohe Zahl der Binnenvertriebenen und der Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan bereits stark in Anspruch genommen. Dies schlägt sich sowohl in einem Anstieg der Lebenshaltungskosten als auch in einem erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt nieder (LIB 21.07.2020, S. 321).

1.4.9. Wehrdienst und Rekrutierungen durch verschiedene Akteure

In Afghanistan gibt es keine Wehrpflicht. Das vorgeschriebene Mindestalter für die freiwillige Meldung beträgt 18 Jahre. Da die Tätigkeit als Soldat oder Polizist für den großen Teil der jungen männlichen Bevölkerung eine der wenigen Verdienstmöglichkeiten darstellt, besteht grundsätzlich kein Anlass für Zwangsrekrutierungen zu staatlichen Sicherheitskräften. Soldaten oder Polizisten, die ihre Truppe vorübergehend unerlaubt verlassen, um zu ihren Familien zurückzukehren, werden schon aufgrund ihrer sehr hohen Zahl nach Rückkehr zu ihrem ursprünglichen Standort wieder in die ANDSF aufgenommen (LIB 21.07.2020, S. 253).

Gemäß dem afghanischen Militärstrafgesetzbuch (Afghanistan Penal Code on Military Crimes) von 2008 wird eine Abwesenheit von mehr als 24 Stunden als unerlaubt definiert (absent without official leave, AWOL), wobei in der Praxis Fälle von Desertion in Afghanistan nicht strafrechtlich verfolgt werden. Unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst, bzw. Desertion wird gemäß Artikel 10 Anhang 1 des Militärstrafgesetzbuchs nicht bestraft, wenn die Abwesenheit weniger als ein Jahr dauert. Eine Abwesenheit von mehr als einem Jahr kann mit sechs Monaten Freiheitsentzug oder einer Geldstrafe von 20,000 AFN (ca. 237 Euro) bestraft werden. Die permanente Desertion ist mit einer Haftstrafe von zwei bis fünf Jahren bedroht (LIB 21.07.2020, S. 253-254).

Im Jahr 2016 wurde ein Soldat wegen Desertion in erster Instanz zu fünfzehn Jahren Haft verurteilt; Berichten zufolge wurde dies zu einem Medienfall, was u.a. auf die Seltenheit solcher Verurteilungen hinweist und auf die Absicht schließen lässt, ein Exempel zu statuieren (LIB 21.07.2020, S. 254).

1.4.10. Allgemeine Menschenrechtslage:

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Außerdem wurde Afghanistan für den Zeitraum 2018-2020 erstmals zum Mitglied des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen gewählt. Die Menschenrechte haben in Afghanistan eine klare gesetzliche Grundlage – so enthält die afghanische Verfassung aus dem Jahr 2004 einen Grundrechtkatalog, Afghanistan hat die meisten der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge, zum Teil mit Vorbehalten, unterzeichnet und/oder ratifiziert. Die afghanische Regierung ist jedoch nicht in der Lage, die Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB 21.07.2020, S. 258).

Korruption und begrenzte Kapazitäten schränken in Anliegen von Verfassungs- und Menschenrechtsverletzungen den Zugang der Bürger zu Justiz ein. In der Praxis werden politische Rechte und Bürgerrechte durch Gewalt, Korruption, Nepotismus und fehlerbehaftete Wahlen eingeschränkt. Bürger können Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen bei der Afghanistan Independent Human Rights Commission (AIHRC) einreichen, die dann glaubwürdige Beschwerden prüft und zur weiteren Untersuchung und Verfolgung an die Staatsanwaltschaft weiterleitet. Sie erhält nur minimale staatliche Mittel und stützt sich fast ausschließlich auf internationale Geldgeber (LIB 21.07.2020, S. 258).

Menschenrechtsverteidiger werden sowohl von staatlichen, als auch nicht-staatlichen Akteuren angegriffen; sie werden bedroht, eingeschüchtert, festgenommen und getötet. Maßnahmen, um Menschenrechtsverteidiger zu schützen waren zum einen inadäquat, zum anderen wurden Misshandlungen gegen selbige selten untersucht. Die weitverbreitete Missachtung der Rechtsstaatlichkeit sowie die Straflosigkeit für Amtsträger, die Menschenrechte verletzen, stellen ernsthafte Probleme dar. Zu den bedeutendsten Menschenrechtsproblemen zählen außergerichtliche Tötungen, Verschwindenlassen, Folter, willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen, Unterdrückung von Kritik an Amtsträgern durch strafrechtliche Verfolgung von Kritikern im Rahmen der Verleumdungs-Gesetzgebung, Korruption, fehlende Rechenschaftspflicht und Ermittlungen in Fällen von Gewalt gegen Frauen, sexueller Missbrauch von Kindern durch Sicherheitskräfte, Gewalt durch Sicherheitskräfte gegen Mitglieder der LGBTI-Gemeinschaft sowie Gewalt gegen Journalisten (LIB 21.07.2020, S. 259).

Mit Unterstützung der United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) und des Office of the High Commissioner for Human Rights (OHCHR) arbeitet die afghanische Regierung an der Förderung von Rechtsstaatlichkeit, der Rechte von Frauen, Kindern, Binnenflüchtlingen und Flüchtlingen sowie Rechenschaftspflicht. Im Dezember 2018 würdigte UNAMA die Fortschritte Afghanistans auf dem Gebiet der Menschenrechte, insbesondere unter den Herausforderungen des laufenden bewaffneten Konfliktes und der fragilen Sicherheitslage. Die UN arbeitet weiterhin eng mit Afghanistan zusammen, um ein Justizsystem zu schaffen, das die Gesetzesreformen, die Verfassungsrechte der Frauen und die Unterbindung von Gewalt gegen Frauen voll umsetzen kann (LIB 21.07.2020, S. 259).

1.4.11. Religionsfreiheit:

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt. Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus; in Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben. Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist. Im Laufe des Untersuchungsjahres 2018 gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen aufgrund von Blasphemie oder Apostasie. Auch im Berichtszeitraum davor gab es keine Berichte zur staatlichen Strafverfolgung von Apostasie und Blasphemie (LIB 21.07.2020, S. 271).

Konvertiten vom Islam zu anderen Religionen berichteten, dass sie weiterhin vor Bestrafung durch Regierung sowie Repressalien durch Familie und Gesellschaft fürchteten. Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen. Das neue Strafgesetzbuch 2017, welches im Februar 2018 in Kraft getreten ist, sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor (LIB 21.07.2020, S. 271).

Das Zivil- und Strafrecht basiert auf der Verfassung; laut dieser müssen Gerichte die verfassungsrechtlichen Bestimmungen sowie das Gesetz bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. In Fällen, in denen weder die Verfassung noch das Straf- oder Zivilgesetzbuch einen bestimmten Rahmen vorgeben, können Gerichte laut Verfassung die sunnitische Rechtsprechung der hanafitischen Rechtsschule innerhalb des durch die Verfassung vorgegeben Rahmens anwenden, um Gerechtigkeit zu erlangen. Die Verfassung erlaubt es den Gerichten auch, das schiitische Recht in jenen Fällen anzuwenden, in denen schiitische Personen beteiligt sind. Nicht-Muslime dürfen in Angelegenheiten, die die Scharia-Rechtsprechung erfordern, nicht aussagen. Die Verfassung erwähnt keine eigenen Gesetze für Nicht-Muslime (LIB 21.07.2020, S. 272).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (LIB 21.07.2020, S. 272 - 273).

Schiiten:

Der Anteil schiitischer Muslime an der Bevölkerung wird auf 10 bis 19% geschätzt. Zuverlässige Zahlen zur Größe der schiitischen Gemeinschaft sind nicht verfügbar und werden vom Statistikamt nicht erfasst. Gemäß Gemeindeleitern sind die Schiiten Afghanistans mehrheitlich Jafari-Schiiten (Zwölfer-Schiiten), 90% von ihnen gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara. Unter den Schiiten gibt es auch Ismailiten (LIB 21.07.2020, S. 273).

Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten. Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen. Gemäß Zahlen von UNAMA gab es im Jahr 2018 19 Fälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten, bei denen 223 Menschen getötet und 524 Menschen verletzt wurden; ein zahlenmäßiger Anstieg der zivilen Opfer um 34%. In den Jahren 2016, 2017 und 2018 wurden durch den Islamischen Staat (IS) und die Taliban 51 terroristischen Angriffe auf Glaubensstätten und religiöse Anführer der Schiiten bzw. Hazara durchgeführt (LIB 21.07.2020, S. 273).

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen. Obwohl einige schiitische Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demografischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiert. Vertreter der Sunniten hingegen geben an, dass Schiiten im Vergleich zur Bevölkerungszahl in den Behörden überrepräsentiert seien. Einige Mitglieder der ismailitischen Gemeinschaft beanstanden die vermeintliche Vorenthaltung von politischen Posten; wenngleich vier Parlamentssitze für Ismailiten reserviert sind (LIB 21.07.2020, S. 274).

Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime 25 bis 30%. Des Weiteren tagen regelmäßig rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern. Das afghanische Ministry of Hajj and Religious Affairs (MOHRA) erlaubt sowohl Sunniten als auch Schiiten Pilgerfahrten zu unternehmen (LIB 21.07.2020, S. 274).

1.4.12. Relevante ethnische Minderheiten:

In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 32 und 35 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht. Schätzungen zufolge, sind: 40 bis 42% Pashtunen, 27 bis 30% Tadschiken, 9 bis 10% Hazara, 9% Usbeken, ca. 4% Aimaken, 3% Turkmenen und 2% Belutschen. Weiters leben in Afghanistan eine große Zahl an kleinen und kleinsten Völkern und Stämmen, die Sprachen aus unterschiedlichsten Sprachfamilien sprechen (LIB 21.07.2020, S. 281).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (LIB 21.07.2020, S. 281).

Hazara:

Ethnische Hazara sind mehrheitlich Zwölfer-Schiiten, auch bekannt als Jafari Schiiten. Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 9 bis 10% der Bevölkerung. Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt; der Hazarajat [zentrales Hochland] umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz (Maidan) Wardak sowie Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul. Jahrzehntelange Kriege und schwierige Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (LIB 21.07.2020, S. 285).

Die Stadt Kabul ist in den letzten Jahrzehnten rasant gewachsen und ethnisch gesehen vielfältig. Neuankömmlinge aus den Provinzen tendieren dazu, sich in Gegenden niederzulassen, wo sie ein gewisses Maß an Unterstützung ihrer Gemeinschaft erwarten können (sofern sie solche Kontakte haben) oder sich in jenem Stadtteil niederzulassen, der für sie am praktischen sie ist, da viele von ihnen – zumindest anfangs – regelmäßig zurück in ihre Heimatprovinzen pendeln. Viele Hazara leben unter anderem in Stadtvierteln im Westen der Stadt (LIB 21.07.2020, S. 285).

Die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, hat sich grundsätzlich verbessert und Hazara bekleiden inzwischen auch prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, sind jedoch in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert. Hazara werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, finden ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung. Nichtsdestotrotz, genießt die traditionell marginalisierte schiitische muslimische Minderheit, zu der die meisten ethnischen Hazara gehören, seit 2001 eine zunehmende politische Repräsentation und Beteiligung an nationalen Institutionen (LIB 21.07.2020, S. 285 – 286).

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Kernfamilie bzw. dem Klan. Sollte der dem Haushalt vorstehende Mann versterben, wird die Witwe Haushaltsvorständin, bis der älteste Sohn volljährig ist. Es bestehen keine sozialen und politischen Stammesstrukturen (LIB 21.07.2020, S. 286).

Hazara neigen sowohl in ihren sozialen, als auch politischen Ansichten dazu, liberal zu sein, was im Gegensatz zu den Ansichten sunnitischer Militanter steht. Berichten zufolge halten Angriffe durch den ISKP (Islamischer Staat Khorasan Provinz) und andere aufständische Gruppierungen auf spezifische religiöse und ethno-religiöse Gruppen – inklusive der schiitischen Hazara – an (LIB 21.07.2020, S. 286).

Im Laufe des Jahres 2109 setzte der ISKP Angriffe gegen schiitische, vorwiegend aus der Hazara Gemeinschaften, fort. Beispielsweise griff der ISKP einen Hochzeitssaal in einem vorwiegend schiitischen Hazara-Viertel in Kabul an; dabei wurden 91 Personen getötet, darunter 15 Kinder und weitere 143 Personen verletzt wurden. Zwar waren unter den Getöteten auch Hazara, die meisten Opfer waren Nicht-Hazara-Schiiten und Sunniten. Der ISKP nannte ein sektiererisches Motiv für den Angriff. Das von schiitischen Hazara bewohnte Gebiet Dasht-e Barchi in Westkabul ist immer wieder Ziel von Angriffen. Die Regierung hat Pläne zur Verstärkung der Präsenz der afghanischen Sicherheitskräfte verlautbart. Angriffe werden auch als Vergeltung gegen mutmaßliche schiitische Unterstützung der iranischen Aktivitäten in Syrien durchgeführt. In Randgebieten des Hazarajat kommt es immer wieder zu Spannungen und teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Nomaden und sesshaften Landwirten, oftmals Hazara. (LIB 21.07.2020, S. 286).

Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert. NGOs berichten, dass Polizeibeamte, die der Hazara-Gemeinschaft angehören, öfter als andere Ethnien in unsicheren Gebieten eingesetzt werden oder im Innenministerium an symbolische Positionen ohne Kompetenzen befördert werden (LIB 21.07.2020, S. 286).

1.4.13. IDPs und Flüchtlinge:

Im Jahresverlauf 2019 verstärkten sich Migrationsbewegungen innerhalb des Landes aufgrund des bewaffneten Konfliktes und einer historischen Dürre. UNHCR berichtet für den Zeitraum 1.1.-6.11.2019 380.289 Personen, die aufgrund des bewaffneten Konfliktes zu Binnenvertriebenen (IDPs, internally displaced persons) wurden. Mit Stand 29.3.2020 wurden 52.700 Menschen aufgrund des Konflikts zu IDPs – dafür waren landesweite Kämpfe zwischen nicht-staatlichen Akteuren und den nationalen afghanischen Sicherheitskräften verantwortlich (LIB 21.07.2020, S. 322).

Die Mehrheit der Binnenflüchtlinge lebt, ähnlich wie Rückkehrer aus Pakistan und Iran, in Flüchtlingslagern, angemieteten Unterkünften oder bei Gastfamilien. Die Bedingungen sind prekär. Der Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und wirtschaftlicher Teilhabe ist stark eingeschränkt. Der hohe Konkurrenzdruck führt oft zu Konflikten. Ein Großteil der Binnenflüchtlinge ist auf humanitäre Hilfe angewiesen (LIB 21.07.2020, S. 322 - 323).

1.4.14. Grundversorgung:

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt. Trotz Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, erheblicher Anstrengungen der afghanischen Regierung und kontinuierlicher Fortschritte belegte Afghanistan 2018 lediglich Platz 168 von 189 des Human Development Index. Die Armutsrate hat sich laut Weltbank von 38% (2011) auf 55% (2016) verschlechtert. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant: Außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte gibt es vielerorts nur unzureichende Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport (LIB 21.07.2020, S. 325).

Die afghanische Wirtschaft ist stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Das Budget zur Entwicklungshilfe und Teile des operativen Budgets stammen aus internationalen. Jedoch konnte die afghanische Regierung seit der Fiskalkrise des Jahres 2014 ihre Einnahmen deutlich steigern. Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor (einschließlich illegaler Aktivitäten), der 80 bis 90 % der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft, wobei der landwirtschaftliche Sektor gemäß Prognosen der Weltbank im Jahr 2019 einen Anteil von 18,7% am Bruttoinlandsprodukt (BIP) hat (Industrie: 24,1%, tertiärer Sektor: 53,1%; WB 7.2019). Das BIP Afghanistans betrug im Jahr 2018 19,36 Mrd. US-Dollar (LIB 21.07.2020, S. 325).

Nach dem Wirtschaftswachstum in den Jahren 2007 bis 2012, verzeichnet die afghanische Wirtschaft seit 2014 ein langsames Wachstum, was mit dem Rückzug der internationalen Sicherheitskräfte, der damit einhergehenden Kürzung der internationalen Zuschüsse und einer sich verschlechternden Sicherheitslage in Verbindung gebracht wird. Im Jahr 2018 betrug die Wachstumsrate 1,8%. Das langsame Wachstum wird auf zwei Faktoren zurückgeführt: einerseits hatte die schwere Dürre im Jahr 2018 negative Auswirkungen auf die Landwirtschaft, andererseits verringerte sich das Vertrauen der Unternehmer und Investoren (LIB 21.07.2020, S. 326).

Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Es gibt einen großen Anteil an Selbständigen und mithelfenden Familienangehörigen, was auf das hohe Maß an Informalität des Arbeitsmarktes hinweist, welches mit der Bedeutung des Agrarsektors in der Wirtschaft einhergeht. Im Rahmen einer Befragung an 15.012 Personen, gaben rund 36% der befragten Erwerbstätigen gaben an, in der Landwirtschaft tätig zu sein (LIB 21.07.2020, S. 326).

Fähigkeiten, die sich Rückkehrer/innen im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Bei der Arbeitssuche spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Eine Quelle betont jedoch die Wichtigkeit von Netzwerken, ohne die es nicht möglich sei, einen Job zu finden. Bei Ausschreibung einer Stelle in einem Unternehmen gibt es in der Regel eine sehr hohe Anzahl an Bewerbungen und durch persönliche Kontakte und Empfehlungen wird mitunter Einfluss und Druck auf den Arbeitgeber ausgeübt. Eine im Jahr 2012 von der ILO durchgeführte Studie über die Beschäftigungsverhältnisse in Afghanistan bestätigt, dass Arbeitgeber persönliche Beziehungen und Netzwerke höher bewerten als formelle Qualifikationen. Analysen der norwegischen COI-Einheit Landinfo zufolge, gibt es keine Hinweise darüber, dass sich die Situation seit 2012 geändert hätte (LIB 21.07.2020, S. 326 - 327).

In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit. Lediglich beratende Unterstützung wird vom Ministerium für Arbeit und Soziale Belange (MoLSAMD) und der NGO ACBAR angeboten; dabei soll der persönliche Lebenslauf zur Beratung mitgebracht werden. Auch Rückkehrende haben dazu Zugang – als Voraussetzung gilt hierfür die afghanische Staatsbürgerschaft. Für das Anmeldeverfahren sind das Ministerium für Arbeit und Soziale Belange und die NGO ACBAR zuständig; Rückkehrende sollten auch hier ihren Lebenslauf an eine der Organisationen weiterleiten, woraufhin sie informiert werden, inwiefern Arbeitsmöglichkeiten zum Bewerbungszeitpunkt zur Verfügung stehen. Unter Leitung des Bildungsministeriums bieten staatliche Schulen und private Berufsschulen Ausbildungen an (LIB 21.07.2020, S. 327).

Neben einer mangelnden Arbeitsplatzqualität ist auch die große Anzahl an Personen im wirtschaftlich abhängigen Alter (insbes. Kinder) ein wesentlicher Armutsfaktor. Die Notwendigkeit, das Einkommen von Erwerbstätigen mit einer großen Anzahl von Haushaltsmitgliedern zu teilen, führt oft dazu, dass die Armutsgrenze unterschritten wird, selbst wenn Arbeitsplätze eine angemessene Bezahlung bieten würden. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind (LIB 21.07.2020, S. 327).

Armut und Lebensmittelsicherheit:

Einer Befragung aus dem Jahr 2016/2017 an rund 155.000 Personen zufolge (Afghan Living Condition Survey - ALCS), s

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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