TE Vwgh Beschluss 2020/12/21 Ra 2020/14/0538

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Veröffentlicht am 21.12.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof

Norm

B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2020/14/0539
Ra 2020/14/0540
Ra 2020/14/0541
Ra 2020/14/0542
Ra 2020/14/0543

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in den Revisionssachen 1. des A B, 2. der C D, 3. der E F, 4. der G H, 5. der I J, und 6. der K L, alle vertreten durch Dr. Horst Auer, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Marktgasse 21-23/4-6, dieser vertreten durch Dr. Claudia Stoitzner-Patleych, Rechtsanwältin in 1060 Wien, Mariahilferstraße 45/5/36, gegen die am 5. Februar 2019 mündlich verkündeten und am 30. Jänner 2020 schriftlich ausgefertigten Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts, 1. L519 2144285-1/21E, 2. L519 2144283-1/17E, 3. L519 2144290-1/15E, 4. L519 2144289-1/15E, 5. L519 2144287-1/15E und 6. L519 2144291-1/14E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind miteinander verheiratet und Eltern der Dritt- bis Sechstrevisionswerber, alle sind irakische Staatsangehörige. Die Erst- bis Fünftwerber stellten am 23. September 2015 Anträge auf internationalen Schutz, die Sechstrevisionswerberin wurde danach in Österreich geboren. Ihre Anträge auf internationalen Schutz begründeten die Revisionswerber zusammengefasst damit, dass der Erstrevisionswerber von einem Angehörigen eines anderen Stammes bedroht worden sei und nun verfolgt werde. Außerdem würden die Revisionswerber der sunnitischen Minderheit angehören und auch aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit verfolgt werden.

2        Mit Bescheiden vom 9. Dezember 2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte den Revisionswerbern keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ jeweils Rückkehrentscheidungen und stellte fest, dass die Abschiebung der Revisionswerber in den Irak zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise setzte die Behörde jeweils mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3        Mit den angefochtenen Erkenntnissen wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobenen Beschwerden nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei

4        Mit Erkenntnis vom 22. September 2020, E 763-768/2020-16, hob der Verfassungsgerichtshof die angefochtenen Erkenntnisse, soweit damit die Beschwerden gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich des Status der subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln, gegen die Rückkehrentscheidungen und gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebungen in den Herkunftsstaat unter Setzung einer zweiwöchigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wurde, wegen der Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander auf. Im Übrigen - somit hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten - lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerden ab und trat diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

5        In der Folge wurden die vorliegenden außerordentlichen Revisionen eingebracht.

6        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9        Die Revisionen bringen zu ihrer Zulässigkeit vor, es würde Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verfolgungsgefahr von Sunniten durch den schiitischen Stamm der Alsudani und der daraus folgenden Asylrelevanz fehlen. Das BVwG habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt, weil es das Parteienvorbringen großteils ignoriert habe. So sei im Verfahren stets eine individuelle Verfolgung vorgebracht worden, weil die Revisionswerber aufgrund des Stammeskonfliktes und ihrer religiösen Zugehörigkeit in Anbetracht der Zuspitzung des interkonfessionellen Konfliktes im Irak Todesdrohungen ausgesetzt gewesen seien. Sie seien als Sunniten auch in anderen Landesteilen als Minderheit nicht sicher, die staatlichen Institutionen des Irak würden fast vollständig von Schiiten kontrolliert werden. Der Erstrevisionswerber habe detailliert die Bedrohung durch einen bestimmten Schiiten geschildert, welche aus massiven Streitigkeiten unter Stämmen resultiert habe. Das BVwG habe sich mit standardisierten und veralterten „Länderberichten“ begnügt, anstelle gezielte Nachforschungen bezüglich der Bedrohung durch den schiitischen Stamm der Alsudani und der Bedrohungen sowie Verfolgungen aufgrund des sunnitischen Glaubens der Revisionswerber anzustellen. Den Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses seien weiters keine Angaben zur Lage von Minderjährigen zu entnehmen, das BVwG sei auf die Minderjährigkeit der Dritt- bis Sechstrevisionswerber nicht eingegangen. Feststellungen zur speziellen Gefährdungslage Minderjähriger würden fehlen und die spezifische Situation des Erst- und der Zweitrevisionswerberin als Eltern von minderjährigen Kindern sei nicht hinreichend berücksichtigt worden. Daher liege eine grob mangelhafte Beweiswürdigung vor.

10       Das BVwG hat sich im Rahmen seiner Beweiswürdigung zur Frage, ob die von den Revisionswerbern geltend gemachte Verfolgung durch einen bestimmten schiitischen Nachbarn vor dem Hintergrund eines Konfliktes zwischen einem schiitischen und sunnitischen Stamm tatsächlich vorliegt, ausführlich mit dem diesbezüglichen Vorbringen auseinandergesetzt und ihm aus näher dargelegten Erwägungen die Glaubwürdigkeit abgesprochen. Mit dem Revisionsvorbringen, das BVwG habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt, weil es dieses Parteienvorbringen ignoriert habe, bekämpfen die Revisionswerber daher in Wahrheit die diesbezügliche Beweiswürdigung des BVwG.

11       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz tätig und nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 11.11.2020, Ra 2020/14/0117, mwN).

12       Im vorliegenden Fall zeigen die Revisionen nicht auf, dass die Beweiswürdigung in einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre. Das BVwG führte eine mündliche Verhandlung durch, in der es sich einen persönlichen Eindruck von den Revisionswerbern verschaffen konnte. Es setzte sich mit den einzelnen Aspekten des Fluchtvorbringens auseinander, verwies unter anderem ausführlich auf widersprüchliche sowie vage Angaben im gesamten Verfahren und folgerte, dass die vorgebrachte individuelle Verfolgung durch Angehörige des Stammes der Alsudani bzw. durch Nachbarn nicht vorliege. Die Revisionen setzen sich mit dieser - nicht unvertretbaren - Beweiswürdigung nicht näher auseinander. Auch die Einschätzung, die Revisionswerber seien als Sunniten - auch abgesehen von der nicht vorliegenden individuellen Bedrohung - ungeachtet der Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten und festgestellten Diskriminierungen nicht asylrelevant gefährdet, begründete das BVwG in vertretbarer Weise unter anderem damit, dass nach wie vor zahlreiche Familienangehörige der Revisionswerber unbehelligt im Irak leben würden, ohne dass die Revisionen diesen Erwägungen konkret etwas entgegensetzen.

13       Soweit die Revisionen sich in diesem Zusammenhang darauf stützen, das BVwG hätte gezielte Nachforschungen zur Verifizierung der Behauptungen der Revisionswerber durch aktuelle Anfragen, Rechtshilfeersuchen oder die Beiziehung länderkundlicher Sachverständiger anstellen müssen, und mit der nicht näher substantiierten Behauptung, die Feststellungen des BVwG würden auf veralteten Berichten beruhen, machen die Revisionswerber bloß allgemein gehalten Verfahrensmängel geltend, ohne deren Relevanz darzulegen (vgl. VwGH 27.8.2019, Ra 2018/14/0001, mwN).

14       Das weitere Zulässigkeitsvorbringen, wonach sich das BVwG nicht mit der Lage von Minderjährigen im Irak befasst und die Minderjährigkeit der Dritt- bis Sechstrevisionswerber nicht berücksichtigt habe, zielt erkennbar auf die Zuerkennung der Status der subsidiär Schutzberechtigten ab. Im Hinblick darauf, dass nach der teilweisen Aufhebung der angefochtenen Erkenntnisse durch den Verfassungsgerichtshof diese nur mehr insoweit Gegenstand des Revisionsverfahrens sind, als der Status der Asylberechtigten nicht zuerkannt wurde, kann damit die Zulässigkeit der Revision nicht begründet werden.

15       In den Revisionen werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 21. Dezember 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020140538.L00

Im RIS seit

08.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.02.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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