TE Bvwg Erkenntnis 2020/11/25 W122 2207406-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.11.2020
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Entscheidungsdatum

25.11.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch


W122 2207406-1/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gregor ERNSTBRUNNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geboren am XXXX alias XXXX , Staatsangehörigkeit Iran, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13.10.2020 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 10 Abs. 1 Z 3, und § 57 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in Folge „BF“), ein iranischer Staatsangehöriger, stellte am 29.12.2015 nach illegaler Ausreise aus seinem Heimatland und einer am 27.12.2015 erfolgten Einreiseverweigerung in die Bundesrepublik Deutschland im österreichischen Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Anlässlich der Erstbefragung am 29.12.2015 gab der BF an, dass er vor zwei Monaten schlepperunterstützt sein Heimatland verlassen habe. Zu seinem Fluchtgrund gefragt, führte der BF aus, dass es im Iran keine freie Religionswahl geben würde und er Christ sein möchte. Dies würde jedoch nicht gehen, weil man im Iran aufgehängt werde, wenn man eine andere Religion wählen würde. Im Falle seiner Rückkehr in den Iran habe er Angst, dass er dort aufgehängt werde.

3. Am 17.05.2018 erfolgte die Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (nachfolgend: BFA). In dieser vermeinte der BF, dass er iranischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Perser, ledig und Christ sei. Zu seiner im Iran aufhältigen Familie habe er kaum Kontakt. In Österreich seien keine Verwandten aufhältig. Im Iran habe er die Schule abgeschlossen und danach sechs Jahre auf der Universität Architektur studiert. Er habe auch Berufserfahrung als Autohändler. Den Wehrdienst habe er nicht absolviert, weil er Probleme gehabt habe. Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte der BF aus, dass er Probleme mit der islamischen Religion habe. Er habe sich deswegen auch mit seiner Familie zerstritten und sei nicht zum Militär gegangen. Er könne diese Religion nicht akzeptieren und würde lieber hier sterben, als im Iran zu leben. Er sehe sich als Österreicher an und möchte hier arbeiten gehen. Er trage auch gerne lange Haare, was ihm im Iran ebenfalls nicht gestattet sei. Ebenso habe er im Iran Geschlechtsverkehr mit einem Mann gehabt, weshalb er im Iran deswegen ebenfalls Konsequenzen seitens der staatlichen Behörden fürchte. Er habe vor sechs oder sieben Jahren einen Freund besucht, an dessen Nachnamen er sich nicht mehr erinnern könne. Dessen Familie sei nicht zu Hause gewesen und es sei dazu gekommen. Er habe diesen Freund von klein auf gekannt, weil er aus der Nachbarschaft gewesen sei. Sie seien damals unter der Dusche gewesen, wobei der BF den aktiven Part übernommen habe. Der Freund sei gekommen, als der BF geduscht habe. Dieser habe gefragt, ob er auch in die Dusche kommen dürfe und ihn danach bewusst berührt, was den beiden gefallen habe. Danach habe er noch mit drei bis vier weiteren Männern sexuelle Erfahrungen gemacht, wobei er sich nicht erinnern könne, wer diese Männer gewesen seien. Diese Personen habe er bei der Arbeit oder im Supermarkt kennengelernt und sei mit ihnen nach längerer Zeit auch über Homosexualität ins Gespräch gekommen. Der Sex habe entweder zu Hause oder in einem Hotel stattgefunden. Er übe die Homosexualität auch in Österreich aus und lerne seine Freunde über Apps kennen.

Über Religionen würde er nicht nachdenken. Er sei hier in die Kirche gegangen und es seien alle freundlich und gutherzig gewesen. Er interessiere sich eigentlich nicht für Religion, jedoch für Jesus Christus und man solle Respekt zu Kindern und Frauen haben. Römisch-Katholisch sei für ihn die richtige Wahl, weil diese Kirche hier am weitesten verbreitet sei. Er interessiere sich nicht für Religionen, sondern habe nur Interesse an christlichen Religionen. Die Leute in der Kirche wären gutherzig.

Dass diese von seiner Homosexualität erfahren, wolle er nicht. Was die römisch-katholische Kirche zur Homosexualität sage, wisse er nicht und sei auch nicht wichtig. Im Islam werde außerdem gesagt, dass man Mitglieder anderer Religionen töten müsse. Wenn man in einem islamischen Land lebe, habe man bei Religionen keine andere Wahl. Im Iran sei er mit dem Christentum noch nicht in Kontakt gekommen. Er habe diese Religion erst in Österreich kennengelernt. Im Iran habe er lediglich die Erfahrung gemacht, dass Andersgläubige umgebracht werden. Er könne einige christliche Feiertage nennen, denke aber nicht viel über Religionen nach. Seine Entscheidung für das Christentum habe er aufgrund eines Gefühls getätigt. Getauft worden sei er zu Ostern des vergangenen Jahres. Er habe eine iranische Kirche besucht, aber nicht sehr gut aufgepasst und sich nicht viel über die Religion gemerkt.

Mit seiner Familie habe er zuletzt kurz am iranischen Neujahrstag Kontakt gehabt. Er habe mit seinem Vater, seinem Bruder und seinem Onkel gesprochen. Bald hätten sie sich über seine langen Haare lustig gemacht und negativ über ihn zu reden begonnen. Er habe ihnen gesagt, dass er die islamische Religion nicht akzeptiere und sie einen Fehler machen, wenn sie dieser weiter folgen würden. Sie hätten nämlich immer aus dem Koran gebetet. Er habe den Militärdienst verweigern wollen. Als Student habe er diesen aufschieben können und danach habe er sowieso fliehen wollen. Er sei noch geflohen, wie er Student gewesen sei. Dies sei schlepperunterstützt und illegal passiert, denn ohne Wehrdienstableistung würde man keinen Reisepass erhalten. Er sei über die Türkei nach Europa gekommen und auf dem Landweg nach Deutschland weitergereist, wo man ihm die Einreise verweigert hätte. Er habe dann in Österreich einen Asylantrag gestellt, weil er gewusst habe, dass dieses Land eines der beste sei. Auf Vorhalt seines Vorbringens in der Erstbefragung meinte der BF, dass er im Iran Probleme mit dem Islam gehabt habe. Mit dem Christentum sei er erst auf der Flucht in Berührung gekommen. Er habe am Tag der Einreise in Österreich seinen Asylantrag gestellt. Im Iran sei er einmal geschlagen worden, weil er im Fastenmonat Alkohol getrunken habe. Er habe damals eine Geldstrafe erhalten, jedoch ansonsten keine Probleme mit den staatlichen Behörden seines Heimatlandes gehabt. Er sei auch nicht politisch aktiv oder interessiert gewesen oder habe an gewalttätigen Auseinandersetzungen teilgenommen. In Österreich wolle er eines Tages arbeiten. Er könne Deutsch auf dem Niveau B1, jedoch könne er sich keine weiteren Kurse leisten. Er habe hier schon Freunde gefunden und wolle nicht mehr zurück in den Iran. Im Zuge der Rückübersetzung führte der BF auch den Nachnamen seines Freundes aus der Nachbarschaft im Iran an.

4. Mit Schreiben vom 13.03.2018 legte der BF ein Konvolut an iranischen und österreichischen Unterlagen vor. Neben Dokumenten aus seinem Heimatland ein Schreiben einer Kirchengemeinschaft, einen Taufschein, eine Austrittsbescheinigung aus der islamischen Religionsgemeinschaft und Referenzschreiben sowie auch zahlreiche integrationsbescheinigende Dokumente.

5. Mit Bescheid des BFA vom 12.07.2018 wurden der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurden der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpukt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung in den Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde festgestellt, dass eine Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.). Begründend wurde festgehalten, dass der BF im Laufe des Verfahrens zwar anführte, dass er in seinem Heimatland seine Religion nicht frei wählen dürfe. Dies sei grundsätzlich richtig, jedoch habe der BF auch betont, dass Religion in seinem Leben keine wichtige Rolle spielen würde. Er würde in die Kirche gehen, weil die Menschen dort freundlich und gutherzig wären. Er habe Interesse an Jesus Christus, jedoch nicht an Religionen generell. Getauft sei er, weil ihm die Religion gefiel und er dies so habe wollen. Nähere Gründe seien nicht vorgebracht worden. Den Islam lehne er ab, weil dieser gewalttätig sei und man in einem islamischen Land keine Wahlmöglichkeit zwischen den Religionen habe. Mit dem Christentum sei er erst in Österreich in Berührung gekommen. Er könne zwar einige Feiertage aufzählen, jedoch führte der BF an, dass er über die Religion nicht besonders viel nachdenke. Ebenso sei die Taufe eine Gefühlsentscheidung gewesen. Es sei daher von einer Scheinkonversion auszugehen.

Bezüglich seines Fluchtvorbringens, dass er homosexuell sei, habe ebenfalls nicht gefolgt werden können. Es wäre nicht glaubwürdig gewesen, zumal der BF nur vage und oberflächliche Schilderungen zu den sexuellen Handlungen habe darlegen können und dieser auch vermeinte, dass es islamischen Ländern unüblich sei, dass sich Männer in der Öffentlichkeit treffen würden. Es sei einerseits dort unüblich, dass sich Männer und Frauen in der Öffentlichkeit treffen, andererseits sei es nicht nachvollziehbar gewesen, dass der BF dennoch mit anderen Männern in öffentliche Hotels gegangen sei und er Männer an öffentlichen Orten über die Homosexualität ausgefragt habe. Gegen eine Glaubwürdigkeit des Vorbringens würde es auch sprechen, dass der BF den Namen des Kindheitsfreundes, mit dem er homosexuelle Erfahrungen gemacht hätte, erst in der Rückübersetzung benennen habe können und ihm auch den Namen des Hotels entfallen sei, in dem er den verbotenen Sex gehabt habe.

Der BF führte noch an, dass er aufgrund der Wehrdienstverweigerung das Land verlassen habe. Dies sei in Friedenszeiten allerdings nicht asylrelevant. Dass der BF allerdings schon von langer Hand geplant habe, dass er sein Heimatland vor Absolvierung des Wehrdienstes, von dem er wegen seines Studiums vorübergehend befreit worden wäre, verlassen werde, spreche auch dafür, dass er aus asylfremden Gründen sein Heimatland verlassen habe. Es könne daher nicht davon ausgegangen werden, dass dem BF eine konkrete Verfolgung oder Bedrohung aus den von ihm genannten Gründen droht. Das Vorbringen des BF habe aufgrund zahlreicher Widersprüche und Ungereimtheiten als nicht glaubhaft erachtet werden müssen.

5. Mit Verfahrensanordnung vom 12.07.2018 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt. Ebenso wurde mit Verfahrensanordnung vom 12.07.2018 ein Rückkehrberatungsgespräch gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG angeordnet.

6. Gegen den o.a. Bescheid der belangten Behörde erhob der BF mit Schriftsatz der Rechtsvertretung vom 08.08.2018 innerhalb offener Frist vollinhaltlich Beschwerde. Hierbei wurde angeführt, dass der BF sein Vorbringen glaubwürdig und im Kern gleichbleibend dargelegt hätte. Die belangte Behörde hätte es verabsäumt, den Sachverhalt ausreichend zu ermitteln, sodass dem BF in seinem Heimatland aufgrund der sexuellen Orientierung, seiner Religion und seiner politischen Gesinnung eine asylrechtlich relevante Bedrohung drohen würde. Er habe seine Konversion mit seiner Liebe zu Jesus begründet und im Iran Schwierigkeiten gehabt, weil er sich kritisch zum Islam geäußert habe. Er würde auch lange Haare tragen und im Ramadan Alkohol trinken, weswegen er schon verhaftet und mehrmals misshandelt worden sei. Bezüglich der vorgehaltenen Widersprüche und Ungereimtheiten in Bezug auf seine Homosexualität hätte die belangte Behörde berücksichtigen müssen, dass sich der BF in einer Stresssituation befunden habe und diese Details vernachlässigbar wären, zumal der BF das Vorbringen ansonsten schlüssig und lebensnah habe schildern können. Eine innerstaatliche Fluchtalternative würde ebenfalls nicht vorliegen.

7. In einer am 20.08.2018 ergangenen Stellungnahme der belangten Behörde, führte diese aus, dass die Beschwerde aufgestellten Behauptungen, dass der BF bereits im Iran seine Abneigung gegenüber dem Islam öffentlich gemacht habe, als eine Schutzbehauptung zu werten sei, die dem Neuerungsverbot unterliege. Ebenso sei es in der Beschwerde nicht ausreichend begründet worden, warum das BFA den BF zu Unrecht als unglaubwürdig betrachtet habe. Ebenso sei nicht dargelegt worden, welche Schritte notwendig wären, um den Sachverhalt klären zu können, zumal die Beschwerde nur auf Behauptungen basiere, die weder durch Unterlagen untermauert werden würden noch näher ausgeführt worden wären. Nach Ansicht der belangten Behörde sei die Bescheidbegründung nachvollziehbar gewesen, weshalb das erkennende Gericht die Beschwerde als unbegründet abweisen möge.

8. Am 09.10.2018 legte das BFA die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

9. Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 13.10.2020 im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF und seine rechtfreundliche Vertretung persönlich teilnahmen. Ein Vertreter der Behörde nahm nicht teil.

Der BF gab an, gesund zu sein und die aktuellen Länderfeststellungen zu kennen. Befragt, ob er bisher im Verfahren getätigte Angaben korrigieren wolle, führte der BF aus, dass er nicht homosexuell sei und er dies nur angegeben habe, weil ihm dazu geraten worden wäre. Er sei aber getauft und glaube an Jesus Christus. Auch wenn er sich nicht als sehr gläubig betrachte, sei er stolz darauf, ein Christ zu sein. Er sei iranischer Staatsangehöriger, ledig und habe keine Kinder. Er sei Angehöriger der Volksgruppe Lor Bakhtyari und römisch-katholischer Christ. Wegen seiner Religionszugehörigkeit habe er im Iran Probleme gehabt. Seine Muttersprache sei Farsi und er spreche auch eine wenig Arabisch und Englisch sowie Deutsch.

Mit seinem Leben im Iran habe er abgeschlossen. Zu seiner dort lebenden Familie habe er keinen Kontakt mehr. Sie würden sich lediglich die Sachen ansehen, die er über das Christentum in den sozialen Netzwerken poste. Seine Familienmitglieder seien aber muslimisch geprägt, weshalb es auch keinen Kontakt zu ihnen gäbe. Im Iran habe er maturiert und im Baubereich den Bachelor gemacht. Er habe sich durch Anstellungen bei einer Bäckerei und im Autoverzollungsamt aber selbst erhalten können. Von seiner Familie werde er nicht unterstützt. Mit dieser habe er Probleme, weil ihn diese immer in die Moschee geschickt habe. Er habe sich dann mit ihnen zerstritten, weil er sich als Erwachsener nicht mehr mit den Regeln der islamischen Religion habe arrangieren wollen. Durch das Christentum habe er seine innere Ruhe gefunden. Er selbst leide an keinen psychischen Problemen. Das vorgelegte Schriftstück beziehe sich auf seinen Vater, der einmal zwei Jahre lang inhaftiert und gefoltert worden sei.

In Österreich habe der BF die Sprachprüfung auf dem Niveau B1 abgelegt. Er würde gerne arbeiten gehen, um ein nützliches Mitglied in dieser Gesellschaft zu werden. Derzeit helfe er nur älteren Menschen aus der kirchlichen Umgebung. Ein Studium könne er wegen der schwierigen finanziellen Lage nicht beginnen. Er habe sich hier einen Freundeskreis aufgebaut und gehe gerne ins Fitnesscenter. An Österreich würde ihn sein Glauben binden. Er lebe hier von der Grundversorgung.

Er habe sein Heimatland im Sommer 2015 verlassen und sei illegal in Österreich eingereist. Den Iran habe er verlassen, weil er dort mit der Denkweise der religiösen Iraner klargekommen sei. Auch wenn er zu seiner Familie keinen Kontakt habe, wissen seine Verwandten von seiner Denkweise und seiner Konversion. Er habe nie an Gott gezweifelt, jedoch nie an den islamischen Gott geglaubt, sondern an den Gott des Himmels. Hier habe er seinen Sohn kennengelernt und dank seiner Hilfe zur inneren Ruhe gefunden.

Den Iran habe er noch verlassen, bevor er sein Studium abgeschlossen habe. Es sei ihm aber dann dort zu gefährlich geworden. Dem iranischen Regime wolle er auch nicht dienen, weil dies den Terror unterstütze. Mittlerweile sei die Religion das wichtigste für den BF, weil er Gott um Hilfe geben habe und sich sein Leben seither positiv verändert habe. Er gehe jeden Sonntag mit Freude in die Kirche. Diese sei nun wegen Corona weniger gut besucht als früher. Was letzten Sonntag im Gottesdienst gelesen wurde, wisse er nicht mehr. Er könne die Stelle aber in der Bibel finden. Dem BF wurde danach eine Bibel vorgehalten, wobei er nicht in der Lage war, die Stelle zu finden. Er könne sich nicht mehr daran erinnern, was vorgestern in der Predigt gelesen worden sei. Eventuell könne er die Nummer der Stelle finden. Er mache immer Aufnahmen vom Gottesdienst, die er in soziale Netzwerke stelle. Auf Nachfrage, was ihm das bringe, wenn er sich nicht an dessen Inhalte erinnere, vermeinte er zusammengefasst, dass er gestresst gewesen sei, er bete und nicht lerne und er an die Zukunft denke und nicht an die Vergangenheit. Auf die Frage was das Evangelium sei, vermeinte der BF, dass dieses ihr heiliges Buch sei. Auf Nachfrage dies zu konkretisieren und anzuführen, wer die Evangelisten seien, gab der BF an, dass er neu im Christentum sei und nachlernen müsse. Er gehe auch in die Kirche, um zu lernen. Auf Wissensfragen habe der BF drei der vier Evangelisten nennen können. Bei der Frage nach den Sakramenten, führte der BF einige der zehn Gebote an. Was ein Sakrament ist, konnte der BF allerdings nicht darlegen. Er habe bei der Taufe einmal gebeichtet. Ob er sonst noch einmal gebeichtet habe, konnte der BF nicht angeben. Er vermeinte, die Frage nicht verstanden zu haben. Jesus sei für ihn der einzige, der von Gott gesandt worden sei. Er sei Gottes Sohn, während Mohammed ein Vergewaltiger von Kindern gewesen sei. Für diesen interessiere er sich aber nicht. Katholiken seien für ihn gute Menschen, weil sie für Frieden und Liebe eintreten würden. Liebe und Zuneigung sei die Kernsache im Christentum. Brot und Wein seien das Zeichen für den Leib und das Blut Christis. Den Begriff der Dreifaltigkeit habe der BF hingegen noch nie gehört. Gott habe seinen eingeborenen Sohn auf die Erde geschickt, was bedeute, dass auch Gott auf die Erde gekommen sei. Er kenne den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist. Letztgenannter sei ein Engel Gottes und somit auch ein Gesandter Gottes. Auf Aufforderung, die zehn Gebote zu nennen, gab der BF fünf an, eher er ausführte, dass Menschen sich mit Liebe und Zuneigung zu begegnen hätten. Es sei für ihn eine Verpflichtung zu beten. Mit den zehn Geboten sei er noch nie in Konflikt geraten. Von Todsünden habe er noch nicht gehört, er versuche aber keine Sünden zu begehen. Den Film „Sieben“ habe er einmal gesehen, jedoch wisse er nicht mehr den Inhalt dieses Films. Die Bibelstelle „Gott ist gut“ sei seine liebste Stelle in der Bibel. Ihn persönlich habe am meisten beeinflusst, wie Jesus Tote lebendig mache, den Blinden sehend mache und er den jungen Kranken heile. Er würde diese Stellen mögen, weil er im Iran schlechte Erfahrungen mit der Religion bzw. im Umgang mit Menschen gesehen habe. Mittlerweile spüre er Gott jeden Tag und dies gebe ihm Kraft schwierige Situationen zu meistern. Näher beschreiben, könne er dieses Gefühl – auch auf Nachfrage – nicht.

Nach seinem Tod glaube er an das ewige Leben und daran, dass er an einen besseren Ort als der Erde kommen würde. Das Glaubensbekenntnis kenne er nicht. Dieses müsse er noch lernen. Er wisse aber, dass das im Fegefeuer entschieden werde, ob man ins Paradies oder die Hölle komme. Er denke, dass es dies auch im Islam gebe, aber er sich nicht dafür interessiere. Deswegen könne er auch hierzu nicht immer passende Antworten zum Islam geben. Er habe den Iran verlassen, weil er den wahren Gott gesucht habe. Er könne sich vorstellen auch in Österreich den Wehrdienst zu machen. Ein Problem mit dem Gebot „Du sollst nicht töten!“ sehe er nicht, denn ein Soldat solle keine Menschen töten, sondern dem Land dienen. Ob ein Soldat ausgebildet werde, um zu töten, wisse er nicht, weil er noch nie Soldat gewesen sei.

Im Fall einer Rückkehr in den Iran würde er getötet werden, zumal alle, über seine Familie und die sozialen Medien, wissen würden, dass er konvertiert sei und in die Kirche gehe. Zur katholischen Kirche sei er gegangen, weil alle Katholiken, die er kenne, lieb und zuvorkommend gewesen wären. Ebenso habe Maria in der katholischen Kirche einen besonderen Stellenwert. Er sei wegen Jesus ein Christ geworden. Andere Religionen oder Religionszweige hätten den BF nicht interessiert bzw. wisse er auch nicht wie dies andere Religionszweige sehen. Er fühle sich in seiner Religionsgemeinschaft gut aufgehoben.

Im Iran könne er nicht mehr leben, weil er dort seinen Glauben nicht verleugnen und er nicht missionieren könnte. Er erzähle allen, dass er ein Christ sei und trage immer und überall ein Kreuz mit sich. Er respektiere alle Religionen, weil dies ein Zeichen von Meinungsfreiheit sei. Er besitze eine Bibel aus Farsi und eine auf Deutsch.

Danach folgten der Schluss des Ermittlungsverfahrens und der Schluss der mündlichen Verhandlung. Ebenso verkündete der erkennende Richter die zur Gänze vollabweisende Entscheidung samt der wesentlichen Entscheidungsgründe gemäß § 29 Abs. 2 VwGVG. Ebenso wurde die Rechtsmittelbelehrung erteilt.

10. Mit Schreiben vom 27.10.2020 beantragte der BF gemäß § 29 Abs. 4 VwGVG fristgerecht die Ausfertigung des Erkenntnisses vom 13.10.2020.

13. Der BF legten im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

?        Iranischer Personalausweis (Kopie)

?        Iranischer Führerschein (Kopie)

?        Zeugnis einer iranischen Universität (Kopie)

?        Iranischer Studienausweis (Kopie)

?        Iranisches Strafurteil (Kopie)

?        Iranisches Scheidungsurteil der Eltern des BF (Kopie)

?        Gerichtsmedizinisches Schreiben des iranischen Innenministeriums (Kopie)

?        Schreiben einer Kirchengemeinschaft

?        Austrittsbescheinigung aus der islamischen Religionsgemeinschaft

?        Referenz- und Empfehlungsschreiben

?        Zahlreiche Teilnahmebestätigungen an Deutschkursen

?        ÖSD-Sprachzertifikat A1, A2 (bestanden) und B1 (nicht bestanden)

?        Teilnahmebestätigung an Deutschkursen (B1) und Zeugnis „ÖSD B1“

?        Österreichische Studienbestätigungen als außerordentlich Studierender

?        Bestätigung über Teilnahme an kirchlichen Aktivitäten des BF

?        Teilnahmebestätigung an einem Werte- und Orientierungskurs

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Die oben unter Verfahrensgang angeführten Verfahrensschritte werden zu den gegenständlichen Feststellungen erhoben.

2. Feststellungen (Sachverhalt):

2.1.    Zur Person des BF wird festgestellt:

2.1.1. Der BF, dessen Identität mangels einer Vorlage unbedenklicher Personaldokumente nicht abschließend geklärt werden könnte, ist Staatsangehöriger des Iran. Der BF ist ledig und kinderlos. Er hat sein Heimatland illegal verlassen und ist illegal nach Österreich gekommen, wo er am 29.12.2015 nach einer zuvor erfolgten Einreiseverweigerung in die Bundesrepublik Deutschland einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Der BF ist gesund und leidet an keiner schwerwiegenden lebensbedrohlichen Erkrankung. Er verfügt über soziale Anknüpfungspunkte im Iran; wobei er aber mit seinen Familienangehörigen zuletzt nicht mehr in Kontakt stand.

Der BF hat im Iran maturiert und danach auf der Universität als Bachelor graduiert. Er hat sich durch Arbeiten in einer Bäckerei und im Autoverzollungsamt seinen Lebensunterhalt bestreiten können. Da er zum Zeitpunkt seiner illegalen Ausreise aus dem Iran noch Student gewesen ist, hat er den Militärdienst noch nicht absolviert.

2.1.2. Der BF verließ den Iran illegal und reiste über die Türkei nach Europa ein. Nachdem ihm am 27.12.2015 in der Bundesrepublik Deutschland die Einreise verweigert wurde und er nach Österreich zurückgeschoben wurde, stellte er am 29.12.2015 im Bundesgebiet den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Es kann festgestellt werden, dass der BF im Iran keinen Kontakt zum Christentum gehabt hat. Es kann auch festgestellt werden, dass der BF nicht von den iranischen Behörden verfolgt wird, weil der BF dort nicht nach den Regeln des Islams leben wolle und er sich wegen seiner islamkritischen Lebensweise mit seiner Familie zerstritten hätte.

Der BF wurde in Österreich getauft und ist in einer römisch-katholischen Kirchengemeinde aktiv. Es kann festgestellt werden, dass sich der BF mit christlichen Glaubensinhalten auseinandergesetzt hat. Jedoch hat sich der BF nicht nachhaltig dem christlichen Glauben zugewandt und daher ist dieser Glaube für den BF auch nicht identitätsstiftend. Bei der behaupteten Konversion des BF handelt es sich um eine Scheinkonversion.

Es können keine stichhaltigen Gründe für die Annahme festgestellt werden, dass der BF Gefahr liefe, im Iran einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder gar der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden.

Es wird festgestellt, dass der BF im Falle ihrer Rückkehr in den Iran weder in eine existenzgefährdende Notsituation geraten würde noch als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen oder internationalen Konfliktes ausgesetzt wäre.

Zum Entscheidungszeitpunkt konnte auch keine sonstige aktuelle Gefährdung des BF in seinem Herkunftsstaat festgestellt werden.

2.1.3. In Österreich hat der BF keine weiteren Familienangehörigen. Auch besteht zu sonstigen Personen im Bundesgebiet weder ein engerer Kontakt, der einer familienähnlichen Bindung nahe kommt noch ein Abhängigkeitsverhältnis.

Der BF ist in Österreich nicht selbsterhaltungsfähig und bezieht seit seiner Asylantragstellung in Österreich Leistungen von der staatlichen Grundversorgung.

Der BF verfügt zum Entscheidungszeitpunkt über keine relevanten Bindungen zu Österreich.

Der BF spricht Deutsch auf dem Niveau B1. Er hat neben Sprachkursen auch an integrativen Maßnahmen teilgenommen.

Der BF ist in einer christlichen Gemeinde aktiv. Über diese hat er im Bundesgebiet im Zuge seines Aufenthaltes einige Freundschaften geschlossen. Ansonsten konnten keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer hinreichenden Integration in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht festgestellt werden. Insgesamt ist – insbesondere unter der Betrachtung der Aufenthaltsdauer des BF – davon auszugehen, dass die privaten Interessen des BF, die öffentlichen Interessen nicht überwiegen.

Des Weiteren liegen weder die Voraussetzungen für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“, noch für einen Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK vor und es ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung geboten.

2.2.Zur Lage im Herkunftsstaat wird festgestellt (Länderinformationsblatt vom 19.06.2020):

1.       Politische Lage

Letzte Änderung: 19.06.2020

Iran ist seit 1979 eine Islamische Republik (AA 4.3.2020b). Das Staatssystem beruht auf dem Konzept der „velayat-e faqih“, der Stellvertreterschaft des Rechtsgelehrten. Dieses besagt, dass nur ein herausragender Religionsgelehrter in der Lage sei, eine legitime Regierung zu führen, bis der 12. Imam, die eschatologische Heilsfigur des schiitischen Islam, am Ende der Zeit zurückkehren und ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit einleiten werde. Dieser Rechtsgelehrte ist das Staatsoberhaupt Irans mit dem Titel „Revolutionsführer“ (GIZ 2.2020a; vgl. BTI 2020). Der Revolutionsführer (auch Oberster Führer) ist seit 1989 Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei. Er steht noch über dem Präsidenten (ÖB Teheran 10.2019; vgl. US DOS 11.3.2020). Er wird von einer Klerikerversammlung (Expertenrat) auf Lebenszeit gewählt, ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte (AA 4.3.2020a; vgl. FH 4.3.2020, US DOS 11.3.2020) und wesentlich mächtiger als der Präsident. Des Weiteren unterstehen ihm unmittelbar die Revolutionsgarden (Pasdaran oder IRGC), die mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen und die gesamte Judikative. Für die entscheidenden Fragen ist letztlich der Oberste Führer verantwortlich (ÖB Teheran 10.2019; vgl. FH 4.3.2020). Obwohl der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz und Schiedsrichter ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Politische Gruppierungen bilden sich um Personen oder Verwandtschaftsbeziehungen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen (z.B. Klerus). Diese Zugehörigkeiten und Allianzen unterliegen dabei einem ständigen Wandel. Reformorientierte Regimekritiker sind weiterhin starken Repressionen ausgesetzt (AA 26.2.2020).

Das iranische Regierungssystem ist ein semipräsidiales: an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident. Amtsinhaber ist seit 2013 Hassan Rohani, er wurde im Mai 2017 wiedergewählt (ÖB Teheran 10.2019). Der Präsident ist, nach dem Revolutionsführer, der zweithöchste Beamte im Staat (FH 4.3.2020). Er steht der Regierung vor, deren Kabinett er ernennt. Die Kabinettsmitglieder müssen allerdings vom Parlament bestätigt werden. Der Präsident ist der Leiter der Exekutive. Zudem repräsentiert er den Staat nach außen und unterzeichnet internationale Verträge. Dennoch ist seine faktische Macht beschränkt, da der Revolutionsführer in allen Fragen das letzte Wort hat bzw. haben kann (GIZ 2.2020a). Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird das Einkammerparlament, genannt Majles, mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann (ÖB Teheran 10.2019). Hauptaufgabe des Parlaments ist die Ausarbeitung neuer Gesetze, die von der Regierung auf den Weg gebracht werden. Es hat aber auch die Möglichkeit, selbst neue Gesetze zu initiieren. Die letzten Parlamentswahlen fanden im Februar 2020 statt (GIZ 2.2020a). Während bei der Parlamentswahl 2016 die Reformer und Moderaten starke Zugewinne erreichen konnten (ÖB Teheran 10.2019), drehte sich dies bei den letzten Parlamentswahlen vom Februar 2020 und die Konservativen gewannen diese Wahlen. Erstmals seit der Islamischen Revolution von 1979 lag die Wahlbeteiligung unter 50%. Zahlreiche Anhänger des moderaten Lagers um Präsident Hassan Rohani hatten angekündigt, der Wahl aus Enttäuschung über die politische Führung fernzubleiben. Tausende moderate Kandidaten waren zudem von der Wahl ausgeschlossen worden (DW 23.2.2020).

Entscheidende Gremien sind des Weiteren der vom Volk direkt gewählte Expertenrat mit 86 Mitgliedern, sowie der Wächterrat mit zwölf Mitgliedern (davon sind sechs vom Obersten Führer ernannte Geistliche und sechs von der Judikative bestimmte Juristen). Der Expertenrat ernennt den Obersten Führer und kann diesen (theoretisch) auch absetzen. Der Wächterrat hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch wesentlich mächtiger. Ihm obliegt u.a. auch die Genehmigung von Kandidaten bei allen nationalen Wahlen (ÖB Teheran 10.2019; vgl. GIZ 2.2020a, FH 4.3.2020, BTI 2020). Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers (GIZ 2.2020). Des Weiteren gibt es noch den Schlichtungsrat. Er vermittelt im Gesetzgebungsverfahren und hat darüber hinaus die Aufgabe, auf die Wahrung der „Gesamtinteressen des Systems“ zu achten (AA 4.3.2020a; vgl. GIZ 2.2020a). Er besteht aus 35 Mitgliedern, die vom Revolutionsführer unter Mitgliedern der Regierung, des Wächterrats, des Militärs und seinen persönlichen Vertrauten ernannt werden. Die Interessen des Systems sind unter allen Umständen zu wahren und der Systemstabilität wird in der Islamischen Republik alles untergeordnet. Falls nötig, können so in der Islamischen Republik etwa auch Gesetze verabschiedet werden, die der Scharia widersprechen, solange sie den Interessen des Systems dienen (GIZ 2.2020a).

Die Basis des Wahlsystems der Islamischen Republik sind die Wahlberechtigten, also jeder iranische Bürger ab 16 Jahren. Das Volk wählt das Parlament, den Präsidenten sowie den Expertenrat (GIZ 2.2020a) in geheimen und direkten Wahlen (AA 26.2.2020). Das System der Islamischen Republik kennt keine politischen Parteien. Theoretisch tritt jeder Kandidat für sich alleine an. In der Praxis gibt es jedoch Zusammenschlüsse von Abgeordneten, die westlichen Vorstellungen von Parteien recht nahekommen (GIZ 2.2020a; vgl. AA 4.3.2020a). Das iranische Wahlsystem entspricht nicht internationalen demokratischen Standards. Der Wächterrat, der von konservativen Hardlinern und schlussendlich auch vom Obersten Rechtsgelehrten Khamenei kontrolliert wird, durchleuchtet alle Kandidaten für das Parlament, die Präsidentschaft und den Expertenrat. Üblicherweise werden Kandidaten, die nicht als Insider oder nicht vollkommen loyal zum religiösen System gelten, nicht zu Wahlen zugelassen. Bei Präsidentschaftswahlen werden auch Frauen aussortiert. Das Resultat ist, dass die iranischen Wähler nur aus einem begrenzten und vorsortierten Pool an Kandidaten wählen können (FH 4.3.2020). Von den 1.499 Männern und

137 Frauen, die sich im Rahmen der Präsidentschaftswahl 2017 für die Kandidatur zum Präsidentenamt registrierten, wurden sechs männliche Kandidaten vom Wächterrat zugelassen. Frauen werden bei Präsidentschaftswahlen grundsätzlich als ungeeignet abgelehnt. Die Wahlbeteiligung 2017 betrug 73%. Unabhängige Wahlbeobachter werden nicht zugelassen. Ablauf, Durchführung sowie Kontroll- und Überprüfungsmechanismen der Wahlen sind in technischer Hinsicht grundsätzlich gut konzipiert (AA 26.2.2020).

Auf Reformbestrebungen bzw. die wirtschaftliche Öffnung des Landes durch die Regierung Rohanis wird von Hardlinern in Justiz und politischen Institutionen mit verstärktem Vorgehen gegen „unislamisches“ oder konterrevolutionäres Verhalten reagiert. Es kann daher auch nicht von einer wirklichen Verbesserung der Menschenrechtslage gesprochen werden. Ein positiver Schritt Ende 2017 war die Aufhebung der Todesstrafe für die meisten Drogendelikte, was zu einer Halbierung der vollstreckten Todesurteile führte (ÖB Teheran 10.2019).

2.       Sicherheitslage

Letzte Änderung: 19.06.2020

Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage im Iran auswirken. Die schwierige Wirtschaftslage und latenten Spannungen im Land führen periodisch zu Kundgebungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Preiserhöhungen oder mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei muss mit schweren Ausschreitungen und gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten gerechnet werden sowie mit Straßenblockaden. Zum Beispiel haben im November 2019 Proteste gegen die Erhöhung der Treibstoffpreise Todesopfer und Verletzte gefordert (EDA 4.5.2020).

Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. Im Juni 2017 wurden in Teheran Attentate auf das Parlament und auf das Mausoleum von Ayatollah Khomeini verübt. Sie haben über zehn Todesopfer und zahlreiche Verletzte gefordert. Im September 2018 forderte ein Attentat auf eine Militärparade in Ahvaz (Provinz Khuzestan) zahlreiche Todesopfer und Verletzte (EDA 4.5.2020; vgl. AA 4.5.2020b). 2019 gab es einen Anschlag auf einen Bus der Revolutionsgarden in der Nähe der Stadt Zahedan (AA 4.5.2020b).

In den Grenzprovinzen im Osten und Westen werden die Sicherheitskräfte immer wieder Ziel von bewaffneten Überfällen und Anschlägen (EDA 4.5.2020). In diesen Minderheitenregionen kommt es unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Die iranischen Behörden haben seit einiger Zeit die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zu Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran erhöht (AA 4.5.2020b).

In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrte Sicherheits- und Personenkontrollen. Wiederholt wurden Ausländer in der Region festgehalten und längeren Verhören unterzogen. Eine Weiterreise war in manchen Fällen nur noch mit iranischer Polizeieskorte möglich. Dies geschah vor dem Hintergrund von seit Jahren häufig auftretenden Fällen bewaffneter Angriffe auf iranische Sicherheitskräfte in der Region (AA 4.5.2020b). Die Grenzzone Afghanistan, östliches Kerman und Sistan-Belutschistan, stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändlerorganisationen sowie von extremistischen Organisationen. Sie haben wiederholt Anschläge verübt und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein. Es kann hier jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen (EDA 4.5.2020).

In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, lokale Repräsentanten der Justiz und des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen und Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt. Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem sogenannten Islamischen Staat in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 4.5.2020b). Im iranisch- irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen). Die unsichere Lage und die Konflikte in Irak verursachen Spannungen im Grenzgebiet. Gelegentlich kommt es zu Schusswechseln zwischen aufständischen Gruppierungen und den Sicherheitskräften. Bisweilen kommt es auch im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften (EDA 4.5.2020). Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind (ÖB Teheran 10.2019).

2.1.    Verbotene Organisationen

Letzte Änderung: 19.06.2020

Die Mitgliedschaft in verbotenen politischen Gruppierungen kann zu staatlichen Zwangsmaßnahmen und Sanktionen führen. Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivität, die als Angriff auf das politische System empfunden wird oder die islamischen Grundsätze infrage stellt. Als rechtliche Grundlage dienen dazu weitgefasste Straftatbestände. Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, können der Spionage beschuldigt werden (AA 26.2.2020). Zu den militanten separatistischen Gruppen in Iran zählen insbesondere die kurdisch-marxistische Komala(h)-Partei, die Democratic Party of Iranian Kurdistan (KDPI), die aus Belutschistan stammende Jundallah, und die Party for a Free Life in Kurdistan (PJAK), die eng mit ihrer Schwesterorganisation, der PKK, zusammenarbeitet (AA 26.2.2020). Die politischen Gruppierungen KDPI, Komala und PJAK sind im Untergrund aktiv (DIS/DRC 23.2.2018). Die PJAK gilt in Iran als Terrororganisation (ÖB Teheran 10.2019) und hat einen bewaffneten Flügel (AI 15.6.2018). Von Mai bis September 2016 wurden fast wöchentlich bewaffnete Konflikte zwischen kurdischen Guerillakräften und iranischen Sicherheitskräften gemeldet. In den letzten zehn Jahren hatte hauptsächlich die kurdische Partei PJAK militärische Operationen im Nordwesten des Iran durchgeführt. Seit Mai 2016 beteiligen sich auch andere kurdische Parteien (KDPI, KDP-I, PAK) an militärischen Operationen gegen iranische Sicherheitskräfte. Alle diese Parteien operieren von Militärbasen und Lagern im Nordirak aus. Die Revolutionsgarden haben im gleichen Zeitraum ihre Präsenz in der Region verstärkt und kurdische Dörfer sowohl auf iranischer als auch auf irakischer Seite angegriffen. Mitglieder und Unterstützer von KDPI und Komala werden im Allgemeinen härter behandelt als andere Aktivisten im kurdischen Raum. In der Regel unterscheiden die iranischen Behörden nicht zwischen Mitgliedern und Unterstützern der Parteien. Während die iranischen Behörden Personen, die verhaftet werden, beschuldigen, mit diesen Parteien verbunden zu sein, ist dies nicht immer der Fall. Familienmitglieder von Parteimitgliedern und Unterstützern laufen ebenfalls Gefahr, von den iranischen Behörden befragt, inhaftiert und verhaftet zu werden, um Druck auf Aktivisten auszuüben. Enge Familienmitglieder werden häufiger verhaftet als Mitglieder der Großfamilie (DIS 7.2.2020). Auch die Volksmudschahedin (MEK, MKO, PMOI) zählen zu den verbotenen Organisationen (AI 11.2.2019).

Es scheint eher unwahrscheinlich, dass eine Person nur aufgrund einer einzigen politischen Aktivität auf niedrigem Niveau, wie z.B. dem Verteilen von Flyern, angeklagt wird, es ist aber schon möglich, dass man inhaftiert wird, wenn man mit politischem Material, oder beim Anbringen von politischen Slogans an Wänden erwischt wird. Es kommt darauf an, welche Art von Aktivität die Personen setzen. Andauernde politische Aktivitäten können in einer Anklage enden (DIS/DRC 23.2.2018).

2.2.    Volksmudschahedin (Mujahedin-e-Khalq – MEK, MKO; People’s Mojahedin Orga- nisation of Iran – PMOI; National Council of Resistance of Iran – NCRI)

Letzte Änderung: 19.06.2020

Die militante iranische Exil-Oppositionsbewegung Mujahedin-e Khalq (MEK, oder auch MKO, „iranische Volksmudschahedin“) gilt in Iran als Terrororganisation, und wird für die Ermordung von17.000 Iranern verantwortlich gemacht (ÖB Teheran 9.2017; vgl. Global Security o.D., SFH 20.7.2018). Verbindungen zur MEK gelten in Iran als „moharebeh“ („Waffenaufnahme gegen Gott“), worauf die Todesstrafe steht (ÖB Teheran 10.2019). Im Exil in Frankreich hat die MEK-Führung den Nationalen Widerstandsrat [National Council of Resistance of Iran (NCRI)] gegründet (Telepolis 18.1.2019). Die linksgerichtete MEK wurde in den 1960er Jahren mit der Intention gegründet, den Schah von Persien zu stürzen. Die MEK unterstützte während der iranischen Revolution Ayatollah Khomeini. Die Organisation wurde Anfang der 1980er Jahre aus dem Iran ins Exil in den Irak vertrieben, nachdem sie gegen Khomeini opponiert hatte. Die MEK wird für verschiedene Anschläge verantwortlich gemacht und hatte als Verbündete der irakischen Seite am ersten Golfkrieg zwischen 1980 bis 1988 teilgenommen. Im Jahr 1987 gründete die Organisation einen bewaffneten Arm, die National Liberation Army (NLA) und führte ab 1988 von der 60 Kilometer von Bagdad entfernten Basis Ashraf ausgehend bewaffnete Operationen durch. In diesem Zeitraum exekutierten die iranischen Behörden hunderte bis tausende MEK-Mitglieder, welche als Feinde der Nation und Verräter bezeichnet wurden. Die Organisation wurde von einer Reihe von Staaten offiziell als terroristische Organisation eingestuft, darunter von den USA, der EU und Großbritannien. Im Jahr 2003 hat sich die MEK entwaffnet und den Verzicht auf Gewalt verkündet. In den Jahren 2008, 2009 und 2012 wurde die MEK in Großbritannien, in der EU und in den USA von der Liste der terroristischen Organisationen entfernt (SFH 20.7.2018). Die MEK-Mitglieder in Irak ließen sich ab 2011 im Rahmen einer von UNHCR unterstützten Umsiedlung mehrheitlich in Albanien nieder. Im September 2016 sollen die letzten Volksmudschahedin ihr Lager in Irak verlassen haben (SFH 20.7.2018; vgl. Guardian 9.11.2018). Mittlerweile sind viele von ihnen in die EU und USA weitergereist (Guardian 9.11.2018).

Experten sind sich einig, dass die Volksmudschahedin die USA beim Eingreifen in den Irak, bei diversen Aktionen im Nahen Osten und beim Kampf gegen den Terrorismus unterstützt haben. Auch bei der Veröffentlichung des iranischen Atomprogramms sollen sie eine wichtige Rolle gespielt haben (DW 28.3.2016; vgl. Guardian 9.11.2018). In Bezug auf die Demonstrationen, die Ende 2017/Anfang 2018 in den großen Städten Irans stattfanden, gab der Oberste Führer Khamenei den Großteil der Schuld an den Demonstrationen der MEK und erkannte somit das Ausmaß des Einflusses dieser Gruppierung an (Iran Focus 18.1.2018; vgl. Arab News 22.1.2018).

Die MEK konzentriert sich mittlerweile auf das Beeinflussen der öffentlichen Meinung und auf das Sammeln von Informationen zur Situation im Land. Inwieweit die MEK von der iranischen Bevölkerung unterstützt wird, ist umstritten. Einerseits gibt es Informationen, die besagen, dass die MEK die größte militante iranische Oppositionsgruppe sei, mit dem Ziel die Islamische Republik, die iranische Regierung und deren Sicherheitsapparat zu stürzen. Andererseits gibt es Berichte, die der MEK wenig bis gar keine Unterstützung der Bevölkerung zusprechen (ACCORD 7.2015). Die österreichische Botschaft berichtet hierzu, dass die MEK zwar die stärkste oppositionelle Bewegung und international präsent ist, aber sie genießt in Iran selbst aufgrund ihrer terroristischen Vergangenheit und der Unterstützung Saddam Husseins im Iran-Irak-Krieg kaum Unterstützung (ÖB Teheran 10.2019).

Immer wieder wird Kommandanten der MEK von ehemaligen Mitgliedern vorgeworfen, dass sie Mitglieder der MEK systematisch misshandeln würden, um sie zum Schweigen zu bringen. Hierzu würden Folter, Einzelhaft, Beschlagnahmung von Vermögen und Trennung von Familien, um die Kontrolle über die Mitglieder zu behalten, angewendet. Solche Vorwürfe werden von der MEK kategorisch zurückgewiesen (Guardian 9.11.2018).

2.3.    PJAK - Partiya Jiyana Azad a Kurdistanê (Partei für Freiheit und Leben in Kurdis- tan bzw. Partei für ein freies Leben Kurdistans)

Letzte Änderung: 19.06.2020

Die PJAK begann in den späten 1990er Jahren als friedliche studentische Menschenrechtsorganisation. Es ging den Mitgliedern der Gruppierung anfangs um den Aufbau einer kurdischen Nationalidentität (BMI 2015; vgl. ACCORD 7.2015, DIS 7.2.2020), und man wollte die Assimilierung der Kurden durch die Zentralregierung verhindern. 2004 begannen die bewaffneten Angriffe auf die iranische Regierung von den Kandil-Bergen aus, von wo aus die PJAK bis heute operiert. Ebendort hat auch die PKK ihre Basen und die PJAK gilt als iranischer Ableger der PKK. Als Unterschied zur PKK gibt die PJAK selbst an, dass sie sich niemals gegen Zivilisten, sondern immer nur gegen ausschließlich iranische Regierungstruppen wendet bzw. gewandt hat. Die iranische Regierung hat die PJAK auch niemals diesbezüglich beschuldigt. Angaben über die Stärke der PJAK-Kämpfer sind schwierig. Schätzungen liegen zwischen 1.000 (JF 15.1.2018) und 3.000 Kämpfern (BMI 2015). Ein großer Teil der Kämpfer in Ostkurdistan sollen Frauen sein (TRAC o.D.; vgl. CRS 6.2.2020).

Die PJAK ist zwischen einem Militärflügel, den ostkurdischen Verteidigungskräften (YRK), und dem politischen Flügel, der Demokratischen und Freien Gesellschaft Ostkurdistans (KODAR), aufgeteilt. Wie bei anderen PKK-Zweigen versucht die Gruppe angeblich, mit allen Iranern zusammenzuarbeiten, aber in der Praxis ist ihre Mitgliedschaft fast ausschließlich kurdisch. Während der militärische Flügel in den Kandil-Bergen stationiert ist, ist der politische Zweig in Europa und Irak ansässig (JF 15.1.2018) und operiert in Iran im Untergrund (DIS 7.2.2020). Der militärische Arm der PJAK führte von Anfang der 2000er Jahre bis 2011 eine sporadische Aufstandskampagne auf niedriger Ebene im Iran durch. Dabei wurden Dutzende iranische Sicherheitskräfte getötet, hauptsächlich bei Operationen in und um Städte mit kurdischer Mehrheit wie Urmia und Mariwan. 2011 erklärte die PJAK einen [brüchigen] Waffenstillstand. Der Zusammenbruch des syrischen Staates eröffnete der PKK und ihren Mitgliedsgruppen neue Möglichkeiten und es wurden Kämpfer nach Syrien geschickt. Dies wurde ab 2014 verstärkt, da die von der YPG [syrischer Ableger der PKK] gehaltenen Gebiete zunehmend von den von der Türkei unterstützten Streitkräften der Freien Syrischen Armee (FSA) und von Kämpfern des sogenannten Islamischen Staates (IS), insbesondere bei der Belagerung von Kobane, unter Druck gesetzt wurden. Trotz des zunehmenden Engagements der PJAK in Syrien gab die Gruppe ihren Waffenstillstand mit dem Iran im Jahr 2015 auf, vor allem, um von der weit verbreiteten Empörung und den Protesten gegen die Tötung einer kurdischen Frau durch die iranischen Sicherheitskräfte in Mahabad zu profitieren. Dies führte dazu, dass die Gruppe die Angriffe auf iranische Truppen wieder aufnahm, was zu verstärkter Gewalt zwischen PJAK und der iranischen Regierung führte und im August 2015 ihren Höhepunkt mit einem PJAK-Angriff in Mariwan erreichte, bei dem Berichten zufolge 20 Mitglieder des iranischen Revolutionsgarde-Korps (IRGC) getötet wurden. Die Regierung reagierte mit der Hinrichtung inhaftierter kurdischer Aktivisten (JF 15.1.2018).

Die PJAK liefert sich somit seit Jahren einen Guerilla-Kampf mit den iranischen Sicherheitsbehörden (AA 26.2.2020). In den Jahren 2017 und 2018 kam es immer wieder zu Zusammenstößen mit kurdischen Oppositionsgruppen (PJAK, KDP-Iran, Komala), mit mehreren Dutzend Festnahmen und zahlreichen Toten (ÖB Teheran 10.2019; vgl. BTI 2020). Es ist weiterhin mit verschärften Repressalien gegen kurdische Organisationen zu rechnen. Unter den politisch Verfolgten in Iran sind verhältnismäßig viele Kurden. Auffallend sind die häufigen Verurteilungen im Zusammenhang mit Terrorvorwürfen – insbesondere die Unterstützung der als Terrororganisation geltenden PJAK und das oftmals unverhältnismäßig hohe Strafausmaß (ÖB Teheran 10.2019). Zusammenstöße der PJAK mit iranischen Sicherheitskräften wurden auch 2019 berichtet (Kurdistan24 5.8.2019).

2.4.    Kurdish Democratic Party of Iran (KDPI/PDKI) und Komala(h) (Kurdistan Orga- nization of the Communist Party of Iran, Komala, SKHKI)

Letzte Änderung: 19.06.2020

Neben der PJAK zählen insbesondere die marxistische Komalah-Partei und die Democratic Party of Iranian Kurdistan (KDPI) zu den militanten separatistischen Gruppen in Iran (AA 26.2.2020). Die KDPI wurde 1945 in der iranischen Stadt Mahabad gegründet (DIS 7.2.2020) und vom Schah im Jahr 1953 verboten und dadurch in den Untergrund verbannt (TRAC o.D.). Das Ziel der KDPI besteht darin, die kurdischen nationalen Rechte innerhalb eines Bundes und eines demokratischen Iran zu erlangen (DIS 7.2.2020; vgl. TRAC o.D., MERIP o.D.). Die KDPI wird von der Regierung als konterrevolutionäre und terroristische Gruppe betrachtet, die von ihrem irakischen Hauptquartier aus das Regime bekämpft (BMI 2015; vgl. MERIP o.D., ACCORD 7.2015). Die KDPI wird traditionell als die größte iranisch-kurdische Partei angesehen. Die Partei KDP-Iran hat sich 2006 von der KDPI getrennt und ist eine separate Partei (DIS 7.2.2020). Die kurdischen Oppositionsparteien, insbesondere die KDPI, sind in Iran nicht sehr stark durch Mitglieder repräsentiert, sondern am ehesten durch Sympathisanten (ACCORD 7.2015).

Die Komala-Partei wurde 1969 gegründet. Ihre Mitglieder bestanden zu dieser Zeit aus kurdischen linken Studenten und Intellektuellen, hauptsächlich aus Teheran, aber auch aus anderen kurdischen Städten. Komala basiert auf sozialistischen Werten und kämpft für kurdische Rechte und einen demokratischen, säkularen, pluralistischen und föderalen Iran. Komala besteht aus drei oder mehr getrennten Parteien (DIS 7.2.2020).

Das Ausmaß der zivilpolitischen Aktivitäten der iranisch-kurdischen Oppositionsparteien, insbesondere der KDPI und Komala in Iran, ist aufgrund der Kontrolle, mit der sie konfrontiert sind, im Allgemeinen begrenzt. Wenn die Parteien zivilpolitische Aktivitäten durchführen, geschieht dies unter Geheimhaltung, um zu verhindern, dass die Behörden gegen sie vorgehen. Die Parteien unterstützen jedoch die Aktivitäten anderer, beispielsweise von Organisationen, die sich sowohl auf Umweltfragen als auch auf soziale Fragen konzentrieren. Die kurdischen politischen Parteien führen Propaganda-Aktivitäten durch, um ein Bewusstsein für die Politik der iranischen Regierung zu schaffen und die Menschen zu ermutigen – durch verschiedene friedliche und entschlossene Maßnahmen wie Demonstrationen, Generalstreiks und symbolische Mittel wie das Tragen kurdischer Kleidung zu besonderen Anlässen – gegen die Regierung zu protestieren. Die meisten Aktivitäten der kurdischen Parteien finden im öffentlichen Raum, einschließlich Schulen, statt. Die Parteien ermutigen ihre Mitglieder, Unterstützer und die Öffentlichkeit, Maßnahmen über soziale Medien, Fernseh- und Radiokanäle zu ergreifen. In Bezug auf die Rekrutierung von Mitgliedern ist zu sagen, dass die Regeln für die Mitgliedschaft in den iranisch-kurdischen politischen Parteien (KDPI und Komala) nicht immer geradlinig sind und die Mitgliedschaft durch verschiedene Verfahren erlangt werden kann. Menschen in der kurdischen Region des Iran können über die geheimen Netzwerke dieser Parteien Mitglieder werden oder sie können selbst Mitglieder der Partei in der Autonomen Kurdischen Region Irak kontaktieren und dadurch Mitglieder werden. Zukünftige Mitglieder durchlaufen eine Überprüfung um z.B. Spione der iranischen Regierung ausschließen zu können. Es kommt nämlich immer wieder vor, dass das Geheimdienstministerium und die Revolutionsgarden Personen bedrohen oder bestechen, um sie als Kundschafter einzusetzen (DIS 7.2.2020).

Auffallend sind die häufigen Verurteilungen im Zusammenhang mit Terrorvorwürfen – insbesondere die Unterstützung der kommunistischen Komala-Partei und der KDP-Iran und das oftmals unverhältnismäßig hohe Strafausmaß (ÖB Teheran 10.2019). Ende April 2017 stationierte eine der Komala-Parteien ihre Streitkräfte im Grenzgebiet zwischen der Autonomen Kurdischen Region Irak und Iran (DIS 7.2.2020). Zuletzt wurden im September 2018 drei angebliche Komala-Mitglieder wegen Terrorismus nach unfairen Verfahren und trotz internationaler Proteste hingerichtet (ÖB Teheran 10.2019; vgl. DIS 7.2.2020), zeitgleich fanden Raketenangriffe auf einen Stützpunkt der KDPI in Nord-Irak statt (ÖB Teheran 10.2019; vgl. DIS 7.2.2020, BTI 2020).

3.       Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 19.06.2020

Seit 1979 ist Iran eine Islamische Republik, in welcher versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden (ÖB Teheran 10.2019). Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den Chef der Judikative. Dieser ist laut Artikel 157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben, unterliegt jedoch Begrenzungen. Immer wieder wird deutlich, dass Exekutivorgane, v.a. der Sicherheitsapparat, trotz des formalen Verbots, in Einzelfällen massiven Einfluss auf die Urteilsfindung und die Strafzumessung nehmen. Zudem ist zu beobachten, dass fast alle Entscheidungen der verschiedenen Staatsgewalten bei Bedarf informell durch den Revolutionsführer und seine Mitarbeiter beeinflusst und gesteuert werden können. Auch ist das Justizwesen nicht frei von Korruption (AA 26.2.2020; vgl. BTI 2020). In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer („Iranian Bar Association“; IBA). Allerdings sind die Anwälte der IBA staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen, insbesondere in politischen Verfahren, ausgesetzt (AA 26.2.2020). Das Justizsystem wird als Instrument benutzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 4.3.2020).

Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und, dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen (US DOS 11.3.2020). Iranische Gerichte, insbesondere die Revolutionsgerichte, verletzen immer wieder die Regeln für faire Gerichtsverfahren. Geständnisse, die wahrscheinlich unter Anwendung von Folter erlangt wurden, werden als Beweis vor Gericht verwendet (HRW 14.1.2020; vgl. AA 26.2.2020, HRC 28.1.2020). Die Behörden setzen sich ständig über die Bestimmungen hinweg, welche die Strafprozessordnung von 2015 für ein ordnungsgemäßes Verfahren vorsieht, wie z.B. das Recht auf einen Rechtsbeistand (AI 18.2.2020; vgl. HRW 14.1.2020).

Das Verbot der Doppelbestrafung gilt nur stark eingeschränkt. Nach dem iranischen Strafgesetzbuch (IStGB) wird jeder Iraner oder Ausländer, der bestimmte Straftaten im Ausland begangen hat und in Iran festgenommen wird, nach den jeweils geltenden iranischen Gesetzen bestraft. Bei der Verhängung von islamischen Strafen haben bereits ergangene ausländische Gerichtsurteile keinen Einfluss. Insbesondere bei Betäubungsmittelvergehen drohen drastische Strafen. In jüngster Vergangenheit sind keine Fälle einer Doppelbestrafung bekannt geworden (AA 26.2.2020).

Wenn sich Gesetze nicht mit einer Situation befassen, dürfen Richter ihrem Wissen und ihrer Auslegung der Scharia Vorrang einräumen. Nach dieser Methode können Richter eine Person aufgrund ihres eigenen „göttlichen Wissens“ für schuldig erklären (US DOS 11.3.2020).

In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die “Sondergerichte für die Geistlichkeit“ sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt (AA 9.12.2015; vgl. BTI 2018).

Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte:

-        Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegen das Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen, insbesondere "Feindschaft zu Gott" und "Korruption auf Erden";

-        Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen;

-        Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers;

-        Spionage für fremde Mächte;

-        Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel;

-        Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (AA 9.12.2015).

Gerichtsverfahren, vor allem Verhandlungen vor Revolutionsgerichten, finden nach wie vor unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und sind extrem kurz. Manchmal dauert ein Verfahren nur wenige Minuten (AI 22.2.2018).

Die iranische Strafrechtspraxis unterscheidet sich stark von jener der europäischen Staaten: Körperstrafen sowie die Todesstrafe werden verhängt (ÖB Teheran 10.2020; vgl. AA 26.2.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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